11.033 Botschaft zur Verordnung der Bundesversammlung über das Verbot der Gruppierung Al-Qaïda und verwandter Organisationen vom 18. Mai 2011

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf für eine Verordnung der Bundesversammlung über das Verbot der Gruppierung Al-Qaïda und verwandter Organisationen mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. Mai 2011

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2011-0733

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Übersicht Mit dieser Botschaft legt der Bundesrat den eidgenössischen Räten den Entwurf einer Verordnung der Bundesversammlung vor, mit der die Gruppierung Al-Qaïda und mit ihr verwandte Organisationen nach Ablauf der momentan geltenden Verordnung des Bundesrates weiterhin verboten werden können.

Der Bundesrat hat im November 2001 gestützt auf die Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 der Schweizerischen Bundesverfassung (BV; SR 101) die Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen erlassen.

Damit hat er auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 reagiert und sowohl innenpolitisch (Wahrung der inneren Sicherheit), als auch aussenpolitisch (Kampf der Staatengemeinschaft gegen Terrorismus) ein Signal gesetzt. Die Verordnung gilt nach Verlängerungen in den Jahren 2003, 2005 und 2008 befristet bis zum 31. Dezember 2011. Eine nochmalige Verordnungsverlängerung scheint kritisch, weil es Sinn der vom Verfassungsgeber vorgeschriebenen Befristung ist, Normen, die über einen längeren Zeitraum in Kraft bleiben sollen, ins ordentliche Recht zu überführen.

Am 1. Mai 2011 ist das Bundesgesetz vom 17. Dezember 2010 über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen (AS 2011 1381) in Kraft getreten. Es sieht unter anderem mit der Änderung des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (SR 172.010) vor, dass der Bundesrat der Bundesversammlung innert sechs Monaten entweder den Entwurf für eine gesetzliche Grundlage für von ihm gestützt auf die Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 BV erlassene Verordnungen oder gegebenenfalls einen Entwurf für eine (längstens 3 Jahre gültige) gestützt auf Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV erlassene Verordnung der Bundesversammlung, welche die Verordnung des Bundesrates ersetzt, zu unterbreiten hat.

Nach Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV hat die Bundesversammlung unter anderem die Aufgabe und Befugnis, Massnahmen zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz zu treffen, und sie kann, wenn ausserordentliche Umstände es erfordern, zur Erfüllung dieser Aufgaben Verordnungen oder einfache Bundesbeschlüsse erlassen.

Am 6. April 2011 hat der Bundesrat über das weitere Vorgehen beim Al-QaïdaVerbot beraten. Nach der
Prüfung verschiedener Varianten hat er insbesondere ein allgemeines Organisationsverbot abgelehnt und sich für die Überführung der heutigen Verordnung des Bundesrates in eine auf drei Jahre befristete Verordnung der Bundesversammlung ausgesprochen. Damit hat er seinen Willen bekräftigt, am bestehenden Verbot festzuhalten und den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Mit Ausnahme einer Bestimmung ist der beiliegende Entwurf für eine Verordnung der Bundesversammlung identisch mit der bisherigen, gestützt auf die Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 BV erlassenen Verordnung des Bundesrats.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Der Bundesrat hat 2001 gestützt auf die Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 BV1 die Verordnung vom 7. November 20012 über das Verbot der Gruppierung «AlQaïda» und verwandter Organisationen erlassen. Die Verordnung gilt nach Verlängerungen in den Jahren 20033, 20054 und 20085 befristet bis zum 31. Dezember 2011.

Die mehrmalige befristete Verlängerung der Verordnung ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass der Bundesrat im Rahmen von Botschaft6 und Zusatzbotschaft7 zur Änderung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit («BWIS II» beziehungsweise «BWIS II-reduziert») verschiedenen Male die Einführung eines allgemeinen Organisationsverbotes geprüft, sich jedoch schliesslich vor allem aus Gründen der Verhältnismässigkeit für ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen hat. An seinem Willen zur Bekämpfung des Terrorismus, insbesondere der auch für die Schweiz weiterhin gefährlichen Gruppierung Al-Qaïda, hat sich jedoch nichts geändert.

In der Wintersession 2010 hat das Parlament das Bundesgesetz vom 17. Dezember 20108 über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen verabschiedet und auf den 1. Mai 2011 in Kraft gesetzt. Es sieht unter anderem vor, dass der Bundesrat der Bundesversammlung innert sechs Monaten entweder den Entwurf für eine gesetzliche Grundlage für eine von ihm erlassene Verordnung oder einen Entwurf für eine (längstens drei Jahre gültige) Verordnung der Bundesversammlung unterbreiten kann (Art. 7c und 7d des Regierungs-und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 19979, RVOG).

