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Schweizerisches Bundesblatt.

63. Jahrgang. III.

No 20

17. Mai 1911.

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Druck und Expedition der Buchdruckerei Stämpfli & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Aenderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893.

(Vom 11. Mai 1911.)

Tit.

I. Allgemeines.

1. Nachdem am 20. März 1908 die Referendumsfrist für das, Zivilgesetzbuch unbenutzt ausgelaufen war, ersuchte der Bundesrat am 24. März 1908 das Bundesgericht, sich bis Ende 1908 über die Änderungen des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893, die durch das Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches notwendig werden, und über die anderweitigen Änderungen dieses Gesetzes, die bei diesem Anlasse nützlicherweise vorgenommen werden könnten, auszusprechen.

, Mit Schreiben vom 27. März 1909 übermittelte das ßundesgericht dem Bundesrat sein vom 16. März 1909 datiertes Gutachten. Es gibt darin der Meinung Ausdruck, man sollte den Anlass benützen, um nicht nur die durch das Zivilgesetzbuch absolut notwendig werdenden Änderungen an der eidgenössischen Rechtspflegegesetzgebung anzubringen, sondern das Organisationsgesetz einer Totalrevision zu unterziehen. Zur Zivilrechtspflege Bundesblatt. 63. Jahrg. Bd. III.

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56 schlug das Bundesgericht vor, beim bisherigen Rechtsmittel der Berufung zu bleiben und nicht etwa zur reinen Kassation überzugehen. Um aber der Überlastung des Bundesgerichts zu steuern, wurde empfohlen, die mündliche Verhandlung und in einigen Punkten die Überprüfung des Bundesgerichts bei der Berufung einzuschränken und für die Anrufung dieser Behörde als einziger Instanz den Streitwert zu erhöhen. Im weitem wurde vorgeschlagen, die Rechtsbehelfe der Kassation und der Beschwerde zu verschmelzen und als ,,Kassationsbeschwerde" weiter auszugestalten, und dem neuen Rechtsmittel eine Reihe von Streitigö keiten aus dem Zivilgesetzbuch, die sich für die Berufung nicht eignen, ferner eidgenössisch geregelte Gerichtsstandsfragen, Beschwerden wegen Verletzung des Bundesgesetzes über die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter usw. zu unterstellen. Die zur S t r a f r e c h t s p f l e g e geäusserten Wünsche können hier, weil nicht wesentlich, übergangen werden. Zur S t a a t s r e c h t s p f l e g e macht das Bundesgericht die Anregung, die Kompetenzen des Bundesgerichts als Staatsgerichtshof, als Verwaltungsgerichtshof und als Rekursinstanz auseinanderzuhalten. Es sollte danach gestrebt werden, die staatsrechtliche Beschwerde auf allen Gebieten auszuschliessen, wo für die Kontrolle der Rechtsanwendung ein anderes Rechtsmittel besteht. Das Verfahren bei der staatsrechtlichen Beschwerde wäre eingehender und zweckmässiger zu ordnen. Endlich spricht sich das Bundesgericht über die o r g a n i s a t o r i s c h e n Ä n d e r u n g e n aus. Es schlägt eine staatsrechtliche und zwei Zivilabteilungen vor, besetzt mit je 8, und beratend in der Stärke von je 7 Richtern. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer würde aus 3 Mitgliedern der ändern Abteilungen gebildet. Das Bundesgericht bezeichnet die Erhöhung der Richterzahl von 19 auf 24 als das Minimum dessen, was gefordert werden müsse.

2. In der Folge wurde Herr Bundesrichter Dr. Jäger ersucht, auf Grundlage des Gutachtens des Bumdesgerichts vom 16. März 1909, einen motivierten Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Am 7. Oktober 1909 wurde dieser dem Bundesrat eingereicht.

Der Entwurf enthält eine durchgreifende Neubearbeitung der eidgenössischen Rechtspflegegesetzgebung. Er umfasst 64 Artikel mehr als das heutige Organisationsgesetz. Die
Systematik ist zum Teil neu. Es sind nur wenige Bestimmungen des alten Gesetzes vom Verfasser unberührt in den Entwurf herübergenommen worden.

Im November 1909 wurde dieser Entwurf samt Motivenbericht dem Bundesgerichte mit dem Ersuchen mitgeteilt, sich

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darüber zu äussern. Mit Schreiben vom 1. April 1910 übermittelte das Bundesgericht dem Bundesrate sein vom 15S Marx 1910 datiertes Gutachten. Abgesehen von Abänderungsvorschlägen, die blosse Detailpunkte betreffen, möchte das Bundesgericht -- in Abweichung von seinem im Gutachten vom 16. März 1909 eingenommenen Standpunkte und vom Entwurfe Jäger -- die Berufung durch die Kassationsbeschwerde ersetzen. Nach diesem Rechtsmittel hätte sich das Bundesgericht im wesentlichen auf die Beurteilung der Rechtsfrage zu beschränken, und zwar nur in den Beziehungen, die vom Rekurrenten in der schriftlichen Begründung der Beschwerde geltend gemacht wurden. Der vom kantonalen Gericht festgestellte Tatbestand sollte nur mit der Behauptung angefochten werden können, dass darin Tatsachen in rechtswidriger Weise berücksichtigt oder ausser Acht gelassen worden sind, oder dass die darin enthaltenen Feststellungen auf einer Rechtsverletzung beruhen. Das Bundesgericht macht dann noch die Anregung, eine mit 5 Richtern besetzte, der Chambre des requêtes des französischen Kassationshofes nachgebildete Rekurskammer zu schaffen, welche befugt wäre, mit einer qualifizierten Mehrheit von 4 Stimmen Rekurse, bei denen die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorhanden oder die vorgeschriebenen Förmlichkeiten nicht beobachtet sind, oder die sich von vorneherein als aussichtslos darstellen, in einem summarischen Verfahren zu erledigen.

Eine aus 7 Richtern bestehende Minderheit rechtfertigte in einer vom 14. Mai 1910 datierten Eingabe ihren Standpunkt -- in Übereinstimmung mit der frühern Stellungnahme des Bundesgerichts und dem Entwurfe Jäger -- am jetzigen System der Berufung festzuhalten.

Am 12. September 1910 nahm der in Genf versammelte Schweizerische Juristenverein folgende von Herrn Bundesrichter Dr. Jäger vorgeschlagene These an : ,,Die Berufung ist im wesentlichen in ihrer gegenwärtigen Gestalt, jedoch mit Einbeziehung auch der Verfassungsfragen und mit Änderungen sekundärer Natur, als Hauptmittel der Weiterziehung von Zivilrechtsstreitigkeiten beizubehalten."· 3. Da man sich der Einsicht nicht verschliessen konnte, dass -- soll das revidierte Organisationsgesetz auf das Jahr 1912 in Kraft treten -- die Zeit zu einer Totalrevision nicht hinreiche, wurde Herr Professor Dr. Burckhardt in Bern ersucht, gestützt auf das vorliegende Material eine Novelle zum Organisationsgesetze auszuarbeiten, die sich auf die absolut notwendigen Abänderungen

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des geltenden Rechtes beschränkt. Der in diesem Sinne erstellte Entwurf beschäftigt sich in der Hauptsache mit der Regelung folgender Punkte : Für die der Berufung nicht unterliegenden Fälle, für welche das Zivilgesetzbuch eine Weiterziehung am das Bundesgericht ausdrücklich vorsieht, und für den Fall des Art. 246 und des Art. 298 des Zivilgesetzbuches gewährt er das Rechtsmittel der Beschwerde (vgl. Art. 86 ff. 0. G.). -- Er will ferner gewisse staatsrechtliche Kompetenzen des Bundesrates und der Bundesversammlung an das Bundesgericht übertragen. -- In organisatorischer Hinsicht endlich wird vorgeschlagen, eine zweite Zivilabteilung mit ebenfalls 8 Mitgliedern zu schaffen und die Zahl der Richter nicht ein für allemal zu fixieren, sondern zu bestimmen, dass die Bundesversammlung die Zahl der Richter nach Bedürfnis vermehren könne.

Dieser Entwurf wurde dem Bundesgerichte zur Meinungsäusserung zugestellt. In seiner Ende 1910 eingelangten Vernehmlassung stimmt das Bundesgericht der Auffassung des Bundesrates zu, dass es der gegebenen Sachlage entspreche, wenn man sich vorderhand mit einer den dringendsten Bedürfnissen entsprechenden Abänderung der eidgenössischen Rechtspflegegesetzgebung begnüge; es bemerkt dann aber, eine Gesamtrevision des Gesetzes sei notwendig und dürfe auch nach dem Inkrafttreten der Novelle nicht aus dem Auge gelassen werden.

Zudem hebt es mit Nachdruck hervor, es liege im Interesse einer richtigen Einführung des Zivilgesetzbuches, wenn das revidierte Organisationsgesetz mit diesem auf den 1. Januar 1912 in Kraft treten könnte; das Bundesgericht müsse seine Aufgabe, für eine einheitliehe Anwendung des neuen Rechtes zu sorgen, insbesondere in den Anfangsstadien der Geltung dieses Rechtes ohne Überstürzung und Geschäftsüberlastung beginnen können. Abgesehen von Abänderungsvorschlägen sekundärer Natur macht das Bundesgericht gegenüber dem Entwurf in der Hauptsache folgendes geltend: Es schlägt vor, die beiden Rechtsmittel der Amortisationsbeschwerde und der Zivilkassation in ein einziges zu verschmelzen, neben dem dann für das Gebiet des Zivilrechts nur die Berufung als eigentliches Rechtsmittel bestehen bliebe. Dieser zivilrechtlichen Beschwerde möchte das Bundesgericht die im II. Teil der Botschaft genannten Fälle unterwerfen. -- Gegen die Übertragung von staatsrechtlichen
Kompetenzen an das Bundesgericht erhebt dieses im allgemeinen keine Einwendung.

-- In organisatorischer Hinsicht hält das Bundesgericht an seinen früher gemachten Vorschlägen fest.

