16.456 Parlamentarische Initiative Kündigung und Änderung von Staatsverträgen.

Verteilung der Zuständigkeiten Bericht der Staatspolitischen Kommission des Ständerates vom 14. Mai 2018

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf für ein Bundesgesetz über die Zuständigkeiten für den Abschluss, die Änderung und die Kündigung von Staatsverträgen. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt Ihnen, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

14. Mai 2018

Im Namen der Kommission Die Präsidentin: Pascale Bruderer Wyss

2018-1562

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Übersicht Die Antwort auf die Frage, wer für die Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen zuständig ist, hat in der Praxis bisher keine wichtige Rolle gespielt. Wichtige Verträge wurden bisher nie gekündigt. Allerdings haben bestimmte Volksinitiativen in der jüngeren Vergangenheit die Frage aufgeworfen, ob wichtige Verträge gekündigt werden sollen. Auch unabhängig von den sich bei einer allfälligen Umsetzung der erwähnten Volksinitiativen stellenden Fragen empfiehlt es sich, eine potenziell derart wichtige Frage klar zu beantworten. Es ist für die Legitimität politischer Entscheide von grosser Bedeutung, dass die Regeln «vor dem Spiel» und nicht «während des Spiels» festgelegt werden.

Der Bundesrat macht geltend, die Bundesverfassung weise ihm die alleinige Zuständigkeit für die Kündigung von Verträgen zu. Die Kommission kann dieser Verfassungsinterpretation nicht folgen. Daher muss diese umstrittene Frage durch das Gesetz positivrechtlich beantwortet werden.

Die Kommission ist überzeugt, dass bereits das geltende Verfassungsrecht die Frage klar beantwortet: Die Zuständigkeiten für den Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen müssen auch für die Kündigung und Änderung dieser Verträge gelten.

Die Zuständigkeiten der Bundesversammlung für die Genehmigung des Abschlusses wichtiger Verträge und die diesbezüglichen Referendumsrechte müssen in analoger Weise auch für wichtige Kündigungen und Änderungen von Verträgen gelten. Es gilt ein Parallelismus der Zuständigkeiten für die nationale und für die internationale Rechtsetzung.

Es muss allerdings unterschieden werden zwischen einem Parallelismus der Zuständigkeiten, deren Zuweisung sich nach formalen Kriterien richtet, und einem Parallelismus der Zuständigkeiten nach inhaltlichen Kriterien. Anders als für den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung von nationalem Recht kann die Zuweisung der Zuständigkeiten im Bereich der internationalen Rechtsetzung sinnvollerweise nicht nach formalen Kriterien erfolgen. Massgebend für die Beantwortung der Frage, ob die Kündigung oder Änderung eines Vertrages durch die Bundesversammlung genehmigt und ob dieser Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstellt werden muss, muss der Inhalt der Vertragsbestimmungen sein. Enthält eine Änderung wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die zum Beispiel Rechte und Pflichten
von Personen festhalten, so bedarf sie derselben demokratischen Legitimation wie die Aufhebung oder Änderung eines nationalen Gesetzes. Dies gilt auch für die Kündigung von Verträgen, welche wichtige Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Schweiz oder ihrer Bevölkerung haben.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Ausarbeitung eines Vorentwurfs

Der Bundesrat hat in seiner Antwort vom 25. Februar 2015 zu einer Interpellation (14.4249 Ip. Schneider-Schneiter. Schutz der Rechte der Stimmbevölkerung) die Auffassung vertreten, ihm obliege «die Kompetenz zur Kündigung völkerrechtlicher Verträge gemäss Artikel 184 Absatz 1 der Bundesverfassung». Die Kündigung eines wichtigen Vertrages wäre zwar gemäss Artikel 152 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes als «wesentliches Vorhaben» zu betrachten, zu welchem die Aussenpolitischen Kommissionen zu konsultieren wären. Da eine blosse Konsultation nur empfehlenden und keinen verbindlichen Charakter hat, betrachtet sich der Bundesrat für die Kündigung als allein zuständig.

An der Sitzung der Staatspolitischen Kommission (SPK) des Ständerates vom 22. Januar 2016 wurde bei der Behandlung einer Motion des Nationalrates zu einem verwandten Thema (15.3557 Mo. Nationalrat [Caroni]. Obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit verfassungsmässigem Charakter) die Frage aufgeworfen, wer für die Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen zuständig sei.

Die Antwort der anwesenden Verwaltungsvertreter im Sinne der oben erwähnten Stellungnahme des Bundesrates löste in der Kommission Verwunderung aus. Die Verwaltung wurde beauftragt, zu dieser Frage einen Bericht zu unterbreiten. Die Kommission nahm von diesem Bericht und von einer ergänzenden Notiz des Kommissionssekretariates an ihrer Sitzung vom 20. Juni 2016 Kenntnis. Sie stellte Handlungsbedarf fest und beauftragte das Kommissionssekretariat, ihr den Entwurf einer parlamentarischen Initiative zu unterbreiten, mit welcher die Kommission die Ausarbeitung einer Vorlage beschliesst. Nachdem die Kommission diesen Entwurf am 25. August 2016 angenommen und die SPK des Nationalrates am 17. November 2016 die nötige Zustimmung erteilt hat, wurde das Sekretariat beauftragt, den Entwurf einer Vorlage zu unterbreiten.

Die Kommission hat diesen Entwurf an ihrer Sitzung vom 16. November 2017 beraten und mit 10 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen.

1.2

Vernehmlassungsverfahren

Die Kommission hat beschlossen, zu ihrem Entwurf ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen, weil die Vorlage eine wichtige staatsrechtliche Frage beantwortet und auch Auswirkungen auf die Ausübung der Volksrechte hat.

Die Vernehmlassung wurde am 9. Januar 2018 eröffnet. Die Frist für die Eingabe von Stellungnahmen endete am 16. April 2018. 24 Kantonsregierungen, sechs in der Bundesversammlung vertretene politische Parteien, vier Dachverbände und zwei andere Organisationen haben geantwortet. Insgesamt gingen somit 36 Stellungnahmen ein.

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25 der 36 Vernehmlassungsteilnehmer sind der Auffassung, dass die Frage der Zuständigkeit für die Kündigung von Staatsverträgen geklärt werden muss. Sie beurteilen den Handlungsbedarf also als gegeben. Positiv beurteilt werden der Handlungsbedarf und die Stossrichtung der Vorlage von 15 Kantonsregierungen (BE, SZ, NW, ZG, SO, BS, BL, SH, AR, AI, SG, GR, AG, TI, NE), fünf Parteien (BDP, CVP, FDP, GLP, SP) sowie von zwei gesamtschweizerischen Verbänden (Schweizerischer Städteverband [SSV], Schweizerischer Gewerbeverband [SGV]) und zwei weiteren Organisationen (Centre Patronal, Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik [SGA-ASPE]). Die Befürworter der Vorlage begrüssen die vorgeschlagene Kompetenzaufteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat und übernehmen in ihren Stellungnahmen entsprechende Argumente der Kommission.

Drei Vernehmlassungsteilnehmer sprechen sich gegen die vorgeschlagene Regelung der Zuständigkeiten für die Kündigung von Staatsverträgen aus (GL, TG, SVP). GL und TG äussern sich «kritisch bis ablehnend» (GL) zur Vorlage, weil diese zu einer Verkomplizierung des Verfahrens zur Kündigung von Staatsverträgen führe und die Zuständigkeiten des Bundesrates zu sehr relativieren könnte (GL). TG fragt nach dem Mehrwert der Vorlage, welche neue offene Fragen aufwerfe. Die SVP fürchtet eine Schwächung der direktdemokratischen Mitwirkung, weil Kündigungen oder Neuaushandlungen von Staatsverträgen sinnvoller mit Volksinitiativen verlangt werden sollten.

