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Leitbild der Geschäftsprüfungsdelegation (von den Geschäftsprüfungskommissionen am 9. und 23. November 1992 genehmigt) vom 12. August 1992

I II III 111.1

Aufgabe Gesetzlicher Auftrag Grundauftrag Funktionale Umschreibung

«Die Geschäftsprüfungsdelegation hat die Tätigkeit im Bereich des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste regelmässig näher zu prüfen» (Art. tfiuhw«* Abs. 2 GVG).

Unter den Begriff «Staatsschutz» fallen unter dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Kontrolle alle präventiven und repressiven Tätigkeiten des Bundes (einschliesslich seiner Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden), die zum Zweck haben, die «innere Sicherheit» der Schweiz zu gewährleisten. Darunter fallen insbesondere die Bekämpfung des Terrorismus, des gewalttätigen Extremismus, des organisierten Verbrechens und des verbotenen Nachrichtendienstes.

Unter den Begriff «Nachrichtendienste» fallen alle Formen, in denen der Bund systematisch Informationen über das Ausland sammelt und auswertet, um mit ihrer Hilfe die «äussere Sicherheit» der Schweiz zu gewährleisten.

111.2

Insbesondere: die organisatorische Umschreibung der Kontrollbereiche

Unter den Kontrollbereich «Staatsschutz» fällt grundsätzlich der Polizeidienst der Bundesanwaltschaft. Handelt der Polizeidienst im Rahmen gerichtspolizeilicher Verfahren, sind im Einzelfall Lösungen zu suchen, die sowohl dem Kontrollauftrag wie der Unabhängigkeit der Justiz Rechnung tragen. Dabei sind folgende Grundsätze massgebend: - Ausgeschlossen ist die Kontrolle, während zur Sache ein Gerichts- oder Beschwerdeverfahren (einschliesslich Voruntersuchung) hängig ist.

- Gegenüber hängigen Ermittlungsverfahren, deren Eröffnung nicht länger als ein Jahr zurückliegt, übt die Geschäftsprüfungsdelegation besondere Zurückhaltung.

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12 Bundesblatt 145. Jahrgang. Bd. II

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- Zulässig ist die Kontrolle insbesondere in bezug auf eingestellte Verfahren und auf solche, die der Polizeifahndung zu geplanten Delikten dienen.

Die Zentralstellendienste fallen unter die Kontrolle, soweit abgeklärt werden soll, ob sie staatsschutzrelevante Aufgaben erfüllen.

Der Kontrollbereich «Nachrichtendienste» umfasst Verwaltungseinheiten, die für den Bund systematisch Informationen über das Ausland sammeln und auswerten und sich zur Informationsauswertung weitestgehend auf Quellen abstützen müssen, die nur so lange für sie arbeiten, als Geheimhaltung und Quellenschutz integral gewährleistet sind. Im Moment handelt es sich um die Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr der Gruppe für Generalstabsdienste, den Nachrichtendienst der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen und allenfalls das Politische Sekretariat im Departement für auswärtige Angelegenheiten.

Soweit der Polizeidienst oder die Nachrichtendienste mit anderen Verwaltungseinheiten des Bundes, mit Kantonen oder Privaten zusammenarbeiten oder andere Bundesstellen selbständig im Bereich Staatsschutz oder Nachrichtendienst tätig werden, kann die Delegation ihre Rechte nach Artikel 47quiniuiK Absatz 4 auch gegenüber diesen Stellen geltend machen.

Die «regelmässige nähere Prüfung» umfasst die laufende Kontrolle aller umschriebenen Tätigkeiten. Mit Ausnahme der Bundesratsgeschäfte ist die Delegation nicht auf nachträgliche Kontrollen beschränkt (für das Verhältnis zum Bundesrat vgl. nachfolgend Ziff. 15).

Diese Umschreibungen werden spätestens dann überprüft, wenn ein Staatsschutzgesetz in Kraft tritt oder die Aufgaben eines «strategischen Nachrichtendienstes» eine Ausdehnung des Bereichs «Nachrichtendienste» auf weitere Zwecke notwendig macht.

