zu 99.3004 Bericht des Bundesrates über eine einheitliche und kohärente Behandlung von selbstständiger bzw. unselbstständiger Erwerbstätigkeit im Steuer- und im Sozialversicherungsabgaberecht vom 14. November 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, in Erfüllung der Motion Nr. 99.3004 «Einheitliche und kohärente Behandlung im Steuer- und im Sozialversicherungsabgaberecht» unterbreiten wir Ihnen den vorliegenden Bericht zur Kenntnisnahme.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. November 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates

11683

Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

1126

2001-1495

Übersicht Mit der Motion Nr. 99.3004 wird der Bundesrat beauftragt, einen Bericht auszuarbeiten, mit welchem eine einheitliche Behandlung von selbstständiger bzw. unselbstständiger Erwerbstätigkeit im Steuer- und Sozialversicherungsabgaberecht sichergestellt wird. Darüber hinaus verlangt die Motion, dass Anträge auf Anerkennung als selbstständig Erwerbender oder selbstständig Erwerbende von einer einzigen Stelle innerhalb nützlicher Frist für alle angesprochenen Abgabebereiche behandelt werden.

Ausgangspunkt für die Bemühungen um eine einheitliche Behandlung von Erwerbstätigkeiten in diesen beiden Rechtsgebieten bildete die Frage der Einstufung der Verwaltungsratshonorare. Im Zuge der Beratungen des Bundesgesetzes über die Mehrwertsteuer (MWSTG) beschlossen beide Räte, die Tätigkeit in Verwaltungsräten, Stiftungsräten und in ähnlichen Funktionen ­ entsprechend dem AHV-Recht und im Unterschied zur Praxis bei der bundesrätlichen Mehrwertsteuerverordnung ­ als unselbstständige Erwerbstätigkeit zu erklären.

Der vorliegende Bericht analysiert die Abgrenzungskriterien zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit. Die rechtsanwendenden Gerichts und Verwaltungsbehörden haben zur Qualifikation einer Erwerbstätigkeit den Zielsetzungen dreier Rechtsgebiete Rechnung zu tragen: Dem Sozialversicherungsrecht kommt primär die Funktion des Versicherungsschutzes (die so genannte Sozialschutzfunktion) zu; im Steuerrecht geht es in erster Linie darum, dem Gemeinwesen die nötigen finanziellen Mittel zu verschaffen und den Finanzausgleich mitzusteuern; das Obligationenrecht schliesslich verfolgt mit den Regeln, welche den Arbeitsvertrag ordnen, das Ziel des Arbeitnehmerschutzes.

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass weit weniger gesetzlich normierte Kriterien im Sinne allgemeiner Abgrenzungsregeln zu schaffen sind, sondern dass es vielmehr darum gehen müsste, bereits bestehende Qualifikationsmerkmale durch die Verwaltungs- und Gerichtspraxis in möglichst allen Fällen einheitlich umzusetzen. Dazu wäre das Bundesgericht schon heute berufen.

Betreffend Anträgen auf Anerkennung als selbstständig erwerbende Person zeigt der Bericht in zwei von drei Lösungsvarianten, dass eine Drittstelle als Verfügungsoder Rekursinstanz fungieren könnte. In der dritten Variante wird ­ wie vom KMUForum angeregt
­ die Schaffung einer Ombudsstelle vorgeschlagen. An diese sollen die Betroffenen bei allfälligen unterschiedlichen Einstufungen einer Erwerbstätigkeit durch die verschiedenen zuständigen Behörden gelangen können. Der Bundesrat schlägt vor, diese dritte Variante zu realisieren.

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Bericht 1

Ausgangslage

Am 16. März 1999 hat der Nationalrat und am 22. April 1999 der Ständerat dem Bundesrat die Motion Nr. 99.3004 überwiesen, welche den folgenden Wortlaut trägt: «Der Bundesrat wird beauftragt, bis Ende 1999 einen Bericht mit Anträgen ans Parlament und allenfalls eine Vernehmlassungsvorlage auszuarbeiten, mit welcher eine kohärente, administrativ einfache und einheitliche Behandlung von selbstständiger bzw. unselbstständiger Erwerbstätigkeit im Steuerrecht, insbesondere bei der Mehrwertsteuer und der direkten Bundessteuer, und im Sozialversicherungs-Abgaberecht sichergestellt wird. Soweit möglich sind die Weisungen und Verordnungen selbstständig anzupassen. Insbesondere sind dabei: ­

der Begriff und der Status der selbstständigen Erwerbstätigkeit für alle Abgabearten einheitlich und kohärent zu regeln;

­

der Tendenz zu Mischformen zwischen selbstständigem und unselbstständigem Erwerb Rechnung zu tragen;

­

die Sozialversicherungs-Abgabepflicht für Erwerbstätige, Auftraggeber und Auftragnehmer bzw. Auftragnehmerinnen mit einfachen Regeln zu klären;

­

die Erwerbstätigkeit sozialversicherungsabgaberechtlich und die Wertschöpfung mehrwertsteuerrechtlich auch im Dienstleistungssektor vollständig, aber für die Abgabepflichtigen administrativ einfach zu erfassen;

­

sicherzustellen, dass Anträge auf Anerkennung als Selbstständige oder Selbstständiger von einer einzigen Stelle innert nützlicher Frist für alle angesprochenen Abgabebereiche behandelt werden. Die Beurteilungskriterien sind dabei zu mildern.»

2

Bestandesaufnahme

Vorweg sollen die aktuellen rechtlichen Grundlagen bezüglich der selbstständigen resp. unselbstständigen Erwerbstätigkeit im Sozialversicherungsrecht und im Recht der direkten Bundessteuern sowie im Recht der Mehrwertsteuer und im Obligationenrecht dargelegt und die jeweils einschlägige Gerichts- und Verwaltungspraxis kurz dargestellt werden.

2.1

Im Sozialversicherungsrecht

Innerhalb der Sozialversicherungen kommt der AHV Leitfunktion für die Abgrenzung der selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit zu.

Die Normierung der AHV hat in diesem Bereich sozusagen den Charakter eines

1128

Allgemeinen Teils1. Dargestellt wird daher zunächst die Situation in der AHV2 und danach diejenige der andern Sozialversicherungen3. Dabei mag von Interesse sein, dass die Abgrenzungsentscheide der AHV schon rein zahlenmässig beeindruckend sind. Im Jahre 2000 hatten die Ausgleichskassen rund 43 000 Gesuche um Erfassung als Selbstständigerwerbende zu behandeln, von denen sie lediglich 5% abwiesen.

2.1.1

Die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)

2.1.1.1

Die massgebenden Bestimmungen

2.1.1.1.1

Die gesetzlichen Grundlagen

Die AHV unterscheidet die erwerbstätigen Versicherten in Selbstständigerwerbende und Unselbstständigerwerbende. Je nach Beitragsstatut werden die Beiträge unterschiedlich erhoben: Bei den Unselbstständigerwerbenden hat der Arbeitgeber die Beiträge bei jeder Lohnzahlung in Abzug zu bringen und die Hälfte selber zu tragen.

Selbstständigerwerbende bezahlen ihre Beiträge auf Grund der Steuerveranlagungen vollumfänglich selber, allerdings zu einem tieferen Beitragssatz, der darüber hinaus degressiv abgestuft ist.

Das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung4 definiert nicht die Person (Beitragssubjekt), sondern das Entgelt (Beitragsobjekt). Sie nimmt also eine sog. objektbezogene Abgrenzung vor5. Somit kennt das Sozialversicherungsrecht nur einen mittelbaren Begriff der Selbstständigerwerbenden bzw. der Unselbstständigerwerbenden.

Nach Artikel 5 Absatz 2 AHVG gilt als massgebender Lohn «jedes Entgelt für in unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit».

Gemäss Artikel 9 Absatz 1 AHVG ist Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit «jedes Erwerbseinkommen, das nicht Entgelt für in unselbstständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt».

Die AHV-rechtliche Legaldefinition ist ­ wie übrigens auch die arbeitsvertragsrechtliche von Artikel 319 Absatz 1 OR ­ relativ knapp gehalten. Die Auslegung bzw. die genauere Umschreibung wird der Praxis und Rechtsprechung überlassen.

1

2 3 4 5

Rudolf Rüedi, Die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit [einschliesslich Wechsel des Beitragsstatus], in: Aktuelle Fragen aus dem Beitragsrecht der AHV, St. Gallen 1998, S. 127.

Ziff. 2.1.1.

Ziff. 2.1.2.

AHVG; SR 831.10.

Pierre-Yves Greber/Jean-Louis Duc/Gustavo Scartazzini, Commentaire des articles 1 à 16 de la loi fédérale sur l'assurance-vieillesse et survivants (LAVS), Basel 1997, no 93 ad art. 5 LAVS; BGE 123 V 161 Erw. 4a S. 167.

1129

2.1.1.1.2

Das Verhältnis zum Zivilrecht

An der gesetzlichen Definition von Artikel 5 Absatz 2 AHVG fällt zwar die Nähe zur zivilrechtlichen Definition des Arbeitsvertrages von Artikel 319 Absatz 1 OR auf. Auch die arbeitsrechtliche Definition enthält die vier Begriffselemente Arbeitsleistung, zeitliches Moment, Entgelt sowie unselbstständige Stellung. Doch hat die AHV von Anfang an den Arbeitnehmerbegriff weiter gehalten als das Zivilrecht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit vorliegt, nicht auf Grund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen dabei allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend zu sein6. Die beitragsrechtliche Unterscheidung der Selbstständigerwerbenden von den Unselbstständigerwerbenden beruht auf einer unabhängigen Begriffsbildung7, die sich insbesondere mit dem, was üblicherweise unter (Un-)Selbstständigen verstanden werden mag, nicht zu decken braucht8.

2.1.1.1.3

Die Abgrenzungskriterien

Hauptmerkmale für die Unterscheidung zwischen unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit sind das Vorliegen einer betriebswirtschaftlichen bzw.

arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit (Subordinationsverhältnis) und das Unternehmerrisiko.

Von unselbstständiger Erwerbstätigkeit ist auszugehen, wenn auch die für den Arbeitsvertrag typischen Merkmale vorliegen, d.h. wenn die Versicherten Dienst auf Zeit zu leisten haben, wirtschaftlich vom «Arbeitgeber» abhängig sind und während der Arbeitszeit auch in dessen Betrieb eingeordnet sind, praktisch also keine andere Erwerbstätigkeit ausüben können9. Zum Ausdruck kommt die unselbstständige Erwerbstätigkeit im Bestehen eines Subordinationsverhältnisses. Dieses zeigt sich wesentlich im Vorhandensein eines Weisungsrechts. Indizien dafür sind:

6 7

8 9 10

­

das Vorliegen eines bestimmten Arbeitsplans,

­

die Pflicht zur persönlichen Aufgabenerfüllung,

­

die Präsenzpflicht, das Bestehen eines Konkurrenzverbots,

­

die Notwendigkeit, über den Stand der Arbeiten Bericht zu erstatten, sowie

­

das Angewiesensein auf die Infrastruktur am Arbeitsort10.

BGE 123 V 163 E 1 mit Hinweisen.

Tibère Adler, Problèmes de qualification contractuelle et leurs répercussions sur les assurances sociales. L'exemple des journalistes de la presse écrite, in: Droit privé et assurances sociales, Enseignement de 3e cycle de droit, 1989, S. 23.

BGE 122 V 168 E 3.

Manfred Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, 12. Aufl., S. 34 ff.; Frank Vischer, Der Arbeitsvertrag, SPR VII /1, S. 306.

ZAK 1982 S. 185.

1130

Das wirtschaftliche Risiko der Versicherten erschöpft sich unter diesen Umständen in der (alleinigen) Abhängigkeit vom persönlichen Arbeitserfolg11 oder ­ bei einer regelmässig ausgeübten Tätigkeit ­ darin, dass beim Dahinfallen des Erwerbsverhältnisses eine ähnliche Situation eintritt, wie dies beim Stellenverlust eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin der Fall ist12.

Charakteristische Merkmale einer selbstständigen Erwerbstätigkeit sind: ­

die Tätigung erheblicher Investitionen,

­

die Benützung eigener Geschäftsräumlichkeiten sowie

­

die Beschäftigung von eigenem Personal13.

Das spezifische Unternehmerrisiko besteht dabei darin, dass unabhängig vom Arbeitserfolg Kosten anfallen, die die Versicherten selber zu tragen haben14. Das Unternehmerrisiko kann auch in der Gefahr künftigen Substanzverlusts beim Geschäftsvermögen als Folge beruflicher Fehleinschätzungen oder beruflichen Fehlverhaltens liegen15. Für die Annahme selbstständiger Erwerbstätigkeit spricht sodann die gleichzeitige Tätigkeit für mehrere Gesellschaften in eigenem Namen, ohne indessen von diesen abhängig zu sein16. Massgebend ist dabei nicht die rechtliche Möglichkeit, Arbeiten von mehreren Auftraggebern anzunehmen, sondern die tatsächliche Auftragslage17.

2.1.1.1.4

Die Abgrenzung im Einzelfall

Die Rechtsprechung betont stets, dass sich aus den soeben genannten Grundsätzen allein noch keine einheitlichen, schematisch anwendbaren Lösungen ableiten lassen.

Die Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung von Erwerbstätigen jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zu Tage treten, muss sich der Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen18.

Bei Versicherten, die mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausüben, ist jedes Erwerbseinkommen dahin zu prüfen, ob es aus selbstständiger oder unselbstständiger Erwerbstätigkeit stammt. Es ist durchaus möglich, dass Versicherte gleichzeitig für die eine Firma als Arbeitnehmer und für die andere als Selbstständigerwerbende tätig sind. Folglich besteht aber auch die Möglichkeit, dass eine versicherte Person für die gleiche Firma in der einen Sparte unselbstständigerwerbend und in einer andern Sparte selbstständigerwerbend ist19. Dies trifft beispielsweise für den Anwalt zu, der neben seiner Verwaltungsratstätigkeit für dieselbe Gesellschaft auch Rechts11 12 13 14 15 16 17 18 19

ZAK 1986 S. 121 E 2b, S. 333 E 2d.

BGE 122 V 169 E 3, 119 V 163 E 3b.

BGE 119 V 163 E 3b.

ZAK 1986 S. 333 E 2d, 121 E 2b.

Hanspeter Käser, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Auflage, Bern 1996, Rz. 4.15.

ZAK 1982 S. 215.

ZAK 1982 S. 186 E 2b.

BGE 123 V 163 E 1; 122 V 171 E 3a, 283 E 2a, 119 V 161 f. E 2 mit Hinweisen.

BGE 122 V 169 E 3a; 104 V 126 f.

1131

geschäfte erledigt, die in keinem direkten Zusammenhang mit seinem Verwaltungsratsmandat stehen.