Das Bundesgesetz enthält keine Übergangsbestimmungen, die eine Rückwirkung vorsehen. Die neuen Fristen sind daher auf unmittelbar auf die Verfassung gestützte Verordnungen, die am 1. Mai 2011 bereits in Kraft sind, nicht sofort anwendbar.

Erst im Falle einer Verlängerung der Verordnungen beginnen die Fristen nach Artikel 7c beziehungsweise Artikel 7d RVOG zu laufen.

Bei einer Verlängerung des Al-Qaïda-Verbots über den 31. Dezember 2011 hinaus ist somit Artikel 7d RVOG anwendbar, der die Ablösung von unmittelbar auf Artikel 185 Absatz 3 BV gestützten Verordnungen des Bundesrates regelt.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

SR 101 SR 122 AS 2003 4485 AS 2005 5425 AS 2008 6271 BBl 2007 5037 BBl 2010 7841 AS 2011 1381 SR 172.010

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1.2

Untersuchte Lösungsmöglichkeiten

Für die Klärung des weiteren Vorgehens hat der Bundesrat folgende Varianten geprüft: ­

Verzicht auf eine Weiterführung des Verbots;

­

Verlängerung des bestehenden Verbots;

­

Entwurf zu einer Verordnung der Bundesversammlung;

­

Schaffung einer formellgesetzlichen Grundlage;

­

allgemeines Organisationsverbot.

Verzicht auf eine Weiterführung des Verbots Die Rechtsprechung des Bundesgerichts subsumiert unter den Begriff der kriminellen Organisation nach Artikel 260ter des Strafgesetzbuches10 hochgefährliche terroristische Gruppierungen. Darunter fällt neben der extremistisch-islamistischen Gruppierung Märtyrer für Marokko, der kosovo-albanischen Untergrundorganisation Albanian National Army (ANA), den italienischen Brigate Rosse und der baskischen ETA auch das internationale Netzwerk Al-Qaïda (vgl. BGE 132 IV 132).

Das Auslaufenlassen der Verordnung bzw. der Verzicht auf die Fortsetzung eines spezifischen Verbots der Al-Qaïda ändert deshalb an der Strafbarkeit der Beteiligung an dieser Organisation nichts. Die Organisation als solche wäre aber nicht mehr verboten.

Verlängerung des bestehenden Verbots Da das heutige Verbot auf Notrecht basiert und nach mittlerweile drei Verlängerungen seit zehn Jahren in Kraft ist, stellt sich unter dem Aspekt der vom Verfassungsgeber gewollten Befristung solcher Verordnungen die Frage nach der Zulässigkeit einer nochmaligen Verlängerung. Dessen ungeachtet ist im Falle einer Verlängerung davon auszugehen, dass auf die Verlängerung die im Bundesgesetz über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen geänderten Artikel 7c und 7d RVOG anwendbar sind, mit der Konsequenz, dass der Bundesrat der Bundesversammlung innert sechs Monaten entweder den Entwurf für eine gesetzliche Grundlage für die von ihm verlängerte Verordnung oder einen Entwurf für eine Verordnung der Bundesversammlung zu unterbreiten hätte.

Entwurf zu einer Verordnung der Bundesversammlung Nach Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV hat die Bundesversammlung die Aufgabe und Befugnis, wenn ausserordentliche Umstände es erfordern, Verordnungen oder einfache Bundesbeschlüsse zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz sowie der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz zu erlassen.

Diese Norm ermöglicht es demnach, das Al-Qaïda-Verbot vom Parlament beschliessen zu lassen. Nach dem mit dem Bundesgesetz über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen geänderten Artikel 7d RVOG ist eine solche Verordnung der Bundesversammlung auf drei Jahre zu

10

SR 311.0

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befristen. Diese Lösung könnte per 1. Januar 2012 in Kraft gesetzt werden, was erlauben würde, das bisherige Verbot praktisch nahtlos weiterzuführen.

Schaffung einer formellgesetzlichen Grundlage Bei dieser Variante ist das heutige Verbot entweder als separates Bundesgesetz über das Verbot der Al-Qaïda und verwandter Organisationen auszugestalten, oder es ist durch die Übernahme der heutigen Verbotsnorm in ein bereits hängiges Gesetzgebungsverfahren in diesem eine formellgesetzliche Grundlage für ein Verbot der Al-Qaïda zu schaffen.

