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8045 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Abänderung des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1932 über die Gewährung einer ausserordentlichen Subvention an die anerkannten Krankenkassen.

(Vom 11. Dezember 1938.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns. Ihnen den Entwurf eines Bundesbeschlusses betreffend die Abänderung des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1932 über die Gewährung einer ausserordentlichen Subvention an die anerkannten. Krankenkassen mit folgender Botschaft vorzulegen.

I. Bedürfnis nach einer Krisenhilfe zugunsten der anerkannten Krankenkassen.

Die Wirtschaftskrise zieht zufolge ihrer langen Dauer auch die Krankenkassen in starke Mitleidenschaft, Unter dem Einfluss der wirtschaftlichen Not sind die Versicherten vielfach versucht; zwecks Erwirkung von Versicberungsleistungen für unbedeutende Gesundheitsstörungen die Kasse in Anspruch zu nehmen oder angemeldete Krankheiten unnötig in die Länge zu ziehen.

Ferner sind zahlreiche Versicherte heute nicht mehr in der Lage, hinreichend für ihren Unterhalt und jenen ihrer Familie zu sorgen. Existenzsorgen in Verbindung mit, Unterernährung und äusserster Kräfteanspannung untergraben die Körperkraft der von der Krise hart Angefassten und liefern sie viel leichter der Krankheit aus. Anderseits steigen die Ausfälle der Krankenkassen an Beiträgen. Mit dem Sinken ihrer Einkünfte fällt es vielen Versicherten schwer, die Krankenversicherungsbeiträge weiter aufzubringen. Ja, ol't sehen sie sieh gezwungen, die Zahlung der Beiträge ganz einzustellen. Diese Verhältnisse zwingen die Kassen, über die in den Statuten vorgesehenen Fristen hinaus Stundungen zu gewähren, wobei die gestundeten Beiträge oft nach einiger Zeit ganz oder teilweise abgeschrieben werden müssen.

857 Die Verluste, die den Kassen aus diesen Verhältnissen erwachsen, sind um so schwerwiegender, als unsere soziale Krankenversicherung sozusagen ausschliesslich auf dem Umlageverfahren aufgebaut ist. Die Krankenkassen verfügen nur über relativ bescheidene Eeserven zur Deckung ihrer Leistungen.

Daher müssen die für die Bestreitung dieser Leistungen erforderlichen Mittel durch verhältnismässig hohe Beiträge aufgebracht werden. Jede weitere Steigerung der Beiträge bedingt aber wieder vermehrte Beitragsausfälle.

Auf diese misslichen Verhältnisse hatte schon eine Eingabe des Konkordates der Schweizerischen Krankenkassen vom 30. Juli 1932 hingewiesen. Die damalige Lage ers'chien aber hoch nicht" als so ernst, dass sich eine sofortige Unterstützungsaktion hätte rechtfertigen lassen. Seither haben sich die Verhältnisse zugespitz't. ' Eine von Herrn Staatsrat Eenaud in Neuenburg unterstützte Eingabe, vom 3i Dezember 1932, der Fédération cantonale neuchâteloise des sociétés de secours mutuels an den Bundesrat hebt die bedauerlichen Folgen hervor, die die Krise in den am meisten betroffenen Gegenden für die Entwicklung der Krankenversicherung nach sich zieht. In dieser Eingabe wird auf die betrübliche Tatsache hingewiesen, dass durchschnittlich 61 % der den Verbandskassen angehörenden Mitglieder arbeitslos sind. In einigen Kassen der beiden Industriezentren des Neuenburger Jura erreicht der Prozentsatz der Arbeitslosen sogar 90 % der Gesamtmitgliederzahl. Die Verbandskassen haben die grösste Mühe, die Mtgliederbeiträge einzutreiben. Schon Ende November 1932 betrug der Beitragsausfall 8000 bis 9000 Franken, was auf den Kopf eines Kassenmitgliedes 60 bis 70 Bappen ausmachte. Zu diesen Ausständen kommen die vermehrten Ausgaben für Kassenleistungen hinzu.

