04.032 Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (Vertragsfreiheit) vom 26. Mai 2004

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung mit dem Antrag auf Zustimmung.

Gleichzeitig beantragen wir, folgende parlamentarische Vorstösse abzuschreiben: 2002

P 02.3446

2003 P 02.3644

Ärztestopp. Wissenschaftliche Begleitung des Experiments (N 13.12.02, Freisinnig-demokratische Fraktion) Bericht zur Vertragsfreiheit (N 8.12.03, Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR 00.079)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. Mai 2004

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Joseph Deiss Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2004-1048

4293

Übersicht Das Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) sieht mehrere Instrumente zur Kosteneindämmung im stationären Bereich vor, die Wirkung zu zeigen beginnen, so beispielsweise die Kompetenzen der Kantone zur Einführung von Globalbudgets (Art. 51) oder die Planung der Spitäler und der Pflegeheime durch die Kantone (Art. 39). Hingegen sind die Krankenversicherer im ambulanten Bereich faktisch gezwungen, mit allen gesetzlich zugelassenen Leistungserbringern einen Tarifvertrag abzuschliessen und folglich die von diesen erbrachten Leistungen zu übernehmen. Mit anderen Worten kann ein Leistungserbringer, der die gesetzlichen Zulassungskriterien (Art. 35 bis 40) erfüllt, zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung praktizieren, ohne dass die Krankenversicherer die Möglichkeit haben, ihn aus diesem Markt auszuschliessen. Insofern besteht ein Vertragszwang (Kontrahierungszwang). Damit haben die Krankenversicherer grundsätzlich keine Mittel zur Unterbindung derjenigen Mengenausweitung, welche durch die stete Zunahme von Leistungserbringern bedingt ist.

Das Parlament hat am 24. März 2000 im Rahmen der 1. KVG-Revision einen Artikel 55a beschlossen, der dem Bundesrat die Möglichkeit gibt, die Zulassung neuer Leistungserbringer zur Tätigkeit zu Lasten der sozialen Krankenversicherung für eine auf maximal drei Jahre befristete Zeit einem Bedarfsnachweis zu unterstellen.

Nach dieser Bestimmung obliegt es dem Bundesrat, die entsprechenden Kriterien festzulegen, während die Kantone die Leistungserbringer bezeichnen. Diese Massnahme wurde einerseits im Hinblick auf das Inkrafttreten der bilateralen Verträge eingeführt, insbesondere des Personen-Freizügigkeitsabkommens mit der europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten. Andererseits handelte es sich um eine kurzfristige ausserordentliche Massnahme, die zum Ziel hatte, dem aus der ständig wachsenden Zahl von Leistungserbringern resultierenden Anstieg der Gesundheitskosten im ambulanten Bereich Einhalt zu gebieten.

Am 3. Juli 2002 machte der Bundesrat von der Kompetenz, die ihm Artikel 55a KVG einräumt, Gebrauch und beschränkte die Zulassung der Leistungserbringer zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Er legte die Modalitäten dieser Beschränkung in einer eigens zu diesem
Zweck erlassenen Verordnung fest (Verordnung über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung; SR 832.103). Diese Verordnung trat am 4. Juli 2002 in Kraft. Der Bundesrat betonte von vornherein, dass diese Zulassungsbeschränkung eine ausserordentliche, zeitlich befristete Massnahme darstellen solle, die bis zum Inkrafttreten einer sie ersetzenden Regelung für die Beschränkung der Zulassung der Leistungserbringer im ambulanten Bereich gelten solle, längstens aber bis zum 3. Juli 2005, dem Datum, an dem die Geltungsdauer der Verordnung abläuft. Zielsetzung war, dass in dieser Zeit ein realistisches Modell für die Aufhebung des im ambulanten Bereich geltenden Kontrahierungszwangs ausgearbeitet wird.

Entsprechende Diskussionen wurden anlässlich der Beratungen über die 2. KVGRevision geführt. Der Einigungskonferenz gelang es, sich auf ein Modell mit teilwei-

4294

ser Aufhebung des Kontrahierungzwangs zu verständigen. Der Nationalrat lehnte jedoch den Entwurf zur KVG-Revision in der Schlussabstimmung in der Wintersession 2003 ab. Angesichts dieser Situation sowie der Tatsache, dass die Verordnung über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung am 3. Juli 2005 abläuft, muss der Bundesrat dem Parlament innerhalb sehr kurzer Frist eine neue Regelung über die Zulassung der Leistungserbringer unterbreiten.

Mit seinem Modell der Aufhebung des Kontrahierungszwangs im ambulanten Bereich will der Bundesrat insbesondere den Wettbewerb unter den Leistungserbringern derselben Branche verstärken, indem den Krankenversicherern die Freiheit der Wahl eingeräumt wird, aber auch die Voraussetzungen für eine Beschränkung des Überangebotes im ambulanten Bereich geschaffen werden, den Kantonen dabei aber ebenfalls Verantwortung übertragen wird. Der Bundesrat will ebenfalls die Zahl und die Tragweite der möglichen Sanktionen gegen Leistungserbringer, die sich nicht an die Regeln der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen («schwarze Schafe») halten, verstärken, um das Sanktionssystem des KVG wirkungsvoller als heute auszugestalten.

4295

Inhaltsverzeichnis Übersicht

4294

1 Allgemeiner Teil 1.1 Entstehungsgeschichte 1.2 Revisionsbestrebungen 1.2.1 Parlamentarische Vorstösse 1.2.2 Zweite KVG-Revision 1.3 Reformvorschläge in Expertengutachten 1.3.1 Grundlagen einer 3. KVG-Revision: Teilprojekt «Kontrahierungszwang» 1.3.2 Studie über die «Versorgungssicherheit in der ambulanten Medizin im Rahmen der Aufhebung des Kontrahierungszwangs» 1.4 Politische Zielsetzungen 1.5 Sozialpolitische Auswirkungen 1.6 Vernehmlassungsverfahren zum Vorschlag des Bundesrates über eine Teilrevision des KVG

4297 4297 4298 4298 4299 4300

2 Grundzüge der Vorlage

4306

3 Erläuterungen der einzelnen Bestimmungen

4307

4300 4301 4302 4305 4306

4 Zusammenwirken des Vorschlages mit anderen in Diskussion stehenden Gesetzesänderungen

4317

5 Auswirkungen 5.1 Finanzielle Auswirkungen 5.1.1 Finanzielle Auswirkungen für den Bund 5.1.2 Finanzielle Auswirkungen für die Kantone 5.1.3 Finanzielle Auswirkungen für die Krankenversicherung 5.2 Volkswirtschaftliche Auswirkungen

4317 4317 4317 4317 4318 4318

6 Verhältnis zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen

4319

7 Legislaturplanung

4319

8 Verhältnis zum europäischen Recht 8.1 Vorschriften der europäischen Gemeinschaft 8.2 Die Instrumente des Europarates 8.3 Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

4319 4319 4320 4321

9 Rechtliche Grundlagen 9.1 Verfassungsmässigkeit 9.2 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

4321 4321 4321

Bundesgesetz über die Krankenversicherung (Vertragsfreiheit) (Entwurf) 4323

4296

Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Entstehungsgeschichte

Die Aufhebung des Kontrahierungszwangs kam im Parlament erstmals im Rahmen der Beratungen über die 1. KVG-Revision zur Sprache. In der Botschaft vom 21. September 1998 über diese Revision (BBl 1999 793) schlug der Bundesrat vor, die Globalbudgetierung im ambulanten Bereich zur Kosteneindämmung einzuführen. In der Beratung vertraten beide Kammern die Auffassung, dass dieses Instrument insbesondere wegen seiner Funktionsweise noch nicht spruchreif sei. Parlament und Bundesrat waren sich jedoch einig, dass noch weitere Anstrengungen zur Kosteneindämmung unternommen werden müssen, und dass es dazu auch der Entwicklung neuer Instrumente bedarf. Das Parlament hat sich daher gegen die Einführung des Globalbudgets im ambulanten Bereich ausgesprochen, sich aber stattdessen für die Diskussion über eine Aufhebung des Kontrahierungszwangs entschieden. Bei dieser Gelegenheit nahm der Nationalrat einen Einzelantrag an, der vorsah, dass der Bundesrat neu Kriterien bezüglich Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen festlegen sollte, denen Leistungserbringer genügen müssen, um einem Tarifvertrag beitreten zu können. In der Differenzbereinigung wurde jedoch dieser Vorschlag des Nationalrates zu Gunsten der in Artikel 55a KVG gewählten Lösung fallen gelassen.

In der Folge reichte die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates eine Motion (00.3003) ein, worin der Bundesrat aufgefordert wurde, die Aufhebung des Vertragszwanges im ambulanten, teilstationären und stationären Bereich zu prüfen und im Rahmen der zweiten KVG-Revision entsprechende Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Anfang 2000 erteilten beide Kammern dem Bundesrat den Auftrag, diese Frage zu prüfen.

Der vom Bundesrat im Juni 2000 in die Vernehmlassung gesandte Vorschlag sah ein Modell vor, das die Aufhebung des Kontrahierungszwangs auf den ambulanten Bereich beschränkte, da das Gesetz im stationären Bereich bereits verschiedene Instrumente zur Kosteneindämmung und Regulierung des Leistungsvolumens vorsieht. Gemäss diesem Modell sollten die Versicherten im ambulanten Bereich nur noch unter jenen Leistungserbringern wählen können, die mit ihrem Versicherer einen Zulassungsvertrag abgeschlossen haben und damit für diesen Versicherer zu Lasten der Krankenversicherung tätig sein dürfen. Aus den Vernehmlassungsergebnissen ging
indessen hervor, dass eine Stärkung des Wettbewerbsgedankens im KVG und somit auch die Idee einer Aufhebung des Kontrahierungszwangs zwar grundsätzlich befürwortet, das vorgeschlagene Modell indessen mit Skepsis betrachtet wird. Gewisse Kreise hielten dieses für untauglich und unpraktikabel, ja gar wirkungslos für die Zwecke der Kostendämpfung. Unter anderem wurde bemängelt, dass den Versicherern zu viel Macht eingeräumt würde, und dass Indikatoren fehlen, um die Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung der erbrachten Leistungen zu beurteilen. Der Bundesrat ist nach einer Analyse zum selben Schluss gekommen und sah deshalb in seiner Botschaft vom 18. September 2000 betreffend die Änderung des KVG (BBl 2001 741) von der allgemeinen Aufhebung des Kontrahierungszwangs im ambulanten Bereich ab. Hingegen sprach er sich für eine Aufhebung aus, 4297

die auf Leistungserbringer beschränkt war, die das 65. Altersjahr vollendet haben.

Der Bundesrat verzichtete jedoch darauf, diesen Vorschlag in den parlamentarischen Debatten weiter zu unterstützen.