Die vielfältigen, von den beteiligten Parteien durch besondere vertragliche Abmachungen geschaffenen wirtschaftlichen Verhältnisse, die vielgestaltigen Arbeitsbedingungen und die Entstehung neuer Erwerbsformen verunmöglichen eine einfache Umschreibung oder eine tendenziell immer wieder gewünschte schematische Klassifizierung im Sinne eines umfassenden Kriterien- und Merkmalkatalogs20.

2.1.1.2

Rechtsprechung und Praxis

Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat sich in seiner Rechtsprechung in zahlreichen Urteilen mit Abgrenzungsfragen befasst. Seit dem Inkrafttreten der AHV im Jahre 1948 wurden zu diesem Thema rund 200 höchstrichterliche Urteile publiziert.

Das Eidgenössische Versicherungsgericht stützt sich jeweils auf die unter Ziffer 2.1.1.1.3 dargestellten Hauptkriterien Subordination und Unternehmerrisiko ab. Die ebenfalls beschriebene Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles verunmöglicht generell verbindliche Aussagen zu einzelnen Berufskategorien, doch lässt sich aus dem umfassenden Erfahrungsschatz der Rechtsprechung heute eine weitgehend feststehende und berechenbare Praxis nachzeichnen.

Für die Durchführung hat das Bundesamt für Sozialversicherung umfangreiche Verwaltungsweisungen an die Ausgleichskassen erlassen. Sie finden sich in der Wegleitung über den massgebenden Lohn in der AHV, IV und EO. Sowohl die allgemeinen wie auch die berufsspezifischen Bestimmungen dieser Wegleitung stellen im Wesentlichen eine Festschreibung dieser Rechtsprechung dar. Die Weisungen haben daher kaum selbstständigen Charakter. Sie kommen einem auf die praktischen Bedürfnisse ausgerichteten Nachvollzug der Judikatur gleich.

Zur Illustration diene die folgende, selbstverständlich unvollständige Auswahl aus der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zu gewissen beruflichen Tätigkeiten: Agentinnen und Agenten Diese gelten in der Regel als unselbstständigerwerbend. Als selbstständigerwerbend werden sie betrachtet, wenn sie kumulativ eigene Geschäftsräumlichkeiten benützen, eigenes Personal beschäftigen und die Geschäftskosten im Wesentlichen selber tragen21.

Akkordantinnen und Akkordanten In der Regel üben sie eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aus. Selbstständige Tätigkeit wird angenommen, wenn eine eigene Betriebsorganisation besteht und der Akkordant als gleichgeordneter Geschäftspartner mit eigenem Unternehmerrisiko für den Akkordgeber arbeitet22.

20 21 22

Rudolf Rüedi, a.a.O. S. 127.

BGE 119 V 163 E 3b.

BGE 114 V 69 E 2b.

1132

Akquisiteurinnen und Akquisiteure (Inseraten-)Akquisiteurinnen und Akquisiteure gelten in der Regel als unselbstständigerwerbend, da sie keine erheblichen Investitionen zu tätigen und keine Angestelltenlöhne zu tragen haben23.

Ärztinnen und Ärzte Nach der Rechtsprechung gehören zum massgebenden Lohn sämtliche Vergütungen, die der Arzt oder die Ärztin in abhängiger Stellung erzielt, zum Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit dagegen die Einkünfte aus der eigenen Praxis.

Entgelte, die ein Arzt oder eine Ärztin als Chefarzt bzw. Chefärztin vom Spital bezieht, stellen in der Regel massgebenden Lohn dar. Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit bilden die Honoraransprüche von Chefärzten und -ärztinnen aus der ambulanten Behandlung in der privaten Praxis im Spital, die ihnen unmittelbar gegenüber den Patienten zustehen und für welche sie das wirtschaftliche Risiko (Uneinbringlichkeit der Honorare) tragen24.

Autorinnen und Autoren Falls diese in ihrer Arbeit grundsätzlich frei sind, gelten sie als selbstständigerwerbend25.

Bauführerinnen und Bauführer Sie werden als selbstständigerwerbend qualifiziert; die Bindung an einen Architekten oder eine Architektin ist nicht entscheidend26.

Beraterinnen und Berater Personen, die einmalig oder wiederholt zur Lösung von Sachproblemen hinzugezogen werden, ohne eindeutig in einem Arbeitsverhältnis zum Auftraggeber zu stehen, gelten in der Regel als selbstständigerwerbend. Da für diese typische Dienstleistungstätigkeit häufig keine besonderen Investitionen anfallen, tritt bei der Abgrenzungsfrage das Unternehmerrisiko als Unterscheidungsmerkmal in den Hintergrund.

Mehr Gewicht erhält dagegen die Frage der arbeitsorganisatorischen Abhängigkeit, denn die arbeitsorganisatorische und wirtschaftliche Unabhängigkeit ist oft geradezu Voraussetzung für die Ausübung einer bestimmten Beratertätigkeit27.

Buchhalterinnen und Buchhalter Wer die Buchhaltung zu Hause führt und keinen Weisungen unterworfen ist, gilt als selbstständigerwerbend28.

EDV-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter EDV-Spezialistinnen und ­spezialisten üben in der Regel eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aus29. Wer hingegen das Risiko einer zu niedrigen Kalkulation und von Garantiearbeiten trägt sowie die Programme in eigenen oder gemieteten 23 24 25 26 27 28 29

ZAK 1986 S. 333.

BGE 124 V 98 ff. E 4 und 6, 122 V 284 f. E 3 mit zahlreichen Hinweisen.

EVGE 1951 107.

ZAK 1984 S. 222 E 5.

BGE 110 V 72 E 4b S. 78 ff.

ZAK 1953 S. 463 f.

AHI 1995 S. 141 E 3; AHI 1993 S. 14.

1133

Räumen auf eigenen Einrichtungen erarbeitet, gilt als selbstständigerwerbend30.

Neuerdings misst das Eidgenössische Versicherungsgericht der organisatorischen Unabhängigkeit, die für selbstständige Erwerbstätigkeit spricht, besonderes Gewicht zu31.

Freie Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter Vgl. unter EDV-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter Hauswartinnen und Hauswarte Falls sie die entstehenden Kosten nicht persönlich tragen müssen und ihnen das erforderliche Material zur Verfügung gestellt wird, gelten sie als unselbstständigerwerbend32.

Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter Diese werden normalerweise als Unselbstständigerwerbende betrachtet33.

Journalistinnen und Journalisten Die Entgelte für unaufgefordert eingesandte und nur gelegentlich publizierte Artikel nicht regelmässiger Mitarbeitender bilden Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit. Dagegen kommt freierwerbenden Journalistinnen und Journalisten, die regelmässig für die nämliche Zeitschrift arbeiten, für diese Tätigkeit in der Regel die Stellung von Unselbstständigerwerbenden zu34.

Kreditvermittlerinnen und -vermittler Die für die Vermittlung von Krediten für den Kauf von Fahrzeugen ausgerichteten Provisionen gelten in der Regel als massgebender Lohn35.

Lastwagenfahrerinnen und -fahrer Lastwagenfahrerinnen und ­fahrer, die Eigentümer des Fahrzeuges sind und die damit verbundenen Kosten selbst tragen, werden als selbstständigerwerbend angesehen36.

Lehrerinnen und Lehrer Lehrkräfte gelten in der Regel als unselbstständigerwerbend, dies selbst dann, wenn sie ihre Lehrtätigkeit aus ihrem Haupterwerb schöpfen und bloss nebenberuflich an einer Schule ausüben37. Anders sieht es aus, wenn bloss gelegentlich Kurse oder Vorträge gehalten werden, ohne dass die Lehrperson zum Lehrkörper der Schule gehört38.

30 31 32 33 34 35 36 37 38

ZAK 1983 S. 198.

AHI 2001 S. 58 ZAK 1970 S. 471 E 2.

ZAK 1979 S. 495.

BGE 119 V 161.

AHI 1995 S. 26 E 2a.

ZAK 1983 S. 444.

Z.B. Migros-Klubschule; AHI 1995 S. 135.

EVGE 1959 S. 129.

1134

Maklerinnen und Makler Diese werden regelmässig als selbstständigerwerbend angesehen39.

Musikerinnen und Musiker Musiker oder Musikerinnen, bei denen die Persönlichkeit eindeutig im Vordergrund steht und die bloss an einzelnen Veranstaltungen auftreten, sind selbstständigerwerbend40. Musiker und Musikerinnen in Orchestern, Kapellen, in Gaststätten, Hotels (Barpianisten) usw. sind dagegen in der Regel Unselbstständigerwerbende.

Übersetzerinnen und Übersetzer Wer sich bei Bedarf zur Verfügung stellt und in eigenen Räumlichkeiten mit eigenen Hilfsmitteln arbeitet, ist selbstständigerwerbend41. Wer sich für bestimmte Zeit anstellen lässt, ist unselbstständigerwerbend42.

Verwaltungsrätinnen und -räte Verwaltungsrätinnen und -räte sind Unselbstständigerwerbende. Versicherte, die Organ einer juristischen Person sind, können dieser aber zugleich in selbstständiger und unselbstständiger Stellung gegenüberstehen43.

2.1.2

Die übrigen Sozialversicherungen

Die einzelnen Sozialversicherungszweige haben sich nach und nach und zunächst weitgehend unabhängig voneinander entwickelt. Die Abgrenzungsproblematik zwischen selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit stellte sich daher für jeden weiteren Zweig wieder von neuem. Doch war stets das Bemühen um eine einheitliche Betrachtungsweise spürbar. Einzelne Sozialversicherungen wurden denn auch von Anfang an an die AHV gebunden.

Die Frage einer Harmonisierung der einzelnen Sozialversicherungen stellte sich insbesondere Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre mit der Einführung der Obligatorien der so genannten Arbeitnehmerversicherungen. Dazu gehören die Arbeitslosenversicherung, die Unfallversicherung und die berufliche Vorsorge.

In ihnen ist nur obligatorisch versichert, wer als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin gilt. Relativ schnell wurde auf praktisch-politischer Ebene einerseits und auf rechtlicher Ebene andererseits das Bedürfnis nach Harmonisierung erkannt: In einer ersten Phase wurde auf Weisungsstufe versucht, die Abgrenzung unter den einzelnen Sozialversicherungen zu koordinieren. Nachdem diverse Einzelfragen so gelöst werden konnten, traten auf den 1. Januar 1994 die Richtlinien des Bundesamtes für Sozialversicherung für die Beurteilung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung von erwerbstätigen Personen in Kraft. Schliesslich hat der Bundesrat auf den 1. Januar 1998 die Verordnung über die obligatorische Unfallversicherung so geändert, dass ­ abgesehen von namentlich erwähnten Ausnahmen ­ eine volle Koordination zwischen der AHV und der obligatorischen Unfallversicherung, 39 40 41 42 43

ZAK 1988 S. 292.

ZAK 1956 S. 112 E 2.

ZAK 1986 S. 513.

ZAK 1972 S. 725.

BGE 105 V 113.

1135

welche sich als letzte Sozialversicherung nicht schon bisher an der AHV ausrichtete, erreicht wurde.

Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat seinerseits Koordinationsüberlegungen in seine Rechtsprechung einfliessen lassen. So hat es z.B. in RKUV 1992 Nr. U 155 S. 251 und BGE 119 V 164 E 3b entschieden, dass die Rechtsprechung bei der Handhabung der verschiedenen Anknüpfungsbegriffe (AHVG, UVG) mittels einer harmonisierenden Auslegung auf eine Koordination zwischen den verschiedenen Sozialversicherungszweigen hinzuwirken habe.

Sieht man von den paar wenigen, ausdrücklich festgehaltenen Ausnahmen der Unfallversicherung ab, besteht heute bezüglich der Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit eine vollständige Koordination innerhalb der Sozialversicherungen.

2.1.2.1

Die Invalidenversicherung (IV)

Die Invalidenversicherung ist durch gesetzliche Verweisung voll an die AHV gekoppelt und übernimmt deren Qualifikation ausnahmslos44.

2.1.2.2

Die Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee, Zivildienst und Zivilschutz (EO)

Auch die Erwerbsersatzordnung ist gesetzlich an die AHV gebunden45.

2.1.2.3

Die obligatorische Arbeitslosenversicherung (AVIG)

Die Arbeitslosenversicherung übernimmt ebenfalls die AHV-rechtliche Abgrenzung46. Leistungsseitig weicht sie davon nur ab, wenn sich das AHV-Beitragsstatut als offensichtlich unrichtig erweist47.

2.1.2.4

Die Familienzulagen in der Landwirtschaft (FLG)

Der Begriff des Arbeitnehmers im Bundesgesetz über die Familienzulagen in der Landwirtschaft48 entspricht demjenigen nach AHVG49.

44 45 46 47 48 49

Art. 2 und 3 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung = IVG; SR 831.20.

Art. 27 des Bundesgesetzes über die Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende in Armee, Zivildienst und Zivilschutz = EOG; SR 834.1.

Art. 2 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung = AVIG; SR 837.0; BGE 121 V 367 E 2.

BGE 115 Ib 42 E 4b; BGE 117 V 4 E 4b.

Art. 1 FLG; SR 836.1.

ZAK 1961 S. 463.

1136

2.1.2.5

Die berufliche Vorsorge (BV)

Das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge50 verwendet in Artikel 2 den Begriff des Arbeitnehmers. Dieser ist, schon auf Grund des engen Konnexes zwischen 1. und 2. Säule nach AHV-rechtlichen Kriterien auszulegen51. Dies gilt über das BVG hinaus auch für das Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge52 und den dort geregelten Tatbestand der Barauszahlung.

2.1.2.6

Die obligatorische Unfallversicherung (UV)

Nach Artikel 1 des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung53 sind die Arbeitnehmer versichert. Artikel 1 der Verordnung über die Unfallversicherung54 definiert als Arbeitnehmer, wer eine unselbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne der AHV ausübt. Die Abweichungen von der AHV werden abschliessend aufgezählt. So sind nicht versichert Mitglieder eines Verwaltungsrates, die nicht im Betrieb tätig sind, sowie Personen, die Tätigkeiten im öffentlichen Interesse ausüben, sofern kein Dienstvertrag vorliegt, wie insbesondere Mitglieder von Parlamenten, Behörden und Kommissionen55. Bereits unter dem alten Recht hatte sich das Eidgenössische Versicherungsgericht für eine koordinierende Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs mit demjenigen der AHV ausgesprochen56.

2.2

Im Steuerrecht

2.2.1

Das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG)

2.2.1.1

Die massgebenden Bestimmungen

2.2.1.1.1

Die gesetzlichen Grundlagen

Im Recht der Einkommenssteuern wird unterschieden zwischen Einkünften aus Erwerbstätigkeit, aus beweglichem und unbeweglichem Vermögen, aus Vorsorge sowie übrigen Einkünften. Das Erwerbseinkommen wiederum wird eingeteilt in solches aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit. Diese Abgrenzung ist in verschiedener Hinsicht relevant. So verfügen nur Selbstständige über Geschäftsvermögen, dessen buchmässige Aufwertung, Veräusserung oder Überführung ins Privatvermögen Steuerfolgen auslösen kann57. Demgegenüber sind Kapitalgewinne aus der Veräusserung von Privatvermögen, soweit sie auf schlichter 50 51

52 53 54 55 56 57

BVG; SR 831.40.