Im Neuenburger Jura ist die Krankenversicherung nicht obligatorisch. Die Kassen laufen deshalb Gefahr, auf den Zuzug neuer Mitglieder sozusagen verzichten zu müssen, da es der jungen Generation zurzeit an Mitteln gebricht, um sich gegen Krankheit versichern zu lassen.

Eine vom Bundesamt für Sozialversicherung im Frühjahr 1988 durchgeführte besondere Erhebung vermag einigen Aufschluss über die Wirkung der Krise auf die Krankenkassen zu geben. Diese Erhebung umfasste 229 Krankenkassen mit rund 800,000 Mitgliedern, d. h. beinahe die Hälfte der Mitglieder
sämtlicher anerkannter Krankenkassen, nämlich 27 öffentliche Kassen, 125 private offene Kassen und 77 Betriebskassen. Gegenüber dein Vorjahr wiesen diese 229 Kassen im Jahre 1932 einen Mitgliederzuwachs von nur 3,3 % auf.

Aus einer Gegenüberstellung dieses prozentualen Zuwachses im Verhältnis zu demjenigen sämtlicher Krankenkassen in den vorausgehenden Jahren folgt, dass der Mitgliederzuwachs seit 1929 ständig im Sinken begriffen ist. Dieses Sinken des Mitgliederzuwachses darf wohl zum grossen Teil auf die Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse zurückgeführt werden.

Der Einfluss der Krise auf die Krankenversicherung geht auch aus der Verminderung des Vermögens bei einer ansehnlichen Zahl Krankenkassen hervor. So wiesen im Jahre 1932 31,4 % der in die erwähnte Erhebung eingeschlossenen 229 Kassen eine Vermögensverminderung auf, während in den

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Vorjahren der Prozentsatz der Kassen mit Vermögens Verminderung, von zwei geringfügigen Ausnahmen abgesehen, beträchtlich geringer war.

Am deutlichsten lägst sich die Krisenwirkung durch die Erhebung über die Beitragsrückstände nachweisen. Im ganzen wurden bei den von der Erhebung erfassten Kassen Fr. 26,221,113 an Mitgliederbeiträgen für das Jahr 1982 fällig. In Wirklichkeit aber gingen nur Fr. 25,451,203 ein, was einem Ausstand von 2,9 % gleichkommt. Im Verhältnis der fälligen Beiträge erreichen die Ausstände: bei den offenen Kassen 2,44 % bei den zentralisierten Kassen 1,65 % bei den öffentlichen Kassen 8J:1 % bei den Betriebskassen 0,8 % Wenn diese Ausstände im Durchschnitt auch wenig ausmachen, so erreichten sie immerhin bei Krankenkassen, deren Mitglieder von der Krise besonders betroffen sind, verhältnismässig hohe Sätze. So betrugen die Ausstände der Betriebskrankenkassen in der Uhrenindustrie durchschnittlich 11,8%.

Die Ergebnisse dieser Erhebungen werden bestätigt durch eine Erhebung des Verbandes der Krankenkassen des Kantons Bern, die ebenfalls 1988 durchgeführt wurde. Von der Erhebung wurden 66,728 Kassenmitglieder erfasst, von denen 5041 ihre Beiträge nicht bezahlen konnten. Dadurch sind den Kassen Ausstände im Betrage von Fr. 50,815 entstanden. Dieses statistische Material diente dem Verband bernischer Krankenkassen als Nachweis für ein Subventionsbegehren, das er der Direktion des Innern des Kantons Bern unterbreitete.

Es führte zur Bewilligung eines besondern Beitrages von Fr. 20,000 durch den Begierungsrat des Kantons Bern an die Prämien arbeitsloser Krankenkassenmitglieder.

