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2928 Botschaft des

Bimdesrates an die Bundesversammlung zum Abkommen mit Italien über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.

(Vom 6. Februar 1933.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Im Juli 1981 unterbreitete uns die italienische Regierung die Anregung, Verhandlungen zum Zwecke des Abschlusses eines schweizerisch-italienischen Abkommens über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aufzunehmen. Da unser Justiz- und Pohzeidepartement seinerseits bereits vorher die Prüfung dieser Frage an die Hand genommen und eine Umfrage bei den beteiligten schweizerischen Kreisen veranstaltet hatte, waren wir schon am 10. August 1981 in der Lage, uns zur Aufnahme von Verhandlungen geneigt zu erklären. Die italienische Eegierung schlug folgenden Verhandlungsmodus vor: Zwei Delegierte, nämlich je einer für jeden der beiden Staaten, sollten die Fragen besprechen und sich auf einen Vertragstext verständigen, der dann vor seiner definitiven Genehmigung noch den beteiligten Amtsstellen in beiden Staaten zur Prüfung und Anbringung allfälliger Abänderungsvorschläge unterbreitet werden sollte. Wir stimmten diesem Vorschlage zu und bezeichneten als Delegierten Dr. E. Alexander, Adjunkt der Justizabteilung.

Von der italienischen Regierung wurde Staatsrat E. Montagna als Delegierter ernannt. Die Verhandlungen fanden im Januar und im September 1932 in Bern statt und führten zu einer vollen Einigung. Nachdem dann beide Regierungen den Vertragstext genehmigt hatten, fand die Unterzeichnung des Abkommeiis am 8. Januar 1988 in Koni statt.

Das Abkommen mit Italien lehnt sich im grossen und ganzen an den Haager Entwurf von 1925 an, bringt immerhin verschiedene Ergänzungen durch neue Vorschriften. Es zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit unsern Abkommen mit der Tschechoslowakei und mit Österreich. Für mehrere Bestimmungen dienten aber auch unser Abkommen mit Deutschland und der französisch-italienische Vollstreckungsvertrag vom 8. Juni 1930 als Vorbild.

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Das neue Abkommen mit Italien ist, wie unsere vor einigen Ja-hren mit andern Staaten abgeschlossenen Verträge, nur ein Vollstreckungsabkommen und kein Geriehtsstandsvertrag. Es befasst sich mit der Gerichtszuständigkeit mir insoweit, als diese eine Voraussetzung der Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung im andern Staate ist. Wann ein Angehöriger oder Einwohner des einen Staates vor einem Gerichte des andern Staates belangt werden kann, bestimmt sich nach den Landesgesetzen des Staates, wo der Prozess geführt wird; einzig die Frage, in welchen Fällen die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates seitens des andern Staates anzuerkennen ist, wird durch das Abkommen geregelt. Nur. zwei Bestimmungen gehen über den Eahmen einer Vereinbarung bloss über Vollstreckungshilfe hinaus, nämlich Art. 8, der sich auf die Einrede der Eechtshängigkeit bezieht, und Art. 10, der vorläufige oder sichernde Massnahmen betrifft. Aber auch durch diese beiden Bestimmungen werden biossaus der getroffenen Regelung der Vollstreckungshilfe die Konsequenzen gezogen, dass einerseits in gewissem Umfange die Litispendenzeinrede international zugelassen wird, und dass andererseits, weil vorläufige und sichernde Massnahmen im andern Staate nicht vollstreckt werden, derartige Massnahmen von den Behörden des andern Staates getroffen werden können, auch wenn der Prozess nicht dort geführt wird.

Unter das Abkommen fallen gerichtliche Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Art. 1), und zwar Entscheidungen sowohl der streitigen wie der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ausgenommen sind die im Art. 9 bezeichneten Entscheidungen. Den gerichtlichen Entscheidungen sind gleichgestellt einerseits im Rahmen des Art. 11 die Entscheidungen schweizerischer administrativer Vormundschaftsbehörden, andererseits laut Art. 7 die Schiedssprüche und die gerichtlichen Vergleiche.

Wie unsere andern neuen Vollstreckungsverträge, unterscheidet auch das Abkommen mit Italien zwischen der Anerkennung und der Vollstreckung von Entscheidungen. Die materiellen Voraussetzungen der Vollstreckung weichen jedoch von denen der Anerkennung nur insofern ab, als nur für die Vollstreckung.

nicht aber für die blosse Anerkennung gefordert 'wird, dass das Urteil im Urteilsstaate vollstreckbar sei (Art. 3, Abs. 2). Das Vorfahren zur Erlangung derblossen Anerkennung
und das Verfahren zur Erwirkung der Vollstreckung richten sich nach den Landesgesetzen: diese können die beiden Verfahren in verschiedener Weise regeln.

Zu den gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, die unter .

Art. l fallen, gehören auch Entscheidungen der gewerblichen Schiedsgerichte.

Dagegen findet das Abkommen keine Anwendung auf Adhäsionsurteile und auf die übrigen im Art. 9 genannten.Entscheide.

Als Voraussetzungen der Anerkennungs- und Vollstreckungspflicht sieht Art. l, Nr. l--4, die üblichen Voraussetzungen vor, die auch im Haager Entwurf und in unsern Verträgen mit Österreich und mit der Tschechoslowakei aufgestellt sind; in der Umschreibung der einzelnen Erfordernisse .weicht Art. l teilweise von den andern Verträgen ab. Im Gegensatze zu unserm Abkommen

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mit Deutschland gelten für Entscheidungen in Yerniögensrechtlichen wie auch in nichtvermögensrechthchen Streitigkeiten die nämlichen Erfordernisse.

