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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die neue Staatsverfassung des Kantons Solothurn.

(Vom 23. Februar 1876.)

Tit.!

Unterm 18. April 1875 beschloß das Volk des Kantons Solothurn, unter Zustimmung aller Parteien, eine Totalrevision der kantonalen Verfassung vom l. Juni 1856, revidirt unterm 29. Dezember 1867 und 10. Oktober 1869. Es wurde hierauf ein Verfassungsrath bestellt, welcher ein neues Verfassungsprojekt ausarbeitete, das er in der Schlußabstimmung vom 13. November 1875 mit 70 gegen 15 Stimmen in seiner Gesammtheit annahm. Dieser Entwurf wurde am 12. Dezember 1875 dem Volke zur Abstimmung vorgelegt, wobei von 17,239 stimmberechtigten Bürgern 13,150 Theil nahmen, von welchen 7556 für die Annahme und 5492 für Verwerfung stimmten (ungültige Stimmen 102), so daß also die neue Verfassung von dem Volke mit einem Mehr von 2064 Stimmen angenommen worden ist.

Die wichtigsten Neuerungen derselben gegenüber der alten Verfassung von Solothurn betreffen folgende Hauptpunkte: 1) Das S t e u e r w e s e n , behandelt in § 5, welcher lautet: ,,Die jährlichen Einnahmen und Ausgaben des Staates werden durch einen Voranschlag festgestellt.

498 ,,Bestimmungen über Besteuerung sind Sache der Gesezgebung und unterliegen nach § 20 der Genehmigung des Volkes.

,,Eine direkte Steuer kann nur auf das reine Vermögen (nach Abzug aller Schulden) und auf das reine Einkommen verlegt werden.

,,Geringe Vermögen arbeitsunfähiger Personen, sowie von jedem Einkommen ein zum Leben unbedingt notwendiger Betrag sind steuerfrei.

,,Der Steuerwerth des landwirtschaftlichen Grundbesizes soll mit Rüksicht auf die geringere Ertragsfähigkeit und bereits geschehene Leistungen desselben an den Staat (Loskauf der Zehnten und Bodenzinse) angemessen herabgesezt werden.^ 2) Die G e m e i n d e v e r h ä l t n i s s e , §§ 57 und 58, worüber in der frühern Verfassung keine Bestimmungen enthalten waren.

3) Die i n d i v i d u e l l e n R e c h t e der B ü r g e r , § 30, nach Maßgabe der neuen Bundesverfassung, und das S t i m m r e c h t in kantonalen und Gemeindeangelegenheiteu, welches in den §§ 26 und 58 geordnet ist. Laut § 26 sind bei kantonalen Abstimmungen und Wahlen nach vollendetem 20. Altersjahre stimmberechtigt : Die Kantonsbürger, die niedergelassenen Schweizerbürger und die schweizerischen Aufenthalter, leztere nach drei Monaten von der Abgabe der Ausweisschriften an gerechnet.

Gemäß der früheren Verfassung dagegen (§§ 18 und 24) waren die bloßen Aufenthalter erst nach einem Aufenthalte von sechs Monaten stimmberechtigt. In Gemeindeangelegenheiten (mit Ausschluß der rein bürgerlichen und korporativen) haben nach § 58 der neuen Verfassung das Stimmrecht: Die Gemeindebürger und die niedergelassenen Schweizerbürger, sowie die schweizerischen Aufenthalter nach einem Aufenthalte von einem Jahr, während- das neueste Gemeindegesez des Kantons Solothurn vom 28. Oktober 1871 wesentlich noch auf dem Bürgerprinzipe beruhte und daher den Niedergelassenen das Stimmrecht bloß in Steuersachen, den Aufenthaltern dagegen gar kein Stimmrecht gewährte. Die frühere Bestimmung in § 24 der alten Verfassung, daß nur die Bürger weltlichen Standes stimmfähig seien, ist gestrichen. Als Ausschlußgründe von dem Stimmvechte gelten nunmehr (§ 27): Der Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte durch gerichtliches Urtheil, die Almosengenössigkeit, Bevogtung wegen Verschwendung, Blödsinn oder Geisteskrankheit, und der Geldstag nach erreichter Volljährigkeit, ausgenommen, wenn derselbe in Folge einer Erbschaft inner zwei Jahren nach deren Uebernahme eingetreten ist.

