99.427 Parlamentarische Initiative (Stamm Judith) Anrufinstanz bei Abstimmungskampagnen Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 25. Oktober 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen gemäss Artikel 21quater Absatz 3 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) den vorliegenden Bericht. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt mit 13:9 Stimmen, ihrem beiliegenden Gesetzesentwurf zuzustimmen. Eine Minderheit der Kommission (Joder, Antille, Baader Caspar, Engelberger, Fehr Hans, Fischer, Glur, Scherer, Tschuppert, Weyeneth) beantragt Nichteintreten.

25. Oktober 2001

Im Namen der Kommission

11680

Der Vizepräsident: Charles-Albert Antille

2001-2364

389

Übersicht Demokratie, und die direkte Demokratie im Besonderen, lebt von der öffentlichen Auseinandersetzung. Eine öffentliche Diskussion ist Voraussetzung dafür, dass sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger eine Meinung bilden können. Problematisch wird es, wenn die Debatte von finanzkräftigen Gruppen dominiert wird, welche bewusst Falschinformationen einsetzen, um die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen irrezuführen. Oft stehen der Gegenseite nicht die gleichen Mittel zur Verfügung, um solchen Behauptungen im gleichen Rahmen entgegnen zu können.

Vor diesem Hintergrund hat der Nationalrat am 23. März 2000 der parlamentarischen Initiative der früheren Nationalrätin Judith Stamm (CVP/LU) Folge gegeben.

Die Initiative (99.427) verlangt die Schaffung eines Gremiums, das während Abstimmungskampagnen zur Beurteilung zweifelhafter Aussagen in Werbetexten angerufen werden kann.

Es wird hier nun in Umsetzung dieser Initiative die Schaffung einer «Anrufinstanz für die Lauterkeit der politischen Werbung» vorgeschlagen. Es geht nicht darum, die Gesinnung von Kampagnenführern und -führerinnen zu beurteilen, sondern durch die Öffentlichmachung von irreführenden oder tatsachenwidrigen Aussagen in Abstimmungskampagnen den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern eine objektive Meinungsbildung zu ermöglichen.

Die Anrufinstanz wird im Bundesgesetz über die politischen Rechte verankert. Es ist vorgesehen, dass sie vom Tag der Schlussabstimmung zu einer Vorlage in den eidgenössischen Räten an von jeder stimmberechtigten Person angerufen werden kann.

Beanstandet werden können Aussagen in Werbetexten, welche als irreführend oder tatsachenwidrig taxiert werden. Die Instanz erarbeitet eine Stellungnahme, welche den Medien zugeleitet wird.

Die Anrufinstanz soll aus sieben Personen zusammengesetzt sein, die mit dem politischen Alltag vertraut sind, jedoch auf eidgenössischer Ebene Abstand zur Tagespolitik gewonnen haben. Neben Personen mit politischem Know-how sollen auch solche mit fachlichem Sachverstand der Instanz angehören. Es soll dem Bundesrat obliegen, die geeigneten unabhängigen Persönlichkeiten wie auch den Vorsitz der Instanz zu bestimmen. Der Instanz soll ein Sekretariat zur Verfügung stehen, welches administrativ der Bundeskanzlei beigeordnet ist.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Die parlamentarische Initiative Stamm Judith (99.427)

Am 16. Juni 1999 reichte die damalige Nationalrätin Judith Stamm (CVP/LU) eine parlamentarische Initiative ein. Darin verlangte sie die Schaffung eines Gremiums, welches während Abstimmungskampagnen zur Beurteilung zweifelhafter Aussagen in Werbetexten angerufen werden kann. Das Gremium sollte im Bundesgesetz über die politischen Rechte verankert werden. Das unter dem Vorsitz der beiden Präsidenten von National- und Ständerat arbeitende Gremium soll gemäss Vorschlag der Initiantin gleichsam mit einer Art Qualitätskontrolle der öffentlichen Auseinandersetzung betraut werden. Es soll aber keine Sanktionsgewalt strafrechtlicher oder anderer Art haben, sondern Stellung nehmen zur Plausibilität und zum Wahrheitsgehalt von Argumenten und Thesen. Es soll diese Stellungnahme rechtzeitig vor der Öffentlichkeit als spezifischen Diskussionsbeitrag zur Sache vertreten.

Die Initiantin stand unter dem Eindruck von Abstimmungskampagnen, in denen mit Zuspitzungen und Simplifikationen gearbeitet wurde, welche ihrer Ansicht nach der Sache nicht mehr gerecht wurden und die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen recht eigentlich irreführten. Nach Ansicht der Initiantin ist dies vor allem dann stossend, wenn dies in Inseraten mit Massenauflagen geschieht, ohne dass darauf entsprechend prominent und sichtbar entgegnet werden kann. Von der Existenz eines Gremiums, das in solchen Fällen von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern angerufen werden kann, erhofft sich die Initiatin auch eine präventive Wirkung.

1.2

Zustimmung durch den Nationalrat und Ausarbeitung einer Vorlage durch die Subkommission «Medien und Demokratie»

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat am 11. November 1999 die Initiative vorgeprüft und dem Rat mit 11:6 Stimmen beantragt, der Initiative Folge zu geben. Die Mehrheit der Kommission stellte eine Tendenz zur willentlichen Irreführung der Bürgerinnen und Bürger in immer aufwändiger geführten Abstimmungskampagnen fest. Sie sah vor diesem Hintergrund einen Handlungsbedarf. Die Kommission betrachtete die vorgeschlagene Anrufinstanz als geeignetes Mittel zur Förderung der korrekten demokratischen Auseinandersetzung, ähnlich wie der Presserat durch die öffentliche Feststellung von Verstössen gegen die journalistische Ethik die Qualität der Printmedien fördert. Die Kommissionsminderheit war der Ansicht, dass die Grenzziehung zwischen Wahrheit und Unwahrheit in der politischen Auseinandersetzung äusserst schwierig sei und nicht einem staatlichen Organ übertragen werden könne. Die Minderheit glaubte auch, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht so leicht in die Irre führen liessen.

