Anhang 7

Empfehlung 190 betreffend das Verbot und unverzügliche Massnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 1. Juni 1999 zu ihrer siebenundachtzigsten Tagung zusammengetreten ist, hat das Übereinkommen über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999, angenommen, hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend Kinderarbeit, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form einer Empfehlung zur Ergänzung des Übereinkommens über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999, erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 17. Juni 1999, die folgende Empfehlung an, die als Empfehlung betreffend die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999, bezeichnet wird.

1. Die Bestimmungen dieser Empfehlung ergänzen diejenigen des Übereinkommens über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999 (im Folgenden «das Übereinkommen» genannt), und sollten zusammen mit ihnen angewendet werden.

I. Aktionsprogramme 2. Die in Artikel 6 des Übereinkommens genannten Aktionsprogramme sollten vordringlich in Beratung mit den einschlägigen staatlichen Einrichtungen und den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden geplant und durchgeführt werden, wobei die Auffassungen der von den schlimmsten Formen der Kinderarbeit unmittelbar betroffenen Kinder, ihrer Familien und gegebenenfalls anderer in Betracht kommender Gruppen, die sich zu den Zielen des Übereinkommens und dieser Empfehlung bekennen, berücksichtigt werden sollten. Solche Programme sollten u. a. zum Ziel haben: a)

die schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu ermitteln und anzuprangern;

b)

den Einsatz von Kindern bei den schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu verhindern oder sie aus solchen Formen der Kinderarbeit herauszuholen, sie vor Vergeltungsmassnahmen zu schützen und ihre Rehabilitation und soziale Eingliederung durch Massnahmen vorzusehen, die auf ihre Bildungsbedürfnisse sowie ihre körperlichen und psychologischen Bedürfnisse eingehen;

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Empfehlung 190

c)

besondere Aufmerksamkeit zu widmen: i) jüngeren Kindern; ii) Mädchen; iii) dem Problem der Arbeit im Verborgenen, bei der Mädchen besonders gefährdet sind; iv) anderen Gruppen von Kindern, die besonders verwundbar sind oder besondere Bedürfnisse haben;

d)

Gemeinschaften zu ermitteln und zu erreichen, in denen Kinder einem besonderen Risiko ausgesetzt sind, und mit solchen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten;

e)

die Öffentlichkeit und die in Betracht kommenden Gruppen, einschliesslich der Kinder und ihrer Familien, zu informieren, zu sensibilisieren und zu mobilisieren.

II. Gefährliche Arbeit 3. Bei der Bestimmung der unter Artikel 3 d) des Übereinkommens genannten Arten von Arbeit und bei der Ermittlung, wo sie vorkommen, sollte u. a. berücksichtigt werden: a)

Arbeit, die Kinder einem körperlichen, psychologischen oder sexuellen Missbrauch aussetzt;

b)

Arbeit unter Tage, unter Wasser, in gefährlichen Höhen oder in engen Räumen;

c)

Arbeit mit gefährlichen Maschinen, Ausrüstungen und Werkzeugen oder Arbeit, die mit der manuellen Handhabung oder dem manuellen Transport von schweren Lasten verbunden ist;

d)

Arbeit in einer ungesunden Umgebung, die Kinder beispielsweise gefährlichen Stoffen, Agenzien oder Verfahren oder gesundheitsschädlichen Temperaturen, Lärmpegeln oder Vibrationen aussetzen kann;

e)

Arbeit unter besonders schwierigen Bedingungen, beispielsweise Arbeit während langer Zeit oder während der Nacht oder Arbeit, bei der das Kind ungerechtfertigterweise gezwungen ist, in den Betriebsräumen des Arbeitgebers zu bleiben.

4. Für die unter Artikel 3 d) des Übereinkommens und im vorstehenden Absatz 3 genannten Arten von Arbeit könnte die innerstaatliche Gesetzgebung oder die zuständige Stelle nach Beratung mit den in Betracht kommenden Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden eine Beschäftigung oder Arbeit ab dem Alter von 16 Jahren unter der Voraussetzung genehmigen, dass die Gesundheit, die Sicherheit und die Sittlichkeit der betreffenden Kinder voll geschützt sind und die Kinder eine angemessene sachbezogene Unterweisung oder berufliche Ausbildung im entsprechenden Wirtschaftszweig erhalten haben.