Laut Nr. l des Art. l ist die Zuständigkeit der Gerichte des einen Staates seitens des andern Staates anzuerkennen, wenn sie nach Massgabe dea Art. 2, der eine Reihe von Zuständigkeitsfällen aufzählt, begründet ist, oder subsidiär -- nämlich soweit Art. 2 nicht zutrifft -- wenn sie nach den irn Vollstreckungsstaate geltenden Grundsätzen über die internationale Abgrenzung der Gerichtszuständigkeit gegeben ist. Nr. l kombiniert somit zwei Methoden, indem primär in Verbindung mit Art. 2 eine Eeihe von Zuständigkeitsfällen vertraglich festgelegt wird, und subsidiär eine generelle Klausel auf die internationalen Zuständigkeitsnormen dès Vollstreckungsstaates verweist. Eine solche Kombination der beiden Methoden hatte der Bundesrat schon in seiner Antwort auf den Fragebogen der niederländischen Regierung betreffend das Programm der V. Haager Konferenz für internationales Privatrecht befürwortet (1925 ; vgl. Documents relatifs à la Ve session, S. 380 ff,). Die subsidiare Klausel stimmt mit Art. l,.Ziff. l, des Haager Entwurfs und unserer Verträge mit der Tschechoslowakei und mit Österreich überein. Im Gegensatz zu diesen Verträgen hat aber die Klausel im Abkommen mit Italien nur eine subsidiäre Bedeutung; sie gelangt nämlich bloss dann zur Anwendung, wenn einerseits kein in Art. 2 erwähnter Zuständigkeitsfall vorliegt, und-andererseits auch der im letzten Absatz des Art. 2 statuierte Vorbehalt nicht zutrifft, d. h., wenn nicht das Recht des Vollstrecku-ngsstaates dessen eigene Gerichte oder diejenigen eines dritten Staates als ausschliesslich zuständig anerkennt. Denn es ist klar, dass, falls eine solche ausschhessliche Zuständigkeit besteht, auch nach den gemäss der subsidiären Klausel von Art. l, Nr. l, anwendbaren Normen des Vollstreckungsstaates, die Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaates nicht begründet ist.

Nr. 2 des Art. l enthält die ordre-public Klausel. Wir hätten allerdings die einschränkende Fassung vorgezogen, die die Delegierten zunächst in Aussicht genommen hatten, und die darauf abstellte, dass die Entscheidung nicht zur Folge habe, ein Rechtsverhältnis zu verwirklichen, das der öffentlichen Ordnung des Staates, wo sie geltend gemacht
wird, widerspreche («que la décision n'ait pas pour résultat de réaliser un rapport de droit qui soit contraire à l'ordre public de l'Etat où elle est invoquée»). Italienischerseits wurde Wert darauf gelegt, die alte übliche Formel aufzunehmen, die sieh u. a. auch im Haager Entwurf, in unserem Vollstreckungsvertrage mit der Tschechoslowakei und im Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vorfindet. Immerhin wird, wie in unserem Vertrage mit Österreich, ein Beispiel eines Verstosses gegen den ordre-public beigefügt, nämlich der Fall, dass das ausländische Urteil mit einem in gleicher Sache ergangenen inländischen Urteil in Widerspruch steht. ~ Bei diesem Beispiel stellt aber das Abkommen mit Italien nicht darauf ab, ob das inländische Urteil schon rechtskräftig ist, sondern fasst auch den Widerspruch zu einem in gleicher Sache ergangenen, aber noch nicht in Rechtskraft erwachsenen inländischen Urteil als Verstoss

236 gegen den ordre-public auf. Kein solcher Verstoss liegt vor, wenn die gleiche Sacbe zwar auch vor den inländischen Gerichten anhängig ist,, aber im Inland noch keine Entscheidung ergangen ist.

In Nr. 3 wird -- wie in unsern andern neuen Vollstreckungsabkommen -- das Erfordernis aufgestellt, dass das Urteil nach dem Eecht des Urteibstaates *) rechtskräftig sei.

Nr. 4 bezieht sich nur auf Säumnisurteile und bildet den einzigen Punkt, in dem die Behandlung der Säumisurteile von derjenigen der im kontradiktorischen Verfahren erlassenen Urteile abweicht. Nur bei den ersteren ist gemäss Nr. 4 die gehörige Ladung des Beklagten nachzuprüfen. Nr. 4 lehnt sich an die entsprechende Bestimmung unseres Vertrages mit Österreich an, verlangt aber nicht, dass die Zustellung der den Prozess einleitenden Ladung an den Beklagten zu eigenen Händen erfolgt sei. Doch genügt nach der Fassung von Nr. 4 weder eine Ediktalladung noch eine «remise au parquet»; es wurde dies auch beiderseits in den Verhandlungen hervorgehoben.

Zum letzten Absatz von Art. l, wonach das Verfahren für die Anerkennung sich nach dem Bechte des Vollstreckungsstaates bestimmt, ist zu bemerken, dass die in Aussieht stehende Eevision der italienischen Zivilprozessordnung das Verfahren wesentlich vereinfachen wird.

Durch Art. 2 wird der erste Teil von Art. l, Nr. l, näher ausgeführt, indem eine Eeihe von Fällen vereinbart wird, in denen die Zuständigkeit der Gerichte des einen Staates seitens des andern anzuerkennen ist. Art. 2 verweist zunächst auf die Bestimmungen anderer Staatsverträge, in denen einzelne Zuständigkeitsnormen enthalten sind. Zu den wenigen gegenwärtig bestehenden derartigen Bestimmungen gehören vor allem in bezug auf Erbschaftsstreitigkeiten der Art. 17 des Niederlassungs-. und Konsularvertrages mit Italien vom 22. Juli 1868 (dessen Inhalt aber ohnehin unter Nr. 6 des Art. 2 fällt) und in bezug auf die Zuständigkeit für die Vormundschaft über Unmündige das Haager Vormundschaftsabkommen vom 12. Juni 1902. Auch künftige Staatsverträge können Zuständigkeitsnormen aufstellen (z. B. internationale Abkommen über das Luftprivatrecht).

Sodann zählt Art. 2 noch sieben weitere Zuständigkeitsfälle auf. Zu betonen ist, dass dadurch nicht etwa einheitliche Gerichtsstandsnormen aufgestellt- werden, die den Landesgesetzen des Urteilsstaates
vorgehen würden.

Die Nr. 1--7 sind vielmehr nur für die Frage massgebend, unter welchen Voraussetzungen die Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaates seitens des Vollstreckungsstaates anzuerkennen ist. Die NT. l--4 entsprechen den Grundsätzen, die die bundesgerichtliche Praxis zum Art, 59 B V herausgebildet hat (eine Abweichung, wodurch die Anerkennung der ausländischen Zuständig*) Der Kürze halber bezeichnen wir mit Urteilstaat den Staat, dessen. Gerichte die Entscheidung gefällt haben, und mit Vollstreckungsstaat den Staat, in dein die Anerkennung oder Vollstreckung der im andern Staate ergangenen Entscheidung nachgesucht wird.

237 keit noch mehr eingeschränkt wird, ist bei Nr. 2 vorgesehen). Die Nrn. l--4 beziehen sich jedoch keineswegs bloss auf persönliche Ansprachen gegen den aufrechtstehenden Schuldner, sondern allgemein auf alle Urteile. Vorbehalten bleiben die im letzten Absatz von Art. 2 genannten Fälle.

