09.462 Parlamentarische Initiative Liberalisierung der Öffnungszeiten von Tankstellenshops Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates vom 10. Oktober 2011

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

10. Oktober 2011

Im Namen der Kommission Der Präsident: Hansruedi Wandfluh

2011-2299

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Übersicht Tankstellen dürfen ihr Personal rund um die Uhr und am Sonntag ohne behördliche Bewilligung für den Verkauf von Treibstoff und den Betrieb eines Bistros beschäftigen. Die Beschäftigung von Arbeitnehmenden in Tankstellenshops ist demgegenüber nur während der regulären Tages- und Abendarbeitszeiten und für Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr bis 1 Uhr in der Nacht und am Sonntag bewilligungsfrei.

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung ermöglicht es Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrsstrassen, die ganze Nacht und den ganzen Sonntag bewilligungsfrei Arbeitnehmende zu beschäftigen, sofern sie ein Warensortiment führen, das in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist. Indem die Voraussetzung des «starken Reiseverkehrs» entfällt, könnte sich mit der neuen Regelung, wenn die wirtschaftliche Rentabilität gegeben ist, die Zahl der Tankstellenshops, die von den erweiterten Beschäftigungszeiten Gebrauch machen können, erhöhen.

Weiterhin der Bewilligungsflicht für Nacht- und Sonntagsarbeit unterstehen werden Tankstellenshops, die die Anforderungen an den Standort oder das Warensortiment nicht erfüllen.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Am 12. Juni 2009 reichte Nationalrat Christian Lüscher eine parlamentarische Initiative in Form eines ausgearbeiteten Erlassentwurfs ein. Der Initiant verlangt, dass in Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrsstrassen mit einem Waren- und Dienstleistungsangebot, das in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch am Sonntag und in der Nacht beschäftigt werden dürfen. Er schlägt deshalb eine entsprechende Änderung des Bundesgesetzes vom 13. März 19641 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG) vor. Es sei heute schon erlaubt, so begründet Nationalrat Lüscher seine Initiative, rund um die Uhr Treibstoff und Gastronomieprodukte wie Kaffee oder Sandwiches zu verkaufen. Dieselben Angestellten, die für den Verkauf dieser Produkte beschäftigt werden, dürfen zwischen 1 Uhr und 5 Uhr aber keine anderen Shopartikel veräussern. Diese Einschränkung ergebe keinen Sinn. Zudem bestehe insbesondere in Städten ein Bedarf an Tankstellenshops, die rund um die Uhr geöffnet haben.

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) beschloss an ihrer Sitzung vom 31. August 2010 mit 18 zu 8 Stimmen, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) stimmte dem Beschluss der WAK-N an ihrer Sitzung vom 11. November 2010 mit 7 zu 4 Stimmen und einer Enthaltung zu.

An ihrer Sitzung vom 14. Februar 2011 verabschiedete die WAK-N den Vorentwurf und beauftragte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mit der Durchführung des Vernehmlassungsverfahrens. Die Kommission nahm an ihrer Sitzung vom 10. Oktober 2011 Kenntnis von den Vernehmlassungsergebnissen und verabschiedete ihren Entwurf ohne Änderungen mit 16 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung.

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Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage

2.1.1

Geltendes Recht

Grundsätzlich gilt in der Schweiz ein Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot. Gemäss Arbeitsgesetz dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Nacht zwischen 23 Uhr und 6 Uhr nicht beschäftigt werden. Ausnahmen bedürfen einer Bewilligung (Art. 10 Abs. 1, 16 und 17 Abs. 1 ArG). Dasselbe gilt für die Sonntagsarbeit, das heisst die Beschäftigung von Arbeitnehmenden zwischen Samstag 23 Uhr und Sonntag 23 Uhr (Art. 18 Abs. 1 und 19 Abs. 1 ArG). Mit dem Einverständnis der Angestellten kann die betriebliche Tages- und Abendarbeitszeit um 1 Stunde nach vorne oder nach hinten verschoben werden (Art. 10 Abs. 2 ArG).