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Empfehlung 190

III. Durchführung 5. (1) Es sollten detaillierte Informationen und statistische Daten über Art und Ausmass der Kinderarbeit zusammengestellt und auf dem neuesten Stand gehalten werden, um als Grundlage für die Festlegung von Prioritäten für innerstaatliche Massnahmen zur Abschaffung der Kinderarbeit, insbesondere zum vordringlichen Verbot und zur vordringlichen Beseitigung ihrer schlimmsten Formen, zu dienen.

(2) Soweit möglich sollten solche Informationen und statistischen Daten nach Geschlecht, Altersgruppe, Beruf, Wirtschaftszweig, Stellung im Erwerbsleben, Schulbesuch und geografischem Standort gegliederte Daten umfassen. Der Bedeutung eines wirksamen Systems der Geburtenregistrierung, einschliesslich der Ausstellung von Geburtsurkunden, sollte Rechnung getragen werden.

(3) Es sollten einschlägige Daten über Verstösse gegen die innerstaatlichen Vorschriften betreffend das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit zusammengestellt und auf dem neuesten Stand gehalten werden.

6. Die Zusammenstellung und Verarbeitung der in Absatz 5 genannten Informationen und Daten sollte unter gebührender Berücksichtigung des Rechts auf Schutz der Privatsphäre erfolgen.

7. Die gemäss Absatz 5 zusammengestellten Informationen sollten regelmässig an das Internationale Arbeitsamt übermittelt werden.

8. Die Mitglieder sollten nach Beratung mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden geeignete innerstaatliche Mechanismen einrichten oder bezeichnen, um die Durchführung der innerstaatlichen Vorschriften betreffend das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu überwachen.

9. Die Mitglieder sollten sicherstellen, dass die zuständigen Stellen, die die Verantwortung für die Durchführung der innerstaatlichen Vorschriften betreffend das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit haben, zusammenarbeiten und ihre Tätigkeiten koordinieren.

10. Die innerstaatliche Gesetzgebung oder die zuständige Stelle sollte die Personen bestimmen, die im Fall einer Nichtbeachtung der innerstaatlichen Vorschriften betreffend das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit zur Verantwortung zu ziehen sind.

11. Die Mitglieder sollten sich, soweit es mit dem innerstaatlichen Recht vereinbar ist, an den internationalen Bemühungen zum vordringlichen Verbot und zur vordringlichen Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit beteiligen, indem sie: a)

Informationen über strafbare Handlungen, einschliesslich solcher, in die internationale Netze verwickelt sind, sammeln und austauschen;

b)

Personen ermitteln und verfolgen, die am Verkauf von Kindern und am Kinderhandel oder am Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten von Kindern zu unerlaubten Tätigkeiten, zur Prostitution, zur Herstellung von Pornografie oder zu pornografischen Darbietungen beteiligt sind;

c)

die Täter registrieren.

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Empfehlung 190

12. Die Mitglieder sollten vorsehen, dass die folgenden schlimmsten Formen der Kinderarbeit strafbare Handlungen darstellen: a)

alle Formen der Sklaverei oder alle sklavereiähnlichen Praktiken, wie der Verkauf von Kindern und der Kinderhandel, Schuldknechtschaft und Leibeigenschaft sowie Zwangs- oder Pflichtarbeit, einschliesslich der Zwangsoder Pflichtrekrutierung von Kindern für den Einsatz in bewaffneten Konflikten;

b)

das Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines Kindes zur Prostitution, zur Herstellung von Pornografie oder zu pornografischen Darbietungen;

c)

das Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines Kindes zu unerlaubten Tätigkeiten, insbesondere zur Gewinnung von und zum Handel mit Drogen, wie diese in den einschlägigen internationalen Übereinkünften definiert sind, oder zu Tätigkeiten, die mit dem unrechtmässigen Tragen oder der unrechtmässigen Verwendung von Schusswaffen oder sonstigen Waffen verbunden sind.