Nr. l führt als Zuständigkeitsgrund den Wohnsitz des Beklagten im Urteilsstaate an. In beiden Staaten gilt die Eegel, dass auf den Wohnsitz im Zeitpunkt, der Klagerhebung abzustellen ist. Für den Begriff des Wohnsitzes ist Art. 12 des Abkommens massgebend.

Nr. 2 befasst sich mit den Fällen, in denen der Beklagte durch ausdrückliche Vereinbarung oder durch vorbehaltlose Einlassung sich dem urteilenden Gericht unterworfen hat. Auch eine ausdrückliche Vereinbarung muss sich auf bestimmte Eechtsstreitigkeitën beziehen, z. B. auf die aus einem bestimmten Vertrag entstehenden Streitigkeiten. Eine Fakturenklausel oder die blosse Vereinbarung eines Erfüllungsortes genügen nicht. -- Die italienische Gerichtspraxis ist sehr zurückhaltend in der Anerkennung von Gerichtsstandsklauseln, durch welche die Zuständigkeit ausländischer Gerichte vereinbart wird. Andererseits spielen aber solche Klauseln im internationalen Handelsverkehr eine bedeutende Eolie.

Auch fällt in Betracht, dass die Schweiz die Fora des Vertragsortes und der Streitgenossenschaft international nicht anerkennt (ebensowenig wie interkantonal) ; durch eine Gerichtsstandsklausel können aber die Parteien einen solchen Gerichtsstand vereinbaren. Um den praktischen Bedürfnissen des Verkehrs Eechnung zu tragen, ergab sich die Notwendigkeit, dass das Abkommen mit Italien die Prorogation in weitem Umfange zulasse. Andererseits musste infolge der italienischen Bedenken doch der Freiheit der Parteien in der Wahl einer Gerichtszuständigkeit des andern Staates eine feste Schranke gesetzt werden. So gelangte man zu folgender Lösung: Wenn sämtliche Parteien im Vollstreckungsstaate Wohnsitz haben, wird eine Unterwerfung unter ein Gericht des andern Staates nicht anerkannt; in allen übrigen Fällen ist die Prorogation anzuerkennen. Dieser Grundsatz erfährt durch den letzten Absatz von Art. 2 eine Ausnahme, wenn nach dem Becht des Vollstreckungsstaates für gewisse Materien eine ausschliessliche Zuständigkeit der Gerichte dieses oder eines dritten Staates besteht. In diesem
Zusammenhang ist auch auf Art. 11 des B G über die Handelsreisenden vom 4. Oktober 1930 (A.S.47, 361) hinzuweisen, wonach Vereinbarungen mit Kleinreisenden, die beim Aufsuchen von Bestellungen abgeschlossen werden, und womit der Käufer auf seinen ordentlichen Gerichtsstand verzichtet, nichtig sind. Durch diese Bestimmung wird im Verkehr mit Kleinreisenden die Vereinbarung eines andern Gerichtsstandes nur dann verboten, wenn sie in der Schweiz beim Aufsuchen von Bestellungen getroffen wird. Es steht dem Käufer frei, nachträglich eine solche Gerichtsstandsvereinbarung einzugehen oder sich vor einem an sich unzuständigen Gericht vorbehaltlos einzulassen. Klauseln, die gemäss diesem Art. 11 nichtig sind, sind keine gültigen Vereinbarungen der Gerichtszuständigkeit im Sinne von Art. 2, Nr. 2, des Abkommens. Die zitierte Gesetzesbestimmung versagt solchen Abreden die Anerkennung, weil sie unter gewissen besondern, näher umschrieBundesblatt. 85. Jahrg. Bd. 1.

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238 beuen Umständen zustande gekommen sind, welche die Erwirkung der Prorogation als gegen die guten Sitten verstossend erscheinen lassen; die Erfahrungen die mit eingeschmuggelten Klauseln gemacht wurden, die dem Willen der Parteien nicht entsprechen und schon, in der Begel wegen Betrugs oder Irrtums anfechtbar sind, veranlassten den Gesetzgeber zur Aufnahme des erwähnten Artikels 11 (Praxis des Bundesgerichts, Bd. 21, S. 522 ff.). Im übrigen hat diese Frage im. Verhältnis zu Italien geringere Bedeutung als gegenüber ge· wissen andern Staaten, da derartige Klauseln im Verkehr ini t Heimreisenden.

aus gewissen andern Staaten viel häufiger vorkommen.

Als weitere Zuständigkeitsgründe werden, wie in unsern übrigen neuen Verträgen, unter Nr. 3 die Geschäftsniederlassung in bezug auf Ansprüche aus ihren Betrieben und unter Nr. 4 den Fall der Widerklage angeführt.

Durch Nr. 5 wird, die Zuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates in Status-, Handlungsfähigkeits- und Familienrechtssacheri anerkannt. Damit ist keineswegs gesagt, dass diese Zuständigkeit eine ausschhessliche sei; sie konkurriert vielmehr in der Eegel mit den in andern Nummern des Art. 2 genannten Zuständigkeiten. So gelten auch gemäss Nr. l die Gerichte des Domizilstaates als ebenfalls zuständig, soweit nicht der im letzten Absatz von Art. 2 statuierte Vorbehalt Platz greift. Der Begriff der Statussachen ist in der Schweiz zwar wesentlich enger als in Italien, doch ist dies deshalb ohne Bedeutung, weil in Nr. 5 auch die Familienrechtssachen, ausdrücklich erwähnt werden und diejenigen Fälle, die nach italienischer, aber nicht nach schweizerischer Auffassung als Statussachen gelten, ohnehin durch den Ausdruck «Familienrechtssachen» erfasst werden. Selbstverständlich ist, dass auch die vermögensrechtlichen Ansprüche aus Familienrecht zu den Familienrechtssachen gehören. Insofern umfasst Nr. 5 auch einige Ansprüche, die unter Art. 59 BV fallen würden. Diese Ausnahme von der Garantie des Wohnsitzgerichtsstandes, die nur für italienische Staatsangehörige gemacht wird, stützt sich auf den Vorbehalt staatsverträglicher Bestimmungen im Abs. 2 des Art. 59.