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SR 822.11

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Bestimmte Gruppen von Betrieben können durch Verordnung ganz oder teilweise von diesen Regelungen ausgenommen und entsprechenden Sonderbestimmungen unterstellt werden (Art. 27 ArG). Gemäss Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz (ArGV 2)2 dürfen Tankstellen und Gastbetriebe ohne behördliche Bewilligung Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in der Nacht und am Sonntag beschäftigen (Art. 4, 23 und 46 ArGV 2). Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr, die ein Waren- oder Dienstleistungsangebot führen, das überwiegend auf die spezifischen Bedürfnisse von Reisenden ausgerichtet ist, können in der Nacht bis 1 Uhr und am Sonntag bewilligungsfrei Personal beschäftigen (Art. 26 Abs. 2 und 4 ArGV 2). Für alle übrigen Tankstellenshops gilt der Grundsatz des Nacht- und Sonntagsarbeitsverbots.

Massgebend für die tatsächlichen Öffnungszeiten von Tankstellenshops sind zudem die kantonalen Bestimmungen über die Ladenöffnungszeiten (Art. 71 ArG).

Geltende Regelung der Beschäftigungszeiten in Tankstellen und Tankstellenshops Betrieb

Nachtarbeit

Sonntagsarbeit

Tankstellen und Gastbetriebe

erlaubt

erlaubt

Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr

erlaubt bis 1 Uhr

erlaubt

alle übrigen Tankstellenshops

verboten

verboten

2.1.2

Abgrenzungsfragen

Bei der Anwendung der geltenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen stellen sich im Zusammenhang mit Tankstellenshops einige Abgrenzungsfragen, die in den vergangenen Jahren verschiedentlich auch zu rechtlichen Auseinandersetzungen geführt haben: 1. Betriebe mit Tankstellenshop und Tankstellenbistro Tankstellen, die einen Shop und ein Tankstellenbistro betreiben, können für den Verkauf von Treibstoff oder fertig zubereiteten Speisen und Getränken Personal bewilligungsfrei rund um die Uhr und am Sonntag beschäftigen. Für den Verkauf aller übrigen Shopartikel gilt jedoch das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot, beziehungsweise ein Nachtarbeitsverbot ab 1 Uhr für Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr. Die zuständigen Behörden müssen daher entscheiden, ob es sich bei den im Shop angebotenen Waren um Gastronomieprodukte handelt oder nicht. Wenn dies nicht der Fall ist, müssen die betroffenen Tankstellenshops einen Teil ihrer Verkaufsfläche ausserhalb der bewilligungsfreien Beschäftigungszeiten absperren, sofern keine eindeutige räumliche Trennung zum Bistroteil besteht.

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SR 822.112

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2007 haben verschiedene Tankstellen aus dem Kanton Zürich beim Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) um die Bewilligung ersucht, für den Shopbetrieb auch in der Nacht ab 1 Uhr Personal beschäftigen zu dürfen. Das SECO hat die Gesuche jedoch abgelehnt. 2010 hat das Bundesgericht eine Beschwerde der betroffenen Betriebe mit der Begründung abgewiesen, auf Grundlage des geltenden Rechts könne keine Bewilligung für durchgehende Nachtarbeit erteilt werden. Ein besonderes Konsumbedürfnis, das eine entsprechende Bewilligung rechtfertigen würde, liege nicht vor.

Die in den Shops angebotenen Detailhandelswaren könnten in zumutbarer Weise während der ordentlichen Arbeits- und Öffnungszeiten gekauft werden.3 2. Tankstellenshops an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr Tankstellenshops an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr dürfen auch in der Nacht bis 1 Uhr und am Sonntag Personal beschäftigen. Der Entscheid, ob die spezifische Lage eines Shops Nacht- und Sonntagsarbeit zulässt, obliegt den kantonalen Behörden. In der Frage, welche Verkehrswege als «Hauptverkehrswege mit starkem Reiseverkehr» gelten, verfügen die Kantone über einen gewissen Ermessensspielraum.