Neun Vernehmlassungsteilnehmer verzichten entweder auf eine Stellungnahme (OW, Schweizerischer Gemeindeverband) oder sie nehmen nicht explizit für oder gegen die vorgeschlagene Regelung Stellung (ZH, LU, FR, VD, VS, GE, economiesuisse).

Einige Kantonsregierungen wollen sich nicht zu Kompetenzaufteilungen zwischen Bundesorganen äussern (FR, VD, GE). ZH und economiesuisse stellen die praktische Relevanz des Problems in Frage. Nach economiesuisse «benötigt die Landesregierung maximale Handlungsfähigkeit (...) für eine wirksame Aussenwirtschaftspolitik»; economiesuisse «stellt sich aber nicht gegen die Stossrichtung der Gesetzesänderung».

Zur Frage, ob die Regelung auf Gesetzes- oder Verfassungsstufe erfolgen soll, äussern sich 28 Vernehmlassungsteilnehmer. 16 davon begrüssen ausdrücklich die Regelung auf Gesetzesstufe. Vier Teilnehmer
äussern sich explizit, dass eine Regelung auf Gesetzesstufe ausreicht und auf eine Verfassungsänderung verzichtet werden kann (SZ, ZG, BDP, GLP). Sechs Kantonsregierungen (NW, ZG, SH, SG, TI, NE), drei Parteien (CVP, FDP, SP) und drei Organisationen (SGV, SSV, SGAASPE) begrüssen ausdrücklich «die vorgesehenen Gesetzesänderungen» (SG) (NE: «nous nous déclarons favorables au projet de loi tel que présenté») und geben damit implizit zum Ausdruck, dass sie eine Verfassungsänderung nicht als notwendig betrachten. Die Vernehmlasser, welche keine Notwendigkeit einer Verfassungsänderung sehen, übernehmen die entsprechende Argumentation der Kommission.

Sechs Vernehmlasser sind der Meinung, dass zwingend eine Verfassungsänderung notwendig ist. Dazu gehören BE und AI, welche sich grundsätzlich für eine Regelung im Sinne der Vorlage der SPK aussprechen. Die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung betont auch die Kantonsregierung TG, welche aber generell gegen eine Regelung ist. Ebenfalls für eine Verfassungsänderung sind FR, VD und GE, welche sich inhaltlich nicht zu der von der SPK vorgeschlagenen Regelung äussern.

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Sechs weitere Vernehmlasser sind der Meinung, dass die Frage der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung vertieft abgeklärt werden muss. Dazu gehören drei Teilnehmer, die sich inhaltlich gegenüber der Vorlage neutral verhalten (ZH, LU, economiesuisse). Auch drei Kantonsregierungen, die sich für die Vorlage aussprechen, regen eine vertiefte Prüfung der Verfassungsfrage an (SH, AR, GR).

Nach Ansicht der Vernehmlasser, die eine Verfassungsänderung oder die vertiefte Prüfung der Verfassungsfrage fordern, handelt es sich um eine grundlegende Frage der Kompetenzaufteilung zwischen Parlament und Regierung. Solche Fragen seien auf Verfassungsstufe zu regeln. Die heutige Verfassung äussere sich jedoch nicht explizit zur Frage der Zuständigkeit für die Kündigung völkerrechtlicher Verträge.

Auf die im Bericht der Kommission vorgebrachten Argumente gegen die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung gehen diese Vernehmlasser nicht ein.

Aufgrund dieser Rückmeldungen sah sich die Kommission darin bestärkt, an ihrem Gesetzesentwurf festzuhalten, und verabschiedete die Vorlage mit 11 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung zuhanden des Rates. Aufgrund von Hinweisen, die sie im Vernehmlassungsverfahren erhalten hat, nahm sie drei kleinere Änderungen vor: ­

Auf Vorschlag der «Schweizerischen Volkspartei» wurde in Artikel 7a RVOG ein Absatz 1bis eingeführt, welcher klarstellt, dass der Bundesrat einen Vertrag selbstständig (d. h. ohne vorangehendes Genehmigungsverfahren) kündigen muss, wenn eine unmittelbar anwendbare Verfassungsbestimmung ihn dazu verpflichtet.

­

Auf Vorschlag der «Grünliberalen Schweiz» wurden an drei Stellen des Gesetzesentwurfs redaktionelle Korrekturen vorgenommen, welche präzisieren, dass nicht ein Parallelismus der Formen, sondern ein Parallelismus der Zuständigkeiten nach Wichtigkeit des Inhaltes gilt (vgl. dazu Kap. 2.3 dieses Berichts).

­

Wie vom Regierungsrat des Kantons Appenzell-Ausserrhoden empfohlen, wurde die Terminologie des Bundesgesetzes über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK) an die neue Terminologie des ParlG und des RVOG angepasst (statt «Abschluss» von Verträgen wird von «Abschluss, Änderung und Kündigung» von Verträgen gesprochen).

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Notwendigkeit einer Klärung der Rechtslage

Die Antwort auf die Frage, wer für die Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen zuständig ist, hat in der Praxis bisher keine wichtige Rolle gespielt. Kündigungen waren selten und betrafen in der Regel Verträge, welche durch den Zeitablauf oder nachfolgende Verträge obsolet geworden waren. Wichtige Verträge wurden bisher nie gekündigt.

Allerdings hat sich in jüngster Zeit die Frage gestellt, ob wichtige Verträge gekündigt werden sollen. Die am 9. Februar 2014 angenommene Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» verlangte zwar nur die Neuverhandlung und Anpassung von 3475

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Verträgen mit einem bestimmten Ziel. Die Frage, ob im Falle einer Nichterreichung dieses Ziels Verträge gekündigt werden müssten, stellte sich zwar, wurde allerdings von Bundesrat und Parlamentsmehrheit verneint. Die von Volk und Ständen am 30. November 2014 abgelehnte Volksinitiative «Stopp der Überbevölkerung ­ zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» verlangte explizit «nötigenfalls» die Kündigung von Verträgen, die den Zielen des vorgeschlagenen Artikels 73a der Bundesverfassung1 (BV) für eine Begrenzung der Zuwanderung widersprechen. Die zurzeit hängige Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» enthält im Entwurf ihres Artikels 56a BV eine analoge, allerdings allgemeiner gehaltene Formulierung: «Im Falle eines Widerspruchs» zwischen Verfassungsrecht und völkerrechtlichen Verträgen, die nicht dem Referendum unterstanden sind, «sorgen sie [Bund und Kantone] für eine Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Vorgaben der Bundesverfassung, nötigenfalls durch Kündigung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge».

Auch unabhängig von den sich bei einer allfälligen Umsetzung der erwähnten Volksinitiativen stellenden Fragen empfiehlt es sich grundsätzlich, eine potenziell derart wichtige Frage klar zu beantworten. Es ist für die Legitimität politischer Entscheide von grosser Bedeutung, dass die Regeln «vor dem Spiel» und nicht «während des Spiels» festgelegt werden.