1.2

Revisionsbestrebungen

1.2.1

Parlamentarische Vorstösse

Motion Freisinnig-demokratische Fraktion «Ärztestopp. Wissenschaftliche Begleitung des Experiments» Die am 18. September 2002 eingereichte Motion (02.3446) fordert den Bundesrat auf, die verwaltungsexterne wissenschaftliche Begleitung des am 3. Juli 2002 vom Bundesrat beschlossenen Zulassungsstopps für neue ambulante Leistungserbringer im Gesundheitswesen sicherzustellen und zuhanden des Parlamentes noch vor Ablauf des Zulassungsstopps insbesondere über folgende Punkte Bericht zu erstatten: die Umsetzung der Massnahme in den einzelnen Kantonen; die Auswirkungen der Massnahme auf die quantitative und qualitative medizinische Versorgung in den Regionen und nach Leistungserbringerkategorie; die Auswirkungen des Ärztestopps auf den Ärzteberuf sowie auf die längerfristigen Perspektiven für die Ärztedichte; der Einfluss der Massnahme auf die Gesundheitskosten insgesamt; die Auswirkungen auf die in der Bundesverfassung in Artikel 27 garantierte Wirtschaftsfreiheit; die Verträglichkeit der Verordnung sowie der Verordnungsumsetzung in den Kantonen mit Artikel 55a KVG; das der Verordnung zugrunde gelegte Zahlenmaterial. In seiner Stellungnahme hat sich der Bundesrat bereit erklärt, die ersten vier Themen prüfen zu lassen. Hingegen hat er die Prüfung der drei weiteren Punkte abgelehnt, weil sie nichts mit den Auswirkungen der Massnahme zu tun haben, sondern Fragen betreffen, welche bereits aufgeworfen und im Zusammenhang mit der Annahme von Artikel 55a KVG diskutiert worden sind und auf die nicht im Rahmen einer Gesetzesevaluation zurückgekommen werden muss. Deshalb konnte der Bundesrat die Motion nicht entgegennehmen und beantragte, die Motion in ein Postulat umzuwandeln. Inzwischen wurde im Rahmen der zweiten Etappe der aufgrund von Artikel 32 der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) durchgeführten Wirkungsanalyse des KVG seitens der Verwaltung ein Forschungsauftrag über die Anwendung des Zulassungsstopps an einen unabhängigen Experten erteilt (Ch. Rüefli, Büro Vatter Politikforschung & -beratung, Wirkungsanalyse Bedürfnisabhängige Zulassungsbeschränkung für neue Leistungserbringer, Bern 2004). Der entsprechende Schlussbericht wird nächstens publiziert.

Postulat der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats zur Vertragsfreiheit Im Rahmen der Beratungen zur 2. KVG-Revision
(00.079) hat die Kommission am 14. November 2002 ein Postulat eingereicht (02.3644), mit welchem der Bundesrat gebeten wird, zusammen mit der Vorlage zur monistischen Spitalfinanzierung einen Bericht über die Vertragsfreiheit für die ambulante und stationäre Versorgung vorzulegen. Dieser soll unter anderem Aufschluss geben über die Möglichkeiten zur Umsetzung in den Kantonen. Der Bundesrat hat sich bereit erklärt, das Postulat entgegenzunehmen. In der Zwischenzeit und mit dem Ziel der Schaffung von Grundlagen für eine 3. KVG-Revision hat der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) beauftragt, langfristige Reformschritte namentlich zur 4298

Vertragsfreiheit auch im stationären Bereich sowie den Übergang zu einer monistischen Finanzierung vertieft zu prüfen und ihm entsprechende Vorschläge zu unterbreiten (s. dazu Ziff. 1.3.1). Es ist vorgesehen, dass der Bundesrat gleichzeitig mit den Botschaften zu den Teilrevisionen die durch externe Experten erstellten Berichte zur Kenntnis nimmt. Mit der Publikation der Berichte, die demnächst erfolgen wird, betrachtet der Bundesrat seine Aufgabe als erfüllt.

1.2.2

Zweite KVG-Revision

Bei den Beratungen zur 2. KVG-Revision verabschiedete die Einigungskonferenz ein Modell einer teilweisen Aufhebung des Kontrahierungszwangs, das jedoch in der Schlussabstimmung im Nationalrat zusammen mit dem gesamten Revisionsentwurf abgelehnt wurde. Dieses Modell beinhaltete insbesondere folgende Vorschläge: ­

Um die Zulassung für die Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu erhalten, müssen die Leistungserbringer, wenn sie im ambulanten Bereich tätig sind, entweder einen Zulassungsvertrag mit einem oder mehreren Versicherern abschliessen oder sämtliche Leistungen im Rahmen eines integrierten Versorgungsnetzes erbringen, das eine besondere Versicherungsform darstellt, welche auf einem zwischen einem oder mehreren Versichern und einer Gruppe von Leistungserbringern abgeschlossenen Vertrag beruht.

­

Die Leistungserbringer und Versicherer sind in der Wahl der Vertragspartner frei, wobei sie jedoch eine Reihe von Auflagen zu erfüllen haben (Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen, Sicherung einer ausreichenden medizinischen Versorgung, Einhaltung des Kartellgesetzes); in einem Sonderfall ist diese Wahlfreiheit hingegen ausgeschlossen (chronischkranke betagte Patienten und Patientinnen mit einer langjährigen therapeutischen Beziehung zum selben Leistungserbringer).

­

Die Kantone haben für den ambulanten Bereich die notwendige Anzahl der Leistungserbringer zur Sicherstellung der Versorgung und der Wahlfreiheit der Versicherten zu bestimmen. Die Krankenversicherer ihrerseits müssen Zulassungsverträge mit mindestens der vom Kanton festgelegten Anzahl Leistungserbringer abschliessen. Der Bundesrat legt das Datum fest, bis zu welchem die Kantone diese Zahl bestimmt haben müssen. Bis dahin gelten die auf der Grundlage von Artikel 55a KVG festgelegten Zahlen zur medizinischen Versorgung als Mindestwerte.

­

Wird einem Versicherer oder einem Leistungserbringer der Abschluss eines Zulassungsvertrages verweigert, kann der Betreffende dies einer kantonalen Schiedskommission, zusammengesetzt aus einer Vertretung von je zwei Personen ihrer jeweiligen Verbände sowie einer Vertretung des Kantons, welche den Vorsitz führt, zum abschliessenden Entscheid unterbreiten.

­

Die Zulassungsverträge sind für eine Dauer von mindestens vier Jahren abzuschliessen. Sie können mit einer Kündigungsfrist von 18 Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres gekündigt werden. Die Kündigung ist zu begründen, wenn der Leistungserbringer dies verlangt.

4299

­

Die Versicherer sind verpflichtet, mit sämtlichen im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringern, die am 1. Januar 2003 zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen waren, übergangsweise einen auf 4 Jahre befristeten Zulassungsvertrag abzuschliessen.

1.3

Reformvorschläge in Expertengutachten

1.3.1

Grundlagen einer 3. KVG-Revision: Teilprojekt «Kontrahierungszwang»

An einer Sondersitzung vom 22. Mai 2002 zur sozialen Krankenversicherung zog der Bundesrat den Schluss, dass mit dem KVG insgesamt gute Ergebnisse erzielt wurden, jedoch die kostendämpfenden Massnahmen verstärkt und die Krankenversicherung schrittweise entsprechend reformiert werden müssten. Der Bundesrat beauftragte das EDI, langfristige Reformschritte in verschiedenen Bereichen, davon zur Zulassung von Leistungserbringern eingehend zu prüfen und ihm Vorschläge bis Mitte Juni 2003 zu unterbreiten. In diesem Zusammenhang erhielt das EDI unter anderem den Auftrag, realisierbare Modelle auszuarbeiten für die Aufhebung des Zwanges für die Krankenversicherer, mit den Ärztinnen und Ärzten und eventuell auch mit Spitälern Verträge abzuschliessen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, hat das EDI eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die von einem Gesundheitsökonomen geleitet wurde (Dr. oec. HSG W. Oggier, Gesundheitsökonomische Beratungen AG).

Unter Berücksichtigung der im Auftrag formulierten Kriterien hat der konsultierte Experte zusammenfassend erklärt, dass zur Realisierung der Aufhebung des Vertragszwangs insbesondere folgende Elemente zentral seien: ­

Die Aufhebung des Kontrahierungszwangs soll im ambulanten und stationären Bereich realisiert werden.

­

Leistungserbringer dürfen nicht an Versicherern und Versicherer nicht an Leistungserbringern finanziell beteiligt sein. Eine analoge Regelung ist für «Zulieferbetriebe» (Pharma-, Medizintechnik-Unternehmungen etc.) vorzusehen.

­

Die Preise sollen im Rahmen der Vertragsverhandlungen zwischen Leistungserbringern und Versicherern ausgehandelt werden. Die Preisbildung wird somit liberalisiert; für das Scheitern von Verhandlungen muss eine Ersatzlösung vorgesehen sein. Eine Liberalisierung der Preisbildung setzt die ersatzlose Streichung von Artikel 43 Absatz 5 KVG voraus. Eine Verpflichtung auf den neuen ärztlichen Tarif TARMED soll somit bei Einzelleistungsvergütung nicht mehr bestehen. Damit soll es Krankenversicherern und Leistungserbringern vermehrt offen stehen, für verschiedene Versichertengruppen und Behandlungsfälle Vergütungsformen und -höhen und/oder Kombinationen von Vergütungsformen aushandeln zu können.

­

Für den Fall, dass Vertragsverhandlungen scheitern, ist als Rechtsweg vorzusehen: Wettbewerbskommission, Rekurskommission und danach das Bundesgericht oder der Bundesrat.

Wenn die Aufhebung des Kontrahierungszwanges die Kosteneindämmung zum Hauptziel hat, sollte ein Modell mindestens folgende zusätzliche Eckwerte enthalten: 4300

­

Die Planungszahlen für den kantonalen Bedarf müssen möglichst tief angesetzt werden. Um dem regional unterschiedlichen Bedarf Rechnung zu tragen, müssen diese Werte zwingend differenziert werden. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie demografische Unterschiede.

­

Ausserkantonale Angebote sind dabei zu berücksichtigen. Entscheidendes Kriterium soll dabei die Erreichbarkeit sein.

­

Falls die Kantone höhere Planzahlen als die vom Bund festgelegten Mindestzahlen vorsehen, könnte eine anteilsmässige kantonale Beteiligung an den durch die Versicherer zu entrichtenden Vergütungen in Betracht gezogen werden. Die Versicherer müssen in diesem Fall den entsprechenden Anteil der Kosten nicht übernehmen. Schliessen die Versicherer hingegen mehr Verträge ab, als die kantonale Vorgabe unter Einhaltung der Bundesbestimmungen vorsieht, müssen sie die Gesamtheit der Kosten bezahlen.

Auf Grund dieser Überlegungen wird im Expertengutachten für die Aufhebung des Kontrahierungszwangs ein Modell vorgeschlagen, das folgende Merkmale aufweist: ­

Die Aufhebung bezieht sich sowohl auf den ambulanten als auch den stationären Bereich.

­

Alle Leistungserbringer werden davon erfasst.

­

Von der Aufhebung sind alle Behandlungen betroffen, also auch Notfälle.

Für Notfälle führen Netzwerke zwingend einen Notfall- und Bereitschaftsdienst, der als erste Anlaufstelle für die entsprechenden Versicherten fungiert. Dieser Dienst übernimmt auch die Triagefunktion im Notfall.

­

Die Versorgungssicherheit wird durch die zuständigen Bundesstellen mittels Minimalvorgaben definiert; diese Minimalvorgaben müssen von den Kantonen und Vertragspartnern eingehalten werden. Legen die Kantone höhere Werte fest, bezahlen sie die Kosten und nicht die Versicherer.

­

Das Kartellgesetz ist anwendbar, das heisst: ­ keine Verbandsverträge.

­ wirtschaftliche und organisatorische Verselbständigung der Spitäler.