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4. Der vorliegende Entwurf beschränkt sich darauf, nur da Neuerungen vorzuschlagen, wo Reformen notwendig und dringlich erscheinen. Soll die Vorlage mit dem Zivilgesetzbuch in Kraft treten, so reicht die verfügbare Zeit nicht aus, um von Grund auf und in alle Details hinein das alte Organisationsgesetz zu revidieren. Zudem empfiehlt es sich, erst dann an die Totalrevision unserer eidgenössischen Rechtspflegegesetzgebung heranzutreten, wenn die bei Anwendung des neuen Zivilrechts ge^ machten Erfahrungen ein zuverlässiges Urteil über die endgültige Ausgestaltung des Prozessganges und der Gerichtsorganisation gestatten werden.

II. Kompetenzen des Bandesgerichts.

Die beschränkte Aufgabe, die wir uns bei der Revision im gegenwärtigen Augenblicke stecken müssen, verbietet es uns, die gesamten Kompetenzen des Bundesgerichts, wie sie im Organisationsgesetz geregelt sind, ja auch nur die zivil rechtlichen, einer eingehenden Revision zu unterziehen ; obschon wir uns der Einsicht nicht verschliesseu, dass das Gesetz durchweg verbesserungsfähig wäre, so müssen wir uns aus den schon angeführten Gründen auch hier auf die durch das Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches unmittelbar geforderten oder sonst unaufschiebbaren Änderungen beschränken.

Die Vereinheitlichung des Zivilrechts fordert nun an und für sich nicht eine vollständige Neuordnung der Zivilrechtspflege des Bundesgerichts. Die Rechtsmittel der Berufung und der Kassation lassen sich auf das Gebiet des Zivilgesetzbuches ebensogut anwenden wie auf das bisherige eidgenössische Zivilrecht, Die Berufung wird ohne weiteres Anwendung finden auf Haupturteile über alle Streitigkeiten, die nach dem Zivilgesetzbuch durch den Richter zu entscheiden sind, sofern der Streitwert erreicht wird oder der Streitgegenstand keiner vermögensrechtlichen Schätzung unterliegt. N i c h t weiterziehbar im Wege der Berufung sind, abgesehen von der Streitwertgrenze bei Haupturteilen, diejenigen nach Zivilgesetzbuch zu treflenden Entscheidungen, welche sich nicht als Haupturteile darstellen oder die das Zivilgesetzbuch nicht dem Richter, sondern der ,,zuständigen Behördea zuweist, die also, je nach dem kantonalen Recht, durch richterliche oder durch administrative Behörden entschieden werden können. Das Zivilgesetzbuch fordert hierin keine Änderung. Wir

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sehen deshalb von der Prüfung der Frage ab, ob die Berufung durch die Kassation überhaupt zu ersetzen sei, wie es das Bundesgericht in seinem Gutachten vom 15. März 1910 vorschlägt. Diese Änderung von grundsätzlicher Tragweite kann nur im Rahmen einer Totalrevision des Gesetzes vorgenommen werden. Sie würde auch nach dem Gutachten des Bundesgerichts (S. 21--22) eine Vermehrung der Mitglieder des Bundesgerichts nicht überflüssig machen.

Neu zu regeln ist dagegen die Weiterziehung an das Bundesgericht in den Fällen, in denen das Zivilgesetzbuch selbst die Weiterziehung vorsieht oder in denen sie sonst wünschenswert erscheint, die aber die Voraussetzungen der Berufung nicht erfüllen. Wir haben ferner die Kompetenz des Bundesgerichts über den Geltungsbereich des eidgenössischen gegenüber dem kantonalen oder dem ausländischen Recht, sowie der kantonalen Rechte unter sich oder gegenüber dem ausländischen Recht, in den Bereich der Revision gezogen, da dieser Gegenstand durch die Vereinheitlichung des Zivilrechtes eine veränderte Bedeutung erhalten hat. Endlich schien es uns angemessen, bei dieser Gelegenheit einer längst als berechtigt anerkannten Forderung Rechnung zu tragen, indem wir Ihnen vorschlagen, weitere staatsrechtliche Rekurse von Bundesrat und Bundesversammlung dem Bundesgericht zur Entscheidung zu überweisen. Das sind die drei Punkte, in denen wir die Kompetenzbestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes abändern möchten.

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A. Zivilrechtspflege.

Wir behandeln zuerst die Beschwerdefälle, die in den Art. l und 2 umschrieben sind; sodann das R e c h t s m i t t e l der Besehwerde, mit welchem sie an das Bundesgericht weitergezogen werden sollen.

1. Die Beschwerde fälle.

a. Das Zivilgesetzbuch schreibt selbst vor, dass gewisse von der ,,zuständigen1'' kantonalen Behörde zu treffenden Entscheide an das Bundesgericht weiterziehbar sein sollen, nämlich die Weigerung der Vormundschaftsbehörde, einer entmündigten Person die Eingehung der Ehe zu gestatten (Art. 99), die Entscheidung über die Entziehung oder Wiederherstellung der «Iter-

61 liehen Gewalt (Art. 285, 287 und 288), die Entmündigung und die Stellung unter Beistandschaft, sowie die Aufhebung dieser Verfügungen (Art. 373, 397, 434 und 439). Das Zivilgesetzbuch verbietet nicht, in noch weitern Fällen die Beschwerde an das Bundesgericht zuzulassen, in denen der Rechtsschutz des Bürgers oder die Einheit der Rechtsprechung eine oberste eidgenössische Instanz verlangen mag; es ist eine Ermessenssache, wie weit "man den Kreis dieser Fälle ziehen will. Wir schlagen Ihnen vor, den im Zivilgesetzbuch selbst genannten Fällen als Ziffern 2, 3 und 6 noch beizufügen : die Aufhebung des gemeinsamen ehelichen Haushaltes (Art. 170 und 172); die Kindesannahme (Art. 264 bis 267), die Ablehnung und Anfechtung der Ernennung als Vormund oder Beistand und die Amtsenthebung (Art. 388, 397, 445 und 450). Das Bundesgericht hatte vorgeschlagen, die Weiterziehung auch vorzusehen für die Mündigerklärung (Art. 15), die Ehernündigkeitserklärung (Art. 96), die Anweisung an die Schuldner der Ehegatten, an die Ehefrau zu zahlen (Art. 171, 172), die sichernden Massnahmen wegen pflichtwidrigen Verhaltens der Eltern in der Ausübung ihrer Vermögensrechte (Art. 297), die Feststellung des Anspruches auf Unterstützung (Art. 328, 329) und die Anwendung der amtlichen Erbschaftsliquidation auf Begehren der Gläubiger (Art. 594). Allein wir sind der Ansicht, dass diese Verfügungen der kantonalen Behörden vorwiegend auf der Beurteilung der tatsächlichen Umstände des Falles beruhen, und dass daher die Einheit des Rechts nicht darunter leidet, wenn sie durch die kantonalen Behörden endgültig erledigt werden. Als letzte Ziffer 7 ist die Beschwerde wegen Verletzung der Bestimmungen des Obligationenrechts und des Zivilgesetzbuches über die Kraftloserklärung von 'Wertpapieren angefügt, in Ersetzung und Ergänzung der Art. 86 ff.

des jetzigen Gesetzes.

b. Die zweite Gruppe von Beschwerdefällen ist in Art. 2 des Entwurfes umschrieben : es sind kantonale Entscheide in Zivilsachen, die materiellrechtliche Grundsätze des kantonalen oder des ausländischen Rechts statt des eidgenössischen angewendet haben, oder die in Widerspruch stehen mit den Vorschriften des Niedergelassenengesetzes von 1891.

Nach dem gegenwärtigen Recht, wie es die Praxis ausgebildet hat, können die Fragen betreffend den Geltungsbereich des eidgenössischen, des kantonalen und des ausländischen Rechts im Verhältnis zueinander unter folgenden Voraussetzungen an das Bundesgericht weitergezogen werden :

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a. Mit der B e r u f u n g , wenn die übrigen Voraussetzungen dieses Rechtsmittels vorliegen (gerichtliches Haupturteil und Streitwert), können kantonale Urteile angefochten werden : 1. wegen Anwendung kantonalen oder ausländischen Rechtes statt eidgenössischem ; 2. wegen Anwendung eidgenössischen Rechtes statt kantonalem oder ausländischem, nicht aber wegen Anwendung e i n e s kantonalen Rechts statt eines anderen, in welchem Falle das Gesetz von 1891 den staatsrechtlichen Rekurs vorschreibt, noch wegen Anwendung kantonalen statt ausländischen Rechts oder umgekehrt.

b. Mit der K a s s a t i o n kann ein kantonales Haupturteil, das den Streitwert von Fr. 2000 nicht erreicht, an das Bundesgericht weitergezogen werden, aber nur wegen Anwendung kantonalen oder ausländischen Rechts statt eidgenössischem, nicht umgekehrt.

o. Mit dem s t a a t s r e c h t l i c h e n R e k u r s endlich kann ein kantonaler Entscheid, ohne Rücksicht auf seine Art und. auf den Wert des Streitgegenstandes, beim Bundesgericht angefochten werden : 1. gestützt auf Art. 2 der Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung, wenn kantonales Recht statt eidgenössischem angewendet wird, sofern nicht ein anderes Rechtsmittel zutrifft und umgekehrt; 2. gestützt auf Art. 38 des Niedergelassenengesetzes von 1891, wenn ein kantonales Recht statt einem ändern, sowie wenn kantonales statt ausländischem, oder umgekehrt, angewendet wird.

Nach der Praxis des Bundesgerichts können und sollen die letzterwähnten Aussetzungen mit der Berufung verbunden werden, wenn der kantonale Entscheid ohnehin aus ändern Gründen mit der Berufung angefochten wird (Entscheid des Bundesgerichts, Bd. 20, S. 651; 21, S. 115; 29, II, S. 198).