Die Kommission ist zwar überzeugt, dass bereits das geltende Verfassungsrecht die Frage klar beantwortet: Die Zuständigkeiten für den Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen müssen auch für die Kündigung und Änderung dieser Verträge gelten. Wenn Volk und Stände (obligatorisches Referendum), das Volk (fakultatives Referendum) oder die Bundesversammlung für die Genehmigung des Abschlusses eines Vertrages zuständig sind, so muss für die Genehmigung einer Kündigung und Änderung dieser Verträge dieselbe Zuständigkeitsordnung gelten (siehe dazu Ziff. 2.2). Das bedeutet nicht, dass für die Zuweisung der Zuständigkeiten dieselben formalen Kriterien massgebend sein müssen wie in der nationalen Rechtsetzung; vielmehr sollen inhaltliche Kriterien massgebend sein (siehe dazu Ziff. 2.3).

Weil der Bundesrat seine alleinige Zuständigkeit für die Kündigung von Verträgen geltend macht (siehe Ziff. 1), muss diese umstrittene Frage durch das Gesetz positivrechtlich beantwortet werden.

2.2

Verfassungsmässige Zuständigkeit der Bundesversammlung

2.2.1

Einleitung

Der Grundsatz des «actus contrarius» (d. h. des Parallelismus der Zuständigkeiten) bedeutet, dass sich die Zuständigkeit zur Änderung oder Aufhebung von Recht nach der Zuständigkeit zur Begründung dieses Rechts richtet. In einer formalen Ausprägung dieses Parallelismus gilt für Änderung und Aufhebung automatisch dieselbe Zuständigkeit wie für die Begründung. In einer inhaltlichen Ausprägung richtet sich 1

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die Zuständigkeit für Änderung und Aufhebung nach dem selben inhaltlichen Kriterium wie für die Begründung. Der Grundsatz gilt, auch ohne dass die Zuständigkeit zur Aufhebung oder Änderung explizit festgehalten ist. Die BV verankert z. B. auch die Zuständigkeit der Bundesversammlung für den Erlass rechtsetzender Bestimmungen in der Form des Gesetzes, ohne die Zuständigkeit für deren Änderung oder Aufhebung ausdrücklich zu erwähnen (Art. 163 BV). Analoges gilt für die Zuständigkeit von Volk und Ständen für Verfassungsänderungen (Art. 140 BV). Nicht nur die in Artikel 141 BV erwähnten Bundesgesetze, sondern auch die nicht ausdrücklich erwähnten Aufhebungen oder Änderungen dieser Gesetze unterliegen dem fakultativen Referendum. Analog muss gelten: Aus der Zuständigkeit der Bundesversammlung oder des Volkes für die Genehmigung des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrages folgt implizit auch die Zuständigkeit für die Genehmigung der Kündigung oder der Änderung des entsprechenden Vertrages. Anders als für den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung von nationalem Recht kann die Zuweisung der Zuständigkeiten im Bereich der internationalen Rechtsetzung sinnvollerweise nicht nach formalen Kriterien, sondern muss nach inhaltlichen Kriterien erfolgen (siehe dazu Ziff. 2.3).

Auch eine genaue Betrachtung des Wortlauts der Bundesverfassung zeigt, dass die Zuständigkeiten von Bundesversammlung und Volk nicht bloss für den Abschluss von Verträgen gelten: ­

Es «werden dem Volk zur Abstimmung vorgelegt: [...] d. völkerrechtliche Verträge [...]» (Art. 141 Abs. 1);

­

«Sie [die Bundesversammlung] genehmigt die völkerrechtlichen Verträge» (Art. 166 Abs. 2);

­

«er [der Bundesrat] unterbreitet sie [die Verträge] der Bundesversammlung zur Genehmigung» (Art. 184 Abs. 2).

Die BV spricht also nicht vom Abschluss von Verträgen, sondern von den Verträgen.

Aus diesem Wortlaut ist zu schliessen, dass jeweils nicht allein der Abschluss eines Vertrags, sondern auch dessen Änderung oder Kündigung dem Volk zur Abstimmung vorgelegt oder von der Bundesversammlung genehmigt werden muss2. Auch eine genaue Lektüre der früheren BV von 1848 und 1874 muss zur selben Schlussfolgerung führen: Gemäss Artikel 74 Ziffer 5 der BV von 1848, wörtlich übernommen durch Artikel 85 Ziffer 5 der BV von 1874, war die Bundesversammlung zuständig für «Bündnisse und Verträge mit dem Auslande», nicht nur für den Abschluss von Verträgen und den Beitritt zu Bündnissen. Der Bundesrat ist denn 2

Gemäss Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV unterliegt «der Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften» dem obligatorischen Referendum von Volk und Ständen. Anders als in Artikel 141, 166 und 184 ist hier also nicht von der Genehmigung aller Rechtsakte die Rede, welche die Zugehörigkeit zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften regeln; nur der «Beitritt» wird explizit erwähnt. Trotzdem darf davon ausgegangen werden, dass der Austritt damit implizit ebenfalls erfasst ist. Angesichts der Bedeutung der Zugehörigkeit der Schweiz z. B. zur UNO erscheint es als kaum vorstellbar, dass der Bundesrat z. B. selbstständig den Austritt der Schweiz aus der UNO beschliessen könnte (siehe dazu PASCAL BAUR/DANIEL THÜRER, St. Galler Komm. BV, Art. 197, Zürich/ St. Gallen 2014).

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auch in der Anfangszeit des Bundesstaates davon ausgegangen, dass die Bundesversammlung für die Genehmigung der Kündigung eines Staatsvertrags zuständig ist3.

Als mit Artikel 89 Absatz 2 der BV von 1874 das fakultative Referendum für Bundesgesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse eingeführt wurde, wurde nicht zwischen Annahme, Änderung und Aufhebung dieser Erlasse differenziert.

Der im Jahre 1921 eingefügte Artikel 89 Absatz 3 führte das Staatsvertragsreferendum ein und nahm unmittelbar Bezug auf Absatz 2: «Absatz 2 gilt auch für völkerrechtliche Verträge»4. Gemäss diesem Wortlaut hätte auch für Verträge gelten müssen, dass das Referendum nicht nur gegen den Abschluss, sondern auch gegen Änderungen oder Kündigungen ergriffen werden darf.

Im Zeitraum seit den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts bis weit in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hat allerdings eine Gewichtsverlagerung von der Bundesversammlung zum Bundesrat stattgefunden. «Diese Gewichtsverlagerung wird nicht etwa durch Änderungen der Verfassung herbeigeführt oder auch nur begleitet, sondern ergibt sich in der Praxis ­ praeter, wenn nicht contra constitutionem» (HANSJÖRG SEILER, Gewaltenteilung, Bern 1994, S. 443). Diese Neuinterpretation der Verfassung hat aber keine jahrzehntelange Praxis begründen können, da sich in der Praxis die Frage nach der Zuständigkeit zur Kündigung von wichtigen völkerrechtlichen Verträgen kaum gestellt hat. Die theoretische Beantwortung der Frage durch den Bundesrat und einen Teil der Staatsrechtslehre konnte daher auch kein «Verfassungsgewohnheitsrecht» schaffen, dessen Änderung nach einer Änderung des Verfassungstextes rufen würde. Eine derartige Notwendigkeit besteht allerdings auch schon deswegen nicht, weil die Verfassungsänderungen vom 18. April 1999 und vom 9. Februar 2003 ein allfällig bestehendes, anders lautendes «Verfassungsgewohnheitsrecht» beendet haben.