1.3.2

Studie über die «Versorgungssicherheit in der ambulanten Medizin im Rahmen der Aufhebung des Kontrahierungszwangs»

Santésuisse, der Dachverband der Krankenversicherer, erteilte im Juni 2001 den beiden Tessiner Gesundheitsökonomen Gianfranco Domenighetti und Luca Crivelli den Auftrag, ein Konzept für die Förderung der Versorgungssicherheit in der ambulanten Medizin als unterstützendes Instrument zur Aufhebung des Vertragszwangs im Rahmen der 2. KVG-Revision auszuarbeiten. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist in einer Studie mit dem Titel «Versorgungssicherheit in der ambulanten Medizin im Rahmen der Aufhebung des Vertragszwangs» im August 2001 erschienen. Dass die unterschiedliche Ärztedichte in verschiedenen Regionen der Schweiz die Qualität und die Sicherheit der Versorgung kaum zu beeinflussen scheint, zeigten die Verfasser aufgrund einer vergleichenden Analyse verschiedener subjektiver und objektiver 4301

Gesundheitsindikatoren wie Patientenzufriedenheit, Mortalität, Aktivitäten und Kosten. Laut dieser Studie zählten wir in der Schweiz Ende 2000 etwas über 19 Ärztinnen und Ärzte mit Praxistätigkeit pro 10 000 Einwohner, im Kanton BaselStadt sogar fast 36, im Kanton Genf 32, in verschiedenen Kantonen der Ost- und der Innerschweiz aber weniger als 13. Die Autoren der Studie stellen jedoch fest, dass die Zufriedenheit der Bevölkerung mit den Leistungen des Gesundheitswesens, die Wahrnehmung von Anzeichen einer Rationierung ebenso wie die Effektivität der medizinischen Versorgung, gemessen an den dank medizinischen Eingriffen vermeidbaren Todesfällen, praktisch identisch sind, unabhängig von den ­ teilweise eklatanten ­ Differenzen bei der Ärztedichte. Die Ärztedichte hat hingegen einen markanten Einfluss auf die Aktivitäten (Besuche und Konsultationen) sowie auf die Kosten pro Versicherten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Um ihre These zu untermauern, verglichen die Autoren anhand der erwähnten Versorgungsindikatoren fünf Gruppen von Kantonen mit steigender Ärztedichte (von 11 auf über 30 Ärztinnen/Ärzte je 10 000 Einwohner) mit einer relativ homogenen Ostschweizer Region (St. Gallen und die beiden Appenzell). Der Vergleich zeigt, dass bei einer Dichte von ca. 15 Ärztinnen und Ärzten je 10 000 Einwohner, wie sie in der Ostschweizer Region (Referenzregion) besteht, die gewählten Leistungsindikatoren (Zufriedenheit, Wahrnehmung der Rationierung und Todesfälle) praktisch identisch sind wie im schweizerischen Durchschnitt und wie in Kantonen, die eine doppelt so hohe Ärztedichte aufweisen. Was hingegen die Indikatoren der medizinischen Aktivitäten und insbesondere der ambulanten Kosten pro versicherte Person betrifft, sind die Werte in der gewählten Ostschweizer Region deutlich tiefer. Eine angemessene medizinische Versorgung der Bevölkerung mit einem gleichen Grad der Zufriedenheit kann also auch mit einer vergleichsweise geringen Ärztedichte erreicht werden, dies aber zu niedrigeren Kosten. Die Autoren zeigen sich davon überzeugt, dass die Aufhebung des Kontrahierungszwangs und damit die Verstärkung des Wettbewerbs ein wirksames Instrument bildet, um die ständige Zunahme der Zahl der Leistungserbringer, die in mehreren Regionen bereits zu einer Überversorgung geführt hat, in den Griff
zu bekommen. Sie halten jedoch fest, dass der Markt die Versorgungssicherheit nicht automatisch gewährleistet und daher der Staat eine regulierende Funktion übernehmen muss, um der ganzen Bevölkerung den Zugang zur medizinischen Versorgung zu finanziell tragbaren Bedingungen zu garantieren. In der Studie wird deshalb vorgeschlagen, dass die Kantone den Bedarf an frei praktizierenden Ärztinnen und Ärzten festlegen und zwar auf der Basis einer gesamtschweizerisch festgesetzten Kennzahl sowie des definierten Anteils an Grundversorgern. Die Kantone sollen dabei die nationale Kennzahl aufgrund regionaler Gegebenheiten modifizieren können.

1.4

Politische Zielsetzungen

Das KVG verfolgt drei Hauptzielsetzungen: den Zugang der gesamten Bevölkerung zu einem qualitativ hochstehenden Pflegeangebot zu gewährleisten, eine verstärkte Solidarität unter den Versicherten und die Kosteneindämmung. Zwar kamen Gutachten über die Auswirkungen des Gesetzes zum Schluss, dass die ersten beiden Zielsetzungen im Wesentlichen realisiert worden sind. Indessen muss festgestellt werden, dass die angestrebte Kosteneindämmung nicht in dem vom Bundesrat gewünschten Masse erreicht wurde. Tatsächlich ist die Zunahme der Kosten zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung konstant geblieben. Nach Auffas4302

sung der Experten liegt einer der Gründe für diese Kostenentwicklung in der regelmässigen Zunahme der Anzahl Leistungserbringer, welche zu Lasten dieser Versicherung tätig sind, dies vor allem im ambulanten Sektor. Der Bundesrat möchte dieser Vorlage daher den Schwerpunkt auf die Kosteneindämmung setzen.

Drei Massnahmen bieten sich an, um auf die Mengenausweitung bei den Leistungen und die Kosten einzuwirken, welche durch die Zunahme der Anzahl Leistungserbringer entstehen: Erstens das Globalbudget, zweitens die Bedürfnisklausel und drittens die Vertragsfreiheit.

Bezüglich der Errichtung von Globalbudgets im ambulanten Sektor wurde bereits unter Ziffer 1.1 festgehalten, dass beide Kammern während den parlamentarischen Debatten zur 1. KVG-Revision zum Schluss gekommen sind, dass dieses Instrument noch nicht spruchreif sei. Heute muss festgestellt werden, dass sich die Situation kaum weiterentwickelt hat. Die Aufstellung solcher Budgets, vor allem jedoch deren Umsetzung gehen nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten, wie es die in Deutschland gemachten Erfahrungen beweisen. Aus diesen Gründen verzichtet der Bundesrat darauf, diese Massnahme im Rahmen der vorliegenden Revision vorzuschlagen.

Die Bedürfnisklausel hat das Parlament hingegen im Rahmen der 1. KVG-Revision aufgenommen. Der Bundesrat will diese Massnahme jedoch nicht in den vorliegenden Entwurf aufnehmen, indem er ihre Geltungsdauer verlängert. Von Anfang an wurde klar festgehalten, dass die Bedürfnisklausel eine ausserordentliche Massnahme darstellt, die zeitlich befristet gelten soll. Mit diesem Instrument fehlt indes der Konkurrenzdruck, der normalerweise durch die neuen Leistungserbringer, die sich gerne niederlassen würden, ausgeübt würde und der für die auf dem Markt aktiven Leistungserbringer einen Anreiz bildet, kostengünstig qualitativ hochwertige Leistungen zu erbringen.

Beide Kammern schlugen im Rahmen ihrer Beratungen zur 2. KVG-Revision die Aufhebung der Vertragsfreiheit vor. Im Gegensatz zu den beiden oben erwähnten Instrumenten weist diese Massnahme den Vorteil auf, dass sie die Anzahl der Leistungserbringer begrenzt und zudem für die Leistungserbringer, die auf dem Versicherungsmarkt tätig sind, einen Anreiz darstellt, qualitativ hochstehende Leistungen zu erbringen und dabei auf deren Wirtschaftlichkeit zu achten, um sich
so den Zugang zu diesem Markt zu verschaffen oder das Bestehen auf diesem Markt zu sichern. Mit dem KVG wurden im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zwar Wettbewerbselemente eingeführt, die Versicherer verfügen heute jedoch immer noch nicht über das klassische Konkurrenzinstrument, nämlich die Möglichkeit, beim Vertragsabschluss zwischen verschiedenen Leistungserbringern wählen zu können. Mit dem heute geltenden Vertragszwang spielt es kaum eine Rolle, ob die Versorgungsdichte in einem Kanton oder einer Region besonders hoch ist oder nicht oder ob die Leistungen effizient erbracht werden oder nicht. Unter solchen rechtlichen Rahmenbedingungen ist es fast unmöglich, die Mengenausweitung bei Leistungserbringern und Leistungen sowie den daraus resultierenden Kostenanstieg zu bremsen. Die Aufhebung des Kontrahierungszwangs scheint heute die einzige Massnahme zu sein, welche erlaubt, in diese verhängnisvolle Spirale wirkungsvoll einzugreifen. Aus diesem Grund sprach sich der Bundesrat nach reiflicher Überlegung für diese Massnahme im Rahmen der vorliegenden Revision aus; er will sie jedoch mit einigen Leitplanken ausstatten, auf welche im Folgenden noch eingegangen wird.

4303

Der Bundesrat verfolgt mit dem Modell der Vertragsfreiheit, das er im Rahmen der vorliegenden Revision vorschlagen will, in erster Linie zwei Ziele: Das erste Ziel ist die Verstärkung des Wettbewerbs unter den Leistungserbringern des gleichen Berufsstands im ambulanten Bereich und der Ausschluss von «schwarzen Schafen» vom Markt der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, somit von Leistungserbringern, welche unwirtschaftliche oder qualitativ ungenügende Leistungen erbringen. Zu diesem Zweck sollen die Krankenversicherer ihre Vertragspartner selber wählen können, wodurch ihnen wiederum die entsprechende Verantwortung übertragen wird. Der Wettbewerb kann nur spielen, wenn die Versicherer über einen gewissen Freiraum verfügen und mit den Leistungserbringern verhandeln können.

Die Versicherer oder Gruppen von Versicherern müssen ihr eigenes Profil formen, um ihren Versicherten verschiedene Wahlmöglichkeiten anbieten können. Die Versicherer erlangen dieses Profil in erster Linie durch die von ihnen getroffene Auswahl der Leistungserbringer. Im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung können sich die Versicherer bezüglich der von ihnen übernommenen Leistungen nicht konkurrenzieren, da der Katalog der von der Versicherung rückerstatteten Leistungen für alle Versicherer in gleicher Weise verbindlich ist.

Das zweite Ziel, das der Bundesrat mit seinem Modell verfolgt, ist die Verringerung der Überversorgung im ambulanten Bereich in den Kantonen, in denen eine solche vorhanden ist. Zu diesem Zweck will er die Kantone in die Verantwortung einbinden, indem er sie verpflichtet, eine Mindestzahl von Leistungserbringern zu bestimmen, die für die bedarfsgerechte medizinische Versorgung ihrer Bevölkerung in jeder Kategorie der im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringer notwendig ist.

Der Wille des Bundesrates, die Rolle der Kantone in der Gesundheitsversorgung zu stärken und sie auf ihre Verantwortlichkeit aufmerksam zu machen, resultiert in erster Linie aus der verfassungsmässigen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen im Gesundheitsbereich. In der Tat haben die Kantone, mangels einer ausdrücklichen Kompetenz des Bundes in der Bundesverfassung, für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung zu sorgen. Die Absicht des Bundesrates, die Kantone in diesem Punkt stärker
in die Verantwortung einzubinden, übersteigt indes den einfachen Rahmen der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen. Der Bundesrat geht nämlich davon aus, dass der Markt der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für sich allein nicht automatisch die Sicherheit der ambulanten medizinischen Versorgung der gesamten Bevölkerung gewährleisten kann. Würde das wettbewerbliche Vertragsmodell ohne jegliche staatliche Regulierung eingeführt, würden sich den Krankenversicherern Möglichkeiten eröffnen, auf dem Versicherungsmarkt Risikoselektion zu betreiben, da die volle Vertragsfreiheit ihnen erlauben würde, die Patientinnen und Patienten auszuwählen, indem sie die Leistungserbringer nach dem Risikograd ihrer Kunden aussuchen. So könnten einige Krankenversicherer dazu verleitet werden ­ vor allem um ihre Prämien zu senken ­ keine Verträge mit Leistungserbringern abzuschliessen, deren Patientenschaft sich vorwiegend aus Chronischkranken oder betagten Personen zusammensetzt. Das letztendliche Ziel dieser Strategie wäre es, diese Kategorien von Versicherten dazu zu bringen, ihren Versicherer zu wechseln, damit sie ihre Therapie beim bisherigen Leistungserbringer weiterführen können. Daraus ergibt sich das Risiko, dass die Leistungserbringer ­ aus Furcht, vom Markt der Krankenversicherung verdrängt zu werden ­ ihrerseits ermuntert würden, bei ihren Kunden eine Risikoselektion vorzunehmen und sich der Patientinnen und Patienten zu entledigen, die besonders hohe Kosten verursachen.

