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Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge

Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens, eingedenk der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen betreffend die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie die Förderung guter Nachbarschaft, freundschaftlicher Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, tief besorgt über die weltweite Eskalation terroristischer Handlungen aller Arten und Erscheinungsformen, unter Hinweis auf die Erklärung vom 24. Oktober 1995 zum fünfzigsten Jahrestag der Vereinten Nationen, sowie unter Hinweis auf die Erklärung über Massnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus, die der Resolution 49/60 der Generalversammlung vom 9. Dezember 1994 als Anlage beigefügt ist und in der die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen unter anderem erneut feierlich erklärt haben, dass sie alle terroristischen Handlungen, Methoden und Praktiken, wo und von wem auch immer sie ausgeführt werden, einschliesslich derjenigen, welche die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten und Völkern gefährden und die territoriale Unversehrtheit und die Sicherheit der Staaten bedrohen, unmissverständlich als verbrecherisch und nicht zu rechtfertigen verurteilen, im Hinblick darauf, dass die Staaten in der Erklärung auch aufgefordert werden, den Anwendungsbereich der bestehenden völkerrechtlichen Bestimmungen über die Verhütung, Bekämpfung und Beseitigung des Terrorismus in allen seinen Arten und Erscheinungsformen dringend zu überprüfen, um sicherzustellen, dass es einen umfassenden rechtlichen Rahmen gibt, der alle Aspekte der Frage erfasst, unter Hinweis auf die Resolution 51/210 der Generalversammlung vom 17. Dezember 1996 und die Erklärung zur Ergänzung der Erklärung von 1994 über Massnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus, die dieser als Anlage beigefügt ist, ferner im Hinblick darauf, dass terroristische Anschläge mit Sprengsätzen oder anderen tödlichen Vorrichtungen immer häufiger geworden sind, sowie im Hinblick darauf, dass solche Anschläge von den bestehenden multilateralen Rechtsinstrumenten nicht angemessen erfasst werden, in der Überzeugung, dass es dringend notwendig ist, die internationale Zusammenarbeit zwischen den Staaten bei der Ausarbeitung und Annahme wirksamer und durchführbarer Massnahmen zur Verhütung solcher terroristischen Handlungen und zur Verfolgung und Bestrafung der Täter zu verstärken,

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Übersetzung des französischen Originaltextes.

2002-0766

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in der Erwägung, dass solche Handlungen der Völkergemeinschaft insgesamt Anlass zu ernster Besorgnis geben, unter Hinweis darauf, dass die Tätigkeiten der Streitkräfte der Staaten durch Regeln des Völkerrechts erfasst werden, die ausserhalb des Rahmens dieses Übereinkommens liegen, und dass das Ausnehmen bestimmter Handlungen vom Geltungsbereich des Übereinkommens nicht bedeutet, dass ansonsten rechtswidrige Handlungen entschuldigt oder für rechtmässig erklärt werden oder dass die Strafverfolgung nach anderen Gesetzen verhindert wird, sind wie folgt übereingekommen:

Art. 1 Im Sinne dieses Übereinkommens 1. umfasst der Ausdruck «staatliche oder öffentliche Einrichtung» alle ständigen oder nichtständigen Einrichtungen und Beförderungsmittel, die von Vertretern eines Staates, von Mitgliedern der Regierung, des Parlaments oder der Justiz oder von Amtsträgern oder Bediensteten eines Staates oder einer sonstigen Behörde oder öffentlichen Stelle oder von Bediensteten oder Amtsträgern einer zwischenstaatlichen Organisation im Zusammenhang mit ihren amtlichen Aufgaben benutzt werden oder in denen sich diese im Zusammenhang mit ihren amtlichen Aufgaben befinden; 2. bedeutet «Versorgungseinrichtung» öffentliche oder privatwirtschaftliche Einrichtungen, die Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Energie- und Brennstoffversorgung oder Kommunikationsdienste bereitstellen; 3. bedeutet «Sprengsatz oder andere tödliche Vorrichtung» a)

