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Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte sind am 6, Juni 1933, um 18 Uhr, zur 8. Tagung der 29. Legislaturperiode zusammengetreten.

Im S t ä n d e r a t e eröffnete der Präsident, Herr Laely, die Tagung mit folgender Ansprache: Meine Herren!

Der Nationalrat hat zwischen der Frühjahrs- und der Sommersession ein Mitglied verloren. Am 15. Mai ist auf seinem «Hofberg» zu Wil im Kanton St. Gallen Nationalrat Friedrich Pestalozzi gestorben.

Er war ein Mann seltener und eigener Prägung, was sich schon aus der Tatsache ergibt, dass er in einer Zeit, wo die Landflucht und der Zug nach der Stadt zur Epidemie und zum Verhängnis zu werden droht, den gegenteiligen .Drang in sich spurte. Als Kind der Verkehrs^ und Handelsstadt Zürich geboren, zog es ihn schon früh zur Urproduktion, zur Scholle zurück. Er machte sich die Landwirtschaft zur Lebensaufgabe, der er sich mit seiner ganzen Kraft zuwendete und bis zum Tode widmete.

Nachdem er die Stadtschulen und die Zürcher Kantonsschule durchlaufen hatte, ging er bei einem Landwirt in Schaffhausen in die Lehre. Mit den nötigen praktischen Kenntnissen des Bauernberufes vertraut, suchte er die höhere Fachbildung an der landwirtschaftlichen Abteilung des Polytechnikums in Zürich und an den technischen Hochschulen in Halle und Berlin. Im Sommer bekleidete er zusagende Volontärstellen auf grossen Gütern in Ostpreussen und Hannover. Mit 24 Jahren kehrte er in die Heimat zurück, wo sich ihm Gelegenheit bot, in Wil im Kanton St. Gallen das grosse Gut «Hofberg» zuerst pachtweise und dann zu Eigentum zu übernehmen.

Hier hat er einen blühenden Hausstand gegründet ; es war ihm ein reines und reiches Familienglück besehieden, das freilich eine schwere Trübung erlitt, als vor zwei Jahren der einzige männliche Spross dem Kreis der Familie durch den Tod entrissen wurde.

Die Bebauung seines Hofes genügte dem regsamen Geiste eines Friedrich Pestalozzi nicht. Er lebte nicht umsonst in der Zeit der Organisation aller Berufsverbände, in der Zeit der Gründung der landwirtschaftlichen Genossenschaften und Verbände, zu deren Führung ein mit so umfassender Fachbildung in Theorie und Praxis ausgestatteter Landwirt auf den ersten Blick schon als der rechte, der geeignete Mann erschien.

Zwar hat er sich nirgends auf- und vorgedrängt. Pestalozzi war bei allem Wissen, das ihm zur Verfügung stand, von
ausserordentlicher Zurückhaltung und Bescheidenheit. Was er aber übernahni, das war in zuverlässigen und guten Händen, wobei es ihm nicht darauf ankam, dass sein Name im Vordergrund

927 stand oder auch nur genannt und gekannt wurde. So hat er am «St. Galler Bauer» Jahre lang unter einem Decknamen mitgearbeitet und in ernster Satire .

das Interesse seiner Berufsgenossen zu wecken und zu erhalten gewusst.

In die Politik des Kantons und des Bundes hat sich Pestalozzi verhältnismässig spät eingelassen. Er hat sich eben auch dort nicht aufgedrängt, man hat ihn suchen und holen müssen. Im Jahre 1921 wurde er in den St. Galler Grossen Bat berufen, im Jahre 1929, als Herr Nationalrat Gabathuler zurücktrat, rückte Pestalozzi als erster Ersatzmann in die schweizerische Volksvertretung nach.

Er war auch im Parlament nicht einer von den Hervorstechenden, von den Lauten. Er hat sich aber um undankbare und heikle Aufgaben, die man ihm zugewiesen hat, nicht gedrückt. Ein sprechendes Beispiel dafür ist die Übernahme der Leitung der grossräthchen Kommission für die Jagdgesetzrevision im Kanton St. Gallen, wo er kränkenden Undank für wohlgemeinte Arbeit erfahren musste. Er blieb dennoch der Freund des Volkes, das um nach wie vor als Führer und Batgeber anerkannte und liebte.

