18.440 Parlamentarische Initiative Befristete Verlängerung der Zulassungsbeschränkung nach Artikel 55a KVG Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 30. August 2018

Sehr geehrter Herr Präsident, Sehr geehrte Damen und Herren Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates unterbreitet Ihnen ihren Bericht über den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG)1 zur befristeten Verlängerung der Zulassungsbeschränkung nach Artikel 55a KVG. Sie beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

30. August 2018

Im Namen der Kommission Der Präsident: Thomas de Courten

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SR 832.10

2018-2964

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Bericht 1

Ausgangslage und Entstehungsgeschichte dieses Entwurfs

Artikel 55a KVG gibt dem Bundesrat bis zum 30. Juni 2019 die Möglichkeit, die Zulassung von Ärzten und Ärztinnen einzuschränken, die im ambulanten Bereich zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) tätig sind. Eine solche Regulierung war zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 31. Dezember 2011 ­ in unterschiedlichen Formen ­ elf Jahre lang gültig. Ihre Aufhebung per 1. Januar 2012 führte zu einer massiven Zunahme der Zahl der freipraktizierenden Ärzte und Ärztinnen.

Der Bundesrat unterbreitete dem Parlament deshalb am 21. November 2012 die KVG-Änderung «Vorübergehende Wiedereinführung der bedarfsabhängigen Zulassung»2. Aus den parlamentarischen Beratungen resultierte Artikel 55a KVG im heute noch geltenden Wortlaut. Die Bestimmung wurde auf den 1. Juli 2013 dringlich in Kraft gesetzt, und ihre Geltungsdauer damals bis zum 30. Juni 2016 befristet.

Am 18. Februar 2015 legte der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zur Änderung des KVG «Steuerung des ambulanten Bereichs»3 vor. Die eidgenössischen Räte änderten diese Vorlage zunächst übereinstimmend in dem Sinne, dass Artikel 55a KVG unverändert und ohne Befristung im KVG verankert werden sollte. In der Schlussabstimmung lehnte der Nationalrat diese Lösung am 18. Dezember 2015 jedoch mit 97 zu 96 Stimmen bei 1 Enthaltung ab.

Am 22. Januar 2016 beschloss die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) eine Initiative4, um die Geltungsdauer von Artikel 55a um drei Jahre bis zum 30. Juni 2019 zu verlängern. National- und Ständerat hiessen die Verlängerung am 17. Juni 2016 in der Schlussabstimmung gut und setzten sie dringlich in Kraft.

Gleichzeitig erteilten sie dem Bundesrat den Auftrag, bis zum 30. Juni 2017 eine Gesetzesvorlage in die Vernehmlassung zu schicken, und zwar im Sinne des Postulats «Alternativen zur heutigen Steuerung der Zulassung von Ärztinnen und Ärzten», das die SGK-SR eingereicht hatte (16.3000), und der Motion «Gesundheitssystem.

Ausgewogenes Angebot durch Differenzierung des Taxpunktwertes», welche die SGK-NR eingereicht hatte (16.3001). Am 3. März 2017 legte der Bundesrat den Bericht «Alternativen zur heutigen Steuerung der Zulassung von Ärztinnen und Ärzten» in Erfüllung des Postulats 16.3000 vor, den die Verwaltung basierend auf Diskussionen mit wichtigen Akteuren des ambulanten
Bereichs und Gesundheitsexperten erarbeitet hatte. Der Bundesrat kam zum Schluss, eine Versorgungssteuerung mittels der Differenzierung von Tarifen sei nicht opportun und für einen Konsens über ein Modell zur Lockerung des Vertragszwangs seien noch viele Diskussionen unter den Akteuren nötig. Vor diesem Hintergrund stellte der Bundesrat 2 3 4

BBl 2012 9439; Geschäft 12.092.

BBl 2015 2317; Geschäft 15.020.

Pa. Iv. Verlängerung der Gültigkeit von Artikel 55a KVG (16.401 n).

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eine Vorlage für die Versorgungssteuerung in Aussicht, die den Beschäftigungsgrad der Leistungserbringer und die Mobilität der Patientinnen und Patienten berücksichtigen würde.

