Originaltext

Protokoll zur Durchführung der Alpenkonvention von 1991 im Bereich Verkehr

Präambel Die Bundesrepublik Deutschland, die Französische Republik, die Italienische Republik, das Fürstentum Liechtenstein, das Fürstentum Monaco, die Republik Österreich, die Schweizerische Eidgenossenschaft, die Republik Slowenien, sowie die Europäische Gemeinschaft ­ in Erfüllung ihres Auftrags auf Grund des Übereinkommens vom 7. November 1991 zum Schutz der Alpen (Alpenkonvention), eine ganzheitliche Politik zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung des Alpenraums sicherzustellen; in Erfüllung ihrer Verpflichtungen gemäss Artikel 2 Absätze 2 und 3 der Alpenkonvention; im Bewusstsein, dass der Alpenraum ein Gebiet umfasst, das durch besonders empfindliche Ökosysteme und Landschaften, oder durch geografische und topografische Verhältnisse, welche die Schadstoff- und Lärmbelastung verstärken, oder durch einzigartige Naturressourcen oder ein einzigartiges Kulturerbe gekennzeichnet ist; im Bewusstsein, dass ohne geeignete Massnahmen auf Grund der verstärkten Integration der Märkte, der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung und des Freizeitverhaltens der Verkehr und die verkehrsbedingten Umweltbelastungen weiterhin ansteigen werden; in der Überzeugung, dass die ansässige Bevölkerung in der Lage sein muss, ihre Vorstellungen von der gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung selbst zu definieren und an deren Umsetzung im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung mitzuwirken; im Bewusstsein, dass der Verkehr in seinen Auswirkungen nicht umweltneutral ist und verkehrsbedingte Umweltbelastungen wachsende ökologische, gesundheitliche und sicherheitstechnische Belastungen und Risiken schaffen, die ein gemeinsames Vorgehen erfordern; im Bewusstsein, dass beim Transport gefährlicher Güter zur Gewährleistung der Sicherheit verstärkte Massnahmen notwendig sind;

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im Bewusstsein, dass umfassende Beobachtung, Forschung, Information und Beratung erforderlich sind, um die Zusammenhänge zwischen Verkehr, Gesundheit, Umwelt und wirtschaftlicher Entwicklung aufzuzeigen und die Notwendigkeit einer Verminderung der Umweltbelastungen einsichtig zu machen; im Bewusstsein, dass eine auf die Grundsätze der Nachhaltigkeit ausgerichtete Verkehrspolitik im Alpenraum nicht nur im Interesse der alpinen, sondern auch der ausseralpinen Bevölkerung steht und auch zur Sicherung der Alpen als Lebens-, Naturund Wirtschaftsraum zwingend ist; im Bewusstsein, dass einerseits das heutige Potenzial der Verkehrsträger teilweise nur ungenügend ausgenutzt und andererseits der Bedeutung der Infrastrukturen für umweltfreundlichere Transportsysteme wie Bahn, Schifffahrt und kombinierte Systeme sowie der transnationalen Kompatibilität und Operabilität der verschiedenen Verkehrsmittel nur ungenügend Rechnung getragen wird, und es daher erforderlich ist, diese Transportsysteme durch eine wesentliche Verstärkung der Netze innerhalb und ausserhalb der Alpen zu optimieren; im Bewusstsein, dass raumplanerische und wirtschaftspolitische Entscheidungen innerhalb wie ausserhalb der Alpen von grösster Bedeutung für die Verkehrsentwicklung im Alpenraum sind; im Bestreben, einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung sowie zu einer Verbesserung der Lebensqualität zu leisten und demzufolge das Verkehrsaufkommen zu reduzieren, die Verkehrsabwicklung in umweltschonender Weise zu gestalten und die Effektivität und Effizienz bestehender Verkehrssysteme zu erhöhen; in der Überzeugung, dass wirtschaftliche Interessen, gesellschaftliche Anforderungen und ökologische Erfordernisse miteinander in Einklang zu bringen sind; in Achtung der bilateralen und multilateralen Abkommen, insbesondere im Verkehrsbereich, von Vertragsparteien mit der Europäischen Gemeinschaft; in der Überzeugung, dass bestimmte Probleme nur grenzübergreifend gelöst werden können und gemeinsame Massnahmen der Alpenstaaten erforderlich machen ­ sind wie folgt übereingekommen:

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Kapitel I Allgemeine Bestimmungen Art. 1

Ziele

(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik, die a)

Belastungen und Risiken im Bereich des inneralpinen und alpenquerenden Verkehrs auf ein Mass senkt, das für Menschen, Tiere und Pflanzen sowie deren Lebensräume erträglich ist, unter anderem durch eine verstärkte Verlagerung des Verkehrs, insbesondere des Güterverkehrs, auf die Schiene, vor allem durch Schaffung geeigneter Infrastrukturen und marktkonformer Anreize;

b)

zur nachhaltigen Entwicklung des Lebens- und Wirtschaftsraumes als Lebensgrundlage der im Alpenraum wohnenden Bevölkerung durch eine alle Verkehrsträger umfassende, aufeinander abgestimmte Verkehrspolitik der Vertragsparteien beiträgt;

c)

dazu beiträgt, Einwirkungen, die die Rolle und die Ressourcen des Alpenraums ­ dessen Bedeutung über seine Grenzen hinausreicht ­ sowie den Schutz seiner Kulturgüter und naturnahen Landschaften gefährden, zu mindern und so weit wie möglich zu vermeiden;

d)

den inneralpinen und alpenquerenden Verkehr durch Steigerung der Effektivität und Effizienz der Verkehrssysteme und durch Förderung umwelt- und ressourcenschonenderer Verkehrsträger unter wirtschaftlich tragbaren Kosten gewährleistet;

e)

faire Wettbewerbsbedingungen unter den einzelnen Verkehrsträgern gewährleistet.

(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, den Verkehrsbereich unter Wahrung des Vorsorge-, Vermeidungs- und Verursacherprinzips zu entwickeln.

Art. 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieses Protokolls bedeuten: «alpenquerender Verkehr»: Verkehr mit Ziel und Quelle ausserhalb des Alpenraumes; «inneralpiner Verkehr»: Verkehr mit Ziel und Quelle im Alpenraum (Binnenverkehr) inklusive Verkehr mit Ziel oder Quelle im Alpenraum; «erträgliche Belastungen und Risiken»: Belastungen und Risiken, die im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen und Risikoanalysen zu definieren sind mit dem Ziel, einem weiteren Anstieg der Belastungen und Risiken Einhalt zu gebieten und diese sowohl bei Neubauten wie bei bestehenden Infrastrukturen mit erheblichen räumlichen Auswirkungen durch entsprechende Massnahmen soweit erforderlich zu verringern;