Der Nationalrat ist am 23. März 2000 den Argumenten der Kommissionsmehrheit gefolgt und hat der Initiative mit 65:56 Stimmen Folge gegeben (AB 2000 435). Die

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Staatspolitische Kommission wurde in der Folge mit der Ausarbeitung einer Vorlage beauftragt. Diese übertrug diese Aufgabe ihrer bereits bestehenden Subkommission «Medien und Demokratie»1, welche diese Vorlage unter Beizug eines Experten aus der Bundeskanzlei erarbeitet hat.

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat am 25. Oktober 2001 dem Vorentwurf ihrer Subkommission mit 13:9 Stimmen zugestimmt.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ziel: Unverfälschte Willensbildung und nicht Gesinnungsbeurteilung

Die Kommission erachtet die öffentliche Debatte vor Abstimmungen als Seele der direkten Demokratie. Nur wenn das Pro und Contra eine Vorlage öffentlich und engagiert diskutiert werden, kann sich der Stimmbürger oder die Stimmbürgerin eine Meinung bilden. Die freie Willensbildung wird jedoch massiv eingeschränkt, wenn vor einer Abstimmung von finanzstarken Gruppen grossflächig Aussagen gemacht werden, welche nicht den Tatsachen entsprechen, und keine andere Gruppe über die entsprechenden Mittel verfügt, um im gleichem Ausmass replizieren zu können.

Solche Aussagen bleiben dann unwidersprochen im Raum, ohne dass gewiss ist, dass alle Stimmbürger oder Stimmbürgerinnen Berichtigungen zur Kenntnis nehmen konnten.

Aufgabe des Gremiums wird es deshalb sein, auf Anfrage von Bürgern und Bürgerinnen solche Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überpüfen und der Öffentlichkeit eine Stellungnahme zu unterbreiten. Dabei geht es in keiner Weise um eine Beurteilung der Gesinnung. Die Freiheit der Meinungsäusserung und -bildung soll nicht etwa beschränkt, sondern erst ermöglicht werden. Durch einen höheren Wahrheitsgehalt der Abstimmungskampagnen sollen die Bürgerinnen und Bürger unterstützt werden, die an sachlichen Diskussionen interessiert sind, aber nicht die Mittel haben, selbst aktiv an der Kampagne teilzunehmen.

Die Schaffung dieser Instanz ist vor dem Hintergrund der in Artikel 34 Absatz 2 der Bundesverfassung verankerten Grundrechte der freien Meinungsbildung und der unverfälschten Stimmabgabe zu sehen. Frei kann seine Meinung nur bilden, wer über die richtigen Informationen verfügt und nicht absichtlich irregeleitet wird. Das zu schaffende Gremium hat einen Beitrag zu leisten zur Verwirklichung dieses Grundrechts.

2.2

Politische und kommerzielle Werbung: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Die Frage der Lauterkeit in der Werbung ist nicht neu, sondern ein zentrales Thema in der kommerziellen Werbung. Das Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb nennt einen ganzen Katalog von Kriterien, auf Grund derer ein Wettbewerbsverhal1

392

Mitglieder: Gross Andreas (Präsident), Antille, Aeppli Wartmann, Bühlmann, Eberhard, Engelberger, Joder, Leuthard, Weyeneth

ten als unlauter zu bezeichnen ist. Die Schweizerische Lauterkeitskommission wendet diese Kriterien seit 1966 auf die kommerzielle Kommunikation an. Die neu geschaffene Instanz kann hier also auf eine breite Praxis zurückgreifen.

Nun muss jedoch beachtet werden, dass politische Werbung in einem noch viel heikleren Zusammenhang gesehen werden muss und noch viel schwierigere Gegenstände beinhaltet. Es geht hier nicht um das Feilbieten von Produkten oder Dienstleistungen, sondern um das Vertreten von Meinungen in einer pluralistischen Demokratie und in einer vielfältigen politischen Öffentlichkeit. Während nach relativ einfachen Kriterien überprüft werden kann, ob die Angaben über ein bestimmtes Produkt stimmen oder nicht, ist es bereits relativ schwierig, schon nur den Tatsachengehalt von politischen Aussagen zu überprüfen, zumal diese in der Regel die Auswirkungen einer bestimmten Verfassungs- oder Gesetzgebung betreffen und somit in die Zukunft weisen. Von der Gesetzesevaluation her ist bekannt, dass Gesetze häufig andere Auswirkungen haben können als erwartet. Deshalb kann eine von einem Abstimmungskomitee behauptete Auswirkung einer Gesetzesänderung nicht a priori als falsch bezeichnet werden, auch wenn sie vom Parlament in keiner Weise mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung beabsichtigt wird. Dagegen gibt es durchaus Behauptungen in Kampagnen, die als irreführend oder tatsachenwidrig enthüllt werden können. Wenn zum Beispiel die Annahmen über Auswirkungen, welche eine Gesetzesänderung gemäss Angaben eines Abstimmungskomitees haben wird, auf falschem Datenmaterial beruhen, so kann dies öffentlich klargestellt werden. Dies wird eine der Aufgaben der neuen Instanz sein.