499 4) Das A r m e n w e s e n im Sinne der Beschränkung der obligatorischen Armenunterstüzungspflicht der Gemeinden (§ 59).

5) Das U n t e r r i c h t s w e s e n , geregelt in § 12, welcher lautet: ,, Der gesammte im Kanton ertheilte Unterricht steht unter der Aufsicht des Staates.

,,Die vom Staate und den Gemeinden errichteten und unterhaltenen Primarschulen und weiteren Unterrichtsanstalten stehen ausschließlich unter staatlicher Leitung.

,,Wer eine nicht vom Staate geleitete Schule oder Unterrichtsanstalt halten will, hat hiefür die staatliche Bewilligung einzuholen.

,,Der Besuch der öffentlichen Primarschule ist unentgeltlich und -- gesezliche Ausnahmsfälle vorbehalten -- obligatorisch."

6) Endlich die k o n f e s s i o n e l l e n V e r h ä l t n i s s e , § 14, welcher vorschreibt: ,,Der Gesezgebung ist vorbehalten, über die äußere Organisation der kirchlichen Genossenschaften und deren Vermögensverwaltung Bestimmungen aufzustellen."1 Die frühere Bestimmung in § 3 der alten Verfassung, wonach die Ausübung der christlichen Religion nach gewissen Glaubensbekenntnissen unter den besondern Schuz des Staates gestellt war, wurde mit Rüksicht auf die neue Bundesverfassung gestrichen.

Dagegen wurde in § 2 der neuen Verfassung der Saz aufgenommen, daß im Kanton Solothurn nur solche Bestimmungen und Gewohnheitsrechte Geltung haben, welche auf verfassungsmäßigem Wege entstanden, beziehungsweise von den verfassungsmäßigen Behörden anerkannt sind. Diese Vorschrift hat, wie die Regierung von Solothurn bemerkt, den Zwek, die Stellung des Staates zu den Ansprüchen der Kirche zu reguliren, und soll damit die Behauptung, daß die staatliche Gesezgebung durch die Sazungen des kanonischen Rechtes gehindert oder beschränkt werden könne, grundsäzlich beseitigt werden.

Neben diesen hauptsächlichen Neuerungen sind noch folgende Aenderungen von untergeordneter Bedeutung zu nennen: a. Streichung eines Besoldungsmaximums in der Verfassung (§10 der neuen gegenüber § 9 der alten Verfassung).

b. Aenderungen bezüglich der Ausübung des Referendums im Sinne der Uebereinstimmung mit der Bundesverfassnng (§§ 19 und 20 der neuen gegenüber § 32 der alten Verfassung).

c. Wegfall der Anschreibung bei der Wahl der Bezirksbeamten durch das Volk (§ 22 c. der neuen gegenüber § 16 a. der alten Verfassung).

Bundesblatt. 28. Jahrg. Bd. I.

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500 d. Wahl der Amtsgerichtsschreiber durch das Volk, statt früher durch die Wahlbehörde (vergi, litt. h. hienach), und Wahl der Bezirksförster durch den Kantonsrath, statt früher durch die Regierung (§ 22 litt, c der neuen gegenüber § 36 litt. d.

der alten Verfassung, und § 41 Ziff. 13 der neuen gegenüber § 35 Ziff. 5 und § 30 Ziff. 10 der alten Verfassung).

e. Wahl der Pfarrer durch die Pfarrgemeinden unter Vorbehalt der staatlichen Bestätigung, an der Stelle des frühern bloßen Vorschlagsrechts der Pfarrgemeinden (§ 22 litt. f. der neuen gegenüber § 16 litt. e. der alten Verfassung).

f. Ausdrüklicher Schuz der persönlichen Freiheit, des Hausrechts und der wohlerworbenen Privatrechte (§§ 31 und 32).

