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2997 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Tragung der Kosten der eidgenössischen Intervention im November 1932 in Genf.

(Vom 25. August 1983.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Mur Aufrechterhaltung von Buhe und Ordnung anlässlich der auf den Abend des 9. November 1932 zu erwartenden Demonstration hatte der Staatsrat des Kantons Genf beim eidgenössischen Mihtärdepartement das Gesuch gestellt, es möchte ihm die in Lausanne im Dienste stehende Infanterierekrutenschule III/l zur Verfügung gestellt werden. Diesem Gesuche ist entsprochen worden. Nach den bedauerlichen Vorfällen vom Abend des 9. November 1932 sah sich die Genfer Kegierung genötigt, das Genfer Eegiment 3 und das Landwehrbataillon 108 aufzubieten und um die Indienstbehaltung des Walliser Regimentes 6 und dessen Verlegung nach Genf nachzusuchen; Auch diesem Gesuche ist entsprochen worden.

In seinem Beschluss vom 12. November 1982 betreffend Strassenunruhen in Genf hatte der Bundesrat unter Ziffer l folgendes beschlossen: «Zur Aufrechterhaltung der Buhe und Ordnung im Kanton Genf ist auf Begehren der Genfer Begierung dio Infanterierekrutenschule Lausanne, sowie ein WalUser Infanterieregiment, das zur Absolvierung des diesjährigen Wiederholungskurses im Dienste steht und heute hätte entlassen werden sollen, vom eidgenössischen Militärdepartement nach Genf geschickt worden.

Der Bundesrat genehmigt diese Massnahme und macht sie zur seinigen.

Damit sind die Voraussetzungen einer eidgenössischen Intervention geinäss Art, 16 der Bundesverfassung erfüllt. Gemäss Art. 17 der Bundesverfassung unterstellt daher der Bundesrat die von ihm aufgebotenen oder der Genfer Kegierung bisher zur Verfügung gestellten Truppen eidgenössischer Leitung.

Mit ihr wird Oberst Lederrey, der Kommandant der am Mittwoch nach Genf entsandten Eekrutenschule, betraut.

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Die Regierung des Kantons Genf ist unverzüglich vom Vorliegen einer eidgenössischen Intervention in Kenntnis zu setzen und aufzufordern, auch die von ihr aufgebotenen Truppen der eidgenössischen Leitung zu unterstellen.

Die Eegierung des Kantons Genf behält im übrigen alle Befugnisse und Eechte, die ihr durch Verfassung und Gesetz zustehen.» < Die Hilfeleistung an den Kanton Genf war also eine eidgenössische Intervention. Gemäss Art. 16, Abs. 4, der Bundesverfassung hat der mahnende oder die eidgenössische Intervention veranlassende Kanton die Kosten zu tragen, wenn nicht die Bundesversammlung wegen besonderer Umstände etwas anderes beschliesst. Der Kanton Genf ist daher grundsätzlich verpflichtet, der Eidgenossenschaft die Kosten der militärischen Hilfeleistung vom November 1932 zurückzuvergüten. Dem Bundesrat als der verwaltenden Behörde fiel die Aufgabe zu, für die Bückerstattung der dem Bunde geschuldeten Summe zu sorgen. Am 23. Juni 1938 hat er daher dem Staatsrat des Kantons Genf mit einem Begleitschreiben nachfolgende Eechnung betreffend Ausgaben des Bundes für den Ordnungsdienst der eidgenössischen Interventionstruppen in Genf im November 1982 zugestellt: Inf. Rekr.

Sch. Hl/1 Fr.

Geb. Inf.

Reg. 6

Fr.

Ausgaben der Truppen-Rechnungsführer 787.60 47,681.07 Direkte Zahlungen des Oberkriegskommissariates (Bezüge aus den eidgenössischen Armeemagazinen, Militärtransporte, Kosten für Motorfahrzeuge, Pferdemiete usw.)

8,722.85 35,169.60 Notunterstützung -- 3,536.65 Militärversicherung (einschliesslich Fr. 1000 Reserve für hängige Fälle) 2,290.30 19,054.-- 6,750.25 105,441.82 Zusammen 112,191.57 Die Eegierung des Kantons Genf hat uns darauf mit nachfolgendem Schreiben geantwortet: «Genf, den 30. Juni 1933.