Hingegen wird die Instanz nicht einschreiten können, wenn sich eine Kampagne effekthascherisch, zum Beispiel mit übertriebener Symbolik und Zuspitzungen präsentiert. Dies gilt übrigens analog zur kommerziellen Werbung. Es ist gerade das Wesen der Werbung, dass sie die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und deshalb mit entsprechenden Mitteln arbeiten muss. Eine gewisse Dynamik in der politischen Auseinandersetzung vor Abstimmungen ist zudem durchaus erwünscht, damit die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger überhaupt auf die Frage aufmerksam werden.

2.3

Unabhängigkeit als absolutes Erfordernis

Damit die Anrufinstanz, an die sich jede stimmberechtigte Person wenden kann, glaubwürdig ist, muss sie entsprechend zusammengesetzt sein. Es muss sich um Personen handeln, die eine gewisse Distanz zum politischen Alltagsgeschehen haben.

Andererseits darf natürlich auch der politische wie auch der fachliche Sachverstand nicht fehlen. Es soll dem Bundesrat obliegen, die geeigneten Personen zu bestimmen.

2.4

Einfache, Zeit sparende Verfahren

Die Anrufinstanz wird mit sehr kurzen Fristen arbeiten müssen. Abstimmungskampagnen interessieren im Hinblick auf ein bestimmtes Abstimmungsdatum, danach interessiert weniger, ob die darin gemachten Aussagen korrekt waren oder nicht. Die Anrufinstanz wird deshalb mit sieben Mitgliedern als kleines Gremium konzipiert, welches kurzfristig zusammengerufen werden kann. Beanstandungen können vom 393

Tag der Schlussabstimmung in den eidgenössischen Räten an vorgebracht werden und müssen von der Anrufinstanz innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist behandelt werden. Je früher eine solche Stellungnahme der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann, desto grösser ist die Chance, dass sie von dieser wahrgenommen wird und die Wirkung von Falschaussagen abnimmt.

Die Werbenden sollen Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Doch ist auch hier darauf zu achten, dass das Verfahren nicht blockiert wird. Dementsprechend ist eine Frist zu setzen. Es ist allerdings zu betonen, dass es sich hier um Beanstandungen und nicht um Beschwerden handelt, und somit keine Rechtsmittel ergriffen werden können.

2.5

Herstellung von Öffentlichkeit und Prävention

Die Anrufinstanz verfügt rechtlich über keine Sanktionsmöglichkeiten. Sie ist keine richterliche Behörde und verfügt weder über ein Entscheidungs- noch ein Weisungsrecht. Sie kann jedoch Wirkung erzielen, indem sie der Öffentlichkeit via Medien mitteilt, wenn sie zum Schluss kommt, dass in einer Kampagne unkorrekte Aussagen gemacht werden. Es darf angenommen werden, dass die Medien solche Stellungnahmen prominent publizieren werden. Die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen erhalten dadurch eine fundierte Gegeninformation zu derjenigen, mit welcher sie in Inseraten konfrontiert werden.

Schliesslich ist die Wirkung dieser Instanz auch in der Prävention zu sehen. Es kann durchaus wirkungsvoll sein, in einer Inseratekampagne gezielt Falschinformationen einzusetzen, wenn man weiss, dass der politische Gegner keine Mittel haben wird, um im gleichen Umfang darauf reagieren zu können. Daran ändert auch der eine oder andere Leserbrief nichts, welcher festhält, dass die entsprechenden Angaben nicht stimmen. Wenn nun aber damit gerechnet werden muss, dass die Angaben überprüft und über allfällige Falschaussagen in den Medien prominent berichtet wird, dann werden sich einige Kampagnenführer mehr Zurückhaltung auferlegen.

2.6

Ansicht der Minderheit: Verzicht auf eine Anrufinstanz

Die Minderheit der Kommission ist der Ansicht, dass auf eine Anrufinstanz für die Lauterkeit der Werbung in Abstimmungskampagnen verzichtet werden sollte. Die Minderheit erachtet es der schweizerischen Demokratie als unwürdig, eidgenössische Abstimmungskontrolleure einzuführen. Gegen eine solche Instanz sprechen ihrer Ansicht nach verschiedene Argumente: 1.

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In einer lebendigen Demokratie sollten Argumente und Meinungen frei geäussert werden können, ohne dass eine staatliche Instanz eingreift. Wenn eine Kampagne zu weit geht, dann würden die Vertreterinnen und Vertreter der anderen Meinung sofort reagieren und allfällige Unwahrheiten anprangern. Dass dies bestens funktioniere, zeige das Beispiel der Kampagne zur Fristenregelung. Hier finde bereits eine öffentliche Diskussion statt über die Methoden der Kampagnenführer.

2.

Es bestehe die Gefahr, dass die Anrufinstanz für Abstimmungskampagnen instrumentalisiert würde. Ein Komitee könnte versuchen, aus einer Feststellung der Instanz zu einer Beanstandung politisch Kapital zu schlagen. Die Anrufinstanz würde somit selber Partei und könnte ihrer ursprünglich zugedachten Aufgabe nicht mehr gerecht werden.

3.

Es sei nicht möglich, genügend politisch ungebundene Personen zu finden, um die Anrufungsinstanz personell neutral zu besetzen.

4.