2008 gelangten mehrere Tankstellen des Kantons Genf mit Beschwerden ans Bundesgericht, nachdem die kantonalen Behörden zuvor zahlreichen Tankstellenshops verboten hatten, am Sonntag und an Feiertagen Personal zu beschäftigen. Das Bundesgericht stützte den kantonalen Entscheid mit der Begründung, dass nur jene Betriebe als Tankstellenshops «an Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr» gelten, deren Kundschaft sich zum überwiegenden Teil aus Reisenden zusammensetzt. Der tägliche Pendlerverkehr oder ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zwischen benachbarten Ortschaften gilt gemäss Bundesgericht nicht als starker Reiseverkehr im Sinne von Artikel 26 Absatz 4 der Verordnung 2 zum Arbeitsgesetz. Ausschlaggebend für eine bewilligungsfreie Beschäftigung von Personal an Sonntagen und in der Nacht bis 1 Uhr sei nicht allein das Verkehrsaufkommen, sondern auch der Umstand, dass ein Verkehrsweg für den Reiseverkehr von grosser Bedeutung ist.4 3. Das Warensortiment von Tankstellenshops Tankstellenshops, die in der Nacht bis 1 Uhr und am Sonntag Personal beschäftigen wollen, dürfen ausserhalb der betrieblichen Tages- und Abendarbeitszeit nur ein
Warensortiment führen, dass überwiegend auf die Bedürfnisse von Reisenden ausgerichtet ist. Dazu gehören Verpflegung, Hygieneartikel, Presseerzeugnisse und ähnliches mehr. Der Kaufvorgang muss einfach und schnell abgewickelt und die Waren von einer Person getragen werden können.

Die Frage, welches Sortiment ein Tankstellenshop anbieten darf, erlangte Mitte 2010 in der Stadt Zürich öffentliche Aufmerksamkeit, nachdem verschiedene Tankstellen gebüsst wurden, weil sie am Sonntag Waren verkauft hatten, die nach Ansicht der zuständigen Behörden nicht den spezifischen Bedürfnissen von Reisenden entsprachen. Beanstandet wurde insbesondere die Breite des Warenangebots.5

3 4 5

BGE 2C_748/2009 BGE 134 II 265; BGE 2C_206/2008 «Liberale Lösung für Tankstellen-Shops verlangt», NZZ Online vom 7. September 2010; «Zu viel Kaffee und Katzenfutter: Tankstellenshops in Zürich gebüsst», Tages-Anzeiger vom 8. September 2010 (Online-Version).

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2.2

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf

2.2.1

Argumente der Mehrheit

Das geltende Sonntags- und Nachtarbeitsverbot ist ein zentraler Bestandteil des Arbeitnehmerschutzes und im Grundsatz unbestritten. Die Kommissionsmehrheit ist jedoch der Auffassung, dass die unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Regeln für Tankstellen und Gastronomiebetriebe einerseits und Tankstellenshops andererseits zu praktischen Problemen führen. Besonders stossend sei der Umstand, dass Tankstellen ihr Personal, das für den Verkauf von Treibstoff und Gastronomieprodukten ohnehin anwesend sei, in der Nacht und am Sonntag nicht für die Veräusserung der übrigen Shopartikel beschäftigen dürfen, weshalb die betroffenen Betriebe einen Teil ihrer Verkaufsfläche absperren müssen.

Die Ausweitung der Bewilligungsbefreiung für bestimmte Tankstellenshops auf die ganze Nacht und den Sonntag bringe deshalb für die betroffenen Betriebe eine erhebliche organisatorische Erleichterung mit sich. Eine entsprechende Änderung des Arbeitsgesetzes sei auch im Sinne der Kundschaft und in Fällen, in denen die Tankstellen oder Tankstellenbistros bereits heute rund um die Uhr und am Sonntag bedient seien, müsse kein zusätzliches Personal beschäftigt werden.