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«externe Kosten»: Kosten, die nicht vom Nutzer von Gütern oder Diensten getragen werden. Sie umfassen die Kosten für die Infrastruktur, wo diese nicht angelastet werden, die Kosten für Umweltverschmutzung, Lärm, verkehrsbedingte Personenund Sachschäden; «grosse Neubauten oder wesentliche Änderungen oder Ausbauten vorhandener Verkehrsinfrastrukturen»: Infrastrukturvorhaben mit Auswirkungen, welche nach UVPRecht oder Bestimmungen internationaler Vereinbarungen Umweltverträglichkeitsprüfungen unterliegen; «hochrangige Strassen»: alle Autobahnen und mehrbahnige, kreuzungsfreie oder in der Verkehrswirkung ähnliche Strassen; «Umweltqualitätsziele»: Ziele, welche den angestrebten Umweltzustand unter Berücksichtigung ökosystemarer Zusammenhänge beschreiben; sie geben bei Bedarf aktualisierbare, sachlich, räumlich und zeitlich definierte Qualitäten von Schutzgütern an; «Umweltqualitätsstandards»: konkrete Bewertungsmassstäbe für die Erreichung von Umweltqualitätszielen; sie definieren für bestimmte Parameter die angestrebten Resultate, das Messverfahren oder die Rahmenbedingungen; «Umweltindikatoren»: Umweltindikatoren messen oder bewerten den Zustand der Umweltbelastung und begründen Prognosen über ihre Entwicklung; «Vorsorgeprinzip»: jenes Prinzip, demzufolge Massnahmen zur Vermeidung, Bewältigung oder Verringerung schwerer oder irreversibler Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt nicht mit der Begründung aufgeschoben werden dürfen, dass die wissenschaftliche Forschung noch keinen eindeutigen Kausalzusammenhang zwischen den fraglichen Einwirkungen einerseits und ihrer potenziellen Schädlichkeit für die Gesundheit und die Umwelt andererseits nachgewiesen hat; «Verursacherprinzip»: inklusive der Anlastung der Folgewirkungen ist jenes Prinzip, demzufolge die Kosten für die Vermeidung, Bewältigung und Verringerung der Umweltbelastung und für die Sanierung der Umwelt zu Lasten des Verursachers gehen. Die Verursacher müssen so weit wie möglich die gesamten Kosten der Verkehrsauswirkungen auf Gesundheit und Umwelt tragen; «Zweckmässigkeitsprüfung»: Prüfverfahren gemäss der nationalen Gesetzgebung anlässlich der Planung grosser Neubauten oder wesentlicher Änderungen oder Ausbauten vorhandener Verkehrsinfrastrukturen, welches Abklärungen betreffend die verkehrspolitische Notwendigkeit sowie die verkehrlichen, ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Auswirkungen umfasst.

Art. 3

Nachhaltiger Verkehr und Mobilität

(1) Um den Verkehr unter den Rahmenbedingungen der Nachhaltigkeit zu entwickeln, verpflichten sich die Vertragsparteien, mit einer aufeinander abgestimmten Umwelt- und Verkehrspolitik zur Begrenzung verkehrsbedingter Belastungen und Risiken

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a)

den Belangen der Umwelt derart Rechung zu tragen, dass aa) der Verbrauch von Ressourcen auf ein Mass gesenkt wird, welches sich soweit möglich innerhalb der natürlichen Reproduktionsfähigkeit bewegt; bb) die Freisetzung von Stoffen auf ein Mass reduziert wird, welches die Tragfähigkeit der betroffenen Umweltmedien nicht überfordert; cc) die Stoffeinträge in die Umwelt auf ein Mass begrenzt werden, das Beeinträchtigungen ökologischer Strukturen und natürlicher Stoffkreisläufe vermeidet;

b)

den Belangen der Gesellschaft derart Rechnung zu tragen, dass aa) die Erreichbarkeit von Menschen, Arbeitsplätzen, Gütern und Dienstleistungen auf umweltschonende, Energie und Raum sparende sowie effiziente Weise ermöglicht und eine ausreichende Grundversorgung garantiert wird; bb) die Gesundheit der Menschen nicht gefährdet und das Risiko von Umweltkatastrophen sowie Zahl und Schwere von Unfällen reduziert werden;

c)

den Belangen der Wirtschaft derart Rechnung zu tragen, dass aa) die Eigenwirtschaftlichkeit des Verkehrs erhöht und die externen Kosten internalisiert werden; bb) die optimale Auslastung der vorhandenen Infrastruktur gefördert wird; cc) die Arbeitsplätze der wettbewerbsfähigen Betriebe und Unternehmen in den einzelnen Wirtschaftssektoren gesichert werden;

d)

auf Grund der besonderen Topografie der Alpen verstärkte Massnahmen zur Lärmbekämpfung zu ergreifen.

