Gesuch um Bewilligung eines Freisetzungsversuchs mit pathogenen Organismen (Referenz-Nr. B00002)

Verfügung des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) vom 5. Mai 2000 betreffend das Gesuch des Institutes für Mikrobiologie ETHZ, 8092 Zürich vom 3. Februar 2000 um Bewilligung eines Freisetzungsversuchs mit natürlichen Isolaten des insektenpathogenen Pilzes Erynia neoaphis in Tägerwilen und Grossaffoltern.

A.

Sachverhalt

1.

Ziel und Inhalt des Gesuchs

Der Pilz Erynia neoaphis ist ein Mikroorganismus, der ausschliesslich Blattläuse befällt und sich deshalb als Nützling bei der biologischen Schädlingsbekämpfung eignen würde. Ziel des beantragten Freisetzungsversuchs ist es, verschiedene Formulierungen des Pilzes unter schweizerischen Feldbedingungen zu prüfen und dabei festzustellen, in welchem Mass damit in den Blattlauspopulationen Infektionen ausgelöst werden können. Mit den Versuchen soll abgeklärt werden, ob und wie weit Erynia neoaphis künftig zur biologischen Kontrolle von Blattläusen in Gemüsekulturen eingesetzt werden kann.

Die für den Versuch vorgesehenen Pilze sind aus schweizerischen Wildstämmen isoliert und weder einer Mutagenese ausgesetzt noch gentechnisch verändert worden. Die im Labor gehaltenen Kulturen sind hingegen regelmässig einer Wirtspassage unterworfen worden, um einem allfälligen Virulenzverlust entgegenzuwirken.

2.

Vorgehen, Ablauf

Am 3. Februar 2000 reichte das Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich beim Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) das Gesuch für einen Freisetzungsversuch mit Erynia neoaphis ein. Das BUWAL prüfte die Unterlagen auf Vollständigkeit (Mindestangaben nach Entwurf der Freisetzungsverordnung), forderte fehlende Dokumente nach und bestätigte der Gesuchstellerin am 2. März 2000, dass das Dossier nun alle für die Einleitung des Bewilligungsverfahrens notwendigen Angaben enthalte. Anschliessend wurde vom BUWAL: a.

das Dossier den Bundesämtern für Gesundheit (BAG), für Landwirtschaft (BLW) und für Veterinärwesen (BVET), den kantonalen Laboratorien des Kantons Bern und des Kantons Thurgau (zuständige kantonale Fachstellen), der Eidg. Fachkommission für biologische Sicherheit (EFBS) und der Eidg.

Ethikkomission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich zur Stellungnahme zugestellt;

b.

das Arbeitsinspektorat des Staatsekretariats für Wirtschaft (seco) und die Schweiz. Unfallversicherungsanstalt (SUVA) über das Gesuch und die Möglichkeit zur Einsichtnahme orientiert;

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c.

der Eingang des Gesuchs in Form eines Kurzbeschriebs im Bundesblatt (BBl 2000 1861) publiziert und das Dossier im BUWAL und bei den Gemeindeverwaltungen in Grossaffoltern und Tägerwilen während der Zeit vom 14. März ­ 4. Mai 2000 zur Einsichtnahme für alle interessierten Personen aufgelegt.

Eine Umfrage des BUWAL bei den betroffenen Stellen, ob eine gemeinsame Besprechung des Gesuchs mit der Gesuchstellerin erwünscht sei, ergab, dass dazu kein Bedarf vorhanden war.

Der Gemeinderat Grossaffoltern richtete mit Schreiben vom 23. Februar 2000 eine Reihe von Fragen an das BUWAL bezüglich Ablauf des Verfahrens und reichte eine vorsorgliche Einsprache ein. Er zog diese nach Beantwortung der Fragen am 19. April 2000 wieder zurück. Weitere Einsprachen gingen nicht ein.

Das BUWAL informierte die beiden kantonalen Fachstellen und die beiden Standortgemeinden am 27. April 2000 über den genauen Standort des Versuchs (Parzellen).

B.

Erwägungen

1.

Formelles

Nach Artikel 7 Absatz 1 der Freisetzungsverordnung vom 25. August 1999 (FrSV; SR 814.911) benötigt eine Bewilligung des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), wer gentechnisch veränderte, pathogene oder andere nach Artikel 5 der Einschliessungsverordnung vom 25. August 1999 als potenziell gefährdend eingestufte Organismen im Versuch freisetzen will. Der im Versuch freizusetzende Pilz ist pathogen für Blattläuse, weshalb der vorgesehene Freisetzungsversuch unter die FrSV fällt.

2.

Materielles

Nach Artikel 8 Absatz 1 FrSV sind Freisetzungsversuche nur zulässig, wenn keine Gefährdung von Mensch und Umwelt zu erwarten ist, namentlich wenn der Stoffhaushalt des betroffenen Ökosystems und die darin vorkommenden Organismen nicht stark oder dauerhaft gestört werden und keine dauerhafte Verbreitung unerwünschter Eigenschaften stattfindet.

