02.032 Botschaft zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes und des Versicherungsaufsichtsgesetzes (Übernahme des Inhalts der EG-Besucherschutzrichtlinie [RL 2000/26/EG]) vom 10. April 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft die Entwürfe der Änderung des Strassenverkehrsgesetzes und des Versicherungsaufsichtsgesetzes mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

10. April 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2002-0551

4397

Übersicht Im Mai 2000 hat die Europäische Gemeinschaft die vierte Richtlinie zur Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung (RL 2000/26/EG) ­ die so genannte BesucherschutzRichtline ­ erlassen. Der Hauptzweck dieses Regelwerkes liegt darin, Personen, die durch einen Verkehrsunfall im Ausland einen Schaden erleiden (d.h. während eines Besuches, deshalb die Bezeichnung «Besucherschutz»), zur Regulierung ihrer Schadenersatzansprüche gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer im Inland zu verhelfen.

Millionen von Autofahrern, die jedes Jahr die Schweizer Grenzen in beiden Richtungen überqueren, sind bei einem Unfall auf ein gut ausgebautes System des grenzüberschreitenden Verkehrsopferschutzes angewiesen. Mit der anstehenden Gesetzesrevision übernimmt die Schweiz den Inhalt der EG-Besucherschutz-Richtlinie in ihr nationales Recht und schliesst damit die letzte grosse Lücke im Verkehrsopferschutz. Opfern von Verkehrsunfällen im Ausland wird es damit ermöglicht, ihren Schadenersatzanspruch gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer im Inland geltend zu machen. Diese Übernahme erlangt allerdings nur dann volle Wirkung, wenn die EWR-Staaten der Schweiz Gegenrecht gewähren.

Die Übernahme des Inhalts der EG-Richtlinie mit Reziprozität seitens der EWRStaaten gewährleistet die Aufrechterhaltung der Integration der Schweiz in das um den Besucherschutz erweiterte europäische System des Verkehrsopferschutzes. Sie liegt damit sowohl im Interesse der Schweiz als auch in jenem der EWR-Staaten.

4398

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

Am 16. Mai 2000 hat die Europäische Gemeinschaft ihre vierte Richtlinie zur Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung1, die so genannte Besucherschutz-Richtlinie, erlassen. Mit ihr soll die letzte grosse Lücke im Verkehrsopferschutz geschlossen werden, indem geschädigten Personen, die im Ausland verunfallen (d.h. während eines Besuches, deshalb die Bezeichnung «Besucherschutz») die Möglichkeit gewährt wird, ihre Schadenersatzansprüche gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer im Inland geltend zu machen.

Der Bundesrat2 hat sich seit Beginn der Diskussionen über den Erlass der EGRichtlinie dafür ausgesprochen, dass sich die Schweiz dem System des Besucherschutzes anschliessen soll3. Mit den vorliegenden Gesetzesänderungen übernimmt die Schweiz auf autonomer Basis den Inhalt der EG-Besucherschutz-Richtlinie in ihr nationales Recht. Diese Übernahme erlangt aber nur dann volle Wirkung, wenn die EWR-Staaten der Schweiz Reziprozität gewähren. Millionen von Autofahrern überqueren jedes Jahr die Schweizer Grenze in beiden Richtungen. Sie fahren zur Arbeit, in die Ferien oder durchqueren in der Schweiz die Alpen. Sie alle sind im Falle eines Unfalles auf ein gut ausgebautes System des grenzüberschreitenden Verkehrsopferschutzes angewiesen. Die Übernahme des Inhalts der EG-Richtlinie mit Reziprozität seitens der EWR-Staaten und damit die Aufrechterhaltung der Integration der Schweiz in das um den Besucherschutz erweiterte europäische System des Verkehrsopferschutzes liegt deshalb sowohl im Interesse der Schweiz als auch in jenem der Europäischen Gemeinschaft.

Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass das Fürstentum Liechtenstein als EWRStaat die EG-Besucherschutz-Richtlinie zwingend umsetzen muss. Da sowohl das Nationale Versicherungsbüro als auch der Nationale Garantiefonds Schweiz bisher die jeweiligen Aufgaben auch für das Fürstentum wahrnehmen, drängt es sich auf, den Inhalt der EG-Richtlinie in der Schweiz auf den gleichen Zeitpunkt zu übernehmen.

Die EG-Richtlinie regelt ausschliesslich den Besucherschutz, d.h. die Erledigung von Haftpflichtansprüchen aus im Ausland erlittenen Unfällen. Die dazu vorgesehenen Massnahmen zum Schutz der geschädigten Personen gehen jedoch deutlich weiter als die nach geltendem Recht einer im Inland verunfallten Person gewährten Schutzrechte. Eine Beschränkung der Vorlage auf die Übernahme des Inhalts der EG-Richtlinie würde deshalb zu einer unerwünschten Inländerdiskriminierung 1 2 3

ABl. L 181 vom 20.7.2000, S. 65 Vgl. Ziff. 4 So hat er bereits 1996 mit Art. 57 VVV (in der Fassung gemäss Ziff. I der Verordnung vom 22.11.1995) eine Grundlage für die Umsetzung des sog. Abkommens von Rom vom 27.5.1994 geschaffen. Das von allen EWR-Staaten sowie der Schweiz unterzeichnete Abkommen sieht die Einführung einiger besucherschützender Massnahmen vor. Es ist jedoch durch den Erlass der EG-Richtlinie überholt und hat keine praktische Bedeutung mehr (Fuhrer Stephan: Besucherschutz, Basel 1999, Fn. 122).

4399

führen. Aus diesem Grunde sieht der Entwurf vor, dass das in der EG-Richtlinie festgeschriebene Schutzniveau umfassende Geltung beanspruchen und damit auch für reine Inlandfälle gelten soll.

Zwar ist der Verkehrsopferschutz seit langem ein allgemein anerkanntes Ziel der Strassenverkehrsgesetzgebung4. Er wurde allerdings nicht auf der grünen Wiese konzipiert und aufgebaut, sondern hat sich im Verlaufe einer sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden Entwicklung langsam herausgebildet. Spuren dieses pragmatischen Prozesses lassen sich im heutigen Regelwerk noch deutlich erkennen. Die Übernahme des Inhalts der EG-Richtlinie, mit Reziprozität seitens der EWRStaaten, verbunden mit der Ausweitung der Anwendbarkeit ihrer wichtigsten Schutzrechte auf reine Inlandfälle soll deshalb ergänzt werden durch eine massvolle Nachführung der Bestimmungen zum Verkehrsopferschutz. Auf grundlegende Änderungen des Schadendeckungssystemes in der MotorfahrzeugHaftpflichtversicherung wurde jedoch verzichtet, um die fristgerechte Übernahme des Inhalts der EGBesucherschutzrichtlinie nicht zu gefährden.

Der Entwurf verfolgt somit ein vierfaches Ziel: Erstens wird der Inhalt der EGBesucherschutz-Richtlinie ins Schweizer Recht übernommen, zweitens wird angestrebt, diese Übernahme mit voller Wirkung auszustatten, indem die Reziprozität mit den EWR-Staaten gesucht wird, drittens wird der Geltungsbereich ihrer Schutzmassnahmen auf reine Inlandfälle ausgedehnt und viertens werden die Bestimmungen zum Verkehrsopferschutz nachgeführt.

1.2

Ergebnisse des Vorverfahrens

Der vorliegende Entwurf basiert auf einem von PD Dr. Stephan Fuhrer (Basel) ausgearbeiteten Vorentwurf. Eine Projektgruppe aus Vertretern der Bundesämter für Strassen und für Privatversicherungen, des Büros für Konsumentenfragen, der Eidgenössischen Fahrzeugkontrolle, der Versicherungsaufsicht des Fürstentums Liechtenstein, des Touring Clubs der Schweiz, der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt, des Schweizerischen Versicherungsverbandes, des Nationalen Versicherungsbüros und des Nationalen Garantiefonds begleitete diese Arbeit. Damit sind alle interessierten Kreise in die Arbeiten einbezogen worden. Ihre Stellungnahmen konnten auf diese Weise laufend eingearbeitet werden.

1.3

Die EG-Besucherschutz-Richtlinie und ihre Umsetzung in Europa

1.3.1

Die EG-Besucherschutz-Richtlinie im Überblick

1.3.1.1

Anwendungsbereich

Zweck der EG-Richtlinie ist ein umfassender Schutz der im Ausland verunfallten Verkehrsopfer. Dabei werden drei Fälle unterschieden:

4

Fuhrer Stephan/Büchler Günter: Der Nationale Garantiefonds der Schweiz, in: Festschrift NVB/NGF, Basel 2000, 87 ff., 88, mit weiteren Nachweisen.

4400

1.3.1.1.1

Ausländerfälle (umfassender Anwendungsbereich)

Die umfassende Anwendung der EG-Richtlinie ist gemäss Artikel 1 Absatz 2 dieser Richtlinie an vier Voraussetzungen geknüpft, die kumulativ erfüllt sein müssen: ­

Der Geschädigte muss das Opfer eines Verkehrsunfalls sein.