Wenn auch die Lage der Krankenkassen vermöge der Krise im allgemeinen noch nicht gefahrdrohend geworden ist, so ergeben die erwähnten Erhebungen doch ein Bild steigender Schwierigkeiten, mit denen die Krankenkassen zumal in den von der Krise hart mitgenommenen Landesteilen zu kämpfen haben.

Anderseits haben diese Erhebungen auch zu erfreulichen Feststellungen geführt. Einmal haben sie gezeigt, wie tief sich die Krankenversicherung im Volke eingelebt hat und wie sehr sie in seinem Bewusstsein verankert ist. Auch in Zeiten wirtschaftlicher Not gibt sich der Versicherte im allgemeinen alle Mühe, die Krankenversicherung aufrechtzuerhalten, weil er weiss, dass das Krankheitsrisiko ständig droht und mit dem
Alter zunimmt, aber auch, weil er sich bewusst ist, dass im vorgerückten Alter die Aufnahme in eine Krankenkasse wenn nicht gar ausgeschlossen, so doch nur unter erschwerenden Bedingungen möglich ist. Anderseits ist anerkennend hervorzuheben, dass die Kassen die rückständigen Mitglieder durch Stundung der Beiträge, vielfach sogar über die statutarischen Grenzen hinaus, durchzuhalten suchen, statt sie unbarmherzig auszuschliessen. Dieses Entgegenkommen gegenüber notleidenden Mitgliedern kann aber für die Kassen, so erfreulich es an sich ist, doch gefähr-

859 lieh sein. Es schafft einmal ein unliebsames Präjudiz, auf das sich bloss saumselige Mitglieder berufen können. Besonders schwer fällt aber die Gefährdung der finanziellen Sicherheit der Kassen durch solches Entgegenkommen ins Gewicht. Wie bereits ausgeführt wurde, sind die Eeserven unserer Krankenkassen bescheidene. Viele Kassen besitzen nicht einmal eine Eeserve in der Höhe einer durchschnittlichen Jahresausgabe. Bei der Möglichkeit unvorhergesehener ausserordentlicher Belastungen, z. B. durch Epidemien oder durch vereinzelte schwere Krankheitsfälle, ist diese Eeserve zu gering, als dass die Kassen es ertrügen, längere Zeit die Beiträge der notleidenden Mitglieder auf sich zu nehmen. "Es darf überdies nicht übersehen weren, dass die Kassen durch das Sinken des Zinsfusses ohnehin eine Einbusse auf den Erträgnissen ihres Vermögens erleiden, ferner, dass ihre Finanzlage durch die wenn auch nur bescheidene Kürzung der ordentlichen Beiträge des Bundes doch etwas in Mitleidenschaft gezogen wird.

So wird die weitere Entwicklung der als wertvoll, ja notwendig erkannten, in langer Aufbauarbeit erstarkten sozialen Institution der Krankenversicherung durch die Krise in Frage gestellt. Dieser Folge ist nach Kräften entgegenzuwirken. Die Krankenversicherung ist im sozialen Leben unseres Volkes ein bedeutender Faktor geworden. Es ergibt sich dies aus der blossen Tatsache, dass über rund anderthalb Millionen Einwohner der Schweiz, also gegen 40 % unserer Bevölkerung, bei anerkannten Krankenkassen gegen Krankheit versichert sind. Einer Institution, die derart im Volke Wurzel gefasst hat, muss sich der Staat annehmen. Er hat im Bahmen des Möglichen die Massnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, eine rückläufige Bewegung in der Krankenversicherung zu verhüten, wie sie bei anhaltender Krise zu befürchten wäre.