Zudem erlaubt das geltende Recht nur einer beschränkten Zahl von Tankstellenshops, ausserhalb der regulären Tages- und Abendarbeitszeit Personal bewilligungsfrei zu beschäftigen. Shops an Strassen mit hohem Verkehrsaufkommen, die nicht als «Hauptverkehrswege mit starkem Reiseverkehr» gelten, können von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch machen. Gerade in städtischen Gebieten bestehe aber ein Bedürfnis, ausserhalb der regulären Arbeitszeiten gewisse Einkäufe zu tätigen.

Eine Erhöhung der Zahl von Tankstellenshops, die in der Nacht und am Sonntag Personal ohne behördliche Bewilligung beschäftigen dürfen, sei daher angezeigt.

Kein Handlungsbedarf bestehe demgegenüber bei der Einschränkung des Warensortiments. Tankstellen sollten auch in Zukunft nur eine beschränkte Produktpalette anbieten können, die auf die spezifischen Bedürfnisse von Reisenden abgestimmt ist.

2.2.2

Argumente der Minderheit

Eine Kommissionsminderheit (Rechsteiner Paul, Fässler, Fehr Hans-Jürg, Leutenegger Oberholzer, Rennwald, Schelbert, Thorens Goumaz) beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten. Sie ist der Auffassung, dass Nacht- und Sonntagsarbeit die Ausnahme bleiben müssen. Diese schadeten der Gesundheit und hätten negative Auswirkungen auf das Sozial- und Familienleben der Arbeitnehmenden. In der Nacht seien Angestellte von Tankstellenshops zudem einer zusätzlichen Gefährdung durch Kriminalität ausgesetzt. Auch befinde sich das Tankstellenpersonal bereits jetzt in prekären Arbeitsverhältnissen, da die Branche kaum Gesamtarbeitsverträge kenne und die Entlöhnung im Vergleich zum übrigen Detailhandel gering sei. Diese in der Tendenz arbeitnehmerfeindlichen Zustände sollten mit einer Lockerung des Nacht- und Sonntagsarbeitsverbots nicht zusätzlich privilegiert werden. Andere Betriebe könnten dies zum Anlass nehmen, ihrerseits eine Ausdehnung der gesetzlichen Beschäftigungszeiten zu fordern.

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Des Weiteren könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Tankstellenshops nur in jenen Fällen von der Aufheben des Nacht- und Sonntagsarbeitsverbots Gebrauch machen würden, in denen bereits heute rund um die Uhr ein bedienter Tankstellen- oder Bistrobetrieb angeboten werde. Vielmehr schaffe die vorgeschlagene Gesetzesänderung einen zusätzlichen Anreiz, das Tankstellenpersonal auch in der Nacht und am Sonntag zu beschäftigen. Schliesslich weist die Kommissionsminderheit darauf hin, dass die Nacht- und Sonntagsarbeit in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Diese Entwicklung dürfe nicht weiter forciert werden.

Die Minderheit verweist ausserdem auf die Vernehmlassungsergebnisse und insbesondere darauf, dass sich die Mehrheit der Kantone gegen die Revision ausspricht.

2.3

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung

Die vorgeschlagene Änderung des Arbeitsgesetzes ermöglicht es, Arbeitnehmende in bestimmten Tankstellenshops die ganze Nacht und am Sonntag ohne Bewilligung zu beschäftigen. Die Zahl der Tankstellenshops, die von der bewilligungsfreien Nacht- und Sonntagsarbeit Gebrauch machen können, wird erhöht, indem die Voraussetzung des «starken Reiseverkehrs» entfällt. Die Einschränkung in Bezug auf das zulässige Warensortiment bleibt dagegen unverändert bestehen.

Künftige Regelung der Beschäftigungszeiten in Tankstellen und Tankstellenshops Betrieb

Nachtarbeit

Sonntagsarbeit

Tankstellen und Gastbetriebe

erlaubt

erlaubt

Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrsstrassen

erlaubt

erlaubt

alle übrigen Tankstellenshops

verboten

verboten

2.4

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 23. Februar bis 23. Mai 2011. Das SECO erhielt insgesamt 85 Stellungnahmen.