Das Zivilgesetzbuch bringt nun an und für sich schon eine bedeutende Vereinfachung, indem es den grössten Teil des kantonalen Zivilrechts durch einheitliches eidgenössisches Recht ersetzt.

Die Konflikte der kantonalen Rechte unter sich und mit dem ausländischen Recht werden infolgedessen abnehmen und diejenigen zwischen dem eidgenössischen Recht und dem ausländischen zunehmen; im ganzen aber sind die Reibungsflächen be-

63 trächtlich vermindert worden. Möglich bleiben aber noch alle oben erwähnten Arten der Weiterziehung; Art. 61 Schi. T. ZGB. lässt das Niedergelassenengesetz mit samt dem Art. 38 in Kraft, welcber alle Streitigkeiten über die Anwendung dieses Gesetzes auf den Weg des staatsrechtlichen Rekurses verweist. Es ist aber nicht einzusehen, warum der Geltungsbereich des eidgenössischen Zivilrechts bald durch den staatsrechtlichen Rekurs, bald durch die Kassationsbeschwerde soll festgestellt werden müssen, je nachdem das Niedergelassenengesetz anwendbar ist oder nicht, wie z. B.

beim Obligationenrecht, abgesehen davon, dass der staatsrechtliche Rekurs kaum das geeignete Rechtsmittel ist, solche Fragen des internationalen Privatrechts zur Entscheidung zu bringen. Wir schlagen deshalb vor, die zivilrechtliche Beschwerde auch bei der Verletzung des Niedergelassenengesetees anwendbar zu erklären, ausser bei Streitigkeiten zwischen Kantonen, die in der Tat staatsrechtlicher Natur sind. Um diese Frage vollständig zu ordnen, müsste nicht nur der Fall geregelt werden, wo kantonales oder ausländisches Recht statt eidgenössischem angewendet wird, sondern auch wo umgekehrt zu Unrecht eidgenössisches angewendet wird, ohne dass darin eine Verletzung des Niedergelassenengesetzes läge, z. B. auf dem Gebiet des Obligationenrechts. Allein das Bundesgericht bemerkt, es bestehe für diese Neuerung kein Bedürfnis und daher kein genügender Grund, vom geltenden Recht (Art. 89) abzuweichen; wir haben uns dieser Ansicht angeschlossen und beantragen Ihnen, in Art. 2, Ziffer l, das geltende Recht in diesem Punkte einfach zu bestätigen.

2. Das Rechtsmittel.

Die Bestandteile der Art. l und 2, die dem geltenden Recht entnommen sind, nämlich Art. l, Ziffer 7 und Art. 2, Ziffer l, bildeten bisher den Gegenstand verschiedener Rechtsmittel : der Beschwerde der Art. 86--88 für Amortisationssachen und der Kassation bei Missachtung des Geltungsbereiches des eidgenössischen Rechtes. Auch für die diesen alten angegliederten neuen Fälle Hesse sich die Unterscheidung wohl rechtfertigen. Die Entscheide des Art. l, die oft nicht in einem streng gerichtlichen Verfahren ergehen werden und in weitem Masse dem Ermessen der Behörde entfliessen, eignen sich weniger zur Kassation, während wiederum die reinen Rechtsfragen des Art. 2 nichts mehr als die beschränkte Überprüfung und Entscheidungsgewalt einer Kassationsinstanz verlangen. Das Bundesgericht machte aber die

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Vorteile einer weitern Vereinfachung geltend, die durch die Verschmelzung der beiden Rechtsmittel, der jetzigen Beschwerde (Art. 86--88) und der Kassation (Art. 89--94), in ein einziges erreicht werden könnten. Wir sind auch hier den Vorschlägen des Bundesgerichts gefolgt.,, Immerhin konnte die Einheit des Rechtsmittels nicht streng durchgeführt werden ; in den Fällen des Art. l kann das ßundesgericht nicht angewiesen werden, die kantonalen Entscheide im Falle der Gutheissung einfach aufzuheben, sondern es inuss oft selbst entscheiden; in den Fällen des Art. 2 dagegen kann es sich sehr wohl auf die Kassation beschränken, es soll aber, wenn die Lage des Falles es erlaubt, materiell entscheiden, wie wir in Abweichung vom geltenden Recht in Art. 8 beigefügt haben. Diese Bestimmungen lehnen sich im übrigen mit einigen untergeordneten Abweichungen den jetzigen Bestimmungen über die Kassationsbeschwerde an.

B. Staatsrechtspflege.

Die Revision der Bestimmungen über die Staatsrechtspflege ist in einem Punkte schon im vorstehenden gefordert und begründet, nämlich in bezug auf die Verletzungen des Gesetzes vom 25. Juni 1891 (Art. 180, Ziffern 3 und 4). Wenn man, wie oben vorgeschlagen, die Streitigkeiten unter Privatpersonen über die Anwendung jenes Gesetzes auf den Weg der zivilreehtlichcn Beschwerde verweist, bedarf man des staatsrechtlichen Rekurses nur noch für die Streitigkeiten unter Kantonen. In Ziffer 4 sind, nicht die Art. 14 und 15 des genannten Gesetzes zu zitieren, sondern die Art. 377 und 378 des Zivilgesetzbuches.

Wir halten aber dafür, dass die Gelegenheit benutzt werden sollte zu einer Reform, die sich schon lange als ein Bedürfnis erwiesen hat, die Übertragung weiterer staatsrechtlicher Rekurssachen an das Bundesgericht. Der Bundesrat ist zu sehr mit ändern Geschäften belastet, als dass er sich als Gesamtbehörde mit diesen Beschwerden eingehend befassen könnte und die Bundesversammlung eignet sich dazu, wie allgemein anerkannt wird, noch weniger. Eine Praxis von 35 Jahren hat den Verfassungsgrundsätzen, die anfangs dem Richter keinen sichern Boden zu geben schienen, feste Umrisse verliehen, und es liegt im Interesse der Rechtssicherheit, dass die Rechtssprechung sich möglichst konsequent und widerspruchslos fortentwickle. Ein Gericht ist zu dieser Aufgabe besser geeignet als die politischen Behörden, die sich nur ab und zu mit solchen Rechtsfälleo zu

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befassen haben und deren Hauptinteresse auf einem ändern Gebiete liegt. Die eigentliche eidgenössische Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Überprüfung der Entscheide e i d g e n ö s s i s c h e r Verwaltungsbehörden durch eine richterliche Instanz, soll damit noch nicht präjudiziert sein. Es lässt sich allerdings fragen, ob man später nicht auch die Entscheidung der staatsrechtlichen Rekurse (gegen Verfügungen k a n t o n a l e r Behörden) dem eidgenössischen Verwaltungsgericht, falls eine besondere Behörde mit dieser Funktion betraut wird, übertragen könnte. Allein das braucht den Gesetzgeber jetzt nicht abzuhalten, die als dringlich erkannte Entlastung der politischen Behörden vorzunehmen.

Wir schlagen nun vor, folgende Kompetenzen des Bundesrates und der Bundesversammlung dein Bundesgerichte zu übertragen : 1. die Rekurse betreffend Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung ; 2. die Rekurse betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen (Organisationsgesetz Art. 189, Absatz 4j und 3. diejenigen betreffend Verweigerung des in den Gesetzen über die Ausdehnung der Haftpflicht und über die Eisenbahnhaftpflicht gewährleisteten Armenrechts.

Dem Bundesrate würde dagegen bleiben die Entscheidung der Beschwerden über Verletzung der Verfassungsvorschriften betreffend die unentgeltliche Ausrüstung der Wehrmänner (Art. 18, Absatz 3), betreffend das Schulwesen der Kantone (Art. 27, Absatz 2 und 3) und betreffend die Begräbnisplätze (Art. 53, Absatz 2) ; ferner mit der unter 3 erwähnten Ausnahme, die Beschwerden betreffend die Anwendung der eidgenössichen Verwaltungsgesetze und die Anstände betreffend Verletzung der Staatsverträge in bisherigem Umfange. Es empfiehlt sich, diese Kompetenzen den politischen Behörden zu überlassen, weil der Bundesrat bereits die Ausführung dieser Verfassungsgrundsätze und Verwaltungsgesetze durch die Kantone administrativ zu überwachen hat.

Was die Übertragung der erwähnten Kompetenzen an das Bundesgericht betrifft, so sprechen dafür folgende Erwägungen : Am meisten haben die politischen Behörden die Rekurse wegen Verletzung der H a n d e l s - und G e w e r b e f r e i h e i t beschäftigt, und von diesen betrafen wieder die meisten das Wirtschaftsgewerbe. Die grundsätzliche Tragweite der Handels- und Gewerbe-

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freiheit ist in den Grundlinien durch die bisherige Praxis festgesetzt und von der kantonalen Gesetzgebung im ganzen anerkannt. Der bei den Wirtschaftsrekursen stets wiederkehrende Beschwerdegrund ist die ungleiche Behandlung des Rekurrenten oder die willkürliche Anwendung des kantonalen Wirtschaftsgesetzes ; in den Rekursen aus anderen Erwerbsgebieten wird am häufigsten derselbe Vorwurf erhoben oder behauptet, eine im kantonalen Recht aufgestellte polizeiliche Beschränkung des Gewerbes sei sachlich unbegründet und deshalb verfassungswidrig.

Die Beschwerden, die sich auf Art. 31 B. V. berufen, sind zum guten Teil trölerhaft, wie sich aus folgenden Zahlen ergibt: Rekurse aus Art. 31 B. V.

Periode

Gutgeheissen

Gutgeheissen Zahl

Zahl Zahl

1885--1890 1890--1895 1895--1900 1900--1905 1905--1910

Davon Wirtschaftsrekurse

131 103 221 227 218

24

131/« 37V» 22 24

Zahl

% 18,32

13,!

