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Botschaft iiber eine Kompetenzzuweisung des Kantons Solothurn an das Bundesgericht

vom7. April 1993

Sehr geehrte Herren Prasidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dem Antrag auf Zustimmung Botschaft und Entwurf zu einem Bundesbeschluss iiber eine Kompetenzzuweisung des Kantons Solothurn an das Bundesgericht.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Prasidenlen. sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorztiglichen Hochachtune.

V.April 1993

1993-212

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundesprasident: Ogi Der Bundeskanzler: Couchepin

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Übersicht Gemäss Artikel 114h" Absatz 4 der Bundesverfassung sind die Kantone mit Genehmigung der Bundesversammlung befugt, Administrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen, dem Bundesgericht zur Beurteilung zuzuweisen.

Der Kanton Solothurn sieht in seinem neuen Gesetz über das Staatspersonal eine solche Kompetenzzuweisung vor und ersucht die Bundesversammlung um deren Genehmigung.

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Botschaft l

Ausgangslage

Am 15. Dezember 1981 hat die Bundesversammlung den Bundesbeschluss über ,die Genehmigung von Kompetenzzuweisungen des Kantons Solothurn an das Bundesgericht angenommen (BB1 1981 III 225 ff., Amtl. Bull. 1981 N 1648, S. 516 f.). Demnach und in Anwendung von den Paragraphen 37 und 38 des Gesetzes des Kantons Solothurn vom 5. April 1981 über die Delegation von Verwaltungsbefugnissen (Delegationsgesetz) bilden einerseits Disziplinarentscheide des Kantonsrats gegen Mitglieder des Regierungsrates und der kantonalen Gerichte -soweit es sich nicht um einen Verweis oder eine Busse handelt- und andererseits Entscheide des Kantonsrats über die Auflösung des Dienstverhältnisses dieser Magistratspersonen Gegenstand einer Beschwerde an das Bundesgericht gemäss dem Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das neue Gesetz des Kantons Solothurn über das Staatspersonal wurde in der Volksabstimmung vom 27. September 1992 angenommen. Es sieht in seinem Paragraph 33 Absatz 4 Buchstabe a vor. dass der Kantonsrat in Zukunft auch über die Auflösung des Dienstverhältnisses des Sekretärs oder der Sekretärin des Kantonsrats sowie des Staatsschreibers oder der Staatsschreiberin entscheidet. Gegen die Entscheide des Kantonsrats ist nach Paragraph 53 Absatz l des Gesetzes über das Staatspersonal die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht zulässig.

§33 Abs. 4 Zuständig für die Auflösung ist: a. der Kantonsrat gegenüber den Mitgliedern des Regierungsrates und der letztinstanzlichen kantonalen Gerichte, gegenüber dem Ratssekretär oder der Ratssekretärin sowie gegenüber dem Staatsschreiber oder der Staatsschreiberin;

§53 Abs. l Wird das Dienstverhältnis nach 8 33 Absatz 4 Buchstabe a aufgelöst, kann,der Entscheid innert 30 Tagen seit Eröffnung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden.

Es obliegt ebenfalls dem Kantonsrat. Disziplinarmassnahmen von nun an auch gegen diese beiden Personen zu ergreifen nach Paragraph 58, welcher Paragraph 24 Absatz l Buchstabe a Satz l des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 26. Juni 1966 wie folgt ändert: S 58 Das Verantwortlichkeitsgesetz vom 26. Juni 1966 (BGS 124.21) wird wie folgt geändert:

Buchstabe a Satz l lautet neu: a. der Kantonsrat gegenüber den Mitgliedern des Regierungsrates und der letztinstanzlichen kantonalen Gerichte, gegenüber dem Ratssekretär oder der Ratssekretärin und dem Staatsschreiber oder der Staatsschreiberin.

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Der zweite Satz von Paragraph 24 Buchstabe a bleibt unverändert, wonach gegen Disziplinarentscheide, soweit sie nicht einen Verweis oder eine Busse betreffen, innert 30 Tagen seit Eröffnung Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht werden kann.