BGE 115 Ib 43 E 4d; VPB 51 [1987] Nr. 16 S. 98 ff., SZS 1990 S. 181; vgl. auch Julian Luke Elrod, Der Arbeitnehmerbegriff des BVG im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung, Diss. ZH, 1989.

FZG; SR 831.42.

UVG; SR 832.20.

UVV; SR 832.202.

Art. 2 Abs. 1 Bst. f­g UVV.

RKUV 1992 Nr. U 155 S. 251.

Art. 18 Abs. 2 DBG; Art. 8 Abs. 1 StHG.

1137

Vermögensverwaltung beruhen, steuerfrei58. Bei der Ermittlung des Reineinkommens sind im Weiteren unterschiedliche Regelungen zu beachten, indem z.B. bei selbstständiger Erwerbstätigkeit nicht nur die Gewinnungskosten wie bei der unselbstständigen Erwerbstätigkeit von den steuerbaren Einkünften abzuziehen, sondern etwa auch Abschreibungen und Rückstellungen zu berücksichtigen sind.

Im Weiteren ist eine Verrechnung von steuerlich noch nicht berücksichtigten Verlusten aus vorausgegangenen Bemessungsperioden nur bei der selbstständigen Erwerbstätigkeit möglich. Ferner ist die Abgrenzung relevant bei der Beurteilung der Frage, ob eine Zwischenveranlagung infolge Berufswechsels von unselbstständiger zu selbstständiger Erwerbstätigkeit oder umgekehrt vorliegt59. Zentral ist schliesslich die Unterscheidung von selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit im interkantonalen Steuerrecht60.

Nach Artikel 17 DBG werden die Einkünfte aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit wie folgt umschrieben: ­

Steuerbar sind alle Einkünfte aus privatrechtlichem oder öffentlichrechtlichem Arbeitsverhältnis mit Einschluss der Nebeneinkünfte wie Entschädigungen für Sonderleistungen, Provisionen, Zulagen, Dienstalters- und Jubiläumsgeschenke, Gratifikationen, Trinkgelder, Tantiemen und andere geldwerte Vorteile.

­

Kapitalabfindungen aus einer mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Vorsorgeeinrichtung oder gleichartige Kapitalabfindungen des Arbeitgebers werden nach Artikel 38 DBG besteuert.

­

Vom Erwerbseinkommen dürfen die Gewinnungskosten61 und weitere im Gesetz vorgesehene Abzüge zur Ermittlung des steuerbaren Einkommens abgezogen werden.

Analog zur Bestimmmung in Artikel 17 (bei unselbstständiger Erwerbstätigkeit) konkretisiert Artikel 18 Absatz 1 DBG den Grundsatz der allgemeinen umfassenden Einkommensbesteuerung in Bezug auf die Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit, indem er wörtlich ausführt: ­

Steuerbar sind alle Einkünfte aus einem Handels-, Industrie-, Gewerbe-, Land- und Forstwirtschaftsbetrieb, aus einem freien Beruf sowie aus jeder andern selbstständigen Erwerbstätigkeit.

Als geschäftsmässig begründeter Aufwand wird in Artikel 27 DBG Folgendes aufgeführt: ­

Bei selbstständiger Erwerbstätigkeit werden die geschäfts- oder berufsmässig begründeten Kosten abgezogen.

Dazu gehören insbesondere:

58 59 60 61

a.

die Abschreibungen und Rückstellungen nach den Artikeln 28 und 29;

b.

die eingetretenen und verbuchten Verluste auf Geschäftsvermögen;

Vgl. dazu Art. 16 Abs. 3 DBG; Art. 7 Abs. 4 BStGB StHG.

Art. 45 Bst. b DBG; Art. 17 Bst. b StHG.

Verbot der Doppelbesteuerung gemäss Art. 46 Abs. 2 BV.

Art. 26 DBG: Berufskosten.

1138

c.

die Zuwendungen an Vorsorgeeinrichtungen zu Gunsten des eigenen Personals, sofern jede zweckwidrige Verwendung ausgeschlossen ist.

2.2.1.1.2

Die Abgrenzungskriterien

Unselbstständig erwerbstätig ist, wer in einem Arbeitsverhältnis steht. Charakteristisch für das Arbeitsverhältnis der Unselbstständigerwerbenden ist die Arbeitsleistung auf Zeit, gegen Entgelt und nach Weisungen des Arbeitgebers. Die Anstellung kann haupt- oder nebenberuflich erfolgen, auf Dauer oder vorübergehend angelegt sein, auf privatem oder öffentlichem Recht beruhen (Arbeitsvertrag nach Obligationenrecht bzw. Beamtenverhältnis). Nicht begriffsrelevant ist grundsätzlich das Erwerbsmotiv.

Als steuerbare Einkünfte aus unselbstständigem Erwerb gelten alle Leistungen, die dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ausgerichtet werden und die den Charakter von Leistungsentgelt haben.

Dazu zählen die Entgelte für die Dienste, zu deren Erbringung der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin gemäss Vertrag und Gesetz verpflichtet ist (Lohn einschliesslich Entschädigungen für Überstunden, Nacht-, Schicht- und Sonntagsarbeit, Lohnzulagen usw.), ebenso wie sämtliche freiwilligen Leistungen. Besteuert werden demgemäss auch Gratifikationen, Dienstaltersgeschenke, Tantiemen, Umsatzprovisionen, Gewinnprovisionen usw. Die Leistungen können vom Arbeitgeber oder von Dritten stammen (z.B. Trinkgelder). Nicht wesentlich für den Einkommenscharakter ist die Form der Leistungen. In Frage kommen Bar- und Naturalleistungen sowie die Einräumung weiterer geldwerter Vorteile (freie oder verbilligte Miete, zinsloses Darlehen usw.). Als Erwerbseinkommen gilt weiter die kostenlose Zuteilung von Mitarbeiteraktien oder die Überlassung solcher Papiere zu einem Vorzugspreis.

Erwerbseinkommen bilden sodann grundsätzlich die Spesenvergütungen, soweit sie über den blossen Auslagenersatz hinausgehen. Ferner ist im Allgemeinen als unselbstständig zu betrachten, wer kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt62. Weiter stellen die festen Vergütungen, die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zukommen, die ein Verwaltungsratsmandat innehaben oder Mitglieder der Kontrollstelle einer Aktiengesellschaft sind, Einkommen aus unselbstständigem Erwerb dar63.

Auch wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei ihrer Arbeit (z.B. Reorganisation einer Firma) nicht nur auf die Instruktionen des Arbeitgebers angewiesen sind, und bezüglich der Arbeitszeit eine gewisse Freiheit geniessen, die grösser ist als bei
gewöhnlichen Dienstverhältnissen, sind sie unselbstständigerwerbend64.

Eine selbstständige Erwerbstätigkeit liegt demgegenüber vor, wenn jemand mit einer eigenen Organisation und auf eigene Rechnung und Gefahr (Risiko) nach aussen in Erscheinung tritt, d.h. am Wirtschaftsleben teilnimmt. Darunter fällt namentlich jede Unternehmung. Auch wer einen freien Beruf ausübt, ist selbstständigerwerbend (z.B. Ärztinnen und Ärzte, Rechtsanwältinnen und ­anwälte, Treuhänderinnen und Treuhänder, Architektinnen und Architekten, Ingenieurinnen und Ingenieure, Künstlerinnen und Künstler, Schriftstellerinnen und Schrifsteller, Landwirtinnen 62 63 64

BGE 104 V 126 mit Verweis auf BGE 101 V 253.

ORK ZH RB 1960 Nr. 73.

Locher, § 5 I B Nr.3.

1139

und ­wirte usw.). Alle selbstständigerwerbenden Steuerpflichtigen haben ihre Einnahmen und Ausgaben, das Vermögen und die Schulden vollständig aufzuzeichnen65. Diese Aufzeichnungspflicht besteht unabhängig von der durch das Obligationenrecht vorgeschriebenen Buchführungspflicht66.

Steuerrechtlich ist die Unterscheidung zwischen Haupterwerbstätigkeit und Nebenerwerbseinkommen von Bedeutung wegen der unterschiedlichen Regelung der Gewinnungskostenabzüge. Gibt beispielsweise der Inhaber eines Sanitärinstallationsgeschäftes Unterricht an der Gewerbeschule, liegt ein unselbstständiges Nebeneinkommen vor, da der Rechtsgrund der beiden Einkommen völlig verschieden ist.

Bezüglich der Steuerbarkeit der Einkünfte spielt es keine Rolle, ob die Tätigkeit regelmässig, wiederkehrend oder nur einmal ausgeübt wird. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der Besteuerung von Nebengeschäften. Im Unterschied zum Einkommen aus Unternehmung fehlt bei den Gelegenheitsgeschäften die Dauerhaftigkeit. Solche Geschäfte kommen insbesondere im Liegenschaftenhandel und im Wertpapierhandel vor. Einkünfte aus Gelegenheitsgeschäften sind dann selbstständiges Erwerbseinkommen, wenn sie das Ergebnis einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit sind, nicht jedoch dann, wenn sie in Ausnützung einer zufällig sich bietenden Gelegenheit im Rahmen einer schlichten Vermögensverwaltung erlangt werden.

Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ist der Saldo der Erfolgsrechnung, d.h. die Differenz zwischen den Roheinkünften bzw. dem Bruttogewinn einerseits und den Gewinnungskosten, Abschreibungen und Rückstellungen andererseits. Zum steuerbaren Einkommen gehört hier aber nicht nur der Gewinn aus laufenden Geschäften, sondern gehören grundsätzlich auch Kapital-, Liquidations- und Aufwertungsgewinne. Das Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit wird einzig auf Grund der Veränderung des Geschäftsvermögens ermittelt. Das Privatvermögen ist für diese Einkommensermittlung nicht massgebend. Geschäftsvermögen und Privatvermögen werden in steuerlicher Hinsicht unterschiedlich behandelt: ­

Steuerwirksame Abschreibungen können nur auf Gegenständen des Geschäftsvermögens vorgenommen werden.

­

Kapitalgewinne auf Gegenständen des Privatvermögens werden meist anders behandelt als solche auf Geschäftsvermögen. Private Kapitalgewinne sind heute bei Bund und Kantonen steuerfrei.

­

Kapitalverluste können steuerlich nur geltend gemacht werden, wenn sie auf Geschäftsvermögen eingetreten sind. Dementsprechend können beispielsweise Börsenverluste auf privaten Wertschriftentransaktionen steuerlich nicht mit dem übrigen Einkommen verrechnet werden.

Die Zugehörigkeit zum Geschäftsvermögen oder Privatvermögen ergibt sich meist aus dem Zusammenhang. So gehört beispielsweise das private Wohnhaus eines Einzelfirmainhabers im Allgemeinen zum Privatvermögen; das Gebäude, die Maschinen und das Warenlager seines Gewerbetriebes gehören hingegen zum Geschäftsvermögen. Bei gemischter Nutzung gilt im DBG das Präponderanzprinzip (Zuweisung nach überwiegender Nutzung). Die Besteuerung von Kapital-, Liquidations- und Aufwertungsgewinnen setzt stets voraus, dass stille Reserven realisiert werden.

65 66

Aufzeichnungspflicht gemäss Art. 125 Abs. 2 DBG.

Art. 957 ff. OR.

1140

Solange dies nicht der Fall ist, unterbleibt eine Besteuerung. Eine echte Realisierung liegt bei Selbstständigerwerbenden vor, wenn ein Aktivum des Geschäftsvermögens gegen Entgelt veräussert wird. Sie liegt namentlich vor bei der entgeltlichen Veräusserung einzelner Aktiven des Geschäftsvermögens, bei einer Liquidation der Firma oder einem Verkauf der Firma an Dritte sowie bei Ausscheiden eines Gesellschafters oder einer Gesellschafterin aus einer Personengesellschaft.

Der einer Rechtsanwältin für das vorzeitige Dahinfallen eines Beratungsvertrages ausbezahlte Betrag stellt Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit dar67.

Bei der Frage, ob eine selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit vorliegt, ist nicht alleine auf die zivilrechtlichen Verhältnisse abzustellen. Es muss vielmehr auf die gesamten Umstände des Einzelfalles, vor allem auf das Mass an persönlicher und wirtschaftlicher Selbstständigkeit abgestellt werden. Das Nichtvorliegen eines Arbeitsvertrages gemäss Artikel 319 ff. OR deutet nicht ohne weiteres darauf hin, das erzielte Einkommen beruhe auf selbstständiger Erwerbstätigkeit.

Liegt kein als solcher bezeichneter Arbeitsvertrag vor, muss abgeklärt werden, ob das erzielte Einkommen nach den gesamten Umständen durch Auslegung nicht doch aus Arbeitsvertrag nach Artikel 319 ff. OR stammt68.

2.2.1.1.3

Indizien zur Abgrenzung

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ­

keine oder nur sehr geringe eigene Investitionen

­

keine eigenen Geschäftsräumlichkeiten

­

nur persönliche Leistungspflicht

­

kein Unternehmerrisiko

­

Verantwortung nach aussen trägt der Arbeitgeber

­

Arbeitet praktisch für einen einzigen Arbeitgeber

Arbeitgeber

67 68

­

Vornahme erheblicher Investitionen

­

eigene Geschäftsräumlichkeiten

­

Beschäftigung von eigenem Personal

­

Unternehmerrisiko (z.B. Fehlkalkulation)

­

trägt volle Verantwortung gegen aussen

­

hat nach konkreter Auftragslage verschiedene und wechselnde Auftraggeber

ASA 39, 323.

SZ StP 17 1999 S. 5 ff.

1141

2.2.1.2

Rechtsprechung und Praxis

Zu den steuerbaren Einkünften gehören u.a. auch alle Einkünfte «aus jeder andern selbstständigen Erwerbstätigkeit»69,70. Dabei ist der Begriff der selbstständigen Erwerbstätigkeit nach Bundesgerichtspraxis umfassender als jener der Unternehmung, des Geschäftes oder Gewerbes, die eine organisierte Einheit von Arbeit und Kapital erfordern71,72. Das Bundesgericht hat im Übrigen wiederholt klar gemacht, dass es hinsichtlich der Abgrenzung der selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit auf eine Gesamtbetrachtung ankommt73.