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Zusatzaufträge (Art. 47iuil""jies Abs. 3)

Aufgrund von Einzelaufträgen der beiden übereinstimmenden Geschäftsprüfungskommissionen übernimmt die Delegation «die Untersuchung einer konkreten Frage». Der Gegenstand solcher Untersuchungen wird im Auftrag umschrieben. Grundsätze und Vorgehensweise für solche Fälle lassen sich nicht im voraus festhalten. Wo sinnvoll, gilt das vorliegende Leitbild sinngemäss.

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Ziele

Die Delegation verfolgt in ihrer Arbeit folgende Ziele: Herstellung von Vertrauen in Parlament und Öffentlichkeit gegenüber den besonderen Geheimbereichen des Bundes; dieses Ziel versucht sie zu erreichen, indem sie sich die weitestmögliche Transparenz der Aufgaben, Mittel und Probleme in diesen Bereichen verschafft und darüber so offen wie möglich informiert. Sie erstattet entsprechend Bericht an die Geschäftsprüfungskommissionen und stellt Antrag zum Ausmass, in dem die Räte und die Öffentlichkeit informiert werden sollen.

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Schaffen eines Konsenses über die Aufgaben von Parlament, Regierung und Verwaltung, um in bezug auf die besonderen Geheimbereiche möglichste Übereinstimmung in konzeptionellen Belangen herzustellen.

Demokratische Legitimation der Tätigkeiten des Bundes in den besonderen Geheimbereichen; dieses Ziel versucht die Delegation zu erreichen, indem sie sich laufend über alle wichtigeren Aktionen des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste informieren lässt und Stichproben zu einzelnen Tätigkeiten vornimmt.

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Kriterien der Prüfung

Die Delegation kontrolliert die Einhaltung des Grundsatzes der Verantwortlichkeit jeder Tätigkeit in den Geheimbereichen. Geheimhaltung rechtfertigt keinen Mangel ah Transparenz, Führung und Kontrolle innerhalb der Dienste und zwischen ihnen und den verantwortlichen Departementsvorstehern.

Die Delegation kontrolliert die Rechtmässigkeit der Aufgaben und Mittel der Geheimbereiche. Der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung ist auch in diesen Bereichen zu wahren.

Die Delegation kontrolliert die Zielkonformität der Tätigkeiten in den Geheimbereichen. Konzepte, Pflichtenhefte. Arbeitsprogramme und Einzelaktionen müssen eine Abwägung zwischen den Aufgaben der «inneren» bzw. «äusseren» Sicherheit einerseits, den rechtsstaatlichen und demokratischen Grundwerten unseres Zusammenlebens anderseits vornehmen.

Ausserdem prüft die Delegation im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch die Effizienz der Tätigkeiten in den Geheimbereichen (der Mitteleinsatz soll in einem vertretbaren Verhältnis zum erzielbaren Resultat stehen) und die Wirksamkeit der Anstrengungen in den geheimen Diensten (sie versucht abzuschätzen, wieweit diese tatsächlich in der Lage sind, ihre Ziele zu verwirklichen).

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Rechte der Geschäftspriifungsdelegation

Die Geschäftsprüfungsdelegation hat zunächst die Rechte, die jeder Geschäftsprüfungskommission oder Sektion dieser Kommissionen zustehen. Sie kann damit Beamte ihrer Wahl als Auskunftspersonen anhören und Amtsberichte erstellen lassen.

Die Delegation hat das Recht, jederzeit über die aktuelle Lagebeurteilung informiert zu werden. Sie erhält damit die Entscheidgrundlage für die Beurteilung, ob jeweils bedrohungsgerecht gehandelt worden ist.

Die einzelnen Rechte der Delegation sind, jeweils nach Anhören des Bundesrates: - Das Führungsgespräch mit den Departementsvorstehern und den Direktoren der Gruppen und Ämter; - die Befragung von Beamten des Bundes oder der Kantone sowie von Privaten als Auskunftspersonen; die Beamten des Bundes sind generell, die andern Personen nach Massgabe einer allfälligen Entbindung vom Amts- oder Berufsge299