Die SGK-NR nahm den Bericht am 12. Mai 2017 zur Kenntnis. Sie zeigte sich unzufrieden damit, dass der Bundesrat grundsätzlich die geltende Zulassungssteuerung weiterführen und das System lediglich verfeinern wolle. Mit 15 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung beschloss sie die Kommissionsinitiative «Kantonale Steuerung der Zulassung und Stärkung der Vertragsautonomie» (17.442). Sie sah vor, eine Nachfolgeregelung zu Artikel 55a KVG auszuarbeiten in Anlehnung an die Vorlage «Bundesgesetz über die Krankenversicherung. Teilrevision. Vertragsfreiheit» vom 26. Mai 2004 (04.032)5. Demnach sollten die Kantone für die Sicherstellung der Versorgung im ambulanten Bereich eine Bandbreite an Leistungserbringern (Mindest- und Höchstzahlen) festlegen. Die Leistungserbringer sollten nur zu Lasten der Grundversicherung tätig sein können, wenn sie mit einem Versicherer einen Zulassungsvertrag abschliessen würden oder in einem integrierten Versorgungsnetz tätig wären. Die SGK-SR stimmte diesem Beschluss am 15. Januar 2018 mit 7 zu 4 Stimmen zu.

Am 9. Mai 2018 unterbreitete der Bundesrat den eidgenössischen Räten seine Botschaft und den Entwurf «KVG. Zulassung von Leistungserbringern»6 (18.047 n).

Die SGK-NR trat am 5. Juli 2018 ohne Gegenstimme auf den Entwurf ein. Sie nahm dabei zur Kenntnis, dass das Parlament seine Beratungen bis zum Ende der Wintersession 2018 abschliessen müsste, um einen nahtlosen Übergang von der bestehenden zur neuen Regelung der Zulassungsbeschränkung zu ermöglichen.

Am 6. Juli 2018 beschloss die Kommission mit 16 zu 7 Stimmen vorsorglich die vorliegende Initiative. Diese sieht vor, die Geltungsdauer der Zulassungsbeschränkung für Ärzte und Ärztinnen nach Artikel 55a KVG um weitere zwei Jahre bis zum 30. Juni 2021 zu verlängern. Mit diesem Vorgehen will die Kommission die nötige Zeit gewinnen, um den Entwurf des Bundesrates mit der notwendigen gesetzgeberischen Sorgfalt und im Zusammenhang mit ihrem Vorentwurf «KVG. Einheitliche Finanzierung der Leistungen im ambulanten und im stationären Bereich»7 umfassend beraten zu können. Diesen Vorentwurf hatte die Kommission am 15. Mai 2018 in die Vernehmlassung geschickt. In
ihrem erläuternden Bericht dazu hatte sie bereits auf den engen Zusammenhang zwischen beiden Vorlagen hingewiesen. 8 Die Minderheit, welche die vorliegende Initiative ablehnte, hätte stattdessen die Beratung des bundesrätlichen Entwurfs vorantreiben wollen, damit das Parlament ohne weitere Verzögerung eine definitive Regelung der Zulassungsbeschränkung hätte verabschieden können.

5 6 7 8

BBl 2004 4293 BBl 2018 3125 Vorentwurf zur Pa. Iv. Finanzierung der Gesundheitsleistungen aus einer Hand. Einführung des Monismus (09.528 n); Frist für die Vernehmlassung bis 15. September 2018.

09.528 n Pa. Iv. Finanzierung der Gesundheitsleistungen aus einer Hand. Einführung Monismus, Vorentwurf und erläuternder Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 19. April 2018, S. 18; www.parlament.ch > 09.528 > Vernehmlassung.

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Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR) stimmte der parlamentarischen Initiative am 21. August 2018 mit 8 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen zu. Am 30. August 2018 nahm die SGK-NR den Erlassentwurf mit 20 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung an und unterbreitete ihn mit dem dazugehörigen Bericht dem Nationalrat. Gleichzeitig stellte sie den Erlassentwurf und Bericht dem Bundesrat zur Stellungnahme zu.

2

Verzicht auf das Vernehmlassungsverfahren

Bei der Vorbereitung von Gesetzesvorlagen ist grundsätzlich ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen.9 Auf dieses kann jedoch verzichtet werden, wenn keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind, insbesondere weil über den Gegenstand des Vorhabens bereits eine Vernehmlassung durchgeführt worden ist.10 Die Frage einer Zulassungsbeschränkung für Ärzte und Ärztinnen, die im ambulanten Bereich tätig sind, war Gegenstand des Vernehmlassungsverfahrens, das der Bundesrat vom 5. Juli 2017 bis zum 25. Oktober 2017 zu seinem Vorentwurf betreffend die Zulassung von Leistungserbringern durchführte. Der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung11 zeigte, dass sich die meisten Teilnehmer zwar einig waren, dass die Zulassung gesteuert werden müsse, die Meinungen zur unterbreiteten Vorlage jedoch auseinandergingen. Die Parteien CVP, FDP, Grünliberale und SVP verlangten, die Zulassungsbeschränkung der Ärztinnen und Ärzte sei mittelfristig mit der einheitlichen Finanzierung der Leistungen zu verknüpfen.

