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Bundesblatt

85. Jahrgang.

Bern, den 17. Mai 1933.

Band I,

Erscheint wöchentlich. Preis 20 franken im Jahr, 10 Franken Im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- and Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum, -- Inserate franko an

Stumpft & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurfe eines Bundesgesetzes zum Schutze der öffentlichen Ordnung.

(Vom S. Mai 1933).

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiemit den Entwurf zu einem Bundesgesetze zum Schutze der öffentlichen Ordnung mit unserer Botschaft zu unterbreiten.

I.

Unsere heutige Vorlage steht in engem Zusammenhange mit den Motionen der Herren Walther und Mitunterzeichner im Nationalrat und Béguin und Mitunterzeichner im Ständerat, welche in den beiden Bäten am 11. und 12. April 1933 angenommen worden sind. Sie lauteten übereinstimmend: «Der Bundesrat wird eingeladen, den eidgenössischen Bäten auf ihre Frühjahrssession (1933) darüber zu berichten, welche gesetzgeberischen Massnahmen er vorschlägt, um die bestehenden Lücken in der Gesetzgebung im Sinne eines ausreichenden Schutzes der öffentlichen Ordnung auszufüllen, und welche andern dem gleichen Zwecke dienenden Vorkehrungen er in Aussicht nimmt.» Der Vertreter des Bundosrates hat schon bei Entgegennahme der Motionen in den beiden Bäten einige wegleitende Erklärungen abgegeben, in welchem Sinne der Bundesrat die Anregungen annehme und sie, soweit es in seinem Aufgabenkreise liege, auszufuhren gedenke. Er hat darauf hingewiesen, dass allfällige Lücken in der prozessualen Gesetzgebung bei Anlass der Revision des Bundesstrafprozesses, die zurzeit bei den Bäten anhängig sei, ergänzt werden können. Er hat auch angedeutet, welche «andern Vorkehrungen», nämlich Ausbau der politischen und kriminellen Bundespolizei, Massnahrnon des Bundesrates gestützt auf Art. 102, Ziff. 8--10 der Bundesverfassung, dem Bundesrate als Erfüllung der von der Motion aufgestellten Ziele vorschwebten. Von diesen Dingen soll deshalb in der Botschaft nicht mehr gesprochen werden; sie beschränkt sich auf die Ergänzung der Lücken im bestehenden materiellen Strafrechte des Bundes und der Kantone.

Bundesblatt. 85. Jahrg. Bd. I.

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754 II.

Die öffentliche Ordnung kann gestört und erschüttert werden durch deliktische Handlungen mit ausgesprochen politischem Charakter, die offensichtlich auf Eevolution, auf Umsturz abzielen, aber auch durch strafbare - Handlung des gemeinen Eechtes: unerlaubte Selbsthilfe, strafbare Drohung, Nötigung, Gewalttätigkeiten usw., welche mit Staatsumwälzungsabsichten gar nichts zu tun haben. Das strafrechtliche Vorgehen und die Strafsanktionen gegen Delikte der letztern Kategorie sind bisher -- abgesehen etwa von gemeingefährlichen Sprengstoffvergehen, denen immerhin noch die Eierschale des politischen Deliktes anklebt -- vollständig der kantonalen Gesetzgebung überlassen worden und sollen nur im Rahmen der eigentlichen Strafrechtskoditizierung unter eidgenössisches Eecht gestellt worden. Dagegen sind die gegen die politische Ordnung gerichteten Handlungen, soweit sie sich gegen die Eidgenossenschaft wenden oder durch eidgenössische Intervention diese Bedeutung erhalten, schon in den Anfängen des neuen Bundes, nämlich durch das Bundesgesetz über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Februar 1858, unter eidgenössisches Eecht gestellt worden. Die ersten drei Titel des zweiten Abschnittes dieses nunmehr 80jährigen Gesetzes handeln von den Verbrechen gegen die äussere Sicherheit und Euhe der Eidgenossenschaft, von den Verbrechen gegen fremde Staaten und von den Verbrechen gegen die verüassungsmässige Ordnung und die innere Sicherheit. Hievon interessiert uns speziell der dritte Titel mit seinen Hochverrats-, Aufruhr- und Widersetzungstatbeständen, mit seinen Wahldelikten und dem Annexe der Aufreizung zu anarchistischen Verbrechen. Hier haben die Motionen Walther und Béguin eingesetzt mit der Kritik dos Ungenügens. Sie wiesen darauf hin, dass freilich da, wo das vollendete Verbrechen des Hochverrats oder Aufruhrs vorhege, vielleicht auch noch beim nachgewiesenen Versuche der Strafverfolgungsbehörde und auch dem Eichter die ausreichende Handhabe verliehen sei, um gegen die Umsturzelemente vorzugehen; der Schutz versage aber gegenüber den blossen Vorbereitungshandlungen, die nach allgemeiner Strafrechtsdoktrin nicht in die Strafbarkeit einbezogen seien, sofern nicht das Gegenteil positiv im Gesetze festgelegt sei. Und doch, wird mit Eecht betont, sei es gerade bei den Verbrechen
gegen den Staat von grösster Wichtigkeit, dass die strafrechtliche Abwehr nicht erst einsetze, wenn der Angriff der Vollendung entgegengeho und es vielleicht schon zu spät sei.