16,96

9,69 11

88 65 158 128 143

20 6 28 9 16

% 22,72

9,28 17,72

7,03 11,18

Die Rekurse betreffend die S t i m m b e r e c h t i g u n g der Bürger und die k a n t o n a l e n W a h l e n und A b s t i m m u n g e n können ohne Bedenken dem Bundesgericht übertragen werden; sie haben nicht, wie man es glauben möchte, Fragen der politischen Erwägung zum Gegenstand, sondern entweder vorwiegend tatsächliche Fragen, wie die Bestimmung des Domizils eines Bürgers oder die Ermittlung eines Wahlresultates, oder aber Rechtsfragen, die nach strenger Gesetzesvorschrift zu entscheiden sind, wie die Verletzung einer Formvorschrift und ihre Folgen, z. B. die Führung des Stimmregisters oder die Ansetzung der Wahl u. dgl.

mehr. Es ist ein formales Recht, das die politischen Rechte der Bürger beherrscht, und es muss auch so sein, wenn nicht Willkür an Stelle des Rechts treten soll ; eben deshalb muss es auch nach streng rechtlichen Erwägungen angewendet werden. Das Bundesgericht hat übrigens schon heute aus dem Gesichtspunkte des Übergriffes von Behörden in die Rechte des Volkes zu entscheiden über Fragen, die dem politischen Leben ebenso nahe stehen,

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wie die vom Bundesrat zu entscheidenden, z. B. Beschwerden wegen Umgehung der Volksabstimmung (vgl. z. B. Bundesgerichtliche Entscheide 25, I, 459 ; 29, I, 37 ; 30, I, 325 ; 31, I, 481), wegen Missachtnng eines Initiativbegehrens (B. G. E. 25, I, 71).

Was endlich die Beschwerden wegen Verweigerung des Armen rechts betrifft, so spricht alles für die Zuständigkeit des Bundesgerichts: die Erwägung, dass es als höchste Sachinstanz mit dem Haftpflichtrecht am besten vertraut ist, der Umstand, dass es auf Grund von Art. 4 B. V. über ähnliche Beschwerden aus anderen Rechtsgebieten unter dem Gesichtspunkte der Rechtsverweigerung entscheidet, und die Verminderung der Instanzenzahl.

Entsprechend diesen unsern Anträgen haben wir in Art. 10 ·des Entwurfes, der dem Art. 180 des geltenden Gesetzes entspricht, unter Ziffern 5 und 6 die Beschwerden über die politischen Rechte und über die Verweigerung des Armenrechts angeführt, und in Art. 11, der dem jetzigen Art. 189 entspricht, den Art. 31 B. V. (jetzige Ziffer 3) und den 4. Absatz gestrichen.

Die übrigen Änderungen am jetzigen Wortlaut des Art. 180 im vorliegenden Art. 10 sind mit Ausnahme der schon besprochenen Ziffern 3 und 4 nicht materieller Art; sie berichtigen die Zitate der seit 1893 abgeänderten Gesetze. Weiterhin ist Ziffer 4 des heutigen Art. 189 zu streichen. Ein Rekursrecht geben nur solche Bestimmungen, die den Einzelnen berechtigen und den Staat entsprechend verpflichten. Zu diesen gehört nun aber Art. 51 B. V. nicht. Art. 51 B. V. gewährt dem Bundesrate das Recht, .gegen die Jesuiten einzuschreiten, dem Einzelnen verleiht er jedoch keine Befugnisse, in die eingegriffen werden könnte. Wenn der Bund die ihm gewährte Kompetenz missbraucht, so könnte ein Rekurs sich stützen auf die Verletzung des Rechts auf Niederlassung oder auf Gewerbefreiheit, nicht aber auf Art. 51 B. V.

Endlich ist Ziffer 5 des jetzigen Art. 189 zu streichen, weil die Bestimmung des 1. Absatzes von Art. 53 B. V. neben den ausführlichen Vorschriften des Zivilgesetzbuches keine selbständige Bedeutung mehr hat.

III. Organisation und BesoldnngsverMltnisse.

1. Die Vermehrung der Zahl der Mitglieder des Bundesgerichts ist unerwünscht, lässt sich aber nicht umgehen. Sie ist das einzige Mittel, welches das Bundesgericht instand setzt, die ihm durch das Anwachsen der Kompetenzen entstehende Mehr-

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arbeit zu bewältigen. Darüber dürften Meinungsverschiedenheiten nicht vorhanden sein. Unter Hinweis auf den Umfang der dem Bundesgerichte zufallenden neuen Aufgaben schlagen wir, in Übereinstimmung mit dieser Behörde selbst, vor, die Zahl der Mitglieder des Bundesgerichts von 19 auf 24 zu erhöhen (Art. 12, Absatz 1).

Wir begründen unsere Stellungnahme kurz wie folgt: Der s t a a t s r e c h t l i c h e n A b t e i l u n g , der jetzt 8 Richter angehören, werden, wie wir oben ausgeführt haben, neue Kompetenzen (die Rekurse über die Handels- und Gewerbefreiheit, über die Stimm berechtigung der Bürger und über kantonale Wahlen und Abstimmungen, sowie über die Verletzung des durch die eidgenössische Haftpflichtgesetzgebung gewährleisteten Armenrechts) zufallen, wenn der Entwurf geltendes Recht wird. Da aber diese Abteilung nicht stärker belastet werden kann, als sie es jetzt schon ist, müssen ihr die zur Stunde ihr zugewiesenen Zivilrechtssachen (direkte Prozesse aus kantonalem Recht, Ehescheidungen und Haftpflichtfälle) zum Teil oder ganz abgenommen und den Zivilabteilungen überbunden werden. In anderer Weise die staatsrechtliche Kammer so wirksam zu entlasten, dass sie den neuen Aufgaben genügen kann, ist wohl ausgeschlossen. Eine Reduktion des Quorums von 7 auf 5 Richter wäre, abgesehen von ändern Gründen, die dagegen sprechen, deshalb nicht angezeigt, weil gerade bei der staatsrechtlichen Abteilung in der grös.seren Richterzahl eine Garantie für eine gute Rechtsprechung liegt; es ist wünschenswert, wenn in ihrem Schosse verschiedene Lebensanschauungen, Erfahrungen und Auffassungen sich geltend machen können.

Über die mutmassliche Mehrbelastung, die das vorliegende Gesetz dem Bundesgerichte in Z i v i l s a c h e n bringen wird, lässt sich folgendes sagen : a. Infolge der Vereinheitlichung des Personen-, Familien-, Erb- und Immobiliarsachenrechts ist die Berufung auch auf diese Rechtsgebiete anwendbar geworden. Es ist natürlich schwierig, nur schätzungsweise anzugeben, wie viele Prozesse aus diesen Materien voraussichtlich vor Bundesgericht weitergezogen werden.

Das Bundesgericht hat die kantonalen Obergerichte mit Kreisschreiben vom Mai 1908 angefragt, in welchem Verhältnis unter den von ihnen in den letzten 5 Jahren beurteilten Fällen diejenigen, welche nach kantonalem Zivilrecht erledigt wurden,
zu denjenigen stehen, auf welche eidgenössisches Obligationen-, Ehescheidungs- und Mobiliarsachenrecht anwendbar war. Herr Bundesrichter Jäger sagt in den Motiven zu seinem Entwurfe über diese

69 vom Bundesgerichte gemachte Enquête folgendes: . fl Aus den Antworten erhellt, dass das Verhältnis ausserordentlich variiert, je nachdem die Angaben aus mehr agrikolen oder mehr industriellen Kantonen herrühren ; in ersteren überwiegt oft beinahe das kantonale Recht, in letzteren tritt es gegenüber dem eidgenössischen Recht stark in den Hintergrund. Im Mittel dürften die nach kantonalem Zivilrecht entschiedenen Prozesse etwa 30 °/0 der an die kantonalen Obergerichte gelangten Fälle ausmachen. In welchem Verhältnis nun wieder die Berufungen ans Bundesgericht in Zukunft sich auf die verschiedenen Rechtsgebiete verteilen werden, darüber kann man sich natürlich mir in Mutmassungen ergehen.

Wenn einerseits ja ohne Zweifel die Streitlust immer da am stärksten sein wird, wo es sich um Geldleistungen handelt, und man daraus schliessen möchte, dass in obligationenrechtlichen Streitigkeiten in grösserem Masse als in solchen aus dem Personenrecht alle Rechtsmittel erschöpft werden, so ist anderseits zu'berücksichtigen, dass im Personenrecht die Möglichkeit der Anrufung des Bundesgerichts eben an keine Schranken gebunden ist, weil es sich dabei in den meisten Fällen nicht um in Geld schätzbare Streitobjekte handelt. Im fernem drehen sich ja natürlich auch die Prozesse aus dem Sachen- und Erbrecht meist um sehr materielle Interessen, so dass das Verhältnis der Berufungen aus diesen Gebieten sich wohl nicht stark von demjenigen der Fälle aus dem Obligationenrecht unterscheiden wird. Es kommt dazu, dass sehr wahrscheinlich die Zahl der Fälle aus diesen neuen eidg. Rechtsgebieten, welche die Gerichte beschäftigen werden, prozentual grösser sein wird als bisher; das kantonale Recht war, wenn auch nicht überall durch feste gesetzliche Normen, so doch durch eine lange Gerichtspraxis für die im Leben am häufigsten sich bietenden Fälle ausgebildet und in Fleisch und Blut übergegangen. Die eidgenössische Kodifikation hat dagegen, wenn sie auch viele Rechtsgebiete eingehender regelt als bisheriges kantonales Recht, doch sehr oft nur die leitenden Grundsätze aufgestellt, aus welchen erst der Richter die für die Behandlung der konkreten Fälle massgebenden Entscheidungsnormen herleiten rnuss ; schon die ersten Jahre der Anwendung des neuen Rechts dürften daher vermutlich mehr Fälle vor die Gerichte bringen als bisher. Auch
die zeitliche Kollision des neuen und des alten Rechts wird gewiss zu einer nicht zu unterschätzenden Anzahl von Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten führen." Wir nehmen daher mit dem Bundesgerichte an, dass etwa J/* bis l/s mehr Berufungen erfolgen werden als jetzt. Im Jahre 1910 sind 401 neue Berufungen

70

beim Bundesgerichte eingegangen.

von rund Berufungsfällen.

