649

# S T #

Kreisschreiben des

Bundesrates an die Kantonsregierungen betreifend Krisenvorschriften für Fremdenpolizei und Arbeitsnachweis.

(Vom 3. April 1933.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Die "Wirtschaftskrise, deren Dauer noch nicht abzusehen ist, hat uns veranlagst, im Anschluss an die Konferenz der Vertreter der Kantonsregierungen vom 27./2S. Februar 1933 einige Artikel des Bundesgesetzes vom 26. März 1981 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer auf den 10. April 1933 in Kraft zu setzen. Wir ersuchen Sie, bei deren Durchführung die nachfolgende Wegleitung zu beachten.

1. Der Zweck des Bundesratsbeschlusses vom 3. April 1933 geht dahin, einerseits noch mehr als bisher Arbeitsstellen für den inländischen Arbeitsmarkt (d, h. Schweizer, gebenenfalls auch solche im Ausland, und Ausländer mit Niederlassung) freizuhalten und, soweit dies rechtlich zulässig ist, freizumachen, andererseits aber dafür zu sorgen, dass diese Stellen auch wirklich aus dem inländischen Arbeitsmarkt besetzt werden. Ersteres ist Aufgabe der Fremdenpolizei, letzteres solche des Arbeitsnachweises; das eine ist die notwendige Ergänzung des andern und daher ist verständnisvolles Zusammenarbeiten von Fremdenpolizei und Arbeitsnachweis und richtiges Verhalten jeder dieser Behörden an ihrem Ort von grösster Wichtigkeit.

Die noch in grosser Zahl vorhandenen Arbeitsgelegenheiten nach aller Möglichkeit mit inländischen Arbeitskräften zu besetzen, kann aber nur dann gelingen, wenn die neu erlassenen sowie die schon bestehenden Vorschriften richtig und energisch angewandt werden, in klarer Erkenntnis der ernsten Lage und im Geiste eidgenössischen Zusammenstehens.

2. Der Entscheid über die Bewilligungen bleibt Sache der Fremdenpolizeibehörde. Diese soll aber, wo es sich um Stellenantritt handelt, in engster Fühlung mit dem Arbeitsnachweis arbeiten. Der kantonale Arbeitsnachweis muss durch sie von den Gelegenheiten, einen Einheimischen unterzubringen, möglichst in allen Fällen und möglichst früh Kenntnis erhalten. Die Fremden-

650 polizei muss deshalb das Gutachten des Arbeitsnachweises in allen Fällen von Stellenantritt einholen, sofern sie ein Gesuch nicht von vornherein abweist, und darf nur aus wirklich dringenden Gründen von diesem abweichen. Tut sie dies, so hat sie dem Arbeitsnachweis von ihrem Entscheid mit, kurzer Angabe der Gründe Kenntnis zu geben. Bei Verlängerungen gilt das gleiche Verfahren.

Wir halten es für nützlich, dass auch die ohne Einholung eines Gutachtens des Arbeitsnachweises oder entgegen einem solchen verfügten Abweisungen diesem zur Kenntnis gebracht werden, weil sie Arbeitsgelegenheiten aufzeigen. Es bleibt den Kantonen überlassen, weitergehende Vorschriften aufzustellen über die Zusammenarbeit von Fremdenpolizei und Arbeitsnachweis. Wir wollen diese Zusammenarbeit nicht an starre Vorschriften binden und nicht unnützer Papierwirtschaft Vorschub leisten; die Mittel mögen von Kanton zu Kanton etwas verschieden sein, sie müssen aber dem gleichen Zwec,k dienen und dieser muss erreicht werden.

8. Wir ersuchen Sie, die nötigen Anordnungen zu treffen zur Durchführung der Vorschriften unseres Beschlusses über die Erteilung von gewerbe- und gesundheitspolizeilichen Bewilligungen.