Nun kann man freilich, wie eben angedeutet, dem dogmatischen Mangel dadurch abhelfen, dass man durch ausdrückliche oder konkludente positive Bestimmung auch die Vorbereitungshandlung unter Strafe setzt. Das geschieht zum Beispiel in Art. 229 des eidgenössischen Strafge&etzentwurfs (Hochverratsartikel) mit der Wendung: «Wer eine Handlung vornimmt, die darauf gerichtet ist ... die Verfassung ... abzuändern usw.» Aber abgesehen davon, dass diese Bestimmung noch nicht geltendes Eecht, sondern erst Entwurf ist, wird sie dem praktischen Abwehrbedürfnis nicht gerecht, wie uns die Erfahrungen

755 der letzten Jahrzehnte gelehrt haben. Die Schwierigkeit liegt eben namentlich darin, dass in sehr vielen, vielleicht in den meisten Fällen von blossen Vorbereitungshandlungen zu Aufruhr und Hochverrat der zum Straftatbestand notwendige Umsturzwille nicht in nachweisbarer Form zutage tritt, vor allem deshalb, weil er in diesem Stadium ausserordentlich leicht verhüllt werden kann. Man stösst also einerseits auf Beweisschwierigkeiten, ruft damit langwierigen, unwirksamen oder gar direkt schädlichen Gerichtsprozeduren und schafft ausserdein durch die Unterstreichung des Umsturzzweckes, also eines innerlichen Vorganges, die Gefahr oder doch die Verdächtigung, dass auch ein blosses Gesinnungsdelikt verfolgt werde. So ist z. B. seinerzeit Art. éT, Al. 2, der Novelle vom 81. Januar 1922 mit dem Wortlaute: «Wer im In- oder Auslande eine Handlung vornimmt, die, wie er weiss oder annehmen muss, in rechtswidriger Weise die Störung der verfassungsmässigen Ordnung oder innern Sicherheit der Eidgenossenschaft oder der Kantone vorbereitet» den heftigsten Anfechtungen unterworfen worden und hat wohl mit dem damaligen Artikel 46 texieB am meisten zur Verwerfung der Vorlage beigetragen.

Ziehen wir hieraus eine Lehre nach den beiden angedeuteten Bichtungen, d. h.

schaffen wir Tatbestände, die einerseits eine ganz unnötige Beweisbelastung vermeiden und anderseits durch auf sich selbst gestellte, konkrete Tatbestandsumschreibung das blosse Gedanken- und Meinungsdelikt von der Verfolgung ausschliessen !

Eine solche Lösung ist möglich. Haben wir doch teils aus fremden, teils leider auch aus eigenen Erfahrungen heraus feststellen können, welches der Werdegang eines gewaltsamen Umsturzes ist, welches namentlich die regelmässigen Vorbereitungshandlungen hiezu bind. Packen wir also diese als Eigendelikte an, soweit sie an sich schon rechtswidrige Handlungen darstellen !