Allgemeines Organisationsverbot Eine weitere Möglichkeit für ein Verbot der Al-Qaïda besteht in der Schaffung einer Rechtsgrundlage für ein allgemeines Verbot staatsgefährdender, insbesondere terroristischer Organisationen.

Organisationsverbote sind wohl eine der radikalsten Massnahmen gegen staatszersetzende Umtriebe und sollen nur in seltenen Ausnahmefällen zur Anwendung gelangen. Das Schaffen einer allgemeinen Rechtsgrundlage für ein solches Organisationsverbot ist ein schwerer Grundrechtseingriff, dessen Verhältnismässigkeit in jedem konkreten Anwendungsfall gesondert geprüft und wegen der allgemeinen Rechtsweggarantie einem Rechtsmittelverfahren geöffnet werden muss.

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Der Bundesrat führte am 6. April 2011 eine Aussprache über das weitere Vorgehen.

Er lehnte insbesondere ein allgemeines Organisationsverbot ab und entschied sich für eine auf Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV gestützte Verordnung der Bundesversammlung.

Die vom Bundesrat gewählte Lösung eines Verbots von Al-Qaïda und mit ihr verwandter Organisationen in einer Verordnung der Bundesversammlung beinhaltet verschiedene Vorteile, ohne dass die gravierendsten Nachteile der geprüften übrigen Möglichkeiten übernommen werden müssen: Einerseits wird die nahtlose Fortführung des dem Grundsatz nach unbestrittenen Verbots der Al-Qaïda für weitere drei Jahre sichergestellt. Bis dahin sollte Klarheit über das dannzumal aktuelle weitere Gefährdungspotenzial der Al-Qaïda und die Notwendigkeit beziehungsweise die Art und Weise von deren Bekämpfung bestehen, dies insbesondere vor dem Hintergrund der Einführung des im Rahmen der Zusatzbotschaft vom 27. Oktober 2010 zur Änderung des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit («BWIS II ­ reduziert») beantragten Tätigkeitsverbotes und mit Blick auf das im Entstehen begriffene Nachrichtendienstgesetz. Das weitere Vorgehen, insbesondere die weitere Fortführung des Verbots wird somit vom dannzumal bestehenden Gefährdungspotenzial in Verbindung mit dem dannzumal bestehenden Instrumentarium zu beurteilen sein. Davon unberührt bleibt das unbestrittene öffentliche Interesse am Schutz der Gesellschaft vor den Gefahren des Terrorismus.

Andererseits kann sich das Parlament in angemessener Weise sowohl zum Inhalt der Verordnung als auch zum weiteren Vorgehen äussern. Gleichzeitig wird vermieden, das Verbot der Terrororganisation auf eine wenig stufengerechte Gesetzesebene 4499

anzuheben (wie mit der Variante «formellgesetzliche Grundlage»), die Schweiz durch die Schaffung einer Terrorliste erhöhtem aussenpolitischem Druck auszusetzen (wie mit der Variante «allgemeines Organisationsverbot») oder die im Kampf gegen den Terrorismus engagierten Staaten beziehungsweise die europäischen Nachbarländer durch «Nichtstun» oder eine vermeintliche Legalisierung zu brüskieren (wie mit der Variante «Verzicht auf die Weiterführung des Verbots»).

Wie bereits erwähnt hat die Bundesversammlung nach Artikel 173 Absatz 1 Buchstabe c BV die Aufgabe und Befugnis, wenn ausserordentliche Umstände es erfordern, Verordnungen oder einfache Bundesbeschlüsse zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz sowie der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz zu erlassen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Al-Qaïda ist trotz massiven Anstrengungen der Weltgemeinschaft nicht verschwunden und wird auch nach dem Tod ihres «Gründers» voraussichtlich (zumindest vorläufig) weiterbestehen. Zwar hat die Kern-Al-Qaïda an operativen Fähigkeiten eingebüsst, doch haben sich die Ableger Al-Qaïda auf der arabischen Halbinsel (AQAH), Al-Qaïda im islamischen Maghreb (AQIM) und Al-Qaïda im Irak (AQI) gebildet. Gerade die terroristischen Aktivitäten der AQIM haben in den letzten Jahren mit Entführungen auch die Sicherheitsinteressen der Schweiz direkt betroffen. Insgesamt hat sich zudem die Wahrscheinlichkeit von islamistisch motivierten Terroranschlägen in Westeuropa erhöht. Zwar blieb die Schweiz in der jüngeren Vergangenheit vor Terroranschlägen verschont und ist sie nach heutiger Beurteilung auch kein primäres Ziel von islamistischem Terrorismus. Doch kann sich diese Situation jederzeit ändern. So gehört die Schweiz zur westeuropäischen Gefahrenzone, sie wird von Dschihadisten als sogenannter Kreuzfahrerstaat bezeichnet ­ was als legitimer Anschlagsgrund gilt ­ und es gibt hier aktive, gewaltbereite und teilweise miteinander vernetzte islamistische Strukturen. Damit sind Potenziale für Terroranschläge vorhanden; alles in allem ist von einer konkreten drohenden Gefahr auszugehen. Ein Verbot der Al-Qaïda ist demnach entsprechend dem von dieser Gruppierung ausgehenden Gefährdungspotenzial zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz notwendig.

