Bekanntmachungen der Departemente und der Ämter

Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung vertikaler Abreden Beschluss der Wettbewerbskommission vom 18. Februar 2002

Die Schweizerische Wettbewerbskommission erlässt die folgende allgemeine Bekanntmachung in Erwägung nachstehender Gründe: ­

Gemäss Artikel 6 KG kann die Wettbewerbskommission in allgemeinen Bekanntmachungen die Voraussetzungen umschreiben, unter denen einzelne Arten von Wettbewerbsabreden aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 KG in der Regel als gerechtfertigt gelten.

Wenn ein Bedürfnis nach mehr Rechtssicherheit es erfordert, kann sie in analoger Anwendung von Artikel 6 KG auch andere Grundsätze der Rechtsanwendung in allgemeinen Bekanntmachungen veröffentlichen.

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Die vorliegende Bekanntmachung soll verdeutlichen, unter welchen Voraussetzungen anzunehmen ist, dass eine vertikale Wettbewerbsabrede eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 KG darstellt. Insbesondere wird aufgezeigt, welche vertikalen Wettbewerbsabreden die Wettbewerbskommission unabhängig vom Anteil der Beteiligten an den relevanten Märkten als erheblich betrachtet. Damit sollen insbesondere Praktiken von Unternehmen erfasst werden, welche den schweizerischen Markt gegen ausländische Märkte abschotten.

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Aus der Aufzählung der erheblichen Abreden in Ziffer 3 kann nicht geschlossen werden, dass andere vertikale Wettbewerbsabreden grundsätzlich als nicht erheblich zu betrachten sind. Unerheblichkeit ist in der Regel vielmehr nur dann anzunehmen, wenn eine solche Abrede die in Ziffer 4 Absatz 1 der Bekanntmachung genannte Marktanteilsschwelle unterschreitet und sich nicht kumulativ mit anderen Abreden auf den Markt auswirkt. Die vorliegende Bekanntmachung sagt zudem nichts aus über die Beurteilung der Zulässigkeit eines Verhaltens unter Artikel 7 KG.

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Mit der vorliegenden Bekanntmachung gibt die Wettbewerbskommission bekannt, nach welchen Kriterien sie die Erheblichkeit von vertikalen Wettbewerbsabreden im Lichte von Artikel 5 Absatz 1 KG beurteilen wird. Diese Bekanntmachung bindet weder die Rekurskommission für Wettbewerbsfragen noch das Schweizerische Bundesgericht bei der Auslegung der kartellrechtlichen Bestimmungen.

2002-1043

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A. Begriffe Ziffer 1

Vertikale Wettbewerbsabreden

Als vertikale Wettbewerbsabreden gelten erzwingbare oder nicht erzwingbare Vereinbarungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen (vgl. Art. 4 Abs. 1 KG) von zwei oder mehr Unternehmen verschiedener Marktstufen, welche die Geschäftsbedingungen betreffen, zu denen die beteiligten Unternehmen bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können.

Ziffer 2

Selektive Vertriebssysteme

Ein selektives Vertriebssystem liegt vor, wenn zwischen Lieferant und Händler eine Vereinbarung getroffen wird, wonach: ­

der Lieferant die Vertragswaren oder -dienstleistungen nur an Händler verkaufen darf, die aufgrund festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und

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diese Händler die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler weiter verkaufen dürfen, die nicht zum Vertrieb zugelassen sind.

B. Regeln Ziffer 3

Erheblichkeit aufgrund des Gegenstands

Die Wettbewerbskommission erachtet vertikale Wettbewerbsabreden grundsätzlich als erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 KG, wenn sie namentlich Folgendes zum Gegenstand haben: a.

Direkte oder indirekte Fixierung von Fest- oder Mindestverkaufspreisen für den Weiterverkauf der bezogenen Waren oder Dienstleistungen durch den Händler;

b.