-- Die Frage, auf die Nationalität welcher Personen abzustellen ist, kann unter Umständen Schwierigkeiten bereiten, wenn nicht sämtliche Parteien Angehörige des Urteilsstaates sind. Es gibt
Entscheidungen, bei denen es bloss auf die Nationalität einer einzigen Person ankommt, so z. B. bei einer Verschollenerklärung oder Eritrnündigung nur auf die Person, die verschollen erklärt oder entmündigt werden soll. Bei Trennung, Scheidung und Anfechtung einer Ehe kommt es natürlich auf die Nationalität beider Ehegatten an; Nr. 5 findet bloss dann Anwendung, wenn beide Ehegatten dem Urteilsstaate angehören. Die Frage, auf welche Personen z. B. bei Vaterschaftsklagen, Klagen auf Anfechtung der Ehelichkeit usw. abzustellen sei, bleibt der Gerichtspraxis überlassen, da es sich nicht darum handeln konnte, diese schwierigen international-privatrechtlichen Fragen nebenbei im Vollstreckungsabkommen zu lösen. Der Grundsatz aber, dass da, wo auf die Nationalität mehrerer Personen abzustellen ist, Nr. 5 nur dann zur Anwendung gelangt, wenn alle diese mehreren Personen Angehörige des Urteilsstaates sind, gelangt in-der Fassung der Be-

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Stimmung zum Ausdruck. Auch die Fälle des Doppelbürgerrechts und des Nationalitätswechsels waren nicht in diesem Abkommen zu ordnen. Doppelbürger, die sowohl Schweizer als auch Italiener sind, fallen jedenfalls nicht, unter Nr. 5, da sie im Vollstreckungsstaate als dessen eigene Angehörige und.

nicht als Angehörige des Urteilsstaates gelten.

Was speziell die Ehetrennung und Ehescheidung anbelangt, führt Nr. 5 keine Änderung gegenüber dem bisherigen Eechtszustand herbei. Schweizerischen Ehegatten steht für die Scheidung oder Trennung immer ein schweizerischer Gerichtsstand zur Verfügung; dieser ist dann kein ausschliesslicher, wenn beide Ehegatten im Ausland, und zwar in demselben Staate wohnen (BGE 662 339 ff.). Wohnen beide in Italien, so können sie vor den italienischen Gerichten auf Trennung, nicht aber auf Scheidung klagen. Italienische Ehegatten dürfen, da das italienische Eecht die Ehescheidung nicht zulässt, weder in ihrer Heimat noch in der Schweiz auf Scheidung klagen ; auf Trennung können sie in der Schweiz dann klagen, wenn beide Ehegatten in der Schweiz wohnen (BGE 582 190 ff, und Nr. l des Art. 2). Die von einem Italiener gerichtlich getrennte und dann wiedereingebürgerte Schweizerin kann in der Schweiz auf Scheidung nach schweizerischem Bechte klagen. In Italien wird eine solche Scheidung nicht anerkannt (BGE 58 2 93 ff.).

Nr. 6 bezieht sich auf Erbschaftsstreitigkeiten. Art. 17 des Niederlassungsund Konsularvertrages mit Italien vom 22. Juli 1868 bezeichnet die Gerichte des Heimatstaates als zuständig in Streitigkeiten zwischen den Erben eines in der Schweiz verstorbenen Italieners oder eines in Italien verstorbenen Schweizers. Deshalb wird in Nr. 6 die heimatliche Gerichtszuständigkeit bei Erbschaftsstreitigkeiten aufgenommen, dabei ist die Einschränkung auf die im andern Vertragsstaate verstorbenen Erblasser weggelassen worden ; denn wenn die Zuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates in diesem Ealle anerkannt wird, ist sie a fortiori anzuerkennen, wenn der Erblasser in seinem Heimatstaat oder in einem dritten Staate gestorben ist.

Bei dinglichen Klagen betreffend Immobilien wird laut Nr. 7 die Zuständigkeit der Gerichte des Landes der gelegenen Sache anerkannt.

Der letzte Absatz des Artikels 2 sieht eine Ausnahme von den Nrn. l--4 vor, indem er gegenüber der allgemeinen
Begel, dass die Gerichte des Urteilsstaätes als zuständig anzusehen sind, sobald die in einer dieser Nummern genannten Voraussetzungen erfüllt sind, die Eälle vorbehält, in denen nach dem Eecht des Vollstreckungsstaates in betreff bestimmter Streitigkeiten die Gerichte des Vollstreckungsstaates oder eines dritten Staates als ausschliesslich zuständig gelten. Es sind dies Fälle, in denen in bestimmten Materien mit Bücksicht auf deren Eigenart eine solche ausschliessliche Zuständigkeit begründet ist. So ist beispielsweise in beiden Staaten für dingliche Klagen betreffend Immobilien die Zuständigkeit der Gerichte des Landes der gelegenen Sache eine ausschliessliche. Ebenso sind für gewisse Klagen aus gewerblichem Eigentum, z. B. auf Nichtigkeit eines ·Erfindungspatents oder einer Marke die Gerichte des Staates ausschliesslich zuständig, auf dessen Gesetzen das Patent

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oder die Marke usw. beruht. Auch für gewisse Klagen gegen den Staat ist eine Zuständigkeit .ausländischer Gerichte ausgeschlossen. Darauf, dass unter gewissen Voraussetzungen die heimatlichen Gerichte für die Scheidung oder Trennung ausschliesslich unständig sind, wurde schon oben hingewiesen. Die angeführten Beispiele dürften zur Erläuterung des letzten Absatzes von Art. 2 genügen; eine erschöpfende Aufzählung der hierher gehörenden Fälle kann nicht gegeben werden.

Art. 8 befasst sich speziell mit der Vollstreckung von Entscheidungen (im Gegensatz zur blossen Anerkennung). Die Geltendmachung von Entscheidungen zum Zwecke der Eintragung oder Einschreibung in öffentliche Register wird im Art. 8 wie ein Fall von Vollstreckung behandelt, während sie sonst meistens als ein Fall von blossei- Anerkennung aufgefasst wird. Praktisch fällt als solches öffentliches Register insbesondere das Zivilstandsregister in Betracht.

Die Vollstreckung ist- an die Voraussetzung geknüpft, dass die Entscheidung den im Art. l aufgeführten Erfordernissen genüge und zudem irn Urteilsstaate volle Vollstreckungskraft habe. Letzteres Erfordernis ist nicht erfüllt, wenn die Entscheidung im Urteilsstaate zwar vollstreckbar geworden war, aber nachträglich ihre Vollstreckbarkeit wieder verloren hat.