Waffen oder Vorrichtungen, bei denen Spreng- oder Brandmittel verwendet werden und die dazu bestimmt oder geeignet sind, den Tod, schwere Körperverletzungen oder grossen Sachschaden zu verursachen, oder

b)

Waffen oder Vorrichtungen, die dazu bestimmt oder geeignet sind, den Tod, schwere Körperverletzungen oder grossen Sachschaden zu verursachen, indem toxische Chemikalien, biologische Kampfstoffe, Toxine oder ähnliche Stoffe oder Strahlung oder radioaktive Stoffe freigesetzt, verbreitet oder zur Wirkung gebracht werden;

4. bedeutet «Streitkräfte eines Staates» die Streitkräfte eines Staates, die nach Massgabe des innerstaatlichen Rechts hauptsächlich für die nationale Verteidigung oder Sicherheit organisiert, ausgebildet und ausgerüstet sind, sowie Personen, die diese Streitkräfte unterstützen und deren Befehlsgewalt, Aufsicht und Verantwortung förmlich unterstellt sind; 5. bedeutet «öffentlicher Ort» die Teile eines Gebäudes, eines Geländes, einer Strasse, einer Wasserstrasse oder einer sonstigen Örtlichkeit, die der Öffentlichkeit ständig, zu bestimmten Zeiten oder gelegentlich zugänglich sind oder offenstehen, und umfasst alle für Gewerbe, Kultur, geschichtliche, bildungsmässige, religiöse oder

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amtliche Zwecke, für Unterhaltung oder Erholung genutzten oder sonstigen Örtlichkeiten, die in gleicher Weise der Öffentlichkeit zugänglich sind oder offenstehen; 6. bedeutet «öffentliches Verkehrssystem» alle öffentlichen oder privatwirtschaftlichen Einrichtungen, Beförderungsmittel und sonstigen Mittel, die im Rahmen öffentlich zugänglicher Dienstleistungen zur Beförderung von Personen oder Gütern eingesetzt werden.

Art. 2 1. Eine Straftat im Sinne dieses Übereinkommens begeht, wer widerrechtlich und vorsätzlich einen Sprengsatz oder eine andere tödliche Vorrichtung zu einem öffentlichen Ort, einer staatlichen oder öffentlichen Einrichtung, einem öffentlichen Verkehrssystem oder einer Versorgungseinrichtung befördert oder dort beziehungsweise gegen einen solchen Ort, eine solche Einrichtung oder ein solches System in Anschlag bringt, auslöst oder zur Explosion bringt in der Absicht, a)

den Tod oder schwere Körperverletzungen zu verursachen, oder

b)

eine weitgehende Zerstörung des Ortes, der Einrichtung oder des Systems zu verursachen, sofern diese Zerstörung zu erheblichem wirtschaftlichem Schaden führt oder führen kann.

2. Eine Straftat begeht auch, wer versucht, eine in Absatz 1 genannte Straftat zu begehen.

3. Eine Straftat begeht ferner, wer a)

als Mittäter oder Gehilfe an einer in Absatz 1 oder 2 genannten Straftat teilnimmt,

b)

eine in Absatz 1 oder 2 genannte Straftat organisiert oder andere Personen anweist, eine solche Straftat zu begehen, oder

c)

auf andere Weise zur Begehung einer oder mehrerer der in Absatz 1 oder 2 genannten Straftaten durch eine mit einem gemeinsamen Ziel handelnde Gruppe von Personen beiträgt; dieser Beitrag muss vorsätzlich sein und entweder mit dem Ziel, die allgemeine kriminelle Tätigkeit oder Absicht der Gruppe zu fördern, oder im Wissen um die Absicht der Gruppe, die betreffende Straftat oder die betreffenden Straftaten zu begehen, geleistet werden.

Art. 3 Dieses Übereinkommen findet keine Anwendung, wenn die Straftat in einem einzigen Staat begangen wird, der Verdächtige und die Opfer Angehörige dieses Staates sind, der Verdächtige im Hoheitsgebiet dieses Staates aufgefunden wird und kein anderer Staat nach Artikel 6 Absatz 1 oder 2 seine Gerichtsbarkeit begründen kann, wobei in diesen Fällen die jeweils zutreffenden Bestimmungen der Artikel 10­15 Anwendung finden.