4304

1.5

Sozialpolitische Auswirkungen

Das vom Bundesrat empfohlene Modell der Vertragsfreiheit müsste logischerweise zu einer Stagnation oder gar einer Verminderung der Gesamtzahl der im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringer in der Schweiz führen. Mittelfristig sollte diese Massnahme einen Beitrag gegen den stetigen Anstieg der Kosten zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und der daraus resultierenden Prämienerhöhung leisten. Die finanziellen Anreize zur Eröffnung einer privaten Arztpraxis würden reduziert, zumindest in denjenigen Regionen und Spezialitäten, in denen eine Überversorgung besteht. Angesichts des wirtschaftlichen Risikos, das die Eröffnung einer solchen Praxis bei einer Aufhebung des Kontrahierungszwangs darstellte, würden vermutlich gewisse Leistungserbringer, namentlich Ärzte und Ärztinnen, nach Abschluss ihres Studium auf eine eigene Praxis verzichten und es vorziehen, weiterhin im Spitalbereich tätig zu sein, zumal dort gegenwärtig ein Ärztemangel herrscht, so dass heute Ärzte und Ärztinnen aus dem Ausland beigezogen werden müssen.

Das vom Bundesrat empfohlene Modell sollte gleichzeitig eine bessere Abdeckung der Gesundheitsversorgung in der Schweiz begünstigen, insbesondere im ärztlichen Bereich. Denn vor allem Ärzte und Ärztinnen haben es sich zur Gewohnheit gemacht, nach ihrem Studium ihre Arztpraxen in urbanen oder periurbanen Gebieten zu eröffnen, in denen häufig bereits ein medizinisches Überangebot besteht. Das Modell soll nun für die Leistungserbringer Anreize schaffen, sich eher in den Randregionen niederzulassen, wo die medizinische Abdeckung oft lückenhaft ist, um in den Genuss eines Zulassungsvertrags mit den Krankenversicherern zu kommen. Die Vertragsfreiheit sollte so zu einer gewissen Kosten- und Prämienangleichung zwischen den Kantonen und Regionen beitragen.

Mit der Einführung der Vertragsfreiheit sind die Versicherten indes in ihrer Wahl des Versicherers eingeschränkter als bisher. Sie könnten ihren Versicherer nicht mehr allein nach Massgabe der Prämienhöhe und eventuell der angebotenen Serviceleistungen auswählen. Entscheidend würde ebenfalls die Frage, mit welchen Leistungserbringern der jeweilige Versicherer in einem Vertragsverhältnis steht, da das Vertragsverhältnis massgebend sein wird, ob die Leistungen eines Leistungserbringers übernommen werden oder nicht. Der
Versicherte könnte seinen Versicherer auf der Grundlage der für ihn optimalen Kombination zwischen Prämie, angebotenem und gewünschtem Angebot wählen. Aus dieser Massnahme kann zwar für die Versicherten ein Nachteil entstehen, da sie allenfalls gezwungen sein könnten, den Versicherer zu wechseln, zum Beispiel wenn sie den bisherigen Hausarzt oder die Hausärztin weiterhin aufsuchen möchten, der oder die nicht oder nicht mehr über einen Zulassungsvertrag mit ihrem gegenwärtigen Versicherer verfügt, so dass seine/ihre Leistungen nicht mehr übernommen werden. Gleichzeitig sind die Versicherten gehalten, die Qualität und die Kosten der verschiedenen Angebote zu vergleichen. Damit übernehmen sie auch mehr Verantwortung für ihre Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen. Andererseits sollte daraus ein verstärkter Wettbewerb unter den Versicherern resultieren, insbesondere bezüglich des Umfangs ihres Angebots, aber auch und vor allem unter den Leistungserbringern bezüglich der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der erbrachten Leistungen. Wollen die Leistungserbringer im ambulanten Bereich, aber auch die Krankenversicherer auf dem Markt der obligatorischen Krankenpflegeversicherung wettbewerbsfähig und vor allem attraktiv erscheinen, achten sie in ihrem Interesse darauf, dass die 4305

Versorgung zweckmässig, qualitativ hochstehend und zudem so kostengünstig wie möglich erfolgt.

1.6

Vernehmlassungsverfahren zum Vorschlag des Bundesrates über eine Teilrevision des KVG

Der Entwurf des Bundesrates zur Teilrevision des KVG im Bereich der Vertragsfreiheit wurde den Kantonen, politischen Parteien und interessierten Kreisen im März 2004 zur Vernehmlassung unterbreitet. Deren Ergebnis zeigt, dass viele Teilnehmende die Stärkung des Wettbewerbs grundsätzlich befürworten, dass sie aber skeptisch sind gegenüber dem vorgeschlagenen Modell, da es in ihren Augen als nicht den Gegebenheiten angepasst und schwer umsetzbar ist. Zudem sprechen sie ihm auch einen Einfluss auf die Kosten ab.

Aus den hauptsächlichen Kritikpunkten am bundesrätlichen Vorschlag hervorzuheben ist jener, dass er keine positiv formulierten Kriterien beinhalte, aufgrund deren die Leistungserbringer ausgewählt werden und dass ebenfalls keine Beschwerdewege im Fall der Verweigerung einer Zulassung vorgesehen sind, was eine zu grosse Machtverschiebung an die Versicherer mit sich bringe. Die Kantone, welche die Weiterführung des Zulassungsstopps nach Artikel 55a KVG ablehnen, unterstützen mehrheitlich die vorgeschlagene Vertragsfreiheit, wenn auch mit einem gewissen Vorbehalt; insbesondere gehen sie davon aus, dass die Vertragsfreiheit auf die Ärztinnen und Ärzte sowie auf die Chiropraktorinnen und Chiropraktoren beschränkt sein müsste, weil sie die einzigen Leistungserbringer sind, welche Leistungen anordnen und in der Lage sind, das selbst erbrachte Leistungsvolumen zu beeinflussen. Zudem machen sie geltend, dass es wegen den ungenügenden statistischen Angaben über die Leistungserbringer nicht denkbar sei, den ambulanten Bereich im Sinne des Vorschlag zu planen und fordern, dass der Bund den Mangel vorgängig beheben müsse. Einige Teilnehmende, welche die Vertragsfreiheit befürworten, möchten sie auf den Spitalsektor ausdehnen, namentlich um Abgrenzungsprobleme mit dem ambulanten Bereich zu vermeiden. Die Leistungserbringer sowie die Versicherten- und Konsumentenorganisationen betonten insbesondere die Bedeutung der Beziehung des Patienten, der Patientin zum Leistungserbringer, namentlich dem Arzt beziehungsweise der Ärztin, welche mit dem Vorschlag zur Vertragsfreiheit verbunden ist. Zusammenfassend ist festzustellen, dass, soweit der Gedanke und das Modell des Bundesrates Zustimmung gefunden haben, keiner der vorgebrachten Revisionspunkte auf uneingeschränkte Zustimmung gestossen ist ausgenommen die
Informationspflicht der Versicherer und die Verstärkung der Sanktionsmechanismen bei Nichtbeachtung der Regeln zu Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen gegenüber den Versicherten.

2

Grundzüge der Vorlage

Mit dem Vorschlag, den aktuellen Kontrahierungszwang aufzuheben, will der Bundesrat über das Volumen der Leistungen die Kostenentwicklung in der Krankenversicherung eindämmen. Um dieses Ziel zu erreichen will der Bundesrat einerseits den Wettbewerb unter den Leistungserbringern desselben Berufsstands im ambulanten Bereich verstärken, indem er den Krankenversicherern die Möglichkeit gibt, die 4306

betreffenden Leistungserbringer frei zu wählen. Andererseits möchte er damit, dort wo dies nötig ist, die Voraussetzungen für eine Beschränkung des Angebotes im ambulanten Bereich schaffen, indem er die Kantone diesbezüglich in die Verantwortung einbindet. Mit seinem Vorhaben möchte der Bundesrat den Krankenversicherern und den Leistungserbringer einen grösseren Spielraum für die Wahl ihrer Vertragspartner einräumen. Er möchte diese Massnahme jedoch mit einigen Leitplanken ausstatten, die unerlässliche Rahmenbedingungen für die Umsetzung dieses Modells darstellen: ­

Versorgungssicherheit im Gesundheitsbereich: Wie schon die beiden Kammern bei den Beratungen zur 2. KVG-Revision festgestellt haben, möchte auch der Bundesrat, dass die Kantone die Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung bestimmen und gewährleisten, dies jedoch innerhalb eines zuvor vom Bund festgesteckten Rahmens, mit welchem zu grosse Unterschiede in der Versorgung der Bevölkerung zwischen den Kantonen vermieden werden sollen. Nach dem Modell des Bundesrates sollen ferner die Versicherer die von den Kantonen bestimmte Mindestanzahl von Leistungserbringern zur Sicherung der Versorgung der Versicherten einhalten. Die Versicherer werden jedoch nicht daran gehindert, im Rahmen ihrer Unternehmenspolitik diese Vorgaben zu überschreiten. Wenn die Versorgungssicherheit gewährleistet ist, sollen die Versicherer die Möglichkeit haben, den Abschluss eines Zulassungsvertrags mit einem weiteren Leistungserbringer zu verweigern.

­

Einhaltung der Kriterien Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen: Auch wenn ein Leistungserbringer die gesetzlichen Anforderungen in Bezug auf die Ausbildung und die Kriterien der Wirtschaftlichkeit und der Qualität der Leistungen erfüllt, hat er nicht automatisch Anrecht auf einen Zulassungsvertrag. Hingegen müssen die Leistungserbringer, die über einen Zulassungsvertrag verfügen, die sowohl gesetzlich wie auch vertraglich vorgesehenen Anforderungen bezüglich der Wirtschaftlichkeit und der Qualität der Leistungen erfüllen. Für jene, die sich während der Dauer eines Zulassungsvertrags nicht an diese Bestimmungen halten («schwarze Schafe»), will der Bundesrat den Katalog der Sanktionen erweitern, die ein kantonales Schiedsgericht oder gegebenenfalls das eidgenössische Versicherungsgericht auf Antrag eines Versicherers oder eines Verbands der Versicherer aussprechen kann.