2.2.2

Das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Bundessteuer der Kantone und Gemeinden (StHG)

2.2.2.1

Die massgebenden Bestimmungen

Da sowohl der Bund als auch die Kantone direkte Steuern erheben und sich in diesem Bereich die Steuerhoheiten überlagern, ist eine ­ wenigstens formelle ­ Harmonisierung beschlossen worden. Gemäss dem Harmonisierungsartikel (Art. 129 BV) muss der Bund die Grundsätze der Gesetzgebung der Kantone und Gemeinden über Steuerpflicht, Gegenstand und zeitliche Bemessung der Steuern festlegen und die Einhaltung überwachen.

In Artikel 7 Absatz 1 StHG (Grundsatz) wird das steuerbare Einkommen wie folgt umschrieben: ­

69 70 71 72 73

Der Einkommenssteuer unterliegen alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte, insbesondere solche aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, aus Vermögensertrag, eingeschlossen die Eigennutzung von Grundstücken, aus Vorsorgeeinrichtungen sowie aus Leibrenten.

BGE vom 8.1.1999; Art. 18 DBG.

Gewerbsmässiger Liegenschaftenhandel; ASA 67, 644; BGE 125 II 113.

BGE vom 9.7.1999; Art. 21 Abs. 1 Bst. a BdBSt.

Gewerbsmässiger Wertschriftenhandel; STE 1999, B 23.1, Nr. 43.

ASA 63, 656; STE 1994, B 23.1, Nr. 29.

1142

­

Neben dem obgenannten Grundsatzartikel hat der eidgenössische Gesetzgeber in Artikel 8 StHG die selbstständige Erwerbstätigkeit genauer umschrieben73.

2.2.2.2

Grundsätzliches zur selbstständigen Erwerbstätigkeit gemäss StHG

Dem Begriff der selbstständigen Erwerbstätigkeit kommt eine ganz zentrale Abgrenzungsfunktion zu. Die Einkünfte im Bereich der selbstständigen Erwerbstätigkeit werden nach einer andern Methode ermittelt als das übrige Einkommen, sodass der Entscheid darüber, ob eine selbstständige Erwerbstätigkeit vorliegt oder nicht, vielfach von grosser fiskalischer Tragweite ist.

Sämtliche Gewinne aus der Veräusserung von Vermögenswerten werden im Bereich der selbstständigen Erwerbstätigkeit im Unterschied zur privaten Vermögenssphäre konsequent besteuert. Dafür besteht im Geschäftsvermögensbereich aber auch die Möglichkeit, Wertminderungen von der selbstständigen Erwerbstätigkeit dienenden Vermögenswerten durch Abschreibungen und Wertberichtigungen Rechnung zu tragen. Sodann können für in der Höhe noch unbestimmte Verpflichtungen und andere unmittelbar drohende Verlustrisiken zu Lasten der Erfolgsrechnung Rückstellungen gebildet werden. Als weiterer Unterschied ist die nur im Bereich der selbstständigen Erwerbstätigkeit mögliche Verrechnung von Einkünften mit Verlusten aus früheren Jahren zu nennen. Von grosser Tragweite ist der Begriff der selbstständigen Erwerbstätigkeit auch im interkantonalen und internationalen Steuerrecht. Die Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit werden nach andern Regeln zugeteilt als die übrigen Einkünfte, indem sie am Geschäftsort bzw. am Ort der Betriebsstätte erfasst werden können74.

73

74

Art. 8 StHG: «Zu den steuerbaren Einkünften aus selbstständiger Erwerbstätigkeit zählen auch die Kapitalgewinne auf Geschäftsvermögen aus Veräusserung, Verwertung, buchmässiger Aufwertung, Privatentnahme oder aus Verlegung in ausländische Betriebe oder Betriebsstätten; ausgenommen sind Gewinne aus Veräusserung von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken, soweit der Veräusserungserlös die Anlagekosten übersteigt. Artikel 12 Absatz 4 bleibt vorbehalten.

Als Geschäftsvermögen gelten alle Vermögenswerte, die ganz oder vorwiegend der selbstständigen Erwerbstätigkeit dienen.

Stille Reserven werden nicht besteuert, wenn die Steuerpflicht in der Schweiz fortbesteht, keine buchmässige Aufwertung stattfindet und die bisher für die Einkommenssteuer massgeblichen Werte übernommen werden, bei: a. Umwandlung in eine andere Personenunternehmung oder in eine juristische Person, wenn der Geschäftsbetrieb unverändert weitergeführt wird und die Beteiligungsverhältnisse grundsätzlich gleich bleiben; b. Unternehmungszusammenschluss durch Übertragung sämtlicher Aktiven und Passiven auf eine andere Personenunternehmung oder eine juristische Person; c. Aufteilung einer Personenunternehmung durch Übertragung von in sich geschlossenen Betriebsteilen auf andere Personenunternehmungen oder auf juristische Personen, wenn die übernommenen Geschäftsbetriebe unverändert weitergeführt werden.

Beim Ersatz von Gegenständen des betriebsnotwendigen Anlagevermögens können die stillen Reserven innert angemessener Frist auf ein Ersatzobjekt mit gleicher Funktion übertragen werden; ausgeschlossen ist die Übertragung auf Vermögen ausserhalb der Schweiz.» Kommentar zum Schweiz. Steuerrecht, Bd. I/1, StHG, Zweifel/Athanas, N 7 und 8 zu Art. 8, S. 115.

1143

Gemäss Lehre und Praxis gelten jene natürlichen Personen als selbstständigerwerbend, die durch Einsatz von Arbeitsleistung und Kapital in frei gewählter Organisation, auf eigenes Risiko, anhaltend, planmässig und nach aussen sichtbar zum Zwecke der Gewinnerzielung am wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen.

Dieser Begriff der selbstständigen Erwerbstätigkeit zeichnet sich durch Offenheit und Unschärfe aus. Wegen der Vielfalt der zu regelnden Sachverhalte ist es nicht möglich, die selbstständige Erwerbstätigkeit generell und präzis zu definieren.

Ausschlaggebend bei der Frage, ob im konkreten Fall eine selbstständige Erwerbstätigkeit vorliegt, ist stets das Gesamtbild der vollzogenen Tätigkeiten. Es sind alle Umstände des Einzelfalles in die Beurteilung einzubeziehen75.

Zur steuerrechtlichen Qualifikation als selbstständigerwerbende Person bedarf es demnach weder der Eintragung im Handelsregister noch der Führung einer Buchhaltung. Selbstständigerwerbend sind nicht nur die Inhaberinnen und Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder Dienstleistungsunternehmens oder eines anderen Gewerbes oder Geschäftsbetriebes, sondern auch die Angehörigen der freien Berufe sowie die Land- und Forstwirtinnen und -wirte. Als Selbstständigerwerbende gelten neben den Einzelunternehmern auch die Gesellschafterinnen und Gesellschafter von Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, die Teilhaberinnen und Teilhaber einfacher Gesellschaften mit gewerblichen oder geschäftlichen Betrieben und die stillen Teilhaberinnen und Teilhaber an solchen Betrieben. Ebenfalls selbstständigerwerbend sind diejenigen Steuerpflichtigen, denen die Unternehmensführung als Nutzniesser überlassen ist und denen in dieser Eigenschaft der Unternehmenserfolg zukommt.

Die unternehmerische Tätigkeit ist ein Unterbegriff der selbstständigen Erwerbstätigkeit. An Stelle des Begriffs des Unternehmens werden häufig auch Ausdrücke wie «Geschäft», «Betrieb» oder «Gewerbe» verwendet.

2.2.3

Artikel 127 Absatz 3 BV (Art. 46 Abs. 2 aBV), Doppelbesteuerungsverbot

Artikel 127 Absatz 3 BV bestimmt unter anderem, dass die Bundesgesetzgebung gegen die interkantonale Doppelbesteuerung die erforderlichen Massnahmen trifft76.

2.2.3.1

Die massgebenden Bestimmungen

Dem in Artikel 46 Absatz 2 aBV verankerten Gesetzgebungsauftrag ist der Bund nie nachgekommen. Der Bundesgesetzgeber ist immer wieder an der Komplexität der Materie gescheitert. An seiner Stelle hat das Bundesgericht diese Aufgabe wahrgenommen. Es hat durch zahlreiche Entscheide ein Kollisionsnormensystem geschaffen, das die Abgrenzung der kantonalen Steuerhoheiten bis in alle Einzel-

75 76

ASA 49, 122.

Art. 46 Abs. 2 aBV formulierte das Doppelbesteuerungsverbot folgendermassen: «Die Bundesgesetzgebung wird (...) gegen Doppelbesteuerung die erforderlichen Massnahmen treffen.»

1144

heiten regelt. Dieser Tatsache hat die neue Bundesverfassung mit dem leicht geänderten Wortlaut Rechnung getragen.

Das Doppelbesteuerungsverbot von Artikel 127 Absatz 3 BV hat zwei Aspekte: Einerseits ist es ein verfassungsmässiges Recht, das die Bürgerinnen und Bürger vor Doppelbesteuerung schützt, und andererseits ist es eine Kompetenznorm, die dem Bund den Auftrag erteilt, die Steuerhoheiten der Kantone gegeneinander abzugrenzen. Es können sich also nicht nur die Steuerpflichtigen, sondern auch die Kantone auf Artikel 127 Absatz 3 BV berufen. Derart wird die kantonale Steuererhebungsbefugnis im interkantonalen Verhältnis durch das bundesrechtliche Doppelbesteuerungsverbot eingeschränkt77.

2.2.3.2

Rechtsprechung und Praxis

Mit der Aufstellung von Kollisionsnormen legt das Bundesgericht fest, welcher Kanton beim Zusammentreffen zweier oder mehrerer kantonaler Steuerordnungen zur Besteuerung welcher Steuerpflichtigen bezüglich welcher Steuerobjekte zuständig ist. Sind Steuerobjekte nicht einem bestimmten Kanton durch Kollisionsnormen zugewiesen, unterstehen sie der Steuerhoheit des Wohnsitzkantons.

Beim Erwerbseinkommen muss unterschieden werden zwischen Einkünften aus selbstständigem und unselbstständigem Erwerb. Für die Zuteilung einer Tätigkeit zum selbstständigen oder unselbstständigen Erwerb stellt das Bundesgericht nicht ohne weiteres auf die zivilrechtliche Natur der Beziehungen der Steuerpflichtigen zu Dritten ab, sondern auf das Mass der persönlichen und wirtschaftlichen Selbstständigkeit, das den Erwerbstätigen bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zukommt78.

Einkommen aus unselbstständigem Erwerb Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit ist grundsätzlich gesamthaft am Wohnsitz steuerpflichtig. Das gilt in der Regel auch für das sogenannte Ersatzeinkommen79. Von dieser Regel wird ausnahmsweise abgewichen in den Fällen, in denen die Familienniederlassung oder der Saisonaufenthalt sekundäre Steuerdomizile begründen. Wird ein sekundäres Steuerdomizil des Saisonaufenthalters oder der Saisonaufenthalterin begründet, nehmen der Kanton des Saisonaufenthaltes und derjenige des Hauptsteuerdomizils eine Teilung des steuerbaren Einkommens und Vermögens pro rata temporis vor.

Einkommen aus selbstständigem Erwerb (Einzelunternehmungen und kaufmännische Personengesellschaften) Das Einzelunternehmen und die kaufmännischen Personengesellschaften sind nicht Steuersubjekte. Der Gewinn und das Vermögen bzw. das Gesellschaftskapital werden dem Geschäftsinhaber oder der Geschäftsinhaberin (bei der Einzelunternehmung) bzw. den Gesellschaftern oder Gesellschafterinnen (bei Personengesellschaften) zugerechnet und sind von diesen i.d.R. am Geschäftsort bzw. Gesellschaftssitz zu versteuern.

77 78 79

M. Reich; in Kommentar zum Schweiz. Steuerrecht, Bd. I/1, Hrsg. Zweifel/Athanas, BS 1997, N 16 und 17, Vorbemerkungen zu Art. 1/2, S. 6/7.

BGE 95 I 24.

BGE 99 Ia 228.

1145

Nicht am Sitz der Gesellschaft, sondern am Wohnsitz ist hingegen der Arbeitslohn des Gesellschafters oder der Gesellschafterin einer Personengesellschaft steuerpflichtig. Diese Kollisionsregel darf nicht auf die Einzelunternehmung übertragen werden. Die Einzelfirma vermag zwar für deren Inhaber oder Inhaberin einen sekundären Steuerort zu begründen, wo er oder sie für das aus dem Unternehmen fliessende Einkommen besteuert wird; dieses Einkommen lässt sich aber nicht in eine Gewinn- und Lohnquote aufspalten80. Die angeführten Kollisionsnormen gelten auch für die so genannten freien Berufe (selbstständige Anwältinnen und Anwälte, Ärztinnen und Ärzte, Architektinnen und Architekten usw.).

BGE vom 24. Februar 1998; i.S. Dr. med. D. D.; Doppelbesteuerung Zürich/Schwyz (Staatsrechtl. Beschwerde).

Die Frage der selbstständigen Natur des Einkommens von Spitalärztinnen und ­ ärzten ist nicht nur für die AHV/IV-Beitragspflicht bedeutsam, sondern auch für die Einkommens- und Vermögenssteuer. Die steuerrechtliche Einstufung bindet die Organe der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zwar nicht. Nach Möglichkeit sollte die Abgrenzung in den beiden Rechtsgebieten laut EVG indessen nicht ohne sachlichen Grund voneinander abweichen. Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichtes hat diese Grundsätze des EVG im obgenannten steuerrechtlichen Fall untermauert, indem es das privatärztliche Einkommen (neben dem bestehenden Anstellungsverhältnis) eines Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe an einem Regionalspital im Kanton Schwyz als unselbstständig einstufte. Dabei spielte unter anderem eine Rolle, dass der Arzt seine Honorare für die Behandlung der stationären Patientinnen (privatärztliche Tätigkeit) nicht frei gestalten durfte und die Spitalinfrastruktur mitbenutzen musste. Die fraglichen Honorareinnahmen stehen somit als Einkommen aus einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit dem Kanton Zürich als damaligem Wohnsitzkanton des Beschwerdeführers zur Besteuerung zu.

2.2.4

Mehrwertsteuerrecht

2.2.4.1

Die massgeblichen Bestimmungen

2.2.4.1.1

Die gesetzlichen Grundlagen

Die Frage der selbstständigen Erwerbstätigkeit stellt sich im Bereich des Mehrwertsteuerrechts im Zusammenhang mit der Bestimmung der Voraussetzungen der subjektiven Steuerpflicht. Mit einigen dieser Voraussetzungen soll vermieden werden, dass jemand, der nur gelegentlich aus einem Umsatz Einnahmen von jährlich mehr als 75 000 Franken erzielt, bereits steuerpflichtig wird.