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Art. 4 Jeder Vertragsstaat trifft die erforderlichen Massnahmen, um a)

die in Artikel 2 genannten Straftaten nach seinem innerstaatlichen Recht als Straftaten einzustufen;

b)

diese Straftaten mit angemessenen Strafen zu bedrohen, welche die Schwere der Tat berücksichtigen.

Art. 5 Jeder Vertragsstaat trifft die erforderlichen Massnahmen einschliesslich, wenn dies zweckmässig ist, Massnahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung, um sicherzustellen, dass Straftaten im Sinne dieses Übereinkommens, insbesondere wenn beabsichtigt oder geplant ist, damit die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen, unter keinen Umständen durch politische, philosophische, weltanschauliche, rassische, ethnische, religiöse oder andere vergleichbare Erwägungen gerechtfertigt werden können und dass für solche Straftaten Strafen verhängt werden, die der Schwere der Tat entsprechen.

Art. 6 1. Jeder Vertragsstaat trifft die erforderlichen Massnahmen, um seine Gerichtsbarkeit über die in Artikel 2 genannten Straftaten zu begründen, wenn a)

die Straftat im Hoheitsgebiet dieses Staates begangen wird,

b)

die Straftat an Bord eines Schiffes, das zur Tatzeit die Flagge dieses Staates führt, oder eines Luftfahrzeugs, das zur Tatzeit nach dem Recht dieses Staates eingetragen ist, begangen wird oder

c)

die Straftat von einem Angehörigen dieses Staates begangen wird.

2. Ein Vertragsstaat kann seine Gerichtsbarkeit über solche Straftaten auch begründen, wenn a)

die Straftat gegen einen Angehörigen dieses Staates begangen wird,

b)

die Straftat gegen eine staatliche oder öffentliche Einrichtung dieses Staates im Ausland, einschliesslich einer Botschaft oder sonstiger diplomatischer oder konsularischer Räumlichkeiten, begangen wird,

c)

die Straftat von einer staatenlosen Person begangen wird, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieses Staates hat,

d)

die Straftat in der Absicht begangen wird, diesen Staat zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, oder

e)

die Straftat an Bord eines Luftfahrzeugs begangen wird, das von der Regierung dieses Staates betrieben wird.

3. Bei der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung dieses Übereinkommens oder dem Beitritt zu diesem notifiziert jeder Vertragsstaat dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, für welche Fälle er in Übereinstimmung mit Absatz 2 seine

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Gerichtsbarkeit nach seinem innerstaatlichen Recht begründet hat. Der betreffende Vertragsstaat notifiziert dem Generalsekretär umgehend etwaige Änderungen.

4. Jeder Vertragsstaat trifft ferner die erforderlichen Massnahmen, um seine Gerichtsbarkeit über die in Artikel 2 genannten Straftaten für den Fall zu begründen, dass der Verdächtige sich in seinem Hoheitsgebiet befindet und er ihn nicht an einen der Vertragsstaaten ausliefert, die in Übereinstimmung mit Absatz 1 oder 2 ihre Gerichtsbarkeit begründet haben.

5. Dieses Übereinkommen schliesst die Ausübung einer Strafgerichtsbarkeit, die von einem Vertragsstaat nach seinem innerstaatlichen Recht begründet ist, nicht aus.

Art. 7 1. Ist ein Vertragsstaat unterrichtet worden, dass eine Person, die eine in Artikel 2 genannte Straftat begangen hat oder verdächtigt wird, eine solche begangen zu haben, sich möglicherweise in seinem Hoheitsgebiet befindet, so trifft er die nach seinem innerstaatlichen Recht erforderlichen Massnahmen, um den Sachverhalt, über den er unterrichtet wurde, zu untersuchen.

2. Hält der Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Täter oder der Verdächtige befindet, es in Anbetracht der Umstände für gerechtfertigt, so trifft er nach seinem innerstaatlichen Recht die geeigneten Massnahmen, um die Anwesenheit dieser Person zum Zweck der Verfolgung oder der Auslieferung sicherzustellen.