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heimnis zur Auskunft verpflichtet; die Delegation macht die Personen, die auch als Zeuge befragt werden könnten, darauf aufmerksam, dass das Zeugnisverweigerungsrecht auch für sie gilt; Private werden darauf aufmerksam gemacht, dass sie vor der Auskunft über Geschäfts- oder Berufsgeheimnisse von diesen entbunden werden müssen; die Zeugeneinvernahme von Beamten des Bundes sowie von Privatpersonen, unter Vorbehalt des Zeugnisverweigerungsrechts nach Artikel 42 Bundeszivilprozess; das Recht auf Aktenherausgabe, das mit folgenden Ausnahmen gegenüber jedermann uneingeschränkt gilt: sachliche Ausnahme: Quellenschutz für ausländische Amtsstellen zeitliche Ausnahme: Solange ein Geschäft vor dem Bundesrat hängig ist, gilt das Herausgaberecht nicht für Akten, die der unmittelbaren Meinungsbildung des Bundesrates dienen.

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Verhältnis zum Bundesrat

Die Delegation steht zum Bundesrat im gleichen Verhältnis wie die Geschäftsprüfungskommissionen insgesamt. Sie verbindet in gleicher Weise Distanz zur Entscheidung mit Einblick in die Tätigkeit.

Die Kontrolle der Delegation erfolgt wählerisch, nach dem Prinzip der systematischen Stichprobe, während die Kontrolle des Bundesrates umfassend und kontinuierlich ist.

Die Kontrolltätigkeiten der Delegation können den Bundesrat nicht von seiner Führungsverantwortung über die geheimen Dienste entlasten.

Bundesrat und Verwaltung sind dafür verantwortlich, dass sie der Delegation die Probleme aus den Geheimbereichen offen unterbreiten.

Die Delegation übernimmt politische Verantwortung nur für ihre eigenen Feststellungen und Empfehlungen.

Feststellungen und Empfehlungen der Delegation sind für den Bundesrat nicht unmittelbar verbindlich, sondern schaffen nur seine politische Verantwortlichkeit, d. h. die Begründungspflicht gegenüber der Delegation oder nach Information der Geschäftsprüfungskommissionen oder der Räte gegenüber diesen.

Feststellungen und Empfehlungen der Delegation zu laufenden Geschäften sind zulässig; sie werden vom Bundesrat und den Verantwortlichen der Linie als Gesichtspunkte, unter denen sie ihr Verhalten zu rechtfertigen haben, beachtet.

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Arbeitsweise

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Informationsgrundlagen

Die Delegation verschafft sich durch Gespräche mit den Departemenisvorstehern und den von diesen bezeichneten verantwortlichen Personen sowie durch Besuche bei den Verwaltungseinheiten des Prüfungsbereichs einen Einblick in die Tätigkeiten des Staatsschutzes und der Nachrichtendienste.

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Die genannten Personen informieren die Delegation regelmässig über die Entwicklung der Lage und der Bedrohung. Anhand aktueller Fälle wird im Dialog geprüft, ob fachliche" und politische Aspekte zu denselben Schlussfolgerungen führen.

Die Delegation lässt sich von den geheimen Diensten periodisch Unterlagen aus dem Lauf der Geschäfte geben.

An den ordentlichen Sitzungen der Delegation informieren die Verantwortlichen regelmässig über geplante, laufende und abgeschlossene Fälle oder Aktionen.

(Diese Information ist keine Konsultation und beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit und -Verantwortung der Dienste nicht.) Ausgeschlossen sind Informationen über den Inhalt von Anträgen eines Departementes, die beim Bundesrat hängig sind.

Die (vom Bundesrat bezeichneten oder von der Delegation eingeladenen) Verantwortlichen melden von sich aus Fälle oder Aktionen, die aus ihrer Sicht nach Massgabe der Kriterien der Kontrolle (Ziff. 14 hievor) zu Fragen Anlass geben könnten. Soweit darüber ein Entscheid des Departements oder des Bundesrates vorliegt, weisen sie nur darauf hin; die Geschäftsprüfungsdelegation wendet sich dann an die zuständige Entscheidungsinstanz.

Der Departementsvorsteher erhält jeweils Gelegenheit, zu geäusserter Kritik Stellung zu nehmen.

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Inspektionen

Die Delegation führt nach Mitteilung an den zuständigen Departementsvorsteher Inspektionen zu Fragen und bei Dienststellen ihrer Wahl durch. Solche Inspektionen werden in der Regel vorher beim betroffenen Dienst angemeldet; sie können ausnahmsweise auch ohne Voranmeldung stattfinden.