Die Verordnung über die Mehrwertsteuer vom 22. Juni 199481 (MWSTV) bestimmte in Artikel 17 Absatz 1, dass steuerpflichtig ist, wer eine mit der Erzielung von Einnahmen verbundene gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt, selbst wenn die Gewinnabsicht fehlt, sofern seine Lieferungen, seine Dienstleistungen und sein Eigenverbrauch im Inland jährlich gesamthaft 75 000 Franken übersteigen. Das die MWSTV auf den 1. Januar 2001 ablösende Bundesgesetz über 80 81

Schweiz. Steuerlexikon, Bd. 3, S. 364 ff.

MWSTV; SR 641.201

1146

die Mehrwertsteuer vom 2. September 199982 (MWSTG) enthält in Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 eine gleich lautende Bestimmung.

Artikel 21 Absatz 1 Satz 2 des MWSTG erklärt überdies, dass die Tätigkeit von Mitgliedern von Verwaltungsräten, Stiftungsräten oder ähnlichen Funktionsträgerinnen und -trägern als unselbstständige Erwerbstätigkeit gilt. Damit wird klargestellt, dass diese Einkünfte nicht zugleich mit Sozialabgaben und mit der Mehrwertsteuer belastet werden können.

Das Mehrwertsteuerrecht definiert den Begriff der selbstständigen Ausübung einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit nicht näher. Die Auslegung bzw. die genauere Umschreibung dieses Begriffs wird somit ­ wie im AHV-Recht ­ der Praxis und Rechtsprechung überlassen83.

2.2.4.1.2

Das Verhältnis zum Zivilrecht

Das Mehrwertsteuerrecht knüpft ­ im Gegensatz zum Arbeitsvertragsrecht, das vom Arbeitnehmerbegriff und damit von einer unselbstständigen Stellung der Erwerbstätigen ausgeht ­ an den Begriff der Selbstständigkeit an. Für die Praxis und die Rechtsprechung sind bei der Abgrenzung der selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit der subjektiven Steuerpflicht gemäss Artikel 17 Absatz 1 MWSTV bzw. Artikel 21 Absatz 1 MWSTG folglich die handelsrechtlichen Begebenheiten entscheidend. Die Grundlage dazu liegt demnach nicht allein im juristischen, sondern vor allem im wirtschaftlichen Bereich.

Es ist daher nicht massgebend, ob die von den Betroffenen mit ihren Auftraggebern eingegangenen Verträge überwiegend Elemente eines Arbeits- oder eines Werkvertrages bzw. eines Auftrags aufweisen.

2.2.4.1.3

Die Abgrenzungskriterien

Die Hauptmerkmale für die Unterscheidung sind einerseits das Unternehmerrisiko, andererseits die wirtschaftliche und organisatorische Unabhängigkeit84. Unternehmerrisiko bedeutet dabei einerseits, dass selbstständige Unternehmer und Unternehmerinnen von einem allfälligen Gewinn direkt persönlich profitieren bzw. einen Verlust selber tragen müssen, und andererseits, dass sie für den Arbeitserfolg haften.

Arbeitsorganisatorische Unabhängigkeit bedeutet sodann, dass selbstständige Unternehmer und Unternehmerinnen ihre Arbeit ohne Weisungen in eigener

82 83

84

MWSTG; SR 641.20 Vgl. Entscheid der Eidg. Steuerrekurskommission vom 30. September 1999 i.S. L. gegen Eidg. Steuerverwaltung, E. 3a, wo festgestellt wird, dass in Art. 17 MWSTV nicht näher umschrieben werde, wann ein Unternehmer als selbstständig zu gelten habe, weshalb der Begriff der Selbstständigkeit im Lichte der übrigen Bestimmungen der MWSTV auszulegen sei.

Vgl. Camenzind/Honauer/Vallender, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz (MWSTG), Bern 2000, Rz. 785; ferner: Bühlmann, Das Schweizer Mehrwertsteuer-Handbuch, Zürich 1994, S. 112 f.; Kuhn/Spinnler, Mehrwertsteuer, Muri/Bern 1994, S. 72)

1147

Verantwortung ausführen und sich ihre Zeit frei einteilen können und frei in der Arbeitsannahme sind85.

2.2.4.1.4

Die Abgrenzung im Einzelfall

Die erwähnten Abgrenzungskriterien verlangen immer eine umfassende Prüfung des Einzelfalls86. Dabei deuten folgende Indizien auf eine Selbstständigeit hin: die Verpflichtung, die SUVA-Prämien selber zu entrichten, der Marktauftritt unter eigenem Namen mit eigenem Geschäftspapier, der Einsatz von Hilfskräften, die selber entlöhnt werden, das Fehlen der Abhängigkeit von nur einem Auftraggeber, eigene Werkzeuge und Maschinen87. Bei der Beurteilung ein und desselben Arbeitsverhältnisses können sich allerdings Unterschiede zwischen der Beurteilung der AHV und der Einteilung im Mehrwertsteuerrecht ergeben88. Solche Abweichungen sind aber auf die andere Gewichtung der dieser Abgrenzung zu Grunde liegenden Kriterien zurückzuführen. Derartige Einzelfälle können durch eine bessere Koordination der Auslegungsregeln für die Zukunft korrigiert werden. Aus der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung kann nach der Rechtsprechung deshalb nie ohne weiteres auf die unternehmerische Selbstständigkeit im Sinne des Mehrwertsteuerrechts geschlossen werden; dies ist nur ein, wenn auch gewichtiges Indiz unter vielen89. Ferner können Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen für eine wesentliche Nebentätigkeit in mehrwertsteuerlicher Hinsicht als selbstständigerwerbend betrachtet werden, wenn sie beispielsweise die Nebentätigkeit zusätzlich, freiwillig, ausserhalb ihrer arbeitsrechtlichen Verpflichtungen, in ihrer Freizeit und ohne Weisungen des Arbeitgebers ausüben90.

2.2.4.2

Rechtsprechung und Praxis

2.2.4.2.1

Rechtsprechung

In einem Urteil vom 1. Dezember 1994 i.S. K.F. gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) hat das Bundesgericht bestätigt, dass für die Unterscheidung des selbstständigen Akkordanten vom unselbstständigen Arbeitnehmer, der Akkordarbeit leistet, als Hauptmerkmal das ökonomische Risiko sowie die wirtschaftliche und organisatorische Unabhängigkeit gegenüber dem Auftraggeber zu betrachten ist. Es hielt fest, dass eine Erwerbstätigkeit demnach insbesondere dann als selbstständig zu betrachten sei, wenn sie sich nach einer frei gewählten, eigenen Organisation vollziehe, die nach aussen in Erscheinung trete und auf eigene Rechnung und Gefahr ausgeübt werde. Das Bundesgericht stimmte der ESTV insoweit zu, als im konkreten Fall gestützt auf die Sachlage, wie sie im Einspracheverfahren gegeben war, verschiedene Indizien für eine selbstständige Tätigkeit des Beschwerdeführers 85 86 87 88 89 90

Vgl. Entscheid der Eidg. Steuerrekurskommission vom 30. September 1999 i.S. L. gegen ESTV, E. 3a.

Vgl. Dieter Metzger, Kurzkommentar zum Mehrwertsteuergesetz, Muri bei Bern 2000, N 3 zu Art. 21.

Vgl. Camenzind/Honauer/Vallender, a.a.O., Rz. 785.

Dieselben, Rz. 786.

Vgl. ASA Bd. 61, S. 813, E. 2b mit weiteren Hinweisen.

Dieselben, Rz. 788.

1148

sprachen. Diese Indizien sah die ESTV darin, dass der Beschwerdeführer der Firma, für die er tätig war, in seinen Rechnungen stets einen Rabatt von 20 Prozent gewährt habe, was die ESTV als nicht widerlegbares Indiz für die wirtschaftliche Unabhängigkeit bzw. dafür, dass die Leistungen im Rahmen von Werkverträgen erbracht worden waren, wertete. Als weiteres Indiz nahm die ESTV die ausgewiesenen Geschäftsunkosten an, deren Höhe in keinem Verhältnis zu den Einnahmen des Beschwerdeführers91 standen.

In einem Entscheid vom 21. Januar 1997 i.S. R.G. gegen ESTV hat die Eidgenössische Steuerrekurskommission (SRK) wichtige Kriterien für die Selbstständigkeit im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 MWSTV festgehalten. Eine steuerbare Tätigkeit, welche in eigenem Namen, auf eigenes wirtschaftliches und unternehmerisches Risiko, in betriebswirtschaftlicher oder arbeitsorganisatorischer Unabhängigkeit von einem Arbeitgeber erbracht wird, ist als selbstständige Erwerbstätigkeit zu beurteilen.

Im Entscheid vom 30. September 1999 i.S. L. gegen ESTV hatte die SRK einen Sachverhalt zu beurteilen, bei dem die X. AG einen Vertrag mit Y. über die Erbringung von Software-Unterstützungen abschloss. Zur Erfüllung dieses Vertrags schloss die X. AG mit L. einen Vertrag für Ingenieurleistungen, wonach L. nach Bedarf an Y. Software-Unterstützung zu erbringen hat. Im erwähnten Entscheid ging es in der Folge um die Frage, ob L. als selbstständig Erwerbender mehrwertsteuerpflichtig ist. Zur Frage der Selbstständigkeit führte die SRK aus, dass zur Beurteilung, ob eine Tätigkeit im mehrwertsteuerlichen Sinne als selbstständig gelten muss, der Begriff der Selbstständigkeit im Lichte der übrigen Bestimmungen der MWSTV auszulegen ist. Gemäss Lehre und Rechtsprechung sei zu prüfen, ob die betroffene Person die Tätigkeit in eigenem Namen, auf eigenes wirtschaftliches und unternehmerisches Risiko und in arbeitsorganisatorischer Unabhängigkeit von einem Arbeitgeber erbringe (Erw. 3a). Ferner hält die SRK fest, dass die Frage, ob der Leistungserbringer die Kriterien für eine selbstständige Tätigkeit im mehrwertsteuerlichen Sinne erfüllt, auf Grund der gesamten Umstände zu beurteilen sei.

Grundsätzlich sei der Selbstständigkeitsbegriff angesichts des Wesens der Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchssteuer eher weit auszulegen92.

2.2.4.2.2

Praxis der Verwaltung

Verwaltungsrätinnen und -räte In der Praxis der ESTV war die Frage der Selbstständigkeit im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 MWSTV bisher vor allem im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Verwaltungsrätinnen und -räten zu beurteilen. Gestützt auf die zur Warenumsatzsteuer entwickelten Kriterien kam die ESTV zunächst zum Schluss, dass die Verwaltungsratstätigkeit als selbstständige Erwerbstätigkeit einzustufen sei. In einem Entscheid vom 27. Oktober 2000 hielt nun das Bundesgericht aber fest, dass die Tätigkeit

91 92

Vgl. ASA Bd. 66, S. 162 ff., E. 2 und 3 mit weiteren Hinweisen.

Unter Hinweis auf Daniel Riedo, Vom Wesen der Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchssteuer und den entsprechenden Wirkungen auf das schweizerische Recht, Bern 1999, S. 115, 175.

1149

eines Verwaltungsratsmitglieds auch schon im Rahmen der Bestimmungen der MWSTV als unselbstständig anzusehen ist.

Journalistinnen und Journalisten Bei der Beurteilung der Tätigkeit von freien Journalistinnen und Journalisten prüft die ESTV in erster Linie, ob diese auf Grund eines Arbeitsvertrags nach Artikel 319 ff. OR tätig sind. Als weitere Indizien dienen die Sozialabgaben, das Ferienrecht, die Arbeitszeit und die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers. Eine definitive Beurteilung erfolgt aber jeweils im Einzelfall.

Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter Bei der Beurteilung der Tätigkeit gestützt auf einen Heimarbeitsvertrag gemäss den Artikeln 351 ff. OR geht die ESTV von der Arbeitnehmerähnlichkeit eines Heimarbeiters oder einer Heimarbeiterin aus. Eine definitive Beurteilung erfolgt jedoch auch hier nur im Einzelfall, wobei die Abrechnung der Sozialversicherungsbeträge nicht alleine ausschlaggebend ist.

Allgemein kann zur Abgrenzungsproblematik der Selbstständigkeit bzw. Unselbstständigkeit einer Tätigkeit bemerkt werden, dass «verunglückte» Einzelfälle mittels besserer Koordination der Auslegung für die Zukunft vermieden werden könnten.

2.3

Obligationenrecht

2.3.1

Die massgebenden Bestimmungen

Die Grenzziehung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit erfolgt im Zivilrecht anhand der Vertragsform. Der Arbeitsvertrag93 ist typischerweise durch ein Unterordnungsverhältnis (Subordination) und damit durch Unselbstständigkeit definiert. Liegt ein Arbeitsvertrag vor, wird damit von unselbstständiger Erwerbstätigkeit ausgegangen, während sämtliche andern Verträge über Arbeitsleistung auf eine selbstständige Erwerbstätigkeit schliessen lassen. Eine gewisse Zwischenstellung nimmt dabei der Agenturvertrag ein94.

2.3.1.1

Die gesetzlichen Grundlagen

Zivilrechtlich entscheidend ist somit Artikel 319 OR, der den Arbeitsvertrag definiert: 1 Durch den Einzelarbeitsvertrag verpflichtet sich der Arbeitnehmer auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Leistung von Arbeit im Dienst des Arbeitgebers und dieser zur Entrichtung eines Lohnes, der nach Zeitabschnitten (Zeitlohn) oder nach der geleisteten Arbeit (Akkordlohn) bemessen wird.

93 94

Art. 319 ff. OR.

Art. 418a ff. OR.

1150

2

Als Einzelarbeitsvertrag gilt auch der Vertrag, durch den sich ein Arbeitnehmer zur regelmässigen Leistung von stunden-, halbtage- oder tageweiser Arbeit (Teilzeitarbeit) im Dienst des Arbeitgebers verpflichtet.

Zur Abgrenzung des Arbeitsvertrags von den andern erwähnten Verträgen hat die Lehre vier Kriterien entwickelt: ­ Das Vorliegen von Arbeitsleistung (nicht Erfolg), ­ die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation (nicht eigenverantwortlich), ­ ein Dauerschuldverhältnis (nicht im Einzelfall) und ­ ein Anspruch auf Entgelt.

Ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist anhand aller Elemente des Vertragsverhältnisses zu beurteilen95.

2.3.1.2

Rechtsprechung und Praxis

Die Unterscheidung zwischen Arbeitsvertrag einerseits sowie Werkvertrag und Auftrag andererseits hat die Gerichte schon oft beschäftigt. Bei der Abgrenzung zum Werkvertrag ist neben der Subordination wesentlich, dass aus dem Werkvertrag ein Arbeitsergebnis geschuldet ist, während der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin auch bei mangelhafter Arbeit Anspruch auf Lohn hat. Vom Auftrag unterscheidet sich der Arbeitsvertrag neben dem Mass an Unterordnung durch das Zeitelement: Die Beschränkung der Arbeitspflicht auf eine konkrete, zeitlich abgeschlossene Aufgabe spricht eher für den Auftrag.