Sie kennzeichnen sich fast alle dadurch, dass sie in irgendeiner Form die bestehende gesetzliche Ordnung und deren Behauptungsmittel durch ungesetzliche Mittel, durch einen ungesetzlichen Zustand, durch Widerstand gegen die Anordnungen der öffentlichen Gewalt ersetzen oder sabotieren wollen, bald durch Einzelaktionen, bald durch Massenbewegungen. Der einzelne, der hier geschoben wird, braucht gar nicht immer zu wissen, dass er revolutionären Zwecken
dienstbar gemacht ist. Was er aber weiss und wofür er deshalb gestraft werden kann, ist, dass er die bestehende gesetzliche Ordnung übertritt.

Dafür soll er rasch und wirksam zur Verantwortung gezogen werden können.

Die klassischen Hochverrats- und Aufruhrparagraphen mögen für die zielbewussten Anstifter und Verführer in Eeserve gehalten werden. -- Bei verschiedenen der von uns vorgesehenen Strafnormen gehen Schutz der staatlichen Ordnung und Schutz der privatreehtlichen Ordnung Hand in Hand, so bei Landfriedensbruch und öffentlicher Aufreizung zu Verbrechen. Wenn wir hier in einem Sondergesetze verschiedene Strafbestimmungen der allgemeinen Eegclung vorwegnehmen, so steht dabei nicht der Schutz der bestehenden S t a a t a f o r m im Vordergründe, wohl aber der Schutz der demokratischen Idee, auf welcher unsere Eidgenossenschaft sich aufbaut.

756 Mögen über die Ausgestaltung der demokratischen Formen, über die Abgrenzung der Funktionen und Zuständigkeiten die Ansichten auch stark auseinandergehen, über den einen Punkt wollen wir keine Zweideutigkeiten aufkommen lassen, dass auch der politische Kampf nur in den Formen des Eechtes, mit den Waffen der Volksrechte ausgetragen werden muss und dass die Zeiten des Faustrechtes für die Schweiz ein- für allemal vorbei sein sollen. Wer aber 1 den Bürgerkrieg in seinen Enderscheinungen vermeiden will, der müss ihn in seinen Anfängen erdrücken. Und der Anfang des Bürgerkriegs ist die Durchsetzung des Strassenwillens gegen die durch Gesetz und behördliche Verfügung geschaffene Ordnung. Wenn darüber Klarheit herrscht, dass schon diese Anfänge unerbittlich verfolgt werden, wird uns in Zukunft auch der in den letzten Jahren wiederholt notwendig gewordene Einsatz von ungewohnt starken Polizeikräften mit Anwendung der Waffe sowie vor allem der Einsatz von Arraeeteilen erspart bleiben. Wohl spricht man davon, dass man die Truppe für den innern Ordnungsdienst eben besser als bisher ausbilden solle. Verhehlen wir uns aber nicht, dass dies nicht ihre eigentliche Aufgabe ist, dass sie zur Bekämpfung eines äussern Feindes erzogen und ausgebildet werden muss und dass die verhängnisvolle innere Tragik eben darin liegt, dass sie mit dieser notwendigen Erziehung zur rücksichtslosen gewaltsamen Durchsetzung des Staatswillens nun auf einmal eignen Volksgenossen gegenübergestellt wird.

Wollen wir unser Heer für den Kriegsfall tüchtig erhalten, so dürfen wir es auch nicht im Ordnungsdienst vor zwiespältige Aufgaben stellen. Jedermann muss wissen, dass, wenn der Soldat zur Verhinderung von Buhestörungen aufgeboten ist, mit dem Waffengebrauch gerechnet werden muss. Um die Verantwortung für den Gebrauch solcher äusserster Schutzmittel des Staates nach Möglichkeit zu verringern, schlägt der Bundesrat die seiner Ansicht nach vorbeugenden Strafnormen dieser Vorlage vor.

III.

Er schlägt sie heute vor, unabhängig vom eidgenössischen Strafgesetze, weil er sich von der Dringlichkeit einer solchen vorausgehenden Einzelregulierung eines bestimmten strafrechtlichen Gebietes überzeugt hat. Gern hätte er das Inkrafttreten des allgemeinen eidgenössischen Strafgesetzes abgewartet, das ja in dem bei den Bäten liegenden Entwurfe bereits die meisten Bestimmungen vorsieht, die wir heute vorschlagen. Es ist aber festzustellen, dass wir nicht nur auf eine ganze Beihe von absichtlich angezettelten politischen Unruhen grösseren Stils wie Eotes Treffen, Pfingsttreffen, die Juni- und Novemberereignisse des letzten Jahres in Zürich und Genf zurückblicken, bei denen auch Blut -- darunter das Blut harmloser unvorsichtiger Bürger --· geflossen ist.

