9.2.5

Botschaft zu den Abkommen über Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Jugoslawien sowie Bosnien und Herzegowina vom 9. Januar 2002

9.2.5.1 9.2.5.1.1

Allgemeiner Teil Übersicht

Zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Jugoslawien sowie Bosnien und Herzegowina sind bislang keine Wirtschaftsabkommen in Kraft. Auf Grund des volkswirtschaftlichen Entwicklungsgrades von Bosnien und Herzegowina ist nicht mit einem baldigen Abschluss eines Freihandelsabkommens zu rechnen. Im Fall der Bundesrepublik Jugoslawien ist die EFTA gegenwärtig dabei, ihr Vorgehen diesbezüglich zu definieren.

Die vorliegenden Abkommen stellen einen weiteren Schritt zur Vervollständigung des Wirtschaftsvertragsnetzes für die Balkanregion dar: Mit Rumänien, Bulgarien, Slowenien und Mazedonien stehen bereits Freihandelsabkommen im Rahmen der EFTA in Anwendung. Das Freihandelsabkommen mit Kroatien (vgl. Ziff. 9.2.2) steht vor der parlamentarischen Genehmigung. Mit Albanien hat die Schweiz 1995 ebenfalls ein nicht präferenzielles bilaterales Handels- und Kooperationsabkommen abgeschlossen.

Ziel dieser Abkommen ist es, die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu fördern und zu festigen. Gleichzeitig sollen damit die in den beiden Ländern eingeleiteten marktwirtschaftlichen Reformprozesse unterstützt werden.

Beide Abkommen schaffen nicht nur einen rechtlichen Rahmen für den in absehbarer Zeit sich intensivierenden Wirtschaftsaustausch mit den beiden Ländern, sondern stellen auch einen Schritt in der Umsetzung der strategischen Ziele der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik gegenüber den Ländern Südosteuropas dar.

Der Inhalt dieser nicht präferenziellen Abkommen basiert auf den Grundprinzipien des GATT/WTO. Die Abkommen nehmen Bezug auf die Grundsätze der pluralistischen Demokratie, enthalten ausführliche Bestimmungen über den Schutz des geistigen Eigentums und regeln die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die als Rahmenvereinbarungen konzipierten Verträge schliessen ausserdem eine Entwicklungsklausel ein, welche erlaubt, die Vertragsinhalte neuen Gegebenheiten anzupassen.

Beide Abkommen können jederzeit unter Einhaltung einer Vorankündigungsfrist von sechs Monaten gekündigt werden.

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2002-0099

9.2.5.1.2

Wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien

Die gegen Ende der Ära Milosevic immer gravierender werdende Misswirtschaft, die Bombardierung durch die NATO sowie das mehrjährige, erst im Oktober 2000 gelockerte Sanktionsregime haben der Bundesrepublik Jugoslawien schweren ökonomischen Schaden zugefügt. Die internationale Gemeinschaft unternimmt gegenwärtig grosse Bemühungen, um die Wirtschaft des Landes zu konsolidieren und den Wiederaufbau der Infrastruktur rasch voranzutreiben. Die flexible Haltung der neuen jugoslawischen Behörden sowie das Entgegenkommen und das grosse Interesse der internationalen Finanzierungsinstitutionen an einer raschen Stabilisierung der Lage ermöglichten rasche Fortschritte im Beitrittsprozess zu den Bretton-Woods-Institutionen (IMF, Weltbank) und der EBRD, wo sich die Bundesrepublik Jugoslawien den Schweizer Stimmrechtsgruppen angeschlossen hat. Von den rund 11 Milliarden US-Dollar Aussenschulden der Bundesrepublik Jugoslawien konnte im November für den auf den Pariser Klub entfallenden Anteil von 4,5 Milliarden Dollar eine Umschuldungslösung gefunden werden.

Nach einem starken Einbruch des Bruttosozialproduktes im Jahre 1999 hat die jugoslawische Wirtschaft bereits 2000 wieder auf einen Wachstumskurs zurückgefunden. Hält die politische Stabilisierung an, so dürften jährliche Wachstumsraten von 5­6 Prozent möglich sein. Die Finanzierung des Budget- und des Leistungsbilanzdefizits stellt das Hauptproblem für die jugoslawische Regierung dar. Der Handel mit den westeuropäischen Ländern ist noch vergleichsweise gering.