4. Die Arbeitsnachweisbehörden werden nötigenfalls vom Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Weisung erhalten, in welchen Fällen sie diesem ihr Gutachten zur Überprüfung zu unterbreiten haben. Mit bloss negativem Verhalten der Behörden ist es jedoch nicht getan. Sie müssen vielmehr jede mögliche Anstrengung machen, die Stellen auch wirklich aus dem einheimischen Arbeitsmarkt zu besetzen. Der Arbeitgeber hat zwar selbstverständlich noch keinen Anspruch auf Bewilligung des Ausländers, wenn ihm einheimischer Ersatz nicht vermittelt werden kann. Auch er muss diesen suchen. Er muss gezwungen werden, Farbe zu bekennen, ob es ihm ernst ist mit der Bevorzugung einer einheimischen Arbeitskraft. Arbeitgeber, die darauf ausgehen, ohne Notwendigkeit Ausländer hereinzubringen -- sie sind den Behörden meist wohlbekannt -- sollen mit aller rechtlich zulässigen Strenge behandelt werden.

Verstösse gegen Art. 3, Abs. 3, des Gesetzes sind mit Bestrafung zu ahnden, insbesondere, wenn der Arbeitgeber den Ausländer zum unerlaubten Stellenantritt veranlasst hat. Der Ausländer ist in diesem Falle regelmässig wieder zu entfernen, dem
Arbeitgeber Ersatz durch einen andern Ausländer zu verweigern. Kommt aber der Arbeitgeber seiner Pflicht nach, wenn möglich einheimische Arbeitskräfte einzustellen, und solche mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu suchen, dann muss er vom Arbeitsnachweis bei dieser Suche möglichst wirksam unterstützt werden. Das kann in dem für unsere Volkswirtschaft unerlässlichen Masse nur dann geschehen, wenn die Arbeitslosen veranlasst und angebrachtenfalles gezwungen werden können, auch wirklich dort zu arbeiten, wo sie gebraucht werden oder wenigstens gebraucht werden können. Die Versetzbarkeit der Arbeitslosen muss energisch gefördert werden, einerseits durch Entzug der Unterstützung, wenn die Annahme der Stelle zugemutet werden kann, andererseits durch Verminderung der mit dem

651

Ortswechsel verbundenen Nachteile, insbesondere auch solcher durch Verlust oder Minderung von Unterstützungsmöglichkeiten. Es wird noch geprüft, in welcher Weise diesen Notwendigkeiten durch eidgenössische Vorschriften besser entsprochen werden kann.

5. Die Arbeitgeber, die ausländische Arbeitskräfte anzustellen beabsichtigen, welche eine Bewilligung zum Stellenantritt benötigen, sind zu verhalten, die Arbeitsgelegenheit wenn möglich mindestens drei Wochen zum voraus dem zuständigen kantonalen Arbeitsnachweis zu melden, und jedenfalls, bevor sie mit einem Ausländer auf Anstellungsverhandlungen eintreten. Wenn dies ohne genügende Entschuldigung nicht geschieht, muss angenommen werden, der Arbeitgeber bevorzuge die ausländische Arbeitskraft und der Fall demgemäss behandelt werden.

Mit dem Nachweis, dass der Arbeitgeber sich um eine einheimische Arbeitskraft bemüht habe, ist es streng zu nehmen. Gegebenenfalls kann vom Arbeitgeber verlangt werden, dass er seine Inserate vorweise und als Adresse für Angebote das Arbeitsamt angebe.

Damit die neuen, den Arbeitgeber angehenden Bestimmungen, insbesondere auch das Verbot, einen Ausländer ohne Bewilligung anzustellen, möglichst sofort wirksam werden, ersuchen wir Sie, die nötige öffentliche Bekanntgabe anzuordnen.

6. Nach den bestehenden Bundesvorschriften bedarf es zum Stellenwechsel keiner besonderen Bewilligung, sofern im Einzelfall nicht anders verfügt wurde. Dies muss aber der Krise halber in vermehrtem Masse geschehen.