Zwischenzeitlich schlossen sie jedoch eine Verlängerung der Zulassungsbeschränkung, einschliesslich gewisser Verbesserungen des Systems, nicht aus. Einer grossen Mehrheit der Kantone war es ein Anliegen, dass die Zulassungen unterbruchlos weiter beschränkt werden können, weil eine Situation ohne Steuerungsmöglichkeit, wie dies zwischen dem 1. Januar 2012 und dem 30. Juni 2013 der Fall war, gerade in den Grenzkantonen erneut zu einem massiven Zustrom von europäischen Ärztinnen und Ärzten und somit zu einem starken Anstieg der Kosten zu Lasten der OKP führen würde.

Angesichts dieser Stellungnahmen und der Tatsache, dass es bei der vorliegenden Initiative lediglich um eine befristete Verlängerung der geltenden Zulassungsbeschränkung geht, erscheint der Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren zulässig.

9 10 11

Bundesgesetz vom 18. März 2005 über das Vernehmlassungsverfahren (VlG, SR 172.061), Art. 3 Abs. 1 Bst. b Art. 3a Abs. 1 Bst. b VlG Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Zulassung von Leistungserbringern), Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung, 9. Mai 2018, www.admin.ch > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2017 > EDI.

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Grundzüge der Vorlage

Die Einschränkung der Zulassung zur Tätigkeit zulasten der OKP soll in derjenigen Form weitergeführt werden, die sie beim Auslaufen der Bestimmung am 30. Juni 2019 aufweist. Die Bestimmung wird auf zwei Jahre befristet.

Die befristete Weiterführung von Artikel 55a KVG bietet den Kantonen, die darauf angewiesen sind, ein wirksames Steuerungsinstrument. Ebenso können die bisherigen kantonalen Vollzugsregelungen weitergeführt werden, und die Kantone haben die Möglichkeit, die Zulassung weiterhin an Bedingungen zu knüpfen. Indem ihnen die Kompetenz eingeräumt wird, die von der Zulassungsbeschränkung betroffenen Leistungserbringer zu bezeichnen, erhalten die Kantone, in denen Handlungsbedarf besteht, die Möglichkeit einzugreifen. Diejenigen Kantone, die nicht mit diesem Problem konfrontiert sind oder in denen gar eine Unterversorgung besteht, werden hingegen nicht zum Handeln gezwungen. Ausserdem ist nach wie vor vorgesehen, dass eine Zulassung verfällt, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist von ihr Gebrauch gemacht wird.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 55a Abs. 1 Wie in der bisherigen Regelung wird mit Absatz 1 dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, die Zulassung von Ärztinnen und Ärzten von einem Bedürfnis abhängig zu machen. Betroffen sind weiterhin die selbstständig und die unselbstständig tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie die Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten in Einrichtungen nach Artikel 36a KVG und im ambulanten Bereich von Spitälern nach Artikel 39 KVG.

Art. 55a Abs. 2 Im Sinne einer Ausnahmeregelung wird in Absatz 2 vorgesehen, dass für Personen kein Bedürfnisnachweis erforderlich ist, welche mindestens drei Jahre an einer anerkannten schweizerischen Weiterbildungsstätte gearbeitet haben. Die Regelung dient der Integration der betroffenen Personen in das schweizerische Gesundheitswesen, der Qualitätssicherung und der Patientensicherheit. Junge Schweizer Ärztinnen und Ärzte wie auch ausländische Studierende mit einer schweizerischen Weiterbildung sollen in ihrer beruflichen Weiterentwicklung weder eingeschränkt noch behindert werden. Die geltende Regelung soll aus diesen Gründen in der vorliegenden Form weitergeführt werden.

Art. 55a Abs. 3 Absatz 3 hält fest, dass der Bundesrat die Kriterien festlegt, die für den Bedürfnisnachweis massgeblich sind; vorgängig hört er die Kantone sowie die Verbände der Leistungserbringer, der Versicherer und der Patienten an. Der Bundesrat hat diese

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Bestimmungen mit der Verordnung vom 3. Juli 201312 über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (VEZL) erlassen, wobei er jeweils vorgängig die interessierten Kreise angehört hat.13 Art. 55a Abs. 4 Die Kantone bestimmen die Personen nach Absatz 1. Sie können insbesondere von dieser Kompetenz ­ unter Beachtung von Artikel 36 der Bundesverfassung14 (BV) ­ Gebrauch machen, um die medizinische Versorgung im gesamten Kantonsgebiet und namentlich in den Randregionen sicherzustellen, indem sie die Zulassung zum Beispiel an die Bedingung knüpfen, dass die Leistungserbringer an einem bestimmten Ort tätig sein müssen. Sie können auch in Betracht ziehen, eine bessere Koordination der Behandlung zu fördern, indem sie verlangen, dass die Ärztin oder der Arzt einem integrierten Versorgungsnetz angehört.