­

Der Unfall muss sich innerhalb des Geltungsbereiches des «Grüne-KarteSystems», aber ausserhalb des Wohnsitzstaates des Geschädigten ereignet haben.

­

Das unfallverursachende Fahrzeug muss seinen gewöhnlichen Standort ausserhalb des Wohnsitzstaates des Geschädigten, jedoch in einem Staat des EWR haben.

­

Das unfallverursachende Fahrzeug muss bei einer ausserhalb des Wohnsitzstaates des Geschädigten gelegenen Niederlassung eines EWR-Versicherers versichert sein.

1.3.1.1.2

Inländerfälle (eingeschränkter Anwendungsbereich)

Ein reduziertes Schutzniveau gilt dann, wenn das unfallverursachende Fahrzeug im Wohnsitzstaat des Geschädigten immatrikuliert und/oder bei einer dort niedergelassenen Gesellschaft versichert worden ist. Der Geschädigte kommt dann noch in den Genuss eines direkten Forderungsrechts5 und er kann die Dienstleistungen der Auskunftsstellen6 in Anspruch nehmen. Nicht anwendbar sind hingegen die Bestimmungen über die Schadenregulierungsbeauftragten und die Entschädigungsstellen7.

1.3.1.1.3

Ausfallschutz

Kann das unfallverursachende Fahrzeug oder dessen Versicherer nicht ermittelt werden, so übernimmt die Entschädigungsstelle im Wohnsitzstaat8 des Geschädigten die Funktion des Garantiefonds. Dies gilt gemäss Artikel 1 Absatz 3 auch dann, wenn das schädigende Fahrzeug aus einem Drittstaat stammt.

5 6 7

8

Vgl. Ziff. 1.3.1.2.1 Vgl. Ziff. 1.3.1.2.2 Durch den Einbezug der Inlandfälle in den vorliegenden Entwurf kann das Verkehrsopfer in diesen Fällen in der Schweiz zwar nicht die Dienste eines Schadenregulierungsbeauftragten (da direkt der Haftpflichtversicherer im Inland belangt werden kann, ist der Einsatz eines Schadenregulierungsbeauftragten nicht erforderlich), jedoch jene der Entschädigungsstelle in Anspruch nehmen.

Vgl. Ziff. 1.3.1.2.4

4401

1.3.1.2

Die Massnahmen der EG-Besucherschutz-Richtlinie zum Schutze der Verkehrsopfer

1.3.1.2.1

Direktanspruch

Verkehrsopfer erhalten ein direktes Forderungsrecht gegen den Versicherer des schädigenden Fahrzeuges. Bereits das Strassburger Übereinkommen von 1959 verpflichtete die Vertragsparteien, in ihren nationalen Gesetzen den Geschädigten ein direktes Forderungsrecht einzuräumen. Mit Ausnahme von Grossbritannien und Irland kennen heute sowohl alle EWR-Staaten als auch die Schweiz9 dieses Recht.

Für diese Länder bringt somit die dahingehende Verpflichtung in Artikel 3 der EGRichtlinie nichts Neues.

1.3.1.2.2

Auskunftsstelle

Auch ein Direktanspruch nützt dem Geschädigten nichts, wenn er nicht weiss, gegen wen er ihn richten soll. Unabdingbare Voraussetzung nicht nur eines wirksamen Besucherschutzes, sondern überhaupt jedes Verkehrsopferschutzes ist deshalb die Identifizierung der für die Regulierung zuständigen Haftpflichtversicherung und ­ je nach den Umständen des Einzelfalles10 ­ auch des Halters. Das Problem ist in denjenigen Ländern relativ einfach zu lösen, in denen der Versicherer aufgrund des Kontrollschildes feststellbar ist11. Schwieriger wird die Umsetzung in denjenigen Ländern, in denen der Versicherer einzig aufgrund einer Vignette an der Windschutzscheibe ermittelt werden kann.

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, eine Auskunftsstelle zu schaffen oder anzuerkennen. Damit lässt es die EG-Richtlinie ausdrücklich zu, dass die Auskunftsstellen auch von privaten Organisationen betrieben werden können. Die Auskunftsstelle muss ein Register mit einem klar definierten Mindestinhalt führen oder die Erhebung und Weitergabe der ins Register aufzunehmenden Daten koordinieren.

Der Mindestinhalt der von den Auskunftsstellen zu führenden Register ist in Artikel 5 Absätze 1 und 2 umschrieben. Demgemäss sind im Register (im Wesentlichen) sämtliche Fahrzeuge zu erfassen, die im betreffenden Staat ihren gewöhnlichen Standort haben. Zu diesen Fahrzeugen muss das Register folgende Informationen enthalten: ­

Das amtliche Kennzeichen (Kontrollschild).

­

Die Nummer der Haftpflichtversicherungspolice. Ist die Police abgelaufen, so ist der Zeitpunkt der Beendigung des Versicherungsschutzes ebenfalls festzuhalten.

­

Den Haftpflichtversicherer sowie sämtliche von diesem in den einzelnen Staaten benannten Schadenregulierungsbeauftragten.

Die Auskunftsstellen sind verpflichtet, die fahrzeugbezogenen Daten nach Ablauf der Zulassung des Fahrzeuges oder der Beendigung des Versicherungsschutzes noch während sieben Jahren aufzubewahren.

9 10 11

Art. 65 SVG.

Z.B. wenn die Versicherungssumme zur Deckung des Schadens nicht ausreicht.

Wie z.B. in der Schweiz.

4402

1.3.1.2.3

Schadenregulierungsbeauftragter

Alle Versicherer Europas müssen in den Ländern ausserhalb ihres Sitzstaates oder ihres Niederlassungsstaates (Drittlandversicherer) Schadenregulierungsbeauftragte benennen. Mit dieser Institution soll der im Ausland Verunfallte einen inländischen Ansprechpartner zur Regulierung seiner Schadenersatzansprüche erhalten.

Zu kontroversen Diskussionen Anlass gab die Frage, ob mit der EG-Richtlinie auch die Frage des anwendbaren Rechts und des Gerichtsstandes geregelt werden sollte: Traditionellerweise ist auf Verkehrsunfälle das Recht des Unfallstaates anwendbar (lex loci delicti)12. Mit der Einführung der Institution des Schadenregulierungsbeauftragten lag es nahe, auch die Frage aufzuwerfen, ob dieser die von ihm zu betreuenden Fälle nach dem ihm eher vertrauten eigenen Recht oder nach dem (fremden) Recht des Unfallortes regulieren soll. Angesprochen war damit ein Systemwechsel von der lex loci delicti hin zur lex damni. Für beide Lösungen können gute Argumente ins Feld geführt werden. Letztlich entscheidend sind aber nicht rechtliche, sondern ökonomische Überlegungen. Da in der Frage der Bemessung der Ersatzleistungen in Europa nach wie vor ein beträchtliches Nord-Süd-Gefälle besteht, würden von einem Systemwechsel einseitig die reichen Länder des Nordens profitieren.

Sie könnten bei südländischen Geschädigten ihre Ersatzleistungen kürzen, währenddem südländische Versicherer (und damit deren Prämienzahler) Geschädigte aus Nordländern nach den dort geltenden höheren Ansätzen zu entschädigen hätten. Es sprechen somit starke politische und ökonomische Gründe für einen Verbleib bei der traditionellen Regelung der lex loci delicti. In Erwägungsgrund 13 wird dies nun explizit festgeschrieben. Wie daraus hervorgeht, soll mit der EG-Richtlinie auch an der Zuständigkeit der Gerichte nichts geändert werden13. Insbesondere sollte die Ernennung eines Schadenregulierungsbeauftragten in der Regel keine Errichtung einer Zweigniederlassung zu Folge haben14.

Die Ernennung von Schadenregulierungsbeauftragten soll inskünftig Voraussetzung für die Zulassung zum Betrieb der Motorfahrzeughaftpflichtversicherung sein. In der Wahl der Person ist der Versicherer frei. Ein Schadenregulierungsbeauftragter kann auch gleichzeitig für mehrere ausländische Versicherer tätig sein. Vorausgesetzt wird einzig, dass er im Wohnsitzstaat
des Geschädigten ansässig oder niedergelassen ist und über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt. Trotz des Verzichts auf formelle Qualifikationserfordernisse stellt die EG-Richtlinie hohe Anforderungen an die Person des Schadenregulierungsbeauftragten. Dieser muss nämlich in der Lage sein, Schadenfälle ausschliesslich nach ausländischem Recht zu regulieren, wobei er 12

13

14

Für die Schweiz folgt dies aus Art. 3 Haager Übereinkommen (Übereinkommen über das auf Strassenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971, für die Schweiz in Kraft getreten am 2.1.1987, SR 0.741.31).

Massgebend für die Bestimmung des Gerichtsstandes ist das Lugano Übereinkommen (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988, für die Schweiz in Kraft getreten am 1.1.1992, SR 0.275.11).