Bei uns in Bern war er stets der ruhige, anspruchslose und ausgeglichene Batskollege, der sich namentlich bei der Lösung der vielen landwirtschaftlichen Fragen angelegentlich betätigte. Aber seine Zeit war kurz bemessen. Der Verlust seines einzigen Sohnes schon hat ihn schwer bedrückt, und dazu kam die Krankheit, der die Wissenschaft bis heute trotz aller Arbeit und Anstrengung umsonst beizukommen versucht hat. Sie hat auch bei unserem lieben Batskollegen, trotz aller ärztlichen Kunst, trotz aller Liebe und Pflege, die ihm im häuslichen Kreis zuteil geworden ist, so rapide Fortschritte gemacht, dass ihm. der Tod als Erlöser erschienen ist.

Ich schliesse mit den Worten, die unser Kollege Löpfe, wohl einer seiner besten Freunde, am Todestag des Verblichenen im «Ostschweizerischen Tagblatt» geschrieben hat: «Mit Herrn Nationalrat Pestalozzi sank ein Mann von bestem Charakter und Herzensgüte, ein Eidgenosse bester Prägung ins Grab.»

Meine Herren Ständeräte!

Ich weiss, dass es nicht üblich ist, Persönlichkeiten von dieser Stelle aus Nekrologe zu halten, die-nicht mehr im Dienste des Landes stehen, die ihn aus diesem oder jenem Grunde vor längerer oder kürzerer Zeit quittiert haben.

Ich will keinen Einbruch machen in den herrschenden parlamentarischen Brauch. Doch glaube ich Sie mit mir einverstanden, wenn ich den Namen des jüngst verstorbenen Bundesrichters Virgil Bossel nenne, der nahezu fünfzig Jahre in öffentlicher Stellung gewirkt hat, Dr. Eossei war 16 Jahre lang Nationalrat, 20 Jahre lang Bundesrichter und nahezu 80 Jahre lang Professor an

928 der Rechtsfakultät der Universität Bern. Wir wollen ihn, der vor""einigen Tagen in Lausanne gestorben ist, für sein treues Wirken als Eatsmitglied, als Richter, als Lehrer und als Schriftsteller in den Dank des Vaterlandes einbeziehen.

.loh bitte für die beiden abgeschiedenen Eidgenossen um die letzte.Ehrung.

Die Ansprache des Präsidenten des N a t i o n a l r a t e s , Herrn Dr.

Dollfns, ist in der französischen Ausgabe des Bundesblattes (1933, Bd. I, 8. 950) veröffentlicht worden.

In den N a t i o n a l r a t ist neu eingetreten: Herr Dr. Arnold S a x e r , Zentralsekretär, von Altstätten (St. Gallen), in 8t. Gallen, an Stelle des verstorbenen Herrn F. Pestalozzi.

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom.8. Juni 1933.)

Dem an Stelle des Herrn Carlos Ereisz zum Honorarkonsul der. Republik Haiti in Zürich, mit Amtsbefugnis über die Kantone Baselstadt, Baselland, Solothurn, Aargau, Thurgau, St. Gallen, Appenzell I.-Rh. und A.-Rh., Zug, Luzern, Graubünden, Glarus, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwaiden und Schaffhausen ernannten Herrn Max Alfred Brunner wird das Exequatur erteilt.

(Vom 6. Juni 1933.)

Es werden folgende Btmdesbeiträge bewilligt: ; 1. Dem Kanton Bern an die zu Fr. 57,000 veranschlagten Kosten der Erstellung eines Waldweges «de l'Envers», II. Teil, Gemeinde Courtelary, 25%, im Maximum Fr. 14,250.

2, Dem Kanton Schwyz an die zu Fr. 85,000 veranschlagten Kosten der Erstellung eines Waldweges «Kohlerboden-Glattenberg», Gemeinde Gersau, 30%, im Maximum Er. 10,500.

8. Dem Kanton Thurgau an die zu Fr. 400,000 veranschlagten Kosten der Melioration Herrenhof-Zuben, Munizipalgemeinde Langrickenbach, Bezirk Kreuzlingen, im Maximum Er. 92,810.

4. Dem Kanton Waadt an die zu Fr. 529,000 veranschlagten Kosten der Durchführung einer Güterzusammenlegung verbunden mit Entwässerungen und Bachkorrektionen in den Gemeinden Giez und Valeyres s. Montagny, Bezirk Yverdon, im Maximum Fr. 142,740.

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