Direkte oder indirekte Beschränkungen des geographischen Absatzgebietes oder des Kundenkreises für den Weiterverkauf durch den Händler.

c.

Beschränkungen des Verkaufs an Endverbraucher, sofern diese Beschränkungen Händlern innerhalb selektiver Vertriebsysteme auferlegt werden;

d.

Beschränkungen von Querlieferungen innerhalb eines selektiven Vertriebsystems zwischen zugelassenen Händlern, auch wenn es sich um Händler unterschiedlicher Marktstufen handelt;

e.

Beschränkungen, die den Lieferanten hindern, Bestand- bzw. Ersatzteile an Andere (Endverbraucher, Reparaturwerkstätten etc.) als den an der Abrede beteiligten Händler zu liefern.

f.

Wettbewerbsverbote, welche für eine Dauer von mehr als fünf Jahren oder für mehr als ein Jahr nach Beendigung der vertikalen Wettbewerbsabrede vereinbart werden.

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Ziffer 4

Bagatellfälle

Andere vertikale Wettbewerbsabreden betrachtet die Wettbewerbskommission in der Regel nicht als erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs, wenn die von allen beteiligten Unternehmen gehaltenen Marktanteile auf keinem der relevanten Märkte eine Schwelle von 10 % überschreiten.

Ausgenommen sind Fälle, in denen der Wettbewerb auf dem relevanten Markt durch die kumulativen Auswirkungen mehrerer gleichartiger, nebeneinander bestehender vertikaler Vertriebsnetze beschränkt wird, sofern die beteiligten Lieferanten bzw.

Händler tatsächlich oder der Möglichkeit nach miteinander im Wettbewerb stehen.

Ziffer 5

Rechtfertigung

Ergibt sich aufgrund der Kriterien gemäss Ziffern 3 und 4, dass eine vertikale Wettbewerbsabrede als erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 KG zu betrachten ist, ist zu prüfen, ob die Abrede gemäss Artikel 5 Absatz 2 KG gerechtfertigt ist. Ist dies nicht der Fall, so ist die vertikale Wettbewerbsabrede unzulässig.

Ein Rechtfertigungsgrund kann insbesondere vorliegen, wenn eine Abrede eine effizientere Vertriebsgestaltung erlaubt und die Wettbewerbsbeeinträchtigung notwendig ist, um dieses Ziel zu erreichen.

Dies kann namentlich der Fall sein bei Beschränkungen des geographischen Absatzgebiets oder des Kundenkreises für den Weiterverkauf durch den Händler, die a.

Gebiete oder Kundengruppen betreffen, in Bezug auf welche sich der Lieferant vorbehält, diese selbst zu beliefern. Vorausgesetzt ist, dass es dem Händler belassen bleibt, unaufgeforderte Bestellungen individueller Kunden zu erfüllen, und dass die Weiterverkäufe durch die Kunden des Händlers nicht ebenfalls begrenzt werden.

b.

Gebiete oder Kundengruppen betreffen, die aufgrund eines Vertrages mit dem Lieferanten einem andern Händler exklusiv zugeordnet sind. Vorausgesetzt ist, dass es dem Händler belassen bleibt, unaufgeforderte Bestellungen individueller Kunden zu erfüllen, und dass die Weiterverkäufe durch die Kunden des Händlers nicht ebenfalls begrenzt werden.

c.

Grossisten in ihrer Freiheit einschränken, direkt an die Endverbraucher zu verkaufen.

d.

einen innerhalb eines selektiven Vertriebssystems zugelassenen Händler in seiner Freiheit einschränken, die bezogenen Waren oder Dienstleistungen an nicht zugelassene Händler weiterzuverkaufen.

e.

den Händler in seiner Freiheit einschränken, Bestandteile, die ihm der Lieferant zur Einfügung in andere Produkte liefert, an Dritte weiterzuverkaufen, welche diese Bestandteile zur Herstellung von Konkurrenzprodukten verwenden.

21. Mai 2002

Sekretariat der Wettbewerbskommission

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