Hinsichtlich der Krisenfolgen ist nun allerdings zwischen der obligatorischen und freiwilligen Krankenversicherung zu unterscheiden. Die Krankenversicherung ist von Bundes wegen freiwillig. Dagegen hat der Bund die Kantone ermächtigt, sie allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen obligatorisch zu erklären. Die Kantone sind frei, diese Befugnis den Gemeinden zu übertragen. Im Laufe der Jahre ist die Zahl der obligatorisch Versicherten der Schweiz auf rund 550,000 angestiegen, gegenüber rund einer
Million freiwillig Versicherter. Gewiss machen sich in der obligatorischen Versicherung die erwähnten Schwierigkeiten ebenfalls geltend, da dem Versicherungsobligatorium die minderbemittelten Volksschichten unterstellt sind, die in erster Linie von der Krise betroffen werden. Vom Standpunkt der Krisenhilfe aus ist aber die Lage beider Versichertengruppen eine verschiedene. In der obligatorischen Versicherung zieht einerseits die Einstellung der Beitragszahlung zufolge Existenzschwierigkeiten nicht den Verlust der Krankenversicherung nach sich, indem in solchen Fällen der Kanton bzw. die Gemeinde in die Lücke springt durch Übernahme von Defiziten aus der obligatorischen Versicherung oder durch Übernahme der uneinbringlichen Beiträge obligatorisch Versicherter. Anderseits wird sich in der obligatorischen Krankenversicherung eine Krisenhilfe des Bundes indirekt schon gestützt auf die jetzige

860 Eechtsordnung auswirken. Gemäss Art. 38 KUVG gewährt der Bund Kantonen und Gemeinden, die die Beiträge bedürftiger, obligatorisch versicherter Kassenmitglieder ganz oder teilweise auf sich nehmen, Beiträge bis auf einen Drittel dieser Auslagen. Unter dem Druck der Sparnotwendigkeit hat der Bund den Prozentsatz dieser Beiträge auf einen Fünftel der bezüglichen Ausgaben der Kantone und Gemeinden herabgesetzt. Es ist aber damit zu rechnen, dass die Belastung der Kantone und Gemeinden aus der obligatorischen Krankenversicherung vermöge der Krise ansteigt. Ein Ansteigen dieser Auslagen führt aber automatisch zu entsprechenden Mehrleistungen des Bundes.

Anders verhält es sich dagegen mit der freiwilligen Krankenversicherung.

Diese ist, abgesehen von den festen Bundesbeiträgen, sowie von nur ganz vereinzelten Kantons- bzw. Gemeindebeiträgen, auf sich selbst angewiesen.

Wohl übernehmen Armenbehörden ohne gesetzliche Verpflichtung die Bezahlung ' rückständiger Beiträge für die freiwillige Krankenversicherung. Dies ist jedoch eine Ausnahme. In der Eegel haben die freiwillig Versicherten keine Möglichkeit, in Krisenzeiten von der Beitragszahlung entlastet zu werden. Die Folge davon ist, dass sie bei Unmöglichkeit der weitern Entrichtung der Beiträge ihre Krankenversicherung aufgeben müssen. Eine Hilfsaktion zugunsten der freiwillig Versicherten wird daher in erster Linie Sache des Bundes sein müssen.