sondern dass auch seither fast alltäglich die Hetze zur Anwendung ungesetzlicher Gewalt einsetzt und tatsächlich Nachachtung findet. Auch wenn man die verschiedenen Partei- und sonstigen politischen Kundgebungen ohne jede Nervosität betrachtet und von der Kriegs- und Bevolutions-Phraseologie,

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die sich eingebürgert hat, die nötigen Bealitätsabzuge macht, so bleibt doch übrig, dass hüben und drüben in Anlehnung an ausländische Vorbilder eigentliche Kampf- und sogenannte Schutzorganisationen gebildet werden, dass man das Bedürfnis zeigt, sich auch äusserlich uüd möglichst provokatorisch zu unterscheiden, dass die Bedrohung gegnerischer Versammlungen, gegnerischer Kundgebungen sich mehrt, dass auch die Behörden mit Androhung solchen Selbstschutzes, wie das dann genannt wird, unter Druck gesetzt werden sollen.

Zum Aufsehen mahnt vor allem auch die Mimerarbeit gegen die soldatische Disziplin, die teils unterirdisch in Zellentätigkeit sowohl während des Militärdienstes als auch ausserhalb desselben betrieben wird, zum Teil aber auch in aller Öffentlichkeit durch Aufforderung zur Verweigerung der Dienstpflicht zutage tritt. Auch hier schulden wir es unsern Soldaten, dass sie nicht von verantwortungslosen Hetzern in Gewissenskonflikte und zweideutige Situationen hineingejagt werden. Es hat sich als ungenügend erwiesen, dass derartige Anreizung nur während des Aktivdienstes mit Strafe belegt werden kann. Das Aktionsfeld ist selbstverständlich während des Instruktionsdienstes und neben diesem ein viel grosseres. -- Dringlich erscheint endlich auch der Erlass einer tauglichen Strafsanktion gegen Spitzel, die entweder aus eigenem Antrieb oder in-fremdem Solde das Land mit unerlaubtem Nachrichtendienst überziehen, hie und da direkt als agents provocateurs auftreten oder verbrecherische Mittel anwenden, um ihren Demonstrationen Glauben zu verschaffen und so unser Land und seine Einwohner in Verwicklungen hineinziehen. Die bisherigen Bestimmungen haben sich als zur Strafverfolgung ungenügend erwiesen; die einzig noch übrig bleibende Landesverweisung, die auch nur für Ausländer spielt, reicht auch nicht aus zur Abwehr und zur Abschreckung vor Wiederholung.

IV.

Über die einzelnen Artikel, die wir in unserer Strafrechtsnovelle Ihnen vorschlagen, können wir uns fast überall recht kurz fassen, weil die meisten derselben Ihnen schon vom eidgenössischen Strafgesetzentwurf her bekannt sind, von wo wir sie zum Teil ohne Änderung übernommen haben. Dies ist z. B. der Fall bei Art. l, der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen. Er stimmt sozusagen wörtlich überein mit Art. 225 StGE und ist dort von beiden
Bäten ohne Diskussion angenommen worden, so dass eine Differenz darüber nicht mehr besteht. Die Übernahme in unser Spezialgesetz erheischt insofern eine Bräzisierung, als deutlich gesagt werden soll, dass nach diesem Artikel die Aufforderung zum Verbrechen nur dann bestraft werden kann, wenn dieses Verbrechen da, wo die Aufforderung ergeht, mit, Zuchthausstrafe bedroht ist.

Das ist dann der Fall, wenn entweder der betreffende Kanton oder das Bundesstrafrecht diese Strafe ausschliesslich oder wahlweise androht. Das Hauptgewicht liegt darauf, dass die Aufforderung öffentlich erfolgt sein muss, also in der Eegel leicht nachweisbar ist und auch über die subjektive Schuldfrage

758 " kaum Zweifel übrig lassen wird. Wir haben es mit einer typischen Auflehnung des Bechtsbrechers gegen die von Bund oder Kanton eingesetzte Ordnung zu tun. Der weite Strafrahmen, der schon im StGE vorhanden ist, hat hier seine besondere Berechtigung gerade wegen der möglichen kantonalen Differenzen in der Androhung der Zuchthausstrafe.

