02.054 Botschaft zum Bundesgesetz über die Verlängerung des Bundesbeschlusses über die ärztliche Verschreibung von Heroin vom 3. Juli 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit der vorliegenden Botschaft den Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Verlängerung des Bundesbeschlusses über die ärztliche Verschreibung von Heroin mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

3. Juli 2002

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Kaspar Villiger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2002-0288

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Übersicht Der Bundesbeschluss vom 9. Oktober 1998 über die ärztliche Verschreibung von Heroin ist bis zum Inkrafttreten der Revision des Betäubungsmittelgesetzes, längstens aber bis zum 31. Dezember 2004 befristet.

Zum Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Bundesbeschlusses ging der Bundesrat davon aus, dass bis zum 31. Dezember 2004 das revidierte Betäubungsmittelgesetz in Kraft gesetzt werden kann. Verschiedene Umstände führten zu zeitlichen Verzögerungen gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan. Dadurch ist nicht ganz auszuschliessen, dass das revidierte Betäubungsmittelgesetz erst nach dem 1. Januar 2005 in Kraft gesetzt werden kann.

Die Geltungsdauer des Bundesbeschlusses über die ärztliche Verschreibung von Heroin soll deshalb ohne inhaltliche Änderung um fünf Jahre, d.h. bis längstens zum 31. Dezember 2009 verlängert werden. Nach der neuen Bundesverfassung ist dafür ein Bundesgesetz zu erlassen.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Ausgangslage

Das geltende Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe vom 3. Oktober 1951 (Betäubungsmittelgesetz, BetmG; SR 812.121) ist revisionsbedürftig. Dies hat verschiedene Gründe, welche in der Botschaft über die Änderung des BetmG vom 9. März 2001 aufgeführt sind. Bereits im November 1994 erarbeitete die vom Eidgenössischen Departement des Innern eingesetzte Expertenkommission für die Revision des Betäubungsmittelgesetzes, unter dem Vorsitz von Regierungsrat Schild («Kommission Schild»), Empfehlungen für eine Revision des BetmG. In der Folge wurde zwar mit den Arbeiten zur Revision des BetmG begonnen, der Bundesrat wartete jedoch die Abstimmungsresultate von zwei hängigen Volksinitiativen (Initiative «Jugend ohne Drogen», im September 1997 abgelehnt; Initiative «für eine vernünftige Drogenpolitik», im November 1998 abgelehnt) ab, bevor er einen Entwurf in die Vernehmlassung schickte.

Die Drogenpolitik des Bundes beruht auf den vier Säulen: Prävention, Therapie, Schadensverminderung und Repression. Diese vier Säulen sollen im Rahmen der Revision des BetmG gesetzlich verankert werden. Die heroingestütze Behandlung ist der Säule «Therapie» zuzurechnen und soll im Rahmen der Revision des BetmG definitiv gesetzlich verankert werden. Im Folgenden wird kurz die Vorgeschichte dargelegt, welche zu diesem Schritt geführt hat: Am 21. Oktober 1992 wurde die Verordnung über die Förderung der wissenschaftlichen Begleitforschung zur Drogenprävention und zur Verbesserung der Lebensbedingungen Drogenabhängiger (PROVE-Verordnung) vom Bundesrat verabschiedet.

Die PROVE-Verordnung regelte die wissenschaftliche Erforschung von Massnahmen zur Drogenprävention, zur Verbesserung der Gesundheits- und Lebenssituation Drogenabhängiger, zu ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie zur Senkung der Beschaffungskriminalität. 1994 startete der wissenschaftliche Versuch mit der ärztlichen Verschreibung von Heroin in einer medizinisch-therapeutischen Einbettung zur psychosozialen Stabilisierung. Die insgesamt 18 Projekte umfassten 800 Behandlungsplätze mit Verschreibung von Heroin, 100 mit Morphin und 100 mit intravenös verabreichtem Methadon. Da die PROVE-Verordnung befristet war, beschloss der Bundesrat, dass für Personen, für welche eine Behandlung unter Einschluss von Heroin indiziert war, die
Behandlungsmöglichkeiten bis zum 31. Dezember 1998 verlängert werden konnten.