Die Geltung des Grundsatzes des «actus contrarius» muss im Bereich der völkerrechtlichen Verträge spätestens seit dem Zeitpunkt wieder als vollständig hergestellt gelten, in welchem durch die Änderung der Bundesverfassung vom 9. Februar 2003 der weitgehende Parallelismus der Zuständigkeiten für die nationale und für die internationale Rechtsetzung etabliert worden ist. Der Bundesrat hatte bereits in seiner Botschaft vom 20. November
1996 für eine neue Bundesverfassung im Rahmen des «Reformpaketes Volksrechte» festgestellt: «Gemäss dem geltenden Recht unterstehen nicht alle wichtigen Staatsverträge dem Referendum. Die Stimmberechtigten können sich also teilweise zum Abschluss bedeutender Staatsverträge nicht äussern, was unter demokratischen Gesichtspunkten nicht befriedigen kann» (BBl 1997 I 470). Das vom Bundesrat vorgeschlagene Reformpaket ist zwar gescheitert; grundsätzlich nicht bestritten war aber die in diesem Rahmen vorgeschlagene Ausweitung des Staatsvertragsreferendums. Die SPK des Ständerates hat die mehrheitsfähigen Elemente des gescheiterten Reformpaktes mit ihrer Vorlage vom 2. April 2001 wieder aufgegriffen. Das Ziel wurde mit der von Volk und Ständen 3

4

Beispiel: Zur Frage einer allfälligen Kündigung des schweizerisch-italienischen Handelsvertrages führte der Bundesrat in seinem Geschäftsbericht über das Jahr 1875 aus: «Aus konstitutionellen [...] Gründen konnte der Bundesrat nicht ohne Weiteres in den Vorschlag Italiens eintreten. Der schweizerisch-italienische Handelsvertrag ist durch die Bundesversammlung genehmigt worden; ohne deren Zustimmung kann auf denselben vor dem legalen Ablauf nicht verzichtet werden» (BBl 1876 II 597).

Wortlaut gemäss Änderung der BV vom 13. März 1977.

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am 9. Februar 2003 angenommenen Änderung von Artikel 141 BV erreicht: «Es geht darum, eine Parallelität zur innerstaatlichen Kompetenzordnung herzustellen» (BBl 2001 4804). «Im Rahmen von Staatsverträgen werden zunehmend Grundsatzentscheide für die nationale Gesetzgebung getroffen. Das Volk sollte sich darüber aussprechen können, ob eine internationale Verpflichtung überhaupt eingegangen werden soll. Damit soll verhindert werden, dass erst mittels Referendum zur Ausführungsgesetzgebung nachträglich der Staatsvertrag torpediert wird» (BBl 2001 4825).

Der Parallelismus der Referendumsrechte des Volkes und der Parallelismus der Kompetenzverteilung zwischen Bundesversammlung und Bundesrat bei der nationalen und internationalen Rechtsetzung gehen Hand in Hand, weil die Zuständigkeit des Parlamentes Voraussetzung für die Ausübung des Referendumsrechts des Volkes ist.

Gemäss Artikel 184 Absatz 2 BV ist der Bundesrat zwar für die Ratifikation und folglich auch für die Kündigung oder Änderung von Verträgen zuständig. Gemäss Artikel 166 Absatz 2 BV ist der Bundesrat aber nicht allein zuständig, sondern er muss den Vertrag vor seiner Ratifikation der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreiten (Art. 166 BV); unter bestimmten Voraussetzungen untersteht dieser Genehmigungsbeschluss dem fakultativen oder obligatorischen Referendum (Art. 140 und 141 BV). Aus dem dargelegten Grundsatz des «actus contrarius» ergibt sich, dass der Bundesrat für die Kündigung oder Änderung des Vertrages nicht allein zuständig sein kann, wenn er für den Vertragsabschluss nicht allein zuständig war; auch für die Kündigung oder Änderung ist ein analoger vorgängiger Genehmigungsbeschluss notwendig.

2.2.2

Zuständigkeiten von Parlament und Volk für den Erlass von wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen auf nationaler und internationaler Ebene

Anders als in früheren Zeiten können Staatsverträge nicht mehr in erster Linie als Instrumente der Aussenpolitik der Regierung betrachtet werden. Heute besteht ein erheblicher Teil der Rechtsordnung aus völkerrechtlichen Verträgen, welche Rechte und Pflichten von Personen begründen. Artikel 164 BV statuiert für «wichtige rechtsetzende Bestimmungen» im innerstaatlichen Recht den Parlamentsvorbehalt: Sie müssen von der Bundesversammlung in der Form des Gesetzes erlassen werden.

Artikel 141 BV übernimmt diesen Begriff der «wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen» und unterstellt völkerrechtliche Verträge mit derartigen Bestimmungen dem fakultativen Referendum. Es ist daher in demokratiepolitischer Hinsicht von zentraler Bedeutung, dass für den Abschluss, die Änderung und die Kündigung von Staatsverträgen analoge Regeln gelten wie für den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung von Gesetzen. Es erscheint in dieser Sicht undenkbar, dass völkerrechtliche Verträge wie z. B. die Europäische Menschenrechtskonvention oder das Freizügigkeitsabkommen mit der EU durch den Bundesrat allein gekündigt werden können. Übrigens stellt dies auch der Bundesrat in seiner Antwort auf die Interpellation 14.4249 (siehe oben Ziff. 1) fest. Indem er trotzdem an der eigenen alleinigen Kompetenz grundsätzlich festhält, scheint er es seinem Ermessen überlassen zu wollen, ob «ein besonders wichtiger Vertrag» vorliegt, der ausnahmsweise doch dem Parla3479

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ment und dem Volk unterbreitet werden sollte. Die Kriterien des «besonders Wichtigen» wären damit politischer und nicht rechtlicher Natur. Dies widerspricht der schweizerischen Konzeption der Volksrechte, deren Ausübung von der Erfüllung klarer juristischer Kriterien und nicht vom politischen Ermessen der Behörden abhängig sein sollte.

Die Verwaltung hat in der Kommission geltend gemacht, eine «geringere Formstrenge bei der Vertragskündigung» könne damit begründet werden, dass mit der Kündigung eines Vertrages Bindungen und Verpflichtungen aufgehoben werden; «der Staat erhält damit einen Teil seiner Souveränität zurück». Diese Argumentation verkennt den zentralen Umstand, dass Verträge auch Rechte von Privaten begründen; die Aufhebung derartiger Rechte bedarf der demokratischen Legitimation.

Wenn völkerrechtliche Verträge wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten, so kann folglich die Zuständigkeit zur Kündigung und Änderung von Staatsverträgen nicht mit der Zuständigkeit des Bundesrates zur allgemeinen Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten (Art. 184 Abs. 1 BV) begründet werden. Die Zuständigkeiten zum Abschluss und damit eben auch zur Kündigung und Änderung von Staatsverträgen werden abschliessend durch die Artikel 166 Absatz 2 und Artikel 184 Absatz 2 BV geregelt. Danach genehmigt die Bundesversammlung die völkerrechtlichen Verträge; ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat allein zuständig ist. Die Eidg. Räte haben bei der Beratung der Bundesverfassung vom 18. April 1999 den Antrag des Bundesrates (Botschaft des Bundesrates vom 20. Nov. 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 393, 416 f., 624, 627) abgelehnt, eine verfassungsunmittelbare Vertragsabschlusskompetenz des Bundesrates festzuschreiben.