(2) In Übereinstimmung mit den geltenden nationalen und internationalen Rechtsvorschriften im Verkehrsbereich verpflichten sich die Vertragsparteien zur Entwicklung von nationalen, regionalen und lokalen Zielvorgaben, Strategien und Massnahmen, die a)

den unterschiedlichen naturräumlichen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Gegebenheiten sowie den unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung tragen;

b)

die Entwicklung der verkehrsbedingten Umweltbelastungen durch eine Kombination von ökonomischen Instrumenten, Raumordnungs- und Verkehrsplanungsmassnahmen beschränken.

Art. 4

Berücksichtigung der Ziele in den anderen Politiken

(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Ziele dieses Protokolls auch in ihren anderen Politiken zu berücksichtigen.

(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Auswirkungen anderer Politiken, Strategien und Konzepte auf den Verkehrsbereich vorausschauend und zurückblickend zu überprüfen.

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Art. 5

Beteiligung der Gebietskörperschaften

(1) Die Vertragsparteien fördern die internationale Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Institutionen, um grenzüberschreitend bestmögliche und aufeinander abgestimmte Lösungen zu erreichen.

(2) Jede Vertragspartei bestimmt im Rahmen ihrer geltenden staatlichen Ordnung die für die Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den unmittelbar betroffenen Institutionen und Gebietskörperschaften am besten geeignete Ebene, um eine gemeinsame Verantwortung zu fördern, namentlich um sich gegenseitig verstärkende Kräfte beim Vollzug der Verkehrspolitiken sowie der sich daraus ergebenden Massnahmen zu nutzen und zu entwickeln.

(3) Die unmittelbar betroffenen Gebietskörperschaften werden in den verschiedenen Stadien der Vorbereitung und Umsetzung dieser Politiken und Massnahmen unter Wahrung ihrer Zuständigkeit im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung beteiligt.

Art. 6

Weitergehende nationale Regelungen

Die Vertragsparteien können zum Schutz des ökologisch sensiblen Alpenraumes vorbehaltlich der Bestimmungen geltender internationaler Vereinbarungen auf Grund bestimmter, insbesondere naturräumlicher Gegebenheiten oder aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit und des Umweltschutzes Massnahmen treffen, welche über die in diesem Protokoll vorgesehenen Massnahmen hinausgehen.

Kapitel II Spezifische Massnahmen A. Strategien, Konzepte, Planungen Art. 7

Allgemeine verkehrspolitische Strategie

(1) Im Interesse der Nachhaltigkeit verpflichten sich die Vertragsparteien, eine rationelle und sichere Abwicklung des Verkehrs in einem grenzüberschreitend aufeinander abgestimmten Verkehrsnetzwerk umzusetzen, welches a)

Verkehrsträger, -mittel und -arten aufeinander abstimmt sowie die Intermodalität begünstigt;

b)

im Alpenraum bestehende Verkehrssysteme und -infrastrukturen unter anderem durch den Einsatz von Telematik bestmöglich nutzt und dem Verursacher, nach Belastungen differenziert, externe Kosten und Infrastrukturkosten anlastet;

c)

mit raumordnerischen und strukturellen Massnahmen eine Verkehrsbeeinflussung zu Gunsten der Verlagerung der Transportleistungen im Personenund Güterverkehr auf das jeweils umweltverträglichere Verkehrsmittel und intermodale Transportsysteme begünstigt;

d)

die Reduktionspotenziale im Verkehrsaufkommen erschliesst und nutzt.

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(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die erforderlichen Massnahmen bestmöglich vorzunehmen a)

zur Sicherung der Verkehrswege vor Naturgefahren sowie

b)

in Gebieten mit besonderen Belastungen aus dem Verkehr zum Schutze der Menschen und der Umwelt;

c)

zur schrittweisen Reduktion der Schadstoff- und Lärmemission aller Verkehrsträger auch auf der Grundlage der bestverfügbaren Technologie;

d)

die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Art. 8

Projektevaluations- und zwischenstaatliches Konsultationsverfahren

(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, bei grossen Neubauten und wesentlichen Änderungen oder Ausbauten vorhandener Verkehrsinfrastrukturen Zweckmässigkeitsprüfungen, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Risikoanalysen vorzunehmen und deren Resultaten im Hinblick auf die Ziele dieses Protokolls Rechnung zu tragen.