Ebenfalls aus dem StGE herübergenommen ist Art. 2, die Wiedergabe des dortigen Art. 226 (Landfriedensbruch). Dieser hat weder in den Kominissionen noch im Plenum der beiden Eäte eine Anfechtung erfahren; es wurde nur gegenüber der bundesräthchen Fassung das Alinea 2 nach Antrag von.

Xationalrat Schneider in der nationalrätlichen Kommission hinzugefügt.

Auch hier hat man es mit einer Straftat zu tun, die sich in der Öffentlichkeit abgespielt hat, also meistens nicht allzu schwer beweisbar sein wird. In Frage kommen nur Zusammenrottungen, bei welchen Gewalttätigkeiten begangen worden sind. Der zweite Absatz baut denjenigen, welche zu einer Zusammenrottung nur 'aus Neugier zugeströmt sind oder sich rechtzeitig eines bessern besonnen haben, die goldene Brücke zur Straflösigkeit, was sowohl billig als auch kriminalpohtisch praktisch erscheint. Auch hier wird also auf den ordnungswidrigen rechtsbrecherischen Willen, der sich in konkreter Forra geoffenbart hat, abgestellt.

Art. 8 ist die Wiedergabe von Art. 243 StGE, der Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten. Dieser Artikel entspricht im wesentlichen dem Art. 98 des Militärstrafgesetzes, welcher " für die dem Militärstrafgesetz unterworfenen Personen heute schon Gültigkeit hat. Eine Erweiterung bedeutet der Vorschlag aber für die Zivilpersonen, welche bis jetzt nur dann nach Art. 98 M St G strafbar waren und dann vor den Militärrichter gestellt werden können, wenn ihre öffentliche Aufforderung oder Verleitung in Zeiten des aktiven Dienstes erfolgt. Das wird nun mit voller Absieht geändert, gerade gestützt auf die Erfahrungen, von welchen wir weiter oben gesprochen haben. Es soll nunmehr auch die Zivilperson, die solche Aufreizung oder gar Anstiftung ausser der Aktivdienstzeit begeht, vor den bürgerlichen Strafrichter gezogen werden. Die Erweiterung ist entgegen einem Minderheitsantrag im Nationalrat angenommen worden und hat auch die Zustimmung des Ständerats gefunden, so dass hier ebenfalls Übereinstimmung zwischen den Bäten besteht, V.

In Art. 4 und 5 folgen zwei Bestimmungen, die nicht oder doch nur mit sehr wesentlichen Abweichungen aus dem StGE übernommen worden sind.

Sie sind beide mit ihren typischen Tatbeständen den Erfahrungen der letzten Jahre entsprungen. Es hat sich als notwendig ergeben, dass die öffentliche Gewalt das Becht haben muss -- das sie übrigens heute schon besitzt --, Versammlungen auf öffentlichem Boden entweder zu verbieten oder zeitlich und räumlich so zu legen, dass zweifellos bevorstehende Buhestörungen vermieden werden können. Das Vereinsrecht als solches wird mit dieser Kanalisierung

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oder Wegweisung von der Strasse nicht tangiert. Es rnuss sich jedenfalls in den Ausubungsmodalitäten gewisse Einschränkungen im Interesse der öffentlichen Ordnung gefallen lassen. Erfahrungsgemäss kommen derartige Begelungen tatsächlich auch bald der einen, bald der andern politischen Gruppe zugute. Die Demonstrationseinschränkungen können aber nur dann mit Nutzen angeordnet werden, wenn die Übertretung unter strafrechtlicher Ahndung steht. Diesem Zwecke soll Art. 4 dienen. -- Man konnte sich fragen, ob nicht auch die Störung erlaubter Versammlungen durch Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen hier unter Strafe gestellt werden soll. Wir sind aber der Meinung, dass sie, soweit öffentliche Versammlungen in Frage stehen, durch die Bestimmung über den Landfriedensbruch gedeckt ist und dass bei geschlossenen Versammlungen in jedem Kanton der Bruch des Hausfriedens strafrechtlich verfolgt werden kann.