Von einem entsprechenden «Verfassungsgewohnheitsrecht» des Bundesrates kann spätestens seither keine Rede mehr sein. In der Folge mussten die nötigen gesetzlichen Grundlagen für die Zuständigkeiten des Bundesrates im Bereich der völkerrechtlichen Verträge geschaffen werden. Im Hinblick auf das Inkrafttreten der BV wurde mit der Änderung vom 8. Oktober 1999 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) der selbstständige Abschluss von Verträgen von beschränkter Tragweite durch den Bundesrat im Gesetz geregelt (Art. 47bisb
GVG, AS 2000 273; mit dem Erlass des ParlG vom 13. Dez. 2002 transferiert ins Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz [RVOG] als Art. 7a, AS 2003 3543; modifiziert durch die Änderung des RVOG vom 26. Sept. 2014, AS 2015 969). Etwas verspätet wurde mit der Änderung vom 8. Oktober 2004 des RVOG auch die notwendige gesetzliche Grundlage für die vorläufige Anwendung von Staatsverträgen durch den Bundesrat geschaffen (Art. 7b RVOG, AS 2005 1245; mit der Änderung vom 26. Sept. 2014 wurde ein Vetorecht der zuständigen Kommissionen eingeführt und damit die letztinstanzliche Zuständigkeit vom Bundesrat an das Parlament übertragen, AS 2015 969).

Es ist folgerichtig, dass nun auch die Zuständigkeit für die Kündigung und Änderung von Staatsverträgen durch das Gesetz geregelt wird.

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2.2.3

Rechtsprechung und Lehre

Die eidgenössischen Gerichte sind zwar nicht zuständig, über die Gültigkeit einer Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages zu urteilen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich aber in einem Urteil vom 2. März 2011 kritisch zum Beschluss des Bundesrates vom 18. Februar 2009 geäussert, das Sozialversicherungsabkommen mit Jugoslawien gegenüber dem neu entstandenen Staat Kosovo nicht weiterzuführen: «Ob der Bundesrat ­ wie hier ­ die Nichtweiterführung eines laufenden völkerrechtlichen Vertrags durch einseitigen Akt ohne Mitwirkung der Bundesversammlung beschliessen kann, ist nicht ausdrücklich geregelt und mit Blick auf Art. 166 Abs. 1 BV, wonach sich die Bundesversammlung an der Gestaltung der Aussenpolitik beteiligt und die Pflege der Beziehungen zum Ausland beaufsichtigt, jedenfalls problematisch und in der Lehre umstritten. So kann die Kündigung wichtiger internationaler Verträge bedeutende Auswirkungen auf die schweizerische Aussenpolitik haben» (Urteil BVGer C-4828/2010, E 4.4.5).

Wie das Bundesverwaltungsgericht feststellt, ist die Lehre in ihrer Beurteilung der Zuständigkeit für die Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen gespalten.

Allgemeine Darstellungen des schweizerischen Bundesstaatsrechts stützen mehrheitlich die Verfassungsinterpretation des Bundesrates, wonach er ausschliesslich für die Kündigung zuständig sei. Der grundlegende Verfassungskommentar von WALTHER BURCKHARDT stellt in einem einzigen Satz ohne weitere Begründung fest: «Die Kündigung eines Vertrages geht dagegen vom B.R. allein aus» (WALTER BURCKHARDT, Komm. BV 1874, Bern 1914, S. 692). WALTHER BURCKHARDT war seit 1896 während längerer Zeit zuerst Adjunkt und später Vorstand der damaligen Abteilung für Gesetzgebung und Rechtspflege des EJPD und seit 1899 Professor für schweizerisches Staatsrecht; er hat in dieser Doppelfunktion die Grundlagen gelegt für die seit Ende des 19. Jahrhunderts festzustellende Uminterpretation der Bundesverfassung zugunsten der Kompetenzen des Bundesrates und zulasten der Zuständigkeiten der Bundesversammlung (siehe dazu eingehend mit Erläuterung der zeitgeschichtlichen Hintergründe: HANSJÖRG SEILER, Gewaltenteilung, Bern 1994, S. 444 ff.). Die von BURCKHARDT begründete Doktrin wurde fortgeschrieben unter vielen anderen z. B. von JEAN-FRANÇOIS AUBERT (Traité de droit constitutionnel suisse,
vol. II, Neuchâtel 1967, N 1324), DIETER SCHINDLER (Komm. BV 1874, Basel/Zürich/Bern 1989, Art. 85 Ziff. 5, N 55), ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER/HELEN KELLER (Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich/Basel/Genf, 2012, N 1659), GIOVANNI BIAGGINI (Komm. BV, Zürich 2007, N 9), ANDREAS AUER/ GIORGIO MALIVERNI/MICHEL HOTTELIER (Droit constitutionnel suisse, vol. I, Bern 2013, N 1340). Alle angeführten Autoren beschränken sich jeweils auf eine Wiederholung der Aussage von BURCKHARDT in einem Satz; einzig SCHINDLER führt als Begründung weiter an, «dass schon die Ratifikation dem Bundesrat allein zusteht,» und «dass die Kündigung keine neuen Verpflichtungen für die Schweiz zur Folge hat».

Aber bereits unter der Herrschaft der BV von 1874 vertreten einzelne allgemeine Darstellungen eine abweichende Auffassung. Gemäss FRITZ FLEINER «ist [...] eine Zustimmung der Bundesversammlung zu allen Staatsverträgen der Schweiz mit dem Auslande erforderlich und zwar sowohl zu deren Abschliessung, wie zu der Abände-

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rung oder der Kündigung» (Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Tübingen 1923, S. 754). KURT EICHENBERGER diagnostiziert «eine Praxis, die nicht über alle Zweifel erhaben ist. Denn die Kündigung kann von ebenso grosser Tragweite sein, wie etwa der Abschluss eines Staatsvertrags» (Die Oberste Gewalt im Bunde, Bern/Zürich 1949, S. 126). HANSJÖRG SEILER meint, dass «eine Kündigung zumindest bei wichtigeren Verträgen der Genehmigung durch die Bundesversammlung» bedarf (Gewaltenteilung, Bern 1994, S. 666).

In allen neueren Untersuchungen, die sich mit der aufgeworfenen Frage nicht nur am Rande im Rahmen einer allgemeinen Darstellung des Bundesstaatsrechts, sondern vertiefter auseinandersetzen, wird ebenfalls die Auffassung vertreten, dass der Bundesversammlung bei der Kündigung mehr oder weniger weitgehende Mitsprache- oder Mitentscheidungskompetenzen zustehen.

Das Thema wird von BERNHARD EHRENZELLER ausführlich und auch mit eingehender Erörterung der Gegenargumente abgehandelt (Legislative Gewalt und Aussenpolitik, Basel/Frankfurt 1993, S. 537­553). Er geht davon aus, «dass die Bundesversammlung einen verfassungsmässigen Anspruch besitzt, bei wichtigen Kündigungen mitzuwirken». Eine Kündigung durch den Bundesrat bedarf eines Ermächtigungsbeschlusses der Bundesversammlung (ebenda, S. 544). DANIEL THÜRER/FRANZISKA ISLIKER vertreten die Auffassung, «die BVers sollte vielmehr je nach Einzelfall mitentscheiden, ob eine Kündigung gerechtfertigt oder sogar geboten ist» (St. Galler Komm. BV, Zürich 2008, Art. 166, N 57). Die Kriterien für die Bestimmung des «Einzelfalls» bleiben hier allerdings unklar. NINA BLUM, VERA NAEGELI und ANNE PETERS widmen dem Thema einen eigenen Aufsatz (Die verfassungsmässigen Beteiligungsrechte der Bundesversammlung und des Stimmvolkes an der Kündigung völkerrechtlicher Verträge, in: ZB1 114/2013, S. 527­562) und kommen zur Schlussfolgerung: «Die Kündigung eines Vertrages also, welcher grundlegende Bestimmungen über die Rechte und Pflichten von Personen enthält, muss von der Bundesversammlung genehmigt werden» (ebenda, S. 543). Klar im Sinne des Grundsatzes des «actus contrarius» und damit im Sinne der hier von der SPK des Ständerates vertretenen Auffassung äussert sich auch JÖRG KÜNZLI im neuesten Verfassungskommentar (Basler Komm. BV, Basel 2015, Art. 184, N 27).