(2) Planungen für Verkehrsinfrastrukturen im Alpenraum sind zu koordinieren und zu konzertieren. Jede Vertragspartei verpflichtet sich bei Vorhaben mit erheblichen grenzüberschreitenden Auswirkungen, spätestens nach Vorlage der Prüfungen vorherige Konsultationen mit den davon betroffenen Vertragsparteien durchzuführen.

Diese Bestimmungen präjudizieren nicht das Recht jeder Vertragspartei, den Bau von Verkehrsinfrastrukturen vorzunehmen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieses Protokolls im Rahmen ihrer Rechtsordnung beschlossen sind oder für die der Bedarf gesetzlich festgestellt ist.

(3) Die Vertragsparteien unterstützen die stärkere Einbeziehung der Transportkomponente in das Umweltmanagement der Unternehmen in ihren Ländern.

B. Technische Massnahmen Art. 9

Öffentlicher Verkehr

Zur nachhaltigen Aufrechterhaltung und Verbesserung der Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur sowie der Erholungs- und Freizeitattraktivität des Alpenraumes verpflichten sich die Vertragsparteien, die Einrichtung und den Ausbau kundenfreundlicher und umweltgerechter öffentlicher Verkehrssysteme zu fördern.

Art. 10

Eisenbahn- und Schiffsverkehr

(1) Um die besondere Eignung der Eisenbahn für die Bewältigung des Verkehrs über lange Distanzen sowie ihr Netz für die wirtschaftliche und touristische Erschliessung der Alpenregion besser auszunutzen, unterstützen die Vertragsparteien, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten,

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a)

die Verbesserung der Bahninfrastrukturen durch den Bau und die Entwicklung grosser alpenquerender Achsen einschliesslich der Anschlüsse und angepasster Terminals;

b)

die weitere betriebliche Optimierung sowie Modernisierung der Eisenbahn, insbesondere im grenzüberschreitenden Verkehr;

c)

Massnahmen mit dem Ziel, insbesondere den Gütertransport über längere Distanzen auf die Eisenbahn zu verlagern und die Tarifierung der Verkehrsinfrastrukturen stärker zu harmonisieren;

d)

intermodale Transportsysteme sowie die Weiterentwicklung der Eisenbahn;

e)

die verstärkte Nutzung der Eisenbahn und die Schaffung kundenfreundlicher Synergien zwischen dem Personenfern- und dem Regional- sowie Ortsverkehr.

(2) Die Vertragsparteien unterstützen verstärkte Bestrebungen, zur Verringerung des Anteils des Transitgüterverkehrs auf dem Landwege die Kapazitäten der Schifffahrt vermehrt zu nutzen.

Art. 11

Strassenverkehr

(1) Die Vertragsparteien verzichten auf den Bau neuer hochrangiger Strassen für den alpenquerenden Verkehr.

(2) Ein hochrangiges Strassenprojekt für den inneralpinen Verkehr kann nur dann verwirklicht werden, wenn a)

die in der Alpenkonvention in Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe j festgelegten Zielsetzungen durch Vornahme entsprechender Vorsorge- oder Ausgleichsmassnahmen auf Grund des Ergebnisses einer Umweltverträglichkeitsprüfung erreicht werden können,

b)

die Bedürfnisse nach Transportkapazitäten nicht durch eine bessere Auslastung bestehender Strassen- und Bahnkapazitäten, durch den Aus- oder Neubau von Bahn- und Schifffahrtsinfrastrukturen und die Verbesserung des Kombinierten Verkehrs sowie durch weitere verkehrsorganisatorische Massnahmen erfüllt werden können,

c)

die Zweckmässigkeitsprüfung ergeben hat, dass das Projekt wirtschaftlich ist, die Risiken beherrscht werden und die Umweltverträglichkeitsprüfung positiv ausgefallen ist und

d)

den Raumordnungsplänen/-programmen und der nachhaltigen Entwicklung Rechnung getragen wird.