Art. 55a Abs. 5 Um Blockierungen des Systems zu verhindern, ist weiterhin vorgesehen, dass eine Zulassung verfällt, wenn nicht innerhalb einer bestimmten Frist von ihr Gebrauch gemacht wird. Denn Ärztinnen und Ärzte, die eine Zulassung beantragen, sie jedoch nach Erhalt nicht nutzen, hindern andere Ärztinnen und Ärzte am Zutritt zum Markt und können überdies die medizinische Versorgung gefährden.

Übergangsbestimmung Absatz 1 der Übergangsbestimmungen sieht vor, dass für Ärztinnen und Ärzte, die vor dem 30. Juni 2019 zugelassen wurden und in eigener Praxis zulasten der OKP tätig waren, kein Bedürfnisnachweis erforderlich ist. Dasselbe gilt für Ärztinnen und Ärzte, die ihre Tätigkeit vor dem 30. Juni 2019 in einer Einrichtung nach Artikel 36a oder im ambulanten Bereich eines Spitals nach Artikel 39 ausgeübt haben, sofern sie ihre Tätigkeit in der gleichen Einrichtung oder im ambulanten Bereich des gleichen Spitals weiter ausüben. Da zwischen dem 1. Januar 2012 und dem 30. Juni 2013 keine Zulassungsbeschränkung mehr bestand, ist diese Bestimmung im Sinne der Wahrung des Besitzstandes beizubehalten.

Schlussbestimmung Die heute bestehende Zulassungsbeschränkung für Ärzte und Ärztinnen nach Artikel 55a KVG ist zeitlich befristet und läuft am 30. Juni 2019 aus. Entsprechend soll die Verlängerung von Artikel 55a KVG per 1. Juli 2019 in Kraft treten. Damit eine nahtlose Weiterführung dieser Regelung möglich ist, muss das Parlament in der Wintersession 2018 über die Vorlage entscheiden. Somit ist, sofern kein fakultatives 12 13

14

SR 832.103 Der Bericht über die Ergebnisse der Anhörung zum letztmaligen Entwurf der VEZL wurde im Januar 2014 publiziert in www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen und Anhörungen > 2013 > VEZL.

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Referendum zu Stande kommt, gemäss Ziffer III des Änderungserlasses ein Inkrafttreten der Verlängerung am 1. Juli 2019 möglich. Andernfalls bestimmt der Bundesrat das Inkrafttreten. Die Verlängerung des Gesetzes gilt bis zum 30. Juni 2021.

5

Auswirkungen

5.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Mit der vorgeschlagenen Regelung wird grundsätzlich die aktuelle Situation zeitlich eingeschränkt fortgeführt, so dass keine vorlagebedingten finanziellen und personellen Auswirkungen entstehen.

5.2

Vollzugstauglichkeit

Die Vorlage führt ­ wie in Ziffer 1 ausgeführt ­ eine bestehende befristete Regelung befristet weiter. Sie enthält keine neuen gesetzlichen Bestimmungen, die zu neuen Vollzugsaufgaben führen werden.

5.3

Andere Auswirkungen

Mit der Vorlage wird grundsätzlich die heute bereits bestehende Situation befristet weitergeführt. Es sind keine weiteren Auswirkungen zu erwarten.

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Verhältnis zum europäischen Recht

Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union15 (EU-Vertrag) überträgt der Europäischen Union die Aufgabe, die soziale Gerechtigkeit und den sozialen Schutz zu fördern. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen innerhalb der Union ist in Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union16 (AEUV) geregelt. Das Abkommen vom 21. Juni 199917 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA) ist am 1. Juni 2002 in Kraft getreten. Ziel des Abkommens ist es insbesondere, den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz ein Recht auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie das Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien einzuräumen (Art. 1 Bst. a FZA). Artikel 1 Buchstabe d des Abkommens setzt als Ziel fest, dass den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz gleiche Lebens-, Beschäftigungs- und 15 16 17

ABl. C 191 vom 29. Juli 1992 ABl. C 306 vom 17. Dezember 2007 SR 0.142.112.681

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Arbeitsbedingungen wie für Inländerinnen und Inländer eingeräumt werden. In Übereinstimmung mit Anhang I des Abkommens ist vorgesehen, dass die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmässig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert werden (Art. 2 FZA) und dass das Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit eingeräumt wird (Art. 4 FZA). Dementsprechend sieht das Abkommen in Artikel 7 Buchstabe a vor, dass die Vertragsparteien insbesondere das Recht auf Gleichbehandlung mit den Inländerinnen und Inländern in Bezug auf den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit und deren Ausübung sowie die Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen regeln.