Die Grenzziehung zwischen Wahrheit und Unwahrheit in der politischen Auseinandersetzung sei sehr schwierig vorzunehmen. Unwahr könnten nur sehr offensichtliche Unrichtigkeiten sein, die aber für alle einsehbar und überprüfbar seien. Bei Abstimmungskampagnen gehe es häufig um die Beurteilung der Wirksamkeit, welche eine Gesetzesvorlage in Zukunft haben wird. Dabei gehe es um Prognosen, welche sich erst rückblickend als falsch oder richtig erweisen würden. Zum Zeitpunkt der Abstimmung könne nicht definitiv gesagt werden, welche Auswirkungen ein Gesetz haben wird. Solche Aussagen liessen sich denn auch nicht unter den Gesichtspunkten der «Irreführung» oder der «Tatsachenwidrigkeit» beurteilen. Die meisten in einem Abstimmungskampf gemachten Aussagen würden jedoch in die Zukunft weisen und liessen sich deshalb kaum von der Instanz überprüfen.

5.

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger seien in der Lage, sich ihre Meinung eigenständig zu bilden. Unwahrheiten würden in der Regel durchschaut. Es sei deshalb sehr fraglich, ob ein solches Organ überhaupt Auswirkungen auf die Meinungsbildung der Abstimmenden habe, und wenn ja, welches effektiv diese Auswirkungen wären.

6.

In einer offenen, demokratischen Gesellschaft habe der Staat nicht mit Anleitungen und Verfahrensregeln in den politischen Meinungsbildungsprozess einzugreifen. Es bestehe die Gefahr, dass ein solches Kontrollorgan das verfassungsmässig garantierte Grundrecht der Meinungsäusserungsfreiheit einschränken würde. Artikel 16 Absatz 2 der Bundesverfassung müsse unbedingt gewahrt bleiben.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Name der Anrufinstanz

Der Titel soll, ohne falsche Erwartungen zu erwecken, möglichst genau wiedergeben, worum es bei der zu schaffenden Stelle geht. Es geht hier um die Frage der Lauterkeit in der Werbung, konkreter in der politischen Werbung, und zwar nur im Hinblick auf Abstimmungskampagnen.

Die Anrufinstanz soll im Bundesgesetz über die politischen Rechte als eigener Titel 6a eingefügt werden.

395

3.2

Aufgabe (Art. 82a)

Die Anrufinstanz nimmt Stellung zu Beanstandungen. Der Begriff «Beanstandung» wurde aus Artikel 60 RTVG übernommen. Gemäss diesem Artikel können bei der Ombudsstelle von Radio- und Fernsehveranstaltern Beanstandungen gegen Sendungen vorgebracht werden. Die Ombudsstelle klärt dann den Sachverhalt mit den Beteiligten ab. Erst wenn die Betroffenen mit dem Bericht der Ombudsstelle nicht einverstanden sind, können sie mit einer Beschwerde vor die Unabhängige Beschwerdeinstanz gelangen. Im hier vorliegenden Fall der Überprüfung von Abstimmungskampagnen ist es angezeigt, sich auf den ersten Teil dieses Verfahrens zu beschränken und die Analogie zu einer Ombudsstelle herzustellen: Die Anrufinstanz nimmt auf Anfrage öffentlich Stellung dazu, ob ein in einer Abstimmungskampagne dargestellter Sachverhalt den Tatsachen entspricht oder nicht, sie urteilt aber nicht über den Werber oder die Werberin. Es ist deshalb nur die Möglichkeit einer Beanstandung und nicht einer Beschwerde vorzusehen. Wäre Letzteres der Fall, dann müssten der Rechtsweg vorgesehen werden und verschiedene verfahrensrechtliche Grundsätze berücksichtigt werden, welche ein speditives Verfahren kaum ermöglichen würden. Ein Beschwerderecht im juristischen Sinn könnte zu einer Verrechtlichung der politischen Diskussion führen, was nicht wünschenswert ist.

3.2.1

Stellungnahme zu Aussagen im Rahmen politischer Werbung bei Abstimmungen

Die Beanstandungen richten sich gegen Aussagen, die im Rahmen politischer Werbung gemacht werden. Die Werbung muss im Hinblick auf eine konkrete eidgenössische Volksabstimmung stattfinden. Die Anrufinstanz nimmt nicht Stellung zu politischer Werbung, welche im Vorfeld von Wahlen gemacht wird oder allgemein bestimmte Ideen propagiert.

Legitimiert zur Beanstandung sind stimmberechtigte Personen, denn nur sie sind von der politischen Werbung im Hinblick auf Abstimmungen direkt betroffen.

Der Begriff «Werbung» ist definitionsbedürftig. Anhaltspunkt kann hier die Definition in Artikel 11 Absatz 1 der Radio- und Fernsehverordnung (SR 784.401) liefern.

Danach gilt als Werbung «jede öffentliche Äusserung zur Förderung des Abschlusses von Rechtsgeschäften über Waren und Dienstleistungen, zur Unterstützung einer Sache oder Idee oder zur Erzielung einer anderen vom Werbetreibenden gewünschten Wirkung, wofür dem Werbetreibenden gegen Bezahlung oder eine ähnliche Gegenleistung Sendezeit zur Verfügung gestellt wird». Von Werbung wird also dann gesprochen, wenn eine Äusserung öffentlich stattfindet und Geld bezahlt oder eine andere Gegenleistung erbracht wird, um diese Äusserung anbringen zu können. Für unsere Bedürfnisse hier greift diese Definition etwas zu kurz. Es ist durchaus denkbar, dass ein Abstimmungskomitee selber eine Broschüre herstellt und diese entweder in alle Haushalte oder an einen bestimmten Personenkreis verteilen lässt. Der Begriff der «politischen Werbung» soll hier deshalb so weit gefasst werden, dass auch solche Publikationen erfasst werden können. Unter den Begriff «politische Werbung» sollen somit alle Äusserungen fallen, welche im Rahmen von Werbung im kommerziellen Sinn oder im Rahmen von eigens im Hinblick auf eine bestimmte Abstimmung hergestellten Publikationen gemacht werden, in denen für den politischen Gegner kein Raum zur unentgeltlichen Gegendarstellung besteht.