II. Organisation der Krisenhilie.

Es erhebt sich die Frage, wie eine Hilfsaktion des Bundes zugunsten der krisenbedrängten Krankenkassen organisiert werden soll. Angesichts der bedrängten Finanzlage, die den Bund nötigt, sogar die ordentlichen Beiträge an die Krankenversicherung herabzusetzen, kann von einer neuen Belastung des Bundes im Gebiete der Krankenversicherung gar nicht die Bede sein. Dagegen fragt es sich, ob die Krisenhilfe nicht in der Weise ermöglicht werden könne, dass die Aufwendungen, die der Bund bereits für Krankcnversicherungszwecke macht, in vermehrtem Masse den durch die Krise betroffenen Krankenkassen zufliessen. Hinsichtlich der ordentlichen Bundesbeiträge für die Krankenkassen muss die Frage wohl verneint werden, weil diese Beiträge gesetzlich auf den Kopf der Versicherten berechnet sind, eine andere Verteilungsart ohne Revision des Gesetzes also nicht durchführbar ist. Dagegen
besteht die erwähnte Möglichkeit bei der ausserordeutlichen Bundessubvention, die den anerkannten Krankenkassen gemäss Bundesbeschluss vom 21. Juni 1932 tur die Dauer von längstens 5 Jahren, mit Beginn ab 1932, zuerkannt wurde, Nach diesem Beschluss nehmen an dieser Subvention alle Krankenkassen teil, die un einzelnen Subventionsjahr anerkannt sind. Dabei ist die Subvention in der Hauptsache als Zuschlag zum ordentlichen Wochenbettbeitrag des Bundes, sowie Kuden ordentlichen Bundesbeiträgen für Frauen und Kinder gedacht. Sie stellt sich also in der Hauptsache bereits als Begünstigung der Wochenbett-, sowie Frauenund Kinderversicherung dar. In dieser Begünstigung kommt eine gewisse Solidarität zwischen den Kassen zum Ausdruck, indem die ausseroidentliche Subvention vornehmlich dahin geleitet wird, wo das Bedürfnis am grössten

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ist. Ganz im Sinne des Systems der ausserordentlichen Subventionierung der Krankenkassen ist es daher auch gelegen, wenn während der noch verbleihenden Geltung des Bundesbeschlusses, d. h. während längstens 3 Jahren, ein Teil der ausserordentlichen Bundessubvention vorweggenommen wird, um als Krisenhilfe an jene Kassen ausgerichtet zu werden, die Beitragsausfälle aus Krisengründen zu verzeichnen haben. Diese Lösung der Krisenhilfe scheint in der Tat die zweckmässigste zu sein. Einerseits bringt sie nur eine Verschiebung in der Verteilung einer bereits beschlossenen Subvention. Anderseits ist die Vorwegnahme des für die Krisenhilfe erforderlichen Betrages von der ausserordentlichen Subvention auch für die Kassen tragbar, weil das in der Kürzung der übrigen Subventionsanteile gelegene Opfer von jenen Kassen gebracht wird, die von der Krise noch nicht oder nur in schwächerem Masse bedroht werden.

Bei dieser Ordnung der Krisenhilfe wäre der Bundesbeschluss vom 21. Juni 1982 über die Gewährung einer ausserordentlichen Subvention an die anerkannten Krankenkassen durch einen neuen Beschluss der eidgenössischen Bäte dahin abzuändern bzw. zu ergänzen, dass in Art. 8 die Verwendung eines bestimmten Betrages zur Durchführung einer Krisenhilfe vorgesehen wird.

Im übrigen ist es angezeigt, die Durchführung der Krisenhili'e einer Verordnung des Bundesrates vorzubehalten, die leichter den gesammelten Erfahrungen angepasst werden kann. 2u diesem Zwecke wäre durch die Kate Art. 6 des genannten Beschlusses, wonach die Pestsetzung der nähern Grundsätze über die Verteilung und Ausrichtung der Subvention dem Bundesrat überlassen bleibt, auch auf die Krisenhilfe anwendbar zu. erklären. Im folgenden sollen die Grundzüge dieser Verordnung kurz dargelegt werden.

Eine Krisenhilfe des Bundes wird sich auf jene Kassen beschränken müssen, die grössere Beitragsausstände aus Krisengründen zu verzeichnen haben. Dies bedingt, dass die Berechtigung auf Krisenhilfe auf Gesuch hin von Fall zu Fall wird geprüft werden müssen. Dabei kann wohl nicht daran gedacht werden, nur jene Kassen an dieser Hilfe teilhaftig werden zu lassen, die selbst nicht imstande sind, die Beitragsrückstände der Krisenbetroffenen auf sich zu nehmen, denn eine solche Einschränkung würde auf eine Benachteiligung der Kassen hinauslaufen, die bisher ihr
Möglichstes getan haben, um die Krankenversicherung auf eine solide Basis zu stellen. Sie würde in der Folge auch bewirken, dass die bessergestellten Kassen weniger sorgfältig auf die finanzielle Sicherheit bedacht sind, um ihre Mitglieder an Hilfsaktionen des Bundes zugunsten finanziell schwächerer Kassen teilhaben zu lassen. Dagegen kann die Verabfolgung der Krisenhilfe, wie dies schon bei der ausserordentlichen Bundessubvention an die anerkannten Krankenkassen der Fall war, dazu benützt werden, um von den Krankenkassen die Ergreifung der Massnahmen zu verlangen, die ihnen zwecks Konsolidierung ihrer finanziellen Lage zugemutet werden dürfen.