Nähere Vorschriften hierüber bleiben den zuständigen Departementen vorbehalten. Die Bindung des Stellenwechsels an eine besondere Bewilligung ist aber in jedem Einzelfall ausdrücklich zu verfügen, und dem Ausländer zu eröffnen. Sie ist in sein Ausweispapier und in die Bewilligung einzutragen.

Immerhin ist zu beachten, dass dieses Verbot vom Arbeitgeber zur Ausbeutung oder zu schlechter Behandlung des Ausländers missbraucht werden könnte.

Arbeitskräften, die im, Haushalt des Arbeitgebers leben (ausgenommen, wenn sie überhaupt nur für eine bestimmte Stelle zugelassen werden) sollte im allgemeinen der Stellenwechsel nicht verboten werden; um so strenger aber jeder Berufswechsel. -- Die Bewilligung zum Stellenwechsel ist von der Fremdenpolizei zu erteilen ; sie hat dabei gegenüber dem Arbeitsamt hinsichtlich Einholung des Gutachtens
und Mitteilung des Entscheides in gleicher Weise zu verfahren wie bei der Erteilung einer neuen Bewilligung.

Wo ein Ausländer nur für eine bestimmte Stelle zugelassen werden kann, ist ein absolutes Stellenwechselverbot zu verfügen, 7. Besondere Aufmerksamkeit ist den Saisonarbeitern und -angestellten zu widmen. Ihre Zulassung rechtfertigt sich nur, soweit der einheimische Arbeitsmarkt den Bedürfnissen wirklich nicht zu genügen vermag, und nur so lange dies der Fall ist. Mit Bewilligungen ist allgemein zurückzuhalten. Wo bewilligt werden muss, sollte dies in der Eegel erstmals nur auf kurze Frist geschehen,

652

insbesondere in Berufen mit schwankendem Bedarf; z. B. im Baugewerbe auf Mitte Juli. Kurze Befristung bedingt allerdings Mehrarbeit bei allenfalls notwendigen Verlängerungen. -- Es ist nicht zulässig, nur aus Gründen des.

Arbeitsmarktes Aufenthaltsbewilligungen vor Ablauf der bewilligten Frist zu entziehen, ausgenommen, wenn sie auf Widerruf erteilt wurden. Die Behörden müssen daher vorsichtig sein mit Ansetzung längerer Aufenthaltsfristen und dabei die möglichen Veränderungen des Arbeitsmarktes in Betracht ziehen. Bei längeren Bewilligungen an Saisonarbeiter ist in der Begel Widerruf vorzubehalten; das muss in jedem Einzelfall ausdrücklich geschehen.

Konsequent muss darauf gesehen werden, dass Saisonarbeiter und -angestellte nach höchstens neunmonatigem Aufenthalt -- wenn auch in verschiedenen Kantonen -- wieder ausreisen und auch wirklich einige Zeit, in der Begel nicht weniger als drei Monate, im Ausland bleiben. Der Saisonaufenthalt darf sich nicht zum Daueraufenthalt auswachsen, weder tatsächlich noch rechtlich. Ausnahmefälle sind unverzüglich der eidgenössischen Fremdenpolizei, im Einspracheverfahren vorzulegen.

8. Soweit Kontingentierung in Betracht kommt, wird sich das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit mit den kantonalen Departementen, denen der Arbeitsnachweis und die Fremdenpolizei unterstellt ist, sowie mit den Berufsverbänden verständigen. Die Kontingentierung muss ergänzt werden durch möglichst intensive Bemühung, einheimische Arbeitskräfte zu vermitteln.

9. Die statistischen Aufstellungen über Saisonarbeiter, Dienstmädchen und Grenzgänger sind künftig der eidgenössischen Fremdenpolizei monatlich, 'zuzustellen, bis zum 5, jedes Monats; erstmals bis 5. Mai 1933.