Im Ausmass, in dem die Paragraphen 53 und 58 des Solothurner Gesetzes über das Staatspersonal den Kreis derjenigen Personen erweitern, die befugt sind, gegen gewisse Entscheide des Kantonsrats das Bundesgericht anzurufen - neben den Mitgliedern des Regierungsrates und der letztinstanzlichen kantonalen Gerichte haben neu der Sekretär oder die Sekretärin des Kantonsrats sowie der Staatsschreiber oder die Staatsschreiberin diese Beschwerdemöglichkeit ans Bundesgericht - , muss diese neue Kompetenzzuweisung von der Bundesversammlung genehmigt werden.

Mit Schreiben vom 30. Oktober 1992 und in Anwendung von Paragraph 61 des Gesetzes des Kantons Solothurn über das Staatspersonal ersucht der Kanton Solothurn um Genehmigung der Paragraphen 53 und 58 dieses Gesetzes, soweit sie den Sekretär oder die Sekretärin des Kantonsrats sowie den Staatsschreiber oder die Staatsschreiberin betreffen.

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Stellungnahme des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hat gegen diese Kompetenzzuweisung .nichts einzuwenden, zumal solche Streitigkeiten eher selten sein dürften und sich deshalb keine nennenswerte Mehrbelastung ergeben sollte.

Das Bundesgericht benützt die Gelegenheit, um in allgemeiner Weise darauf hinzuweisen, dass es in erster Linie die Aufgabe hat, Streitigkeiten über die Anwendung des Verwaltungsrechts des Bundes - nicht der Kantone - zu entscheiden. Es erinnert daran, dass nach Artikel 98a des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG, SR.173.110 )'die Kantone verpflichtet sind, richterliche Behörden als letzte kantonale Instanz zu schaffen, soweit gegen deren Entscheide unmittelbar die Verwaltungsgerichtsbeschwerde: ans Bundesgericht zulässig ist. In Anbetracht der weiter angestiegenen Geschäftslast des Bundesgerichts sowie der in der Zwischenzeit weitgehend ausgebauten Verwaltungsgerichtsbarkeit der Kantone wird die Frage aufgeworfen, ob bezüglich solcher Kompetenzzuweisungen nicht eine noch zurückhaltendere Praxis eingeleitet werden sollte.

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Würdigung

Das Bundesgericht als Verwaltungsgericht hat die Aufgabe, die Anwendung des Bundesverwaltungsrechts durch eidgenössische und kantonale Instanzen zu überprüfen (Art. 114bLS Abs. l BV; Art. 104 Bst. a OG), während die Anwendung des kantonalen Verwaltungsrechts grundsätzlich Aufgabe kantonaler Behörden ist.

Diese Aufgabenteilung zwischen dem Bundesverwaltungsgericht und den kantonalen Verwaltungsrechtspflegeorganen entspricht der verfassungsrechtlichen Ausscheidung der Rechtsprechungskompetenzen von Bund und Kantonen und

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ist eine Auswirkung des föderalistischen Aufbaus unseres Landes. Es gibt allerdings zwei Ausnahmen von diesem System der Zuständigkeitsverteilung: Einerseits überprüft das Bundesgericht die Verfassungsmässigkeit der Verwaltungsentscheide gestützt auf kantonales Recht, dies im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde, für die es gemäss Artikel 113 Absatz l Ziffer 3 der Bundesverfassung zuständig ist.

Andererseits sieht Artikel 114Ä Absatz 4 der Bundesverfassung vor, dass die Kantone berechtigt sind, mit Genehmigung der Bundesversammlung Administrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen, dem eidgenössischen Verwaltungsgericht zuzuweisen. Diese Bestimmung ist mit Zurückhaltung anzuwenden. Für die Kompetenzzuweisung muss ein genügendes Bedürfnis bestehen. Sie kann namentlich dann .als gerechtfertigt erscheinen, wenn besondere Gründe gegen die Zuweisung gewisser Streitigkeiten an eine kantonale Behörde sprechen, so in Fällen, in denen Magistratspersonen in den Streit verwickelt sind ".

Im Rahmen der durch die Bundesversammlung bereits 1981 genehmigten Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht gemäss dem Solothurner Delegationsgesetz können die Mitglieder des Regierungsrates und der letztinstanzlichen kantonalen Gerichte gegen die Auflösung des Dienstverhältnisses durch den Kanlonsrat oder gegen dessen Disziplinarentscheide -soweit es sich nicht um einen Verweis oder eine Busse handelt - das Bundesgericht anrufen. Es rechtfertigt sich nicht, dem Sekretär oder der Sekretärin des Kantonsrats sowie dem Staalsschreiber oder der Staatsschreiberin das Beschwerderecht ans Bundesgericht zu verweigern, wie es unter den gleichen Voraussetzungen den Mitgliedern des Regierungsrates und der letztinstanzlichen kantonalen Gerichte zusteht.