Je nach Qualifikation des Vertrags sind auch die Rechtsfolgen unterschiedlich. Der Arbeitsvertrag ist stark vom Schutzgedanken geprägt, indem beispielsweise Lohnfortzahlungspflichten bei Krankheit bestehen und die Vertragskündigung an gewisse Fristen gebunden ist. Der Werkvertrag und der Auftrag lassen dagegen den Vertragspartnern grössere Freiheit.

Dieser Schutzgedanke hat in der Gerichtspraxis ein wichtige Rolle gespielt, wobei die Schutzbedürftigkeit oft mit einem ausgeprägten Unterordnungsverhältnis einhergeht. Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen waren dabei zum Beispiel96: ­

95 96

Fussballspieler,

­

Kabarett-Tänzerinnen,

­

ein Disc-Jockey,

­

ein Clown,

­

jemand, der in einem Kleinbetrieb sämtliche Büroarbeiten verrichtete,

­

ein Fotomodell.

Siehe Rehbinder, Berner Kommentar, 1985, Art. 319, N 42 ff.

Beispiele nach Rehbinder, a.a.O. und Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, Art. 319 N 3 ff.

1151

Keine Arbeitnehmer und somit selbstständigerwerbstätig waren zum Beispiel: ­

ein Verwaltungsrat einer Bank (zumindest ein nebenamtlicher),

­

ein Journalist mit Zeilenhonorar.

Auffällig ist die Unsicherheit der Lehre bei den Mitgliedern eines Verwaltungsrates.

Zusammenfassen lässt sich wohl folgende Auffassung: Nebenamtliche Verwaltungsrätinnen und -räte und geschäftsleitende Organe der juristischen Personen (u.U.

Verwaltungsratsdelegierte) werden nach Auftragsrecht beschäftigt, hauptberufliche Verwaltungsrätinnen und -räte jedoch, die nicht eigentlich geschäftsleitende Funktion haben, können nach Arbeitsvertragsrecht angestellt sein.

Besonders heikel ist die Abgrenzung des Arbeitsvertrags zum Agenturvertrag, nach dem sich der Agent oder die Agentin verpflichtet, dauernd für einen oder mehrere Auftraggeber Geschäfte zu vermitteln oder abzuschliessen, ohne in einem Arbeitsverhältnis zum Auftraggeber zu stehen. Dort ist vor allem die betriebliche Autonomie des Agenten oder der Agentin massgebend.

2.4

Problemfelder

2.4.1

Aktuelle Situation

Die Legaldefinition der Begriffe selbstständige bzw. unselbstständige Erwerbstätigkeit im Sozialversicherungs-, Steuer- und Obligationenrecht ist, wenn überhaupt normiert, relativ knapp gehalten. Die Rechtsprechung zu den erwähnten Rechtsgebieten lehnt schematisch anwendbare Lösungen ab und betont, dass auf Grund der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden vielfältigen Sachverhalte die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Probleme bieten insbesondere Mischformen von selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit.

In der Praxis lassen sich vor allem bezüglich der Mitglieder eines Verwaltungsrates und der Journalistinnen und Jouranlisten unterschiedliche Qualifikationen in den einzelnen Rechtsgebieten feststellen. Die Verwaltungsrätinnen und -räte werden im Sozialversicherungsrecht in der Regel den unselbstständig Erwerbenden zugeordnet, während ihre Tätigkeit im Obligationenrecht als selbstständige Erwerbstätigkeit eingestuft wird. Im Bereiche der Mehrwertsteuer gilt die Tätigkeit in einem Verwaltungsrat seit dem bereits erwähnten Entscheid des Bundesgerichts vom 27. Oktober 2000 ebenfalls als unselbstständige Erwerbstätigkeit. Bei den Journalistinnen und Journalisten erfolgt die Qualifikation im Sozialversicherungsrecht nach der Regelmässigkeit der Tätigkeit für eine Zeitschrift, im Mehrwertsteuerrecht wird primär auf das Vorliegen eines Arbeitsvertrags abgestellt und im Obligationenrecht gelten Journalistinnen und Journalisten mit Zeilenhonorar mangels Unterordnungsverhältnis als selbstständig Erwerbende.

1152

2.4.2

Entwicklung ab Beginn des Jahres 2001

Wie bereits erwähnt, bestimmt Artikel 21 Absatz 1 Satz 2 des Bundesgesetzes vom 2. September 199997 über die Mehrwertsteuer (MWSTG), das am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, dass die Tätigkeit in einem Verwaltungsrat als unselbstständige Erwerbstätigkeit gilt. Damit ergibt sich diesbezüglich ab Inkrafttreten des neuen Mehrwertsteuergesetzes eine Übereinstimmung mit der Lösung im Sozialversicherungsbereich.

3

Übereinstimmung/Abweichung der verschiedenen Begriffe im Sozialversicherungs-, Steuer- und Obligationenrecht

Die Begriffe der selbstständigen und unselbstständigen Erwerbstätigkeit werden in allen hier zur Diskussion stehenden Rechtsgebieten durch bestimmte Abgrenzungskriterien näher umschrieben.

3.1

Sozialversicherungsrecht

Massgebende Abgrenzungskriterien sind das Vorliegen eines betriebswirtschaftlichen bzw. arbeitsorganisatorischen Abhängigkeitsverhältnisses sowie das Unternehmerrisiko.

3.2

Direkte Bundessteuer

Massgebende Kriterien für die selbstständige Erwerbstätigkeit sind der Einsatz von Arbeitsleistung und Kapital in frei gewählter Organisation und auf eigenes Risiko, anhaltende und planmässige nach aussen sichtbare Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr und die Gewinnabsicht.

3.3

Mehrwertsteuer

Die Unterscheidung der selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit orientiert sich an den Hauptmerkmalen des ökonomischen Risikos sowie der wirtschaftlichen und organisatorischen Unabhängigkeit98.

97 98

SR 641.20, BBl 1999 7479 Siehe Reto Böhi, Der unterschiedliche Einkommensbegriff im Steuerrecht und im Sozialversicherungsrecht und seine Auswirkungen auf die Beitragserhebung, Bern 2001, S. 225.

1153

3.4

Obligationenrecht

Die Unterscheidung in selbstständige und unselbstständige Erwerbstätigkeit erfolgt anhand der Vertragsform. Der Arbeitsvertrag grenzt sich von den übrigen auf Arbeitsleistungen gerichteten Verträgen durch das Vorliegen eines Subordinationsverhältnis und durch das Fehlen eines garantierten Arbeitserfolgs ab.

3.5

Fazit

Im Sozialversicherungs- und im Steuerrecht sind die ausschlaggebenden Abgrenzungskriterien bezüglich selbstständiger bzw. unselbstständiger Erwerbstätigkeit das Vorliegen eines Subordinationsverhältnisses und das Unternehmerrisiko. Im Steuerrecht wird bezüglich der selbstständigen Erwerbstätigkeit zudem das sichtbare Auftreten nach aussen verlangt, wobei nur im Bereich der direkten Steuern eine Gewinnabsicht erforderlich ist, nicht aber im Mehrwertsteuerrecht. Im Obligationenrecht kommt der Frage des geschuldeten Arbeitserfolgs zusätzliche Bedeutung zu.

Im Sozialversicherungs- und im Steuerrecht kann zudem festgestellt werden, dass als entscheidendes Abgrenzungskriterium letztlich das Abhängigkeitsverhältnis herangezogen wird und die Rechtslage der beiden Gebiete somit weitgehend übereinstimmt99. Ferner ergibt sich aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, dass sich die Frage, ob ein Subordinationsverhältnis im Sinne des Zivil- oder des Sozialversicherungsrechts vorliegt, nach den gleichen Kriterien beurteilt100. Lanz kommt zum Schluss, dass die Diskrepanz zwischen Sozialversicherungs- und Zivilrecht bezüglich der Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft bei richtiger Qualifikation der in Frage stehenden Verträge kleiner ist, als dies die Formulierung des EVG, welche die Autonomie des Sozialversicherungsrechts betont, glauben machen könnte101.

Im öffentlichen Abgaberecht, zu welchem auch das Sozialversicherungs- und das Steuerrecht zählen, besteht, im Unterschied zum Zivilrecht (OR), keine Freiheit hinsichtlich der Gestaltung von Verhältnissen. Bei Abgrenzungsfragen (selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit) haben die anzuwendenden Normen des Sozialversicherungs- und des Steuerrechts somit Zwangscharakter und zivilrechtliche Konstruktionen können diese Beurteilungen nicht präjudizieren. Darin liegt die regelmässig festzustellende Betonung der Autonomie des Sozialversicherungsrechts begründet. Weil jedoch sowohl im Sozialversicherungs- wie auch im Steuerrecht die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, also die von den Wirtschaftssubjekten frei gewählten und als zweckmässig erachteten Formen nicht ausser Acht gelassen werden dürfen, haben zivilrechtliche Gestaltungen regelmässig einen starken Hinweiswert auch bei der Beurteilung von öffentlich-rechtlichen
Verhältnissen, somit im Bereich der vorliegend zu beurteilenden Frage (einheitliche und kohärente Behandlung von Erwerbstätigkeit im Steuer- und Sozialversicherungsrecht).

99

Raphael Lanz, Die Abgrenzung der selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit im Sozialversicherungs-, Steuer- und Zivilrecht, in: AJP 12/97, S. 1478.

100 Derselbe, S.1479.

101 Derselbe, S. 1481.

1154

4

Einheitlicher Selbstständigkeitsbegriff im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Zielsetzungen des Sozialversicherungs-, Steuer- und Obligationenrechts

4.1

Im Sozialversicherungsrecht: Sozialschutzfunktion (Versicherungsschutz)

Als Kernstück der sozialen Sicherheit deckt die Sozialversicherung die sozialen Risiken, also die Gefahren ab, welche natürliche Personen in ihrer wirtschaftlichen Existenz treffen und oft mit dem Verlust oder der Minderung des Erwerbseinkommens verbunden sind. Zu den sozialen Risiken gehören Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter, Unfälle, Berufserkrankungen, Familienlasten, Mutterschaft, Invalidität und Tod102. Im Sozialversicherungsrecht hat der Begriff des Arbeitnehmers deshalb grundlegende Bedeutung, weil in verschiedenen Sozialversicherungszweigen eine Person nur dann obligatorisch versichert ist, wenn ihr Arbeitnehmereigenschaft zukommt103. Die Frage des Versicherungsschutzes ist im Sozialversicherungsrecht denn auch mitbestimmend bei der Umschreibung des Arbeitnehmerbegriffs.

4.2

Im Obligationenrecht: Sozialschutzfunktion (Arbeitnehmerschutz)

Ähnliche Zielsetzungen wie das Sozialversicherungsrecht verfolgen das öffentlichrechtliche Arbeitsschutzrecht und die zivilrechtlichen Normen der Artikel 319 ff.

OR. Das Arbeitsgesetz regelt unter anderem die Gesundheitsvorsorge und Unfallverhütung, die Arbeits- und Ruhezeit sowie den Sonderschutz für Jugendliche und Frauen. Diese Normen wirken wiederum in vielfacher Hinsicht auf den Arbeitsvertrag ein104. Die öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Normen zur Regelung des Arbeitsverhältnisses sind somit geprägt vom Zweck des Schutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Humanisierung der Arbeitsbedingungen. Die Umschreibung des Arbeitnehmerbegriffs ist folglich determiniert durch den spezifischen Arbeitnehmerschutzgedanken.

Im Bereiche des Obligationenrechts zeigen sich Probleme mitunter darin, dass die Parteien eines Vertragsverhältnisses, welches im Wesentlichen eine Arbeitsleistung beinhaltet, versuchen, ihre Vereinbarung dem Auftragsrecht zu unterstellen, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen und zwingende arbeitsrechtliche Bestimmungen zu umgehen. Deshalb gewinnt die Abgrenzung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Beauftragten in der Praxis grosse Bedeutung105.

102

Vgl. Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Auflage, Bern 1997, S. 1.

103 Vgl. Thomas Locher, a.a.O., S. 103.

104 Vgl. Frank Vischer, Der Arbeitsvertrag, 2. Auflage, Basel 1994, S. 23.

105 Vgl. Raphael Lanz, a.a.O., S. 1478 f.

1155

4.3

Im Steuerrecht: Steuereinnahmen, Doppelbesteuerung, Vorsteuerabzug

Andere Zielsetzungen verfolgt das Steuerrecht. Das Einkommen bildet das wichtigste Steuerobjekt der direkten Steuern in der Schweiz106. Beim Steuerobjekt Arbeitseinkommen ist zwischen Einkünften aus unselbstständiger und aus selbstständiger Erwerbstätigkeit zu unterscheiden107. Die Unterscheidung in unselbstständige und selbstständige Erwerbstätigkeit ist unter anderem deshalb von Bedeutung, weil zu den steuerbaren Einkünften aus selbstständiger Erwerbstätigkeit auch die Kapitalgewinne aus Veräusserung, Verwertung oder buchmässiger Aufwertung von Geschäftsvermögen gehören108 und weil je nachdem andere Regeln für die Ermittlung des steuerbaren Reineinkommens gelten109 und dadurch das Steueraufkommen mitbeeinflusst wird. Die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs hat deshalb im Recht der direkten Steuern wegen unterschiedlicher Steuerfolgen eine grosse Bedeutung.

Im Steuerrecht hat die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit weiter auch Folgen für die Steuerausscheidung zwischen Kantonen und Gemeinden, weil für die selbstständige und unselbstständige Erwerbstätigkeit unterschiedliche Doppelbesteuerungsnormen gelten110.

Im Bereich der Mehrwertsteuer ist die Frage der unselbstständigen Erwerbstätigkeit bedeutsam, weil als Steuersubjekte nur selbstständig Erwerbende in Frage kommen111 und nur diese in der Umsatzkette Vorsteuern geltend machen können, während unselbstständig Erwerbstätige in aller Regel als Endkonsumentinnen und Endkonsumenten die Umsatzsteuerbelastung zu tragen haben.

4.4

Praktische Fragen

Wenn sich heute jemand selbstständig machen will, beantragt er oder sie eine Mehrwertsteuernummer, die nur an selbstständige Erwerbstätige abgegeben wird (Art. 17 und 45 MWSTV, Art. 21 und 56 MWSTG). In dieser Phase hat die zuständige Hauptabteilung der ESTV weder die Möglichkeiten noch die Kapazitäten, umfassend zu prüfen, ob die Erwerbstätigkeit, die in Zukunft aufgenommen werden soll, nach allen Rechtsgebieten als selbstständige zu betrachten ist. Stellen die AHVBehörden oder die kantonalen Steuerverwaltungen für die direkten Steuern in seltenen Ausnahmefällen nach Jahren, nämlich nach Beurteilung einer bereits erfolgten Erwerbstätigkeit fest, dass diese nicht als selbstständig, sondern als unselbstständig zu betrachten ist, so stellt sich die Frage nach der Rückwirkung, etwa bezüglich Rückabwicklung von bezahlter Mehrwertsteuer bzw. von bezahlten Beiträgen an die Sozialversicherungen. Eine solche ist grundsätzlich nicht möglich. Eine Statusänderung (von selbstständiger zu unselbstständiger Erwerbstätigkeit bzw. eine Aufhe-

106 107 108 109 110 111

Vgl. Blumenstein/Locher, System des Steuerrechts, 5. Auflage, Zürich 1995, S. 153.