Ö

Das ergäbe eine Vermehrung l20

Q

6. Weiterhin kommen dazu die Zivilfälle, die nach dem oben Gesagten der staatsrechtlichen Abteilung abgenommen und an die Zivilabteilungen übertragen werden müssen, mit rund 80 bis 100 Fällen; nehmen wir. . .

Fälle an.

c. Endlich erwächst dem Bundesgericht als Zivilinstanz eine Mehrlast aus der Entscheidung der Grosszahl der zivilrechtlichen Beschwerden des Art. l der vorliegenden Novelle.

Wir greifen wohl nicht zu hoch, wenn wir mit etwa 80 solcher Beschwerden im Jahre rechnen. Da diese Beschwerden hinsichtlich der auf sie zu verwendenden Arbeit den Berufungen nicht gleichgestellt werden können, setzen wir nur Fälle aus.

Summe der neuen Fälle

80

50

250

Im Jahre 1910 sind bei der jetzigen Zivilabteilung 347, sagen wir rund 350 neue Berufungen eingegangen, welche eine Arbeitslast repräsentieren, die von ihr nur unter Aufwand eines hohen Masses von Energie und Ausdauer bewältigt werden kann.

Da der Präsident von der Ausarbeitung von Referaten befreit ist, entfallen auf die 7 Richter je 50 Berufungen. Die 250 neuen Fälle erfordern demnach wenigstens 5 neue Richter. W i r k o m m e n desh.alb z u m n ä m l i c h e n Schlüsse, w i e d a s B u n d e s g e r i c h t , d a s s d i e Zahl d e r M i t g l i e d e r d i e s e r B e h ö r d e auf m i n d e s t e n s 24 f e s t g e s e t z t w e r d e n sollte.

Auf anderem Wege, als durch Vermehrung der Mitglieder eine Entlastung des Bundesgerichts herbeizuführen, ist wohl zur Stunde ausgeschlossen.

Daran, durch Erhöhung des für die Berufung erforderlichen Streitwertes die Zahl der Berufungen herabzudrücken, ist im Momente der Erstreckung der Kompetenzen des Bundesgerichts auf grosse neue Rechtsgebiete nicht zu denken.

Die jetzige Berufung aufzugeben und zum System der reinen Kassation überzugehen, würde eine fundamentale Umgestaltung der Stellung des Bundesgerichts als Zivilinstanz mit sich bringen.

71 Zu dieser radikalen Neuerung wird man wohl erst bei der Totalrévision des Organisationsgesetzes Stellung zu nehmen haben.

Es ginge auch nicht an, jede Zivilabteilung mit nur 7 Richtern zu besetzen und das Quorum von 7 auf 5 zu reduzieren.

Einmal erfordert die Bewältigung der dem Bundesgericht durch die Erweiterung seiner Kompetenzen erwachsenden Mehrarbeit nicht bloss 3, sondern wenigstens 5 neue Richter. Sodann teilen wir die von Hafner in seinen Motiven zum gegenwärtigen Organisationsgesetze ausgesprochene Auffassung, dass die erstmalige Auslegung wichtiger eidgenössischer Gesetzesbestimmungen nicht ron einer zu kleinen Zahl von Richtern ausgehen und der Fall vermieden werden sollte, dass ein von einem kantonalen Obergerichte einstimmig (mit 7 Stimmen) gelalltes Urteil in der letzten Instanz mit einer Mehrheit von 3 gegen 2 Stimmen aufgehoben oder abgeändert wird. Endlich würde der regelmässige Austritt von 2 Mitgliedern die Konstanz der Rechtssprechung in der Abteilung selbst gefährden.

Die weitern Vorkehren zur Entlastung des Bundesgerichts, an die man etwa denken könnte (gänzliche Unterdrückung der mündlichen Parteiverhandlung; Erhöhung der für das mündliche Verfahren geforderten Streitwertsumme ; Erhöhung des Streitwertes für die direkten Prozesse; Ausschluss der Prorogation nach Art. 52, Ziffer l, des Organisationsgesetzes bei den auf dem Wege der Berufung weiterziehbaren Fällen; Einräumung der Befugnis an das Bundesgericht, durch Berufung weitergezogene Urteile ausnahmsweise mit oder ohne vorherige Sicherstellung ganz oder teilweise als vorläufig vollstreckbar zu erklären usw.) sind kleine Mittel mit kleinen Wirkungen.

2. Die vorgeschlagene Vermehrung der Richterzahl wird in den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches genügen. Es werden aber voraussichtlich Zeiten kommen, in denen die grössere Inanspruchnahme des Gerichts eine weitere Erhöhung der Zahl der Mitglieder erforderlich macht. Die Geschäftslast unseres höchsten Gerichts bleibt nämlich erfahrungsgemäss bei gleichen Kompetenzen nicht gleich, sondern sie wächst. In welchem Masse sie zunimmt, möge folgende Zusammenstellung der seit dem Inkrafttreten des geltenden Organisationsgesetzes alljährlich eingegangenen Zivilsachen, staatsrechtlichen Streitigkeiten und Expropriationsrekursen zeigen : Bundesblatt. 63. Jahrg. Bd. III.

72 Zivilsachen

1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910

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241 235

272 275 284 351 319 314 312 338 385 349 397 398384 420 443

ExStaatsrechtliche propriationsStreitigkeiten rekurse

222 192 240 273 291 270 306 338 321 331 336 319 418 402 399 398 389

102 216 365 102 126

266 94 107 120 141 172 498 194 559 702 343 793

Total 565 643 877 650 701 887 719 759 753 810 893 1166 1009 1359 1485 1161 1625

Bei der vorstehenden Aufstellung ist die Strafrechtspflege nicht berücksichtigt. Die Geschäftslast vermehrt sich aber auch auf diesem Gebiete fortwährend, indem namentlich die Strafkassationsbeschwerden -- man denke vor allem an die neue eidgenössische Lebensmittelpolizeigesetzgebung -- an Zahl zunehmen.

Da vorauszusehen ist, dass in wenigen Jahren gestützt auf das natürliche Anwachsen der Geschäfte organisatorische Änderungen im Bundesgerichte notwendig werden, erscheint es als zweckmässig, die Zahl der Richter nicht ein für allemal zu fixieren, sondern der Bundesversammlung das Recht vorzubehalten, sie nach Bedürfnis durch Bundesbeschluss zu vermehren (Art. 12, Absatz 3). Verfassungsrechtliche Bedenken können wohl kaum gegen diesen Vorschlag geltend gemacht werden. Während Art. 95 der Bundesverfassung von 1848 vorschrieb: ,,Das Bundesgericht besteht aus 11 Mitgliedern", bestimmt Art. 107, Absatz 2, der Bundesverfassung von 1874: ,,Das Gesetz bestimmt die Zahl der Mitglieder". Die jetzt geltende Verfassungsnorm legt das Gewicht nicht auf die Festsetzung der Z a h l , sondern auf die Bestimmung durch das G e s e t z ; sie will sagen: nicht die Bundesverfassung-

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selbst, sondern das Gesetz bestimmt die Richterzahl. Das Gesetz bestimmt aber die Richterzahl auch dann, wenn es vorschreibt, dass sie 24 betrage und durch blossen Bundesbeschluss erhöht werden könne.

Es ist bestritten, ob die Bundesversammlung sich selber die Befugnis erteilen könne, über einen Gegenstand neue oder vom geltenden Gesetzesrecht abweichende Vorschriften aufzustellen, ohne sie dem Referendum zu unterstellen (vgl. Burckhardt, Kommentar zur Bundesverfassung S. 737, Salis II, Nr. 376, ff., Guhl Bundesgesetz, Bundesbeschluss und Verordnung K. 69). Wir bejahen die Frage und halten es deshalb für zulässig auf dem Wege des dem Referendum nicht unterliegenden Bundesbeschlusses die Mitgliederzahl des Bundesgerichts zu erhöhen und die dadurch notwendig werdenden organisatorischen Änderungen (die Gliederung des Gerichts usw.) zu normieren (Art. 12, Absatz 3).

3. Wird die Zahl der Mitglieder des Bundesgerichts auf 24 gestellt, so ist die G l i e d e r u n g des G e r i c h t s eine gegebene. Es entfallen je 8 Mitglieder auf die staatsrechtliche und die zwei zivilrechtlichen Abteilungen, an deren Beratungen und Abstimmungen 7 Richter mitzuwirken haben (Art. 13, Absatz l und Art. 17, Absatz 1). Die Verteilung der 24 Richter auf diese 3 Abteilungen hat zur Folge, dass die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer aus Mitgliedern der ändern Abteilungen gebildet werden muss, während sie zur Stunde mit 3 keiner anderen Abteilung angehörenden Mitgliedern besetzt ist (Art. 13, Absatz 2).

Es ist selbstverständlich, dass die Mitglieder der Schuldbetreibungsund Konkurskammer in ihren Abteilungen entsprechend entlastet werden müssen.

Es ist jeder Abteilung des Gerichts unverwehrt, auf eine von ihr ausgesprochene Rechtsansicht zurückzukommen. Es sollte aber vermieden werden, dass die Rechtssprechung der verschiedenen Abteilungen in der nämlichen Frage voneinander abweicht.

