42 # S T #

2998

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des Protokolls vom 1. Juni 1933 zur Abänderung des am 9. Dezember 1928 zwischen der Schweiz und der Türkei abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren.

(Vom 14. Juli 1988.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Der am 9. Dezember 1928 zwischen der Schweiz und der Türkei abgeschlossene und am 7. August 1980 in Kraft getretene Vertrag zur Erledigung Ton Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren vermochte uns, wie man sich erinnern wird, nicht ganz zu befriedigen. Sein Artikel l, Absatz 2, enthielt einen Vorbehalt, der seine Bedeutung merklich herabsetzte, indem darin bestimmt wurde, das» «es jedem der vertragschliessenden Teile unbenommen bleiben soll, dem Vergleichs- und dem Gerichts- oder Schiedsverfahren jeglichen Streitfall zu entziehen, der sich nach seiner Ansicht auf Prägen bezieht, welche seine Verfassungsgrundsätze oder seine Lebensinteressen berühren, oder auf solche, die nach Völkerrecht in die ausschliessliche Zuständigkeit der einzelnen Staaten fallen».

Wir legten in unserer Botschaft vom 11. März 1929*) dar, dass «der Vertrag mit der Türkei allerdings augenscheinlich an Wert gewinnen würde, wenn er den Parteien nicht das Eecht einräumte, jedem Verlangen nach friedlicher Beilegung einer Streitigkeit in souveräner Entscheidung einen dieser drei Vorbehalte entgegenzusetzen. So, wie er jetzt ist, bietet er keine bestimmten Garantien gegen die Weigerung einer Eegierung, auch wenn sie ungerechtfertigt sein sollte, den Streitfall vor eine unparteiische Instanz zu bringen.

Sobald eine Partei ein Verfahren zur friedlichen Erledigung mit der Begründung uasschlagt, die Streitfrage beziehe sich auf ihre Verfassungsgrundsätze, berühre *) Buudesbl. 1929, Bd. I, S. 311 ff.

43

ihre Lebensinteressen oder falle in ihre ausschliessliche Zuständigkeit, gibt es .gegen diese ihre Entscheidung keine Berufung. Wir versuchten zu erreichen, ·dass im Einzelfalle die Berechtigung zur Anrufung eines Vorbehaltes, wenn bestritten, dem Ständigen Internationalen Gerichtshof oder einem Schiedsgerichte zur Beurteilung unterbreitet werde; aber die türkische Eegierung erklärte, gegenwärtig nicht in der Lage zu sein, einen Vertrag zu unterzeichnen, ·der nicht jedem der vertragschliessenden Teile die Befugnis zugestehe, endgültig darüber zu befinden, ob er berechtigt sei, sich auf einen der im Vertrage vorgesehenen Vorbehalte zu berufen.» Die türkische Begierung änderte in der Folge ihre Ansicht über die die Schiedsgerichtsba,rkeit einschränkenden Vorbehalte. So unterzeichnete sie am 8. Februar 1930 einen Frevindschafts-, Vergleichs- und Schiedsvertrag mit Frankreich, der in seinem Artikel 2 die Verweisung derjenigen Streitigkeiten an den Ständigen Internationalen Gerichtshof vorsah, «bei denen die Parteien untereinander über ein Eecht im Streite sind, insbesondere diejenigen Streitigkeiten, die zum Gegenstand haben: 1. die Auslegung eines Staatsvertrages; '2. irgend eine Frage des internationalen Eechtes; 3. das Bestehen irgend einer Tatsache, die, wenn sie erwiesen wäre, die Verletzung einer internationalen Verpflichtung bedeuten würde; 4. den Umfang oder die Art der für eine solche "Verletzung geschuldeten Wiedergutmachung». Der gleiche Artikel bestimmte, dass diese Verpflichtung nicht Anwendung finden solle «auf Streitigkeiten, ·deren Gegenstand nach der Ansicht der einen der Parteien gemäss den Grundsätzen des Völkerrechts ausschliesslich ihrer Souveränität untersteht oder gemäss den zwischen ihnen in Kraft stehenden Staatsverträgen in ihre aussehliessliche Zuständigkeit fällt», fügte jedoch sofort bei, dass im Falle einer Meinungsverschiedenheit über die Berechtigung des Vorbehaltes, jede Partei ·«vorher durch den Gerichtshof entscheiden lassen kann, ob sich seine Zuständigkeit auf die Streitigkeit erstreckt».