Vgl. Blumenstein/Locher, a.a.O., S. 157.

Art. 18 Abs. 2 DBG.

Vgl. Art. 25 ff. DBG.

Vgl. Raphael Lanz, a.a.O., S. 1483.

Vgl. Art. 17 MWSTV bzw. Art. 21 MWSTG.

1156

bung der Abrechnungspflicht bei der Mehrwertsteuer) kann sinnvollerweise nur für die Zukunft erfolgen.

5

Harmonisierung durch einheitliche Definition?

Wie vorstehend112 erläutert wurde, sind die Abgrenzungskriterien für die Qualifizierung einer Erwerbstätigkeit als selbstständig oder unselbstständig im Sozialversicherungsabgabe-, im Steuer- und im Obligationenrecht, jedenfalls im Sinne allgemeiner Abgrenzungsregeln, weitgehend identisch113. Das Bundesgericht in Lausanne unterstreicht jedoch in seiner Stellungnahme im Rahmen der Ämterkonsultation, es dürfe nicht verkannt werden, dass das Steuerrecht, das Sozialversicherungsabgaberecht sowie das Obligationenrecht je verschiedene Zielsetzungen verfolgen; dies hat sich übrigens auch aus den Ausführungen in Ziffer 4 hievor ergeben. Weiter betont die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Problematik immer wieder die anzuwendende Einzelfallbetrachtungsweise114. Vorteil dieser Vorgehensweise ist die Möglichkeit, die unterschiedlichsten Sachverhalte rechtlich differenziert zu beurteilen und so eine Vielzahl von Erwerbstätigkeiten, auch neu entstehende Formen, erfassen zu können, und zwar ohne Verzögerung durch ein langwieriges Gesetzgebungsverfahren. Gegen die Einzelfallbetrachtungsweise und für eine einheitliche Begriffsdefinition könnten höchstens gewisse Überlegungen im Zusammenhang mit der Rechtssicherheit angeführt werden. Diesbezüglich ist aber zu bemerken, dass auch in der heutigen Zeit ohne einheitliche Begriffsdefinition die Tendenz besteht, dass die Umschreibung der selbstständigen Erwerbstätigkeit in den einzelnen Rechtsgebieten durch die Rechtsprechung bis zu einem gewissen Punkt angeglichen wird.

Jede wertende Grenzziehung lässt einen gewissen Interpretationsspielraum offen, sodass die Abgrenzungsproblematik auch mit einer einheitlichen Definition des Begriffs der selbstständigen bzw. unselbstständigen Erwerbstätigkeit weiter bestehen würde. Ausserdem erwiese es sich als äusserst schwierig, die Grenzziehung normativ umzusetzen.

Mit einer einheitlichen Definition wäre nach Auffassung des Bundesrates nichts gewonnen. Das Bundesgericht in Lausanne sagt in seiner Stellungnahme sogar, eine einheitliche Begriffsbestimmung würde neue Ungleichheiten nach sich ziehen. Das heutige Problem liegt nicht bei der fehlenden Definition. Die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung der selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit unterscheiden sich bei genauer Betrachtung
in den einzelnen Rechtsgebieten nur geringfügig. Soweit unterschiedliche Qualifikationen für eine Berufsgattung resultieren, ist dies meist auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Rechtsgebiete zurückzuführen. Nachteilig ist in der Praxis vor allem, dass Steuerrecht, Sozialversicherungsrecht und Arbeitsvertragsrecht letztinstanzlich je von verschiedenen (selbstständigen) Abteilungen des Bundesgerichts beurteilt werden.

112 113 114

Ziffer 3.5.

Siehe Reto Böhi, a.a.O., S. 227.

Siehe Reto Böhi, a.a.O., S. 221 und 287.

1157

Unterschiede müssen auch nicht immer negativ sein: Im Bereich der Mehrwertsteuer ist es möglich, dass eine Person, die durch die AHV als unselbstständig erwerbstätig qualifiziert wird (und dies auch im Interesse ihres Sozialschutzes begrüsst), gleichwohl als mehrwertsteuerpflichtig registriert werden möchte, um die im Rahmen ihrer Erwerbstätigkeit bei ihr anfallenden Vorsteuern geltend machen zu können, was im System einer Nettoallphasensteuer mit Vorsteuerabzugsrecht durchaus sinnvoll sein kann.

Die Sozialversicherungen haben den verfassungsmässigen Auftrag, den sozialen Schutz der Erwerbstätigen und insbesondere von tendenziell schwächeren Personengruppen zu gewährleisten. Gemäss heutiger Praxis darf gerade denjenigen Erwerbstätigen der soziale Schutz nicht vorenthalten werden, die sich zwar selbstständig machen wollen, die es aber letztlich nicht so weit bringen und bei denen beim Dahinfallen des Erwerbsverhältnisses eine ähnliche Situation eintritt, wie dies beim Stellenverlust eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin der Fall ist115.

Gingen heute als unselbstständig erwerbend geltende Personen künftig des Schutzes der Arbeitnehmerversicherungen verlustig, würde in letzter Konsequenz die steuerzahlende Allgemeinheit stärker belastet, z.B. durch vermehrte Fürsorgeleistungen.

Ähnliches gilt im Arbeitsvertragsrecht des Obligationenrechts. Eine einheitliche Betrachtungsweise über die verschiedenen Rechtsgebiete darf nicht dazu führen, dass aus wirtschaftlicher Sicht abhängige Personen jederzeit fristlos entlassen werden dürfen, wie dies das Auftragsrecht (Art. 404 OR) zulässt.

Enge, d.h. nicht auslegungsbedürftige gesetzliche Begriffe haben ausserdem den Nachteil, dass sie den sich rasch ändernden wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht Rechnung tragen und damit gerade die Rechtssicherheit berühren. Dies zeigt sich etwa am Beispiel des Begriffs Buchhalter, der in einem Betrieb vollzeitig angestellt und unselbstständig erwerbend ist, in der Funktion als Treuhänder jedoch eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt.

Aus diesen Gründen sollte auf eine einheitliche Legaldefinition der selbstständigen bzw. unselbstständigen Erwerbstätigkeit in den massgebenden Rechtserlassen verzichtet werden. Das Anliegen der Motion Nr. 99.3004, wonach der Tendenz zu Mischformen zwischen selbstständigem und
unselbstständigem Erwerb Rechnung zu tragen ist, könnte so gemäss der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis mittels Einzelfallbetrachtungsweise berücksichtigt werden116.

Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass es sich in Anbetracht der vorstehend gemachten Ausführungen nicht empfiehlt, auf der Ebene der Gesetzgebung einheitliche, formell-gesetzlich statuierte Kriterien für die Abgrenzung der selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit zu schaffen, die dann ­ weil es sich eben um Gesetzesregeln handelt ­ doch wieder so allgemein gehalten werden müssten, dass im Zuge ihrer Anwendung und Interpretation durch die rechtsanwendenden Verwaltungsstellen und Gerichte gleichwohl wieder nicht unerhebliche Ermessensspielräume gegeben sind. Wie dargelegt worden ist, bestehen diese einheitlichen Abgrenzungsmerkmale theoretisch bereits weitgehend. Es sind somit nicht diese allgemeinen Kriterien, die Not tun, sondern die einheitliche Anwendung oder Umsetzung dieser allgemeinen Kriterien durch Verwaltungs- und 115 116

Vgl. BGE 122 V 169 Erw. 3c, 172 f., 281 Erw. 2b. 284.

Siehe Reto Böhi, a.a.O., S. 221 und 287.

1158

Gerichtspraxis in möglichst allen Fällen, was die heutige Gerichtspraxis nicht zu leisten vermag.

6

Lösungsvorschläge

Angesichts der erwähnten rechtlichen Schwierigkeiten einer einheitlichen Begriffsdefinition und unter Berücksichtigung des Auftrags der Motion Nr. 99.3004, wonach die Anträge auf Anerkennung als selbstständig Erwerbender und selbstständig Erwerbendedurch eine einzige Stelle innert nützlicher Frist für alle angesprochenen Abgabebereiche zu behandeln sind, werden drei Lösungsvarianten zur Diskussion gestellt.

Variante 1 Eine von den sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Behörden unabhängige Drittstelle entscheidet im Einzelfall über alle Anträge von Erwerbstätigen, die nach heutiger Praxis in den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich behandelt werden.

Zu dieser ersten Variante kann gesagt werden, dass es wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen des Sozialversicherungsrechts sowie des Steuer- und Obligationenrechts bei der Qualifizierung einer Erwerbstätigkeit als selbstständig bzw. als unselbstständig zwischen den betroffenen Personen und/oder den relevanten Behörden, welche diese Qualifikation vornehmen müssen, zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann. In solchen Fällen soll eine unabhängige Drittstelle auf Antrag die Zuordnung mittels einer rechtsmittelfähigen Verfügung im Sinne des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968117 über das Verwaltungsverfahren vornehmen. Nebst den Verfügungsadressatinnen und ­adressaten und allfällig Beigeladenen (z.B. der nicht Antrag stellende Arbeit- bzw. Auftraggeber) wären die zuständigen Steuerbehörden und kantonalen AHV-Stellen ins Verfahren auf Erlass einer Verfügung einzubeziehen. Im Weiteren müssten die einzelnen Behördenverfahren bis zur Notifizierung des (rechtskräftigen) Entscheids über die Selbstständigkeit oder Unselbstständigkeit sistiert werden. Die Verfügung der unabhängigen Drittstelle könnte bei einer unabhängigen Rekursinstanz angefochten werden118. Dabei ist der Rechtsmittelweg bis ans Bundesgericht sicherzustellen, um die einheitliche Anwendung der Abgrenzungskriterien in allen betroffenen Rechtsgebieten zu erreichen.

Probleme Die AHV-Ausgleichskassen, bei denen sich eine erwerbstätige Person anmelden muss, werden dezentral geführt. Sie nehmen in der Regel auch als erste eine Qualifizierung der Erwerbstätigkeit vor, zumindest wenn die erwerbstätige Person nicht von Anfang an mehrwertsteuerpflichtig ist oder sein will. Der
AHV-Status wird ferner im Zuge von Arbeitgeberkontrollen durch Verbandsausgleichskassen und kantonale AHV-Ausgleichskassen beurteilt. Die Variante 1 würde also im Bereiche der Sozialversicherungen in kantonale Verfahrenszuständigkeiten eingreifen, da neu eine von Bundesrechts wegen vorgesehene Drittstelle und nicht mehr kantonale 117 118

Art. 5 VwVG; SR 172.021.

Siehe Variante 2.

1159

Behörden über die Frage der Selbstständigkeit entscheiden müsste. Bei den direkten Steuern der Kantone ginge der Eingriff sogar noch weiter, indem bezüglich der Frage der Selbstständigkeit einer Erwerbstätigkeit kantonales Recht von einer im Bundesrecht vorgesehenen Stelle vollzogen würde.

Mit der Lösung der Behandlung der Anträge auf Anerkennung als Selbstständige oder Selbstständiger durch eine einzige Stelle sind erhebliche praktische Probleme verbunden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich Abgrenzungsprobleme oft erst im Nachhinein zeigen, beispielsweise bei einer durch eine kantonale Steuerverwaltung für die Veranlagung der direkten Steuern vorgenommenen Korrektur, weil von den Steuerpflichtigen geltend gemachte Spesen wegen fehlender Selbstständigkeit der Erwerbstätigkeit nicht als geschäftsmässig begründeter Aufwand anerkannt wurden119.

Im Weiteren kann eine derartige Art und Weise der Qualifikation zu folgenden Unzukömmlichkeiten führen: Eine natürliche Person, welche neu als Selbstständigerwerbende, mithin als Unternehmerin, tätig sein will, eröffnet den Geschäftsbetrieb und ersucht die ESTV um Zuteilung einer Mehrwertsteuernummer. Die zuständige AHV-Stelle bestreitet demgegenüber die Qualifikation dieser Person als selbstständige Erwerbstätige, will sie also weiterhin als Arbeitnehmerin erfassen. Die betreffende Person gelangt nun an die Drittstelle und verlangt über diese Streitfrage eine rechtsmittelfähige Verfügung. Das Verfahren vor der Drittstelle und das sich daran anschliessende Rekursverfahren, das bis vor Bundesgericht geführt wird, können ohne weiteres zwei Jahre in Anspruch nehmen. In einem solchen Fall stellt sich das als gewichtig einzustufende Problem, ob die ESTV in Bezug auf diese Person, welche bei ihr die Anerkennung als Mehrwertsteuerpflichtige und damit die Zuteilung einer Mehrwertsteuernummer beantragt hat, bis zur rechtskräftigen Erledigung des Rekursverfahrens mit der Zuteilung dieser Nummer zuwarten muss mit der Folge, dass diese Person so lange weder den Vorsteuerabzug geltend machen noch mehrwertsteuergerecht, das heisst für ihre Umsätze die Steuer offen fakturieren darf.

Auch hier muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist, dieser Person den von ihr gewünschten Status als Mehrwertsteuerpflichtige zu verweigern; und dies vor allem dann, wenn sie aus Gründen
des damit für sie zu bewirkenden Sozialschutzes mit der Einstufung als unselbstständige Erwerbstätige bei den Sozialversicherungen einverstanden ist.

Nicht zu unterschätzen ist der Arbeitsanfall, den eine solche unabhängige Drittstelle zu bewältigen hätte, falls ausnahmslos alle Fälle der Anerkennung der selbstständigen Erwerbstätigkeit bearbeitet werden müssten. So nehmen beispielsweise die AHV-Kassen gesamtschweizerisch jährlich weit über 40 000 Abklärungen bezüglich der Beitragspflicht als Selbstständigerwerbende vor. Die unabhängige Drittstelle müsste also mit entsprechenden personellen und logistischen Mitteln ausgestattet werden, was im Widerspruch zum oft gehörten Ruf nach weniger Staat stehen würde. Aus diesem Grund wird in der hier zur Diskussion stehenden Variante die unabhängige Drittstelle nur dann tätig, wenn im Falle von Meinungsverschiedenheiten ein Antrag auf Qualifizierung einer Erwerbstätigkeit als selbstständig oder unselbstständig durch die unabhängige Drittstelle gestellt wird. Auf diese Weise dürfte sich der Arbeitsanfall einigermassen in Grenzen halten lassen.

119

SZ StP 17 1999 S. 5 ff.