Hingegen kann ­ je nach ihrer Ausgestaltung ­ die Entschädigungsstelle einen inländischen Gerichtsstand begründen. Dies wird in der Schweiz der Fall sein. Das Verkehrsopfer kann die Entschädigungsstelle auf Leistung einklagen. Die Schweizer Gerichte werden dann den Fall nach Massgabe des anwendbaren ausländischen Rechts zu beurteilen haben. In anderen Ländern (z.B. Österreich) kann das Verkehrsopfer gegen die Entschädigungsstelle lediglich auf «Tätigwerden» klagen.

4403

nicht nur das Recht des Landes des von ihm vertretenen Versicherers, sondern ­ zumindest theoretisch ­ sämtliche europäischen Rechtsordnungen kennen muss.

Aufgaben und Vollmacht des Schadenregulierungsbeauftragten lassen die Verfahrenshoheit in der Fallbehandlung weitestgehend beim ersatzpflichtigen (ausländischen) Versicherer, im Gegenzug werden aber Sanktionen vorgesehen für den Fall, dass der Versicherer seine günstige Ausgangslage missbraucht. Nach Artikel 4 Absatz 1 der EG-Richtlinie besteht der allgemeine Auftrag des Schadenregulierungsbeauftragten «in der Bearbeitung und Regulierung von Ansprüchen», die aus Besucherschutzfällen herrühren. Im Innenverhältnis ist er weisungsgebunden. Im Aussenverhältnis muss er «über ausreichende Befugnisse verfügen, um das Versicherungsunternehmen gegenüber Geschädigten (...) zu vertreten und um deren Schadenersatzansprüche in vollem Umfang zu befriedigen». Mit anderen Worten: Der Schadenregulierungsbeauftragte verfügt im Aussenverhältnis über eine umfassende Regulierungsvollmacht, die der Versicherer im Innenverhältnis beliebig beschränken darf.

Neu sind die Regulierungsvorschriften der EG-Richtlinie. Gemäss Artikel 4 Absatz 6 der EG-Richtlinie ist der Versicherer bzw. sein Schadenregulierungsbeauftragter verpflichtet, dem Geschädigten innert dreier Monate ab Anspruchserhebung: ­

in klaren Fällen (d.h. die Ersatzpflicht ist unbestritten und der Schaden beziffert) ein begründetes Schadenersatzangebot vorzulegen und

­

in unklaren Fällen (d.h. die Ersatzpflicht ist bestritten oder nicht eindeutig oder der Schaden ist nicht vollständig beziffert) eine begründete Stellungnahme abzugeben.

1.3.1.2.4

Entschädigungsstelle

Die Institution des Schadenregulierungsbeauftragten stellt aus der Sicht der Verkehrsopfer einen zahnlosen Behelf dar. Die Schadenregulierung erfolgt nur so lange reibungslos, wie dies der haftpflichtige Versicherer auch will. Dieser behält die volle Verfahrenshoheit. Deshalb kann es mit diesem Institut nicht sein Bewenden haben.

Der Geschädigte benötigt ein Instrument mit deutlich mehr Biss. Diesem Zweck dient die Entschädigungsstelle. Sie stellt quasi das Damoklesschwert über dem Haupt des Versicherers dar, das ihn dazu anhalten soll, beim ordentlichen Regulierungsverfahren Wohlverhalten zu zeigen. Das Bild ist zwar überzeichnet, es illustriert aber anschaulich die Intentionen der EG-Richtlinie: Das ordentliche Regulierungsverfahren soll über den Schadenregulierungsbeauftragten laufen. Hier dominiert klar der Versicherer. Missbraucht er diese Dominanz, so hat der Geschädigte die Möglichkeit, auf ein ausserordentliches Verfahren auszuweichen, auf dessen Gang der Versicherer keinen Einfluss mehr hat.

Das Einschreiten der Entschädigungsstelle stellt eine drastische Beschränkung der Rechtsstellung des Versicherers dar. Es ist deshalb an strenge Voraussetzungen geknüpft, die dem ausserordentlichen Charakter dieses Verfahrens angemessen Rechnung tragen. Hervorzuheben ist jedoch, dass die Entschädigungsstelle keine Klagemauer darstellt. Ist der Geschädigte mit der im ordentlichen Verfahren vorgeschlagenen Regulierung nicht einverstanden, so vermag dies die Zuständigkeit der Entschädigungsstelle nicht zu begründen. Er muss vielmehr (im Ausland) den 4404

ordentlichen Prozessweg beschreiten. Die Entschädigungsstelle darf auch nicht von Amtes wegen tätig werden. Erforderlich ist vielmehr, dass der Geschädigte einen Schadenersatzantrag einreicht.

Im Einzelnen soll die Entschädigungsstelle in folgenden Fällen tätig werden können: ­

Schadenregulierungsbeauftragter fehlt: Hat der Versicherer entgegen seinen Pflichten keinen Schadenregulierungsbeauftragten benannt, so hat der Geschädigte die Wahl, sich entweder direkt an den (ausländischen) Versicherer oder aber an die (inländische) Entschädigungsstelle zu wenden. Im ersten Fall verwirkt er damit sein Recht, sich unter Berufung auf die fehlende Ernennung eines Schadenregulierungsbeauftragten an die Entschädigungsstelle zu wenden. Dieses Recht lebt jedoch dann wieder auf, wenn der direkt angegangene Versicherer nicht ordnungsgemäss reguliert.

­

Keine Regulierung im ordentlichen Verfahren: Im ordentlichen Verfahren ist die angesprochene Stelle (Versicherer oder Schadenregulierungsbeauftragter) gehalten, innert dreier Monate eine begründete Stellungnahme abzugeben. Unterlässt sie dies, kann sich der Geschädigte an die Entschädigungsstelle wenden.

­

Auffangtatbestände: (1) Das schadenverursachende Fahrzeug ist nicht ermittelbar. (2) Das schadenverursachende Fahrzeug ist ermittelbar, hingegen lässt sich der haftpflichtige Versicherer nicht ermitteln. Die EG-Richtlinie verlangt dabei, dass das schadenverursachende Fahrzeug oder dessen Versicherer nicht ermittelt werden kann. Blosse Untätigkeit des Geschädigten vermag deshalb die Zuständigkeit der Entschädigungsstelle nicht zu begründen.

Hat der Geschädigte gerichtliche Schritte gegen den Versicherer eingeleitet, so darf die Entschädigungsstelle auf Schadenersatzansprüche nicht mehr eintreten. Eine solche Beschränkung ist zwingend geboten, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass zwei sich widersprechende Gerichtsurteile erstritten werden.

Die strengen Voraussetzungen, die an ein Eintreten der Entschädigungsstelle gestellt werden, erfordern zwangsläufig, dass die Entschädigungsstelle in jedem Fall einen Eintretensentscheid fällen muss. Fehlt ein Schadenregulierungsbeauftragter, so muss die Entschädigungsstelle lediglich diese Tatsache feststellen. Damit beschränkt sich der Eintretensentscheid auf eine formelle Frage. Anderes gilt jedoch in den Fällen, in denen eine Regulierung im ordentlichen Verfahren nicht zustande kommt. So muss der Versicherer in unklaren Fällen eine begründete Stellungnahme abgeben.

Unterlässt er dies, so wird dadurch die Zuständigkeit der Entschädigungsstelle begründet. Dies wirft die Fragen auf, ob an die Begründung der Stellungnahme materielle Anforderungen gestellt werden dürfen oder müssen und, wenn ja, wer die Erfüllung dieser Anforderungen beurteilt und wie sichergestellt wird, dass diesbezüglich einheitliche Regeln gelten. Die erste Frage ist klar zu bejahen. Es würde der ratio der EG-Richtlinie diametral widersprechen, wenn der Versicherer mit einem nichtssagenden Zweizeiler ein Einschreiten der Entschädigungsstelle verhindern könnte. Er muss zumindest zu allen vom Geschädigten vorgebrachten Argumenten Stellung nehmen. Er ist jedoch darüber hinaus nicht verpflichtet, von sich aus den Sachverhalt abzuklären und zu beurteilen. Es kann von ihm nicht mehr verlangt werden, als von einem den Fall behandelnden Zivilgericht. Heikler ist die Frage der Modalitäten einer Beurteilung der Stellungnahme des Versicherers. Nach der Logik 4405

der EG-Richtlinie wird sich die Entschädigungsstelle in ihrem Eintretensentscheid zwangsläufig zur Frage äussern müssen, ob eine begründete Stellungnahme des Versicherers vorliegt. Damit liegt es nahe, der Entschädigungsstelle die Befugnis zu einer über eine rein formelle Prüfung hinausgehenden Beurteilung der Stellungnahme des Versicherers zu übertragen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Entschädigungsstelle berechtigt wäre, ihre Meinung über jene des Versicherers zu stellen. Sie darf mit anderen Worten die Stellungnahme des Versicherers rechtlich nicht prüfen, dies ist Aufgabe der zuständigen Gerichte. Sie ist aber befugt zu prüfen, ob die Anforderungen, die an eine Begründung berechtigterweise gestellt werden dürfen, erfüllt sind15. Bedenken gegen eine solche Kompetenz der Entschädigungsstelle können dadurch zerstreut werden, dass ein positiver Eintretensentscheid zuerst einmal lediglich eine Nachfrist auslöst. Der Versicherer hat somit die Möglichkeit, seine Stellungnahme «nachzubessern».