Die Delegation kann einzelne Besuche oder Anhörungen an einen Ausschuss, der mindestens aus je einem National- und einem Ständerat besteht, übertragen.

Der Bundesrat ist gebeten, für die in Ziffer 11 genannten Dienste im Einvernehmen mit der Delegation eine Weisung zu erlassen, die für alle Beamte klarstellt, welche Pflichten sie gegenüber der Delegation haben (Informationspflichten gemäss Ziff. 21, Aussagepflicht mit Wahrheitsverpflichtung, Pflicht zur Aktenherausgabe, operable Umschreibung der Ausnahmen, Zeugnispflicht usw.).

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Zeugeneinvernahme

Die Zeugeneinvernahme erfolgt nach den Vorschriften des Bundeszivilprozesses. Werden Personen, die zur Zeugnispflicht angehalten werden können, in einer Inspektion nur als Auskunftsperson befragt, haben sie auch bei dieser Befragung das Recht, die Aussage nach Massgabe der Gründe von Artikel 42 des Bundeszivilprozesses zu verweigern.

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Die Durchführung von Anhörungen und Zeugeneinvernahmen kann im Einzelfall einem Ausschuss (vgl. Ziff. 22) übertragen werden, wenn der Befragte keinen Einspruch erhebt.

, Im übrigen verfährt die Delegation nach den Artikeln 60-64 GVG.

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Recht zur Stellungnahme

Die Delegation unterbreitet den zuständigen Departementsvorstehern und Amtsleitungen die Berichtsentwürfe mit den Feststellungen und Schlussfolgerungen der Delegation zur Stellungnahme. Diese können sich mündlich oder schriftlich dazu äussern, bevor die Delegation ihren Bericht zuhanden der Geschäftsprüfungskommissionen verabschiedet.

Dasselbe Recht haben Personen, denen gegenüber Vorwürfe erhoben werden (Art. 63 Abs. 3 GVG). Sie können sich persönlich vor der Delegation äussern.

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Geheimhaltung

Der Kreis der Geheimnisträger kann nur von der Delegation selber über die Mitglieder und das Sekretariat hinaus ausgedehnt werden (Beizug von Experten).

Der zuständige Departementsvorsteher wird vorher angehört. Die Einhaltung des Geheimnisses durch Dritte ist von der Delegation mit geeigneten Massnahmen sicherzustellen.

Protokolle mit geheim klassifiziertem Inhalt werden nur in einem Exemplar ausgefertigt, das von den Mitgliedern beim Sekretär der Delegation eingesehen werden kann.

Berichtsentwürfe werden möglichst so formuliert, dass sie als vertraulich klassifiziert werden können.

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Rechte der Mitglieder

Die Sonderrechte, welche die Delegation gegenüber den Geschäftsprüfungskommissionen geniesst, stehen nur dieser selber und ihren Ausschüssen zu". Mitglieder der Delegation haben keine Befugnis, allein Dienststellenbesuche zu machen oder Auskünfte und Akten zu verlangen.

Werden während der Prüfung von Geschäften von einzelnen Mitgliedern der Delegation Feststellungen oder Beanstandungen gemacht, so gelten sie nur dann als solche im Sinne des GVG, wenn sie von der Delegation und den GPK nach Artikel 47t'l"n
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Information der Geschäftsprüfungskommissionen, der Fraktionen und der Räte

Die Delegation hört den zuständigen Departementsvorsteher an, bevor sie einen Bericht an die Geschäftsprüfungskommissionen weiterleitet.

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In ihrer Informationspraxis verfolgt sie das Ziel, möglichst transparent darüber zu berichten, inwieweit die Kriterien ihrer Prüfung (gemäss Ziff. 14 hiervor) in den Geheimbereichen beachtet werden; gleichzeitig beschränkt sie die Bekanntgabe von Informationen, die vom Bundesrat als vertraulich oder geheim eingestuft werden, auf das unerlässliche Mass.

Die Mitglieder dürfen ihre Fraktionen erst orientieren, wenn die Geschäftsprüfungskommissionen informiert sind. Sie haben sich im Umfang an das zu halten, was die Geschäftsprüfungskommission, der sie angehören, in ihren Berichten und Beschlüssen festhält. Die Weiterleitung geheimer Informationen ist ausgeschlossen.