3. Jede Person, gegen welche die in Absatz 2 genannten Massnahmen getroffen werden, ist berechtigt, a)

unverzüglich mit dem nächsten zuständigen Vertreter des Staates, dessen Staatsangehörige sie ist oder der sonst zur Wahrung ihrer Rechte befugt ist, oder, wenn die betreffende Person staatenlos ist, des Staates, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, in Verbindung zu treten;

b)

den Besuch eines Vertreters dieses Staates zu empfangen;

c)

über ihre Rechte nach den Buchstaben a und b unterrichtet zu werden.

4. Die in Absatz 3 genannten Rechte werden in Übereinstimmung mit den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des Staates ausgeübt, in dessen Hoheitsgebiet sich der Täter oder der Verdächtige befindet, wobei jedoch diese Gesetze und sonstigen Vorschriften die volle Verwirklichung der Zwecke gestatten müssen, für welche die Rechte nach Absatz 3 gewährt werden.

5. Die Absätze 3 und 4 lassen das Recht jedes Vertragsstaats, der nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c oder Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe c Gerichtsbarkeit beanspruchen kann, unberührt, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz zu ersuchen, mit dem Verdächtigen Verbindung aufzunehmen und ihn zu besuchen.

6. Hat ein Vertragsstaat eine Person auf Grund dieses Artikels in Haft genommen, so zeigt er unverzüglich den Vertragsstaaten, die nach Artikel 6 Absätze 1 und 2 Gerichtsbarkeit begründet haben, sowie, wenn er es für angebracht hält, jedem anderen interessierten Vertragsstaat unmittelbar oder über den Generalsekretär der Vereinten Nationen die Tatsache, dass diese Person in Haft ist, und die Umstände an, welche die Haft rechtfertigen. Der Staat, der die Untersuchung nach Absatz 1 durchführt, 5481

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unterrichtet die genannten Vertragsstaaten umgehend über das Ergebnis der Untersuchung und teilt ihnen mit, ob er seine Gerichtsbarkeit auszuüben beabsichtigt.

Art. 8 1. Der Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Verdächtige befindet, ist in den Fällen, auf die Artikel 6 Anwendung findet, wenn er den Verdächtigen nicht ausliefert, verpflichtet, den Fall ohne irgendeine Ausnahme und unabhängig davon, ob die Straftat in seinem Hoheitsgebiet begangen wurde, ohne unangemessene Verzögerung seinen zuständigen Behörden zum Zweck der Strafverfolgung in einem Verfahren nach seinem Recht zu unterbreiten. Diese Behörden treffen ihre Entscheidung in der gleichen Weise wie im Fall einer anderen schweren Straftat nach dem Recht dieses Staates.

2. Darf ein Vertragsstaat nach seinem innerstaatlichen Recht eigene Staatsangehörige nur unter dem Vorbehalt ausliefern oder überstellen, dass die betreffende Person diesem Staat zurücküberstellt wird, um dort die Strafe zu verbüssen, die als Ergebnis des Gerichts- oder anderen Verfahrens verhängt wird, dessentwegen um ihre Auslieferung oder Überstellung ersucht wurde, und sind dieser Staat und der um Auslieferung ersuchende Staat mit dieser Vorgehensweise und etwaigen anderen Bedingungen, die sie für zweckmässig erachten, einverstanden, so entbindet diese Auslieferung oder Überstellung unter Vorbehalt den ersuchten Vertragsstaat von der in Absatz 1 genannten Verpflichtung.

Art. 9 1. Die in Artikel 2 genannten Straftaten gelten als in jeden zwischen Vertragsstaaten vor dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens bestehenden Auslieferungsvertrag einbezogene, auslieferungsfähige Straftaten. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, diese Straftaten als der Auslieferung unterliegende Straftaten in jeden künftig zwischen ihnen zu schliessenden Auslieferungsvertrag aufzunehmen.