Tritt die Entschädigungsstelle auf einen Fall ein, so kommt der Versicherer zuerst in den Genuss einer zusätzlichen zweimonatigen Nachfrist. Aus diesem Grund muss die Entschädigungsstelle in einem ersten Schritt lediglich darüber informieren, dass bei ihr ein Schadenersatzantrag eingegangen ist, und dass sie nach Ablauf der Nachfrist materiell auf diesen einzutreten gedenke. Der Versicherer hat nun zwei Monate Zeit, eine begründete Stellungnahme zum Schadenersatzantrag des Geschädigten abzugeben. Tut er dies, so muss die Entschädigungsstelle den Fall abschliessen. Er wird dann im ordentlichen Regulierungsverfahren behandelt. Macht der Versicherer von seiner Nachfrist keinen Gebrauch, so muss die Entschädigungsstelle das ausserordentliche Regulierungsverfahren weiterführen.

Soweit die Entschädigungsstelle den Geschädigten befriedigt hat, steht ihr ein gesetzliches Subrogationsrecht zu. Sie tritt in die Rechtsstellung des Geschädigten ein und kann bei der Entschädigungsstelle des Staates der Niederlassung des Versicherers ihre Aufwendungen zurückverlangen. Diese wiederum kann sich beim Versicherer schadlos halten. Der regressbelasteten Entschädigungsstelle sowie dem Versicherer sind Einwände gegen die materielle Erledigung verwehrt. Sie müssen die von der regulierenden Entschädigungsstelle getroffene Erledigung hinnehmen.

1.3.1.3

Die EG-Besucherschutz-Richtlinie im System des Verkehrsopferschutzes

Mit der Umsetzung der EG-Besucherschutz-Richtlinie stehen einer geschädigten Person folgende Ansprechstellen zur Verfügung:

15

a.

Der inländische Haftpflichtversicherer (direktes Forderungsrecht), wenn der Unfall im Inland durch ein im Inland immatrikuliertes Fahrzeug verursacht wird.

b.

Das Nationale Versicherungsbüro (oder in seinem Auftrag der die Grenzversicherung abschliessende Versicherer), wenn der Unfall im Inland durch ein Fahrzeug, das in einem Drittstaat zugelassen ist, verursacht wird. Es liegt entweder ein Grenzversicherungs- oder ein «Grüne-Karte-Fall» vor.

Z.B. Prüfung der Frage, ob der Versicherer zu allen Argumenten, die das Verkehrsopfer vorgebracht hat, Stellung genommen hat.

4406

c.

Der Nationale Garantiefonds, wenn der Unfall durch ein unbekanntes oder nicht versichertes Fahrzeug verursacht wird.

d.

Der Schadenregulierungsbeauftragte des ausländischen Versicherers, wenn der Unfall im Ausland («Grüne-Karte»-Staat) durch ein im Ausland (EWR) immatrikuliertes Fahrzeug verursacht wird16.

e.

Die vom Bund und den Kantonen bezeichneten Regulierungsstellen, wenn der Schaden durch ein nicht versichertes Fahrzeug des Bundes oder eines Kantons verursacht worden ist.

f.

Die Entschädigungsstelle als ausserordentliche Regulierungsstelle im Falle der Verweigerung einer Regulierung auf dem ordentlichen Wege durch die dazu verpflichtete Stelle.

1.3.1.4

Zusammenfassung

Vgl. dazu Anhang.

1.3.2

Zur Umsetzung der EG-Besucherschutz-Richtlinie in den EWR-Staaten17

Mit den Aufgaben der Auskunftsstelle wird in England, Irland, Holland und Island ­ wie in der Schweiz18 ­ das Nationale Versicherungsbüro betraut. In Österreich, Belgien und Spanien wird der nationale Garantiefonds, in Deutschland der Zentralruf der deutschen Autoversicherer und in Frankreich «l'Association pour la Gestion des Informations sur le Risque Automobile» die Funktion der Auskunftsstelle übernehmen. Dabei wird in den meisten Ländern, so auch in der Schweiz, ein Ausbau der Infrastruktur der genannten Stellen notwendig sein. Der Zugriff auf die Versicherungsdaten bei der Auskunftsstelle wird in den meisten Ländern via Internet möglich sein.

Die Aufgaben der Entschädigungsstelle werden in Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, Irland und Holland ­ wie in der Schweiz19 ­ vom Nationalen Garantiefonds wahrgenommen. In Spanien, England, Griechenland und Island wird die Entschädigungsstelle das Nationale Versicherungsbüro sein.

Die EG-Besucherschutzrichtlinie sieht als Sanktion für das Untätigsein des Versicherers bzw. Schadenregulierungsbeauftragten in der vorgesehenen Frist Verzugszinsen vor. Einige Länder auferlegen den Säumigen zusätzliche Sanktionen. So wird z.B. in Belgien dem Versicherer eine Geldstrafe (pro Tag 250 ]XJXQVWHQ GHV *eschädigten auferlegt. In Deutschland gewärtigt der Versicherer bei Missbräuchen verwaltungsrechtliche Sanktionen und in Frankreich drohen ihm Strafzinsen.

16 17

18 19

Selbstverständlich ist das Verkehrsopfer frei, sich anstatt an den inländischen Schadenregulierungsbeauftragten direkt an den ausländischen Versicherer zu halten.

Vgl. die Übersicht bei Metzler Martin: Europa ­ Übersicht über die Massnahmen zur Umsetzung der Besucherschutz-Richtlinie auf europäischer Ebene, in: Fuhrer, Besucherschutz, Basel 2001, 71­130, 110 ff.

Vgl. Ziff. 1.4.3 Vgl. Ziff. 1.4.3

4407

In verschiedenen Ländern, z.B. in Österreich und Belgien, gelten die in der EGRichtlinie vorgesehenen Rechte der Geschädigten auch bei reinen Inlandunfällen.

Die betreffenden Länder wollen damit (u.a. aus verfassungsrechtlichen Überlegungen) eine Inländerdiskriminierung verhindern. Auch die Schweiz sieht eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Schutzrechte der EG-Richtlinie vor. In Deutschland sollen zwar grundsätzlich auch reine Inlandfälle erfasst werden, jedoch wird sich ein Geschädigter bei einem Inlandunfall nicht an die Entschädigungsstelle wenden dürfen, sondern wird direkt vor Gericht gehen müssen.

1.4

Konzept des Entwurfes

1.4.1

Reziprozität

Mit dem Entwurf gestaltet die Schweiz ihr Verkehrsopferschutzrecht europakompatibel aus. Damit der Entwurf alle Wirkungen des Besucherschutzes erlangt, muss die Reziprozität seitens der EWR-Staaten gewährt werden. Der Entwurf enthält daher eine Reziprozitäts-Klausel (Art. 79e des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 [SVG]20). Die Schweiz wird dementsprechend, nachdem die Vorlage das Parlament passiert hat, allen Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes eine einseitige Erklärung abgeben, in der sie darlegt, dass sie unter dem Vorbehalt der Reziprozität alle Bestimmungen der EG-Besucherschutz-Richtlinie diesen Staaten gegenüber anwenden werde. Die Adressaten der Erklärung werden eingeladen, der Schweiz eine Reziprozitäts-Erklärung abzugeben. Die damit verbundenen Nachteile (z.B. jederzeitige Rückzugsmöglichkeit) müssen hingenommen werden.

Bei einem allfälligen Einbezug der EG-Besucherschutz-Richtlinie in neue bilaterale Abkommen, wie dies im Rahmen der «Bilateralen II» vorgesehen ist, würden die gegenseitigen Erklärungen gegenstandlos. Demgegenüber wird die in Art. 79e SVG vorgesehene allgemeine Reziprozitätsklausel ihre Bedeutung nicht vollständig verlieren, da sie später immer noch für Gegenseigkeitserklärungen im Verhältnis mit Drittstaaten (Nicht-EWR-Staaten) genützt werden könnte.

1.4.2

Nationales Versicherungsbüro und Nationaler Garantiefonds

Mit der Deregulierung der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung im Jahre 1995 hat der Gesetzgeber für die Belange des nicht durch die Haftpflichtversicherer sichergestellten Verkehrsopferschutzes das Nationale Versicherungsbüro und den Nationalen Garantiefonds geschaffen. Über diese beiden Institutionen ist die Schweiz integriert in das europaweite System der Versicherung des grenzüberschreitenden Verkehrs sowie den Schutz der Verkehrsopfer bei Schädigung durch unbekannte (z.B. Fahrerflucht) und nicht versicherte Fahrzeuge.