Da die Botschaft
unter grosser zeitlicher Dringlichkeit steht (Ablösung der heutigen Verordnung durch eine Verordnung der Bundesversammlung per 31. Dezember 2011) und weil sowohl bei den Kantonen, als auch bei den politischen Parteien und den weiteren interessierten Kreisen unbestritten sein dürfte, dass jedwelche terroristische Aktivitäten der Gruppierung Al-Qaïda und verwandter Organisationen auf Schweizer Gebiet unerwünscht sind und daher das bestehende Verbot weitergeführt werden muss, wurde auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet.

1.4

Rechtsvergleich und Verhältnis zum europäischen Recht

Der Kampf gegen die Al-Qaïda wird von unseren Nachbarländern im Rahmen der allgemeinen Terrorismusbekämpfung geführt; es bestehen also auf nationaler Ebene keine spezifisch auf die Al-Qaïda zugeschnittene Verbotsnormen.

Die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten arbeiten bei der Terrorismusbekämpfung eng zusammen. Besonders vor dem Hintergrund der Reisefreiheit im Schengen-Raum erfordert die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ein 4500

gemeinsames grenzüberschreitendes Handeln. Die vier Pfeiler des EU-Gesamtkonzepts zur Terrorismusbekämpfung sind Prävention (Kampf gegen Radikalisierung und Rekrutierung), Schutz (Reduzierung der Verwundbarkeit gegen Angriffe), Verfolgung (Aufklärung bereits im Vorfeld von terroristischen Handlungen und Zerstörung terroristischer Strukturen) und Abwehrbereitschaft (Verbesserung der Reaktionsfähigkeit für die Bewältigung der Folgen eines Terroranschlags).

Die Hauptverantwortung liegt bei den Mitgliedstaaten, doch setzt sich die EU für gemeinsame Mindeststandards und Empfehlungen ein. Ein Schwerpunkt bildet dabei die UNO-Resolution 1373 über die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung11. Im Gegensatz zur UNO-Resolution 1267 über Al-Qaïda und die Taliban12 werden dabei von den Staaten selbst Sicherstellungsmassnahmen verlangt. Die EU beschloss am 27. Dezember 2001 in einem Gemeinsamen Standpunkt des Rates13, diese Resolution umzusetzen und verabschiedete die entsprechenden Rechtsinstrumente (Verordnung (EG) Nr. 2580/200114).

1.5

Umsetzung

Für die Umsetzung der Verordnung der Bundesversammlung kann ­ wie bei der bisherigen Verordnung des Bundesrates ­ vollumfänglich auf die bestehenden eidgenössischen und kantonalen Sicherheitsbehörden abgestellt werden. Die vorliegende Botschaft hat deshalb weder finanzielle noch personelle Mehraufwendungen zur Folge.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Der Verordnungsentwurf der Bundesversammlung ist mit Ausnahme von Artikel 5 inhaltlich identisch mit der geltenden Verordnung vom 7. November 200115 über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaida» und verwandter Organisationen.

Art. 1 Verboten sind sowohl die Gruppierung Al-Qaïda im engeren Sinn als auch sämtliche Tarn- oder Nachfolgegruppierungen, sofern sie entweder im Auftrag der Al-Qaïda handeln oder in ihrer Führung, ihrer Zielsetzung und ihren Mitteln mit ihr übereinstimmen.

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www.un.org/french/documents/view_doc.asp?symbol=S/RES/1373(2001) www.un.org/french/documents/view_doc.asp?symbol=S/RES/1267(1999) Gemeinsamer Standpunkt (2001/931/GASP) des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, Abl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93 Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, Abl. L 344 vom 28.12.2001, S. 70; zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 83/2011, Abl. L 28 vom 2.2.2011, S. 14.