Das vorliegende Leitbild ist nach Anhören des Bundesrates am 12. August 1992 von der Geschäftsprüfungsdelegation verabschiedet worden. Es wird den Geschäftsprüfungskommissionen mit dem Antrag vorgelegt, es den eidgenössischen Räten zur Kenntnis zu bringen.

12. August 1992

Geschäftsprüfungsdelegation Der Präsident: Tschuppert Der Sekretär: Mastronardi

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Interpretation der Staatsschutzweisungen Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation an die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

vom 29. März 1993

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Zweck der Abklärung

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) hat am 9. September 1992 Weisungen über die Durchführung des Staatsschutzes erlassen (BB11992 VI 154). Diese regeln die Zuständigkeiten und das Vorgehen der Bundespolizei im Bereiche des Staatsschutzes für die Zeit bis zum Inkrafttreten eines Staatsschutzgesetzes. Sie haben damit aus der Sicht der Geschäftsprüfungsdelegation die Rechtsetzungslücke zu füllen, die zwischen dem sehr allgemein gëfassten Artikel 17 Absatz 3 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (Fahndungs- und Informationsdienst im Interesse der Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit der Eidgenossenschaft) und der Praxis besteht. Bis zum Erlass des Staatsschutzgesetzes treten sie an dessen Stelle und bilden damit auch den Massstab der parlamentarischen Oberaufsicht, die durch die Geschäftsprüfungsdelegation wahrzunehmen ist. Diese hat daher die Weisungen gründlich überprüft und dabei festgestellt, dass sie im wesentlichen ihren Zweck erfüllen, aber in mancherlei Hinsicht zu Interpretationsschwierigkeiten Anlass geben. Im folgenden werden die wichtigsten Auslegungsfragen dargestellt und die Interpretation, wie sie die Geschäftsprüfungsdelegation in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei ermittelt hat, festgehalten. Das nachstehende Ergebnis ist mit dem Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements erörtert worden und hat dessen Zustimmung gefunden. Die Geschäftsprüfungsdelegtion geht somit davon aus, dass die Weisungen inskünftig von der Bundespolizei in dem hier festgehaltenen Sinne gehandhabt werden. Sie wird ihre künftige Überprüfung der Praxis auf diese Grundlage abstützen.

Die Delegation anerkennt, dass dem Departement ein grosser Ermessensspielraum bei der Festlegung der Inhalte des Staatsschutzes zukommt, solange das Staatsschutzgesetz nicht erlassen ist. Sie erachtet es nicht als ihre Aufgabe, Zielsetzungen und Grenzen des Staatsschutzes, wie sie im künftigen Gesetz umschrieben werden sollen, vorweg zu beurteilen. Sie hält sich lediglich an die Richtlinien, welche die Parlamentarische Untersuchungskommission zum EJPD und die nachfolgenden Debatten in den eidgenössischen Räten gesteckt haben.

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Die Rechtsnatur der Weisungen

Die Weisungen enthalten an mehreren Stellen Vorschriften, welche, wenn sie in einem Gesetz stünden, so interpretiert werden könnten, dass sie die Rechte und Pflichten der Bundespolizei gegenüber anderen Bundesstellen und gegenüber 304

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kantonalen Instanzen regelten. In der gewählten Form einer Dienstanweisung erhalten diese Vorschriften jedoch ausschliesslich internen Charakter. Insbesondere verpflichten sie die Kantone in keiner Weise. Wo von der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen die Rede ist, werden nur die Handlungsbefugnisse der Bundespolizei geregelt. Die Handlungsweise der kantonalen Instanzen hat sich nach dem kantonalen Recht und nach dem allgemeinen Staatsschutzauftrag des Bundesstrafprozesses zu richten.

Diese Konsequenz ist zwingend und wird von der Geschäftsprüfungsdelegation begrüsst. Sie bedeutet allerdings, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen nach wie vor ungeregelt bleibt. Die Weisungen haben für die kantonalen Polizeibehörden jedoch den Vorteil, dass für sie erkennbar ist, in weichen Grenzen ihr Partner zum Handeln befugt ist. Damit wird ein Beitrag zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Staatsschutzbehörde des Bundes geleistet.