(3) Auf Grund der geografischen Verhältnisse und der Siedlungsstruktur des Alpenraumes, welche nicht in allen Fällen eine effiziente Bedienung mit öffentlichen Verkehrsmitteln erlauben, erkennen die Vertragsparteien in diesen Randgebieten gleichwohl die Notwendigkeit der Schaffung und Erhaltung von ausreichenden Verkehrsinfrastrukturen für einen funktionierenden Individualverkehr an.

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Art. 12

Luftverkehr

(1) Ohne dies auf andere Regionen zu beziehen, verpflichten sich die Vertragsparteien, die Umweltbelastungen des Flugverkehrs einschliesslich des Fluglärms so weit wie möglich zu senken. Unter Beachtung der Ziele dieses Protokolls bemühen sie sich, das Absetzen aus Luftfahrzeugen ausserhalb von Flugplätzen einzuschränken und erforderlichenfalls zu verbieten. Zum Schutz der Wildfauna treffen die Vertragsstaaten geeignete Massnahmen, um den nicht motorisierten Freizeit-Luftverkehr zeitlich und örtlich einzuschränken.

(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, das öffentliche Verkehrssystem von den alpennahen Flughäfen in die verschiedenen Alpenregionen zu verbessern, um in der Lage zu sein, die Verkehrsnachfrage zu befriedigen, ohne dadurch die Belastung der Umwelt zu erhöhen. In diesem Zusammenhang begrenzen die Vertragsparteien so weit wie möglich den Neubau von Flughäfen und den erheblichen Ausbau von bestehenden Flughäfen im Alpenraum.

Art. 13

Touristische Anlagen

(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, die verkehrlichen Auswirkungen weiterer Erschliessungen mit touristischen Anlagen unter Berücksichtigung der Ziele dieses Protokolls zu überprüfen und soweit erforderlich Vorsorge- und Ausgleichsmassnahmen zur Erreichung der Ziele dieses oder anderer Protokolle zu ergreifen. Dabei ist dem öffentlichen Verkehr Vorrang einzuräumen.

(2) Die Vertragsparteien unterstützen die Schaffung und Erhaltung von verkehrsberuhigten und verkehrsfreien Zonen, die Einrichtung autofreier Tourismusorte sowie Massnahmen zur Förderung der autofreien Anreise und des autofreien Aufenthalts von Urlaubsgästen.

Art. 14

Kostenwahrheit

Um auf Verkehrslenkungseffekte durch eine bessere Anrechnung der wahren Kosten der verschiedenen Verkehrsträger hinzuwirken, einigen sich die Vertragsparteien auf die Umsetzung des Verursacherprinzips und unterstützen die Entwicklung und Anwendung eines Berechnungssystems zur Ermittlung der Wegekosten und der externen Kosten. Ziel ist es, schrittweise verkehrsspezifische Abgabensysteme einzuführen, die es erlauben, auf gerechte Weise die wahren Kosten zu decken. Dabei sollen Systeme eingeführt werden, die a)

den Einsatz der umweltfreundlichsten Verkehrsträger und -mittel begünstigen;

b)

zu einer ausgewogeneren Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen führen;

c)

Anreize bieten, Potenziale ökologischer und sozio ökonomischer Belastungsminderung mit strukturellen und raumordnerischen Massnahmen der Verkehrsbeeinflussung vermehrt zu nutzen.

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C. Beobachtung und Kontrolle Art. 15

Angebot und Nutzung von Verkehrsinfrastrukturen

(1) Die Vertragsparteien verpflichten sich, den Stand und die Entwicklung sowie die Nutzung beziehungsweise Verbesserung der hochrangigen Verkehrsinfrastruktur und Verkehrssysteme und die Reduktion der Umweltbelastungen nach einheitlichem Muster in einem Referenzdokument festzuhalten und periodisch zu aktualisieren.

