9.2.4

Botschaft über die Abkommen mit der Europäischen Gemeinschaft und mit Norwegen im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems (APS) vom 9. Januar 2002

9.2.4.1 9.2.4.1.1

Allgemeiner Teil Übersicht

Das Rechtssystem GATT/WTO enthält Sonderbestimmungen zu Gunsten von Entwicklungsländern, als bedeutendste die Allgemeinen Präferenzsysteme. Danach kann in Ausnahme vom Grundsatz der Meistbegünstigung und ohne Gegenleistung den Entwicklungsländern eine präferenzielle Zollbehandlung gewährt werden.

Die im Rahmen der UNCTAD bereits 1973 zu Gunsten der Entwicklungsländer eingeführten Allgemeinen Präferenzsysteme (APS) der EU, Norwegens und der Schweiz funktionierten seit jeher als eigenständige, autonome Systeme ohne internationale Verbindung. Die schmale Industriebasis der Entwicklungsländer ermöglicht indessen nicht die vollständige Herstellung von marktfähigen Produkten. Diese Länder sind daher auf Vormaterialien der Industriestaaten angewiesen. Dies führt häufig zum Verlust der Ursprungseigenschaft, da durch die teuren Drittlandmaterialien die strengen Ursprungsregeln nicht mehr erfüllt werden können.

Um diesem Umstand entgegenzuwirken, wurde in einem ersten Schritt 1996 die Verwendung von Vormaterialien aus der Schweiz ermöglicht. Gleichzeitig wurden mit der EU und Norwegen kompatible Regeln festgelegt.

Dies führte indessen zu neuen Schwierigkeiten. Für die EU bestimmte Ursprungserzeugnisse durften wohl mit EU-Vormaterialien hergestellt worden sein; in der Schweiz hingegen waren solche Produkte nicht präferenzberechtigt. Gleiches galt für mit Schweizer Vormaterialien hergestellte Produkte: sie konnten nicht präferenzberechtigt auf den EG-Markt gelangen. Wirtschaftlich gesehen war die einzig auf Schweizer Vorprodukte beschränkte Kumulationsmöglichkeit weder für das begünstigte Entwicklungsland noch für die Schweiz attraktiv.

Deshalb wurde angestrebt, Vormaterialien aus unterschiedlichen Industrieländern ursprungstechnisch als eine Einheit zu behandeln. Dies liegt vor allem im Interesse der Entwicklungsländer, welche dadurch den Nutzen der Präferenzsysteme optimieren und ihre Produkte präferenzberechtigt auf die entsprechenden Märkte bringen können. Nach längeren Verhandlungen einigten sich die EG, Norwegen und die Schweiz, im Rahmen ihrer Präferenzsysteme die Kumulation mit den Vormaterialien aus ihren Ländern zu ermöglichen. Die entsprechenden Abkommen in Form von Briefwechseln wurden Ende 2000 und Anfang 2001 unterzeichnet.

2002-0095

1457

9.2.4.2 9.2.4.2.1

Besonderer Teil Verhandlungsverlauf

Während man sich schnell auf die Stossrichtung und die Grundsätze einigte, traten unterschiedliche Auffassungen bezüglich des materiellen Geltungsbereiches auf. Im Agrarbereich wollte die EU Fische und Fischprodukte von der Kumulationsmöglichkeit ausschliessen. Mit Rücksicht auf die Sensibilität der für ihre Agrarpolitiken wichtigen Erzeugnisse und die bedeutenden Preisunterschiede zur EU konnten Norwegen und die Schweiz diesem Ansinnen nicht zustimmen. Man einigte sich schliesslich darauf, dass die Neuregelung nur die Industrieerzeugnisse der Zollkapitel 25­97 umfassen solle. Die EU verzichtete auf die Forderung, Umwelt- und Sozialklauseln in den Abkommen aufzunehmen, da die APS der Schweiz und Norwegens diese Zusatzbedingungen zur Gewährung von Präferenzen nicht kennen.

9.2.4.2.2

Inhalt und Würdigung der Abkommen

Die am 14. Dezember 2000 mit der Europäischen Gemeinschaft sowie am 19. bzw.

23. Januar 2001 mit Norwegen unterzeichneten Abkommen basieren auf dem Prinzip des Gegenrechts und setzen analoge Rechtsgrundlagen bei den Vertragsparteien voraus.

Mit den Abkommen verpflichten sich die Vertragsparteien, Erzeugnisse mit Ursprung in einem APS-begünstigten Land, zu deren Herstellung Vormaterialien mit Ursprung aus der EG, aus Norwegen oder der Schweiz verwendet wurden, als Ursprungserzeugnisse des APS-begünstigten Landes anzuerkennen. Dadurch können die (von den jeweiligen APS der Vertragsparteien erfassten) Entwicklungsländer bei der Produktion Vormaterialien aus der EG, Norwegen oder der Schweiz verwenden, wobei die so verarbeiteten Erzeugnisse ihre Ursprungseigenschaft und damit die Präferenzberechtigung bewahren bzw. zu den APS-Vorzugsbedingungen in die EU, nach Norwegen und in die Schweiz geliefert werden können. Im Weitern führen die Abkommen die wesentlichen Prinzipien der nationalen Vorschriften über die Ausgestaltung der allgemeinen Präferenzensysteme der drei erwähnten Vertragsparteien an, insbesondere die Existenz von äquivalenten Ursprungsregeln, die Toleranzregel, die Direkttransportregel, die Anerkennung von Ersatzursprungszeugnissen und die Amtshilfe.