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Die Systematik der Weisungen

Die Weisungen sind in Abschnitte ungleicher Bedeutung gegliedert. Der erste Abschnitt über die Grundsätze umschreibt insbesondere den Zweck und die Aufgaben des Staatsschutzes. Der zweite Abschnitt schildert die Durchführung der Staatsschutzaufgaben, insbesondere die Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei und anderen Bundes- und kantonalen Stellen. Der dritte Abschnitt formuliert einen allgemeinen Auftrag der Staatsschutzorgane und gliedert diesen nach sechs Gefahrenbereichen, in denen eine Abwehr zu betreiben ist. Der vierte Abschnitt, regelt sodann das Vorgehen bei der Bearbeitung von Informationen bei der Erfüllung der Staatsschutzaufträge. Der erste und dritte Abschnitt umschreiben somit Ziele, Aufgaben und Zuständigkeiten des Staatsschutzes, während der zweite und vierte Abschnitt Vorgehens- und Verfahrensfragen betreffen. Besonders unklar ist dabei auf den ersten" Blick das Verhältnis des ersten und dritten Abschnittes. Der erste Abschnitt verknüpft nämlich die Ebenen der Zwecksetzung und der Aufgabenstellung miteinander und erwähnt unter den Aufgaben im wesentlichen die gleichen Gefahren, welche im dritten Abschnitt unter dem Titel Auftrag näher beschrieben sind. Dieser Titel wiederum unterscheidet einen allgemeinen Auftrag, der die gesamte1 innere und äussere Sicherheit beschlägt (Ziff. 31) und einzelne Auftragsbereiche, in denen im wesentlichen Bestimmungen des Schweizerischen Strafgesetzbuches präventivpolizeilich gefasst und entsprechend ausgedehnt werden.

Für das Verhältnis dieser Abschnitte und Ziffern hat in der Praxis folgende Regel zu gelten: - Die Ziffer 11 umschreibt in Absatz 2 Buchstaben a-d abschliessend jene Themenbereiche, die unter den Titel Staatsschutz fallen. Sie haben den Charakter einer Zweckbestimmung'und wirken nicht als generelle Ermächtigung, schaffen daher keine eigenständigen Kompetenzen. .Vielmehr begrenzen sie die Ausübung der Kompetenzen auf den Bereich des so umschriebenen Staatsschutzes.

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- Das gleiche gilt für die Ziffer 31, allgemeiner Auftrag.

Die Kompetenz der Bundespolizei, im Bereiche des Staatsschutzes präventiv tätig zu werden, stützt sich einzig auf die Ziffern 32-36 der Weisungen, welche gewissermassen die Präventivtatbestände des Staatsschutzes umreissen.

Aus der Sicht der Geschäftsprüfungsdelegation wäre es freilich wünschbar gewesen, den Zweck klarer von den dienenden Aufgaben zu trennen. Fraglich ist auch, ob die Ziffern 32-36 nicht stellenweise über das erforderliche Mass hinausgehen und durch einen Hinweis auf die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches ersetzt werden könnten (beispielsweise umfasst der Ausdruck «Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, gewaltsam die Funktionsfähigkeit der rechtstaatlichen Institutionen zu beeinträchtigen» wesentlich mehr als Art. 265 StGB, der von einer Handlung spricht, «die darauf gerichtet ist, mit Gewalt die verfassungsmässigen Staatsbehörden ... ausser Stand zu setzen, ihre Gewalt auszuüben»).

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Die Schranken des Staatsschutzes

Die Staatsschutzorgane dürfen sich nicht mit der Ausübung verfassungsmässiger Rechte befassen, es sei denn, es liege der konkrete Verdacht vor, dass dabei Verbrechen oder Vergehen im Sinne der Aufgabenumschreibung des ersten Abschnittes begangen werden. Hier ist der allgemeine, nicht näher spezifizierte Verweis auf den ersten Abschnitt der Weisungen nicht sogleich verständlich: Die Staatsschutzorgane dürfen sich nur dann mit der Ausübung verfassungsmässiger Rechte befassen, wenn sie dazu Anlass aus Erkenntnissen der Strafverfolgung haben, es sei denn, der Bundesanwaltschaft liege der konkrete Verdacht auf Begehung eines sicherheitsrelevanten Delikts nach Schweizerischem Strafgesetzbuch vor. In diesem Fall ist die Bundesanwaltschaft nicht nur auf die Strafverfolgung beschränkt; sie kann darüber hinaus auch präventiv tätig werden und dabei nötigenfalls auch die Ausübung verfassungsmässiger Rechte in ihre Beobachtung einbeziehen.