2.2.4

Exkurs: Zuständigkeiten für den Abschluss, die Änderung und die Kündigung von interkantonalen Vereinbarungen

Aufschlussreich ist ein vergleichender Blick in das Staatsrecht der Kantone: So wie der Bund vertragliche Verpflichtungen mit anderen Staaten eingeht, schliessen die Kantone untereinander interkantonale Vereinbarungen ab. Die Kantonsregierungen verhandeln und unterzeichnen die Verträge; die Kantonsparlamente genehmigen den Vertragsabschluss, sofern der Inhalt des Vertrages wichtige rechtsetzende Bestimmungen gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts enthält; in der Regel unterstehen derartige Verträge dem Referendum. Mehrere Kantonsverfassungen sehen eine Zuständigkeit des Parlaments für die Genehmigung der Kündigung von Verträgen explizit vor (GL, SH, AR, AI, SG). Aber auch wenn die Zuständigkeiten zur

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Kündigung nicht ausdrücklich geregelt sind, wird in der Praxis, soweit ersichtlich, der Grundsatz des «actus contrarius» beachtet5 ­ so wie er mit dieser Vorlage auch auf Bundesebene im Gesetz verankert werden soll. Der Berner Verfassungskommentar sagt zu den Verträgen, die dem fakultativen Referendum unterstehen: «Es spielt keine Rolle, ob es sich um einen neuen Vertrag oder um die Änderung oder Kündigung eines bestehenden Vertrages handelt» (WALTER KÄLIN/URS BOLZ, Handbuch des Bernischen Verfassungsrechts, Bern/Stuttgart/Wien 1995, S. 404, mit Verweis auf das unveröffentlichte Protokoll der Verfassungskommission des Kantons Bern).

2.3

Parallelismus der Zuständigkeiten gemäss der Wichtigkeit des Inhalts

Im Landesrecht kann ein Bundesgesetz nur in derselben Form des Gesetzes geändert werden; die Gesetzesänderung ist ebenfalls von der Bundesversammlung zu beschliessen und dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Dies gilt selbst dann, wenn die Gesetzesänderung keine «wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen» im Sinne von Artikel 164 BV enthält. Der Grundsatz des «actus contrarius» wird also mit einem strikten Parallelismus der Formen umgesetzt.

Anders als das Landesrecht kennt das Völkerrecht keine Hierarchie von verschiedenen, klar definierten Erlassformen. Während im Landesrecht Ausführungsbestimmungen in Form von Verordnungen des Bundesrates, eines Departementes oder eines Amtes erlassen werden können, ist dies im Völkerrecht nicht möglich. Dort sind vielmehr die «Ausführungsbestimmungen» im Grundabkommen selber, allenfalls in Anhängen enthalten. Ein strikter Parallelismus der Formen hätte zur Folge, dass sämtliche Änderungen solcher «Ausführungsbestimmungen», welche der Bundesrat bisher ­ auf Grund ihrer technischen Natur ­ selbstständig genehmigen konnte, neu dem Parlament unterbreitet werden müssten. In den letzten Jahren hätte der Bundesrat der Bundesversammlung bei Beachtung eines strikten Parallelismus der Formen durchschnittlich pro Jahr ca. zehn zusätzliche Botschaften zur Änderung völkerrechtlicher Verträge unterbreiten müssen. Der damit verbundene Aufwand wäre in keinem Verhältnis gestanden zur geringen Bedeutung dieser Änderungen rein technischer Natur.

Massgebend für die Beantwortung der Frage, ob die Änderung eines Vertrages durch die Bundesversammlung genehmigt werden muss, soll also nicht die vorgängige Genehmigung des Grundabkommens sein, sondern der Inhalt der Vertragsände5

Beispiel: Am 5. Juli 2017 hat der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt dem Grossen Rat seinen «Ratschlag betreffend Kündigung der Mitgliedschaft des Kantons Basel-Stadt im Konkordat über private Sicherheitsdienstleistungen vom 12. November 2010 (KÜPS)» unterbreitet: «Wie der Beitritt bedarf bei interkantonalen Verträgen auch der Austritt der Genehmigung des Grossen Rates, wenn der Regierungsrat nicht alleine für den Abschluss oder die Auflösung zuständig ist. Da das KÜPS Gesetzesrecht beinhaltet, unterliegt der Beschluss des Grossen Rates, die Kündigung entsprechend dem Antrag des Regierungsrates zu genehmigen, gestützt auf § 52 Abs. 1 lit. a) der Verfassung des Kantons Basel-Stadt vom 23. März 2005 (Kantonsverfassung, KV, SG 111.100) dem fakultativen Referendum.»

3483

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rung. Der geltende Wortlaut von Artikel 7a RVOG definiert die Voraussetzungen für den selbstständigen Abschluss von völkerrechtlichen Verträge durch den Bundesrat. Dieselben Voraussetzungen sollen auch für die selbstständige Änderung von Verträgen durch den Bundesrat gelten, auch wenn der Vertragsabschluss durch die Bundesversammlung genehmigt werden musste. Umgekehrt gilt allerdings auch, dass die Änderung eines Vertrages, den der Bundesrat selbstständig abschliessen durfte, durch die Bundesversammlung genehmigt werden muss, falls die Änderung die Voraussetzungen für eine selbstständige Änderung durch den Bundesrat nicht erfüllt. Diese Regelung entspricht der bisherigen Praxis.

Analoges gilt für die Kündigung eines Vertrages. Es ist möglich, dass ein Vertrag, dessen Abschluss durch die Bundesversammlung genehmigt werden musste, aufgrund von durch den Zeitablauf begründeten Umständen derart an Bedeutung verloren hat, dass die Voraussetzungen für eine selbstständige Kündigung durch den Bundesrat erfüllt sind. Dies wäre in der Vergangenheit z. B. der Fall gewesen bei der Aufhebung von bilateralen Handelsabkommen mit Staaten, welche der EU beigetreten sind und die damit inhaltlich, aber nicht formell durch die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU ersetzt wurden (Beispiele: AS 2004 2317, 2319, 2321), oder bei bilateralen Rechtshilfeabkommen, welche infolge des Beitritts der betreffenden Vertragspartner zu multilateralen Konventionen obsolet wurden (Beispiel: AS 2011 3679). In solchen und anderen Fällen, in denen eine Kündigung keine oder nur marginale praktisch relevante Auswirkungen für die Schweiz hat, sondern im Wesentlichen eine Formalität darstellt, soll eine selbstständige Kündigungskompetenz des Bundesrats in Analogie zu seiner selbstständigen Abschlusskompetenz gemäss dem bisherigen Wortlaut von Artikel 7a RVOG vorgesehen werden.