Der Staatsrat des Kantons Genf an den schweizerischen Bundesrat, Bern.

Getreue, liebe Eidgenossen, Wir beehren uns, Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom 28. Juni zu bestätigen. Sie erinnern uns in demselben daran, dass Sie im Monat November letzten Jahres zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in Genf am 9. November die I.-R.-S. III/l in Lausanne und am 12. November das Geb.-

297 I.-E. 6 uns zur Verfügung gestellt haben. Zur gleichen Zeit hatten wir daa Genfer I.-E. 3 und das Landwehr-Bat. 108 zum Ordnungsdienst aufgeboten.

Sie erinnern uns auch daran, dass Sie uns mit Schreiben vom 12. November 1932 mitgeteilt haben, dass mit der militärischen Hilfeleistung durch die Eekrutenschule und das Walliser Eegiment die Voraussetzungen einer eidgenössischen Intervention gemäss Art. 16 der Bundesverfassung erfüllt waren.

Da nach Art. 16 der Bundesverfassung die Kosten einer eidgenössischen Intervention der mahnende oder die Intervention veranlassende Kanton zu tragen hat, haben Sie uns für die Kosten der Intervention Eechnung gestellt im Betrage von Fr. 112,191.57 und uns eingeladen, diese Summe der eidgenössischen Staatskasse einzuzahlen.

Wir beeilen uns, Ihnen mitzuteilen, dass wir die Verpflichtungen, welche uns.die Bundesverfassung auferlegt, in keiner Weise verkennen. Wir waren sehr froh, dass die Eidgenossenschaft am 9. November 1932, als die öffentliche Buhe und Ordnung gefährdet schien, uns durch die Entsendung einer Bekrutenschule zu Hilfe kam. Die Eekrutenschule hat unter schwierigen Verhältnissen ihre Pflicht getan.

Wir danken Ihnen auch dafür, dass Sie am 12. November Ihre Zustimmung zur Verlegung des Walliser Regiments nach Genf erteilt haben. Die vorzügliche Haltung und die Entschlossenheit seiner Führer hat rasch die Buhe und Ordnung in unserer Stadt wieder hergestellt.

Und doch erlauben wir uns die Frage zu stellen, indem wir auf den Schlusssatz des Alt. 16 der Bundesverfassung Bezug nehmen, ob nicht die Möglichkeit bestehe, dem Kanton Genf die Bückerstattung der Interventionskosten zu erlassen.

Wir haben festgestellt, dase in verschiedenen Fällen die Bundesversammlung nach Prüfung der Verhältnisse beschlossen hat, auf die Überbindung der Interventionskosten an den Kanton zu verzichten. Das war der Fall im Jahr 1864 gegenüber Genf; gegenüber Tessin für die Interventionen in den Jahren 1889 und 1890 und gegenüber den Kantonen Zürich und Basel für die Unruhen im Bommer 1919.

Nur bei der Intervention vom Jahr 1871 in Zürich wurde eine Ausnahme gemacht. Dort scheinen besondere Gründe für die Bundesversammlung ausschlaggebend gewesen zu sein. Diese Ausnahme war aber heftig kritisiert.

Wir haben das Gefühl, dass die eidgenössischen Bäte sich der Tatsache nicht
verschliessen werden, dass die Novemberereignisse in Genf die Manifestation einer gestörten politischen Lage in der ganzen Schweiz darstellten. Wir erinnern in dieser Bichtung an die Unruhen, die zu gleicher Zeit in andern Schweizerstädten herrschten und an die Bombe, die in Lausanne explodierte.

iMe Agitationskampagne war nicht von spezifisch genferischen Elementen und ito wegen politischen lokalen Fragen ausgelöst worden.

Wir erwähnen weiter, dass der Kanton Genf die Kosten des Aufgebotes der Genfer Truppen und die übrigen Kosten, welche durch die Buhestörungen verursacht worden sind, vollständig getragen hat.

298 Der Kanton Genf hat im November 1932 unter grossen Schwierigkeiten den Kampf gegen Unruhe und Aufreizung aufgenommen und damit dem ganzen Lande gedient. Wir hoffen daher zuversichtlich, dass die eidgenössischen Behörden gegenüber dem Kanton Genf den gleichen Opfersinn zeigen werden, faie sie ihn gegenüber verschiedenen andern Kantonen gezeigt haben.