Dieser Gefahr, die sich durch die Bildung von zwei Zivilabteilungen vergrössert, muss durch Schaffung einer über den Abteilungen stehenden Instanz entgegengetreten werden. Diese kann nur das P l e n u m sein. Bei der Regelung der Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise das Gesamtgericht in Funktion zu treten habe, schlössen wir uns in Art. 18, Absatz 2, dem vom Bundesgericht gebilligten Vorschlag des Jägerschen Entwurfes an. Wenn eine Abteilung des Gerichts eine Rechtsfrage abweichend von einer früheren Entscheidung einer ändern Abteilung oder des Gesamtgerichtes beurteilen

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will, so ist die Erledigung des. Falles auszusetzen und diese Rechtsfrage dem Gesamtgerichte vorzulegen, welches darüber ohne mündliche Verhandlung endgültig erkennt. Entscheidende Behörde bleibt mithin die Abteilung; das Plenum urteilt nur über die streitige Rechtsfrage in der Form eines in bindender Weise abgegebenen Rechtsgutachtens. Das Gesamtgericht setzt sich nicht nur aus den Zivilabteilungen, sondern -- da es sich um die Entscheidang von Fragen handeln kann, bei deren Beantwortung die beiden Zivilabteilungen unter Umständen einander geschlossen gegenüberstehen, und da auch die staatsrechtliche Abteilung mit den Zivilabteilungen in Widerspruch geraten kann, -- aus allen 3 Abteilungen zusammen. Über die Mindestzahl von Richtern, die sich an der Verhandlung des Plenums zu beteiligen haben, enthält Art. 19 die erforderlichen Bestimmungen. Endlich rechtfertigt es sich, um das Verfahren nicht unnötig zu verzögern und um den Parteien nutzlose Kosten zu ersparen, die mündliche Verhandlung vor dem Plenargerieht auszuschliessen.

Die V e r t e i l u n g d e r G e s c h ä f t e a u f d i e v e r s c h i e d e n e n A b t e i l u n g e n erfolgt, wie bis anhin, nach einem vom Bundesgerichte zu erlassenden Réglemente (Art. 16, Absatz 1).

Der Entwurf lässt aber den Absatz 2 des Art. 21 des Organisationsgesetzes von 1893 fallen. Es ist, weil selbstverständlich, nicht nötig zu bestimmen, dass die Geschäftszuweisung so zu geschehen hat, dass die Abteilungen möglichst gleichmässig bedacht werden. Im weitern wird es vielleicht gerade in den ersten Jahren der Anwendung des neuen Rechts, bevor man weiss wie viele Fälle durchschnittlich aus den einzelnen Rechtsmaterien an die Zivilabteilungen weitergezogen werden, nötig sein, die Geschäfte dieser Kammern nicht nach Materien, sondern chronologisch zu verteilen, obschon die Verteilung nach Materien an sich vorzuziehen und zu erstreben ist. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, die bisherige Vorschrift, dass die Verteilung nach Materien zu erfolgen habe, aufzugeben und die Lösung der Frage ohne Einschränkung in das Ermessen des Bundesgerichts zu legen.

Art. 14 spricht von den V o r s i t z e n d e n der Abteilungen.

Präsident und Vizepräsident des Bundesgerichts werden von der Bundesversammlung ernannt (Art. 5 des Organisationsgesetzes von 1893) und stehen
der staatsrechtlichen oder einer der Zivilabteilungen vor. Die Vorsitzenden der ändern Zivilabteilung und der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer sollen vom Bundesgerichte ernannt werden. Es fragt sich, ob es nicht konsequenter

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wäre, die Stelle eines II. Vizepräsidenten zu kreieren und diesen Posten auch durch die Bundesversammlung besetzen zu lassen. Das Bundesgericht war jedoch der Meinung, dass hierzu keine zwingende Veranlassung vorliege und diese Wahl ebenso gut ihm überlassen werden könne. Der Vorsitz der zweiten Zivilkammer sei, wie Jäger in seinen Motiven ausführt, ganz unabhängig gedacht von jedem präjudiziellen Zusammenhang mit der Wahl des Bundesgerichtspräsidenten oder Vizepräsidenten; die Stellvertretung des Präsidenten bei Verhinderung des Vizepräsidenten bleibe, wie bisher, beim Rangältesten der übrigen Mitglieder. Unter diesen Voraussetzungen können wir uns der Auffassung des Bundesgerichts anschliessen. -- Die Amtsdauer beträgt für alle Vorsitzenden zwei Jahre, vom 1. Januar an berechnet. Der Präsident der Kriminalkammer und des Bundesstrafgerichts wird, wie bis anhin, vom Bundesgericht für jeden Straffall bezeichnet.

Durch Art. 15, Absatz 2, soll die bisherige Praxis legalisiert werden, wonach für die Strafgerichtsbehörden aus den Bundesrichtern je zwei ordentliche und aus der Zahl der Bundesgerichtssuppleanten zwei ausserordentliche E r s a t z m ä n n e r genommen werden.

Die Art. 12, Absatz 2, Art. 13, Absatz 3, Art. 14, Absatz 3, Art. 15, Absatz l, Art. 17, Absatz 2, Art. 18, Absatz l und Art. 19, Absatz 2 des Entwurfs geben entweder wörtlich oder mit unbedeutenden redaktionellen Änderungen Vorschriften des alten Organisationsgesetzes wieder, und sind nur um ihres Zusammenhangs mit den ändern Bestimmungen des Entwurfs willen in die Novelle herübergenommen worden. Art. 16 in Verbindung mit Art. 27 des Entwurfes bringt zum Ausdruck, dass Absatz 2 des Art. 21 des Organisationsgesetzes von 1893 aufgehoben werden soll.

4. Der gegenwärtige Personalbestand der Bundesgerichtsk a n z l e i im e n g e r n S i n n e umfasst: 3 Gerichtsschreiber (l deutscher, l französischer und l italienischer Zunge) und 5 Sekretäre (4 deutscher und l französischer Zunge). Die Erweiterung der Kompetenzen des Bundesgerichts erfordert von Anfang an 3 Arbeitskräfte mehr, so dass man auf 11 Funktionäre kommt. Einem Sekretär würde die Besorgung der Bibliothek und die Redaktion der amtlichen Sammlung der bundesgerichtlichen Entscheidungen Überbunden. Von den 10 Urteilsredaktoren wären 6 deutscher (für jede Abteilung 2), 3 französischer (für jede Abteilung 1) und l italienischer Zunge (für alle Abteilungen).

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Der Entwurf (Art. 20) behält, dem Wunsche des Bundesgerichts entsprechend, die jetzt bestehende Unterscheidung der Urteilsredaktoren in Gerichtsschreiber und Sekretäre bei und fixiert die Zahl der Gerichtsschreiber -- da jede Abteilung einen deutschen Gerichtsschreiber haben sollte -- auf 5 (3 deutscher und 2 romanischer Zunge) und die der Sekretäre auf 6 (3 deutscher, 2 romanischer Zunge und l Bibliotheksekretär). Er bestimmt also die Zahl der Funktionäre, legt es aber, wie bei den Mitgliedern des Bundesgerichts, in die Hand der Bundesversammlung, die Zahl durch dem Referendum nicht unterliegenden Bundesbeschluss zu erhöhen.

Die Arntsdauer der Gerichtsschreiber und Sekretäre beträgt 6 Jahre und fällt mit der Wahlperiode der Mitglieder des ßundesgerichts zusammen (Art. 21, Abs. 1). Sie berechnet sich vom 1. Januar an; sie umfasst zwei dreijährige Besoldungsauf besserungsperioden.

Anders liegen die Verhältnisse b e i m ü b r i g e n P e r s o n a l der B u n d e s g e r i c h t s k a n z l e i . Die Bundesversammlung erteilt bei Anlass der Budgetberatung den nötigen Kredit für die jeweilen erforderlichen weitern Beamten, zu denen künftig auch der Archivar (vgl. Art. 6, Ziff. 3, des Organisationsgesetzes von 1893) zählen wird. Um eine Übereinstimmung zwischen der gegenwärtig zweijährigen Wahlperiode und der dreijährigen Besoldungsauf besserungsperiode herbeizuführen, wird in Art. 21, Abs. 2, des Entwurfes die Amtsdauer auf 3 Jahre gestellt und bestimmt, dass sie mit derjenigen der Beamten der Bundeszentralverwaltung zeitlich zusammenfalle. Da diese mit dem 31. März 1912 ausläuft, musste in den Übergangsbestimmungen (Art. 25, Abs. 2) vorgeschrieben werden, dass die Amtsdauer des auf 3 Jahre zu wählenden Personals der Bundesgerichtskanzlsi im gleichen Zeitpunkt zu Ende geht.

In Art. 22 des Entwurfs wird die in Art. 9 des Organisationsgesetzes von 1893 enthaltene, nicht mehr zutreffende Zitierung von Gesetzes- und Verordnungsvorschriften richtig gestellt und sinngemäss ergänzt.

5. Wir stellen in Art. 23, Abs. l, den Antrag, die B e soldung der M i t g l i e d e r des B u n d e s g e r i c h t s von 12,000 Franken auf 14,000 Franken zu erhöhen. Das Postulat ist nicht neu. Wir haben Ihnen den nämlichen Vorschlag schon im Jahre 1905 unterbreitet. Im Nationalrat wurde jedoch der Antrag der Mehrheit der Kommission angenommen, aus Oppor-

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tunitätsgründen zurzeit auf die Vorlage des Bundesrates nicht einzutreten; der Ständerat stimmte am 7. Juni 1906 dem Beschlüsse des Nationalrates zu.

Zur Motivierung der vorgeschlagenen Besoldungserhöhung verweisen wir in allen Teilen auf unsere Botschaft vom 19. Juni 1905 (Bundesbl. 1905, IV, S. 469 ff.). Die darin geltend gemachten Gründe treffen heute in wesentlich erhöhtem Masse zu. Dazu kommt noch als neues Moment, dass die unten zu besprechende Neuregelung der Reiseentschädigungen die Einnahmen der einzelnen Bundesrichter um rund Fr. 400 reduziert. Wir betrachten deshalb die vorgeschlagene Erhöhung als das Minimum in der Festsetzung der Besoldungsaufbesserung.

Die B e s o l d u n g der G e r i c h t s s c h r e i b e r beträgt jetzt Fr. 7200--9300, diejenige der S e k r e t ä r e Fr. 5200--7300.