g. Beschränkung der Wählbarkeit in den Kantonsrath mit Rüksicht auf gewisse Beamtungen (§ 35 der neuen gegenüber § 27 der alten Verfassung).

h. Abschaffung der sogenannten Wahlbehörde, welche aus dem Regierungsrathe mit 10 Zuzügern aus den Wahlbezirken bestand und gewisse Wahlen zu treffen hatte. Ihre Befugnisse sind nun übergegangen theils auf den Kantonsrath, theils auf die Regierung (§ 41 Ziff. 13 und § 46 Ziff. 8 der neuen gegenüber §§ 36 und 30 Ziff. 10 der alten Verfassung), i. Revision der Prozeßordnungen, fakultative Einführung von Handelsgerichten (§ 54).

k. Endlich Aufhebung des formellen Unterschiedes zwischen einer Total- und einer Partialrevision der Kantonsverfassung (§ 60 der neuen und § 47 der alten Verfassung).

Unmittelbar nach der Annahme dieser Verfassung durch das Volk übermachte der Regierungsrath des Kantons Solothurn dieselbe mit Zuschrift vom 14. Dezember 1875 dem Bundesrathe, indem er das Gesuch stellte, sie der Bundesversammlung zur Gewährleistung vorzulegen.

Mit Eingabe vom 20. Dezember 1875 erhoben jedoch die Herren Gemeinderatia Haller, Major J. Hirt, Verfassungsrath J. Amiet, Verfassungsrath Th. Jos. Hänggi und Negotiant J. Steiner in Solothurn, unter Bezugnahme auf Art. 102 Ziff. 2 und 3 und Art. 85 Ziff. 7 der Bundesverfassung, bei dem Bundesrathe zuhanden der Bundesversammlung Einsprache gegen die oben angeführten §§12 und 14, und stellten das Gesuch, daß denselben die Bundesgenehmigung so lange verweigert werden möchte, bis sie mit der Bundesverfassung in Einklang gebracht seien.

Die Petenten machten geltend: Die Lemma l und 3 von § 12
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die durch Art. 31 der Bundesverfassung gewährleistete Freiheit der Gewerbe, indem darin der g e s am m t e im Kanton erth eilte Unterricht, also nicht bloß der öffentliche, sondern auch der private Unterricht, unter die Aufsicht des Staates gestellt sei, und gemäß jenen Vorschriften jedes Privatinstitut willkürlich unterdrükt und jedem Privatlehrer das Lehren ohne Angabe eines Grundes verboten werden könnte, selbst wo ein solches Verbot durch Rüksichteu der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit gar nicht gerechtfertigt wäre.

Zugleich enthalte dieser §.12 auch eine Verlezung der Gewissensfreiheit (Art. 49 der Bundesverfassung), insofern die Eltern gehindert werden könnten, ihren Kindern bei einem Privatlehrer denjenigen Unterricht und diejenige christliche Erziehung ertheilen zu lassen, welche ihren religiösen Anschauungen entsprechen.

Andererseits stehe der § 14 der neuen solothurnischen Verfassung, wenigstens soweit es die römisch-katholische Kirche betreffe, in offenbarem Widerspruche mit den Art. 49 und 50 der Bundesverfassung. Der Staat dürfe nicht in die bestehende äußere Organisation der römisch-katholischen Kirche eingreifen, indem diese äußere Organisation, nämlich der Verband zwischen Priestern, Bischöfen und dem Papste, ein auf innern Glaubens-Anschauungen gegründetes kirchliches System sei. Ebenso sei auch die ,,freie Ausübung' gottesdienstlicher Handlungen"- bedingt durch die äußere Organisation der römisch-katholischen Kirche; demnach müßte ein staatliches Eingreifen in diese Organisation auch eine Beschränkung jener freien Ausübung von Kultushandlungen nach sich ziehen.