2.1

Stellungnahmen von Behörden, Kommissionen und Fachstellen

Gestützt auf die eingereichten Unterlagen nahmen die nach Artikel 18 Absatz 4 FrSV angehörten Fachstellen wie folgt Stellung: Bundesamt für Gesundheit (BAG) Das BAG ist mit der Durchführung des Freisetzungsversuchs einverstanden. Es weist in seinen Stellungnahmen vom 8. März und 18. April 2000 darauf hin, dass nach heutigem Wissensstand nur die Art Erynia coronata in der Lage ist, beim Menschen Mykosen zu erzeugen und dass für Erynia neoaphis keine negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bekannt sind. Es erachtet deshalb besondere Massnahmen nicht als nötig und empfiehlt lediglich, die bei der Ausbringung von Sporenpräparaten üblichen Personenschutzmassnahmen zu treffen.

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Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) Das BLW begrüsst in seiner Stellungnahme vom 7. April 2000 die Durchführung des Freisetzungsversuchs und weist auf die Bedeutung von Erynia neoaphis als insektenpathogener Pilz für die Landwirtschaft hin.

Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) Das BVET äussert sich nicht materiell zum Gesuch und teilt mit, dass es sachlich nicht betroffen ist.

Eidg. Fachkommission für biologische Sicherheit (EFBS) Die EFBS hat das Gesuch an der Sitzung vom 3. April 2000 diskutiert. Sie kommt einstimmig zum Schluss, dass der geplante Freisetzungsversuch nach heutigem Stand des Wissens kein Risiko für Mensch und Umwelt beinhaltet und deshalb durchgeführt werden kann. Sie legt Wert darauf, dass eine adäquate Nachweismethode mittels RAPD1 für den zur Anwendung kommenden Erynia neoaphis-Stamm vorliegt, so dass im Falle unerwarteter Entwicklungen Proben untersucht werden können.

Eidg. Ethikkommission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich (EKAH) Die EKAH teilt in ihrer Stellungnahme vom 12. April 2000 mit, dass sich nach ihrer Auffassung beim vorliegenden Gesuch keine drängenden ethischen Fragen stellen, und verzichtet deshalb auf materielle Bemerkungen.

Kantonales Laboratorium Thurgau In seiner Stellungnahme vom 17. April 2000 teilt das Kantonale Laboratorium als Fachstelle des Kantons Thurgau mit, dass die von der Gesuchstellerin gelieferten Informationen und insbesondere die Risikobewertung wissenschaftlich korrekt und nachvollziehbar sind. Aufgrund der Eigenschaften des Pilzes und der Tatsache, dass der Pilzstamm ein Wild-Typ Isolat ist, kommt das Kantonale Laboratorium zum Schluss, dass für Mensch und Umwelt kein Risiko bestehe.

Das Kantonale Laboratorium Thurgau erachtet eine offizielle Begleitgruppe nicht als notwendig, stünde aber einer informativen Begleitgruppe, die auch als Auskunftsstelle dienen könnte, durchaus positiv gegenüber. Es teilt zudem mit, dass es die Organisation einer Informationsveranstaltung bei Versuchsbeginn in der Standortgemeinde prüft. Es verlangt ausserdem eine Signalisation des Prüfgeländes. Es ist damit einverstanden, dass das vom Versuch betroffene Gemüse von der Firma Biotta zum Verkehr freigegeben wird.

Kantonales Laboratorium Bern Das Kantonale Laboratorium Bern stellt in seiner Stellungnahme vom 13. April 2000 fest, dass das Vorhaben zur
biologischen Kontrolle von Blattläusen mittels natürlichen Isolaten des Pilzes Erynia neoaphis richtig beurteilt wurde und deshalb kein Risiko für die Umwelt darstellt.

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Randomly Amplified Polimorphism DNA techniques

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Eine Begleitgruppe wird vom Kantonalen Laboratorium Bern nicht als notwendig erachtet. Hingegen verlangt es eine vorgängige Information über relevante Versuchsphasen, namentlich über den Zeitpunkt der Ausbringung der Organismen durch die Gesuchstellerin, und wünscht noch präzisere Angaben (Parzellenangabe) über den Versuchsort. Zudem verlangt es, dass im Falle eines Inverkehrbringens das behandelte Gemüse den Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung entsprechen müsse (Rückstände).

2.2

Beurteilung und Schlussfolgerung der Bewilligungsbehörde

Das BUWAL prüfte im Rahmen seiner Analyse namentlich die Frage, ob von Erynia neoaphis allenfalls schädliche Einwirkungen auf andere Organismen möglich sind.