9.2.5.1.3

Wirtschaftliche Situation in Bosnien und Herzegowina

Die beiden konstituierenden Entitäten von Bosnien und Herzegowina ­ die muslimisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska (RS) ­ weisen einen unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand auf. Noch 1995 war das BIP des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina kaum grösser als 2 Milliarden US-Dollar, was ungefähr einem Drittel des Vorkriegsvolumens gleichkommt. Danach wuchs die Wirtschaft in der muslimisch-kroatischen Föderation jährlich um 15­20 Prozent, während der wirtschaftliche Aufschwung in der Republika Srpska bis 1998 auf sich warten liess. Genährt wurde der Nachkriegsboom durch ausländische Wiederaufbauhilfe. Die nur langsam voranschreitenden Strukturreformen und die kaum vom Fleck kommende Privatisierung, aber auch die Kosovo-Krise, bremsten das wirtschaftliche Wachstum im Jahr 2000 auf 8 Prozent ab. Mit vergleichbaren Wachstumsraten wird auch für das Jahr 2001 gerechnet.

Im Bereich der makroökonomischen Stabilisierung sind beachtliche Fortschritte zu verzeichnen, welche nicht zuletzt auf die Einführung eines «Currency Board» zurückzuführen sind. Während die Inflation im vergangenen Jahr mit ca. 4 Prozent (Föderation 2%, RS 9%) verhältnismässig gering war, zeigen sich im Ertragsbilanzdefizit von 34 Prozent des BIP sowie einer Aussenverschuldung von 73 Prozent des BIP weiterhin die potenziellen Gefahren für eine erneute Destabilisierung der bosnisch-herzegowinischen Volkswirtschaft.

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9.2.5.1.4

Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Jugoslawien

Der Handel zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Jugoslawien bewegt sich heute noch auf bescheidenem Niveau. 2000 exportierte die Schweiz für rund 111 Millionen Franken Waren nach der Bundesrepublik Jugoslawien und importierte Güter im Wert von ca. 15 Millionen Franken. Bei den Schweizer Exportgütern handelt es sich in erster Linie um chemische und pharmazeutische Produkte sowie Fahrzeuge und Maschinen. Hauptimportgüter aus der Bundesrepublik Jugoslawien sind landwirtschaftliche Produkte, Metallwaren und Kunststoffe.

Zur Förderung des Handelsaustausches zwischen den beiden Staaten sowie zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung hat die Schweiz die Bundesrepublik Jugoslawien am 1. April 2001 wieder in das Allgemeine Zollpräferenzen-Schema (GSP) aufgenommen, aus welchem das Land auf Grund der Repressionen in Kosovo durch die damalige Regierung ausgeschlossen worden war. Das Präferenzenschema erlaubt es (mit Ausnahme von Textilien), alle Industriegüter aus der Bundesrepublik Jugoslawien zollfrei sowie zahlreiche Agrargüter mit reduzierten Zollansätzen in die Schweiz einzuführen.

Weitere Unterstützung bietet die Schweiz im Rahmen der Finanzhilfe, der technischen Zusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe. Für 1996­2000 stand ein Betrag von 102 Millionen Franken zur Verfügung, für 2001 sind 45 Millionen Franken budgetiert. Zahlreiche Projekte, die in den kommenden Jahren realisiert werden sollen, befinden sich gegenwärtig in der Evaluationsphase. Nach dem politischen Umschwung wurde dem Land mit der Lieferung von Strom und Medikamenten sowie mit der Unterstützung bei den Rentenzahlungen rasch die dringend benötigte Hilfeleistung geboten.

9.2.5.1.5

Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Bosnien und Herzegowina

Der Handel zwischen der Schweiz und Bosnien und Herzegowina ist wenig entwickelt. 2000 betrugen die Exporte nach Bosnien und Herzegowina rund 32 Millionen Franken, während sich die Importe auf 3 Millionen Franken beliefen. Nach Bosnien und Herzegowina exportiert die Schweiz hauptsächlich Maschinen, Papier und chemische Produkte. Auf der Importseite finden sich schwergewichtig Holz, Kunststoffe und landwirtschaftliche Güter.

Zur Förderung des Handelsaustausches zwischen den beiden Staaten sowie zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung gewährt die Schweiz Bosnien und Herzegowina seit dem 1. April 2001 für eine Dauer von drei Jahren dieselben Zollpräferenzen wie den ärmsten Entwicklungsländern. Dank dieser Massnahme können alle bosnischen industriellen Güter sowie die meisten Landwirtschaftsprodukte zollfrei in die Schweiz importiert werden.