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Nicht unter den Begriff «politische Werbung» fallen die redaktionellen Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften. Auch kann der Inhalt von Gratiszeitungen nicht a priori als Werbung bezeichnet werden, da verschiedene solche Gratiszeitungen ihren redaktionellen Teil durchaus als Information verstehen. Wenn ein Presseerzeugnis regelmässig erscheint und jeder Leser und jede Leserin die Möglichkeit hat, darin einen Leserbrief zu publizieren, so sind die redaktionellen Beiträge in diesem Organ nicht als politische Werbung zu taxieren, auch wenn die darin publizierten Artikel eine klare politische Meinung zum Ausdruck bringen. Anders sieht es aus, wenn ein Abstimmungskomitee in einer einmaligen Aktion eine Broschüre in alle Haushalte verteilen lässt. Hier besteht kein Forum für eine Stellungnahme im Rahmen dieses Organs. Die Möglichkeit, unentgeltlich im gleichen Rahmen auf eine Äusserung reagieren zu können, ist somit zentrales Kriterium dafür, ob eine Äusserung Gegenstand einer Beanstandung sein kann oder nicht. Somit eindeutig nicht beanstandet werden können Äusserungen an Podiumsdiskussionen oder in Leserbriefen.

3.2.2

Gegenstand von Beanstandungen

Die Anrufinstanz soll gemäss Initiativtext angerufen werden können «zur Beurteilung zweifelhafter Aussagen in Inseraten und anderen Werbetexten».

Wegleitend für die Bestimmung des Gegenstandes einer Anrufung kann die entsprechende Terminologie im Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG, SR 241) sein. Dabei ist jedoch vorweg festzuhalten, dass politische Werbung ein äusserst sensibler Bereich ist, geht es doch hier um die verfassungrechtlich gewährleistete Meinungsfreiheit und nicht um das Anpreisen von Produkten und Dienstleistungen.

Nach Artikel 3 Buchstabe a UWG handelt insbesondere unlauter, «wer andere, ihre Waren, Werke, Leistungen, (...) durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen herabsetzt». In welchen konkreten Fällen sind Äusserungen als «unrichtig», «irreführend» und «unnötig verletzend» zu bewerten? Dazu existiert eine Gerichtspraxis sowie die Praxis der Lauterkeitskommission; diese Terminologie und die darauf abgestützte Praxis aus dem Bereich des wirtschaftlichen Wettbewerbs könnten sinngemäss auch auf den politischen «Wettbewerb» angewendet werden. In ihren Grundsätzen nimmt die Lauterkeitskommission zudem eine Definition der Kriterien «unrichtig», «irreführend» und «unnötig verletzend» vor, welche jedoch nur teilweise auf die politische Werbung angewendet werden kann (Schweizerische Lauterkeitskommission: Grundsätze: Lauterkeit in der kommerziellen Kommunikation, S. 10 f.).

Es stellt sich hier die Frage, welche Kriterien für die Beurteilung politischer Werbung übernommen werden sollen: ­

Für die Beschränkung auf «unrichtig» bzw. «tatsachenwidrig» spricht, dass sich die Anrufinstanz keinesfalls dem Vorwurf der Gesinnungsbeurteilung aussetzen sollte. Es handelt sich um das objektiv am besten überprüfbare Kriterium, kann doch die gemachte Aussage an konkreten Tatsachen gemessen werden. Weil umgangssprachlich auch eine Meinung als «richtig» bzw.

«unrichtig» bezeichnet werden kann, gibt der Ausdruck «tatsachenwidrig» dieses Kriterium noch präziser und unmissverständlicher wieder. Das Tätigkeitsfeld der Anrufinstanz würde allerdings durch die Beschränkung auf die397

sen Begriff erheblich eingeschränkt, denn es ist davon auszugehen, dass die Werbetreibenden sich doch eine gewisse Zurückhaltung mit tatsachenwidrigen Aussagen auferlegen.

­

Weniger zurückhaltend werden einige mit «irreführenden» Aussagen sein.

Solche Aussagen müssen nicht unbedingt falsch sein, sondern können zum Beispiel auf ungesagten falschen Grundannahmen aufbauen, Tatsachen unterdrücken oder Bezüge herstellen, welche dem durchschnittlichen Verständnis des Lesers oder der Leserin nicht Rechnung tragen (vgl. Grundsätze der Lauterkeitskommission, S. 11). Solche subtile irreführende Beeinflussung der Stimmberechtigten verdient es, festgehalten und öffentlich widersprochen und berichtigt zu werden.

­

Bisweilen werden in Abstimmungskampagnen auch Aussagen gemacht, welche unter die Kategorie «unnötig verletzend» fallen. Dabei kann es sich zum Beispiel um Aussagen mit rassistischem oder sexistischem Inhalt handeln.

Allerdings ist hier die Frage zu stellen, ob die Feststellung solcher Aussagen tatsächlich dem Ziel, welches die Anrufinstanz verfolgen soll, dient. Die Anrufinstanz wird geschaffen, um öffentlich Fehlinformationen entgegentreten zu können, welche sonst unwidersprochen unter den Stimmberechtigten verbreitet werden. Verletzende Aussagen fallen jedoch in eine andere Kategorie, welche durch das Zivil- oder Strafrecht erfasst werden. Wenn jemand in einer Kampagne fordert, «alle Afrikaner raus aus der Schweiz», dann ist das keine Falschinformation, sondern eine politische Forderung, die im Zusammenhang mit dem Antirassismusgesetz strafrechtlich relevant sein kann. Die Anrufinstanz sollte sich nicht mit Äusserungen auseinandersetzen, die Gegenstand zivil- oder strafrechtlicher Verfahren sein können.