Bei der Ausrichtung der Krisenhilfe muss darauf Bedacht genommen werden, dass die Kassen auch ihrerseits Opfer bringen, um den krisenbetroffenen

862 Mitgliedern die Erhaltung der Krankenversicherung zu ermöglichen. Auch ist darauf zu achten, dass die Kassen von sich aus das ihnen Mögliche tun, um Beitragsrückstände zu verhüten. Daher sehen wir vor, dass der Bund die Krisenhilfe nur für jene Mitglieder anerkannter Krankenkassen gewährt, die nachgewiesenermassen zufolge der Krise mit mehr als drei Monatsbeiträgen im Bückstand sind, femer dass der Bund nur die Hälfte der Mitgliederbeiträge vom 4. Monatsausstand an übernimmt. Wollen die Kassen auf die Krisenhilfe Anspruch erheben, so haben sie die 8 ersten ausstehenden Monatsbeiträge, sowie die Hälfte der weitern Ausstände auf sich zu nehmen. Diese teilweise Überwälzung der Beitragsausstände an die Kassen soll für den Subvenienten eine Garantie dafür sein, dass das Prämieninkasso nicht auf Kosten des Bundes vernachlässigt werde. Wenn die Kassen einen Teil des Beitragsausfalles auf sich nehmen müssen, so werden sie von selbst sich bemühen, so viele Beiträge als nur möglich einzubringen.

Die Kassen sind vom Bundesgesetzgeber berechtigt worden, neben der Krankenversicherung auch andere Versicherungszweige zu betreiben. Eine grosse Zahl von Kassen hat neben der Krankenversicherung noch eine Sterbeversicherung eingeführt. Viele Kassen führen auch eine bescheidene Invalidenversicherung. Das Inkasso der Beitrage für diese weitern Versicherungen erfolgt meist gleichzeitig mit jenem der Krankenversicherungsbeiträge. Da der Bund vorderhand nur die Krankenversicherung subventioniert, werden auch nur die Bückstände in der Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge für die Krisenhilfe in Betracht fallen können.

Man hat sich gefragt, ob die Krankenkassen die Krisenhilfe für alle unter der Krise leidenden Mitglieder oder aber nur für die unselbständig Erwerbenden, also in erster Linie für die Arbeitslosen im engern Sinne des Wortes, beziehen sollen. Die Billigkeit spricht entschieden für die Ausdehnung der Hilfsaktion auf sämtliche krisenbetroffene Kassenmitglieder, wie sie auch von grossen Krankenkassen, z, B. von der «Konkordia», Kranken- und Unfallkasse des schweizerischen katholischen Volksvereins, verlangt wird. In der Tat leiden auch selbständig Erwerbende derart unter der Krise, dass sie die Beiträge der Krankenversicherung nicht mehr oder nur unter grossen Opfern aufbringen.

Es wäre nun nicht zu
verstehen, warum für eine Versichertengruppe Bundeshilfe gewährt, für eine zweite, die genau gleich unter der Krise leidet, diese Hilfe aber verweigert wird.