In den meisten Ländern Europas werden diese Institutionen auch mit der Durchführung des Besucherschutzes betraut21. Auch für die Schweiz ist dieser Weg vorgesehen. Das Nationale Versicherungsbüro und der Nationale Garantiefonds werden auf 20 21

SR 741.01 Ziff. 1.3.2.

4408

diese Weise zu den zentralen Einrichtungen zur Sicherstellung des Verkehrsopferschutzes.

Der Entwurf enthält in Artikel 76b SVG gemeinsame Bestimmungen zur Tätigkeit dieser der Bundesaufsicht unterstellten Institutionen. In den bereits bisher deren Aufgaben regelnden Artikel 74 und 76 sind die spezifischen Bestimmungen zum Nationalen Versicherungsbüro und zum Nationalen Garantiefonds festgehalten.

Der Nationale Garantiefonds übernimmt neu im Falle des Konkurses eines inländischen Versicherers die Entschädigung von Verkehrsopfern, die Ansprüche gegen diesen Versicherer haben (Art. 76 Abs. 2 Bst. b SVG).

1.4.3

Schadenregulierung

Neu eingefügt werden die Artikel 79a bis 79d SVG, die den Verkehrsopfern aufzeigen, welche Rechte sie gegenüber den für die Schadenregulierung zuständigen Stellen haben.

Die vom Nationalen Versicherungsbüro betriebene Auskunftsstelle (Art. 79a SVG) hat den Zweck, dem Verkehrsopfer zu helfen, seine Ersatzansprüche bei der richtigen Stelle geltend machen zu können. Über ihre Einbindung in das europäische System des Besucherschutzes ist sie in der Lage, für alle im Europäischen Wirtschaftsraum zugelassenen Fahrzeuge den leistungspflichtigen Haftpflichtversicherer bzw.

dessen Schadenregulierungsbeauftragten in der Schweiz (oder ggf. auch im Ausland) ausfindig zu machen.

Die Tätigkeit dieser Schadenregulierungsbeauftragten ist in Artikel 79b SVG geregelt. Alle europäischen Versicherer, inklusive Niederlassungen von Versicherern aus Drittstaaten, sind verpflichtet, in allen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes solche Schadenregulierungsbeauftragte zu benennen. Deren Aufgabe ist die Regulierung von Ansprüchen aus Schäden, die Verkehrsopfer aus den Staaten, in denen die Schadenregulierungsbeauftragten tätig sind, im Ausland erlitten haben. Im Ausland verunfallte Schweizer können somit in der Schweiz die Dienste des den zuständigen ausländischen Haftpflichtversicherer vertretenden Schadenregulierungsbeauftragten in Anspruch nehmen. Umgekehrt müssen die Schweizer Versicherer in den Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums ihrerseits Schadenregulierungsbeauftragte benennen, welche Ansprüche der dort wohnhaften Verkehrsopfer regulieren.

Von zentraler Bedeutung ist Artikel 79c SVG zur Schadenregulierung, der vorschreibt, dass alle Schadenregulierer (d.h. Haftpflichtversicherer, Schadenregulierungsbeauftragte, Nationales Versicherungsbüro, Nationaler Garantiefonds, Bund oder Kantone) den Verkehrsopfern innert dreier Monate in klaren Fällen ein Ersatzangebot und in den übrigen Fällen eine begründete Stellungnahme zu ihrer Ersatzforderung abgeben müssen. Diese Bestimmung gilt gemäss dem Entwurf nicht nur für die Auslandfälle (wie dies der Fall wäre, wenn das Gesetz lediglich den Inhalt der EG-Richtlinie übernehmen würde), sondern auch für die Inlandfälle. Die Euro-

4409

päische Kommission wollte mit dieser Bestimmung ungebührlich langen Bearbeitungsfristen der Versicherer einen Riegel schieben.22 Hält sich der Schadenregulierer nicht an diese Vorgaben, so kann das Verkehrsopfer gemäss Artikel 79d SVG seine Ersatzansprüche bei der vom Nationalen Garantiefonds betriebenen Entschädigungsstelle geltend machen. Nach unbenütztem Ablauf einer der zur Regulierung verpflichteten Stelle zu gewährenden Nachfrist von zwei Monaten reguliert die Entschädigungsstelle autonom die Ansprüche des Verkehrsopfers.

2

Besonderer Teil Erläuterungen zu den Gesetzesentwürfen

2.1

Erläuterungen zu den Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes

Art. 73

Motorfahrzeuge und Fahrräder des Bundes und der Kantone

Gemäss Artikel 73 Absätze 1 und 2 SVG sind der Bund und die Kantone von der Versicherungspflicht befreit23. Ausländer, die durch Bundes- oder Kantonsfahrzeuge geschädigt werden, können sich daher in ihren Heimatstaaten nicht an einen dort im Auftrag der Versicherer tätigen Schadenregulierungsbeauftragten wenden, weil ein solcher nicht vorhanden sein muss. Gemäss der EG-Richtlinie müssen die Auskunftsstellen Geschädigte darüber informieren, dass das Fahrzeug nicht versichert ist und welche Stelle im Standortstaat die Haftpflichtansprüche regelt.

Als Neuerung sieht Absatz 3 vor, dass Bund und Kantone nach den für die Haftpflichtversicherung geltenden Bestimmungen die Schäden regulieren müssen, die von Fahrzeugen verursacht werden, für die sie haften. Dies bedeutet, dass ­

Bund und Kantone im Inland Schadenregulierungsstellen bezeichnen müssen, deren Namen sie der Auskunftsstelle mitteilen;

­

sich Bund und Kantone an die Regulierungsvorschriften des SVG (Art. 79c SVG) halten müssen (insbesondere an die Dreimonatsfrist);

­

die Entschädigungsstelle den Fall reguliert, wenn sich Bund und Kantone nicht an die Regulierungsvorschriften halten und die geschädigte Person dies verlangt, sowie auf sie Rückgriff nimmt.

Art. 74

Nationales Versicherungsbüro

Artikel 74 SVG regelt die Aufgaben des Nationalen Versicherungsbüros. Neu sind die Zuständigkeit des Büros für den Betrieb der Auskunftsstelle sowie die explizite Erwähnung seiner Zuständigkeit für die Grenzversicherung.

Absatz 1 übernimmt die bisher in Artikel 74 Absatz 1 geregelten Vorschriften.

22 23

Die Schweiz kennt bereits die Dreimonatsfrist in Artikel 43 Absatz 3 und 53 Absatz 4 der Verkehrsversicherungsverordung (SR 741.31) Diese Ausnahmebestimmung steht in Übereinstimmung mit dem Richtlinienrecht der EG (vgl. Art. 4 Bst. a der Ersten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie, 72/166/EWG).

4410

Materiell entspricht Absatz 2 Buchstabe a dem bisherigen Recht (Art. 74 Abs. 3).

Schäden, die durch ausländische Radfahrer verursacht werden, müssen bereits heute durch den Nationalen Garantiefonds gedeckt werden (vgl. Art. 50 der Verkehrsversicherungsverordnung vom 20. November 195924 [VVV]), weil diese in den überwiegenden Fällen ohnehin nicht versichert sind. Hat der schädigende Radfahrer eine Velovignette gelöst, so wird der Schaden durch die dahinter stehende Versicherungsgesellschaft reguliert.

Die Leistungen des Nationalen Versicherungsbüros sind weiterhin auf den in der Schweiz gesetzlich vorgeschriebenen Mindestversicherungsschutz beschränkt. Absatz 2 Buchstabe a bringt dies durch die Einschränkung «soweit nach diesem Gesetz eine Versicherungspflicht besteht» zum Ausdruck. Eine Versicherungspflicht besteht z.B. nur im Umfang der Mindestversicherungssumme. Aus diesem Grunde erbringt das Nationale Versicherungsbüro für den diese Summe übersteigenden Teil eines Schadens nur Leistungen, wenn das schädigende Fahrzeug aus einem Staat stammt, der eine höhere gesetzliche Mindestdeckung vorschreibt oder für das schädigende Fahrzeug aufgrund der Versicherungspolice eine höhere Deckung besteht und aus dem Ausland eine entsprechende Deckungszusage vorliegt (vgl. Art. 40 Abs. 3 VVV.

Die Sozialversicherungen treten in die Ansprüche der Verkehrsopfer insoweit ein, als sie diese entschädigt haben. Ihre Leistungen müssen daher mit denjenigen des Nationalen Versicherungsbüros koordiniert werden. Absätze 3 und 4 entsprechen im Übrigen den bisherigen Absätzen 5 und 6 Satz 2 von Artikel 74.

Art. 76

Nationaler Garantiefonds

Auch Artikel 76 behält seinen bisherigen Regelungsgegenstand, die Aufgaben des Nationalen Garantiefonds.