10. Die fremdenpolizeilichen Vorschriften und die Weisungen der Bundesbehörden sind, auch soweit im vorstehenden nicht von ihnen die Hede war,, mit grÖBserer Sorgfalt durchzuführen. Obwohl die Grenzkontrolle in Durchführung der erhaltenen Weisungen stets sehr viele unerwünschte Ausländer am Betreten der Schweiz verhindert, gelingt es doch immer wieder einer beträchtlichen Zahl solcher Elemente, ins Innere des Landes zu gelangenDarunter sind auch viele, die in von der Arbeitslosigkeit betroffenen Berufen Stellen suchen und oft auch zu solchen gelangen, weil sie ihre Arbeitskraft zu Bedingungen anbieten, die einem
einheimischen Arbeitslosen nicht zugemutet werden könnten. Alle diese Ausländer müssen durch die Inlandskontrolle so rasch wie möglich aufgegriffen und sofort wieder entfernt werden. Ausländer, die unerlaubt eine Stelle antreten oder dio bewilligte Tätigkeit gewechselt haben, sind stets wegzuweisen. Bei Wegweisung und Ausschaffung ist im Ausweispapier immer kurz der Grund anzugeben (z. B. «Arbeitsmarkt, Mittellosigkeit»), Ausländer, die in einem Kanton aufgegriffen werden und deren Anwesenheit für die ganze Schweiz unerwünscht erscheint ·-- wie das regelmässig der Fall sein wird -- sind zum Verlassen des Landes zu verhalten und dürfen nicht einem andern Kanton zugeschoben werden. -- Bei Weg-

653 ·Weisung ist der eidgenössischen Fremdenpolizei regelmäsaig Ausdehnung auf die ganze Schweiz zu beantragen, Ausländern, die unter Einreisebeschränkung oder Einreiseverbot stehen, darf während deren Geltungsdauer nur mit Zustimmung der eidgenössischen Fremdenpolizei Aufenthalt bewilligt -werden.

Nichtbeachtung solcher Verfügungen durch den Ausländer ist in allen nicht leichten Fällen mit Ausweisung zu ahnden. -- Ausländer, die sich offensichtlich über die Ausweisung hinwegsetzen und bei denen Bestrafung und Ausschaffung nicht fruchten oder letztere nicht möglich scheint, sind dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement zu melden.

Wie es scheint, werden in einigen Kantonen Bewilligungen, wenigstens teilweise, von den örtlichen Behörden (Gemeinden) erteilt. Das steht im Widerspruch mit Art. 18 der Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 29. November 1921 und gefährdet die Einheitlichkeit und Durchschlagskraft der Zulassungspolitik. Wir ersuchen daher die Kantone, abzuhelfen oder, wo besondere Gründe solches Verfahren als unerlässlich erscheinen lassen, unsere Ermächtigung einzuholen.

11. Wenn die schwere Wirtschaftskrise bis zum Ende durchgehalten werden soll, ist sachgemässe und einheitliche Durchführung der vorstehenden Weisungen, ohne unangebrachte Rücksicht auf lokale und regionale Interessen, unerlässhch. Wir ersuchen Sie daher, Ihrerseits die nötigen Beschlüsse zu fassen und Weisungen an alle mit der Durchführung betrauten Organe, namentlich auch an die Gemeinden, zu erlassen, und sie dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement mitzuteilen, oder, soweit es sich um den Arbeitsnachweis handelt, dem eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement. -- Wir verhehlen uns nicht, dass die Durchführung unserer Weisungen vermehrtes Personal erfordern wird. Geschieht sie aber in richtiger Weise, so wird sich dies durch Einsparung von Arbeitslosenunterstützungen reichlich bezahlt machen.

Wir benützen den Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

Bern, den 3. April 1983.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

-~3&--·-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend Krisenvorschriften für Fremdenpolizei und Arbeitsnachweis. (Vom 3. April 1933.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1933

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

14

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

05.04.1933

Date Data Seite

649-653

Page Pagina Ref. No

10 031 959

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.