Wir beantragen in Art. 23, Absatz 2, das bisherige Gehaltsminimum der Sekretäre beizubehalten und das Maximum um die Summe von Fr. 500 heraufzusetzen, und bei den Gerichtsschreibern das Minimum um Fr. 600 und das Maximum um Fr. 1000 zu erhöhen. Die Gründe, welche für die Erhöhung der Besoldungen der Bundesrichter sprechen, gelten entsprechend auch für die vorgeschlagene, in bescheidenem Rahmen sich bewegende Aufbesserung des Gehalts der höheren Beamten der Bundesgerichtskanzlei.

* Nach Art. 199 des Organisationsgesetzes von 1893 beziehen die Bundesrichter, Gerichtsschreiber und Sekretäre als E n t s c h ä d i g u n g für R ei s e a u s l a g en Fr. 10 Taggeld und 20 Cts.

auf den einfachen Kilometer. Davon geht für die Inhaber von Eisenbahnfreikarten (Bundesrichter und Gerichtsschreiber) der Kostenbetrag eines Retourbillets II. Klasse ab. Die Bundesrichter und Gerichtsschreiber erhalten für einen eintägigen Augenschein in St. Gallen Fr. 98. 80 ; für einen Augenschein in Genf, der auch einen Tag in Anspruch nimmt, Fr. 27. 90, obschon die effektiven Auslagen ungefähr die nämlichen sein werden. Bei grossen Reisen sind die Entschädigungen zu hoch, bei kleinen Reisen zu niedrig, weil das Taggeld von Fr. 10 keinen ausreichenden Ersatz für die gehabten Auslagen bietet. Diese Verhältnisse werden das Bundesgericht veranlasst haben, schon in seinem Gutachten vom 16. März 1909 die Anregung zu machen, die Frage einer anderen Ordnung der Reiseentschädigungen für die sämtlichen Funktionäre des Bundesgerichts zu prüfen und zu lösen. Der Jägersche Entwurf (Art. 264) schlägt denn auch folgende Bestimmung vor : ^Wenn Mitglieder oder Beamte oder

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Angestellte des Bundesgerichts in Amtsgeschäften von Lausanne sich entfernen, so beziehen sie ebenfalls die Vergütung der effektiven Reiseauslagen und daneben für jeden Tag ihres Aufenthaltes an einem anderen Orte eine Entschädigung, die für die Richter Fr. 25, die Gerichtsschreiber Fr. 20, die Sekretäre Fr. 15 und die Angestellten Fr. 10 beträgt.a Der Entwurf (Art. 24) weicht hiervon nur so weit ab, als er die Fixierung der Taggelder der Vollziehungsverordnung des Bundesrates überlässt. Diese neue Ordnung der Reiseentschädigungsfrage ist gerecht. Sie wird zudem zur Folge haben, dass die Reiseauslagen des Bundesgerichts, die sich im Jahre 1910 auf Fr. 20,570 beliefen, und damit auch die Einnahmen der Funktionäre des Bundesgerichts aus den Reisen sich wesentlich reduzieren werden.

IV. Übergangs- und Schlussbestimmnngen.

Die Übergangs- und Schlussbestimmungen bedürfen, soweit sie nicht schon besprochen worden sind, keiner Erläuterung.

Wir empfehlen Ihnen, gestützt auf das Angebrachte, den nachstehenden Gesetzesentwurf anzunehmen und benützen, den Anlass, Sie, Tit., unserer vorzüglichen Hochachtung zu versichern.

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B e r n , deo 11. Mai 1911.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Ruchet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

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(Entwurf.)

Bundesgesetz betreffend

Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Ausführung der Art. 106 bis l 14 der Bundesverfassung 5 in Abänderung der Bundesgesetze vom 22. März 1893 über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 28. Juni 1895 betreffend Übertragung der Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs und Konkurswesen an das Bundesgericht und vom 24. Juni 1904 betreffend Vermehrung der Zahl der Mitglieder des Bundesgerichts; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 11. Mai 1911, beschliesst:

I. Zivilrechtliche Beschwerde.

Art. 1.

Gegen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Behörden kann wegen Verletzung von Bundesrecht in folgenden Fällen Beschwerde erhoben werden :

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1. Verweigerung der Einwilligung des Vormundes zur Eheschliessung (Art. 99 ZGB); 2. Aufhebung des gemeinsamen ehelichen Haushaltes (Art. 170, Abs. l und 3, und 172 ZGB); 3. Kindesannahme (Art. 264--267 ZGB); 4. Entziehung und Wiederherstellung der elterlichen Gewalt (Art. 285, 287 und 288 ZGB) ; 5. Entmündigung und Stellung unter Beistandschaft, sowie Aufhebung dieser Verfügungen (Art. 368--374, 392--397, 434 und 439 ZGB); 6. Ablehnung und Anfechtung der Ernennung als Vormund oder Beistand (Art. 388 und 397 ZGB) und Amtsenthebung (Art. 445 und 450 ZGB) ; 7. Kraftloserklärung von Pfandtiteln oder Zinscoupons (Art. 870 und 871 ZGB) und von Inhaberpapieren (Art. 849--858 OR), Wechseln (Art. 791--800 und 827, Ziff. 10, OR), Checks (Art. 836 OR), wechse!ähnlichen oder indossabeln Ordrepapieren (Art. 838, 839 und 844 OR).

Art. 2.

Durch Beschwerde können ferner angefochten werden letztinstanzliche, der Berufung nicht unterliegende kantonale Entscheide in Zivilsachen : 1. wegen Anwendung kantonalen oder ausländischen anstatt eidgenössischen Rechtes bei der Entscheidung der Sache selbst; 2. wegen Verletzung der Bestimmungen des Bundesgesetzes über die zivilrechtlichen Verhältnisse der^Niedergelassenen und Aufenthalter, mit Ausnahme der Streitigkeiten zwischen Kantonen (vergi. Art. 10, Ziff. 3, des vorliegenden Gesetzes).

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Art. 3.

Die kantonalen Behörden sind verpflichtet, in ihren der Weiterziehung nach Art. l und 2 unterliegenden Entscheiden die Anträge und die tatsächlichen und rechtlichen Anbringen der Parteien, soweit sie nicht in Protokollen oder Rechtsschriften enthalten sind, sowie das Ergebnis einer allfälligen Beweisführung festzustellen und anzugeben, welche gesetzlichen Bestimmungen sie zur Anwendung gebracht haben.

Ist diese Bestimmung nicht beachtet worden, so kann nach Art. 64 des Organisationsgesetzes vom 22. März 1893 verfahren werden.

Art. 4.

Die Beschwerde hemmt die Vollziehung der angefochtenen Entscheide nicht. Der Präsident des Bundesgerichts kann jedoch die Vollziehung sistieren.

Art. 5*.

Die Beschwerde ist innerhalb zwanzig Tagen seit der Mitteilung des angefochtenen Entscheides beim Bundesgericht schriftlich einzureichen und muss die Anträge"und die Beschwerdegründe3 enthalten.

Art. 6.

Stellt sich die Beschwerde nicht sofort als unzulässig oder unbegründet dar, so teilt sie das ßundesgericht der Gegenpartei und der Behörde, von welcher der Entscheid ausgegangen ist, unter Ansetzung einer angemessenen Frist zur Vernehmlassung, mit.

Ein weiterer Schriften Wechsel findet nur ausnahmsweise statt.

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Art. 7.

Das Bundesgericht entscheidet über die Beschwerde ohne mündliche Partei Verhandlung.

Art. 8.

In den Fällen des Art. l- des vorliegenden Gesetzes entscheidet das Bundesgericht in der Sache selbst.

In den Fällen des Art. 2 hebt es, wenn die Beschwerde begründet ist, den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück ; es kann jedoch, wenn der Fall spruchreif ist, in der Sache selbst entscheiden.

Art. 9.

Im übrigen sind für das Verfahren die für die Berufung aufgestellten Vorschriften entsprechend anwendbar.

II. Staatsrechtliche Beschwerden.

Art. 10. " Das Bundesgericht beurteilt nach dem für staatsrechto liehe Beschwerden vorgeschriebenen Verfahren : 1. Streitigkeiten über die Zulässigkeit eines Verzichtes auf das Schweizerbürgerrecht (Art. 8 des Bundesgesetzes betreffend die Erwerbung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe, vom 25. Juni 1903); 2. Streitigkeiten zwischen dem Bundesrate und einer Eisenbahngesellschaft über die Aufstellung der Jahresbilanz der Gesellschaft (Art. 12, 16 und 20 des Bundesgesetzes über das Rechnungswesen der Eisenbahnen vom 27. März 1896);

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3. Streitigkeiten zwischen Kantonen über-die Anwendung des Bundesgesetzes betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter vom 25. Juni 1891; 4. Streitigkeiten zwischen den Vormundschaftsbehörden verschiedener Kantone über die in Art. 377 und 378 des ZGB geregelten Befugnisse und Obliegenheiten; 5. Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen, auf Grund sämtlicher einschlägiger Bestimmungen des kantonalen Verfassungsrechtes und des Bundesrechtes ; 6. Beschwerden über die Verweigerung des Armenrechtes wegen Verletzung der Bestimmungen des Art. 6, Ziff. l, des Bundesgesetzes betreffend die Ausdehnung der Haftpflicht vom 26. April 1887, und des Art. 22, Ziff. 2, des Bundesgesetzes betreffend die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffunternehmungen und der Post, vom 28. März 1905.

Art. 11.

Der Beurteilung des Bundesrates (Art. 102, Ziff. 2, und Art. 113, Abs. 2, der Bundesverfassung) oder der Bundesversammlung (Art. 85, Ziff. 12, der Bundesverfassung) sind imterstellt die Beschwerden, welche sich auf die nachstehenden Bestimmungen der Bundesverfassung öd er die entsprechenden Bestimmungen der Kantonsverfassungen beziehen : 1. Art. 18, Abs. 3, der Bundesverfassung betreffend unentgeltliche Ausrüstung der Wehrmänner; 2. Art. 27, Abs. 2 und 3, der Bundesverfassung betreffend das Schulwesen der Kantone; 3. Art. 53, Abs. 2, der Bundesverfassung betreffend Begräbuisplätze.

