02.042 Botschaft über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Republik Lettland vom 22. Mai 2002
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dem Antrag auf Zustimmung den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über das am 31. Januar 2002 unterzeichnete Abkommen mit der Republik Lettland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen.
Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.
22. Mai 2002
Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz
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2002-0849
Übersicht Am 31. Januar 2002 wurde mit der Republik Lettland ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen unterzeichnet.
Das neue Abkommen bietet Personen mit steuerlichen Bezugspunkten zu beiden Staaten und speziell den investierenden Unternehmen neben der Beseitigung der Doppelbesteuerung auch einen gewissen institutionellen Schutz im Fiskalbereich.
Es begünstigt neue Investitionen und stellt zudem sicher, dass die schweizerischen Unternehmen gegenüber ihren Konkurrenten aus anderen Staaten keine steuerlich bedingten Wettbewerbsnachteile erleiden. Das Abkommen folgt im Wesentlichen dem Musterabkommen der OECD und der schweizerischen Abkommenspraxis.
Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben den Abschluss des Abkommens im Vernehmlassungsverfahren begrüsst.
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Botschaft 1
Vorgeschichte
Lettland erlangte nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 seine Unabhängigkeit als souveräner Staat wieder. Das Land weist die Regierungsform einer parlamentarischen Demokratie auf und hat 2,4 Mio. Einwohner. Es ist Mitglied zahlreicher internationaler Organisationen und Institutionen, unter anderen UNO, ECE/UNO, WTO, Europarat, Bretton-Woods-Institutionen (Weltbank und IWF) und partizipiert am Baltischen Freihandelsabkommen. Verhandlungen mit der EU im Hinblick auf einen Beitritt laufen seit Februar 2000.
Der Handel zwischen der Schweiz und Lettland entwickelt sich import- und exportseitig positiv. Seit 1997 ist im bilateralen Verhältnis das Freihandelsabkommen (EFTA) in Kraft. Es besteht ein ausgeprägter Handelsbilanzüberschuss zu Gunsten der Schweiz. Laut Angaben des lettischen Wirtschaftsministeriums rangierte die Schweiz Ende 2000 mit 43,7 Mio. $ an elfter Stelle bezogen auf den Gesamtbestand aller ausländischen Investitionen.
Die Verhandlungen zum Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens haben gemeinsam mit den beiden anderen baltischen Staaten, Estland und Litauen, in drei Verhandlungsrunden vom 16. bis 19. Juni 1997, 12. bis 15. Januar 1999 und 26. bis 30. März 2001 stattgefunden und konnten am Ende der dritten Runde mit der Paraphierung eines Abkommensentwurfes abgeschlossen werden.
Nachdem die Kantone und interessierten Wirtschaftskreise sich gegenüber dem Abkommen zustimmend geäussert hatten, wurde das Vertragswerk am 31. Januar 2002 in Bern unterzeichnet.
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Bemerkungen zu den Bestimmungen des Abkommens
Der Entwurf des Doppelbesteuerungsabkommens folgt sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht weitgehend dem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erarbeiteten Musterabkommen sowie der schweizerischen Vertragspraxis auf diesem Gebiet. Wir beschränken uns deshalb im Folgenden darauf, die wesentlichsten Abweichungen vom Musterabkommen bzw. von der schweizerischen Vertragspraxis zu erläutern und auf zentrale Merkmale des Abkommens hinzuweisen.
Art. 2
Unter das Abkommen fallende Steuern
Der sachliche Geltungsbereich des Abkommens umfasst die Steuern auf dem Einkommen und dem Vermögen. Die Verrechnungssteuer auf Lotteriegewinnen wird der schweizerischen Abkommenspraxis entsprechend vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgeschlossen.
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Art. 3
Allgemeine Begriffsbestimmungen
Lettland sieht in seinem internen Recht vor, in weitem Umfang Tätigkeiten zur Erforschung und Ausbeutung von Bodenschätzen auf dem Kontinentalsockel unter dem Begriff Betriebstätten zu besteuern. Da sich die herkömmliche Betriebstätteregelung einseitig zu Gunsten Lettlands ausgewirkt hätte, kam man überein, den territorialen Anwendungsbereich des Abkommens auf das Festland und die Territorialgewässer zu beschränken und den Kontinentalsockel auszunehmen. Diese Lösung könnte zwar in Einzelfällen zu Doppelbesteuerungen führen; der Nachteil ist indessen in Kauf zu nehmen, will man einseitige Konzessionen der Schweiz und damit ungünstige präjudizielle Auswirkungen vermeiden.