(2) Auf der Grundlage dieses Referenzdokumentes überprüfen die Vertragsparteien, inwieweit Umsetzungsmassnahmen zur Erreichung und zur Weiterentwicklung der Ziele der Alpenkonvention und insbesondere dieses Protokolls beitragen.

Art. 16

Umweltqualitätsziele, Standards und Indikatoren

(1) Die Vertragsparteien legen Umweltqualitätsziele zur Erreichung eines nachhaltigen Verkehrs fest und setzen sie um.

(2) Sie stimmen darin überein, dass es notwendig ist, über Standards und Indikatoren zu verfügen, welche den spezifischen Verhältnissen des Alpenraumes angepasst sind.

(3) Die Anwendung dieser Standards und dieser Indikatoren zielt darauf ab, die Entwicklung der Belastungen der Umwelt und der Gesundheit durch den Verkehr zu bemessen.

Kapitel III Koordination, Forschung, Bildung und Information Art. 17

Koordination und Information

Die Vertragsparteien vereinbaren, nach Bedarf gemeinsame Treffen durchzuführen, um a)

die Auswirkungen der nach diesem Protokoll ergriffenen Massnahmen zu überprüfen;

b)

sich vor wichtigen verkehrspolitischen Entscheidungen mit Auswirkungen auf die anderen Vertragsstaaten gegenseitig zu konsultieren;

c)

den Austausch von Informationen zur Umsetzung dieses Protokolls zu fördern und dabei vorrangig die vorhandenen Informationssysteme zu nutzen;

d)

sich vor wichtigen verkehrspolitischen Entscheidungen zu verständigen, um diese insbesondere in eine aufeinander abgestimmte, grenzüberschreitende Raumordnungspolitik einzubetten.

Art. 18

Forschung und Beobachtung

(1) Die Vertragsparteien fördern und harmonisieren in enger Zusammenarbeit Forschungen und systematische Beobachtungen über Wechselbeziehungen zwischen

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Verkehr und Umwelt im Alpenraum sowie über spezifische technologische Entwicklungen, welche die Wirtschaftlichkeit umweltfreundlicher Verkehrssysteme steigern.

(2) Den Ergebnissen der gemeinsamen Forschung und Beobachtung ist anlässlich der Überprüfung der Umsetzung dieses Protokolls gebührend Rechnung zu tragen, namentlich bei der Ausarbeitung von Methoden und Kriterien, welche die Beschreibung einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung erlauben.

(3) Die Vertragsparteien sorgen dafür, dass die jeweiligen Ergebnisse nationaler Forschung und systematischer Beobachtung in ein gemeinsames System zur dauernden Beobachtung und Information einfliessen und im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung öffentlich zugänglich gemacht werden.

(4) Die Vertragsparteien unterstützen anwendungsorientierte Pilotprojekte zur Umsetzung nachhaltiger Verkehrskonzepte und -technologien.

(5) Die Vertragsparteien unterstützen die Untersuchungen über die Anwendbarkeit von Methoden der verkehrsträgerübergreifenden, strategischen Umweltprüfung.

Art. 19

Bildung und Information der Öffentlichkeit

Die Vertragsparteien fördern die Aus- und Weiterbildung sowie die Information der Öffentlichkeit im Hinblick auf Ziele, Massnahmen und Durchführung dieses Protokolls.

Kapitel IV Kontrolle und Bewertung Art. 20

Umsetzung

Die Vertragsparteien verpflichten sich, die Umsetzung dieses Protokolls durch geeignete Massnahmen im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung sicherzustellen.

Art. 21

Kontrolle der Einhaltung der Protokollpflichten

(1) Die Vertragsparteien erstatten dem Ständigen Ausschuss regelmässig Bericht über die auf Grund dieses Protokolls getroffenen Massnahmen. In den Berichten ist auch die Wirksamkeit der getroffenen Massnahmen darzulegen. Die Alpenkonferenz bestimmt die zeitliche Abfolge der Berichterstattung.