Die Resultate aus den Versuchen wurden im Juli 1997 veröffentlicht und sie zeigten, dass die heroingestützte Behandlung für eine klar definierte, relativ kleine Zielgruppe von Personen mit einer langjährigen, chronifizierten Heroinabhängigkeit, mehreren gescheiterten Therapieversuchen und deutlichen gesundheitlichen und sozialen Defiziten eine sinnvolle Ergänzung der Therapiemöglichkeiten darstellt.

Da die Verlängerung der PROVE-Verordnung bis Ende 1998 dauerte, wurde auf Grund der positiven Forschungsresultate beschlossen, die Verankerung der heroingestützten Behandlung im BetmG mittels befristeten Bundesbeschlusses vorzuziehen und nicht die ordentliche Revision des BetmG abzuwarten. Damit sollte verhin5841

dert werden, dass mangels gesetzlicher Grundlage die Patientinnen und Patienten die erfolgversprechende Therapie hätten abbrechen müssen. Es musste nämlich damit gerechnet werden, dass einige weitere Revisionspostulate im Betäubungsmittelbereich in der Bevölkerung und Politik noch viel zu diskutieren geben würden, bzw.

noch weiterer Abklärungen bedurften und eine Revision des BetmG nicht rechtzeitig für die Weiterführung dieser Therapieform in Kraft treten würde. Am 9. Oktober 1998 wurde daher vom Parlament der Bundesbeschluss über die ärztliche Verschreibung von Heroin als dringlich erklärt und in Kraft gesetzt. Dagegen wurde das Referendum ergriffen und im Juni 1999 wurde der Bundesbeschluss vom Stimmvolk gutgeheissen.

Am 1. September 1999 wurde die Vernehmlassung zum Entwurf des Bundesrates zur Revision des BetmG eröffnet. Die Resultate der Vernehmlassung wurden im September 2000 veröffentlicht. In Bezug auf die gesetzliche Verankerung der heroingestützten Behandlung stiess der Vorschlag des Bundesrates auf breite Zustimmung.

Der Bundesrat hat am 9. März 2001 die Botschaft zur Revision des BetmG zuhanden des Parlamentes verabschiedet.

1.2

Stand der heroingestützten Behandlung

1.2.1

National

Anfangs Februar 2002 befanden sich 1127 Patienten und Patientinnen in Behandlung. Gestützt auf die aktuelle und zukünftige Gesetzgebung ist davon auszugehen, dass die Zahl der Patienten und Patientinnen in den kommenden Jahren 1500 Personen nicht übersteigen wird.

Heute werden in 20 ambulanten Polikliniken und in zwei Gefängnissen heroingestützte Behandlungen durchgeführt. Im Tessin wird die heroingestützte Behandlung nicht, in der Westschweiz bisher nur in Genf angeboten.

Ausgewertete wissenschaftliche Daten liegen zur Zeit bis Ende 2000 vor. Im Jahre 2000 lag das Durchschnittsalter bei Eintritt bei 32,5 Jahren, 77.5 Prozent der Eintretenden waren Männer. Vor Eintritt in die heroingestützte Therapie waren die Patienten und Patientinnen im Durchschnitt bereits seit zehn Jahren heroinabhängig und hatten mindestens zwei erfolglose Therapieversuche hinter sich.

Gesundheit und soziale Integration konnten beim überwiegenden Teil der Patientinnen und Patienten verbessert werden, was bei diesen Menschen, die zuvor mehrere Therapieversuche erfolglos abgebrochen hatten, als grosser Erfolg gewertet werden kann. Die Kriminalität der Teilnehmenden wird im Verlaufe der Behandlung massiv gesenkt, was nicht nur auf die Betroffenen, sondern auch auf deren soziale Umgebung und auf die Öffentlichkeit insgesamt deutlich spürbare positive Auswirkungen hat.

Im Jahre 2000 sind 175 Patientinnen und Patienten aus der heroingestützten Behandlung ausgetreten; davon 127 (72,6 %) in eine Methadonbehandlung oder in eine abstinenzorientierte Therapie.