Im Art, 5 versuchen wir, den Art. 89 des heute geltenden Bundesstrafrechts, welcher bei der Verfolgung moralisch sehr anfechtbarer Handlungen von Polizeispitzeln versagt hat, aber auch den Art. 233 StGE, der wohl ebenso ungenügend befunden wurde, so zu erweitern, dass wir die verschiedenen Erscheinungsformen der unerwünschten Spionagehandlungen erfassen können.

Die Neuerungen liegen im zweiten und dritten Alinea von Ziffer l, in Ziffern 2 und 8. Es kommt für uns nicht darauf an, ob derjenige, der in unserem Lande Nachrichtendienst politischer Natur betreibt für eine fremde Begierung oder Behörde, Beamter oder Angestellter dieser Regierung sei oder ob er in einem freien Auftragsverhältnisse zu ihr stehe, oder ob er gar aus eigener Initiative, meistens wohl in Erwartung einer Belohnung bei interessanten Nachrichten, solchen Spitzeldienst leiste; er ist im einen wie im andern Falle für uns ein Schädling, der erfahrungsgemäss viel Unheil anrichten, sowohl die Beziehungen zu fremden Regierungen und Staaten und deren Bevölkerung trüben als auch im Innern unseres Landes, abgesehen von der Schädigung der direkt betroffenen Personen, Parteiung sowie Trübung des Verhältnisses zwischen der eigenen Bevölkerung und ihren Behörden schaffen kann. Wir stellen also jede solche Tätigkeit unter Strafe und wollen uns nicht der Subtihtät der Auslegung eines nirgends kodifizierten Völkerrechtes aussetzen bei der Wahrung unserer
Unabhängigkeit. Dass die Berichterstattung einer fremden diplomatischen Mission oder eines fremden Konsulates an ihre Begierung nicht unter das Verbot fällt, ist selbstverständlich. -- Besonders hervorzuheben ist als straferschwerend dio Tätigkeit des eigentlichen agent provocateur und desjenigen, der direkt falsche Berichte erstattet. Sowohl die Handlungen, zu denen der Spitzel aufreizt, als auch der falsche Bericht müssen geeignet sein, die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz zu gefährden, -- Die Ausweisung eines schuldhaften Ausländers durch die Gerichte wird obligatorisch vorgeschrieben.

Art. 6 sieht die Anwendbarkeit der allgemeinen Bestimmungen des Bundesetrafrechts vor mit Inbegriff der Kompetenzbestimmungen und der Bestimmungen über die Verbrechen, welche mittels der Druckerpresse oder auf ähnliche Weise verübt werden.

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In Art, 7 werden die Tatbestände der Art, l--5 als Bundesdelikte angesprochen, welche grundsätzlich der Bundesgerichtsharkeit unterstehen. Das ist schon deshalb nötig, weil gar nicht selten diese strafbaren Handlungen einen über den kantonalen Eahmen hinausgehenden Aktionsradius aufweisen.

Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass nunmehr alle oder auch nur eine grosse Zahl der verfolgten Fälle an das Bundesstrafgericht gewiesen würden. Die Delegation an die kantonalen Behörden, die wir in AI. 2 als möglich vorsehen, wurde vielmehr, wie heute schon in den meisten Fallen, die nicht ausdrücklich dem Bundesgerichte vorbehalten sind, wohl fast immer vorgenommen.

Art. 8 sieht ausdrücklich vor, dass kantonale Strafbestimmungen, welche den Schutz der öffentlichen Ordnung zum Zwecke haben, in Kraft bleiben, soweit es sich nicht um die Aufforderung zu Verbrechen oder Vergehen, um Laudfriedensbruch, um Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten, um Widerhandlung gegen ein Versammlungsverbot, um Amtshandlungen ausländischer Beamter und politischen Nachrichtendienst für das Ausland handelt. Diese genannten Delikte selbst sollen dagegen nach Tatbestandsumschreibung und Sanktion nur noch gemäss Bundesrecht bestraft werden können.

Zu Art. 9 : Trotz der von uns betonten Dringlichkeit der Schutzmassnahmen wollen wir diese den Räten zur Erledigung auf dem ordentlichen Wege durch ein Eundesgesetz vorlegen. Dabei hat es die Meinung, dass, da die Tatbestände zum Teil schon im eidgenössischen Strafgesetzentwurf enthalten sind, zum Teil ihm leicht eingefügt werden können, mit der Annahme des eidgenössischen Strafgesetzes das Spezialgesetz aufgehoben und von jenem aufgesaugt würde.