Zusammenfassung der Vernehmlassungsergebnisse6: Zustimmung zur Revision Kantone: GR Parteien: CVP; FDP; SVP Organisationen, Verbände und weitere interessierte Kreise: ANCV; Centre Patronal; Gewerbeverband LU; IG Freiheit; SSV; VSEI; VSW; WEKO

6

Der vollständige Bericht ist auf der Website der Bundeskanzlei einsehbar: http://www.admin.ch/ch/d/gg/pc/ind2011.html

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Folgende Argumente wurden von den Befürwortern der Revision am Häufigsten vorgebracht: ­

Es besteht eine Nachfrage durch die Kundschaft.

­

Unterschiedliche Regelungen für Tankstellen und Gastronomiebetriebe einerseits und Tankstellenshops andererseits führen zu praktischen Problemen (Absperrung eines Teils des Sortiments) und sind nicht sinnvoll.

­

Es ist kein zusätzliches Personal erforderlich (Personal ist ohnehin anwesend) und es handelt sich um keine Ausweitung der Nachtarbeit.

Zustimmung mit Änderungsvorschlägen Kantone: FR, GL; JU; SH; SO; VD, ZG; ZH Parteien: JCVP BE Organisationen, Verbände und weitere interessierte Kreise: ACSI; AGVS; ASTAG; economiesuisse; EV; FRC; IVA/VSAA; JardinSuisse; kf; SAB; SAV; SGV; SKS; StrasseCH; Swiss Retail; Taxisuisse; TCS; VSIG Als Änderung wurde insbesondere vorgeschlagen, darauf zu verzichten, dass das Warensortiment auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet sein muss. Stattdessen soll die maximal zulässige Verkaufsfläche begrenzt werden, um auf diese Weise dem Problem der Abgrenzung von Produkten, die den Bedürfnissen der Reisenden entsprechen, und solchen, die dies nicht tun, aus dem Weg zu gehen. Änderungsvorschläge wurden auch hinsichtlich des Begriffs «Hauptverkehrsstrassen» gemacht, da dieser in den Augen einiger Vernehmlassungsteilnehmer ein neues Konzept darstellt, das bei der Umsetzung zu Abgrenzungsproblemen führen wird.

Die Kantone Waadt, Jura und Freiburg sowie IVA/VSAA schlagen widerum vor, die Liberalisierung auf Tankstellenshops auf Autobahnraststätten zu beschränken.

Gegner der Revision Kantone7: AG; AI; AR; BL; BS; BE; GE; LU; NE; NW; OW; SG; SZ; TG; TI; UR; VS Parteien: EVP; CSP; SP Organisationen, Verbände und weitere interessierte Kreise8: BGB/GBBL; EFS; EKAL; EMK; FMH; GastroSuisse; KV; Lausanne; SAJV; SBKV; SDV; SEK; SGARM; SGB; Städteverband; Sucht Info; Syna; transfair; Travail.Suisse; Unia; VCS; VDK; VELEDES Als Argumente gegen den Entwurf wurden namentlich die Schwächung des Arbeitnehmer- und des Gesundheitsschutzes, das Fehlen einer Beweispflicht hinsichtlich der Bedürfnisse der Reisenden und die Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu anderen Verkaufsgeschäften vorgebracht. Ausserdem wurde geltend gemacht, dass

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NW sei von der Änderung nicht betroffen, äussert aber Bedenken zur Vorlage.

OW: Gegen Aufweichung und weitere Durchbrechung des Nachtarbeitsverbots, aber Zustimmung in Bezug auf den Verkauf von Detailhandelswaren am Sonntag.

Städteverband: Die Vorlage sei in einer internen Umfrage kontrovers beurteilt worden, wobei eine leichte Mehrheit sich klar ablehnend zur vorgeschlagenen Gesetzesänderung geäussert habe.

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die heutigen Abgrenzungsprobleme im Zusammenhang mit Tankstellenshops nicht behoben würden und durch neue Formulierungen neue Unklarheiten geschaffen würden.