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Was die Qualitätskontrolle der heroingestützten Behandlung betrifft, so werden alle Behandlungszentren von den zuständigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) besucht. Diese Besuche dienen jeweils zur Überprüfung der Einhaltung von Richtlinien und gesetzlichen Bestimmungen, bieten aber auch Gelegenheit zu fachlichem Austausch über die Entwicklung der Behandlung und über anstehende Probleme.

Die beim BAG eingehenden Jahresberichte der Behandlungszentren, seit dem Jahr 2000 nach dem gleichen Raster verfasst, erlauben es dem BAG, vergleichbare statistische Angaben über Patientenzahl, Austrittsgründe, Weiterbildungsbedürfnisse und Personalsituation zu erhalten.

Zusätzlich zur Qualitätskontrolle soll die Qualität auch kontinuierlich verbessert werden: ein Vorhaben Qualitätsentwicklung in der heroingestützten Behandlung wurde im Mai 2000 gestartet. Ziel ist die Erarbeitung von Richtlinien und Empfehlungen auf Grund der Analyse der festgestellen Problemfelder (wie z.B. die Problematik der Langzeitpatienten und -innen oder der nach wie vor vorhandene Beikonsum legaler oder illegaler psychotroper Substanzen).

1.2.2

International

Deutschland: Das bundesweite Modellprojekt zur Heroinverschreibung an Drogenabhängige wurde am 27. Februar 2002 in Bonn gestartet. Bonn ist damit die erste von sieben Städten, die kontrolliert und unter strikter ärztlicher Aufsicht Heroin an Abhängige abgibt. Wie in der Schweiz ist die Teilnahme am Programm mit der Pflicht zur begleitenden Therapie verbunden. Bundesweit beteiligen sich mehr als 1000 Probanden und Probandinnen an dem Modellversuch, 100 davon in Bonn. Die Städte Karlsruhe, Hamburg, Hannover, Köln, Frankfurt am Main und München schließen sich bis Sommer dem dreijährigen Projekt an.

Niederlande: In den Niederlanden wurde eine randomisierte Studie zur heroingestützten Behandlung mit Kontrollgruppe bei 550 Probanden zwischen 1998 und 2001 durchgeführt. Der im Februar 2002 publizierte Forschungsbericht bestätigt die Schweizer Resultate und unterstreicht den Nutzen dieser Behandlungsform. Das niederländische Gesundheitsministerium hat daraufhin am 12. März 2002 die Weiterführung der heroingestützten Behandlung beschlossen. Ausserdem soll Heroin auch in Holland zur Registrierung als Medikament angemeldet werden.

1.3

Würdigung der Ausgangslage

Die Beratungen zur Revision des BetmG wurden im Parlament mit Verspätung zum ursprünglichen Zeitplan aufgenommen. Die Revision des BetmG, inklusive Verankerung der heroingestützen Behandlung wurde am 12. Dezember 2001 im Ständerat mit 25 Stimmen, ohne Gegenstimme, beschlossen. Der Nationalrat wird die Vorlage voraussichtlich in der Herbstsession 2002 behandeln. Ein mögliches Differenzbereinigungsverfahren sollte in der Wintersession 2002 erfolgen können. Das Zustandekommen eines Referendums mit nachfolgender Volksabstimmung kann nicht ausgeschlossen werden.

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Im Falle des Inkrafttretens der Gesetzesrevision auf ein Datum nach dem 31. Dezember 2004 würde die gesetzliche Grundlage für die Therapie der heroingestützten Behandlung wegfallen (der Bundesbeschluss von 1998 läuft auf dieses Datum hin aus) und die Behandlungszentren müssten geschlossen werden. Für die Patienten und Patientinnen, die sich Ende 2004 in einer heroingestützten Behandlung befinden, würde der Wegfall der gesetzlichen Grundlage das Ende einer für sie häufig lebenserhaltenden Therapie bedeuten.

Wir beantragen Ihnen daher, den Bundesbeschluss über die ärztliche Veschreibung von Heroin um fünf Jahre zu verlängern.