(2) Der Ständige Ausschuss prüft die Berichte daraufhin, ob die Vertragsparteien ihren Verpflichtungen aus diesem Protokoll nachgekommen sind. Er kann dabei auch zusätzliche Informationen von den Vertragsparteien anfordern oder Informationen aus anderen Quellen beiziehen.

(3) Der Ständige Ausschuss erstellt für die Alpenkonferenz einen Bericht über die Einhaltung der Verpflichtungen aus diesem Protokoll durch die Vertragsparteien.

(4) Die Alpenkonferenz nimmt diesen Bericht zur Kenntnis. Falls sie eine Verletzung der Verpflichtungen feststellt, kann sie Empfehlungen verabschieden.

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Art. 22

Bewertung der Wirksamkeit der Bestimmungen

(1) Die Vertragsparteien überprüfen und beurteilen regelmässig die in diesem Protokoll enthaltenen Bestimmungen auf ihre Wirksamkeit. Soweit zur Erreichung der Ziele dieses Protokolls erforderlich, werden sie geeignete Änderungen des Protokolls in die Wege leiten.

(2) Im Rahmen der geltenden staatlichen Ordnung werden die Gebietskörperschaften an dieser Bewertung beteiligt. Die einschlägig tätigen nichtstaatlichen Organisationen können angehört werden.

Kapitel V Schlussbestimmungen Art. 23

Verhältnis zwischen der Alpenkonvention und dem Protokoll

(1) Dieses Protokoll ist ein Protokoll der Alpenkonvention im Sinne des Artikels 2 und der anderen einschlägigen Artikel der Alpenkonvention.

(2) Nur Vertragsparteien der Alpenkonvention können Vertragspartei dieses Protokolls werden. Eine Kündigung der Alpenkonvention gilt zugleich als Kündigung dieses Protokolls.

(3) Entscheidet die Alpenkonferenz über Fragen in Bezug auf dieses Protokoll, so sind lediglich die Vertragsparteien dieses Protokolls abstimmungsberechtigt.

Art. 24

Unterzeichnung und Ratifizierung

(1) Dieses Protokoll liegt für die Unterzeichnerstaaten der Alpenkonvention und die Europäische Gemeinschaft am 31. Oktober 2000 sowie ab dem 6. November 2000 bei der Republik Österreich als Verwahrer zur Unterzeichnung auf.

(2) Dieses Protokoll tritt für die Vertragsparteien, die ihre Zustimmung ausgedrückt haben, durch das Protokoll gebunden zu sein, drei Monate nach dem Tage in Kraft, an dem drei Staaten ihre Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde hinterlegt haben.

(3) Für die Vertragsparteien, die später ihre Zustimmung ausdrücken, durch dieses Protokoll gebunden zu sein, tritt das Protokoll drei Monate nach dem Tage der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft. Nach dem Inkrafttreten einer Änderung des Protokolls wird jede neue Vertragspartei dieses Protokolls Vertragspartei des Protokolls in der geänderten Fassung.

Art. 25

Notifikationen

Der Verwahrer notifiziert jedem in der Präambel genannten Staat und der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf dieses Protokoll a)

jede Unterzeichnung;

b)

jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde;

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c)

jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens;

d)

jede von einer Vertrags- oder Unterzeichnerpartei abgegebene Erklärung;

e)

jede von einer Vertragspartei notifizierte Kündigung, einschliesslich des Zeitpunkts ihres Wirksamwerdens.

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

Geschehen zu Luzern am 31. Oktober 2000 in deutscher, französischer, italienischer und slowenischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Staatsarchiv der Republik Österreich hinterlegt wird. Der Verwahrer übermittelt den Unterzeichnerparteien beglaubigte Abschriften.

Es folgen die Unterschriften

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