Es lag klar vor Augen, dass unser Vertrag mit der Aufnahme eines dem Artikel 2 des französisch-türkischen Vertrages entsprechenden Artikels l eine erhebliche Verbesserung erfahren würde. Der Bundesrat liess daher die türkische Eegierung anfragen, ob sie bereit wäre, den Artikel
l des Vertrages vom 9. Dezember 1928 in diesem Sinne abzuändern. Die vollständige Umgestaltung ·eines kaum in Kraft getretenen Abkommens schien in der Tat nicht notwendig.

Die türkische Eegierung ging auf unsere Vorschläge ein und unser Vertreter in der Türkei konnte nach einigen Verzögerungen am 1. Juni dieses Jahres das Protokoll, dessen Wortlaut in der Anlage beiliegt, unterzeichnen.

Das Protokoll bringt Änderungen nur in den Absätzen l und 2 des Artikels l des Vertrages von 1928. Abgesehen von diesen zwei Absätzen, bleibt der Vertrag, der uns in bezug auf die friedliche Beilegung von Streitfällen bereits mit der Türkei verbindet, restlos in Kraft.

Der abgeänderte Wortlaut hält sich, wie wir es bereits erwähnt haben, an Artikel 2 des französisch-türkischen Vertrages. Er bedarf keiner langen Erläuterungen. Der Vorbehalt der Lebensinteressen ist verschwunden. Was den

44

Vorbehalt der Verfassung anbelangt, so ist er durch denjenigen der Souveränität ersetzt -worden. Aber dieser Vorbehalt ist einigermaßen gleichbedeutend mit déni weiterbestehenden Vorbehalt der « au sschli esslichen Zuständigkeit», denn zwischen den Streitigkeiten, deren Gegenstand nach Völkerrecht ausschliesslich der Souveränität einer der Parteien untersteht, und denjenigen, die gemässden in Kraft stehenden Verträgen in ihre ausschliessliche Zuständigkeit fallen, besteht ein Unterschied mehr im Ausdrucke als in der Sache. Der Vorbehaltder Souveränität oder der ausschliesalichen Zuständigkeit im Sinne der internationalen Verpflichtungen gibt uns zu keinen Einwendungen Anlass. Er hat bereits im Völkerbundsvertrag (Artikel 15, Absatz 8) Aufnahme gefunden. Wie wir schon in unserer vorerwähnten Botschaft vom 11. März 1929 bemerkten, «geht er von der sehr einfachen Überlegung aus, dass ein Staat nicht Eschenschaft über das abzulegen hat. was er auf dem Gebiete tut, wo seine Handlungsfreiheit weder durch da-s Völkerrecht noch durch seine vertraglichen Verpflichtungen eingeschränkt ist. Dieser Grundsatz ·-- fügten wir bei -- ist eigentlich selbstverständlich, und .es liesse sich schwerlich tiri Gerieht finden, das einen Staat zu einer Handlung verurteilen würde, zu der er rechtlich nicht verpflichtet ist».

Dieser zweifache Vorbehalt -- und darin liegt die volle Bedeutung des Protokolles vom 1. Juni -- kann übrigens niemals von einer der Parteien in willkürlicher Weise angerufen werden. Es steht einem Staate nicht mehr zu, sich in souveräner Entscheidung auf einen Vorbehalt zu berufen, um ein Verfahren zur friedlichen Erledigung einer Streitigkeit zum Scheitern zu bringen, da die Einrede der Unzuständigkeit, die er in limine litis erheben würde, obligatorisch von' der Gegenpartei vor den Ständigen Internationalen Gerichtshof gebracht werden könnte. Die Anwendung des abgeänderten Vertrages hängt daher nicht mehr vom guten Willen einer der Parteien ab. Der erzielte Fortschritt ist somit bedeutend.

Der neue Vertrag wird allerdings nur noch auf -Streitfälle rechtlicher Natur anwendbar sein, während der gegenwärtige Vertrag sich auf alle Streitigkeiten, welcher Natur sie auch sein mögen, erstreckt. Die Streitfälle politischen.

Charakters werden, in Zukunft ausserhalb des Geltungsbereiches des umgearbeiteten
Vertrages bleiben. Es liegt darin zweifellos eine Einschränkung, die aber mehr theoretischer als praktischer Natur ist. da unter der gegenwärtigen Ordnung alle Streitigkeiten, ohne jede Ausnahme, einem Vorfahren zur friedlichen Erledigung durch Geltendmachung der Vorbehalte letzten Endes hätten entzogen werden können. Wesentlich ist nicht, die Grenzen der möglichen Schiedsgerichtsfälle so weit als möglich zu ziehen; worauf es ankommt, ist die Gewähr, dass die Vorfahren zur friedlichen Erledigung im Bedarfsfalle für die im Vertrage vorgesehenen Kategorien von Streitigkeiten wirklich Anwendung finden werden, mag darin auch eine Aufzählung aller denkbaren, internationalen Streitigkeiten fehlen.