Da Abberufungsfälle sowie Disziplinarmassnahmen gegen diese beiden Magistratspersonen höchst unwahrscheinlich sein werden, dürfte daraus keine Zunahme der Arbeitsbelastung des Bundesgerichts folgen. Schliesslich können Entscheide des Kantonsrats über Disziplinarmassnahmen und über die Auflösung des Dienstverhältnisses von Magistratspersonen schwerlich durch das Verwaltungsgericht, welches ebenfalls vom Kantonsrat gewählt wird, beurteilt werden (§§ 47 und 50 des Solothurner Gesetzes vom 13. März 1977 über die Gerichtsorganisation). Die Möglichkeit einer Beschwerde ans Bundesgericht
bleibt in Fällen dieser Art sinnvoll.

Wie schon oben erwähnt, wird Artikel 114Ws Absatz 4 der Bundesverfassung bereits heute sehr zurückhaltend angewendet. Eine Änderung der Bundesverfassung wäre notwendig, um diese Kompetenzdelegation aufzuheben. Wir weisen darauf hin, dass Artikel 110 des Verfassungsentwurfs 1977 der Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung :) sowie Artikel 126 der Modell-Studie einer Bundesverfassung vom 30. Oktober 1985 des Eid-

Vgl, André Grisel, Traité de droit administratif, Neuchâtel. 1984. S. 1003 ff.; Walter Haller, Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, N 113 f. zu Art. 1141*.

Verfassungsentwurf 1977 der Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, Bern, 1977. S. 26; vel. auch Bericht der Expertenkommission, Bern, 1977, S. 184.

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genossischen Justiz- und Polizeidepartementes 1 ' vorsehen, dass die Zustandigkeit des Bundesgerichts in Verwaltungssachen durch das Gesetz bestimmt wird; diese Verfassungsentwiirfe enthalten deshalb keine Bestimmung wie Artikel 1141* Absatz4 der Bundesverfassung.

; 4

Verfahren vor dem Bundesgericht

Nach Artikel 121 OG sind die dem Bundesgericht in Anwendung von Artikel 114b" Absatz 4 def Bundesverfassung zugewiesenen kantonalen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten in dem fiir das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz oder einzige Instanz der Verwaltungsrechtspflege vorgesehenen Verfahren zu erledigen (Art. 103-115; 119 und 120 OG), soweit die Bundesversammlung nichts anderes bestimmt.

Der Kanton Solothurn hat im Paragraph 53 des Gesetzes iiber das Staatspersonal fiir das Verfahren vor dem Bundesgericht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgesehen. Damit ist das Verfahren nach den Artikein 103-115 OG anwendbar.

Wir sehen keinen Grund, anders zu entscheiden.

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Verfassungsmassigkeit

Der Ihnen unterbreitete Entwurf stiitzt sich auf Artikel 114bis Absatz 4 der Bundesverfassung. Die Genehmigung hat nicht allgemeinverbindlichen Charakter.

Sie ist deshalb in der Form eines einfachen, dem Referendum nicht unterstellten Bundesbeschlusses zu erteilen (Art. 8 des Geschaftsverkehrsgesetzes; SR 171.11).

'> BB11985 III 221.

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Bundesbeschluss Entwurf über die Genehmigung einer Kompetenzzuweisung des Kantons Solothurn an das Bundesgericht

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 114Dis Absatz 4 der Bundesverfassung, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 7. April 19931', beschliesst:

Art. l 1 Die Paragraphen 53 Absatz l und 58 des Gesetzes des Kantons Solothurn vom 27. September 1992 über das Staatspersonal werden genehmigt.

2 Das Bundesgericht beurteilt Streitigkeiten gemäss Absatz l im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Art. 2 Dieser Beschluss ist nicht allgemeinverbindlich; er untersteht nicht dem Referendum.

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» BB11993II 173

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über eine Kompetenzzuweisung des Kantons Solothurn an das Bundesgericht vom 7. April 1993

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1993

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25.05.1993

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173-179

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