Nach den Abklärungen der Geschäftsprüfungsdelegation werden darin drei Aussagen miteinander verknüpft: - grundsätzlich bildet die Ausübung verfassungsmässiger Rechte eine verbindliche Bearbeitungsschranke für den präventiven Staatsschutz; - die Ausübung verfassungsmässiger Rechte bildet aber keine Schranke für die Strafverfolgung: Besteht ein konkreter Verdacht, dass bei der Ausübung verfassungsmässiger Rechte eine strafbare Handlung begangen worden ist, können gerichtspolizeiliche Ermittlungen eingeleitet werden. Die Bundespolizei ist dazu befugt, soweit die begangenen Delikte der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen, insbesondere, wenn es sich um Staatsschutzdelikte handelt; - der konkrete Verdacht kann sich aber ausserdem auch auf künftige sicherheitsrelevante Delikte beziehen, zu denen in Bundeskompetenz noch kein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren eröffnet werden könnte. Zu diesem Zweck kann die Bundespolizei im Rahmen ihrer Aufgaben auch Informationen über die Ausübung verfassungsmässiger Rechte präventiv bearbeiten.

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Nach Ansicht der Geschäftsprüfungsdelegation wird dieser Sinn der Regelung in Ziffer 13 nicht hinreichend.deutlich zum Ausdruck gebracht. Ferner bedauert sie, dass durch die generelle Schranke die Negativliste vom 19. Januar 1990 ersetzt werden soll, hat diese doch in den Buchstaben a-e wesentlich konkreter festgehalten, welche Betätigung verfassungsmässiger Rechte eine Schranke des Staatsschutzes bildet. Die Geschäftsprüfungsdelegation geht davon aus, dass jene Tätigkeiten nach wie vor von den Staatsschutzorganen nicht erfasst werden dürfen, solange die Voraussetzungen für ein Strafverfahren nicht gegeben sind. Bei nächster Gelegenheit sollte eine entsprechende Spezifizierung der Staatsschutzschranken in den Weisungen vorgenommen werden.

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Die dreistufige Zuständigkeitsprüfung

Aus den vorstehenden Erörterungen zur Systematik der Weisungen und zu den Schranken des Staatsschutzes ergibt sich folgende Regel für das Vorgehen der Staatsschutzbehörde: Bevor die Bundespolizei in einer Staatsschutzangelegenheit tätig werden .kann, hat sie eine dreifache Prüfung ihrer Zuständigkeit vorzunehmen: 1. Ihre Tätigkeit muss unter einen Schutzauftrag nach den Ziffern 32-36 der Weisungen fallen (die Ziff. 31 allein genügt nicht).

2. Die Schranke von Ziffer 13 (verfassungsmässige Rechte) darf die Tätigkeit nicht verbieten.

3. Die Tätigkeit muss zur Erreichung des allgemeinen Staatsschutzzwecks (Ziff. 11 Abs. 2 Satz 1) notwendig und angemessen sein.

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Die Informationsansprüche der Bundespolizei

In Ziffer 25 regeln die Weisungen, welche Stellen des Bundes und der Kantone die Bundespolizei um Informationen ersuchen kann. Aus dem internen Charakter der Weisung geht hervor, dass dieser Befugnis keine Verpflichtung der angesprochenen Stellen entspricht. Der Bundespolizei wird hier lediglich gestattet, diese Stellen anzusprechen.

- Allfällige Auskunftspflichten ergeben sich jedoch aus Ziffer 44 der Weisungen, dies jedoch nur im Rahmen der Meldungsliste, die der Bundesrat jährlich zu erlassen hat und die sich ausschliesslich auf Bundesstellen bezieht.