3

Erläuterungen der einzelnen Bestimmungen

Art. 35 Abs. 1 Der Grundsatz des geltenden Rechts, wonach die Leistungserbringer für ihre Zulassung die in den Artikeln 36 bis 40 KVG genannten Bedingungen erfüllen müssen, um zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen zu werden, bleibt unverändert beibehalten. Dies allein soll den im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringern jedoch noch keinen Anspruch auf Zugang zum Krankenversicherungsmarkt eröffnen. Die Leistungserbringer müssen künftig zusätzlich mit einem oder mehreren anerkannten Krankenversicherern einen Zulas4307

sungsvertrag abgeschlossen haben. Eines der Hauptziele der Einführung der Vertragsfreiheit ist, dass die Versicherer ­ abgesehen von Notfallbehandlungen ­ nur noch die Leistungen derjenigen Leistungserbringer vergüten, mit denen sie einen Vertrag abgeschlossen haben. Damit die Vertragsfreiheit all ihre Wirkungen entfalten und namentlich einen Anreiz zur Förderung der integrierten Versorgungsnetze, die alle Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung anbieten, setzen kann, gilt diese Massnahme für alle im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringer und zwar ausschliesslich für diese. Betroffen sind also nicht nur Ärzte und Ärztinnen sowie Einrichtungen, die der ambulanten Krankenpflege durch Ärzte und Ärztinnen dienen, Apotheker und Apothekerinnen, Zahnärzte und Zahnärztinnen, Chiropraktoren und Chiropraktorinnen sowie Hebammen, sondern auch alle andern Personen, die auf ärztliche Anordnung hin Leistungen erbringen und Organisationen, die solche Personen beschäftigen. Dies sind: Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen, Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen, Krankenschwestern und Krankenpfleger, Logopäden und Logopädinnen, Ernährungsberater und Ernährungsberaterinnen, Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause sowie Organisationen der Ergotherapie. Auch Heilbäder und Laboratorien gehören in diese Kategorie. Der Bundesrat hält es für angezeigt, auch im ambulanten Spitalbereich die Vertragsfreiheit einzuführen, auch wenn dies in der Praxis gewisse Abgrenzungsprobleme zum stationären Sektor mit sich bringen dürfte, da der Wettbewerb zwischen im Spital und in freier Praxis oder beim Patienten oder der Patientin zu Hause erbrachten ambulanten Leistungen nicht verzerrt werden soll. Im stationären Bereich der Spitäler und für die Pflegeheime soll der Kontrahierungszwang hingegen beibehalten werden, da das Gesetz dort bereits verschiedene Instrumente für die Regulierung der Leistungserbringer und für die Kostenkontrolle zur Verfügung stellt, welche beginnen, ihre Wirkung zu entfalten.

Art. 35a Abs. 1 (neu) In einem wettbewerblichen Vertragsmodell, das auf die Autonomie der Vertragsparteien abzielt, sollen die Leistungserbringer und die Versicherer in der Wahl ihrer Vertragspartner grundsätzlich frei sein. Die freie Wahl ist für die jeweiligen Parteien nur dann wirklich eingeschränkt,
wenn dies für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Versicherten notwendig ist. Das heisst, die bedarfsgerechte medizinische Versorgung muss gewährleistet sein. Es ist allerdings angebracht, einen generellen Vorbehalt auszusprechen und die Leistungserbringer und die Versicherer daran zu erinnern, dass sie an die Bestimmungen des Kartellgesetzes (SR 251) gebunden sind und dass sie ihre Tätigkeiten nur im Rahmen der Vorgaben dieses Gesetzes ausüben können.

Art. 35a Abs. 2 (neu) Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Versorgungssicherheit durch den Versicherungsmarkt alleine nicht gewährleistet wird. Deshalb sollen die Kantone aufgrund ihrer historisch bedingten Zuständigkeit im Bereich der Gesundheitsversorgung eine regulierende Funktion einnehmen und den gerechten Zugang zu einer finanziell tragbaren medizinischen Versorgung für die gesamte Bevölkerung sicherstellen.

Ausgehend von der Tatsache, dass die unterschiedliche Versorgungsdichte in den verschiedenen Kantonen in der Schweiz keine Auswirkungen auf die Qualität und die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung hat, und um zu verhindern, dass erhebliche, mit Blick auf die Gesundheitsversorgung ungerechtfertigte regionale 4308

Unterschiede in der Versorgungsdichte weiter bestehen, soll der Bundesrat die Mindest- und Höchstgrenze (Bandbreite) der notwendigen Anzahl Leistungserbringer jeder Kategorie festlegen, die es für die Sicherstellung einer bedarfsgerechten ambulanten Gesundheitsversorgung in den Kantonen braucht. Diese Festlegung wird nicht auf einer strikt wissenschaftlichen Grundlage erfolgen können. Sie wird vielmehr das Resultat eines pragmatischen Ansatzes sein, der sich auf eine vergleichende Analyse der medizinischen Versorgung in unterschiedlichen Kantonen stützt, gefolgt von einem Annäherungsprozess um zu einem nationalen Versorgungsparameter für die unterschiedlichen Leistungserbringerkategorien zu gelangen und zwar mit einem gewissen Spielraum von Mindest- und Höchstzahlen, mit welchen die Kantone die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen können. Im Rahmen der Beratungen zur 2. KVG-Revision hat die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats ein Postulat eingereicht (03.3236), mit dem der Bundesrat beauftragt wird, das EDI anzuweisen, in Zusammenarbeit mit den Kantonen, dem Bundesamt für Statistik und dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium eine solche nationale Prospektivstudie zur medizinischen Demographie durchzuführen.

Die Kommission geht davon aus, dass sich mit der Aufhebung des Kontrahierungszwangs und der kantonsweisen Festlegung des medizinischen Bedarfs das Problem einer wissenschaftlich zuverlässigen medizinischen Demographie stellt und dass methodisch gesehen eine isolierte, kantonsweise Bedarfsabklärung verfehlt sein dürfte. Der Bundesrat hat sich bereit erlärt, das Postulat entgegenzunehmen.

Nach dem Vorschlag des Bundesrates ist es dann Sache der Kantone, innerhalb der vom Bundesrat festgelegten Bandbreiten zu bestimmen, wie viele Leistungserbringer (z.B. Import und Export von Patienten und Patientinnen, Urbanitätsgrad, altersmässige Zusammensetzung der Bevölkerung) für die bedarfsgerechte Versorgung der Kantonsbevölkerung erforderlich sind, wobei die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen sind. Sowohl die Anzahl als auch die Bandbreite müssen auf einer Vollzeitbeschäftigung basieren. Die Kantonsregierung hat bei der Beurteilung und Festlegung der Gesundheitsversorgung nicht nur das innerkantonale Angebot, sondern auch jenes der Nachbarkantone zu berücksichtigen
und für eine gleichmässige Verteilung auf ihrem Gebiet zu sorgen, indem z.B. für bestimmte Regionen des Kantons die Zahl der Leistungserbringer festgesetzt wird. Weiter zu berücksichtigen ist das ambulante Leistungsangebot von Ärztinnen und Ärzten, die in Einrichtungen gemäss Artikel 36a KVG angestellt sind, sowie das Angebot der in einer Organisation der Ergotherapie angestellten Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten. Schliesslich gilt es auch zu regeln, wie das Angebot des ambulanten Spitalbereichs sowie der Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause miteinbezogen wird. Dies muss zweifellos durch eine Kapazitätsplanung erfolgen. Für den Einbezug der Ärztinnen und Ärzte, welche die Selbstdispensation praktizieren, sieht das Gesetz schon heute vor, dass die Kantone bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Ärztinnen und Ärzte den Apothekerinnen und Apothekern gleichgestellt sind (Art. 37 Abs. 3 KVG).

Der Bundesrat hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass er sich der Schwierigkeiten bewusst ist, welche mit der Evaluation und Festsetzung der Versorgungsrichtlinien verbunden sind, und dass er sie nicht vertuschen will. Er ist jedoch der Ansicht, dass im Bereich des Versorgungsangebots, in dem wirklich Handlungsbedarf besteht, trotz der Schwierigkeiten etwas unternommen werden muss, auch wenn in einer ersten Phase das Ergebnis der Bemühungen noch nicht perfekt sein dürfte.

Die Evaluation und Festsetzung von Versorgungsrichtlinien ist als dynamischer 4309

Prozess zu betrachten, der sich aufgrund der gewonnenen Erfahrung mit der Zeit optimiert.

Art. 35a Abs. 3 (neu) Um den Wettbewerb unter den Leistungserbringern nach Artikel 35 Absatz 1 Buchstabe b dieser Vorlage aber auch unter den Krankenversicherern zu fördern, sollen die Krankenversicherer die Leistungserbringer, mit denen sie sich vertraglich binden, frei wählen können, solange die vom Kanton festgelegte Mindestanzahl an Zulassungsverträgen zustande kommt. Im Rahmen ihrer Unternehmenspolitik steht es den Versicherern selbstverständlich frei, die Mindestzahl der Leistungserbringer, mit denen sie einen Zulassungsvertrag abschliessen, zu überschreiten und das Leistungsangebot auszuweiten, um so neue Kunden zu gewinnen, die bereit sind, dafür auch die entsprechend höheren Prämien im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu bezahlen.

Ist die vom Kanton festgelegte Mindestanzahl erreicht, so kann ein Versicherer die Zulassung eines Leistungserbringers, der mit ihm einen solchen Vertrag abschliessen möchte, mit der Begründung verweigern, dass die bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung bereits gewährleistet ist. Selbst wenn der betreffende Leistungserbringer die Anforderungen bezüglich Wirtschaftlichkeit und Qualitätssicherung erfüllt (Art. 56 und 58 KVG), hat er keinen Anspruch auf einen Zulassungsvertrag. Anlässlich der Beratung der 2. KVG-Revision hatte der Bundesrat bereits festgehalten, dass die vorgeschlagene Regelung die Wirtschaftsfreiheit, wie sie von Artikel 27 Bundesverfassung geschützt wird, nicht in Frage stellt. Diese enthält insbesondere den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit und deren freie Ausübung, gewährleistet aber keinen Anspruch der Leistungserbringer, zu Lasten des Systems der sozialen Sicherheit tätig zu sein. Im Rahmen seiner Vorlage will der Bundesrat das Verfahren, wonach Leistungserbringer und Versicherer, die Verweigerung des Abschlusses eines Zulassungsvertrages einer kantonalen Schiedskommission unterbreiten können, nicht wieder aufnehmen (vgl. Ziff. 1.2). Die Einigungskonferenz zur 2. KVG-Revision hatte dieses Verfahren beibehalten. Mit Blick auf Artikel 29a der Bundesverfassung und Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die den Zugang zu einem Richter garantieren, ist ein Ausschluss jeglichen Rechtsweges nicht zulässig. Es
ist davon auszugehen, dass Artikel 89 Absatz 1 KVG anwendbar ist und somit das Schiedsgericht, das bereits heute als erste Instanz für Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern zuständig ist, sich der Streitigkeiten bezüglich des Zulassungsvertrages annimmt. Die Öffnung des Rechtsweges an dieses Gericht im Fall der Verweigerung eines Vertragsschlusses bedeutet indessen nicht, dass das Gericht anstelle der Versicherer oder Leistungserbringer entscheiden kann, ob ein Vertrag hätte abgeschlossen werden müssen. Soweit der Vorschlag den Leistungserbringern und Versicherern die Freiheit des Vertragsschlusses oder Nichtabschlusses lässt, kann der Leistungserbringer oder der Versicherer, dem ein Vertragsschluss verweigert wird, höchstens eine culpa in contrahendo, d.h. eine Verletzung von Treu und Glauben während den Vertragsverhandlungen, geltend machen.

Die Erfüllung der Voraussetzungen für eine culpa in contrahendo kann dennoch nicht zu einem Anspruch auf einen Zulassungsvertrag führen, sondern einzig zu einem Anspruch auf Schadenersatz.

4310

Art. 35a Abs. 4 (neu) Um die Einhaltung der den Versicherern in Artikel 35a Absatz 2 des Entwurfes auferlegten Pflichten zu gewährleisten, gibt jeder Versicherer der Stelle, die von der Kantonsregierung desjenigen Kantons, in welchem er tätig ist, bestimmt wurde, die Liste der Leistungserbringer bekannt, mit welchen er einen Zulassungsvertrag nach Artikel 35a abgeschlossen hat. Wenn diese Stelle feststellt, dass ein Versicherer die ihm auferlegten Verpflichtungen nicht einhält, hat sie die Aufsichtsbehörde, das Bundesamt für Gesundheit (BAG), zu informieren, welche die gesetzlich vorgesehenen Massnahmen ergreift.