Weitere Unterstützung bietet die Schweiz im Rahmen der Finanzhilfe, der technischen Zusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe. Für 1996­2000 stand ein Betrag von 85 Millionen Franken zur Verfügung; für 2001 sind 21 Millionen Franken budgetiert.

Gegenüber beiden Ländern besteht das übergeordnete und langfristige Ziel der schweizerischen Kooperation darin, einen Beitrag zur Förderung einer nachhaltigen 1476

wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu leisten, die Grundlage für einen dauerhaften Frieden zu schaffen und der Bevölkerung eine Zukunftsperspektive zu vermitteln. Über die rein bilaterale Unterstützung hinaus profitieren beide Länder auch von den Massnahmen der Schweiz im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa

9.2.5.2 9.2.5.2.1

Besonderer Teil Verhandlungsverlauf

Die Abkommen konnten jeweils bereits beim ersten Treffen mit den Behörden der beiden Länder paraphiert werden. Das Abkommen mit Bosnien und Herzegowina wurde am 11. September 2001 vom Schweizer Botschafter in Sarajevo, jenes mit der Bundesrepublik Jugoslawien am 21. November 2001 von Staatssekretär für Wirtschaft in Belgrad unterzeichnet.

9.2.5.2.2

Inhalt der Abkommen

Die beiden Staatsverträge schaffen die Rahmenbedingungen, die eine Ausweitung des gegenseitigen Waren- und Dienstleistungsaustausches, intensivere gegenseitige Beziehungen und damit eine harmonische Entwicklung des Warenverkehrs begünstigen (Art. 1). Um dieses Ziel zu erreichen, berufen sich die Verträge auf die grundlegenden GATT/WTO-Prinzipien (Art. 2). Die Vertragsparteien gewähren einander die Meistbegünstigung (Art. 3) und sind in Bezug auf den Warenhandel dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung verpflichtet (Art. 4).

Die importierten Güter des jeweiligen Vertragspartners kommen in den Genuss der Inländerbehandlung (Art. 5). Die aus dem Handel mit Gütern und Dienstleistungen anfallenden Zahlungen erfolgen ausschliesslich in frei konvertierbarer Währung, und der Zugang zu Devisen darf in keiner Weise eingeschränkt werden (Art. 6). Der Warenhandel hat zu Marktpreisen sowie auf der Grundlage international üblicher Geschäftsgepflogenheiten zu erfolgen; Tausch- und Gegengeschäfte sollen von den Vertragsparteien weder verlangt noch gefördert werden (Art. 7). Die Vertragsparteien bemühen sich um faire Wettbewerbsbedingungen im öffentlichen Beschaffungswesen (Art. 8). In Artikel 9 werden die Vertragsparteien dazu angehalten, der jeweils anderen Partei freien Zugang zu Informationen über geltende Gesetze, Gerichtsentscheide und administrative Regelungen zu gewähren. Dasselbe gilt für Änderungen bei der Zoll- sowie der statistischen Nomenklatur. Im Falle von Marktstörungen verpflichten sich die Vertragsparteien vor Ergreifen von Schutzmassnahmen zu gegenseitigen Konsultationen und zur Suche nach einvernehmlichen Lösungen (Art. 10). Artikel 11 berechtigt die Parteien, angemessene Massnahmen zu ergreifen, wenn Dumping festgestellt wird. Der Gütertransit soll nicht mit ungerechtfertigten Gebühren belegt werden (Art. 12).

Die Vertragsparteien gewährleisten einen angemessenen, wirksamen und nicht diskriminierenden Schutz des geistigen Eigentums (Art. 13). Artikel 14 enthält die in Handelsverträgen üblichen Ausnahmeregeln (z.B. Schutz der öffentlichen Sittlichkeit, Schutz menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Lebens); Artikel 15 verpflichtet die Vertragsparteien, beim Abbau von technischen Handelshemmnissen zusammenzuarbeiten. Artikel 16 ist der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gewidmet.

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Mit ihr sollen strukturelle Veränderungen beschleunigt und der Erfahrungsaustausch gefördert werden. Die Wirksamkeit der beiden Abkommen wird durch je einen Gemischten Ausschuss zu überprüfen sein (Art. 17). Auf Antrag einer Vertragspartei sind die Abkommensbestimmungen zu überprüfen; diese können im gegenseitigen Einverständnis ergänzt werden (Art. 18). Artikel 19 regelt die Streitschlichtung.