Absatz 1 übernimmt die bisher in Artikel 76 Absatz 1 geregelten Vorschriften. Auf Satz zwei von Artikel 76 Absatz 1 («Sie [die Versicherungseinrichtungen] tragen den Aufwand dafür anteilmässig») und Artikel 76 Absatz 4 Buchstabe c kann verzichtet werden, weil dies bereits in Artikel 76a Absätze 1 und 3 geregelt ist. Danach leisten die Motorfahrzeughalter einen Beitrag, der durch die Versicherer mit der Prämie erhoben wird, und nicht die Versicherer selbst.

Mit dem Entwurf werden folgende Änderungen eingefügt: Der Garantiefonds übernimmt in der Schweiz die Funktion der durch die EGRichtlinie vorgegebenen Entschädigungsstelle (Absatz 2, Buchstabe c).

Neu eingeführt wird eine sog. Insolvenzdeckung (Absatz 2, Buchstabe b). Demgemäss deckt der Garantiefonds die Haftung für Schäden, die durch in der Schweiz zugelassene Fahrzeuge verursacht werden, wenn über deren Versicherer der Konkurs eröffnet worden ist. Zwar ist ein solcher Fall bisher noch nie eingetreten, weil die Solvenz der Versicherer durch das Bundesamt für Privatversicherungen laufend und umfassend beaufsichtig wird. Dennoch ist ein solcher Fall nicht auszuschliessen. Bisher bestand eine Insolvenzdeckung über das Nationale Versicherungsbüro lediglich für den Fall, dass der Versicherer eines im Ausland immatrikulierten und in der Schweiz einen Schaden verursachenden Fahrzeuges in Konkurs fällt. Da es 24

SR 741.31

4411

sich um einen durch ein ausländisches Fahrzeug verursachten Schaden handelt, ist das Nationale Versicherungsbüro leistungspflichtig. Umgekehrt müsste das Nationale Versicherungsbüro auch für diejenigen Schäden aufkommen25, die von bei einer konkursiten schweizerischen Gesellschaft versicherten Fahrzeugen im Ausland verursacht werden. Damit enthält das geltende Recht eine Inländerdiskriminierung.

Mit der neuen Bestimmung besteht ein umfassender Schutz in allen Insolvenzfällen.

Ausserdem entspricht diese Insolvenzdeckung den Regelungen der europäischen Länder.

Die Sozialversicherungen treten in die Ansprüche der Verkehrsopfer insoweit ein, als sie diese entschädigt haben. Ihre Leistungen müssen daher mit denjenigen des Nationalen Garantiefonds koordiniert werden. Absatz 3 entspricht im Übrigen dem bisherigen Absatz 4 Buchstaben a und b.

Absatz 4 enthält unverändert den bisherigen Absatz 6.

Absatz 5 Buchstabe a enthält hingegen eine Neuregelung: Der Bundesrat kann den Garantiefonds zur Vorleistung verpflichten, wenn strittig ist, ob der Garantiefonds oder ein anderer Versicherer für den Schaden aufkommen muss. Damit wird eine Vorgabe der Dritten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie erfüllt26.

Absatz 5 Buchstabe b übernimmt im Wesentlichen die Aufgabe des bisherigen Artikels 79. Dieser räumt dem Bundesrat die Kompetenz ein, im Ausland wohnhafte ausländische Geschädigte von der Anspruchsberechtigung gegenüber dem Nationalen Versicherungsbüro und dem Nationalen Garantiefonds dann auszunehmen, wenn ihr Wohnsitz- oder Heimatstaat schweizerische Geschädigte schlechter stellt als inländische. Diese Bestimmung ist in dieser Form überholt: Von der Möglichkeit, die Leistungspflicht des nationalen Versicherungsbüros zu beschränken, hat der Bundesrat keinen Gebrauch gemacht. Hingegen kommen heute nur Personen aus Staaten, die Schweizer Opfern die gleichen Rechte gewähren, in den Genuss von Garantiefondsleistungen. Der Garantiefonds hat nach Artikel 54 Absatz 2 Buchstabe b VVV mit allen west-, mittel- und einigen osteuropäischen Staaten entsprechende Abkommen vereinbart. An dieser bewährten Vorgehensweise soll im Rahmen dieser Revision nichts geändert werden.

Art. 76a

Finanzierung

Die Finanzierung des Nationalen Versicherungsbüros und des Nationalen Garantiefonds erfolgt schon bisher über eine Zwecksteuer, die von MotorfahrzeugHaftpflichtversicherern zusammen mit der Versicherungsprämie erhoben wird; dieses System wird weitergeführt.

Neu ist auch der Aufwand der Auskunftstelle (Art. 79a SVG) und der Entschädigungsstelle (Art. 79d SVG) zu decken.

25 26

Abschliessend, d.h. nur mit einer Regressmöglichkeit gegenüber der Konkursmasse.

Art. 4 der Richtlinie 90/232/EWG: Besteht zwischen der in Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 84/5/EWG genannten Stelle und dem Haftpflichtversicherer Streit darüber, wer dem Geschädigten Schadenersatz zu leisten hat, so ergreifen die Mitgliedstaaten entsprechende Massnahmen, damit unter den Parteien diejenige bestimmt wird, die dem Geschädigten unverzüglich vorläufigen Schadenersatz zu leisten hat

4412

Art. 76b

Gemeinsame Bestimmungen

Artikel 76b SVG fasst verschiedene bisher in den Artikeln 74 und 76 enthaltene Bestimmungen zusammen.

Neu ist die Datenschutzbestimmung in Absatz 3. Sie orientiert sich inhaltlich an den analogen Bestimmungen von Artikel 84 des Bundesgesetzes vom 18. März 199427 über die Krankenversicherung und Artikel 97a des Bundesgesetzes vom 20. März 198128 über die Unfallversicherung. Gleichzeitig wird damit Artikel 5 Absatz 5 der EG-Richtlinie übernommen, was eine Voraussetzung für den Beitritt der Schweiz zu den Vereinbarungen unter den Auskunfts- und den Entschädigungsstellen darstellt.

Absatz 4 Buchstabe a regelt im Gegensatz zum geltenden Recht (Art. 74 Abs. 2 und Art. 76 Abs. 2: zwingende Bezeichnung durch das UVEK) nur noch die Möglichkeit für den Nationalen Garantiefonds und das Nationale Versicherungsbüro, einen geschäftsführenden Versicherer zu bezeichnen. Schon anlässlich der letzten Revision im Rahmen der Marktliberalisierung hätte auf den früher erforderlichen geschäftsführenden Versicherer verzichtet werden können, weil sowohl das Nationale Versicherungsbüro als auch der Nationale Garantiefonds selbst passivlegitimiert sind, und nicht die sie vertretende Versicherungseinrichtung.

Absatz 4, Buchstabe b übernimmt im Wesentlichen den geltenden Artikel 55 Absatz 1 VVV. Auf der Grundlage dieser bewährten Regelung schliessen das Nationale Versicherungsbüro und der Nationale Garantiefonds heute schon privatrechtliche Vereinbarungen mit den entsprechenden ausländischen Stellen zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Verkehrs und über den Schutz von Verkehrsopfern im grenzüberschreitenden Verkehr. Es ist sinnvoll, diese Möglichkeit über den bereits bestehenden Rahmen hinaus auf die Erfüllung der neuen Aufgaben, die das Nationale Versicherungsbüro und der Nationale Garantiefonds durch die Übernahme der EG-Richtlinie erhalten, auszudehnen. Zwar ist zur Zeit noch offen, ob und in welchem Umfang solche Vereinbarungen überhaupt zustande kommen werden; es muss aber heute schon die Grundlage dafür geschaffen werden, dass sie im Bedarfsfall auch abgeschlossen werden können.

Absatz 5 übernimmt im wesentlichen den geltenden Artikel 74 Absatz 6 Satz 1.

Art. 79

Im Ausland wohnhafte ausländische Geschädigte

Vgl. Ausführungen zu Artikel 76b SVG Art. 79a

Auskunftsstelle

Vgl. dazu auch die Ausführungen im Allgemeinen Teil.

Die Auskunftsstelle wird verpflichtet, allen Geschädigten, unabhängig von ihrer Herkunft, die erforderlichen Informationen zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen inländische Haftpflichtige zu erteilen.

Das gleiche Recht auf Auskunft wie der Geschädigte hat auch die in die Schadenersatzansprüche eintretende Sozialversicherung.

27 28

SR 832.10 SR 832.20

4413

Zur Erteilung von Informationen über ausländische Haftpflichtige kann sie nur verpflichtet werden, soweit sie mit ausländischen Auskunftsstellen entsprechende Vereinbarungen getroffen hat. Dies wird regelmässig dann der Fall sein, wenn die ausländischen Staaten der Schweiz volle Reziprozität gewähren.

Bezüglich Zugriff auf die Versicherungsdaten via Internet, ist eine Kompromisslösung vorgesehen. Zur Vermeidung von Missbräuchen29 wird auf eine öffentliche Zugänglichmachung der Daten verzichtet. Es wird aber trotzdem eine Abfragemöglichkeit über das Internet gebaut, der Zugriff darauf wird jedoch auf einen geschlossenen Userkreis (NVB, ausländische Büros bzw. Auskunftsstellen) beschränkt sein.