Eine Schwierigkeit bietet allerdings die Feststellung, wann ein Beitragsrückstand als Krisenfolge und wann er als Wirkung anderer Verumständungen, zumal blosser Baumseligkeit, anzusprechen ist. Zwecks Vermeidung von Missbräuchen in dieser Beziehung wird daher festgelegt werden müssen, was als Krisenfolge zu gelten hat. Von selbst versteht sich, dass die bezüglichen Tatbestände von den zuständigen Stellen bescheinigt werden müssen. Ferner wird dem Gesuch der Kassen um Zuerkennung der Kriseiihilfe ein Verzeichnis beizulegen sein, in dem alle mit mehr als 3 Monatsbeiträgen im Bückstand sich befindlichen Mitglieder namentlich aufgeführt sind.

863 Soll die Krisenhilfe des Bundes den verfolgten Zweck erreichen, so muss es den Kassen, die auf diese Hilfe Anspruch erheben, zur formellen Pflicht gemacht werden, dass sie für Beitragsrückstände, die aui die Krise zurückzuführen sind, keine Verzugsfolgen, wie Bussen und Einstellung in der Genussberechtigung, eintreten lassen, noch auch diese Mitglieder aus der Kasse ausschliessen. Dagegen muss den Kassen das Recht zuerkannt werden, Mitglieder, für die sie die Beiträge auf sich nehmen, in eine niedrigere Krankengeldklasse zu versetzen.

Bei Prüfung der Voraussetzungen für die Ausrichtung der Krisenhilfe des Bundes haben wir uns gefragt, ob nicht auch die Kantone bzw. Gemeinden zur Krisenhilfe zugunsten notleidender Krankenversicherter beigezogen werden sollen. Es hätte dies in dem Sinne geschehen können, dass die Hilfeleistung des Bundes von einem bestimmten Zuschuss des Kantons oder der Gemeinde abhängig gemacht wird. Die Überlegung, dass bei einem solchen Verfahren die Kassen jener Kantone und Gemeinden, die wegen ihrer bedrängten Finanzlage von einer Krisenhilfe zugunsten der Krankenversicherten absehen müssen, leer ausgingen, liess uns vom erwähnten Gedanken der Beteiligung von Kanton und Gemeinde an der Krisenhilfe als Bedingung für die Hilfe des Bundes abgehen. Bisher haben nur zwei Kantone, nämlich Bern und Zürich, eine Krisenhilfe zugunsten arbeitsloser Krankenversicherter beschlossen. Dagegen scheint es angezeigt, die Bundeshilfe dann una einen bescheidenen Prozentsatz zu erhöhen, wenn ein Kanton oder eine Gemeinde für die freiwillige Krankenversicherung eine Beihilfe gewährt. In dieser Erhöhung der Bundeshilfe mag ein Ansporn für die finanzkräftigem Kantone und Gemeinden gelegen sein, auch ihrerseits zugunsten der krisenbetroffenen Krankenversicherten etwas zu tun.

Angesichts seiner bedrängten Finanzlage kann der Bund nur insoweit zum Durchhalten der Krankenversicherung über die Krisenzeit beitragen, als sie dem dringendsten Bedürfnisse nach Schutz gegen die wirtschaftlichen Folgen der Krankheit entgegenkommt. Daher sehen wir vor, dass in der Krankengeldversicherung in keinem Fall ein höherer Mitgliederbeitrag als Fr. 4, und in der Krankenpflegeversicherung ein solcher von Fr. 8, auf den Monat gerechnet, berücksichtigt werde. Aus dem gleichen Grunde sehen wir weiter vor, dass bei
Doppelversicherung eines Mitgliedes für Krankengeld nur jene Kasse auf Krisenhilfe berechtigt ist, der das Mitglied länger angehört.

Da die Krisenhilfe drängt, ist es wünschbar, dass der Beschluss als dringlicher Bundesbeschluss behandelt und sofort in Kraft erklärt werde.

in. Umfang der Krisenhilfe.