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Erläuterungen zur vorgeschlagenen Änderung

Mit Artikel 27 Absatz 1quater des Arbeitsgesetzes (ArG)9 wird auf Gesetzesstufe festgelegt, dass Arbeitnehmende in bestimmten Tankstellenshops am Sonntag und in der Nacht ohne Bewilligung beschäftigt werden dürfen. Ob ein Betrieb aber tatsächlich offen sein kann, wird nach wie vor vom kantonalen Recht über die Ladenöffnungszeiten abhängig sein.

Die vorgeschlagene Regelung enthält folgende Elemente:

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­

In Tankstellenshops, welche die nachfolgend genannten Voraussetzungen erfüllen, dürfen Arbeitnehmende am Sonntag und in der Nacht ohne Bewilligung beschäftigt werden. Gemäss Artikel 26 Absatz 2 ArGV 2 besteht für dieses Personal bereits heute eine Bewilligungsbefreiung für den ganzen Sonntag; für die Nacht gilt die Bewilligungsbefreiung aktuell nur bis 1 Uhr (vgl. Ziff. 2.1.1). Die neue Regelung bezweckt die Ausweitung auf die ganze Nacht.

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Die Vorschrift umfasst Tankstellenshops auf Autobahnraststätten und an Hauptverkehrsstrassen. Der Begriff der Autobahnraststätten ist identisch mit dem heutigen Ausdruck in Artikel 26 Absatz 4 ArGV 210. Was als Autobahnraststätte gilt, wird wie bis anhin durch die Bundesgesetzgebung über die Nationalstrassen bestimmt.11 Neu ist demgegenüber der Begriff «Hauptverkehrsstrassen». Die bisherige Regelung spricht von «Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr». Die Verwaltungs- und Gerichtspraxis hat konkretisiert, was darunter zu verstehen ist. So zeichnen sich Hauptverkehrswege mit starkem Reiseverkehr dadurch aus, dass sie die Hauptverkehrsader bilden und grössere Ortschaften bzw. Kantone oder Staaten miteinander verbinden und dass sich auf ihnen der Hauptreiseverkehr abwickelt.

Darunter fällt jener Reiseverkehr, der grössere Distanzen zurücklegt. Der tägliche Pendlerverkehr zwischen nahe liegenden Ortschaften, der Agglomerations- wie auch der Ortsverkehr sind dagegen kein wesentlicher Bestandteil des Reiseverkehrs.12 Auch der neue Artikel 27 Absatz 1quater ArG zielt grundsätzlich einzig auf Betriebe ab, die an häufig befahrenen Strassen liegen. Die neue Formulierung ist jedoch, indem die Erwähnung des starken Reiseverkehrs wegfällt, offener als die bisherige Bestimmung der ArGV 2.

Künftig soll vermehrt auf das blosse Verkehrsaufkommen abgestellt werden, statt auf die Bedeutung eines Verkehrswegs für den Reiseverkehr. Sollte die wirtschaftliche Rentabilität dank hohem Kundenaufkommen gegeben sein, ist davon auszugehen, dass die Zahl der Tankstellenshops, die unter die SR 822.11 SR 822.112 Im Anhang zum Bundesbeschluss vom 21. Juni 1960 über das Nationalstrassennetz (SR 725.113.11) sind die Nationalstrassen aufgeführt. Art. 6 der Nationalstrassenverordnung vom 7. November 2007 (NSV; SR 725.111) enthält eine Regelung zu den Raststätten.

Von diesen zu unterscheiden sind die Rastplätze gemäss Art. 7 NSV.

Vgl. die Wegleitung des SECO zu Art. 26 ArGV 2; BGE 134 II 265 E. 5.

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arbeitsgesetzliche Ausnahmeregelung fallen, steigen könnte. Letztlich muss aber eine Konkretisierung des unbestimmten Begriffs «Hauptverkehrsstrassen» entweder in der entsprechenden Bundesratsverordnung oder dann durch die Verwaltungs- und Gerichtspraxis erfolgen, zumal dieser Ausdruck in der bisherigen Bundesgesetzgebung nicht verwendet wird.