Es wird hier deshalb vorgeschlagen, dass sowohl irreführende wie auch tatsachenwidrige Aussagen Gegenstand von Beanstandungen sein können. Eine Beschränkung auf das Kriterium der «Tatsachenwidrigkeit» ist insofern nicht sinnvoll, als solche Aussagen häufig als tatsachenwidrig erkannt werden und auch öffentlich kritisiert werden. Was im Vordergrund steht, sind irreführende Aussagen, die vielleicht nicht auf den ersten Blick erkannt werden. Da auch tatsachenwidrige Aussagen in die Irre führen, wird auch dieser Begriff aufgeführt.

3.2.3

Unabhängigkeit der Anrufinstanz

Schliesslich ist in Absatz 2 festzuhalten, dass die Anrufinstanz an keine Weisungen gebunden ist. Das explizite Festhalten der Unabhängigkeit dieser Instanz drängt sich auf, ist doch ihre Wirksamkeit auf Gedeih und Verderb von ihrer Glaubwürdigkeit abhängig.

398

3.3

Verfahren (Art. 82b)

3.3.1

Modalitäten und Fristen

In Absatz 1 wird die Frist genannt, ab wann eine Beanstandung deponiert werden kann. Es wird hier die Schlussabstimmung in den eidgenössischen Räten vorgeschlagen. Bei Vorlagen, welche die Verfassung betreffen, ist bereits zu diesem Zeitpunkt klar, dass eine Volksabstimmung stattfinden wird. Die meisten Kampagnen setzen heute bereits zu diesem Zeitpunkt ein, auch wenn das Abstimmungsdatum noch nicht feststeht. Will die Anrufinstanz glaubwürdig sein, dann muss auch sie bereits zu diesem Zeitpunkt angerufen werden können. Was die Vorlagen betrifft, welche dem fakultativen Referendum unterstehen, so ist der Zeitpunkt Schlussabstimmung insofern sinnvoll, als auch die Referendumsfrist erfasst wird. Häufig wird bereits zu diesem Zeitpunkt Werbung zum Zweck der Unterschriftensammlung und auch schon im Hinblick auf die eventuelle Abstimmung betrieben. Diese Fristsetzung trägt dem Umstand Rechnung, dass immer mehr Kampagnen sehr langfristig angelegt sind und einen «emotionalen Teppich» legen wollen, wie das Beispiel der Kampagne zur Fristenregelung zeigt.

Die Beanstandung kann innert zehn Tagen nach Veröffentlichung der betreffenden Aussage beim Sekretariat der Anrufinstanz eingereicht werden. Durch die Fristsetzung von zehn Tagen soll verhindert werden, dass durch die Verzögerung der Einreichung einer Beanstandung die Frist für die Stellungnahme der Verantwortlichen verkürzt wird (vgl. Abs. 2). Diskutiert wurde auch, ob die Beanstandung nach «Kenntnisnahme» der Aussage zu erfolgen hat. Aber auch so könnte die Verzögerungstaktik angewendet werden, indem geltend gemacht wird, man habe erst jetzt von den Aussagen Kenntnis genommen. Wird hingegen ein Inserat in Zeitungen in den verschiedenen Regionen zu verschiedenen Zeitpunkten publiziert, so wird dem Rechnung getragen werden müssen.

Von den Personen, die eine Beanstandung anbringen wollen, muss zudem eine Begründung verlangt werden, damit die Anrufinstanz weiss, um welche Aussagen es genau geht und was beanstandet wird. Die Begründung muss der Anrufinstanz auch dazu dienen, um beurteilen zu können, ob sie auf die Beanstandung eintreten kann.

Allerdings dürfen an die Begründung keine allzu grossen Anforderungen gestellt werden.

3.3.2

Vernehmlassung der für die Aussagen Verantwortlichen

Artikel 29 Absatz 2 der Bundesverfassung garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör als Grundrecht. Auch wenn es sich hier nicht um ein richterliches Verfahren handelt, sollte dem Rechnung getragen werden. Die hier in Absatz 2 vorgeschlagene Bestimmung orientiert sich an Artikel 64 Absatz 1 RTVG, enthält jedoch zusätzlich eine Frist, bis wann die Gelegenheit zur Vernehmlassung genutzt werden kann. Die Fristen von zehn bzw. von fünf Tagen unmittelbar vor der Abstimmung sind relativ kurz. Es muss allerdings verhindert werden, dass durch das Recht auf Vernehmlassung das Verfahren so lange blockiert werden kann, bis die Stellungnahme der Anrufinstanz an Bedeutung verloren hat, weil die Volksabstimmung schon stattgefunden hat. Wenn der Urheber oder die Urheberin der Kampagne auf Grund der 399

Angaben auf dem Werbetext nicht auszumachen ist, fällt das Recht auf Stellungnahme dahin. Allenfalls kann dadurch Zeit gewonnen werden, dass die Vernehmlassung mündlich vor der Anrufinstanz erfolgt. Diese Möglichkeit soll deshalb explizit vorgesehen werden.

3.3.3

Feststellung durch die Anrufinstanz

Nachdem die Anrufinstanz auf die Beanstandung eingetreten ist, besteht nun ihre Aufgabe darin, festzustellen, ob die beanstandete Aussage tatsächlich irreführend oder tatsachenwidrig ist. Sie hat dazu eine schriftliche Stellungnahme vorzubereiten.