SR 122

4501

Art. 2 Verboten ist sowohl im Inland ­ als auch im Ausland ­ die Anwerbung für oder die Beteiligung an einer nach Artikel 1 verbotenen Organisation, deren personelle und materielle Unterstützung, einschliesslich Propagandaaktionen, und jede auf andere Weise erfolgte Förderung. Das Strafmass orientiert sich an den damaligen Verordnungen zur Beschränkung des Waffenerwerbs durch Ausländer, die ebenfalls Vergehenstatbestände (Gefängnis und Busse) vorsahen.

Art. 3 Die allgemeinen Regeln des Strafrechts, insbesondere die erweiterte Einziehung von Vermögenswerten im Besitz von kriminellen Organisationen, sind auf die verbotenen Gruppierungen und Organisationen anwendbar (siehe Ziff. 1.1).

Art. 4 Die Mitteilung der Entscheide ist auf die wichtigsten Sicherheitsorgane beschränkt.

Art. 5 Die Verordnung der Bundesversammlung ist auf drei Jahre befristet. Diese Befristung ist in Artikel 7d RVOG, der mit dem Bundesgesetz über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen beschlossen wurde, festgelegt.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Die finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund blieben im Rahmen der geltenden Verordnung vom 7. November 200116 über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaida» und verwandter Organisationen bisher marginal. Bei einem Verbot durch eine Verordnung der Bundesversammlung ist aller Voraussicht nach mit keinen weitergehenden Auswirkungen zu rechnen. Mit dem vorliegenden Entwurf sind deshalb weder finanzielle noch personelle Mehraufwendungen verbunden.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Das Sicherheitsniveau in den Kantonen und Gemeinden bleibt auf dem heutigen Stand erhalten.

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SR 122

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3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Notwendigkeit und Möglichkeit staatlichen Handelns Die Umsetzung der Vorlage erhöht die Sicherheit der Schweiz und stärkt ihr Ansehen in Bezug auf den Willen und die Entschlossenheit zur dauerhaften Terrorismusbekämpfung.

Auswirkungen auf die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen Die vorgeschlagenen Normen führen zu einer Stärkung der inneren und äusseren Sicherheit oder behalten das heutige Niveau bei und leisten damit ihren Beitrag zum Schutz der Bevölkerung.

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft Es sind keine direkten Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft ersichtlich. Indirekt werden durch ein sicheres und gesellschaftlich stabiles Umfeld die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert, was den Standort Schweiz stärkt.

Zweckmässigkeit im Vollzug Die Umsetzung der Vorlage erfolgt gleich wie bisher, das heisst auf der Grundlage der bewährten Sicherheitsstrukturen. Es ergeben sich somit keine Änderungen an der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich des Staatsschutzes.

3.4

Andere Auswirkungen

3.4.1

Auswirkungen auf die Aussenpolitik

Das internationale Ansehen der Schweiz wird gewahrt, insbesondere was ihren auf Dauer gerichteten Willen zur wirkungsvollen Bekämpfung des fundamentalislamistischen Terrorismus betrifft. Im Übrigen setzt die Verordnung keine direkten internationalen Verpflichtungen um.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 23. Januar 200817 über die Legislaturplanung 2007­2011 noch im Bundesbeschluss vom 18. September 200818 über die Legislaturplanung 2007­2011 angekündigt. Dies ist einerseits auf die bis zum 31. Dezember 2011 reichende Befristung der Verordnung vom 7. November 200119 über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaida» und verwandter Organisationen, und andererseits auf das zum fraglichen Zeitpunkt noch ungewisse, zwischenzeitlich in Kraft gesetzte Bundesgesetz über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen und dessen Auswirkungen zurückzuführen.

17 18 19

BBl 2008 753 BBl 2008 8543 SR 122

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Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Verordnung stützt sich auf die ungeschriebene Bundeskompetenz zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Eidgenossenschaft und die Aufgaben des Bundes zur Wahrung der inneren Sicherheit (Art. 173 Abs. 1 Bst. c BV). Weiter kann die Bundesversammlung nach Artikel 22 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes rechtsetzende Bestimmungen insbesondere in der Form der Verordnung der Bundesversammlung erlassen, soweit sie (wie vorliegend) durch Bundesverfassung oder Gesetz dazu ermächtigt ist.