1160

Die unabhängige Drittstelle müsste das Erwerbsstatut einer Person sowohl in sozialversicherungsabgaberechtlicher wie auch in arbeits- und steuerrechtlicher Hinsicht beurteilen, was ­ wie schon erwähnt ­ die Verfahrensbeteiligung der Erwerbstätigen und ihrer Arbeit- bzw. Auftraggeber sowie der zuständigen Bundesbehörden und kantonalen AHV-Stellen bedingen würde und das Verfahren schwerfällig werden liesse. Dieser grosse verfahrensmässige Aufwand würde zwangsläufig zu grossen zeitlichen Verzögerungen führen, weshalb die Behandlung der Anträge auf Anerkennung als selbstständige bzw. unselbstständige Erwerbstätigkeit wohl kaum innert nützlicher Frist gewährleistet werden könnte.

In organisatorischer Hinsicht stellt sich die Frage, wo eine von den sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Behörden unabhängige Drittstelle angegliedert werden soll.

Variante 2 In einer ersten Phase wird die fragliche Qualifikation wie bisher durch die zuständigen Stellen oder Behörden selbstständig vorgenommen und verfügt. Die Verfügung über die Qualifizierung einer Erwerbstätigkeit als selbstständig oder unselbstständig kann bei einer unabhängigen Rekursinstanz angefochten werden. Deren Entscheid unterliegt der Beschwerde ans Bundesgericht.

Probleme Im Vergleich zur Variante 1 würde diese Lösung weniger Arbeitsaufwand mit sich bringen, weil erst auf der Ebene der Rechtsmittelinstanz und nicht schon auf der Ebene der verfügenden Behörde eine koordinierte Qualifizierung der Erwerbstätigkeit vorgenommen werden müsste.

Diese Variante erlaubt den Erwerbstätigen eine Mehrwertsteuernummer zu beantragen und ­ die Zustimmung der ESTV vorausgesetzt ­ die selbstständige Erwerbstätigkeit aus steuerlicher Sicht korrekt aufzunehmen. Falls die Qualifizierung als selbstständige Erwerbstätigkeit durch die AHV-Behörden oder die kantonale Steuerverwaltung (nachträglich) bestritten wird, könnte die unabhängige Rekursinstanz angerufen werden. Diese würde verbindlich für alle Beteiligten festlegen, ob jemand selbstständig oder unselbstständig erwerbstätig ist. Deren Entscheid könnte beim Bundesgericht angefochten werden.

Das Verfahren wäre im Sinne einer verbindlichen Vorabentscheidung auszugestalten. Der Entscheid über die Qualifikation als selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit wäre den ordentlichen Gerichten
und Rekurskommissionen neu entzogen. Sie müssten diese Frage auf Antrag einer Partei oder von Amtes wegen dieser speziellen Rekursinstanz zum Entscheid vorlegen und deren Entscheid würde sie wiederum binden.

Ein Rekursentscheid dürfte allerdings nur ex nunc wirken, sodass beispielsweise eine bis zum fraglichen Rekursentscheid vorgenommene Einstufung als selbstständige Person (Unternehmer) durch die Hauptabteilung Mehrwertsteuer nicht rückgängig zu machen ist. Die Aufhebung der Steuerpflicht und die Änderung des Beitragsstatus für die Sozialversicherungen ex tunc wäre auch praktisch nicht möglich; denn in Rechnung gestellte Steuerbeträge können bei den steuerpflichtigen Abnehmerinnen und Abnehmern solcher Personen im Rahmen des von diesen vorgenommenen Vorsteuerabzuges nicht mehr korrigiert und die rückwirkende

1161

Korrektur von Sozialversicherungsbeiträgen kann nur annäherungsweise vorgenommen werden.

Zu bedenken ist ferner, ob bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten die Frage, ob selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit vorliegt, ebenfalls durch die vorgeschlagene Rekursinstanz und nicht durch kantonale Gerichte zu beurteilen wäre. Ein solch weitgehender Eingriff in traditionell zivilrechtliche Fragen würde zumindest dem Gebot eines einfachen und raschen Verfahrens widersprechen (Art. 343 OR).

Variante 3 In einer ersten Phase wird die fragliche Qualifikation wie bisher durch die zuständigen Stellen oder Behörden selbstständig vorgenommen. Bei allfälligen unterschiedlichen Einstufungen durch diese Behörden können die Betroffenen an eine Ombudsstelle gelangen.

Wie bereits dargelegt120, sprechen gewichtige Gründe dafür, auf eine einheitliche Begriffsdefinition der selbstständigen bzw. unselbstständigen Erwerbstätigkeit in den im vorliegenden Zusammenhang betroffenen Rechtsgebieten auf der Ebene der Gesetzgebung zu verzichten. Gemäss der hier vorgeschlagenen Vorgehensweise nehmen die zuständigen Stellen oder Behörden diese Qualifizierung wie bisher im Einzelfall vor. Es ist in diesem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass die Begriffselemente beziehungsweise Abgrenzungskriterien im Sozialversicherungsabgaberecht sowie im Steuer- und Obligationenrecht im Lichte der massgebenden (bundesgerichtlichen) Rechtsprechung einander weitgehend angenähert sind und grundsätzliche Unterschiede nicht bestehen. Es genügte, wenn sich die drei zuständigen Abteilungen des Bundesgerichts vermehrt gemeinsam dieser Fragen annehmen würden. Die entsprechenden Verfahren stellt Artikel 16 OG zur Verfügung. Allenfalls könnte spezialgesetzlich in den betroffenen Gebieten geregelt werden, dass letztinstanzliche Entscheide in einem Rechtsgebiet zwingend für die anderen gelten müssen. Dazu müssten jedoch wieder sämtliche betroffenen Parteien und Verfügungsbehörden am Verfahren beteiligt werden.

Im Rahmen der Ausarbeitung des vorliegenden Berichts und der Erfüllung des mit der Motion Nr. 99.3004 verbundenen Auftrags, die Anträge auf Anerkennung als selbstständig erwerbende Person von einer einzigen Stelle innert nützlicher Frist für alle angesprochenen Abgabebereiche behandeln zu lassen, wurde auch das KMUForum
begrüsst. Dieses regte an, neu eine Ombudsstelle zu schaffen, welche bei allfälligen unterschiedlichen Einstufungen durch die verschiedenen Behörden bezüglich der Anerkennung der Selbstständigkeit einer Erwerbstätigkeit angegangen werden kann. Diese Stelle hat sich indessen auf die reine Vermittlungstätigkeit zu beschränken, soll mithin keine Interessenvertretung betreiben. Mit dieser Lösung sollen aufwendige und zeitraubende Rechtsmittelverfahren vermieden werden.

Weiter kann so dem Gefühl, den Behörden ausgeliefert zu sein, entgegengewirkt werden.

Zusammenfassend darf nicht vergessen werden, dass die Fälle, in denen sich zwischen den hier relevanten Rechtsgebieten zur Frage der selbstständigen Erwerbstätigkeit Unterschiede ergeben können, als marginal zu bezeichnen sind.

120

Oben Ziff. 5.

1162

7

Schlussfolgerungen

7.1

Allgemeines

Die oft folgenreiche Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit hat zweifellos in der heutigen Zeit an Aktualität gewonnen. Es steht deshalb ausser Frage, dass ihr die nötige Beachtung zu schenken ist. Das heutige Problem liegt jedoch nicht bei der fehlenden Definition der Selbstständigkeit einer Erwerbstätigkeit. Die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung der selbstständigen von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit unterscheiden sich bei genauer Betrachtung in den einzelnen Rechtsgebieten nur geringfügig. Aus diesen Gründen sollte auf eine einheitliche Legaldefinition der selbstständigen bzw.

unselbstständigen Erwerbstätigkeit in den massgebenden Rechtserlassen verzichtet werden. Nachteilig ist in der Praxis vor allem, dass Steuerrecht, Sozialversicherungsrecht und Arbeitsvertragsrecht letztinstanzlich je von verschiedenen (selbstständigen) Abteilungen des Bundesgerichts beurteilt werden. Als Verbesserungsmassnahme käme zunächst in Betracht, dass die Behörden, welche im Einzelfall die Einordnung einer Person als selbstständig oder unselbstständig erwerbstätig in den genannten Rechtsgebieten vornehmen müssen, hierüber vermehrt einen Meinungsaustausch pflegen, um Diskrepanzen so weit als möglich zu beseitigen. Weiter ist zu bemerken, dass es bereits bestehende Gefässe gibt, in denen zwischen den mit der erwähnten Abgrenzung betrauten Amtsstellen ein Erfahrungsaustausch stattfindet.

Zu erwähnen ist beispielsweise die bestehende gemeinsame Kommission AHVSteuern. Zudem besteht ein Projekt «Guichet Unique», das Fragen der selbstständigen Erwerbstätigkeit behandeln soll. Im Rahmen dieses Projekts wäre es auch denkbar, dass die mit der Einstufung der Form einer Erwerbstätigkeit befassten Behörden bezüglich der Abgrenzungskriterien ein gemeinsames Merkblatt erarbeiten, das den betroffenen Personen als Orientierungshilfe dient.

Zu bemerken ist schliesslich, dass Anlass zur vorliegenden Motion die Frage der Behandlung der Verwaltungsratshonorare im Mehrwertsteuerrecht war. Diese Frage ist bekanntlich durch den Gesetzgeber im neuen Mehrwertsteuergesetz (MWSTG) dahingehend geregelt worden, dass in Artikel 21 Absatz 1 Satz 2 MWSTG die mehrwertsteuerrechtliche Lösung der AHV-rechtlichen Lösung angeglichen wurde.

Zudem hielt das Bundesgericht in einem
Entscheid vom 27. Oktober 2000 fest, dass die Tätigkeit eines Vewaltungsrates als unselbstständig einzustufen ist. Die im Vorstehenden gemachten Erörterungen führen deshalb zu folgenden Schlussfolgerungen.

7.2

Ablehnung der Varianten 1 und 2 der Lösungsvorschläge

Die Varianten 1 und 2 der unter Ziffer 6 aufgeführten Lösungsvorschläge sind in verschiedener Hinsicht als problematisch zu beurteilen. Beide Varianten führen zu einer Gabelung des Rechtsweges, indem die Frage der Selbstständigkeit einer Erwerbstätigkeit getrennt von den anderen Rechtsfragen von einer unabhängigen Drittstelle (bereits als verfügende Behörde oder als Rekursinstanz) beurteilt werden soll. Dies würde zu zusätzlichem verfahrensmässigem, adminstrativem, zeitlichem und damit auch finanziellem Aufwand führen. Die Motion Nr. 99.3004 strebt aber 1163

eine Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens an und darum sind die Varianten 1 und 2 der Lösungsvorschläge abzulehnen. Auch das Bundesgericht in Lausanne und das Versicherungsgericht in Luzern halten in ihrer Stellungnahme fest, dass weder die Lösungsvariante 1 noch die Variante 2 zu befriedigen vermögen.

7.3

Antrag der Umsetzung der Variante 3 der Lösungsvorschläge

Die Variante 3 sieht in verfahrensmässiger Hinsicht im Vergleich zum aktuellen Recht keine Änderung vor. Angeregt wird aber die Schaffung einer Ombudsstelle, die bei den wenigen Einzelfällen, die bezüglich der Anerkennung der Selbstständigkeit einer Erwerbstätigkeit Probleme bieten, angegangen werden kann. Mit dieser Lösung sollen aufwendige und zeitraubende Rechtsmittelverfahren vermieden werden. Deshalb wird hier beantragt, die Variante 3 ­ allenfalls unter Schaffung einer Ombudsstelle ­ umzusetzen.

Das Eidgenössische Versicherungsgericht gesteht einer Ombudsstelle zu, dass sie gewisse Probleme lösen kann, ohne dass sogleich ein Rechtsmittelverfahren eingeleitet werden muss. Allerdings ist, wie dieses Gericht weiter dafür hält, nicht zu verkennen, dass die Ombudsstelle nicht in allen Fällen die gewünschte Vereinheitlichung erwirken kann, weil die Anrufung dieser Stelle nicht obligatorisch ist und sie auch nicht rechtsverbindlich entscheiden kann und ihr ausserdem nicht alle heiklen Abgrenzungsfälle unterbreitet werden müssen. Eine Lösung könne sich indessen auf höchstrichterlicher Ebene gestützt auf das neue Bundesgerichtsgesetz abzeichnen. Mittels entsprechender Zuteilung der Rechtsmaterien auf die einzelnen Abteilungen könne eine möglichst einheitliche Behandlung konnexer Problemkreise herbeigeführt werden. Auch das Bundesgericht in Lausanne hält fest, dass es sich einer Zusammenarbeit seiner verschiedenen Abteilungen auf jeden Fall nicht entgegensetzen werde.

7.4

Hauptproblem bei der einheitlichen und kohärenten Behandlung von selbstständiger bzw.

unselbstständiger Erwerbstätigkeit im Steuer- und im Sozialversicherungsabgaberecht

Einer der wesentlichsten Gründe für Schwierigkeiten bei der Anerkennung der Selbstständigkeit einer Erwerbstätigkeit liegt darin, dass potenzielle Unternehmer, namentlich Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer, teilweise kein oder ein zu geringes Startkapital haben, um das gewünschte Unternehmen zu gründen. Eine Möglichkeit der Finanzierung des Aufbaus des Unternehmens besteht darin, dass sich der künftige Unternehmer die Freizügigkeitsleistung der Pensionskasse des bisherigen Arbeitgebers auszahlen lässt. Zu dieser Problematik haben Anne Dominique Mayor und Stephan Hügli im Auftrage des Staatssekretariates für Wirtschaft (seco) einen Bericht über die Anerkennung des Status als selbstständigerwerbende Person ausgearbeitet. Wie aus diesem Bericht hervorgeht, hat die weitaus überwiegende Anzahl der von der Verfasserin und dem Verfasser befragten Personen erklärt, dass sie keinen besonderen Problemen für die Erlangung des Status als selbstständiger1164

werbende Person begegnet seien. Freizügigkeitsleistungen der Pensionskasse des bisherigen Arbeitgebers sind bekanntlich den Betroffenen auszuzahlen, wenn sie nachweisen, dass sie künftig nicht mehr unselbstständig erwerbstätig sein werden.

Ist die Freizügigkeitsleistung einmal ausbezahlt, kann damit z.B. eine Aktiengesellschaft gegründet werden und der Unternehmer kann sich von dieser eigenen Aktiengesellschaft wieder als Arbeitnehmer anstellen lassen.

Das KMU-Forum, welches im Rahmen der Ausarbeitung dieses Berichts auch begrüsst wurde, sucht im direkten Kontakt mit dem Bundesamt für Sozialversicherung und den mit der Förderung von Unternehmensneugründungen im seco befassten Stellen eine Lösung für das Problem des Zugriffs auf das Deckungskapital der 2. Säule.

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