Welcher Betrag für die vorstehend dargelegte Krisenhilfe des Bundes erforderlich ist, kann nur annähernd ermittelt werden. Auf Grund der Angaben, wie sie im Geschäftsberichte des Bundesrates für das Jahr 1982 enthalten sind, wurde ausgerechnet, dass die in den anerkannten Krankenkassen freiwillig

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Versicherten im Jahre 1981 rund Fr. 45,144,000 an Beiträgen aufbrachten.

Nach der vom Bundesamt für Sozialversicherung für 229 Kassen durchgeführten Erhebung zu schliessen, waren von dieser Summe 2,05 %, d. h. rund Fr. 925,000, unerhältlich. Die mehr als drei Monate lang gestundeten Beiträge hatten nach jenen Erhebungen für sämtliche nicht öffentliche Kassen rund 40 %, nämlich rund Fr. 370,000 ausgemacht. Bei Übernahme der Hälfte der mehr als 3 Monate lang ausstehenden Beiträge hätte sich bei genannter Beitragssummo Jur den Bund eine jährliche Belastung von Fr. 185.000 ergeben. Vergleiche mit dem statistischen Material, das dem Bundesamt für Sozialversicherung von zentralisierten Kassen zugekommen ist, legen dar, dass die genannten Zahlen nicht zu optimistisch sind. Seit 1932 hat sich die Krise nun aber vorschärft. Es ist daher mit einem höhern Prozentsatz der uneinbringlichen Beiträge und damit auch mit einer höhern Belastung des Bundes durch die Krisenhilfe zu rechnen. Immerhin darf angenommen werden, dass ein Betrag von jährlich höchstens Fr. 800,000 vollauf genügt, um die in Aussicht genommene Krisenhilfe zu finanzieren.

Wir ersuchen Sie, dem beigelegten Entwurf eines Bundesbesohlusses zustimmen zu wollen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 11. Dezember 1938.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundcspräsident :

Schulthess.

Der Bundeskanzler: ifaeslin.

865 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Abänderung des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1932 über die Gewährung einer ausserordentlichen Subvention an die anerkannten Krankenkassen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 34t>is der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 11. Dezember 1983, beschliesst :

Art. 1.

Die Art. 3 und 6 des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1982 über die Gewährung einer ausserordentlichen Subvention an die anerkannten Krankenkassen werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 8: «Von der Subvention des einzelnen Jahres wird vom Jahre 1934 hinweg ein Betrag von höchstens Fr. 300,000 zur teilweisen Übernahme von Ausfällen an Mitgliederbeiträgen der freiwilligen Krankenversicherung verwendet, die bei anerkannten Krankenkassen infolge der Auswirkung der Wirtschaftskrise entstanden sind.

Der nicht für diese Krisenhilfe verwendete Anteil der ausserordentlichen Subvention wird nach folgenden Grundsätzen, verteilt: 1. als Zuschlag zum ordentlichen Wochenbettbeitrag des Bundes, abgestuft nach den Aufwendungen der Kassen für das Wochenbett; 2. als Zuschlag zu den ordentlichen Beiträgen in der Krankenversicherung. Die Zahl der Zuschlagsanteile soll in der Krankenpflegeversicherung das Doppelte derjenigen der Krankengeldversicherung be-

866 tragen, und mindestens 75 % des ganzen Zuschlages sollen auf die Versicherung der Frauen und Kinder entfallen. Für die Berechnung des auf eine Kasse entfallenden Zuschlages ist die Zahl der ganzjährigen Mitgliedschaften massgebend.» Art. 6: «Der Bundesrat setzt die Bedingungen für die Gewährung der Beihilfe nach Art. 3, Abs. l, sowie die nähern Grundsätze über die Verteilung und die Ausrichtung der Subvention im Sinne der vorstehenden Bestimmungen fest.»

Art. 2.

Dieser Beschluss wird als dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Abänderung des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1932 über die Gewährung einer ausserordentlichen Subvention an die anerkannten Krankenkassen. (Vom 11. Dezember 1938.)

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1933

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13.12.1933

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856-866

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