2.4

Dringliche Kündigung von Verträgen

Die BV sieht Instrumente vor, die unter bestimmten Voraussetzungen eine schnelle Inkraftsetzung neuen Landesrechts erlauben: Ein Bundesgesetz (inkl. seine Änderung oder Aufhebung) kann dringlich erklärt werden (Art. 165 BV); die Bundesversammlung oder der Bundesrat können Notverordnungen erlassen (Art. 173 Abs. 1 Bst. c, Art. 184 Abs. 3 und Art. 185 Abs. 3 BV).

Auch der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages kann dringlich geboten sein.

Für diesen Fall steht das Instrument der vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages zur Verfügung. Der Bundesrat kann einen Vertrag, für dessen Genehmigung die Bundesversammlung zuständig ist, vorläufig anwenden «wenn die Wahrung wichtiger Interessen der Schweiz und eine besondere Dringlichkeit es gebieten» (Art. 7b Abs. 1 RVOG). Er muss vorgängig die zuständigen Kommissionen beider Räte konsultieren. Lehnen beide Kommissionen die vorläufige Anwendung ab, darf der Vertrag nicht vorläufig angewendet werden (Vetorecht der Kommissionen; Art. 7b Abs. 1bis RVOG).

Auch die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages kann dringlich geboten sein.

Die Durchführung des normalen Genehmigungsverfahrens könnte ein unter Umständen nötiges rasches Vorgehen beeinträchtigen oder verunmöglichen. Der Bundesrat 3484

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verfügt allerdings gemäss Artikel 166 Absatz 2 BV über keine verfassungsunmittelbaren Zuständigkeiten zur selbstständigen Beschlussfassung über völkerrechtliche Verträge. Auch seine Zuständigkeit zu einer dringlichen Kündigung muss durch das Gesetz zugewiesen werden; diese bisher fehlende Regelung soll hier vorgenommen werden (Anpassung von Art. 152 Abs. 3bis ParlG; neuer Art. 7bbis RVOG). Damit der Bundesrat diese Zuständigkeit wahrnehmen darf, müssen kumulativ dieselben zwei Voraussetzungen erfüllt sein wie für die vorläufige Anwendung: die Wahrung wichtiger Interessen der Schweiz und eine besondere Dringlichkeit. Was das Verfahren betrifft, so liegt es nahe, dieses analog dem Verfahren der vorläufigen Anwendung auszugestalten: Der Bundesrat muss die zuständigen Kommissionen konsultieren. Lehnen beide Kommissionen die dringliche Kündigung ab, so darf der Vertrag nicht gekündigt werden, bzw. der Bundesrat wird auf den Weg des normalen Genehmigungsverfahrens verwiesen. Ein Unterschied zur vorläufigen Anwendung liegt insofern vor, dass eine durch die Kommissionen nicht bestrittene Kündigung endgültiger Natur ist, während die vorläufige Anwendung endet, wenn der Vertrag im nachfolgenden normalen Genehmigungsverfahren durch die Bundesversammlung abgelehnt wird.

3

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

3.1

Parlamentsgesetz

Art. 24 Abs. 2 und 3 Der geltende Text von Absatz 2 und 3 (die Bundesversammlung «genehmigt völkerrechtliche Verträge») lässt offen, welche Beschlüsse über völkerrechtliche Verträge durch die Bundesversammlung zu genehmigen sind. Neu wird präzisiert, dass die Zuständigkeit zur Genehmigung nicht nur den Abschluss, sondern auch die Änderung und die Kündigung umfasst (siehe die Begründung unter Ziff. 2.2). Der Begriff «Abschluss» schliesst analoge Vorgänge wie z. B. den Beitritt zu einer internationalen Organisation ein; was für die «Kündigung» gilt, gilt dementsprechend auch z. B.

für den Austritt aus einer internationalen Organisation.

Absatz 2 verweist auf die Zuständigkeiten des Bundesrates zum selbstständigen Vertragsabschluss, wie sie durch Artikel 7a und 7bbis RVOG näher definiert werden. Der direkte Verweis auf Artikel 7a RVOG erfasst einerseits die Verträge von beschränkter Tragweite (Art. 7a Abs. 2­4), andererseits indirekt auch die Kompetenzdelegationen an den Bundesrat durch weitere Gesetze und durch die Bundesversammlung genehmigte völkerrechtliche Verträge (Art. 7a Abs. 1). Der neue Wortlaut von Absatz 2 macht klar, dass der Bundesrat zuständig ist für die Vertragsänderung oder -kündigung, wenn die in Artikel 7a RVOG aufgeführten Voraussetzungen für die Zuständigkeit zum selbstständigen Vertragsabschluss erfüllt sind.

Das bedeutet konkret, dass die bisherige Praxis weitergeführt werden kann: Die spätere Änderung eines Vertrages, dessen Abschluss die Bundesversammlung zu einem früheren Zeitpunkt genehmigt hat, kann «von beschränkter Tragweite» gemäss Artikel 7a RVOG sein. Auch die Kündigung eines von der Bundesversammlung genehmigten Vertrages kann «von beschränkter Tragweite» sein, wenn sie «keinen Verzicht auf bestehende Rechte zur Folge» hat (Art. 7a Abs. 3 Bst. a RVOG), weil der 3485

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Vertrag zum Beispiel obsolet geworden ist. Siehe die eingehende Begründung unter Ziffer 2.3.

Art. 152 Abs. 3bis und 3ter Der geltende Text von Absatz 3bis verlangt die Konsultation der zuständigen Kommissionen beider Räte, bevor der Bundesrat einen völkerrechtlichen Vertrag, für dessen Genehmigung die Bundesversammlung zuständig ist, vorläufig anwenden darf. Die vorläufige Anwendung bedarf nicht der Genehmigung beider Kommissionen. Die Zuständigkeit für die vorläufige Anwendung bleibt allein beim Bundesrat, ausser wenn beide Kommissionen sie abgelehnt haben. Die Zuständigkeit geht in diesem Fall an die Bundesversammlung, bzw. durch eine Gesetzesdelegation an ihre Kommissionen über. Der Vertrag darf nicht vorläufig angewendet werden. Nur eine Ablehnung hat verbindliche Rechtswirkung. Stimmt eine Kommission der vorläufigen Anwendung zu, so hat dieser Beschluss bloss konsultativen Charakter. Eine Differenzbereinigung findet nicht statt.

Die neue Fassung von Absatz 3bis und 3ter (die Aufteilung der bisherigen Bestimmung in zwei Absätze ist redaktioneller Natur) führt zur Anwendung desselben Verfahrens, falls der Bundesrat einen Vertrag dringlich kündigen will, wozu ihm der neue Artikel 7bbis RVOG die gesetzliche Grundlage gibt (siehe dazu Ziff. 2.4).

Bei Gelegenheit kann die redaktionell missglückte Formulierung korrigiert werden, wonach der Bundesrat auf die vorläufige Anwendung (bzw. neu auf die dringliche Kündigung) «verzichtet», wenn die zuständigen Kommissionen sich dagegen aussprechen. Man kann nur auf etwas verzichten, das man tun dürfte. Der Bundesrat verliert das im Verzicht enthaltene freie Ermessen; seine Zuständigkeit geht an die Kommissionen über.

3.2

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz

Art. 7a Sachüberschrift, Abs. 1, 1bis, 2, 3, Einleitungssatz und 4, Einleitungssatz Durch die neue Formulierung wird klargestellt, dass Artikel 7a nicht nur den selbstständigen Abschluss, sondern auch die Änderung und die Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen durch den Bundesrat regelt (siehe die Begründung unter Ziff. 2.2).