Art. 79b

Schadenregulierungsbeauftragte

Vgl. dazu auch die Ausführungen im Allgemeinen Teil.

Absatz 1 verpflichtet die in der Schweiz zum Betrieb der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung zugelassenen Versicherungseinrichtungen ­ auch jene mit Sitz ausserhalb des EWR ­, in den Staaten des EWR Schadenregulierungsbeauftragte zu benennen. Diese Pflicht gilt allerdings nur gegenüber jenen Staaten, welche Reziprozität gewähren.

Die Versicherer müssen ausserdem Namen und Adresse jedes im Ausland benannten Schadenregulierungsbeauftragten der Auskunftsstelle melden. Diese Pflicht besteht auch gegenüber den Auskunftsstellen der EWR-Staaten, könnte aber in der Praxis durch Vermittlung der schweizerischen Auskunftsstelle erfüllt werden.

Absatz 2 trägt der Einschränkung des Besucherschutzes auf den EWR Rechnung.

Der Bundesrat kann aber bei Bedarf den Besucherschutz auf zusätzliche Staaten ausdehnen, sofern diese der Schweiz Gegenrecht gewähren.

Die Absätze 3 und 4 regeln die Pflichten, Aufgaben und Rechtsstellung der Schadenregulierungsbeauftragten. Sie übernehmen den Inhalt der entsprechenden Vorgaben der EG-Richtlinie.

Art. 79c

Schadenregulierung

Artikel 79c SVG übernimmt den Inhalt der von der EG-Richtlinie vorgegebenen Bestimmung zur Schadenregulierung. Es wird dazu auf die Ausführungen im Allgemeinen Teil verwiesen. Die Bestimmungen gelten, wie bereits dargelegt, allgemein, d.h. auch für Inlandfälle.

Der Dreimonatsfrist beginnt nur zu laufen, wenn sich der Geschädigte an die zuständige Stelle wendet.

Art. 79d

Entschädigungsstelle

Artikel 79d SVG übernimmt den Inhalt der Bestimmungen der EG-Richtlinie zur Entschädigungsstelle. Auch dazu wird auf die Ausführungen im Allgemeinen Teil verwiesen. Die Entschädigungsstelle kann, wie ebenfalls bereits aufgezeigt, auch bei Inlandfällen in Anspruch genommen werden.

29

Z.B. Abfragen der im Register enthaltenen Daten zu Akquisitionszwecken.

4414

Die genauen Aufgaben der Entschädigungstelle werden vom Bundesrat bestimmt, insbesondere deren Informationspflicht (gegenüber betroffenen Versicherern und ausländischen Entschädigungsstellen) gleich nach Empfang eines Schadenersatzanspruches. Die Informationspflicht wird unter anderem auch die Verpflichtung beinhalten, dem Bundesamt für Privatversicherungen die Fälle zu melden, die zu Sanktionen führen könnten.

Die Entschädigungsstelle darf ein im Ausland verunfalltes Schweizer Opfer nur dann entschädigen, wenn sichergestellt ist, dass die ausländische Entschädigungsstelle den Rückgriff der schweizerischen Entschädigungsstelle befriedigt. Diese Sicherheit besteht, wenn die schweizerische Entschädigungsstelle im konkreten Einzelfall eine Deckungszusage einholt, oder wenn, was der Regelfall sein wird, mit der ausländischen Entschädigungsstelle eine entsprechende Abrede getroffen wurde.

Entsprechendes gilt, wenn die schweizerische Entschädigungsstelle gegenüber ausländischen Entschädigungsstellen rückgriffsbelastet ist.

Wünschenswert wäre ein Anschluss der schweizerischen Entschädigungsstelle an die in Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der EG-Richtlinie vorgeschriebene Vereinbarung der Entschädigungsstellen der EWR-Staaten. In jedem Fall wird sich die Entschädigungsstelle hinsichtlich der Zahlungs- und Rückgriffspflichten gegenüber anderen Entschädigungstellen nach den in dieser Vereinbarung festgelegten Grundsätzen richten müssen.

Art. 79e

Reziprozität

Vgl. dazu auch die Ausführungen im Allgemeinen Teil.

Der Inhalt der EG-Richtlinie wird autonom ins schweizerische Recht übernommen.

Dies hat zur Folge, dass die Bestimmungen der Artikel 79a - 79d - von gewissen Ausnahmen abgesehen - in der Schweiz nicht ohne weiteres anwendbar sind, weil sie auf einem zwischenstaatlichen System basieren. Artikel 79e bringt zum Ausdruck, dass diese Bestimmungen nur den schweizerischen Teil des Systems darstellen, und dass die Schweiz ohne Mitwirkung der anderen Staaten am internationalen System nicht teilnehmen kann. Die Erlangung der Reziprozität seitens der anderen Staaten durch die Schweiz soll deren Mitwirkung und damit die volle Anwendbarkeit der in der Schweiz übernommenen Regeln der EG-Richtlinie gewährleisten.

Die Bestimmungen, deren Geltungsbereich auf reine Inlandfälle ausgedehnt worden ist, sind ungeachtet der Reziprozität in diesen Fällen anwendbar. Zum Beispiel setzt die Pflicht eines in der Schweiz zugelassenen Motorfahrzeughaftpflichtversicherers, innert 3 Monaten auf den Schadenersatzanspruch eines in der Schweiz wohnhaften Geschädigten zu reagieren, keine Reziprozität eines anderen Staates voraus.

Reziprozität ist insbesondere aus zwei Gründen unabdingbar: ­

Wenn die schweizerische Entschädigungsstelle im Ausland verunfallte Opfer mit Wohnsitz in der Schweiz entschädigt, muss sie Rückgriff auf die entsprechende ausländische Entschädigungsstelle nehmen können. Ohne Reziprozität darf die Entschädigungsstelle nicht leisten, da sonst die Gemeinschaft der schweizerischen Fahrzeughalter für diese Schäden aufkommen müsste (vgl. Kommentar zu Art. 79d).

­

Wenn die in der Schweiz zugelassenen Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer in jedem EWR-Staat Schadenregulierungsbeauftragte benennen, muss im 4415

Interesse der schweizerischen Geschädigten sichergestellt sein, dass auch die ausländischen Versicherer in der Schweiz Schadenregulierungsbeauftragte benennen. Ein in der Schweiz zugelassener Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer wird nicht verpflichtet, in einem EWR-Staat einen Schadenregulierungsbeauftragten zu benennen, wenn dieser Staat seinerseits keine Verpflichtung der dort zugelassenen Versicherer zur Benennung von Schadenregulierungsbeauftragten in der Schweiz vorsieht30.

Art. 104a

Fahrzeug- und Fahrzeughalterregister

Die Übernahme des Inhalts der EG-Besucherschutz-Richtlinie macht schliesslich geringfügige Änderungen des noch nicht in Kraft gesetzten Artikels 104a erforderlich.

2.2

Erläuterungen zu den Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG)31

Art 8

Bewilligungsgesuch

Mit der neuen Bestimmung von Absatz 2bis Buchstabe b wird den Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherern eine neue Zulassungsbedingung auferlegt. Danach sind sie verpflichtet, die von ihnen nach Artikel 79b SVG benannten Schadenregulierungsbeauftragten dem Bundesamt für Privatversicherungen zu melden, und zwar nicht nur im Moment der Zulassung, sondern auch bei allfälligen späteren Änderungen.

Eine Reziprozitätsklausel ist hier nicht erforderlich, da diejenige von Artikel 79e SVG die Anwendbarkeit von Artikel 79b SVG schon vorbehält.

Art. 38b und Art. 49

Aufsicht über die Schadenregulierung

Gemäss Artikel 12 der EG-Richtlinie sind wirksame, verhältnismässige und abschreckende Sanktionen für Verstösse gegen die Richtlinienvorgaben vorzusehen.

Es handelt sich dabei insbesondere um die Einhaltung der Dreimonatsfrist. Die Überwachung des Vollzugs der Schadenerledigung als einer Kernaufgabe der Versicherungsaufsicht wird in Artikel 38b dem Bundesamt für Privatversicherungen auferlegt. Die analoge Anwendung der verwaltungsstrafrechtlichen Bestimmung in Artikel 49 VAG stellt der Aufsichtsbehörde die erforderlichen Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung, um die ordnungsgemässe Schadenerledigung in der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung auch durchzusetzen.

30

31

Dies ändert aber nichts an der Pflicht der im EWR niedergelassenen Versicherer mit Sitz in der Schweiz, in jedem EWR-Staat einen Schadenregulierungsbeauftragten zu benennen. Diese Pflicht ergibt sich aus dem internen Recht des Niederlassungsstaates nach Umsetzung der Besucherschutzrichtlinie, unabhängig davon, ob die Schweiz deren Inhalt umsetzt.