Das Verfahren für die Feststellung der Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach dem Eecht des Vollstreckungsstaates. Jedes Verfahren, in dem die Vollstreckbarkeit festgestellt wird, ist eine «Vollstreckbarerklärung» im Sinne von Art. 3, Abs. l und 2. Das Abkommen schreibt also keineswegs vor, dass ein besonderes Delibationsverfahren stattfinden müsse, sondern stellt die Ordnung des Verfahrens, in dem über die Vollstreckbarkeit zu entscheiden ist, ganz dem Vollstreekungsstaat anheim. In der Schweiz wird daher, wenn die Verurteilung auf eine Geldzahlung oder eine Sicherheitsleistung gerichtet ist, im Eechtsöffnungsverfahren zu entscheiden sein, ob die italienische Entscheidung gemäss dem Abkommen vollstreckbar is"t. Was ferner eine Einschreibung im Zivilstandsregister auf Grund italienischer Urteile anbelangt, so schliesst Art. 8 die Möglichkeit nicht aus, dass die kantonale Aufsichtsbehörde über dieses Begister von sich aus die Einschreibung anordne, und dass sie bloss in nicht liquiden Fällen die Einschreibung von der Durchführung eines
gesonderten Exequaturverfahrens abhängig mache. Das Abkommen steht nämlich einer solchen Erleichterung des Verfahrens nicht entgegen; es verbietet nicht, dass die Aufsichtsbehörde selber feststelle, ob die staatsvertraglichen Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit erfüllt sind; nur ist eine derartige Feststellung durch die Aufsichtsbehörde bloss von Bedeutung für die Einschreibung in die Register und nicht für eine sonstige Vollstreckung der Entscheidung.

Zur Vollstreckung eines schweizerischen Urteils, in Italien bedarf es nach der dort gegenwärtig geltenden ZPO der vorgängigen Durchführung eines Delibationsverfahrens vor dem Appellationshof. Die bevorstehende Revision der italienischen ZPO wird das Verfahren vereinfachen.

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Art. 4 bestimmt, dass der Eicht er des Vollstreckungsstaates bei der Prüfung der die Zuständigkeit der Gerichte des Urteilsstaates begründenden Tatsachen an die tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung nicht gebunden ist. Eine Nachprüfung der Gesetzmässigkeit der Entscheidung ist ausgeschlossen.

Art. 5 bezeichnet im Absatz l die Ausweise, die von der Partei beizubringen sind, welche die Anerkennung oder Vollstreckung erlangen will. Es sind dies eine vollständige Ausfertigung der Entscheidung und die zur Feststellung der Rechtskraft erforderlichen Belege. Ist eine Rechtskraftbescheinigung nicht erhältlich, so ist durch andere geeignete Urkunden darzutun, dass die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Bei Säumnisurteilen ist auch ein Beleg über die gehörige Ladung des Beklagten vorzulegen. Urkunden, die nicht in der amtlichen Sprache der Behörde abgefasst sind, die über die Anerkennung oder Vollstreckbarkeit zu entscheiden hat, sind mit einer Übersetzung zu versehen, sofern nicht die Behörde darauf verzichtet. Die Übersetzung muss von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter des einen oder des andern der beiden Staaten als richtig bescheinigt sein.

Die Frage, ob und in welchen Fällen die laut Absatz l beizubringendeu Ausweise einer Beglaubigung bedürfen, wird im Abs. 2 geordnet: Eine Beglaubigung ist nicht nötig, wenn die Urkunde von einem Gericht ausgestellt, aufgenommen oder beglaubigt ist; schweizerische administrative Vormundschaftsbehörden sind in dieser Hinsicht den Gerichten gleichgestellt.

Art. 6 enthält eine Bestimmung, die sich In unsern übrigen Vollstreckungsverträgen nicht vorfindet. Sie bezieht sich auf das Armenrecht und lehnt sich an Art. 9 des französisch-italienischen Abkommens an. Wer im Urteilsstaate für den Prozess das Arinenrecht erlangt hat, geniesst ohne weiteres auch im Vollstreckungsstaate das Armenrecht für das Verfahren zur Erlangung dei.1 Anerkennung oder zur Vollstreckbarerklärung des Urteils. Er braucht für dieses Verfahren nicht neuerdings ein Armenrechtsgesuch zu stellen.

In der Behandlung der Schiedssprüche und der gerichtlichen Vergleiche lehnt sich Art. 7 an den Haager Entwurf und an unsere Verträge mit Österreich und mit der Tschechoslowakei an. Die für gerichtliche Entscheidungen massgebenden Voraussetzungen gelten auch für Schiedssprüche
und für gerichtliche Vergleiche, soweit sie darauf ihrer Natur nach Anwendung finden können.

Italien gehört auch dem "Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche an. Wer einen schweizerischen Schiedsspruch in Italien oder einen italienischen Schiedsspruch in der Schweiz vollstrecken will, hat die Wahl, ob er sich auf das Genfer Abkommen oder auf Art. 7 des schweizerisch-italienischen Abkommens berufen will (letzterer Weg dürfte in der Regel einfacher sein). . Vor Schiedsrichtern abgeschlossene Vergleiche wurden auf Wunsch Italiens in das Abkommen nicht aufgenommen.

Art. 8 lässt die Einrede der Streitanhängigkeit zu. Ist eine Streitigkeit schon vor den Gerichten des einen Staates anhängig, und ist deren Zuständigkeit gemäss Art. l, Nr. l, anzuerkennen, so kann, wenn die gleiche Streitigkeit auch vor die Gerichte des andern Staates gebracht Svird. die Litispendenz-

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einrede erhoben werden. Unsere andern Vollstreckungsabkommen enthalten keine derartige Bestimmung, wohl aber enthält Art. 19 des französisch-italienischen Vertrages eine solche. Schweizerische Gerichte haben schon wiederholt (ohne staatsvcrtragliche Bindung) eine auf die Bechtshängigkeit vor ausländischen Gerichten gestützte Litispendenzeinrede zugelassen.

Art. 9 schliesst gewisse-Kategorien von Entscheidungen vom Anwendungsbereich des Abkommens aus. Die Arreste und vorsorglichen Verfügungen, die Adhäsionsurteile und ferner die Entscheidungen in Konkurssachen fallen nicht unter das Abkommen. Der Ausdruck «Konkurssachen» umfasst, wie in den Verhandlungen übereinstimmend festgestellt wurde, auch das Nachlassvertragsverfahren und ähnliche Konkurssurrogate.