Demzufolge erfasst der Begriff «Lettland» gemäss einer Protokollbestimmung nicht die an die Territorialgewässer angrenzenden Seegebiete, wo Lettland nach internationalen und lokalen Rechtsregeln Rechte am Boden und Untergrund des Meeres und dort gelegenen Naturschätzen ausüben darf.
Art. 4
Ansässige Person
Bei juristischen Personen gelten der Ort des Sitzes oder der Verwaltung als ansässigkeitsbegründend. Sobald auch Lettland zum Konzept des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung übergeht, wird nach einer Protokollbestimmung in Fällen von Doppelansässigkeit anderer als natürlicher Personen diesem Kriterium der Vorrang eingeräumt.
Art. 5
Betriebstätten
Baustellen, Montagen, Installationen oder damit verbundene Aufsichtstätigkeiten begründen eine Betriebstätte, wenn ihre Dauer neun Monate überschreitet.
Art. 6
Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen
Einkommen aus Mieteraktiengesellschaften und vergleichbaren Körperschaften, die in Grundeigentum investiert haben und ihren Gesellschaftern die Nutzung unbeweglichen Vermögens ermöglichen, gilt auf Grund einer Protokollbestimmung als solches aus unbeweglichem Vermögen.
Art. 7
Unternehmensgewinne
Der Entwurf folgt dem im Musterabkommen der OECD festgelegten Grundsatz, dass eine Betriebstätte nur für diejenigen Gewinne besteuert werden darf, die ihr zugerechnet werden können.
In einer Protokollbestimmung wird für Betriebstätten die Abzugsfähigkeit auf jene Aufwendungen beschränkt, welche in einem direkten Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebstätte stehen.
Art. 10
Dividenden
Im Beteiligungsverhältnis wird die Steuer zu Gunsten des Quellenstaats begrenzt auf 5 Prozent, wenn die Beteiligung mindestens 20 Prozent des Kapitals der die Divi-
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denden zahlenden Gesellschaft beträgt. Höchstens 15 Prozent beträgt sie in allen anderen Fällen.
Art. 11
Zinsen
Die Quellensteuer auf Zinsen wird generell auf 10 Prozent begrenzt.
Quellensteuerfrei sind nach dem Abkommen Zinsen auf Staatspapieren, Zinsleistungen an staatliche Institutionen oder die Nationalbank des anderen Landes, Zinsen auf staatlich garantierten Darlehen sowie Zinsen aus Kreditverkäufen zwischen nichtverbundenen Unternehmen.
Das Protokoll enthält eine automatisch wirkende Meistbegünstigungsklausel mit Bezug auf vorteilhaftere Bedingungen, welche Lettland irgendeinem anderen OECD-Mitgliedstaat in Zukunft insbesondere hinsichtlich Bankzinsen, Zinsen bei Kreditverkäufen unter verbundenen Unternehmen oder tieferen Quellensteuersätzen einräumen könnte.
Art. 12
Lizenzgebühren
Die Quellensteuer auf Lizenzgebühren wird generell auf 10 Prozent begrenzt.
Leasinggebühren dürfen mit einer Quellensteuer von maximal 5 Prozent belastet werden.
Das Protokoll enthält auch für Lizenzgebühren eine automatisch wirkende Meistbegünstigungsklausel mit Bezug auf vorteilhaftere Bedingungen, welche Lettland irgendeinem anderen OECD-Mitgliedstaat in Zukunft einräumen könnte. Ausdrücklich erwähnt sind Änderungen am abkommensrechtlichen Lizenzbegriff, Ausnahmebestimmungen für bestimmte Lizenzgebühren oder tiefere Quellensteuersätze.
Art. 13
Gewinne aus der Veräusserung von Vermögen
Das Abkommen sieht ein Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaates bei der Veräusserung von Beteiligungen an Immobiliengesellschaften vor.
Art. 14
Selbständige Arbeit
Steuerpflichtig für sein Einkommen aus selbständiger Arbeit wird auch, wer sich als ansässige Person des einen Staates im anderen Staat innerhalb einer Zwölfmonatsperiode länger als 183 Tage aufhält.
Art. 17
Künstler und Sportler
Im Hinblick auf die Vermeidung von Missbräuchen können im Auftrittsstaat auch Einkünfte besteuert werden, die von anderen Personen vereinnahmt werden, sofern der auftretende Künstler oder Sportler an diesen Einkünften direkt oder indirekt beteiligt ist.
Das Besteuerungsrecht des Auftrittsstaates ist ausgeschlossen, wenn die betreffenden Einkünfte des Künstlers oder Sportlers in substanziellem Mass aus Subventionen des einen oder anderen Vertragsstaates herrühren.
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Art. 21
Übrige Einkünfte
Das Abkommen enthält für die übrigen Einkünfte eine Zuteilungsregel zu Gunsten des Ansässigkeitsstaates des Empfängers.