Die Stellungnahme ist ­ wie auch beim Presserat üblich, vgl. Artikel 18 seines Reglementes ­ zu veröffentlichen. In der Publikmachung ihrer Stellungnahme liegt die Wirkung der Anrufinstanz, welcher sonst keine Sanktionsmöglichkeiten zukommen.

Damit der Anrufinstanz nicht vorgeworfen werden kann, dass sie willkürlich Entscheide hinauszögert, drängt sich eine Behandlungsfrist auf. Dies umso mehr, als mit dem Datum der Schlussabstimmung ein relativ früher Zeitpunkt gewählt wurde, ab dem Beanstandungen eingereicht werden können. Die Instanz soll, sobald die Beanstandung eingetroffen ist, 30 Tage Zeit haben, um ihre Stellungnahme zu erarbeiten.

Es soll darauf verzichtet werden, den Werber oder die Werberin zu verpflichten, die Stellungnahme auf seine Kosten zu veröffentlichen. Dies wäre vermutlich schwer durchsetzbar, weil die Verantwortlichkeiten für Äusserungen in Abstimmungskämpfen nicht immer eindeutig bestimmten juristischen oder natürlichen Personen zugewiesen werden können. Zudem wäre es in vielen Fällen schwierig, das adäquate Publikationsorgan zu bestimmen.

3.3.4

Verkürzung der Fristen unmittelbar vor der Abstimmung

Die Stimmberechtigten sollen das Recht haben, auch kurz vor der Abstimmung noch Beanstandungen vorzubringen. Allerdings ist es dann nicht mehr realistisch, mit den Fristen von zehn Tagen für die Einreichung der Beanstandung bzw. der Vernehmlassung und mit der Frist von 30 Tagen für die Anrufinstanz zu arbeiten. Die Stellungnahmen der Anrufinstanz würden mit diesen Fristen erst nach der Abstimmung vorliegen und ihre Wirkung dadurch weitgehend verlieren. Es wird hier deshalb vorgeschlagen, ab sechs Wochen vor der Abstimmung die Fristen für die Einreichung einer Beanstandung oder der Vernehmlassung auf fünf Tage sowie die Frist für die Erarbeitung der Stellungnahme durch die Anrufinstanz auf zehn Tage zu kürzen.

3.3.5

Keine Entscheidungs- und Weisungsbefugnis

Die Anrufinstanz hat keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis. Das heisst, ihre Stellungnahmen haben keinen Verfügungscharakter und können somit auch nicht gerichtlich angefochten werden.

400

3.3.6

Kostenloses Verfahren

Jede stimmberechtigte Person soll unabhängig von ihren finanziellen Mitteln die Möglichkeit haben, eine Beanstandung vorzubringen. Deshalb soll im Gesetz festgehalten werden, dass das Verfahren kostenlos ist. Dies ist übrigens auch beim Verfahren vor dem Presserat der Fall (Art. 20 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates).

3.4

Zusammensetzung (Art. 82c)

Um kurzfristig handeln zu können, darf die Anrufinstanz nicht zu gross sein. Sie soll deshalb aus sieben Mitgliedern bestehen.

Die personelle Zusammensetzung der Instanz soll nicht gesetzlich festgelegt werden.

Der Bundesrat soll sieben geeignete Personen sowie den Vorsitz der Instanz wählen.

Wichtigstes Kriterium dabei ist die Unabhängigkeit dieser Personen. Es sollte sich um Personen handeln, die den politischen Entscheidungsprozess kennen, jedoch eine gewisse Distanz zu diesem haben. Denkbar wären zum Beispiel ehemalige Mitglieder der eidgenössischen Räte, die ein gewisses Ansehen geniessen. Amtierende Mitglieder der Räte sollten hingegen, entgegen dem ursprünglichen Vorschlag der Initiantin, der Instanz nicht angehören. Dies soll auch für Mitglieder kantonaler Parlamente gelten. Der Vorwurf der Parteilichkeit würde allzu schnell gemacht.

Politikerinnen und Politiker werden mit ihrer Partei identifiziert und sind somit in einer solchen Instanz unglaubwürdig, auch wenn sie sich bemühen, überparteilich zu urteilen.

In die Instanz sollte jedoch nicht nur politisches, sondern auch fachliches Knowhow einfliessen. Die Mitglieder sollen verschiedenen Sachverstand in die Instanz einbringen. Sinnvoll sind zum Beispiel Fachleute aus der Werbung und dem Medienwesen, Personen mit Kenntnissen im Verfahrensrecht (Angehörige von richterlichen Behörden), Angehörige von Universitäten. Sinnvollerweise gehört auch die Bundeskanzlerin dem Gremium an. Sie hat die wichtigen Informationen über die Abstimmungsvorlagen und kann Kontinuität herstellen.

Allenfalls wird es sinnvoll sein, dass die Anrufinstanz Experten beizieht. Dies zum Beispiel dann, wenn es um die Interpretation von Statistiken geht.

Der Bundesrat drängt sich als Wahlorgan auf, da er für die Durchführung von Abstimmungen verantwortlich ist. Indem die Wahl der Mitglieder durch den Bundesrat erfolgt, soll der Anrufinstanz entsprechendes Gewicht verliehen werden. So werden zum Beispiel auch die Mitglieder der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen vom Bundesrat gewählt.