Mit dem neuen Absatz 1bis wird deutlich gemacht, dass der Bundesrat einen Vertrag selbstständig kündigen muss, wenn eine Verfassungsbestimmung die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages verlangt. Auch bereits nach geltendem Recht ist zwar klar, dass eine von Volk und Ständen beschlossene Verfassungsbestimmung Vorrang hat gegenüber einer Gesetzesbestimmung, die durch die Bundesversammlung oder im Falle eines Referendums durch das Volk (ohne Stände) beschlossen worden ist. Die Neuregelung der Zuständigkeiten bei der Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen könnte aber zum Missverständnis verleiten, dass auch in diesen Fällen ein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden muss und folglich die Bundesversammlung oder im Falle eines Referendums das Volk den Willen des

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Verfassungsgebers vereiteln könnte. Absatz 1bis stellt klar, dass der Bundesrat in diesen Fällen die Kündigung selbstständig vollziehen muss.

Absatz 1bis ist aber nur anwendbar bei direkt anwendbaren Verfassungsbestimmungen, die für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Kündigung keinen Ermessensspielraum offenlassen. Zum Beispiel verlangt die zurzeit noch im Stadium der Unterschriftensammlung stehende Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)», dass der Bundesrat das Freizügigkeitsabkommen mit der EU innert dreissig Tagen kündigen muss, wenn es innert zwölf Monaten nach Annahme der Initiative nicht auf dem Verhandlungsweg gelingt, es ausser Kraft zu setzen (BBl 2018 108). Falls diese Initiative angenommen würde, so müsste die Kündigung durch den Bundesrat selbstständig vorgenommen und nicht zuerst durch die Bundesversammlung und ggf. durch das Volk genehmigt werden. Das würde auch gelten, wenn der Bundesrat im Verfassungstext nicht ausdrücklich erwähnt wäre. Demgegenüber liegt ein Ermessensspielraum vor, wenn z. B. die zurzeit in der Bundesversammlung hängige Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» mit dem vorgeschlagenen Artikel 56a BV fordert, völkerrechtliche Verträge seien «nötigenfalls» zu kündigen, falls völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesverfassung widersprechen (BBl 2015 1965). Die Beurteilung der Notwendigkeit einer Kündigung kann in diesem Fall nicht dem Bundesrat überlassen bleiben; diese Frage muss durch die Bundesversammlung und im Falle eines Referendums durch das Volk beantwortet werden können.

Die Kommissionsminderheit (Stöckli, Cramer) möchte auf den neuen Absatz 1bis verzichten. Der Vorrang von direkt anwendbarem Verfassungsrecht sei einerseits selbstverständlich; eine diesbezügliche Klarstellung sei folglich unnötig. Andererseits könnte die Bestimmung aber auch Unklarheit schaffen, indem sie missverstanden werden könnte als verbindlicher Auftrag an den Bundesrat zur selbstständigen Kündigung auch in Fällen, in welchen ein Ermessensspielraum besteht, dessen Beurteilung dem Parlament und ggf. dem Volk zustehen muss.

In Absatz 2 und in den Einleitungssätzen von Absatz 3 und 4 wird präzisiert, dass der Bundesrat auch Verträge selbstständig ändern darf, deren Abschluss durch die Bundesversammlung
genehmigt worden ist, falls die Änderung von beschränkter Tragweite ist (siehe die Begründung unter Ziff. 2.3). Erfasst sind damit auch vom Volk genehmigte Verträge, da diese auch vorgängig von der Bundesversammlung genehmigt worden sind. Umgekehrt darf der Bundesrat einen durch ihn selbstständig abgeschlossenen Vertrag nicht selbstständig ändern, falls die Änderung nicht von beschränkter Tragweite ist.

Art. 7b Abs. 1bis Siehe die Erläuterungen unter Ziff. 3.1, letzter Absatz zu Artikel 152 Absatz 3bis ParlG.

Art. 7bbis

Dringliche Kündigung völkerrechtlicher Verträge durch den Bundesrat

Siehe die Erläuterungen unter Ziffer 2.4.

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Art. 48a Abs. 1, erster Satz, und Abs. 2, erster Satz Die neue Formulierung stellt klar, dass Artikel 48a nicht nur den Abschluss, sondern auch die Änderung und Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen erfasst. Dies betrifft die Möglichkeit der Delegation des Abschlusses, der Änderung und der Kündigung durch den Bundesrat an ein Departement, an eine Gruppe oder an ein Bundesamt (Abs. 1) und die jährliche Berichterstattung des Bundesrates an die Bundesversammlung über die ohne Genehmigung der Bundesversammlung abgeschlossenen, geänderten oder gekündigten Verträge (Abs. 2). Während die Berichterstattung über den Abschluss und die Änderung von Verträgen ermöglicht, dass die Bundesversammlung eine nachträgliche Unterbreitung zur Genehmigung verlangen kann, besteht diese Möglichkeit bei der Berichterstattung über die Kündigung allerdings nicht, weil durch die Kündigung die vertraglich vereinbarten Rechte und Pflichten definitiv aufgehoben werden und eine Rückgängigmachung der Kündigung nicht möglich ist. Diese Berichterstattung kann also nur ­ aber immerhin ­ den Charakter einer politischen Rechenschaftsablage haben.

Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) der Eidg. Räte hat im Jahre 2016 festgestellt, dass die Formulierung von Artikel 48a Absatz 2 2. Satz RVOG dazu führt, dass sie von bestimmten Verträgen keine Kenntnis erhält, obwohl diese Kenntnisnahme für die Erfüllung der Aufgaben der GPDel von Bedeutung sein kann. Artikel 6 des Publikationsgesetzes, auf den Artikel 48a RVOG verweist, ist die Rechtsgrundlage für Ausnahmen von der Publikationspflicht, wie sie in Artikel 3 PublG definiert wird. Der Verweis auf Artikel 6 PublG in Artikel 48a RVOG führt dazu, dass Verträge, die nach Artikel 3 PublG nicht publikationspflichtig sind, der GPDel nicht zur Kenntnis gebracht werden müssen. Das sind z. B. Vereinbarungen im Rüstungsbereich oder im Bereich des Nachrichtendienstes. Auf Anfrage der GPDel erklärte sich der Bundesrat mit Schreiben vom 9. Dezember 2016 bereit, bei der nächsten Revision des RVOG den Artikel 48a so anzupassen, dass der GPDel alle Verträge gemeldet werden müssen. In der Zwischenzeit ist dieses Postulat auch bereit auf Verordnungsebene erfüllt worden (neuer Art. 5c RVOV, in Kraft seit 1. Juli 2017; AS 2017 3275). Die Gelegenheit der vorliegenden Gesetzesrevision soll genutzt werden, um die entsprechende Änderung auch auf Gesetzesstufe vorzunehmen.

3.3

Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes

Art. 2 Bst. b In Analogie zu den Änderungen im ParlG und RVOG muss in Artikel 2 Buchstabe b des Bundesgesetzes über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK) ergänzt werden, dass die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes dazu beitragen soll, die Zuständigkeiten der Kantone nicht nur beim «Abschluss», sondern bei «Abschluss, Änderung und Kündigung» von völkerrechtlichen Verträgen nach Möglichkeit zu wahren.

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4

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die Vorlage hat keine quantifizierbaren finanziellen und personellen Auswirkungen.

5

Rechtliche Grundlagen

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen finden ihre Verfassungsgrundlage in Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b, 141 Absatz 1 Buchstabe d, 166 Absatz 2 und 184 Absatz 2 der Bundesverfassung (siehe die eingehende Begründung in Ziff. 2).

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