­

Die Tankstellenshops müssen ein Waren- und Dienstleistungsangebot führen, das in erster Linie auf die Bedürfnisse der Reisenden ausgerichtet ist.

Es gelten somit die bereits heute geltenden Grundsätze. So muss dass Hauptangebot eines Tankstellenshops einem Grundbedarf der Reisenden (Verpflegungs- und Hygieneartikel, Presseerzeugnisse u.ä.) entsprechen und darf kein Vollsortiment umfassen. Die Waren dürfen lediglich in handlichen Volumen oder Quanten verkauft werden, die von einer Person getragen werden können. Zudem muss der Kaufvorgang einfach und sofort abgewickelt werden können (Kauf «en passant»).13 Da Tankstellenshops lediglich ein eingeschränktes Sortiment führen dürfen, soll wie bis anhin eine Flächenbeschränkung gelten. Die heutige Praxis sieht eine Beschränkung der Verkaufsfläche auf maximal 120 m2 vor.

Minderheit (Schelbert, Fässler, Fehr Hans-Jürg, Leutenegger Oberholzer, Rechsteiner Paul, Rennwald, Thorens Goumaz) Die Minderheit schlägt vor, die von der Kommission vorgeschlagene Liberalisierung auf Tankstellenshops auf Autobahnraststätten zu beschränken. Diese Einschränkung ist in ihren Augen angebracht, da nur für solche Geschäfte eine Ausnahme vom Nachtarbeitsverbot mit den Bedürfnissen der Reisenden gerechtfertigt werden kann.

Die Streichung des Begriffs «Hauptverkehrsstrassen» würde ausserdem den Vorteil mit sich bringen, die Abgrenzungsprobleme zu vermeiden, die sich bei der Umsetzung dieser Regelung sicherlich stellen würden.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagene Gesetzesänderung hat für den Bund, die Kantone und die Gemeinden keine finanziellen und personellen Auswirkungen.

4.2

Vollzugstauglichkeit

Die kantonalen Arbeitsinspektorate müssen heute beim Vorliegen eines «Shop-imShop»-Konzepts die Unterscheidung zwischen Tankstellenshop (der in der Nacht nur bis 1 Uhr Arbeitnehmende bewilligungsfrei beschäftigen darf) und Bistro (das Arbeitnehmende während der ganzen Nacht ohne Bewilligung beschäftigen darf) vornehmen, um ihre Kontrollen korrekt durchzuführen. Diese oftmals schwierige

13

Zu den Einzelheiten vgl. die Checkliste des SECO für Sonntagsarbeit in Tankstellenshops. Diese Checkliste ist analog auch für die Nachtarbeit anwendbar und auf der Internetseite des SECO abrufbar (www.seco.admin.ch Themen Arbeit Arbeitnehmerschutz Allgemeine Informationen zum Arbeitsgesetz).

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Abgrenzung entfällt mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung. In diesem Bereich wird der Vollzug für die kantonalen Arbeitsinspektorate daher erleichert.

Demgegenüber muss wegen der Einführung des neuen und unbestimmten Begriffs «Hauptverkehrsstrassen» eine einheitliche Vollzugspraxis zu dieser Frage zuerst entwickelt werden.

Die Abgrenzungsfragen in Bezug auf das zulässige Sortiment werden bestehen bleiben.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Für die Arbeitszeitgestaltung sind in der Europäischen Union die Bestimmungen der Richtlinie 93/104/EG14 massgebend. Die vorgeschlagene Revision des Arbeitsgesetzes ist mit dieser Richtlinie kompatibel.

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Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Der Revisionsvorschlag betrifft die Änderung einer bisherigen Vorschrift und stützt sich ­ wie letztere selbst ­ auf die im Ingress des Arbeitsgesetzes angegebenen Verfassungsbestimmungen.

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Amtsblatt Nr. L 307 vom 13/12/1993 S. 18­24.

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