Im Weiteren hat der Bundesrat auch fünf Ersatzmitglieder zu wählen. Dadurch soll verhindert werden, dass die Anrufinstanz in allzu geringer Besetzung Stellungnahmen verabschiedet. Die Stellungnahmen der Instanz sollen ein gewisses Gewicht haben und nicht nur ­ je nach
Anwesenheiten und Entscheidmodus ­ von zwei bis drei Mitgliedern getragen werden. In Absatz 3 wird deshalb vorgeschlagen, dass die Instanz nur dann beschlussfähig ist, wenn alle sieben Mitglieder anwesend sind. Ist dies nicht möglich, kommen die Ersatzmitglieder zum Zug. Gemäss welchen Modalitäten die Instanz ihre Stellungnahmen verabschiedet ­ einfaches Mehr, absolutes Mehr, 401

einstimmig ­ wird diese in ihrem Reglement festzulegen haben. Dort wird auch zu regeln sein, wieweit allfällige Minderheitsmeinungen zum Ausdruck gebracht werden können.

3.5

Organisation und Sekretariat (Art. 82d)

3.5.1

Reglement

Es ist vorgesehen, dass die Anrufinstanz konkrete Verfahrens- und Organisationsbestimmungen in einem Reglement festhält. Dieses Reglement muss von der Bundesversammlung genehmigt werden. Dies drängt sich auf, weil in diesem Reglement nicht nur organisatorische Fragen, wie die spezifischen Aufgaben des Sekretariates geregelt werden, sondern auch Fragen des Verfahrens. So muss zum Beispiel präzisiert werden, ab wann genau welche Fristen gelten, oder welches Verfahren für die Vernehmlassung der für die Aussagen Verantwortlichen in welchem Fall zum Zuge kommt. Die Bundesversammlung als demokratisch legitimiertes Organ soll beurteilen, ob diese für die Betroffenen zentralen Verfahrensfragen, für deren detaillierte Regelung die Gesetzesstufe nicht geeignet ist, im Reglement korrekt geregelt werden.

3.5.2

Sekretariat

Die Anrufinstanz braucht ein Sekretariat für die administrative Vorbereitung und den Vollzug ihrer Beschlüsse, sowie vor allem auch für die inhaltliche Vorbereitung der Stellungnahmen. Das Sekretariat soll der Bundeskanzlei administrativ zugeordnet werden. Die Bundeskanzlei ist diejenige Verwaltungsstelle, welche mit dem Ablauf von Abstimmungen am vertrautesten ist. Wie viele Personen nötig sein werden, wird sich wahrscheinlich erst durch die Praxis erweisen.

Das System, der administrativen Zuordnung von Sekretariatspersonal ist auch bei anderen unabhängigen Instanzen und Beauftragten bekannt (unabhängige Beschwerdeinstanz, Preisüberwacher, Datenschutzbeauftragter, Wettbewerbskommission usw.). Die administrative Zuordnung zur Bundeskanzlei bedeutet, dass die Sekretariatsangehörigen dem Personaletat der Bundeskanzlei zugerechnet werden und personalrechtlich den gleichen Bedingungen unterstehen wie die Mitarbeitenden der Bundeskanzlei und für sie somit das Bundespersonalrecht gilt. Der Leiter oder die Leiterin des Sekretariates ist jedoch frei bei der Einstellung der Mitarbeitenden. Sinnvollerweise wird die Leiterin oder der Leiter des Sekretariates durch die Anrufinstanz angestellt, damit diese eine Person ihres Vertrauens auswählen kann.

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Auswirkungen

4.1

Personelle und finanzielle Auswirkungen

Die Mitglieder der Anrufinstanz werden im gleichen Rahmen wie vergleichbare Gremien zu entschädigen sein. Anhaltspunkte liefert hier die Verordnung über ausserparlamentarische Kommissionen sowie Leitungsorgane und Vertretungen des 402

Bundes (SR 172.31). Artikel 17 dieser Verordnung sieht vor, dass Mitglieder solcher Kommissionen Anspruch auf Taggelder und Vergütungen haben. Ein Taggeld darf höchstens 1000 Franken betragen, wobei das Eidgenössische Finanzdepartement die Modalitäten und Einzelheiten festlegt. In der Praxis sieht dies so aus, dass zum Beispiel die Mitglieder der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen 400 Franken Taggeld erhalten, wenn sie unselbstständig erwerbend sind, und 700 Franken, falls sie selbstständig erwerbend sind. Dies wird auch der Rahmen für die Entschädigung der Mitglieder der hier vorgeschlagenen Instanz sein. Im Weiteren fallen die Lohnkosten für das Sekretariatspersonal an. Wird von jährlich ca. 10­12 Sitzungen (drei bis vier Sitzungen vor drei Volksabstimmungen) sowie einer 50% Stelle im Sekretariat ausgegangen, dann belaufen sich die Kosten für die Anrufinstanz insgesamt auf 150 000 bis 250 000 Franken pro Jahr. Allerdings muss hier festgehalten werden, dass der tatsächliche Aufwand dieser Instanz schwer abzuschätzen ist.

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Verfassungsmässigkeit

Artikel 39 Absatz 1 der Bundesverfassung überträgt dem Bund die Regelung der Ausübung der politischen Rechte in eidgenössischen Angelegenheiten. Darunter können auch Regelungen fallen, welche sich auf Kampagnen im Vorfeld der Abstimmungen beziehen. Weiter garantiert Artikel 34 Absatz 2 BV die freie Meinungsbildung und die unverfälschte Stimmabgabe. Die hier neu vorgeschlagene Instanz hat, indem sie Kampagnen auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht, einen Beitrag zur Verwirklichung dieses Grundrechts zu leisten.

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