Art. 35a Abs. 5 (neu) Um den Versicherten eine gewisse Stabilität in der therapeutischen Beziehung zu ihrem Leistungserbringer zu gewährleisten, ist es den Krankenversicherern untersagt, Leistungserbringer, mit denen sie einen Vertrag geschlossen haben, während des Kalenderjahres von der Liste zu streichen. Davon ausgenommen sind Leistungserbringer, die in Anwendung von Artikel 59 KVG vorübergehend oder definitiv von der Zulassung zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ausgeschlossen sind.

Art. 35b (neu) Die im Rahmen der 2. KVG-Revision formulierten Bestimmungen zur Information der Versicherten durch die Versicherer (Art. 7a) und durch die Leistungserbringer (Art. 41a) sollen übernommen werden. Aus Kohärenzgründen ist es allerdings angezeigt, die beiden Bestimmungen in einem einzigen Gesetzesartikel unter dem Titel «Information der Versicherten» zusammenzufassen. Dieser Artikel soll unmittelbar auf die Bestimmung folgen, die das Vertragsprinzip für im ambulanten Bereich tätige Leistungserbringer verankert, sind diese beiden Bereiche doch direkt verknüpft, wie nachstehend dargestellt wird.

Information durch die Versicherer (Abs. 1): Durch die Aufhebung des Kontrahierungszwangs büsst die obligatorische Krankenpflegeversicherung für die Versicherten an Transparenz ein, sind doch die Versicherer nicht mehr verpflichtet, die Kosten der Behandlung durch jeden im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringer zu vergüten. Deshalb sollen die Versicherer die Listen der Leistungserbringer, mit denen sie einen Vertrag geschlossen haben, den Versicherten rechtzeitig bekannt geben. Auch die anderen Versicherten müssen die Möglichkeit haben, die Liste zu konsultieren. Die
Versicherten müssen wissen, welche Leistungserbringer bei den verschiedenen Versicherern zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen sind, damit sie auf dieser Grundlage den Versicherer wählen können.

Information durch die Leistungserbringer (Abs. 2): Im heutigen System ist die freie Wahl der Versicherten, die einen Leistungserbringer konsultieren wollen oder müssen, davon abhängig, inwieweit der Versicherer verpflichtet ist, die Kosten in dem Gebiet, in dem der Leistungserbringer tätig ist, zu übernehmen. Der geltende Artikel 41 KVG hält fest, dass die obligatorische Krankenpflegeversicherung bei einer ambulanten Behandlung die Kosten höchstens nach dem Tarif übernimmt, der am Wohn- oder Arbeitsort der versicherten Person oder in deren Umgebung gilt. Wird die Vertragsfreiheit im KVG eingeführt, so ist für die Versicherten in Bezug auf ihre 4311

Wahlfreiheit massgebend, ob ihr Versicherer mit dem Leistungserbringer, den sie konsultieren wollen, einen Zulassungsvertrag abgeschlossen hat oder nicht. Die heutige Regelung garantiert den Versicherten in der Regel, dass die von einem Leistungserbringer erbrachten ambulanten Leistungen von ihrem Versicherer auch tatsächlich vergütet werden. Gegenwärtig gehört es zu den Pflichten des Leistungserbringers, seine Patientinnen und Patienten darüber aufzuklären, wenn eine Behandlung, ein Eingriff oder das Honorar nicht von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung übernommen werden oder wenn er diesbezügliche Zweifel hegt oder hegen muss (BGE 119 II 456). Wird die Vertragsfreiheit eingeführt, so können die Versicherten nicht mehr jederzeit davon ausgehen, dass ihr Versicherer die Kosten für erfolgte Behandlungen durch alle Leistungserbringer übernehmen wird, und sie gehen das Risiko ein, Rechnungen aus der eigenen Tasche bezahlen zu müssen, wenn sie einen Leistungserbringer aufsuchen, der von ihrem Versicherer nicht zugelassen ist. Um dies zu vermeiden sollen auch die Leistungserbringer verpflichtet werden, die Versicherten vor der Behandlung darüber aufzuklären, wenn sie für den entsprechenden Versicherer wegen eines fehlenden Zulassungsvertrages keine Leistungen zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erbringen dürfen. Verletzt ein Leistungserbringer seine Informationspflicht, so hat er nicht nur keinen Anspruch auf Vergütung der Leistungen nach KVG, da er keinen Zulassungsvertrag mit dem Versicherer hat; er kann grundsätzlich auch keinen zivilrechtlichen Honoraranspruch geltend machen. Selbstverständlich ist der Notfall nach Artikel 41 Absatz 2 Buchstabe a von dieser Regelung ausgenommen. Die Regelung ist ebenfalls nicht anwendbar, wenn der Patient oder die Patientin zwar vom Leistungserbringer über das Fehlen eines Vertrages mit dem Versicherer informiert wurde, aber dennoch von jenem behandelt werden möchte. Dies könnte Gegenstand von zivilrechtlichen Forderungen sein.

Art. 41 Abs. 1 und 2 Bst. a Die Versicherten werden auch weiterhin frei unter den zugelassenen und für die Behandlung ihrer Krankheit geeigneten Leistungserbringern wählen können, obwohl die Einführung der Vertragsfreiheit im ambulanten Bereich diesen Grundsatz faktisch etwas einschränken dürfte. Der erste Satz
von Artikel 41 Absatz 1 KVG kann unverändert beibehalten werden.

Wie bereits im Zusammenhang mit dem Vorschlag zu Artikel 35b erwähnt, wird die Einführung der Vertragsfreiheit im ambulanten Bereich Auswirkungen auf die Kostenübernahme im ambulanten Bereich haben, weshalb die entsprechende Bestimmung abgeändert werden muss. Diese Massnahme hat aber keine Auswirkungen auf die Bestimmungen zur Kostenübernahme im stationären Bereich.

Im ambulanten Bereich ist heute die Wahl der Leistungserbringer durch die Versicherten praktisch uneingeschränkt. Die einzige Einschränkung besteht darin, dass der Versicherer die Kosten nur bis zur Höhe des Tarifs übernimmt, der am Wohnoder Arbeitsort der versicherten Person oder in deren Umgebung gilt. Berücksichtigt die versicherte Person diese örtlichen Grenzen nicht, so werden die zusätzlichen Kosten ihr selbst oder allenfalls einer Zusatzversicherung angelastet. Mit dem bundesrätlichen Vorschlag zur Vertragsfreiheit ist für die freie Wahl des Leistungserbringers hingegen nur noch massgebend, ob der Versicherer verpflichtet ist, die Kosten für die Leistungen zu übernehmen, die der Versicherte von einem von ihm selbst gewählten Leistungserbringer bezieht. Hat der Versicherer einen Zulassungsvertrag abgeschlossen, so übernimmt er die Kosten in der Höhe des mit diesem 4312

Leistungserbringer vereinbarten Tarifes. Wählt der Versicherte hingegen einen von seinem Versicherer nicht zugelassenen Leistungserbringer, muss der Versicherer die Kosten nicht übernehmen, ausser bei einem Notfall. An der Kostenübernahme in Notfällen ändert sich nichts. Damit ist sichergestellt, dass die Versicherten die Kosten im Zusammenhang mit einer Notfallbehandlung von ihrem Versicherer rückerstattet erhalten, auch wenn der Leistungserbringer über keinen Zulassungsvertrag mit diesem Versicherer verfügt. In diesem Fall kommt jedoch nur ein Leistungserbringer in Frage, der die Zulassungsvoraussetzungen nach Artikel 35 Absatz 1 Buchstabe a KVG erfüllt und mit einem oder mehreren anderen anerkannten Krankenversicherer einen Zulassungsvertrag abgeschlossen hat. Als Tarif wird der zwischen den Tarifpartnern vereinbarte oder gestützt auf Artikel 47 KVG durch die Kantonsregierung behördlich festgesetzte Tarif zur Anwendung gelangen. Sollten mehrere Tarife für diesen einen Leistungserbringer möglich sein, so kann der Leistungserbringer den Tarif seiner Wahl in Rechnung stellen, da es sich ja in jedem Fall um genehmigte Tarife handelt. Die Versicherer können dies umgehen, indem sie möglichst flächendeckende Tarifverträge abschliessen.

Art. 45 Abs. 2 (neu) Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Leistungserbringer daran interessiert sind, im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu arbeiten, denn sie bietet ihnen erfahrungsgemäss einen sehr breiten Patientenstamm und stellt für die meisten unter ihnen die Haupteinkommensquelle dar. Dies wird sicher auch bei Einführung der Vertragsfreiheit gelten. Dennoch können infolge aussergewöhnlicher Umstände, z.B. aufgrund einer Vertrauenskrise zwischen Partnern oder einer Position der Stärke auf dem Markt, ein oder mehrere Leistungserbringer den Abschluss eines Zulassungsvertrages mit einem oder mehreren Versicherern ablehnen. Konsequenz ist, dass letztere ihrer Verpflichtung zum Abschluss eines Zulassungsvertrages mit der vom Kanton festgesetzten Mindestanzahl von Leistungserbringern nicht nachkommen können und damit die medizinische Versorgung im ambulanten Bereich für die Versicherten in einem oder mehreren Leistungsbereichen oder in bestimmten Fachspezialitäten nicht mehr gewährleistet werden könnte. Um diese sehr hypothetische, aber
dennoch nicht auszuschliessende Situation zu überbrücken, ist vorzusehen, dass die Kantonsregierung befristete Massnahmen ergreift, um die Behandlung der Versicherten nach diesem Gesetz unter Einhaltung des Tarifschutzes dennoch sicherzustellen. Es ist dies eine Art Ultima Ratio, in der Annahme und mit dem Ziel, den Normalzustand so schnell wie möglich wiederherzustellen. Diese Aufgabe der Notstandsbewältigung gehört in den angestammten Kompetenzbereich der Kantone im Gesundheitswesen.

Die Möglichkeit der Kantone zur Sicherung der medizinischen Versorgung ist im KVG bereits bei einem allfälligen massiven Ausstand von Leistungserbringern vorgesehen (vgl. dazu Botschaft des Bundesrates zur Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991, BBl 1992 I 177). Angesichts der Ähnlichkeit der Situationen sollen die Kantonsregierungen die Möglichkeit haben, auch in Extremfällen dafür zu sorgen, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung sichergestellt ist, weshalb die Bestimmungen bei einem Ausstand von Leistungserbringern (Abs. 1) analog zur Anwendung gelangen.

Diese Bestimmung bildet das Pendant zu Artikel 35a Absatz 4 des Entwurfes, der den Fall abdeckt, in dem ein Versicherer seiner Verpflichtung nach Artikel 35a Absatz 3 nicht nachkommt, ohne dass das Verhalten eines oder mehrerer Leistungs4313

erbringer die Ursache ist, und mit der Konsequenz, dass die medizinische Versorgung im ambulanten Bereich für seine Versicherten nicht mehr garantiert ist.

Art. 46 Abs. 5 Im geltenden System sind Versicherer und Leistungserbringer, die einen Tarifvertrag kündigen oder von einer Tarifvereinbarung zurücktreten wollen, an eine Kündigungsfrist von mindestens sechs Monaten gebunden. Diese Frist bleibt unverändert, solange die Tarifpartner durch einen Zulassungsvertrag verbunden sind. Sobald ein Leistungserbringer jedoch nicht mehr durch einen solchen Vertrag gebunden ist, wird davon ausgegangen, dass er nicht mehr Partei des betreffenden Tarifvertrages ist. Das im Rahmen der Revision geplante System sieht nämlich vor, dass ein Versicherer oder Leistungserbringer nur dann einen Tarifvertrag abschliessen kann, wenn er bereits im Besitz eines Zulassungsvertrages ist. Die Vertragspartner sind jedoch frei, die Zulassung und die Tarifierung in einem einzigen Vertrag zu regeln.