Art. 10 bildet das Gegenstück zur Nicht Vollstreckung aiisländischer vorsorglicher Verfügungen. Weil die von den Behörden des andern Staates getroffenen vorsorglichen Verfügungen nicht vollstreckt werden, wird dafür gesorgt, dass bei den inländischen Behörden eine vorsorgliche Verfügung direkt erwirkt werden kann. Dieser Grundsatz ist auch in mehreren Kollektivabkommen enthalten, z. B. im Haager Vormundschaftsabkommen und im Haager Erbrechtsentwurf; eine solche Klausel findet sich auch im Art. 82 des französisch-italienischen Vertrages.

Den gerichtlichen Entscheidungen werden durch Art. 11 solche Entscheidungen schweizerischer administrativer vorimmdschaftlicher Behörden gleichgestellt, die Schweizerbürger betreffen.

Art. 12 umschreibt den Begriff des Wohnsitzes im Sinne des Abkommens.

Art. 2 stellt in Nr. l und 2 auf den Wohnsitz (des Beklagten im Urteilsstaat bzw. sämtlicher Parteien im Vollstreckungsstaat) ab. Da aber der zivilrechtliche Wohnsitzbegriff des schweizerischen Eechts von demjenigen des italienischen in mehrfacher Hinsicht abweicht, erschien es als augezeigt, eine Definition des Wohnsitzes aufzustellen, die für die Anwendung von Art. 2, Nr. l und 2, massgebend sein solle. Diese Umschreibung schliesst sich primär an den Wohnsitzbegriff unseres ZGB an. Nr. .1 bestimmt den selbständigen Wohnsitz und stellt hierfür eine mit Art. 23, Abs. l, ZGB übereinstimmende Norm auf. Nur für den Fall, dass in keinem der beiden Vertragsstaaten sich ein Wohnsitz im.Sinne dieser Norm befindet, wird auf ein subsidiäres Kriterium abgestellt, das sich
an den italienischen Domizilbegriff anlehnt. In diesem Falle gilt als Wohnsitz der Ort, wo sich in einem der beiden Staaten der hauptsächliche Sitz der Interessen der in Frage stehenden Person befindet ; vorausgesetzt ist, dass der hauptsächliche Sitz der Interessen sich überhaupt in einem der beiden Staaten und nicht etwa in einem dritten Staate befinde. Nr. 2 und 3 betreffen den abgeleiteten Wohnsitz und weichen nur in einem Punkte von Art. 25 ZGB ab.

Als Wohnsitz eines Bevormundeten gilt nach "Nr. 2 der Wohnsitz des Vormunds und nicht der Sitz der Vormundschaftsbehörde. Diese Abweichung von Art. 25 ZGB rechtfertigt sich, weil die Wohnsitzdefinition des Art. 12 nur auf Fragen der Gerichtszuständigkeit anwendbar ist (vgl. Art. 47 SchKG, wo ebenfalls

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auf den Wohnsitz des gesetzlichen Vertreters abgestellt -wird). Als Wohnsitz einer Gesellschaft gilt gemäss Nr. 4 der Ort, wo der Gesellschaftssitz sich befindet.

Art. 18 stellt ausdrücklich fest, dass anderweitige Vereinbarungen, die Bestimmungen über die Gerichtszuständigkeit und die Urteilsvollstreckung enthalten, durch das neue Abkommen nicht berührt werden (vgl- Art. 9 unseres Vertrages mit Österreich und Art. 36 des französisch-italienischen Abkommens).

Hieher gehören z. B. die in den Bemerkungen zum Art. 2 erwähnten staatsvertraglichen Bestimmungen über die Zuständigkeit in Erbschaftsstreitigkeiten und Vormundschaftssachen, ferner die einschlägigen Bestimmungen der beiden "Übereinkommen vom 23. Oktober 1924 über den Eisenbahnfrachtverkehr und über den Eisenbahnpersonen- und -gepäckverkehr, sowie auch Art. 18 und 19 der Haager Zivilprozesskonvention vom 17. Juli 1905. Ebenso gilt das Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche neben dem schweizerisch-italienischen Vollstreckungsabkommen weiterhin.

Art. 14 sieht für die Vollstreckbarerklärung der Kostenentscheidungen, die unter Art. 18 der Haager Zivilprozesskonvention fallen, den direkten Weg vor. Es ist dies eine Sonderveroinbarung im Sinne von Abs. 8 des erwähnten Art. 18, durch die der diplomatische Weg ausgeschaltet wird. Die Schweiz hat bereits mit einigen andern Staaten eine derartige Abmachung getroffen (vgl, die Zusammenstellung im Kreisschreiben des Justiz- und Polizeidepartements vom 27. Dezember 1929, Bundesbl. 1929, Bd. III, 1059).

Wie im Haager Entwurf und wie in andern neuen Vollstreckungsabkommen wird im Art. 15 ausdrücklich festgestellt, dass das Abkommen ohne Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit der Parteien anzuwenden ist. Eine Ausnahme macht Art. 11 bei Entscheidungen administrativer vormundschaftlicher Behörden. Der Grundsatz, wonach das Abkommen ohne Eücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien anzuwenden ist, hindert nicht, dass eine Norm über die Gerichtszuständigkeit auf die Staatsangehörigkeit abstellen kann (vgl. z. B. Art. 2, Nr. 5 und 6).

Das Abkommen. ist auf die italienischen Kolonien nicht anwendbar, jedoch behält Art. 16 die Möglichkeit vor, dass es später durch Notenaustausch auch auf diese Kolonien ausgedehnt werde. Die Eegierungen der beiden Staaten können sich später
auf einen solchen Notenaustausch einigen.

Für allfällige Anstände über die Anwendung oder Auslegung des Vollstreckungsabkommens verweist Art. 17 auf den schweizerisch-italienischen Vertrag zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren vom 20. September 1924 (A.S. 41, 179). Die Möglichkeit, im Einzelfall abweichende Bestimmungen über das Verfahren zu vereinbaren, wird im Art. 17 vorbehalten, weil bei Anständen aus dem Vollstreckungsabkominen gewisse Vereinfachungen des Verfahrens zweckmässig sein können (z. B. eine Abkürzung der Fristen oder auch die Einleitung des Gerichtsverfahrens ohne vorgängiges. Vergleichsverfahren).