Beim Zugang für natürliche und juristische Personen zu Gerichten gewährleisten die Vertragsparteien Inländerbehandlung (Art. 20). Im Abkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien ist in Absatz 2 des gleichen Artikels zudem präzisiert, dass die Vertragsparteien das Erfordernis einer anwaltlichen Vertretung vorschreiben können.

Die Abkommen gelten auch für das Fürstentum Liechtenstein (Art. 21). Sie treten am ersten Tag des Folgemonats in Kraft, nachdem sich die Vertragsparteien einander die Beendigung der internen Genehmigungsverfahren notifiziert haben (Art. 22).

Die Abkommen gelten auf unbeschränkte Zeit; sie sind aber jederzeit auf sechs Monate kündbar (Art. 23). Beide Abkommen haben je einen Anhang bezüglich der Bestimmungen über das geistige Eigentum (Art. 13).

Das Abkommen mit Bosnien und Herzegowina hat auf ihrem gesamten Territorium Gültigkeit; es gilt also sowohl für die muslimisch-kroatische Föderation als auch für die Republika Srpska. Aussenhandel und Wirtschaftsbeziehungen unterstehen der Zentralregierung von Bosnien und Herzegowina, welche für die Umsetzung des Abkommens in beiden konstituierenden Teilrepubliken verantwortlich sein wird. Die bosnische Seite hat darum gebeten, das Abkommen zwischen dem Ministerrat von Bosnien und Herzegowina einerseits und dem Schweizerischen Bundesrat andererseits abzuschliessen. Die Gültigkeit des Abkommens mit der Bundesrepublik Jugoslawien erstreckt sich über die beiden konstituierenden Republiken Serbien und Montenegro. Die Zuständigkeit für die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland und für den Abschluss von Staatsverträgen liegt auf Föderationsebene, also der Bundesrepublik Jugoslawien.

9.2.5.2.3

Finanzielle Auswirkungen

Der Abschluss der beiden Abkommen hat keine finanziellen Auswirkungen auf den Bundeshaushalt.

9.2.5.2.4

Legislaturplanung

Die Abkommen entsprechen dem Inhalt von Ziel 2 (Verbesserte Stellung und Wahrnehmung der Schweiz im internationalen Umfeld) des Berichts über die Legislaturplanung 1999­2003 (BBI 2000 2276).

9.2.5.2.5

Verhältnis zum europäischen Recht und Bezug zu den anderen Instrumenten der Handelspolitik

Die Abkommen orientieren sich am GATT/WTO-Übereinkommen und stehen somit im Einklang mit den aus jenen Übereinkommen resultierenden Verpflichtungen. Die Europäische Union hat eine Task Force eingesetzt mit dem Ziel, die Bundesrepublik Jugoslawien in den Stabilisierungs- und Assoziationsprozess einzugliedern. Bezüg1478

lich Bosnien und Herzegowina sind Abklärungen für ein späteres analoges Vorgehen im Gange. Die bilateralen Abkommen über Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit der Schweiz stimmen in handelspolitischer Hinsicht weitgehend mit der Handlungsweise der Europäischen Union im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziationsprozesses überein. Sie sind deshalb mit den Zielen unserer europäischen Integrationspolitik vereinbar.

9.2.5.2.6

Gültigkeit für das Fürstentum Liechtenstein

Die Abkommen haben auch für das Fürstentum Liechtenstein Gültigkeit, solange dieses mit der Schweiz durch eine Zollunion verbunden ist (Art. 21).

9.2.5.2.7

Verfassungsmässigkeit

Die verfassungsmässige Grundlage des Bundesbeschlusses findet sich in der allgemeinen aussenpolitischen Kompetenz des Bundes gemäss Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung. Die Kompetenz der Bundesversammlung, diese Verträge zu genehmigen, ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 der Bundesverfassung.

Die vorliegenden Abkommen können jederzeit unter Einhaltung einer Vorankündigungsfrist von sechs Monaten gekündigt werden. Es liegt weder ein Beitritt zu einer internationalen Organisation noch eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vor.

Der Ihnen zur Genehmigung unterbreitete Bundesbeschluss unterliegt somit nicht dem fakultativen Referendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d der Bundesverfassung.

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