Art. 23
Vermeidung der Doppelbesteuerung
Lettland vermeidet die Doppelbesteuerung mittels der Anrechnungsmethode.
Die Schweiz wendet wie üblich die Befreiungsmethode mit Progressionsvorbehalt an und gewährt für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren die pauschale Steueranrechnung. Ferner ist festgehalten, dass Dividendeneinkünfte schweizerischer Unternehmen aus lettischer Quelle derselben steuerlichen Entlastung teilhaftig werden wie Dividendeneinkünfte aus schweizerischen Quellen.
Art. 24
Gleichbehandlung
Die Gleichbehandlungsklausel erstreckt sich ungeachtet des sachlichen Geltungsbereichs des Abkommens auf sämtliche Steuern der Vertragsstaaten.
Art. 26
Informationsaustausch
Ins Abkommen wurde eine Auskunftsklausel aufgenommen, wie sie bereits mit anderen osteuropäischen Staaten vereinbart worden ist. Der Austausch ist beschränkt auf Informationen, welche für die Durchführung der Bestimmungen des Doppelbesteuerungsabkommens notwendig sind. Die übermittelten Informationen dürfen nur für die Veranlagung und den Einzug der vom Abkommen erfassten Steuern verwendet werden. Ausgeschlossen ist der Austausch von Informationen, die ein Handels-, Geschäfts-, Bank-, Industrie- oder Berufsgeheimnis betreffen.
Art. 27
Diplomaten und Konsularbeamte
Die Klausel entspricht der im Vergleich mit dem OECD-Musterabkommen detaillierteren schweizerischen Abkommenspraxis.
Art. 28
Inkrafttreten
Die Bestimmungen des Abkommens sind ab Anfang des Jahres anwendbar, welches dem Jahr nachfolgt, in dem das gegenseitige Notifikationsverfahren seinen Abschluss gefunden hat.
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Finanzielle Auswirkungen
In einem Doppelbesteuerungsabkommen verzichten beide Vertragsstaaten auf gewisse Steuereinnahmen. Für die Schweiz ergeben sich Einbussen durch die teilweise Rückerstattung der Verrechnungssteuer und durch die Anrechnung der in der Republik Lettland auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren gestützt auf die Artikel 10, 11 und 12 erhobenen Quellensteuern. Die Einbussen, die sich aus der teilweisen Rückerstattung der Verrechnungssteuer an in der Republik Lettland ansässige Personen ergeben, dürften nur leicht ins Gewicht fallen. Auch die in der
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bundesrätlichen Verordnung vom 22. August 1967 verankerte pauschale Steueranrechnung wird geringfügige Mindereinnahmen der schweizerischen Steuerhoheitsträger nach sich ziehen. Diese Einbussen, deren Ausmass mangels geeigneter Unterlagen nicht beziffert werden kann, werden aber teilweise aufgewogen durch den Umstand, dass inskünftig die aus der Republik Lettland stammenden Einkünfte in der Schweiz mit dem Bruttobetrag besteuert werden, während bisher die lettische Quellensteuer zum Abzug von der Bemessungsgrundlage zugelassen werden musste.
Das neue Abkommen bringt wesentliche Verbesserungen und Erleichterungen gegenüber dem bisherigen vertragslosen Zustand. Es darf erwartet werden, dass der Staatsvertrag zur Förderung neuer schweizerischer Direktinvestitionen in der Republik Lettland beitragen kann und sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes auswirken wird. Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben sich im Vernehmlassungsverfahren positiv geäussert. Es ist daran zu erinnern, dass die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in erster Linie im Interesse der Steuerpflichtigen abgeschlossen werden und ganz allgemein zur Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit beitragen, was einem Hauptanliegen der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik entspricht.
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Verfassungsmässigkeit
Verfassungsgrundlage dieses Abkommens bildet Artikel 54 der Bundesverfassung, der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 der Bundesverfassung zuständig für die Genehmigung des Abkommens. Das Abkommen ist zwar auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber jederzeit unter Einhaltung einer sechsmonatigen Frist auf das Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Es sieht weder den Beitritt zu einer internationalen Organisation vor, noch führt es eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbei. Der Bundesbeschluss unterliegt daher nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d der Bundesverfassung.
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Schlussfolgerungen
Das vorliegende Abkommen folgt weitgehend dem OECD-Musterabkommen und entspricht der schweizerischen Abkommenspraxis. Es schafft Rechtssicherheit und bringt schweizerischen Investoren eine erhebliche Entlastung von den lettischen Steuern. Das Abkommen dürfte sich allgemein günstig auf die weitere Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der Republik Lettland auswirken.
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