244 Art. 18 enthält Schiusa- und Übergangsbestimmungen. Das Abkommen soll einen Monat nach dem Austausch der Eatifikationsurkunden in Kraft treten und erst ein Jahr nach erfolgter Kündigung ausser Kraft treten. Abs. 2 sehliesst die sogenannte Bückwirkung aus, indem er bestimmt, dass vor dem Inkrafttreten des Abkommens in Bechtskraft erwachsene Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüche, sowie vor diesem Zeitpunkt abgeschlossene gerichtliche Vergleiche überhaupt nicht unter das Abkommen fallen.

Wir erinnern daran, dass schon 1868 bei den Verhandlungen mit Italien über den Niederlassungs- und Konsularvertrag eine Verständigung über die gegenseitige Vollstreckung von Zivilurteilen angestrebt worden war; damals scheiterte der Versuch. Insbesondere seit 1919 haben sich die Nachteile des vertragslosen Zustandes in starkem Masse fühlbar gemacht. Bei der heutigen Entwicklung des Verkehrs und dem ausgedehnten Umfang der rechtlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten ist eine vertragliche Regelung der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen dringend notwendig geworden. Das vorhegende Abkommen entspricht wichtigen praktischen Bedürfnissen. Seine Wünschbarkeit ist von den Interessentenkreisen bejaht und auch im Ständerat hervorgehoben worden. Wir beantragen Ihnen, das Abkommen durch Annahme des nachstehenden Beschlussentwurfs zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 6. Februar 1933.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schultiiess.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

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(Entwurf.)

Bundeslbeschluss betreffend

das Abkommen mit Italien über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 6. Februar 1933, beschliesst:

Art. 1.

Das Abkommen zwischen der Schweiz und Italien vom 8. Januar 1933 über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen wird genehmigt.

Art, 2.

Der Bundesrat wird mit dem Vollzüge dieses Beschlusses beauftragt.

246 Ubersetgung.

Abkommen zwischen

der Schweiz und Italien über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.

Der Schweizerische Bundesrat und Seine Majestät der König von Italien, von dem Wunsche geleitet, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung der Urteile zu regeln, haben beschlossen, ein Abkommen zu schliessen, und haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat: Herrn Georges Wagniere, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister, Seine Majestät der König von Italien: S. E. Benito Mussolini, Kegierungschef, Minister, Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten; die nach Mitteilung ihrer Vollmachten, die in guter und gehöriger Form befunden worden sind, folgende Bestimmungen vereinbart haben:

Art. 1.

Den von den Gerichten eines der beiden Staaten gefällten Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen kommt auf dem Gebiete des andern Staates Eechtskraft zu, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Dass die Entscheidung von einem Gerichte gefällt wurde, das nach Massgabe des Art. 2 dieses Abkommens oder, in Ermangelung staatsvertraglicher Bestimmungen, nach den Grundsätzen zuständig ist, die nach dem Eechte des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, über die internationale Zuständigkeit der Gerichte bestehen;

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·2. dass die Anerkennung der Entscheidung nicht gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die Grundsätze des öffentlichen Bechts des Staates verstösst, in dem die. Entscheidung geltend gemacht wird, insbesondere . dass diese nicht mit einer Entscheidung im Widerspruch steht, die in der nämlichen Streitigkeit von einem Gerichte dieses Staates schon gefällt worden ist; 3. dass die Entscheidung nach dem Rechte des Staates, in dem sie gefällt wurde, die Rechtskraft erlangt hat: 4. dass im Falle eines Versäuimiisurteils die den Prozess einleitende Ladung rechtzeitig der säumigen Partei oder ihrem zur Empfangnahme''berechtigten Vertreter zugestellt wurde. Hatte die Zustellung im Gebiete des Staates zu geschehen, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, so muss sie im Eechtshilfewege bewirkt worden sein.

Das Verfahren der Anerkennung der Rechtskraft bestimmt sich nach dem Eechte des ersuchten Staates.

Art, 2.

Die Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in dein die Entscheidung gefällt wurde, ist im Sinne von Art, l, Xr. l, begründet, wenn sie durch Staatsvertrag vorgesehen ist oder in den folgenden Fällen: 1. Wenn der Beklagte seinen Wrohnsitz in diesem Staate hatte; 2. wenn der Beklagte durch eine ausdrückliche Vereinbarung sich mit Bezug auf bestimmte Streitigkeiten der Zuständigkeit des Gerichts unterworfen hatte, das die Entscheidung gefällt hat, es sei denn, dass sämtliche Parteien ihren Wohnsitz in dem Staate hatten, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird.

Dasselbe gilt, wenn der Beklagte sich vorbehaltlos auf den Rechtsstreit eingelassen hat ; 3. wenn der Beklagte am Orte seiner geschäftlichen Niederlassung oder Zweigniederlassung für Streitigkeiten aus dem Betriebe dieser Nieder; lassung belangt worden ist; 4. im Falle einer Widerklage, die mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen diesen vorgebrachten Verteidigungsmitteln in rechtlichem Zusammenhange steht ; 5. in Personenstands-, Handlungsfähigkeits- oder Familienrechtssachen von Angehörigen des Landes, in dem die Entscheidung gefällt wurde; 6. in · Erbschaftsstreitigkeiten zwischen den Erben eines Angehörigen des Landes, in dem die Entscheidung gefällt wurde; 7. wenn eine dingliche Klage sich auf ein Grundstück bezieht, das im Lande gelegen ist, in dem die Entscheidung gefällt wurde.

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Indessen sind die Bestimmungen der Nr. l--4 hievor auf Streitigkeiten nicht anzuwenden, in denen das Becht des ersuchten Staates dessen eigene Gerichte oder diejenigen eines dritten Staates als ausschliesslich zuständig anerkennt.

Art. 8.

Die von den Gerichten des einen der beiden Staaten gefällten Entscheidungen, die die im Art. l aufgeführten Voraussetzungen erfüllen, können im andern Staate nach ihrer Vollstreckbarerklärung zur Zwangsvollstreckung gelangen oder die Grundlage für Förmlichkeiten, wie die Eintragung oder Einschreibung in öffentliche Register, bilden.

Im ersuchten Staate werden nur Entscheidungen vollstreckbar erklärt, die im Staate, in dem sie gefällt wurden, volle Vollstreckungskraft besitzen.

Das Verfahren bestimmt sich nach dem Beehte des ersuchten Staates.

Art. 4.

Die Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, sind bei der Prüfung der Tatsachen, die die Zuständigkeit der Gerichte des andern Staates begründen, nicht an die tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung gebunden.

Eine Nachprüfung der Gesetzmässigkeit der Entscheidung findet nicht statt.