13. Die Mitglieder sollten sicherstellen, dass bei Verstössen gegen die innerstaatlichen Vorschriften betreffend das Verbot und die Beseitigung der in Artikel 3 d) des Übereinkommens genannten Arten von Arbeit Strafen, gegebenenfalls einschliesslich strafrechtlicher Massnahmen, angewendet werden.

14. Die Mitglieder sollten, soweit angebracht, dringend auch andere straf-, ziviloder verwaltungsrechtliche Massnahmen vorsehen, um die wirksame Durchsetzung der innerstaatlichen Vorschriften betreffend das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit sicherzustellen, beispielsweise die besondere Überwachung von Betrieben, die von den schlimmsten Formen der Kinderarbeit Gebrauch gemacht haben, und bei anhaltenden Verstössen den zeitweiligen oder dauerhaften Entzug ihrer Betriebserlaubnis.

15. Weitere Massnahmen betreffend das Verbot und die Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit könnten Folgendes umfassen: a)

die Unterrichtung, Sensibilisierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit, einschliesslich der nationalen und lokalen politischen Führungspersönlichkeiten, der Parlamentarier und der Justiz;

b)

die Beteiligung und Schulung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und gesellschaftlichen Organisationen;

c)

die Vermittlung einer geeigneten Ausbildung für die betroffenen staatlichen Bediensteten, insbesondere Inspektoren und Vollzugsbeamte, und für andere in Frage kommende Fachkräfte;

d)

die strafrechtliche Verfolgung von Staatsangehörigen des Mitglieds, die nach dessen innerstaatlichen Vorschriften betreffend das Verbot und die unverzügliche Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit strafbare Handlungen begehen, in ihrem eigenen Land, auch wenn diese strafbaren Handlungen in einem anderen Land begangen worden sind;

e)

die Vereinfachung der Rechts- und Verwaltungsverfahren und Sicherstellung, dass sie geeignet und zügig sind; 423

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f)

die Ermutigung der Betriebe zum Ausarbeiten einer Politik zur Förderung der Ziele des Übereinkommens;

g)

die Erfassung und Bekanntmachung vorbildlicher Praktiken zur Beseitigung der Kinderarbeit;

h)

die Bekanntmachung von Rechtsvorschriften oder sonstigen Bestimmungen über Kinderarbeit in den verschiedenen Sprachen oder Dialekten;

i)

die Einrichtung besonderer Beschwerdeverfahren und Vorkehrungen, um Personen, die Verstösse gegen die Bestimmungen des Übereinkommens rechtmässig enthüllen, vor Diskriminierung und Vergeltungsmassnahmen zu schützen, sowie die Einrichtung von Telefonhilfe-Diensten oder Kontaktstellen und die Ernennung von Ombudspersonen;

j)

die Annahme geeigneter Massnahmen zur Verbesserung der schulischen Infrastruktur und der Ausbildung der Lehrer, um den Bedürfnissen von Jungen und Mädchen gerecht zu werden;

k)

soweit möglich, die Berücksichtigung in den innerstaatlichen Aktionsprogrammen: i) der Notwendigkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Berufsbildung für die Eltern und die Erwachsenen in den Familien von Kindern, die unter den Bedingungen arbeiten, die durch das Übereinkommen erfasst werden; und ii) der Notwendigkeit einer Sensibilisierung der Eltern für das Problem von Kindern, die unter solchen Bedingungen arbeiten.

16. Eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und/oder gegenseitige Hilfeleistung der Mitglieder im Hinblick auf das Verbot und die wirksame Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit sollte die innerstaatlichen Bemühungen ergänzen und kann gegebenenfalls in Beratung mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden entwickelt und durchgeführt werden. Eine solche internationale Zusammenarbeit und/oder Hilfeleistung sollte umfassen: a)

die Mobilisierung von Mitteln für nationale oder internationale Progra mme;

b)

gegenseitige Rechtshilfe;

c)

technische Unterstützung, einschliesslich des Austauschs von Informationen;

d)

Unterstützung für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung, für Programme zur Beseitigung von Armut und für universelle Bildung.

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