Wir haben die bestimmte Hoffnung, dass Sie unsere Bitte mit dem besten Wohlwollen prüfen und zu einem guten Ende führen werden. Wir benutzen den Anlass, getreue, Hebe Eidgenossen, Sie samt uns in Gottes Schutz zu empfehlen.

Für den Staatsrat: Der Kanzler: Der Präsident: gez. Eugen Müller.

gez. Paul Lachenal.

Indem wir Urnen dieses Schreiben des Genfer Staatsrates zur Kenntnis bringen, glauben wir, Ihnen beantragen zu sollen, dem Kanton Genf das von seiner Eegierung gestellte Gesuch zu gewähren.

Vorab sei darauf hingewiesen, dass in der Geschichte der eidgenössischen Interventionen tatsächlich ein einziger Fall besteht, in welchem der Kanton, in dem interveniert wurde, zur Kostentragung verhalten wurde. Es ist dies der Kanton Zürich beim sogenannten Tonhallenkrawall im März 1871. In allen andern Fällen wurden schliesslich die Kosten vom Bund übernommen.

(Vgl. darüber Burkhardt, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, dritte Auflage 1931. E. Die Kosten, S. 183 ff.). Burkhardt schreibt: «Angesichts dieser Praxis kann wohl gesagt werden, dass die Eegel (nämlich die Kostentragung durch den Kanton) zur Ausnahme geworden ist. Die Praxis ist nicht verfassungsmässig, aber die Auffassung der Verfassung ist auch nicht sachgemäss. Staatsrechtlich betrachtet, fällt die Ausgabe je demjenigen Staatswesen zu, dem die Aufgabe zufällt, also dem Bund für seine Intervention.» Abgesehen von der bisherigen Stellungnahme der Bundesversammlung lässt sich im konkreten Fall für den Kostenerlass folgendes sagen: Wenn wir auch entgegen der Auffassung des Genfer Staatsrates den Ursprung der Genfer Unruhen mehr in lokalen Ereignissen und Erscheinungen suchen, muss gesagt werden> dass der Kanton Genf zufolge Lage und Ausdehnung mehr als andere Kantone in ähnlichen Fällen auf Hilfe von aussen angewiesen ist. Der Kanton Genf hat sich aber nicht darauf beschränkt, nur Hilfe vom Buride nachzusuchen.

Er hat auch seine kantonalen Truppen mobilisiert. Die Kosten dieses kantonalen Aufgebotes fallen gemäss Art. 197 Militärorganisation ohne weiteres zu Lasten, des Kantons. Genf hat denn auch Sold, Unterkunft und Verpflegung der selber aufgebotenen Truppen direkt bestritten. Es hat auch die Auslagen der Militärversicherung für die kantonal aufgebotenen Truppen zurückerstattet, soweit dafür schon Eechnung gestellt werden konnte. Daneben haben aber die Unruhen in Genf dem Kanton noch andere erhebliche Auslagen verursacht.

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Aus diesen Gründen halten wir dafür, es rechtfertige sich, dass die Eidgenossenschaft auf das Begehren um Bückerstattung der Interventionskosten vom November 1982 verzichte. In diesem Sinne unterbreiten wir Ihnen den hier beigefügten Beschlussesentwurf.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 25. August 1983.

Im harnen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Schulthess.

Der Vizekanzler: Leimgruber.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

den Nachlass der durch die eidgenössische Intervention vom November 1932 in Genf verursachten Kosten.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung des Art. 16, Abs. 4, der Bundesverfassung, nach Einsicht eines Gesuches des Genfer Staatsrates vom 80. Juni 1988 sowie der bundesrätlichen Botschaft nebst Antrag vom 25. August 1933, beschliesst :

Art. 1.

Dem Kanton Genf wird die Eiickerstattung der dem Bunde aus der eidgenössischen Intervention vom November 1932 erwachsenen Kosten erlassen.

Art. 2.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Tragung der Kosten der eidgenössischen Intervention im November 1932 in Genf. (Vom 25. August 1983.)

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13.09.1933

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