2. Erhält ein Vertragsstaat, der die Auslieferung vom Bestehen eines Vertrags abhängig macht, ein Auslieferungsersuchen von einem anderen Vertragsstaat, mit dem er keinen Auslieferungsvertrag hat, so steht es dem ersuchten Vertragsstaat frei, dieses Übereinkommen in Bezug auf die in Artikel 2 genannten Straftaten als Rechtsgrundlage für die Auslieferung anzusehen. Die Auslieferung unterliegt im Übrigen den im Recht des ersuchten Staates vorgesehenen Bedingungen.

3. Vertragsstaaten, welche die
Auslieferung nicht vom Bestehen eines Vertrags abhängig machen, erkennen unter sich die in Artikel 2 genannten Straftaten als auslieferungsfähige Straftaten vorbehältlich der im Recht des ersuchten Staates vorgesehenen Bedingungen an.

4. Falls erforderlich, werden die in Artikel 2 genannten Straftaten für die Zwecke der Auslieferung zwischen Vertragsstaaten so behandelt, als seien sie nicht nur am Ort, an dem sie sich ereignet haben, sondern auch in den Hoheitsgebieten der Staaten begangen worden, die nach Artikel 6 Absätze 1 und 2 Gerichtsbarkeit begründet haben.

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5. Die Bestimmungen aller Auslieferungsverträge und Übereinkünfte über Auslieferung zwischen den Vertragsstaaten gelten hinsichtlich der in Artikel 2 genannten Straftaten als im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten geändert, soweit sie mit diesem Übereinkommen unvereinbar sind.

Art. 10 1. Die Vertragsstaaten gewähren einander die weitestgehende Hilfe im Zusammenhang mit Ermittlungen, Strafverfahren oder Auslieferungsverfahren, die in Bezug auf die in Artikel 2 genannten Straftaten eingeleitet werden, einschliesslich der Hilfe bei der Beschaffung der ihnen zur Verfügung stehenden und für das Verfahren erforderlichen Beweismittel.

2. Die Vertragsstaaten erfüllen ihre Verpflichtungen nach Absatz 1 in Übereinstimmung mit den zwischen ihnen bestehenden Verträgen oder sonstigen Übereinkünften über die gegenseitige Rechtshilfe. In Ermangelung solcher Verträge oder sonstigen Übereinkünfte gewähren die Vertragsstaaten einander Rechtshilfe nach ihrem innerstaatlichen Recht.

Art. 11 Für die Zwecke der Auslieferung oder der Rechtshilfe wird keine der in Artikel 2 genannten Straftaten als politische Straftat, als eine mit einer politischen Straftat zusammenhängende oder als eine auf politischen Beweggründen beruhende Straftat angesehen. Folglich darf ein Ersuchen um Auslieferung oder Rechtshilfe, das auf einer solchen Straftat beruht, nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, dass es sich um eine politische Straftat, um eine mit einer politischen Straftat zusammenhängende oder um eine auf politischen Beweggründen beruhende Straftat handelt.

Art. 12 Dieses Übereinkommen ist nicht so auszulegen, als begründe es eine Verpflichtung zur Auslieferung oder zur Rechtshilfe, wenn der ersuchte Vertragsstaat ernsthafte Gründe zur Annahme hat, dass das Auslieferungsersuchen wegen in Artikel 2 genannter Straftaten oder das Rechtshilfeersuchen in Bezug auf solche Straftaten gestellt worden ist, um eine Person wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Anschauungen zu verfolgen oder zu bestrafen, oder dass die Lage dieser Person aus einem dieser Gründe erschwert werden könnte, wenn dem Ersuchen stattgegeben würde.

Art. 13 1. Eine Person, die im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats in Haft gehalten wird oder eine Strafe verbüsst und um deren
Anwesenheit in einem anderen Vertragsstaat zum Zweck der Zeugenaussage, der Identifizierung oder einer sonstigen Form der Unterstützung bei der Beweiserhebung im Rahmen von Ermittlungen oder der Strafverfolgung wegen Straftaten im Sinne dieses Übereinkommens ersucht wird, darf unter den folgenden Bedingungen überstellt werden: 5483

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a)

Die Person willigt nach vorheriger Aufklärung aus freien Stücken ein, und

b)

die zuständigen Behörden beider Staaten stimmen unter den von diesen Staaten für geeignet erachteten Bedingungen zu.