Es soll auch damit zum klaren Ausdruck gebracht sein, dass es sich heute nicht um ein Ausnahmegesetz, sondern um allgemein gültige Bestimmungen für und gegen jedermann handelt.

Wir empfehlen Ihnen den nachstehenden Gesetzesentwurf zur Annahme und benützen den Anlass, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den S.Mai 1988.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident :

Schulthess.

Der Vizekanzler:

Leimgruber.

761 (Entwurf.)

Bundesgesetz über

den Schutz der öffentlichen Ordnung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung des Art. 64bia der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 8. Mai 1988, beschliesst : Art. 1.

Wer öffentlich zu einem Verbrechen oder Vergehen auffordert, Aufforderung zu das durch Bundesrecht oder durch das Eecht des Kantons, in dem die Verbrechen.

Aufforderung erfolgt, mit Zuchthaus bedroht ist, wird mit Zuchthaus oder bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

Vergehen.

Art. 2.

Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei -Landfriedensbruch.

der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

1 Teilnehmer bleiben straffrei, wenn sie sich auf behördliche Aufforderimg hin entfernen, sofern sie weder selbst Gewalt angewendet noch zur Gewaltanwendung aufgefordert haben.

1

Art, 3.

Wer öffentlich zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, zu Dienstverletzung, zu Dienstverweigerung oder zum Ausreissen auffordert, wer einen Dienstpflichtigen zu einer solchen Tat verleitet, wird mit Gefängnis bestraft.

2 Geht die Aufforderung auf Meuterei oder auf Vorbereitung einer Meuterei, oder wird zur Meuterei oder zur Vorbereitung einer Meuterei verleitet, so ist die Strafe Zuchthaus oder Gefängnis.

1

Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militäriecher Dienstpflichten.

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Art. 4.

WiderWer dem vom Bundesrate oder einer Kantonsregierung erlassenen handlang Verbote von Versammlungen und Umzügen auf öffentlichen Plätzen gegen ein Ter- und Strassen oder den an die Erlaubnis geknüpften Voraussetzungen sammlungs- und Beschränkungen zuwiderhandelt oder zu solchen Widerhandlungen verbot.

auffordert, -wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Gcldbusso bis zu Fr. 5000 bestraft; beide Strafen können verbunden werden.

Art. 5.

1 AmtsWer ohne Bewilligung auf schweizerischem Gebiete Amtshandhandlungen lungen im Namen eines fremden Staates vornimmt, .ausländischer wer auf schweizerischem Gebiete für eine fremde Eegierung oder Beamter.

fremde Behörden Nachrichtendienst über die politische Tätigkeit von Politischer Nachrichten- Personen oder Parteien betreibt, dienst wer für solche Dienste anwirbt oder ihnen Vorschub leistet, für das wird mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft.

2 Ausland.

Als Straferschwerungsgrund gilt es, wenn der Täter zu Hand-

lungen aufreizt oder falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz zu gefährden.

3 Ausländer sind überdies in allen Fällen des Landes zu verweisen.

Art. 6.

Anwendung Die allgemeinen Bestimmungen des B G über das Bundesstraf·des Bundes- recht vom 4. Februar 1858 finden Anwendung, mit Inbegriff der Art. 69 s trafrechtes. bis 77.

Art. 7.

1

GerichtsbarDie in diesem Gesetze vorgesehenen strafbaren keit.

sind der Bundesstrafgerichtsbarkeit unterstellt.

Handlungen

2

Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement kann die Untersuchung und Beurteilung den kantonalen Behörden übertragen (Art. 125 des Bundesgesetzes vom 22. März 1893 über die Organisation der Bundesrechtspflege).

Art. 8.

Kantonale Strafbestimmungen zum Schutze der öffentlichen Vorbehalt dea kantonalen Ordnung, die nicht unter die Art. l bis 5 dieses Gesetzes fallen, bleiben Rechtes. vorbehalten.

Inkrafttreten.

Art. 9.

Der Bundesrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes.

^SS~-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurfe eines Bundesgesetzes zum Schutze der öffentlichen Ordnung. (Vom 8. Mai 1933).

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1933

Année Anno Band

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20

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2956

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.05.1933

Date Data Seite

753-762

Page Pagina Ref. No

10 031 991

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