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Vom Bundesrat oder von der Bundesversammlung sind überdies zu erledigen Beschwerden betreffend die Anwendung der auf Grund der Bundesverfassung erlassenen Bundesgesetze, soweit nicht diese Gesetze selbst oder das Organisationsgesetz von 1893 (Art. 182) und das vorliegende Gesetz (Art. 10) abweichende Bestimmungen enthalten.

Der Rechtsprechung des Bundesgerichts bleiben indessen in allen Fällen die Gerichtsstandsfragen vorbehalten.

Endlich sind vom Bundesrat oder von der Bundesversammlung zu behandeln : Anstände, herrührend aus denjenigen Bestimmungen der Staats vertrage mit dem Auslande, welche sich auf Handels- und Zollverhältnisse, Patentgebühren, Freizügigkeit, Niederlassung und Befreiung vom Militärpflichtersatz beziehen.

III. Organisatorische Bestimmungen.

1. Bundesgericht.

Art. 12.

Das Bundesgericht besteht aus 24 Mitgliedern und 9 Ersatzmännern.

Mitglieder und Ersatzmänner werden von der Bundesversammlung gewählt. Bei der Wahl soll darauf Bedacht genommen werden, dass alle drei Nationalsprachen vertreten seien (Art. 107 der Bundesverfassung).

Die Bundesversammlung kann durch Bundesbeschluss die Zahl der Mitglieder und Ersatzmänner erhöhen und die organisatorischen Bestimmungen erlassen, welche zufolge der Vergrösserung des Gerichts nötig werden.

Art. 13.

Das Bundesgericht bestellt aus seiner Mitte für die Dauer von zwei Jahren, berechnet vom 1. Januar an, drei

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Abteilungen von je 8 Mitgliedern, von denen die erste hauptsächlich die staatsrechtlichen, die beiden ändern die zivilrechtlichen Geschäfte zu erledigen haben.

Auf denselben Zeitpunkt und für die nämliche Amtsdauer wählt es die aus drei Mitgliedern bestehende Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zur Erledigung der ihr als Aufsichtsbehörde im Schuldbetreibungs- und Konkurswesen zufallenden Geschäfte.

In gleicher Weise bestellt das Bundesgericht seine Strafgerichtsbehörden.

Art. 14.

Der Präsident und der Vizepräsident des Bundesgerichts führen in der staatsrechtlichen und in einer der Zivilabteilungen den Vorsitz.

Das Bundesgericht ernennt für die Dauer von zwei Jahren, berechnet vom 1. Januar an, die Vorsitzenden der zweiten Zivilabteilung und der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer, sowie die Präsidenten der Anklagekammer und des Kassationshofes.

Der Präsident der Kriminalkammer und des Bundesstrafgerichts wird vom Bundesgericht für jeden Straffall bezeichnet.

Art. 15.

Jede Abteilung des Bundesgerichts, sowie die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer werden, soweit sie nicht aus den ihnen zugeteilten Richtern besetzt werden können, der Kehrordnung nach aus Mitgliedern der ändern Abteilungen und, wenn dies nicht tunlich ist, aus der Zahl der Ersatzmänner ergänzt.

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Das Bundesgericht bezeichnet für die Strafgeriehtsbehörden je auf den 1. Januar für die Dauer von zwei Jahren aus seinen Mitgliedern je zwei ordentliche und aus der Zahl der Bundesgeriehtssuppleanten zwei ausserordentliche Ersatzmänner.

Art. 16.

Die Verteilung der Geschäfte auf die Abteilungen erfolgt nach einem vom Bundesgericht zu erlassenden Réglemente, Die Geschäftsordnung der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer wird vom Bundesgericht durch ein besonderes Reglement festgesetzt.

Art. 17.

Bei den Beratungen und Abstimmungen in den Abteilungen des Bundesgerichts haben je 7 Richter mitzuwirken.

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer, sowie die eidgenössischen Strafgerichtsbehörden müssen stets vollzählig besetzt sein.

Art. 18.

Das Bundesgericht tritt in folgenden Fällen zu Plenarsitzungen zusammen : 1. zur Vornahme von Wahlen : 2. zur Erledigung von Administrativgeschäften ; 3. zur Beurteilung der durch Gesetz oder Reglement dem Gesamtgericht zugewiesenen Rechtssachen.

Wenn eine Abteilung des Gerichts eine Rechtsfrage abweichend von einem früheren Entscheide einer ändern Abteilung oder des Gesamtgerichtes beurteilen will, so ist die Erledigung des Falles auszusetzen und diese Rechtsfrage dem Gesamtgerichte vorzulegen, welches darüber ohne mündliche Verhandlung endgültig erkennt.

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Art. 19.

Damit das Bundesgericht in einer Plenarsitzung gültig verhandeln kann, muss die Zahl der Anwesenden zwei Drittel der Mitglieder oder die zwei Dritteln nächstuntere ganze Zahl betragen.

Die Zahl der Richter muss mitEinschluss des Präsidenten immer eine ungerade sein, ausgenommen bei Wahlen und bei Erledigung organisatorischer Geschäfte.

2. Kanzlei und Angestellte.

Art. 20.

Die Kanzlei des Bundesgerichts besteht aus 5 Gerichtsschreibern, 6 Sekretären und dem sonst erforderlichen Personal. Es werden zur Bedienung des Gerichts Weibel, sowie das Personal für den Hausdienst angestellt.

Die Bundesversammlung kann durch Bundesbeschluss die Zahl der Gerichtsschreiber und Sekretäre erhöhen.

Art. 21.

Die Gerichtsschreiber und Sekretäre werden vom Bundesgerichte jeweilen nach seiner Gesamterneuerung in geheimer Abstimmung auf 6 Jahre ernannt.

Das übrige Personal wird auf eine dreijährige Amtsdauer, die mit der Wahlperiode der Beamten der Bundeszentralverwaltung übereinstimmen soll, gewählt.

Art. 22.

Dem Bundesgerichte steht gegenüber den von ihm gewählten Beamten und Angestellten die gleiche DisziplinarBundesblatt. 63. Jahrg. Bd. III.

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gewalt zu, die der Bundesrat über die von ihm ernannten Beamten und Angestellten auszuüben berechtigt ist.

Die Art. 3--7 und 10 des Bundesgesetzes betreffend die Besoldungen der eidgenössischen Beamten und Angestellten vom 2. Juli 1897, abgeändert durch Bundesgesetz vom 24. Juni 1909, und die Verordnung des Bundesrates vom 21. Februar 1899 über die Unvereinbarkeit anderweitiger Stellen und Berufe mit eidgenössischen Anstellungen, finden auch auf die Beamten und Angestellten des Bundesgerichts Anwendung in dem Sinne, dass die dem Bundesrate eingeräumten Kompetenzen vom Bundesgericht ausgeübt werden.

IV. Besoldungen und Reiseentschädigungen.

Art. 23.

Die Mitglieder des Bundesgerichts beziehen einen Jahresgehalt von Fr. 14,000; der Präsident erhält eine Zulage von Fr. 1000.

Die Gerichtsschreiber beziehen eine Besoldung von Fr. 7800 bis 10,300; die Sekretäre eine solche von Fr. 5200 bis 7800.

Art. 24.

Wenn Mitglieder, Beamte oder Angestellte des Bundesgerichts sich in Amtsgeschäften von Lausanne entfernen, so beziehen sie ausser der Vergütung der effektiven Transportauslagen ein durch den Bundesrat zu bestimmendes Taggeld.

V. Übergangs- und Schlussbestimmungen.

Art. 25.

Die gestützt auf vorliegendes Gesetz zu ernennenden

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neuen Mitglieder des Bundesgerichts werden auf den Rest der Amtsdauer des Bundesgerichts gewählt.

Die Amtsdauer des nach Art. 21, Abs. 2, gewählten Personals läuft am 31. März 1912 aus.

Art. 26.

Die zur Zeit des Inkrafttretens des vorliegenden Gesetzes beim Bundesgericht hängigen Geschäfte, für deren Behandlung das vorliegende Gesetz ein anderes Verfahren vorsieht, werden nach den Vorschriften der bisherigen Gesetzgebung behandelt.

Beschwerden, welche das vorliegende Gesetz in Abweichung vom bisherigen Zustande dem Bundesgericht zur Beurteilung überweist, sind vomBundesgerichte zu beurteilen, wenn die Beschwerdefrist beim Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht abgelaufen war. Dagegen bleibt der Bundesrat bis zur Überweisung der Sache an das Bundesgericht kompetent, provisorische Verfügungen zu treffen.

Art. 27.

Es werden folgende Bestimmungen des BundesgeseLzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 (zürn Teil abgeändert durch die Bundesgesetze vom 28. Juni 1895 und 24. Juni 1904) ersetzt durch die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes : Art. l durch Art. 12, Art. 6 durch Art. 20, Art. 7 durch Art. 21, Art. 9 durch Art. 22, Art. 16, 19 und 20 durch Art. 13--15, Art. 21 durch Art. 16, Art. 23 durch Art. 18, Art. 24 durch Art. 19, Art. 25 durch Art. 17, Art. 86--94 durch Art. 1--9, Art. 180 durch Art. 10,, Art. 189 durch Art. 11, Art. 197 und 198 durch Art. 23, Art. 199 durch Art. 24.

Die Titel : .nb. Beschwerde in Amortisationssachen'x (vor Art. 86) und ,,e. Kassation11 (vor Art. 89) fallen dahin.

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Der Titel : nd. Revision und Erläuterung1'" wird abgeändert in ,,6. Revision und Erläuterung^.

Die Absätze 2 und 3 des Art. 14 des Organisatiousgesetzes vom 22. März 1893 werden aufgehoben.

Art. 28.

Der Bundesrat wird beauftragt, nach Massgabe der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend Volksabstimmungen über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, dieses Gesetz bekannt zu machen und den Beginn seiner Wirksamkeit festzustellen.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Aenderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893. (Vom 11. Mai 1911.)

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1911

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17.05.1911

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