2. Für die Zwecke dieses Artikels gilt Folgendes: a)

Der Staat, dem die betreffende Person überstellt wird, ist befugt und verpflichtet, die Person in Haft zu halten, sofern der Staat, von dem sie überstellt wurde, nichts anderes verlangt oder genehmigt;

b)

der Staat, dem die betreffende Person überstellt wird, kommt entsprechend der vorherigen oder sonstigen Vereinbarung der zuständigen Behörden beider Staaten unverzüglich seiner Verpflichtung nach, die Person wieder in den Gewahrsam des Staates zu übergeben, von dem sie überstellt wurde;

c)

der Staat, dem die Person überstellt wird, darf vom Staat, von dem sie überstellt wurde, nicht verlangen, zu ihrer Rücküberstellung ein Auslieferungsverfahren einzuleiten;

d)

der überstellten Person wird die in dem Staat, dem sie überstellt wurde, verbrachte Haftzeit auf die Strafe angerechnet, die sie in dem Staat, von dem sie überstellt wurde, zu verbüssen hat.

3. Sofern nicht der Vertragsstaat, von dem eine Person nach diesem Artikel überstellt werden soll, zustimmt, darf diese Person, gleich welche Staatsangehörigkeit sie besitzt, im Hoheitsgebiet des Staates, dem sie überstellt wird, wegen Handlungen oder Verurteilungen, die vor ihrer Ausreise aus dem Hoheitsgebiet des Staates, von dem sie überstellt wurde, erfolgten, nicht strafrechtlich verfolgt, in Haft gehalten oder einer sonstigen Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden.

Art. 14 Einer Person, die in Haft genommen wird oder gegen die andere Massnahmen ergriffen werden oder ein Verfahren nach diesem Übereinkommen durchgeführt wird, ist eine gerechte Behandlung zu gewährleisten, die den Genuss aller Rechte und Garantien einschliesst, die mit dem Recht des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie sich befindet, und mit den anwendbaren Bestimmungen des Völkerrechts, einschliesslich derjenigen über die Menschenrechte, in Übereinstimmung stehen.

Art. 15 Die Vertragsstaaten arbeiten bei der Verhütung der in Artikel 2 genannten Straftaten insbesondere auf folgende Weise zusammen: a)

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indem sie alle durchführbaren Massnahmen treffen, wozu erforderlichenfalls auch eine Anpassung ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften gehört, um Vorbereitungen in ihren jeweiligen Hoheitsgebieten für die Begehung dieser Straftaten innerhalb oder ausserhalb ihrer Hoheitsgebiete zu verhindern und zu bekämpfen, einschliesslich Massnahmen, um in ihren Hoheitsgebieten rechtswidrige Tätigkeiten von Personen, Gruppen und Organisationen zu verbieten, welche die Begehung von in Artikel 2 genannten Straftaten för-

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dern, organisieren, wissentlich finanzieren, durchführen oder andere zur Begehung solcher Straftaten anstiften; b)

indem sie genaue, nachgeprüfte Informationen in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht austauschen und Verwaltungs- und andere Massnahmen, die sie gegebenenfalls treffen, um die Begehung von in Artikel 2 genannten Straftaten zu verhindern, miteinander abstimmen;

c)

gegebenenfalls durch Forschung und Entwicklung in Bezug auf Methoden zur Aufspürung von Sprengstoff und anderen gefährlichen Stoffen, die den Tod oder schwere Körperverletzungen verursachen können, durch Konsultationen über die Entwicklung von Normen für die Kennzeichnung von Sprengstoff, um bei den Ermittlungen nach einer Explosion dessen Herkunft feststellen zu können, durch Austausch von Informationen über vorbeugende Massnahmen, durch Zusammenarbeit sowie durch Weitergabe von Technologie, Ausrüstung und dazugehörigem Material.

Art. 16 Der Vertragsstaat, in dem der Verdächtige strafrechtlich verfolgt wird, teilt nach seinem innerstaatlichen Recht oder nach den anwendbaren Verfahren den Ausgang des Verfahrens dem Generalsekretär der Vereinten Nationen mit; dieser unterrichtet die anderen Vertragsstaaten.