Das Protokoll vom 1. Juni 1983 entspricht dieser Erwägung. Es wird die Tragweite des Abkommens vom Jahre 1928 genauer abgrenzen und der gericht-

45 liehen oder schiedsgerichtlichen Erledigung von Streitigkeiten einen wahrhaft obligatorischen Charakter verleihen. Abänderung bedeutet hier also Vervollkommnung, Wir zweifeln nicht, dass Sie unter diesen Umständen den Wortlaut des Protokolls gutheissen werden, indem Sie dem beigefügten Entwurf eines Bundesbeschlusses Ihre Zustimmung erteilen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 14. Juli 1988.

Im Namen des Schweiz. Eundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schnlthess.

Der Bundeskanzler: Kaesliii.

46 (Entwurf.)

Bundesbeschlii8s betreffend

die Genehmigung des Protokolls vom I.Juni 1933 zur Abänderung des am 9. Dezember 1928 zwischen der Schweiz und der Türkei abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 14. Juli 1988, beschliesst :

Art. 1.

Das Protokoll vom 1. Juni 1988 zur Abänderung des am 9. Dezember 1928 zwischen der Schweiz und der Türkei abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren wird genehmigt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

·

47

.

Übersetzung aus dem französischen Originaltext.

Protokoll zur

Abänderung des am 9. Dezember 1928 zwischen der Schweiz und der Türkei abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren.

Der Schweizerische Bundesrat und

Der Präsident der Türkischen Republik sind übereingekommen, den am 9. Dezember 1928 abgeschlossenen Vertrag: zur Erledigung von Streitigkeiten im · Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsverfahren abzuändern, und haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat: Herrn Henri Martin, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister der Schweizerischen Eidgenossenschaft in der Türkei, Der Präsident der Türkischen Republik: Seine Exzellenz Menemenli N u m an Bey, bevollmächtigten Minister I. Klasse,.

Unterstaatssekretär im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgendes übereingekommen sind: Einziger Artikel.

An Stelle der Absätze l und 2 des Artikels l des Vertrages vom 9. Dezember 1928 treten folgende Bestimmungen: «Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, auf Verlangen des einen von ihnen diejenigen Streitigkeiten, die nicht in angemessener Frist auf diplomatischem Wege geschlichtet werden können und bei denen di& Parteien untereinander über ein Eecht im Streite sind, einem Vergleichsund gegebenenfalls einem Gerichts- oder Schiedsverfahren zu unterwerfen, insbesondere diejenigen Streitigkeiten, die zum Gegenstand haben:

48

1. die Auslegung eines Staatsvertrages; 2. irgend eine Frage des internationalen Bechtes; 3. das Bestehen irgend einer Tatsache, die, wenn sie erwiesen wäre, die Verletzung einer internationalen Verpflichtung bedeuten würde; 4. den Umfang oder die Art der für eine solche Verletzung geschuldeten Wiedergutmachung.

Die vorstehenden Beät-immungen finden keine Anwendung auf Streitigkeiten, deren Gegenstand nach Ansicht der einen der Parteien gemäss den Grundsätzen des Völkerrechts aussohliesslich ihrer Souveränität untersteht oder gemäss den zwischen ihnen in Kraft stehenden Staatsverträgen in ihre ausschliessliche Zuständigkeit fällt.. Wenn indes die andere Partei entgegengesetzter Ansicht sein sollte, so kann sie vorher durch den Ständigen Internationalen Gerichtshof entscheiden lassen, ob sich seine Zuständigkeit, wie sie sich aus dem vorliegenden Vertrage ergibt, auf die Streitigkeit erstreckt.» Zu Urkund dessen haben die eingangs bezeichneten Bevollmächtigten das gegenwärtige Protokoll, das ratifiziert werden und am Tage des in Bern stattfindenden Austausches der Batiiikationsurkunden in Kraft treten soll, mit ihren Unterschriften und ihren Siegeln versehen.

Ausgefertigt in Angora, in doppelter Urschrift, ani ersten. Juni eintausendneunhundertunddreiunddreissig.

L. S.

L. S.

-~S3>-

(gez.) Henri Martin.

(gez.) M. Numan.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung des Protokolls vom 1. Juni 1933 zur Abänderung des am 9. Dezember 1928 zwischen der Schweiz und der Türkei abgeschlossenen Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Ve...

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1933

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

29

Cahier Numero Geschäftsnummer

2996

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

19.07.1933

Date Data Seite

42-48

Page Pagina Ref. No

10 032 056

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.