1.4

Verzicht auf Vernehmlassung

Wie bereits ausgeführt, soll zwar die Geltungsdauer des Bundesbeschlusses verlängert, der Inhalt des Bundesbeschlusses jedoch unverändert übernommen werden.

Aus diesem Grunde und weil am 15. Januar 1998 bereits eine Vernehmlassung in Form einer Anhörung sowie am 13. Juni 1999 eine Volksabstimmung zum Bundesbeschluss über die ärztliche Verschreibung von Heroin stattgefunden haben, wurde auf die Durchführung einer Vernehmlassung verzichtet.

2

Besonderer Teil

Die Verlängerung des Bundesbeschlusses über die ärztliche Verschreibung von Heroin um fünf Jahre bezweckt, insbesondere im Hinblick auf den verspäteten Abschluss der parlamentarischen Debatte und auf ein allfälliges Referendum, die Fortführung einer für viele Patienten und Patientinnen lebenswichtigen Behandlung sicherzustellen.

Wir beantragen daher, den Inhalt des Bundesbeschlusses unverändert zu übernehmen. Ziel der Verlängerung ist es, auf möglichst einfache Weise die geltende Regelung, die sich bewährt hat, weiterzuführen. Die Rahmenbedingungen für die ärztliche Verschreibung von Heroin, wie sie im Bundesbeschluss stehen, sollen beibehalten werden: Heroin darf nur von spezialisierten Fachpersonen in hierfür geeigneten Institutionen an betäubungsmittelabhängige Personen abgegeben werden, die ­

mindestens 18 Jahre alt sind;

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seit mindestens zwei Jahren heroinabhängig sind;

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mindestens zwei Behandlungsversuche mit einer anderen anerkannten ambulanten oder stationären Behandlungsmethode abgebrochen haben, oder deren Gesundheitszustand andere Behandlungsformen nicht zulässt; und

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Defizite im medizinischen, psychologischen oder sozialen Bereich aufweisen, die auf den Drogenkonsum zurückzuführen sind.

Auch die bestehende Verordnung zur Verschreibung von Heroin vom 8. März 1999 bleibt unverändert in Kraft.

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3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Weder für den Bund noch für die Kantone sind zusätzliche finanzielle oder personelle Auswirkungen zu erwarten. Der Bund wird seine Kontroll- und Koordinationsaufgabe mit den gleichen Mitteln im bisherigen Rahmen weiterführen. Mit dem Wegfall der Betriebsbeiträge an die Behandlungszentren ab 2003 verringern sich jedoch die Aufwendungen des Bundes im Vergleich zu heute. Im Dezember 2001 wurde Diaphin i.v. (Markenname für Heroin) von der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) als Heilmittel registriert. Im Frühjahr 2002 wurde Diaphin i.v.

in die Spezialitätenliste (SL) aufgenommen. Damit werden sich in Zukunft auch die Krankenkassen stärker an den Kosten für die heroingestützte Behandlung beteiligen und so Kantone und Gemeinden entlasten.

4

Legislaturplanung

Die Revision des Betäubungsmittelgesetzes ist in der Legislaturplanung 1999­2003 angekündigt1. Da sich die Revision des BetmG aus den genannten Gründen verzögern könnte, ist der Bundesbeschluss zu verlängern.

5

Rechtliche Grundlagen

5.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 118 Absatz 2 Buchstaben a und b der Bundesverfassung (SR 101).

5.2

Erlassform

Die neue Bundesverfassung vom 18. April 1999 kennt die Form des allgemeinverbindlichen Bundesbeschlusses nicht mehr. Für die Verlängerung des vorliegenden Bundesbeschlusses muss somit eine andere Erlassform gewählt werden. Da der Bundesbeschluss über die ärztliche Verschreibung von Heroin dem Referendum unterstellt worden war, wird für seine Änderung die Erlassform des Bundesgesetzes (vgl. Art. 163 Abs. 1 Bundesverfassung) gewählt.

1

Vgl. Bericht des Bundesrates vom 1. März 2000 über die Legislaturplanung 1999­2003 (BBl 2000 2337)

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