Art. 17 Die Vertragsstaaten erfüllen ihre Verpflichtungen nach diesem Übereinkommen in einer Weise, die mit den Grundsätzen der souveränen Gleichheit und territorialen Unversehrtheit der Staaten sowie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten vereinbar ist.

Art. 18 Dieses Übereinkommen berechtigt einen Vertragsstaat nicht, im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats Gerichtsbarkeit auszuüben oder Aufgaben wahrzunehmen, die nach dem innerstaatlichen Recht dieses anderen Vertragsstaats ausschliesslich dessen Behörden vorbehalten sind.

Art. 19 1. Dieses Übereinkommen berührt nicht die sonstigen Rechte, Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten von Staaten und Einzelpersonen nach dem Völkerrecht, insbesondere den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und dem humanitären Völkerrecht.

2. Die Tätigkeiten von Streitkräften während eines bewaffneten Konflikts im Sinne des humanitären Völkerrechts, die von jenem Recht erfasst werden, sind von diesem Übereinkommen nicht erfasst; die Tätigkeiten, die Streitkräfte eines Staates in Erfüllung ihrer dienstlichen Pflichten ausüben, sind von diesem Übereinkommen ebenfalls nicht erfasst, soweit sie von anderen Regeln des Völkerrechts erfasst sind.

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Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge. Internationales Übereinkommen

Art. 20 1. Jede Streitigkeit zwischen zwei oder mehr Vertragsstaaten über die Auslegung oder Anwendung dieses Übereinkommens, die nicht innerhalb einer angemessenen Frist durch Verhandlungen beigelegt werden kann, wird auf Verlangen eines dieser Staaten einem Schiedsverfahren unterworfen. Können sich die Parteien innerhalb von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem das Schiedsverfahren verlangt worden ist, über dessen Ausgestaltung nicht einigen, so kann jede dieser Parteien die Streitigkeit dem Internationalen Gerichtshof unterbreiten, indem sie einen seinem Statut entsprechenden Antrag stellt.

2. Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung dieses Übereinkommens oder beim Beitritt zu diesem erklären, dass er sich durch Absatz 1 nicht als gebunden betrachtet. Die anderen Vertragsstaaten sind gegenüber einem Vertragsstaat, der einen solchen Vorbehalt angebracht hat, durch Absatz 1 nicht gebunden.

3. Ein Vertragsstaat, der einen Vorbehalt nach Absatz 2 angebracht hat, kann diesen Vorbehalt jederzeit durch eine an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gerichtete Notifikation zurückziehen.

Art. 21 1. Dieses Übereinkommen liegt vom 12. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 1999 am Sitz der Vereinten Nationen in New York für alle Staaten zur Unterzeichnung auf.

2. Dieses Übereinkommen bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung.

Die Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt.

3. Dieses Übereinkommen steht allen Staaten zum Beitritt offen. Die Beitrittsurkunden werden beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt.

Art. 22 1. Dieses Übereinkommen tritt am dreissigsten Tag nach Hinterlegung der zweiundzwanzigsten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen in Kraft.

2. Für jeden Staat, der dieses Übereinkommen nach Hinterlegung der zweiundzwanzigsten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde ratifiziert, annimmt, genehmigt oder ihm beitritt, tritt es am dreissigsten Tag nach Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde durch diesen Staat in Kraft.

Art. 23 1. Jeder Vertragsstaat kann dieses Übereinkommen durch eine an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gerichtete schriftliche Notifikation kündigen.

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2. Die Kündigung wird ein Jahr nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär der Vereinten Nationen wirksam.

Art. 24 Die Urschrift dieses Übereinkommens, dessen arabischer, chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, wird beim Generalsekretär der Vereinten Nationen hinterlegt; dieser übermittelt allen Staaten beglaubigte Abschriften.

Zu Urkund dessen haben die von ihren Regierungen hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen, das am 12. Januar 1998 in New York zur Unterzeichnung aufgelegt wurde, unterschrieben.

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