SR 961.01

4416

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle Auswirkungen

3.1.1

Auf den Bund

Der Bund wird weiterhin für die Schäden, die mit seinen Fahrzeugen verursacht werden, aufkommen müssen. Das Gesetz bringt somit in Bezug auf die Schadenbelastung keine Mehrkosten für den Bund. Die Benennung der Stellen, welche die Schäden regulieren, besteht in einem einmaligen Akt, der in den meisten Fällen ohnehin schon erfolgt ist.32 Auch sonst entstehen keine Mehrkosten. So ist insbesondere auch die Vernetzung des Nationalen Versicherungsbüros mit dem Fahrzeug- und Fahrzeughalterregister bereits nach geltendem Recht vorgesehen.

3.1.2

Auf die Kantone

Auch die Kantone müssen Schadenregulierungsstellen im Inland bezeichnen. Die entsprechenden Ausführungen zu den finanziellen Auswirkungen des Bundes gelten somit mutatis mutandis auch für die Kantone.

3.2

Personelle Auswirkungen

Die Neuerungen führen weder für den Bund noch für die Kantone zu personellen Auswirkungen.

3.3

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

3.3.1

Auf die Versicherungsgesellschaften

Die Versicherer werden in allen Staaten Europas eine Schadenbehandlungsinfrastruktur aufbauen müssen. Die zusätzlich anfallenden Kosten sind nur schwer abschätzbar, weil die Versicherer über einen grossen Gestaltungsspielraum verfügen.

Zu bemerken ist jedoch, dass die schweizerischen Versicherer, die in einem EWRStaat niedergelassen sind, aufgrund der Besucherschutzrichtlinie ­ unabhängig davon, ob ihr Inhalt ins schweizerische Recht übernommen wird oder nicht ­ eine solche Infrastruktur aufbauen müssen.

3.3.2

Auf die Konsumenten

Das Nationale Versicherungsbüro und der Nationale Garantiefonds werden zur Aufnahme des Betriebes der Auskunfts- und der Entschädigungsstelle ihre Infrastruktur

32

Vgl. Art. 26 der Verordnung vom 31. März 1971 über die Motorfahrzeuge des Bundes und ihre Führer (SR 741.541).

4417

ausbauen müssen. Dies wird Mehraufwendungen im Informatikbereich zur Folge haben und zusätzliche personelle Ressourcen erfordern.

Da der Garantiefonds neu auch eine Insolvenzdeckung (Art. 76 Abs. 2 Bst. b SVG) zu gewähren hat, wird er zu diesem Zweck seine Rückstellungen verstärken müssen.

Die beiden Vereine finanzieren ihre Aufwendungen durch eine von den Motorfahrzeughaltern getragene Zwecksteuer33. Es ist davon auszugehen, dass die neuen Aufgaben von NVB und NGF eine Erhöhung des jährlichen Beitrages der Motorfahrzeughalter zur Folge haben werden. Der Beitrag beträgt derzeit pro Fahrzeug und Jahr Fr. 4.2034. Die zu erwartende Beitragserhöhung wird einen Franken pro Fahrzeug und Jahr aller Voraussicht nach kaum übersteigen. Damit wird der Beitrag sich auf dem Niveau einpendeln, auf dem er Ende der neunziger Jahre war, als die beiden Vereine gegründet wurden. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass die Beitragskalkulation durch das Bundesamt für Privatversicherungen genehmigt werden muss, so dass unkontrollierte Beitragserhöhungen ausgeschlossen werden können.

4

Legislaturplanung

Das Geschäft ist nicht im Bericht über die Legislaturplanung 1999-2003 (BBl 2000 2276) angekündigt. Es ist aber mit Bundesratsbeschluss vom 14. November 2001 über die Ziele des Bundesrates im Jahre 2002 unter den wichtigsten geplanten Parlamentsgeschäften 2002 für das erste Halbjahr 200235 angekündigt worden. Das Geschäft ist vordringlich, da die Bestimmungen der EG-Besucherschutzrichtlinie in den Mitgliedstaaten am 20. Januar 2003 in Kraft treten. Diese Bestimmungen erweitern das «Grüne-Karten-System» in der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung, dem die Schweiz über das Nationale Versicherungsbüro und den Nationalen Garantiefonds angeschlossen ist. Um die lückenlose Funktionsfähigkeit des Systems zu garantieren, muss die Anpassung des Schweizer Rechts auf den gleichen Zeitpunkt wie die Besucherschutz-Richtlinie in Kraft treten. Der Besucherschutz bedingt zudem Reziprozität, die den EWR-Staaten vor Inkrafttreten auf diplomatischem Wege einzeln beantragt werden muss. All dies erfordert eine dringliche Behandlung der Vorlage mit einer Verabschiedung der Gesetzesänderungen in beiden Räten spätestens in der Herbstsession 2002.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Mit der Vorlage wird der Inhalt einer EG-Richtlinie ins Schweizer Recht übernommen. Dabei handelt es sich um eine Massnahme autonomen Nachvollzugs durch die Schweiz, deren Wirksamkeit durch eine Gegenrechtsklausel sichergestellt werden soll (vgl. dazu die Ausführungen im Allgemeinen Teil sowie die Erläuterungen zu Art. 79e).

33 34 35

Zur Qualifikation der Beiträge als Zwecksteuer, vgl. Fuhrer/Büchler, a.a.O. (zit. Fn. 3), 96 ff.

Bzw. Fr. 8.40 für Lastwagen und Fr. 2.10 für Motorräder.

Abrufbar unter: http://www.admin.ch/ch/d/bk/zieleD02.pdf (Stand: 1.3.02).

4418

6

Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Bestimmungen des Entwurfs stützen sich auf die Artikel 82 Absatz 1 und 98 Absatz 3 der Bundesverfassung36.

6.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Verschiedene Artikel des Entwurfes delegieren Rechtsetzungsbefugnisse an den Bundesrat. Nachfolgend sind diese aufgelistet, wobei nur materiell neue Delegationsnormen aufgeführt werden: ­

Artikel 74 Absatz 3 Buchstabe b und Artikel 76 Absatz 3 Buchstabe c SVG: Kompetenz des Bundesrates, die Koordination der Leistungen der Sozialversicherungen mit Schadenersatzleisungen des Nationalen Versicherungsbüros und des Nationalen Garantiefonds zu regeln.

­

Artikel 76b Absatz 5 SVG: Kompetenz des Bundesrates, dem NVB und dem NGF zusätzliche Aufgaben im Bereich des Verkehrsopferschutzes übertragen zu können. Eine solche Delegationsnorm war bisher bereits in Artikel 74 Absatz 6 (mit Geltung nur für das NVB) enthalten.

­

Artikel 76 Absatz 5 Buchstabe a SVG: Der Bundesrat erhält neu die Möglichkeit, den NGF zur Vorleistung zu verpflichten, wenn umstritten ist, ob ein anderer Versicherer zur Leistung verpflichtet ist (vgl. dazu oben die Ausführungen zu Art. 76 SVG).

­

Artikel 79a Absätze 2 und 3 SVG: Der Bundesrat regelt den Inhalt der von der Auskunftsstelle zu erteilenden Informationen und kann Dritte dazu verpflichten, der Auskunftsstelle Informationen zur Verfügung zu stellen.

6.3

Inkrafttreten

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten. Dabei orientiert er sich nach Möglichkeit am Zeitplan, welcher für die Umsetzung der Richtlinie in der EG vorgesehen ist (Art. 10 Abs. 1 Uabs. 2 der Besucherschutz-Richtlinie). Geplantes Inkrafttreten der Bundesgesetze ist somit der 20. Januar 2003.

36

SR 101

4419

Anhang Grafik 1

Verkehrsunfall

innerhalb des EWR und ausserhalb des Wohnsitzstaates Unfall verursacht durch...

unbekanntes Fahrzeug

bekanntes Fahrzeug

nicht versichert

versichert

Entschädigungsstelle (Ausfallschutz)

Versicherer nicht ermittelbar

Versicherer ermittelbar Fahrzeug...

zugelassen und versichert ausserhalb des Wohnsitzstaates

Schadenregulierungsbeauftragter ernannt

zugelassen oder versichert im Wohnsitzstaat

zugelassen und versichert in einem Drittstaat

Inlandfall

Grenzversicherung Grüne Karte

Schadenregulierungsbeauftragter nicht ernannt

Geschädigter wendet sich an

Schadenregulierungsbeauftragter

Versicherer

Ordentliches Regulierungsverfahren

4420

Entschädigungsstelle

Ausserordentliches Regulierungsverfahren

Grafik 2

Ordentliches Regulierungsverfahren

Reaktion innert dreier Monate

Keine Reaktion innert dreier Monate

Ausserordentliches Regulierungsverfahren

Nachfrist

Reaktion innert zwei Monaten

Regulierung durch Versicherer oder Schadenregulierungsbeauftragter

Keine Reaktion innert zwei Monaten

Regulierung durch Entschädigungsstelle

4421