Diese Einsprache wurde von dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement der Regierung des Kantons Solothurn Übermacht, welche in ihrer Antwort vom 14. Januar d. J. zur Rechtfertigung des angegriffenen § 12 der Kantonsverfassung, soweit er das Primarschtilwesen beschlägt, sich auf den Art. 27 der Bundesverfassung stüzte, sowie auf dessen Interpretation durch die Bundesversammlung anläßlich der Gewährleistung der neuen Luzerner Verfassung, und was das höhere Unterrichtswesen betrifft, darauf hinwies, daß die Kantone in dieser Hinsicht durch keine Vorschriften des Bundes beschränkt seien. Es habe deßhalb dem Kanton Solothurn auch freistehen müßen, in seiner neuen Verfassung die Grundsäze über das Primarschulwesen
ebenfalls auf den weitern Unterricht auszudehnen , in dem Sinne, daß auch gegenüber diesem die staatliche Aufsicht und Leitung eintreten soll.

In Lemma 3 von § 12 sei nicht die Rede von dem Hausunterricht, sondern von Schulen und Unterrichtsanstalten, d. h. von Anstalten, welche von gewissen Personen berufsmäßig betrieben

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und geleitet werden, lieber die Eigenschaften dieser Personen, sowie über den Charakter ihrer Anstalten dürfe aber und wolle der Staat eine Kontrole ausüben.

Was die Einwendungen betreffe, welche vom spezifisch römischkatholischen Standpunkte aus gegen den § 14 der neuen Verfassung erhoben werden, so seien diese Angesichts der Bestimmungen in Art. 49 und 50 der Bundesverfassung, und namentlich in Lemma 2 dieses leztern Artikels, durchaus unhaltbar. Uebrigens sei die Frage, welche von den Herren Hall er und Genossen neuerdings aufgeworfen werde, von den eidgenössischen Ruthen schon längst und bereits wiederholt entschieden worden, so namentlich in dem Bundesbeschluß vorn 23. Juli 1873 über die Beschwerde der Pastoralkonferenz des Kantons Solothurn gegen das solothurnische Gesez vom 28. November 1872, betreffend die Wiederwahl der Geistlichen, ferner in dem Bundesbeschlusse vom 24. Juli 1873 über die Einsprache gegen das Verfassungsgesez des Kantons Genf vom 23. März 1873, betreffend den katholischen Kultus, und endlich in dem Bundesbeschhisse vom 2. Juli-1875 über die Einsprache der römisch-katholischen Genossenschaft in Basel gegen die Gewährleistung von § 2 der neuen Verfassung des Kantons Basel-Stadt.

Gestüzt auf diese Bemerkungen und im Uebrigen unter Hinweisung auf die bezüglichen Voten bei der Behandlung dieser §§ 12 und 14 im Verfassungsrathe, wiederholte die Regierung von Solothurn ihr Gesuch um Gewährleistung der neuen Verfassung.

Der Bundesrath beantragt zunächst, über die Beschwerde der Herren Haller und Genossen zur Tagesordnung zu schreiten, von folgenden Gesichtspunkten ausgehend: I. Der § 12 der neuen Solothurner Verfassung, welcher im dritten Saze für die Errichtung einer nicht vom Staate' geleiteten Schule oder Unterrichtsanstalt die Einholung der staatlichen Bewilligung vorschreibt, wird im Wesentlichen unter Berufung auf Art. 31 der Bundesverfassung angefochten, welcher die Freiheit des Handels und der Gewerbe gewährleistet. Abgesehen nun davon, daß die Betreibung von Gewerben nicht als absolut schrankenlos aufzufassen ist, vielmehr die litt, c des Art. 31 ausdrüklich Verfügungen über Ausübung von Handel und Gewerben dem Staate vorbehält, ist die Leitung von Schulen und Unterrichtsanstalten nicht ein Gewerbe im eigentlichen Sinne des Wortes, das lediglich in die Sphäre der
Privatiliätigkeit fällt. Der moderne Staat hat die Erziehung der Jugend, als aus dem Bedürfnisse Aller hervorgehend, als s e i n e Aufgabe aufgefaßt und s e i ' n e r besondern Obsorge unterstellt. Wie er auf der einen Seite mit seinen Mitteln dafür einzustehen hat, daß die gesammte Bevölkerung das