Die Abkommen werden seit dem 1. April 2001 vorläufig angewendet.

Die Abkommen stärken die Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft. Sehr oft ist ihre industrielle Basis zu schmal, um ausgereifte Produkte mit westlichen Standards vollständig herzustellen. Sie sind somit auf Vorprodukte aus Industriestaaten angewiesen, um marktfähige Produkte herzustellen. Das Ausdehnen der Kumulationsmöglichkeiten auf die drei wichtigsten Handelspartner in Westeuropa erleichtert die entwicklungspolitisch angestrebte und ökonomisch sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Zum Vorteil der Letzteren wird zudem der Wettbewerb zwischen den Anbietern der Industriestaaten erhöht. Für Schweizer Vormaterialien eröffnet sich neu die Möglichkeit, diese in Entwicklungsländern weiter bearbeiten zu lassen und präferenzberechtigt im EUMarkt anzubieten.

Die Schweizer Agrarpolitik wird durch die vorliegenden Abkommen nicht berührt.

Wie bereits erwähnt, beschränkt sich der Geltungsbereich der Abkommen auf den 1458

Industriesektor. Im ganzen Agrarsektor, einschliesslich der landwirtschaftlichen Verarbeitungsprodukte, beschränken sich die Kumulationsmöglichkeiten einzig auf die bilaterale Kumulation, d.h. den Einsatz von Schweizer Vormaterialien.

9.2.4.3 9.2.4.3.1

Finanzielle, personelle und volkswirtschaftliche Auswirkungen auf die Schweiz Finanzielle und personelle Auswirkungen für den Bund und die Kantone

Die vorliegenden Abkommen haben keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf Bund und Kantone.

9.2.4.3.2

Volkswirtschaftliche Auswirkungen auf die Schweiz

Die Regelung ermöglicht Schweizer Firmen, arbeitsintensive Be- oder Verarbeitungen in kostengünstigere Entwicklungsländer auszulagern und alsdann die Produkte wieder präferenzbegünstigt in die Schweiz einzuführen bzw. in die Märkte der EU und Norwegens zu überführen.

9.2.4.4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 1999­2003 (BBl 2000 2276) nicht explizit erwähnt. Sie entspricht aber der Stossrichtung von Ziel 2 (Ausbau der aussen- und sicherheitspolitischen Präsenz in den Bereichen Friedensförderung, Schutz der Menschenrechte, Entwicklungszusammenarbeit ­ Verbesserte Stellung und Wahrnehmung der Schweiz im internationalen Umfeld).

9.2.4.5

Verhältnis zum WTO-Recht

Die Abkommen ergänzen das Allgemeine Präferenzsystem der Schweiz und stehen im Einklang mit den Verpflichtungen im Rahmen der WTO.

9.2.4.6

Gültigkeit für das Fürstentum Liechtenstein

Die Abkommen haben auch für das Fürstentum Liechtenstein Gültigkeit, solange dieses durch eine Zollunion mit der Schweiz verbunden ist.

9.2.4.7 9.2.4.7.1

Rechtsgrundlagen Anpassung der Ursprungsregelnverordnung

Gemäss Ziffer 6 der Abkommen treten diese in Kraft, wenn sich die Parteien einander den Abschluss der internen Verfahren zur Einführung der Ursprungskumulierung mit Vormaterialien der Vertragsparteien in ihre jeweiligen Allgemeinen Präferenzsysteme notifiziert haben. Der Bundesrat hat zu diesem Zweck die Ursprungsre1459

gelnverordnung (SR 946.39) am 19. August 1998 geändert (AS 1998 2035). Nachdem auch die EU und Norwegen die Änderung ihrer Präferenzsysteme notifiziert haben, haben wir beschlossen, die Abkommen gestützt auf Artikel 2 des Bundesgesetzes über aussenwirtschaftliche Massnahmen (SR 946.201) vom 1. April 2001 an vorläufig anzuwenden. Die vorläufige Anwendung liegt im Interesse der schweizerischen Wirtschaft, von den in den Abkommen vorgesehenen Vorzügen möglichst schnell Gebrauch zu machen.

9.2.4.7.2

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsgrundlage des Bundesbeschlusses besteht in der allgemeinen aussenpolititschen Kompetenz des Bundes nach Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV). Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 der BV. Die Abkommen enthalten keine ausdrückliche Kündigungsklausel. Gemäss Artikel 56 Absatz 1 Buchstabe b des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (SR 0.111) ist ein Abkommen trotz fehlender Kündigungsklausel kündbar, wenn sich ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht aus der Natur des Vertrages herleiten lässt. Die vorliegenden Abkommen sind ihrer Natur nach völlig auf das Bestehen der jeweiligen Allgemeinen Präferenzsysteme der Vertragsparteien ausgerichtet und daher von diesen abhängig. Falls nicht eine in den Abkommen vorgesehene Suspension genügen sollte und die Schweiz die vorliegenden Abkommen wegen Wegfallens der Abkommensgründe kündigen möchte, müsste sie diese Absicht den Vertragsparteien mindestens 12 Monate im Voraus mitteilen (Art. 56 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens). Es liegt weder ein Beitritt zu einer internationalen Organisation noch eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung vor. Der Ihnen zur Genehmigung unterbreitete Bundesbeschluss unterliegt somit nicht dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d der BV.

11747

1460