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Mitwirkung bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens

Die Ziffer 37 der Weisungen könnte so verstanden werden, dass die Bundespolizei präventiv eine Reihe von Tatbeständen (wie Rauschgift und Falschgeldhandel) zu bearbeiten habe, für deren Verfolgung das Zentralpolizeibüro im Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) zuständig ist. Departementsintern ist jedoch nachträglich klargestellt worden, 307

- dass die Bundespolizei lediglich befugt ist, Erkenntnisse, die sie im Zusammenhang mit dem Schutz der inneren Sicherheit gewonnen hat, auf die Relevanz bezüglich des organisierten Verbrechens zu beurteilen, und dass sie die relevanten Meldungen an die zuständige Behörde (BAP und Kantone) weiterleiten darf. Die Bundespolizei hat aufgrund dieser Ziffer keinerlei eigenständige Kompetenz, im Bereich des organisierten Verbrechens ausserhalb des Staatsschutzauftrages tätig zu werden. Die Bundespolizei hat hier eine reine Unterstützungsfunktion.

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Die Beschaffung von Auslandnachrichten

Nach dem allgemeinen Auftrag der Staatsschutzorgane hat sich die Bundespolizei auch mit Fragen der äusseren Sicherheit der Schweiz zu befassen und insbesondere die internationale Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Schweiz zu verfolgen.

- Die Bundespolizei stellt keinen Auslandnachrichtendienst dar. Sie kennt keinen Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel im Ausland. Im Rahmen ihrer Aufgaben hat sie aber Kontakt mit ausländischen Behörden. Die Informationen, die ihr in diesem Zusammenhang zukommen, bearbeitet sie sowohl unter dem Aspekt der inneren wie unter jenem der äusseren Sicherheit.

Nach Angaben der Bundespolizei schafft die Abgrenzung zwischen ihrer Tätigkeit und dem Bereich der UNA in der Praxis keine Schwierigkeiten. Nach Ansicht der Geschäftsprüfungsdelegation fehlt heute allerdings eine Regelung für die Abgrenzung der Tätigkeiten dieser beiden Dienste. Hier sollte eine klare Ordnung festgehalten werden.

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Datenschutz im Staatsschutzbereich

Artikel 24 des Datenschutzgesetzes sieht vor, dass der Bundesrat bis zum Inkrafttreten eines Staatsschutzgesetzes gewisse Ausnahmen vom Datenschutz vorsehen kann. Die ISIS-Verordnung, die der Bundesrat am 31. August 1992 über das provisorische Staatsschutzinformationssystem erlassen hat, regelt zwar eine Fülle von Fragen, nicht aber die vom Datenschutzgesetz für den Staatsschutzbereich offengelassenen Themen. Nachdem das Datenschutzgesetz nun vorliegt, sieht die Delegation keinen Grund, mit dem Erlass der notwendigen Verordnung länger zuzuwarten.

- Der Bundesrat sollte seine Ausführungsverordnung zu Artikel 24 Datenschutzgesetz möglichst rasch erlassen.

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Schlussfolgerungen

Die Staatsschutzweisungen sind offensichtlich von den zuständigen Behörden für die ausführenden Dienste geschaffen worden und sind für Aussenstehende schwer verständlich. Sie erfüllen ihre Zielsetzung nur, wenn sie im Sinne der hier dargestellten Konkretisierung in die Praxis umgesetzt werden. Die Geschäftsprüfungsdelegation empfiehlt dem Departement, die Weisungen im Sinne dieses 308

Berichtes zu konkretisieren und zu überarbeiten. Insgesamt anerkennt die Geschäftsprüfungsdelegation allerdings das Bemühen des Departements, den Staatsschutz in der Zwischenzeit bis zum Erlass eines Gesetzes provisorisch im Detail zu regeln.

29. März 1993

Namens der Geschäftsprüfungsdelegation Der Präsident: Tschuppert Der Sekretär: Mastronardi

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Leitbild der Geschäftsprüfungsdelegation (von den Geschäftsprüfungskommissionen am 9.

und 23. November 1992 genehmigt) vom 12. August 1992

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Foglio federale

Jahr

1993

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

22

Cahier Numero Geschäftsnummer

92.081

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

08.06.1993

Date Data Seite

297-309

Page Pagina Ref. No

10 052 626

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