Art. 47 Abs. 2 Mit dem bundesrätlichen Vorschlag zur Vertragsfreiheit behalten die geltenden Regelungen des KVG zum vertragslosen Zustand im stationären und teilstationären Bereich volle, im ambulanten Bereich teilweise Gültigkeit. Die bisherige Kompetenz der Kantonsregierung, im vertragslosen Zustand einen Tarif festzusetzen, soll weiterhin gelten. Allerdings muss mit der Einführung der Vertragsfreiheit Artikel 47 Absatz 2 KVG geändert werden. Dieser Artikel regelt den Fall, in dem kein Tarifvertrag für die ambulante Behandlung einer versicherten Person besteht, die die Dienste eines ausserhalb ihres Wohn- oder Arbeitsortes oder deren Umgebung praktizierenden Leistungserbringers beansprucht (vgl. den Kommentar zu Art. 41 dieser Vorlage). Kommt kein Tarifvertrag zustande und ist die ambulante Behandlung aus medizinischen Gründen ohne einen Zulassungsvertrag vorgenommen worden, so ist die Regierung des Kantons, in dem die ständige Einrichtung des Leistungserbringers liegt, verpflichtet, einen Tarif festzusetzen. Wie bereits erwähnt, ist im bundesrätlichen Vertragsmodell für den Abschluss eines Tarifvertrages vorgängig ein Zulassungsvertrag erforderlich.

Art. 59 Nach Artikel 59 KVG kann ein Versicherer einem Leistungserbringer aus wichtigen Gründen, insbesondere bei Verstössen gegen die Anforderungen nach den Artikeln 56 und 58 KVG,
die Tätigkeit nach diesem Gesetz nicht mehr gestatten. Ausgeschlossen wird ein Leistungserbringer, insbesondere ein Arzt, wenn er aus wichtigen Gründen, die auf seine Person oder seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen sind, das Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern in einem Masse stört, dass eine weitere Zusammenarbeit dem betroffenen Krankenversicherer unmöglich erscheint.

Gegenwärtig bezieht sich der Ausschluss auf den Versicherer, der den Antrag stellt, aber auch mehrere Versicherer können ein Ausschlussbegehren für den gleichen Leistungserbringer stellen. Der Ausschluss gilt für die ganze Schweiz. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung sichert den im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringern einen grossen Patientenbestand, und für die meisten von ihnen einen Broterwerb. Der Ausschluss bedeutet für den betroffenen Arzt praktisch die Aufgabe seiner medizinischen Tätigkeit, zumindest in freiberuflicher Praxis. Bei dieser Massnahme handelt es sich daher um eine Ultima Ratio. Zwar könnte ein Leistungs4314

erbringer ausgeschlossen werden, wenn er gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip verstösst, aber in der Regel muss er objektiv und subjektiv vertragliche Abmachungen oder gesetzliche Bestimmungen in einem solchen Masse verletzt haben, dass der Ausschluss seiner Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht als dem Verhältnismässigkeitsprinzip zuwiderlaufend betrachtet werden kann.

Die Ausschlussverfahren endeten bis heute meist damit, dass der Leistungserbringer den nach Artikel 56 KVG zuviel verrechneten Betrag rückerstatten musste. Die kantonalen Schiedsgerichte, die paritätisch zusammengesetzt sind (Berufsrichter, zwei Vertreter der Krankenversicherer und zwei Vertreter der Leistungserbringer), verzichten in den meisten Fällen darauf, eine solch radikale Massnahme wie den vorübergehenden oder definitiven Ausschluss von der Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung auszusprechen. Um eine solch relative Straffreiheit für «schwarze Schafe» zukünftig zu vermeiden, sind folgende Massnahmen vorzusehen: ­

Ausweitung der Sanktionen gegen Leistungserbringer, die sich nicht an die gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen bezüglich Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen halten (in einem neuen Abs. 1). Dieser Vorschlag wurde von beiden Kammern des Parlamentes im Rahmen der Beratungen zur 2. KVG-Revision gutgeheissen. Die Sanktionen dürfen sich nicht nur auf den vorübergehenden oder definitiven Ausschluss von der Kassenpraxis im Wiederholungsfall beschränken. Andere Massnahmen müssen ebenfalls in Betracht gezogen werden, wie eine Verwarnung, die ganze oder teilweise Rückerstattung von Honoraren für unzweckmässige Leistungen sowie Bussen. Die zuständigen Gerichte verfügen so über einen grösseren Entscheidungsspielraum.

­

Ausdehnung der Möglichkeit, die kantonalen Schiedsgerichte anzurufen, auf die Verbände der Versicherer, damit jene die genannten Sanktionen verhängen. Der Bundesrat brachte diesen Vorschlag im Übrigen bereits in den Entwurf zur 2. KVG-Revision (BBl 2001 821). Die Tragweite von Sanktionen, wie beispielsweise der Ausschluss, wäre insofern grösser, als die Anzahl versicherter Personen, die der Leistungserbringer nicht mehr zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung behandeln könnte, eindeutig zunehmen würde.

­

Konkretisierung der gröbsten Verstösse gegen die Wirtschaftlichkeit oder die Qualitätssicherung, die nach Ansicht des Bundesrates eine Sanktion im Sinne von Artikel 59 Absatz 1 des Entwurfs nach sich ziehen, in Form einer nichtabschliessenden Liste in einem neuen Absatz 3. Diese Liste der Verstösse nimmt den Vorschlag im bundesrätlichen Entwurf zur 2. KVGRevision wieder auf (BBl 2001 821). Es handelt sich dabei um die Nichtbeachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nach Artikel 56 Absatz 1 KVG (ersetzt den Begriff der Überarztung), die nicht oder schlecht erfolgte Erfüllung der Informationspflicht nach Artikel 57 Absatz 6 KVG, die Weigerung, sich an Massnahmen der Qualitätssicherung nach Artikel 58 KVG zu beteiligen, die Nichtbeachtung des Tarifschutzes nach Artikel 44 KVG, die unterlassene Weitergabe von Vergünstigungen nach Artikel 56 Absatz 3 KVG sowie die betrügerische Manipulation von Abrechnungen oder die Ausstellung von unwahren Bestätigungen (vgl. Kommentar in BBl 2001 741, 793­796). Diese Tatbestände verstossen gegen die Gebote der Qualität und 4315

Wirtschaftlichkeit und schädigen über die Kostenbeteiligung nicht nur die Patientinnen und Patienten als individuelle Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch als Mitglied einer Risikogemeinschaft, indem sie das System der sozialen Krankenversicherung in seiner Gesamtheit beeinflussen.

Übergangsbestimmungen Abs. 1 Die beiden Kammern haben sich im Rahmen der Beratungen zur 2. KVG-Revision dafür ausgesprochen, die Versicherer zu verpflichten, sich während einer Übergangsphase von 4 Jahren mit allen im ambulanten Bereich tätigen Leistungserbringern, die am 1. Januar 2003 zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugelassen waren, vertraglich zu binden, und sie damit zur Übernahme der erbrachten Leistungen zu verpflichten. Ziel dieses Vorschlags war es, möglichen Folgen entgegenzuwirken, die eine sofortige Einführung der Vertragsfreiheit für die heute tätigen KVG-Leistungserbringer nach sich ziehen könnte. Der Bundesrat ist mit diesem Ziel grundsätzlich einverstanden, erachtet aber die Übergangsfrist als zu lange. Seiner Ansicht nach reicht eine Frist von zwei Jahren aus, während der Kontrahierungszwang im ambulanten Bereich für Leistungserbringer, die bei Inkrafttreten der vorliegenden Gesetzesänderung bereits zugelassen sind, bestehen bleibt. Das in diesem Entwurf vorgeschlagene Vertragsmodell könnte seine Wirkung bei einer längeren Frist kurz- und mittelfristig nicht voll entfalten. Die zugelassenen Leistungserbringer wären nämlich noch zu lange geschützt und sähen sich nicht veranlasst, ihr Verhalten bei der Leistungserbringung zu ändern. Dies ginge zu Lasten neuer Leistungserbringer, die in den Krankenversicherungsmarkt einsteigen möchten und wirtschaftlichere und qualitativ bessere Leistungen erbringen.

Übergangsbestimmungen Abs. 2 Der Entwurf sieht vor (Art. 35a Abs. 2), dass die Kantone innerhalb der vom Bundesrat festgelegten Bandbreiten die Mindestzahl der Leistungserbringer festlegen, welche zur Sicherstellung der bedarfsgerechten medizinischen Versorgung im ambulanten Bereich erforderlich sind, und zwar für jede Leistungserbringerkategorie und Fachrichtung. Die Kantone benötigen für die Umsetzung dieser Verpflichtung eine gewisse Vorbereitungszeit, denn im ambulanten Bereich wurde bis anhin noch von keinem Kanton eine Evaluation erstellt. Sie müssen die
interessierten Kreise dazu befragen und anhand der örtlichen Verhältnisse die Mindestgrenze der Anzahl Leistungserbringer festlegen. Eine Übergangsfrist von zwei Jahren erscheint angemessen, insbesondere hinsichtlich des Vorschlags in Absatz 1 der Übergangsbestimmungen, welcher die Krankenversicherer verpflichtet, einen Zulassungsvertrag für eine Dauer von zwei Jahren mit denjenigen Leistungserbringern abzuschliessen, welche im Zeitpunkt des Inkrafttretens der vorliegenden Gesetzesänderung zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung als Leistungserbringer zugelassen sind. Im übrigen wird der Bundesrat genügend früh die Bandbreite festlegen, innerhalb derer die Kantone die Mindestanzahl der erforderlichen Leistungserbringer festlegen, welche die Versorgung ihrer Bevölkerung sicherstellen.

Die Zahl der bei Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung zugelassenen KVGLeistungserbringer sollte bis zum vom Bundesrat bezeichneten Stichtag und, sofern die Kantone den Bedarfsnachweis in der Zwischenzeit nicht erbracht haben, als Höchstgrenze gelten. Da die Verordnung über die Einschränkung der Zulassung von 4316

Leistungserbringern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung am 3. Juli 2005 ausläuft, muss vermieden werden, dass die Zahl der Leistungserbringer im ambulanten Bereich in der Zwischenzeit zunimmt.

Inkrafttreten Damit Absatz 2 der Übergangsbestimmungen seine Wirkung beim Wegfall der genannten Verordnung entfalten kann, ist ein Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes auf den 1. Juli 2005 vorgesehen. Wird das Referendum ergriffen und vom Volk verworfen und somit das vorliegende Gesetz angenommen, so ist vorzusehen, dass der Bundesrat das Inkrafttreten bestimmt.

4

Zusammenwirken des Vorschlages mit anderen in Diskussion stehenden Gesetzesänderungen

Das bundesrätliche Modell der Vertragsfreiheit hat keinen Einfluss auf die im ersten Revisionspaket enthaltenen Gesetzesänderungen (Versichertenkarte, Verlängerung des Risikoausgleichs, Prämienverbilligung für Familien und Kostenbeteiligung), und umgekehrt. Es ist kompatibel mit den Gesetzesänderungen, welche der Bundesrat im Rahmen seines zweiten Revisionspaketes vorschlagen will, das heisst mit der Neuordnung der Spitalfinanzierung und mit der Förderung von Managed Care. Bezüglich letzterer bewirkt die vom Bundesrat vorgeschlagene Vertragsfreiheit einen zusätzlichen Anreiz für die Leistungserbringer, aber auch für die Versicherer, sich stärker für die Modelle mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer zu interessieren, im Zusammenspiel mit einer Prämienreduktion für die Versicherten. Die Experten schreiben in dieser Beziehung dem Kontrahierungszwang eine bremsende Wirkung zu. Die Leistungserbringer erachten es zur Zeit weder interessant noch notwendig, sich auf die mit diesen Modellen verbundenen wirtschaftlichen Risiken einzulassen.