503 für das Leben unentbehrliche Maß von Schulbildung erhalte, ist er auf der andern Seite auch berechtigt, sich zu vergewissern, daß unter allen Umständen der Zwek erreicht werde und Jedermann die erforderliche Ausbildung erlange. Es folgt daraus, daß Privaterziehungsanstalten zwar können zugelassen werden, daß aber der Staat berechtigt ist, über dieselben eine Kontrole auszuüben, und von Anfang an ausreichende Garantien hinsichtlich ihrer Leitung und des zu ertheilenden Unterrichtes zu verlangen. Vorsteher und Lehrer dürfen und müssen angehalten werden können, über ihre sittliche und wissenschaftliche Befähigung zur Unterrichtsertheilung sich bei der Staatsbehörde auszuweisen ; ebenso unterliegen Lehrziel, Lehrplan und Schuleinrichtungen dem Einspruchs- beziehungsweise Genehmigungsrechte des leztern.

Auf diesem Boden steht der angefochtene Artikel der Solothurner Verfassung und befindet sich sowohl im Einklänge mit der obigen Betrachtung, als auch mit Art. 27 der Bundesverfassung, der bekanntlich die Anforderung an die Kantone stellt, daß der Primarunterricht in den Kantonen ausschließlich unter staatlicher Leitung stehen soll. Dieser Artikel wurde bei Anlaß der Genehmigung der Luzerner Verfassung durch Bundesbeschluß vom 2. Juli 1875 dahin erläutert, daß der g e s a m m t e (somit auch der in Privatschulen ertheilte) Primarunterricht unter staatlicher Leitung stehen soll. Wenn Solothurn dieses Requisit über die Primarstufe hinaus auf den weiter folgenden Unterricht ausdehnt, so besizt es dazu das Recht der Autonomie, weil die Bundesverfassung den höhern Unterricht in den Kantonen nicht berührt, und es ist auch materiell nichts dagegen einzuwenden, weil nicht einzusehen ist, warum der vom Bunde ausdrüklich anerkannte Grundsaz nicht in allen Schulstufen zur Anwendung gebrae'ht werden könnte.

,,Eben so wenig verstößt sich die angefochtene Verfassungsbc.slimmung gegen den Art. 49 der Bundesverfassung, der von den Rekurrenten in zweiter Linie angerufen wird. Es handelt sich um die Ertheilung des bürgerlichen und keineswegs des religiösen Unterrichtes, der, soweit er dogmatisch ist, den Konfessionen und Religionsgenossenschaften überlassen werden soll. Allein auch in lezterer Beziehung darf dem Staate ein gewisses Maß von Aufsichtsrecht nicht bestritten werden, um nötigenfalls im Interesse der
öffentlichen Ordnung und der guten Sitten und zur Aufrechthaltung des Friedens einschreiten zu können.

In thesi erscheint demnach der beanstandete § 12 vom bundesrechtlichen Standpunkte aus als korekt. Für eine mißbräuchliche Anwendung desselben, aus welcher im einzelnen Falle eine Verlezung der Gewissens- oder Gewerbefreiheit sich ergeben würde,

504 liegen weder Thatsachen noch Beweise vor, und die bloße Möglichkeit kann die Bundesintervcntion nicht rechtfertigen.