Art. 5.

Die Partei, die die Entscheidung geltend macht, hat beizubringen : 1. Eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt; 2. die Urkunden, die dartun, dass die Entscheidung in Bechtskraft erwachsen ist und gegebenenfalls, dass sie vollstreckbar ist; 8. die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift der Ladung der nicht erschienenen Partei; 4. die von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter eines der beiden Staaten als richtig bescheinigte Übersetzung der vorstehend aufgeführten Urkunden, sofern nicht die ztiständige Behörde von der Verpflichtung hierzu befreit hat.

Sind diese Urkunden von den Gerichten eines der beiden hohen vertragschliessenden Teile oder von den in Art. 11 dieses Abkommens genannten Behörden aufgenommen^ ausgestellt oder beglaubigt, so bedürfen sie zum Gebrauch im Gebiete des andern Staates keiner Beglaubigung, wenn sie mit dem Stempel oder Siegel des Gerichts oder der erwähnten Behörde versehen sind.

Art. 6.

Die in einem der beiden Staaten zum Armenrecht zugelassene Partei geniesst von Bechts wegen auf dem Gebiete des andern Staates das Armen-

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recht im Verfahren der Anerkennung oder der Vollstreckbarerklärung der zu ihren Gunsten ergangenen Entscheidung.

Art, 7.

Die in einem der beiden Staaten gefällten Schiedssprüche, die dort dieselbe Wirksamkeit wie die gerichtlichen Entscheidungen haben, werden im andern Staat anerkannt und für vollstreckbar erklärt, wenn sie den Vorschriften der vorstehenden Artikel genügen, soweit diese Anwendung finden können.

Dasselbe gilt für die gerichtlichen Vergleiche.

Art. S.

Auf Begehren einer Partei haben die Gerichte eines der beiden Staaten das Eintreten auf ihnen vorgelegte Streitigkeiten abzulehnen, wenn diese Streitigkeiten schon vor einem Gerichte des andern Staates anhängig sind, vorausgesetzt, dass dieses Gericht nach Massgabe der Bestimmungen des gegenwärtigen Abkommens zuständig ist.

Art, 9.

Aul' Arreste und andere einstweilige Verfügungen sowie auf die in einem Strafverfahren ergangenen Entscheidungen über privatrechtliche Ansprüche und auf Entscheidungen in Konkurssachen findet dieses Abkommen keine Anwendung, Art, 10.

Die in der Gesetzgebung eines der beiden Staaten vorgesehenen vorläufigen oder sichernden Massnahmen können bei den Behörden dieses Staates nachgesucht werden, welches immer auch die Gerichtszuständigkeit zur Entscheidung über die Sache selbst sei.

Art. 11.

Entscheidungen anderer als gerichtlicher Behörden, die in der Schweiz sur Anordnung und Beaufsichtigung der Vormundschaft berufen sind, werden nur, soweit sie schweizerische Staatsangehörige betreffen, in Ansehung des gegenwärtigen Abkommens den gerichtlichen Entscheidungen gleichgestellt.

Art, 12.

Der Ausdruck «Wohnsitz» bedeutet im Sinne des gegenwärtigen Abkommeiis : 1. Für den handlungsfähigen Volljährigen, für den mündig Erklärten und für den Volljährigen, der bloss zur Vornahme gewisser Handlungen der Mitwirkung eines Beirates bedarf, den Ort, wo er sich in einem der beiden Staaten mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält oder, in Er-

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mangelung eines solchen Ortes, den Ort in einem der beiden Staaten, an dem sich der hauptsächliche Sitz seiner Interessen befindet; 2, für Personen, die unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft stehen, den Ort- des Wohnsitzes ihres gesetzlichen Vertreters; 3, für die -Ehefrau den Ort des Wohnsitzes des Ehemannes. Ist jedoch der Wohnsitz des Ehemannes unbekannt, oder ist die Ehefrau von Tisch und Bett getrennt oder berechtigt, einen selbständigen Wohnsitz zu haben, so bestimmt sich der Wohnsitz der Ehefrau nach Massgabe von Nr. l ; 4, für Gesellschaften den Ort, an dem sich der Gesellschaftssitz befindet.

Art. 13.

Die Bestimmungen der Vereinbarungen, die hinsichtlich besonderer Hechtsgebiete die Gerichtszuständigkeit und die Urteilsvollstreckung regeln, werden durch das gegenwärtige Abkommen nicht berührt.

Art. 14.

Die in Art. 18, Abs. l und 2, der Haager Übereinkunft über Zivilprozessrecht vom 17. Juli 1905 genannten Kostenentscheidungen, die in einem der beiden Staaten ergangen sind, werden im Gebiete des andern Staates auf ein von der beteiligten Partei unmittelbar zu stellendes Begehren als vollstreckbar erklärt.

Art. 15.

Die Bestimmungen dieses Abkommens sind ohne Bücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien anzuwenden.

Art. 16.

Die hohen vertragschliessenden Teile behalten sich vor, im gemeinsamen Einverständnis durch Notenaustausch das gegenwärtige Abkommen auf die italienischen Kolonien auszudehnen.

Art. 17.

Airfällige Streitigkeiten zwischen den hohen vertragschliessenden Teilen " über die Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens sollen nach Massgabe der Bestimmungen des Vertrages zur Erledigung von Streitigkeiten im Vergleichs- und Gerichtsverfahren vom 20. September 1924 erledigt werden, es sei denn, dass die hohen vertragschliessenden Teile übereinkommen, eine andere Art der Regelung vorzusehen.

Art. 18.

Dieses Abkommen soll ratifiziert werden. Die Batifikationsurkunden sollen so bald als möglich in Bern ausgetauscht werden.

251 Das Abkommen urkunden in Kraft.

Schiedssprüche, die und auf Vergleiche,

tritt einen Monat nach dem Austausch der RatifikationsEs findet keine Anwendung auf Entscheidungen oder vor seinem Inkrafttreten rechtskräftig geworden sind, die vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen worden sind.

Das Abkommen kann von jedem der beiden Staaten gekündigt werden.

Es bleibt jedoch nach erfolgter Kündigung noch ein Jahr in Kraft.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen unterzeichnet.

So geschehen, in doppelter Ausfertigung, in Eom am 8. Januar 1988.

(L. S.) (gez.) Wagniere.

(L. S.) (gez.) Mussolini.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Abkommen mit Italien über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. (Vom 6. Februar 1933.)

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