5

Auswirkungen

5.1

Finanzielle Auswirkungen

5.1.1

Finanzielle Auswirkungen für den Bund

Der Bundesrat wird neu die Aufgabe haben, die Mindest- und Höchstgrenzen der notwendigen Anzahl Leistungserbringer festzulegen, welche die bedarfsgerechte Versorgung in den Kantonen nach Artikel 35a Absatz 2 des Entwurfes (Bandbreiten) garantieren. Vorübergehend ist dadurch ein Mehraufwand für die Bundesverwaltung zu erwarten, der jedoch mit den heutigen Personalressourcen aufgefangen werden können sollte.

5.1.2

Finanzielle Auswirkungen für die Kantone

Die Kantone sind verpflichtet, die Mindestanzahl der Leistungserbringer für eine bedarfsgerechte ambulante Spitalversorgung der Bevölkerung festzulegen. Durch diese Bedarfsabklärung entsteht zumindest vorübergehend sicher ein gewisser 4317

zusätzlicher Verwaltungsaufwand, in jedem Fall während der Übergangsfrist, in welcher die Aufgabe erfüllt werden muss. Wie gross dieser sein wird, hängt in erster Linie davon ob, welchen Stellenwert die Kantone einer solchen Evaluation beimessen und wie umfangreich sie sein wird.

5.1.3

Finanzielle Auswirkungen für die Krankenversicherung

Die Vertragsfreiheit erfordert von den Versicherern und auch von den Leistungserbringern neue betriebswirtschaftliche, gesundheitsökonomische und epidemiologische Kenntnisse. Künftig müssen die Krankenversicherer ausserdem faktisch mit jedem Leistungserbringer, den sie zulassen möchten, einzeln einen Vertrag abschliessen und diese Vielfalt verwalten. Dieses breite Aufgabenspektrum mag in einer ersten Phase einen administrativen Mehraufwand und zusätzliche Verwaltungskosten für die Krankenversicherer nach sich ziehen. Genau abschätzen lassen sich diese zusätzlichen Kosten zum jetzigen Zeitpunkt indes nicht. Grundsätzlich wird die Stellung der Krankenversicherer durch diese Revision gestärkt. Die Aufhebung des Kontrahierungszwanges und die Stärkung des Wettbewerbsgedankens im KVG dürften die Entwicklung der Kosten zu Lasten der obligatorischen Krankenversicherung mittelfristig positiv beeinflussen.

5.2

Volkswirtschaftliche Auswirkungen

Statistisch ist es erwiesen, dass zwischen Ärztedichte und Kosten eine Abhängigkeit besteht. Der interkantonale Vergleich der Kosten pro Einwohner für ambulante Behandlungen zeigt, dass mit einer höheren Ärztedichte höhere Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung pro versicherte Person verbunden sind: Mit einer Zunahme der Ärztedichte um 30 Prozent geht eine Zunahme der Kosten pro Kantonseinwohner um 20 Prozent einher. Die verfügbaren Daten lassen jedoch weder den Schluss zu, dass dieser Zusammenhang bei zunehmender Ärztedichte fortzuschreiben ist noch belegen sie, dass die Angaben zu den beiden Kantonen mit den höchsten Kosten pro Person auf eine gewisse Marktsättigung hindeuten. Es gibt jedoch keinen Grund zur Annahme, dass die Kosten bei zunehmender Ärztedichte nicht steigen.

Es ist davon auszugehen, dass bei Aufhebung des Kontrahierungszwangs in Gebieten mit hoher Ärztedichte, insbesondere in städtischen Zentren, ein Kostendruck auf die Ärzte entsteht, was sich letztlich auf deren Einkommen auswirkt. Insbesondere in Regionen mit hoher Ärztedichte wird dadurch der Beruf des selbständig erwerbstätigen Arztes, der Ärztin in einer Einzelpraxis weniger attraktiv und die Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis oder in einer Managed-Care Organisation attraktiver.

Im Gegenzug ist davon auszugehen, dass Kantone, welche heute Schwierigkeiten haben, die Versorgung in den eher peripheren Regionen sicherzustellen, die Versorgung im ambulanten Bereich besser gewährleisten können. In diesem Sinne wird der Arbeitsmarkt beeinflusst. Es scheint jedoch wenig wahrscheinlich, dass die Aufhebung des Kontrahierungszwangs erhebliche Auswirkungen auf die Volkswirtschaft haben wird. Viel eher ist davon auszugehen, dass sich in einer ersten Phase Umschichtungen ergeben, sei es innerhalb der Ärzteschaft oder sei es zwischen den 4318

Regionen beziehungsweise Kantonen. Inwiefern sich der durch die Aufhebung des Kontrahierungszwangs verursachte Kostendruck längerfristig auszuwirken vermag, sei es auf die Produktivität oder auf die Qualität, wird durch die Gesetzgebung und deren Umsetzung bestimmt.

6

Verhältnis zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen

Mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs sollen Aufgaben, Kompetenzen und Finanzströme zwischen Bund und Kantonen entflochten und die Verantwortlichkeiten der beiden Staatsebenen geklärt werden (Botschaft des Bundesrates vom 14. November 2001 in BBl 2002 2291). Im Rahmen der Arbeiten wird auch im Bereich der Sozialversicherung eine Aufgabenentflechtung geprüft. Nicht betroffen von dieser Entflechtung ist das im Rahmen dieser Vorlage vom Bundesrat vorgeschlagene Modell der Zulassung der Leistungserbringer.

7

Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 vom 25. Februar 2004 angekündigt und als Richtliniengeschäft aufgeführt (BBl 2004 1176).

8

Verhältnis zum europäischen Recht

8.1

Vorschriften der europäischen Gemeinschaft

Artikel 2 des Vertrages der Europäischen Gemeinschaft (EG) überträgt der Gemeinschaft die Aufgabe, ein hohes Mass an sozialem Schutz zu fördern. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ist in Artikel 39 des EG-Vertrages geregelt. Das Freizügigkeitsprinzip verlangt eine Koordination der einzelstaatlichen Systeme der Sozialen Sicherheit, wie dies in Artikel 42 des EG-Vertrages festgelegt ist. Das Gemeinschaftsrecht bezweckt keine Harmonisierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Mitgliedstaaten können die Ausgestaltung, den persönlichen Geltungsbereich, die Finanzierungsmodalitäten sowie die Organisation ihrer Systeme der sozialen Sicherheit weiterhin bestimmen.

Die Koordination der einzelstaatlichen Systeme der Sozialen Sicherheit wird durch die Verordnung Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sowie durch die entsprechende Durchführungsverordnung Nr. 574/72 (Kodifiziert durch die Verordnung des Rates Nr. 118/97; ABl Nr. L 28 vom 30.1.1997, S. 1; zuletzt geändert durch die Verordnung des Rates Nr. 859/2003, ABl Nr. L 124 vom 20.5.2003, S. 1) geregelt. Seit dem Inkrafttreten des Abkommens über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union am 1. Juni 2002 ist die Schweiz Teil des multilateralen Koordinationssystems.

Die Empfehlung vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes (ABl Nr. L 245 vom 26.8.1992, S. 49) forderte die 4319

Mitgliedstaaten auf, für die rechtmässig in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Personen den Zugang zur notwendigen Gesundheitsversorgung sowie zu den Krankheitsvorsorgemassnahmen zu ermöglichen.

8.2

Die Instrumente des Europarates

Was die wirtschaftlichen und sozialen Rechte anbelangt, stellt die Europäische Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 die Entsprechung zur Europäischen Menschenrechtskonvention dar. In Artikel 12 ist das Recht auf Soziale Sicherheit verankert: Die Vertragsparteien verpflichten sich, ein System der Sozialen Sicherheit einzuführen oder beizubehalten, dieses auf einem befriedigenden Stand zu halten, sich zu bemühen, das System fortschreitend auf einen höheren Stand zu bringen und Massnahmen zu ergreifen, welche die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen anderer Vertragsparteien mit ihren eigenen Staatsangehörigen gewährleisten. Die Schweiz hat die Charta am 6. Mai 1976 unterzeichnet; eine Ratifizierung wurde jedoch 1987 vom Parlament abgelehnt, so dass dieses Übereinkommen für unser Land nicht bindend ist.

Mit der Europäischen Sozialcharta (revidiert) vom 3. Mai 1996 wurde der materielle Inhalt der Charta von 1961 aktualisiert und angepasst. Es handelt sich dabei um ein von der Europäischen Sozialcharta gesondertes Abkommen, welches diese nicht aufhebt. Das Recht auf Soziale Sicherheit ist ebenfalls in Artikel 12 enthalten. Die revidierte Sozialcharta ist am 1. Juli 1999 in Kraft getreten. Die Schweiz hat dieses Instrument nicht ratifiziert.

Die Schweiz hat die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit vom 16. April 1964 (AS 1978 1491) am 16. September 1977 ratifiziert. Unser Land hat jedoch Teil II über die ärztliche Betreuung nicht angenommen. Jeder Staat, der den aus Teil II der Ordnung hervorgehenden Verpflichtungen nachkommen will, ist verpflichtet, den geschützten Personen medizinische Versorgung bei Krankheit ohne Rücksicht auf ihre Ursache sowie bei Mutterschaft zu gewährleisten. Der Leistungsempfänger kann zur Beteiligung an den Kosten der bei Krankheit gewährten medizinischen Versorgung verpflichtet werden. Zudem kann die Dauer der erbrachten Leistungen für die einzelnen Fälle auf 26 Wochen beschränkt werden.

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit wird durch ein Protokoll, das höhere Normen festlegt, ergänzt. Die Schweiz hat das Protokoll zur Ordnung der Sozialen Sicherheit nicht ratifiziert.

Die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit (revidiert) vom 6. November 1990 ist ebenfalls ein von der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit zu unterscheidendendes Abkommen, sie
ersetzt jene nicht. Durch die (revidierte) Ordnung werden die Normen der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit erweitert, namentlich durch die Ausdehnung des persönlichen Anwendungsgebietes, durch die Gewährung von neuen Leistungen sowie durch die Erhöhung des Betrags für Sachleistungen. Parallel wird eine grössere Flexibilität eingeführt, indem die Ratifizierungsbedingungen erleichtert und die Normen so formuliert wurden, dass den einzelstaatlichen Regelungen bestmöglich Rechnung getragen wird. Die (revidierte) Ordnung ist noch von keinem Staat ratifiziert worden und deshalb noch nicht in Kraft getreten.

4320

Von den Instrumenten des Europarats sind zudem die folgenden Empfehlungen des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zu erwähnen: ­

Empfehlung Nr. R (80) 15 vom 14. November 1980 über eine bessere Verteilung der medizinischen Versorgung innerhalb und ausserhalb der Spitäler;

­

Empfehlung Nr. R (86) 5 vom 17. Februar 1986 über die allgemeine Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung.

8.3

Vereinbarkeit der Vorlage mit dem europäischen Recht

Das europäische Recht (Recht der Europäischen Gemeinschaft und Recht des Europarats) setzt für die anderen in der vorliegenden Revision behandelten Bereiche keine Normen fest. Die Staaten können diese Aspekte nach eigenem Ermessen bestimmen.

9 9.1

Rechtliche Grundlagen Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 117 der Bundesverfassung.

9.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung notwendigen Regelungskompetenzen (Erlass der Vollzugsbestimmungen) werden dem Bundesrat in Artikel 96 KVG delegiert. Im Rahmen dieser Vorlage ist der Bundesrat überdies befugt, in folgenden Bereichen Bestimmungen zu erlassen: Mindest- und Höchstgrenze der notwendigen Anzahl Leistungserbringer (Art. 35a Abs. 2).

4321

4322