Die Personenfreizügigkeit verlangt eine Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit, wie dies in Artikel 48 AEUV festgelegt ist. Das Recht der Europäischen Union sieht jedoch keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit vor. Die Mitgliedstaaten können die Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten sowie die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit weiterhin bestimmen. Die Koordination der einzelstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit wird durch die Verordnung (EG) Nr.

883/200418 und die Durchführungsverordnung Nr. 987/200919 umgesetzt, zu deren Vollzug die Schweiz nach den Artikeln 8 und 16 Absatz 1 und nach Anhang II FZA verpflichtet ist.

Das Recht der Europäischen Union setzt zwar auf dem Gebiet der Personenfreizügigkeit Normen fest; es bestehen jedoch keine Normen betreffend einer Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Schweiz ist demzufolge auch unter dem FZA frei, diese Fragen nach ihren eigenen Vorstellungen zu regeln.

Nach ständiger Rechtsprechung verbietet der Grundsatz der Nichtdiskriminierung nicht nur direkte, sondern auch indirekte Diskriminierungen.

Artikel 55a Absatz 1 KVG verlangt von sämtlichen Ärztinnen und Ärzten einen Bedürfnisnachweis für die Zulassung zur Tätigkeit zu Lasten der OKP. Diesbezüglich liegt weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung vor. Artikel 55a Absatz 2 KVG sieht zudem eine Befreiung vom Bedürfnisnachweis für Ärztinnen und Ärzte vor, welche mindestens drei Jahre an einer anerkannten schweizerischen
Weiterbildungsstätte gearbeitet haben. Hierzu hält das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 8. März 2018 fest, dass Artikel 55a Absatz 2 KVG zwar eine Verletzung des im FZA enthaltenen Diskriminierungsverbots darstelle, da Schweizer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, welche ihren Weiterbildungstitel mehrheitlich in der Schweiz erwerben, bevorzugt werden (indirekte Diskriminierung). Diese 18

19

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166 vom 30. April 2004, S. 1; eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.1.

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284 vom 30. Oktober 2009, S. 1; eine unverbindliche, konsolidierte Fassung dieser Verordnung ist veröffentlicht in SR 0.831.109.268.1.

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Regelung lasse sich jedoch mit der Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit, wie der Gewährleistung einer bezahlbaren Gesundheitsversorgung, der Patientensicherheit und der Qualitätssicherung des schweizerischen Gesundheitssystems rechtfertigen und erscheine verhältnismässig. Zudem sei die Ausnahmeregelung lediglich befristet und kohärent mit der schweizerischen Gesundheitspolitik, namentlich was die Heranführung der Ärztinnen und Ärzte an das schweizerische Gesundheitswesen und den Ausbau eines beruflichen Netzwerks betrifft (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-4852/2015 vom 8. März 2018 E. 9.6).

Angesichts dieser Rechtsprechung kann festgehalten werden, dass Artikel 55a Absatz 2 KVG zwar eine indirekte Diskriminierung darstellen kann, diese jedoch aufgrund der Sicherstellung der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt werden kann, unter anderem auch deswegen, da für die Kantone bei der Umsetzung der Zulassungsbeschränkung ein Spielraum besteht.

7

Rechtliche Grundlagen

7.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Gesetzesvorlage stützt sich auf Artikel 117 BV, der dem Bund eine umfassende Kompetenz zur Einrichtung der Krankenversicherung verleiht.

7.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Im Rahmen dieser Vorlage ist der Bundesrat befugt, in den folgenden Bereichen Bestimmungen zu erlassen: ­

bedürfnisabhängige Zulassung bestimmter Leistungserbringer (Art. 55a Abs. 1);

­

Festlegung der entsprechenden Frist für den Verfall einer Zulassung.

7.3

Erlassform

Die Regelung der befristeten Verlängerung der Zulassungsbeschränkung nach Artikel 55a KVG beinhaltet wichtige Bestimmungen, welche die Rechte und Pflichten der betreffenden Leistungserbringer, der Kantone und der Versicherten berühren.

Solche Bestimmungen sind zwingend in einem Bundesgesetz zu erlassen (Art. 164 BV).

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