Es kam dabei zum Schluss, dass der Pilz in der Schweiz weit verbreitet ist und zum Ökosystem gehört und dass nach heutigem Wissensstand keine negativen Effekte auf irgendwelche Organismen ausser Blattläusen zu erwarten sind, weil Erynia neoaphis eine hohe Wirtsspezifität aufweist. Der Pilz braucht zu seiner Vermehrung ausserdem seinen Wirt und pflanzt sich z.B. im Boden oder auf anderen organischen Substraten nicht selbstständig fort.

Aufgrund seiner eigenen Beurteilung sowie aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen kommt das BUWAL zum Schluss, dass der geplante Freisetzungsversuch nach dem Stand der Wissenschaft und der Erfahrung den Menschen oder die Umwelt nicht gefährden kann.

C.

Entscheid

Aufgrund dieser Erwägungen und unter Berücksichtigung der Stellungnahmen von BAG, BLW und BVET zur Durchführung des Versuchs wird gestützt auf die Artikel 19 Absatz 1 der Freisetzungsverordnung (FrSV) verfügt: 1.

Das Gesuch des Institutes für Mikrobiologie der ETH Zürich vom 3. Februar 2000 um Bewilligung eines Freisetzungsversuchs mit natürlichen Isolaten von Erynia neoaphis wird bewilligt: a. für die Gemeinde Tägerwilen (Kanton Thurgau); b. für die Gemeinde Grossaffoltern (Kanton Bern).

2.

Die Gesuchstellerin muss zusätzlich zu den von ihr vorgeschlagenen Massnahmen folgende Auflagen erfüllen: a. Sie informiert bei Beginn und bei Abschluss des Versuchs das BUWAL, die kantonalen Laboratorien Bern und Thurgau sowie die Gemeindebehörden der Standortgemeinden Grossaffoltern und Tägerwilen.

b. Sie berücksichtigt bei der Durchführung die notwendigen Personenschutzmassnahmen gemäss den Empfehlungen der Eidg. Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau, Wädenswil.

c. Sie ist für die Einrichtung einer Auskunftsstelle für die Öffentlichkeit besorgt.

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d.

e.

Sie teilt allfällige neue sicherheitsrelevante Erkenntnisse oder Feststellungen dem BUWAL unverzüglich mit.

Sie reicht innert 90 Tagen nach Abschluss des Versuchs dem BUWAL einen Bericht über den Freisetzungsversuch ein und nimmt darin namentlich zu allenfalls festgestellten Einwirkungen auf Mensch und Umwelt Bezug.

3.

Gegen diese Verfügung kann innert 30 Tagen seit Eröffnung der Verfügung beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), 3003 Bern, Beschwerde erhoben werden (Art. 50 VwVG).

Zur Beschwerde berechtigt ist, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat, sowie jede andere Person, Organisation oder Behörde, die das Bundesrecht zur Beschwerde ermächtigt (Art. 54 USG i.V.m. Art. 48 VwVG).

Die Beschwerdefrist beginnt für Parteien, denen dieser Entscheid persönlich eröffnet wird, an dem auf den Eingang der schriftlichen Ausfertigung folgenden Tag, für die andern Parteien an dem auf die Publikation folgenden Tag zu laufen.

Die Beschwerdeschrift ist im Doppel einzureichen. Sie hat die Begehren, deren Begründungen mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift der beschwerdeführenden bzw. der sie vertretenden Person zu enthalten. Die angefochtene Verfügung und die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind der Beschwerde beizulegen, soweit die Beschwerdeführerin oder der Beschwerdeführer sie in Händen hält.

Die Verfügung und die Entscheidunterlagen können innerhalb der Beschwerdefrist beim BUWAL, Abt. Stoffe, Boden, Biotechnologie, Worblentalstrasse 68, 3063 Ittigen, zu den üblichen Bürozeiten eingesehen werden. Telefonische Voranmeldung unter der Nummer 031/322 93 49.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeinstanz für das Verfahren von den Parteien die Bestellung eines oder mehrerer Vertreter verlangen kann, wenn in einer Sache mehr als 20 Parteien mit kollektiven oder individuellen Eingaben auftreten, um gleiche Interessen wahrzunehmen (Art. 11a VwVG).

4.

Der Entscheid wird eingeschrieben eröffnet - dem Gesuchsteller - den Gemeinden Tägerwilen und Grossaffoltern und im Bundesblatt publiziert (VwVG Art. 36).

5.

Mitteilung zur Kenntnis an: - Generalsekretariat UVEK - Bundesamt für Gesundheit - Bundesamt für Landwirtschaft - Bundesamt für Veterinärwesen - Staatssekretariat für Wirtschaft - Schweiz. Unfallverhütungsanstalt

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Kantonales Laboratorium Bern Kantonales Laboratorium Thurgau Eidg. Fachkommission für biologische Sicherheit Eidg. Ethikkommission für die Gentechnik im ausserhumanen Bereich

5. Mai 2000

Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Der Direktor: Roch

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