Das vorgeschlagene Verbot der Gruppierung Al-Qaïda und verwandter Organisationen kann in Grundrechte eingreifen, beispielsweise in die Privatsphäre nach Artikel 13 BV, in die Versammlungsfreiheit nach Artikel 22 BV oder in die Vereinigungsfreiheit nach Artikel 23 BV.

Mit Blick auf Artikel 36 BV bedürfen Einschränkungen von Grundrechten einer gesetzlichen Grundlage und müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz der Grundrechte Dritter gerechtfertigt sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wahren. Zudem darf der Kern der Grundrechte nicht verletzt werden.

In Bezug auf die für schwere Grundrechtseingriffe erforderliche gesetzliche Grundlage ist Folgendes zu beachten: Einerseits stellt eine Massnahme dann eine genügende gesetzliche Grundlage für die Einschränkung von Grundrechten dar, wenn sie den Voraussetzungen von Artikel 184 Absatz 3 BV genügt, soweit diese Einschränkungen ausserdem durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und im Hinblick auf den verfolgten Zweck verhältnismässig sind (BGE 132 I 229). Nichts anderes kann für Massnahmen gelten, die sich auf Artikel 185 Absatz 3 BV abstützen.

Anderseits bilden auch Verordnungen, die der Bundesrat gestützt auf Artikel 102 Ziffern 8­10 der Bundesverfassung vom 29. Mai 187420 erlässt, einen ausreichenden Grund für Einschränkungen von Freiheitsrechten (BGE 100 Ib 318). Weiter hielt das Bundesgericht fest, dass der (damals zu beurteilende) Propagandabeschluss zwar für sich allein genommen kein solches Gesetz darstelle. Zusammen mit den Verfassungsbestimmungen, auf die er sich abstützt, bilde er jedoch eine genügende gesetzliche Grundlage für die umstrittene Massnahme. Dies ergebe sich zudem auch daraus, dass der Propagandabeschluss lediglich eine Konkretisierung der polizeilichen Generalklausel für bestimmte Gefährdungslagen bilde
und gestützt auf die Letztere die Grundrechte auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage eingeschränkt werden dürfen (BGE 125 II 417). Daraus lässt sich folgern, dass die vorliegend gewählte Form der Verordnung der Bundesversammlung auch für schwere Grundrechtseingriffe eine hinreichende Grundlage bietet (soweit die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind).

Das öffentliche Interesse ist offenkundig und liegt einerseits im Verhindern konkreter terroristischer Umtriebe durch die genannte Organisation und andererseits im Erhalt der guten Beziehungen der Schweiz zur internationalen Staatengemeinschaft.

In Bezug auf die Verhältnismässigkeit ist das Verbot der Gruppierung tendenziell ein taugliches Mittel sowohl zum Verhindern terroristischer Umtriebe als auch für die Wahrung der guten Beziehungen zum Ausland; es ist zum Schutz der Bevölkerung und der staatlichen Strukturen erforderlich und ein notwendiges aussenpo20

BS 1 3

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litisches Signal und schliesslich ist es angesichts des mit dem Terrorismus einhergehenden Leids auch ohne Weiteres zumutbar (Wahrung der Zweck/MittelRelation).

Das vorgeschlagene Verbot ist verfassungskonform; die rechtsstaatlichen Prinzipien werden vollumfänglich gewahrt.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen

Der Kerngehalt der betroffenen Grundrechte sowie die notstandsfesten Grundrechte der EMRK und der UNO-Menschenrechtspakte werden vollumfänglich gewahrt. Im Übrigen ist das vorgeschlagene Verbot mit dem Sanktionenregime des UNO-Sicherheitsrates gegen Al-Qaïda und den spezifisch auf Terrorismus zugeschnittenen Abkommen und Vereinbarungen nicht nur ohne Weiteres kompatibel, sondern trägt darüber hinaus zum internationalen Ansehen der Schweiz mit bei.

5.3

Erlassform

Die Bundesversammlung kann in Form einer Verordnung oder eines einfachen Bundesbeschlusses intervenieren. Da sich die Norm einerseits nicht auf die Al-Qaïda beschränkt, sondern auch verwandte Organisationen und Gruppierungen erfasst, hat sie generell-abstrakten Charakter. Anderseits sieht Artikel 2 der Verordnung Strafbestimmungen vor. Folglich muss der Erlass in Form einer Verordnung der Bundesversammlung erfolgen. Im Übrigen ist diese Erlassform ausdrücklich in Artikel 7d Absatz 2 Buchstabe a Ziffer 2 RVOG vorgesehen.

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