II. Was die Einwendung gegen den § 14 der neuen Solothurner Verfassung betrifft, welcher der Gesezgebung vorbehält, über die äußere Organisation der kirchlichen Genossenschaften und deren Vermögensverwaltung Bestimmungen aufzustellen, so können wir im Wesentlichen auf unsere Botschaft vom 25. Juni 1875 und auf die Verhandlungen der eidgenössischen Räthe bei Anlaß der Genehmigung der Verfassung von Basel-Stadt verweisen. Wir fügen den damaligen Erörterungen nur noch bei, daß selbst das gemeine Recht die Korporationen, Genossenschaften und Gesellschaften aller Art unter die Aufsicht und das Gesezgebungsrecht des Staates stellt und ihm die Kompetenz einräumt, nicht nur die Statuten zu prüfen und zu genehmigen, sondern selbst gesezgeberisch einzugreifen. Bis auf die Linie, wo der Glaube und das innere religiöse Leben beginnt, erscheinen uns auch die religiösen Genossenschaften als den gleichen Regeln unterworfen, und die staatliehe Gesezgebung durchaus als berechtigt, über ihre äußeren Beziehungen zur bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen, zu dem Organismus des Staates, zu den übrigen Genossenschaften etc., Vorschriften zu erlassen. Als solche äußere Rechtsverhältnisse wurden im Solothurner Verfassungsrathe bezeichnet : die Territorialbegrenzung der Kirchgemeinden; Stirn inrecht in Kirchensachen; Modus der Wahl und Amtsdauer der Geistlichen ; Plazet des Staates für gewisse kirchliche Bekanntmachungen; Organisation der Kirchen- und Synodalbehörden; Befugnisse der Beliörden in temporalen Angelegenheiten; Beziehungen zu den lokalen und Staatsbehörden; Vorschriften über den Gebrauch der Kirchen; Verwendung der Kirchengüter u.

s. w. Fügt, man obiger Aufzählung den A n s c h l u ß an e i n e n B i s t h u m s v e r b an d an, was die Opposition in Solothurn in dem von ihr angefochtenen Artikel gemeint wissen will, so ist dennoch sofort einleuchtend, daß alle die berührten Verhältnisse den Glauben und die religiöse Ueberzeugung oder die Kultusfreiheit in keiner Weise antasten, so wenig als die Bestimmung der Bundesverfassung, die althistorisches Recht ist, daß die . Errichtung von Bisthümern auf schweizerischem Gebiete der Genehmigung des Staates resp. des Bundes unterliege.

Auch bei
diesem Beschwerdepunkt muß merkt werden,' daß das Prinzip selbst, wie texte aufgestellt wird, uns als unanfechtbar nur eine darüber hinausgehende Anwandung fassung in Widerspruch gerathen könnte.

schließlich noch bees im Verfassungserscheint, und daß mit der Bundesver-

505 In allen übrigen Beziehungen ist die abgeänderte Verfassungvon Solothurn nicht angefochten worden, und der BundesraÜi hat nach einläßlicher Prüfung derselben nicht finden können, daß sie irgend etwas enthalte, was vom bundesrechtlichen Standpunkte aus zu beanstanden sei. Es verdient noch ein einziger Punkt hervorgehoben zu werden, welcher seinerzeit zu einer bundesrechtlichen Erörterung Veranlaßung gab. Gestüzt auf die Verfassung von 1867 wurde nämlich unterm 28. November 1868 in Solothurn ein Steuergesez erlassen, welches eine allgemeine Einkommens- und Erwerbssteuer einführte, jedoch den landwirtschaftlichen Grundbesiz und Erwerb steuerfrei erklärte. Dieses Gesez stieß auf heftige Opposition, und die neue Verfassung vom 12. Dezember 1875 hat nun die Steuerfreiheit des landwirtschaftlichen Grundbesizes beseitigt, und lautet in Art. 5 alinea 5: ^Der Steuerwerth des landwirthsehaftlichen Grundbesizes soll mit Rüksicht auf die geringere Ertragsfähigkeit und bereits geschehene -Leistungen desselben an dea Staat (Loskauf der Zehnten und Bodenzinse) angemessen herabge.sezt werden.a Die Regierung -von Solothurn knüpft daran die Hoffnung, daß der Boden für Schaffung eines rationellen Finanzsystems gewonnen worden sei. Es liegt wohl auf der Hand, daß die angeführte Bestimmung, welche ähnlich sich in verschiedenen kantonalen Steuergesezen und auch in dem neulich erlassenen Bundesgeseze über die Militärpflichtersazsteuer findet, die Rechtsgleichheit nicht verlezt, sondern lediglich eine billige Werthung und Berüksichtigung eines Steuerfaktors in sich schließt.

Der Bundesrath beehrt sich, den nachfolgenden Beschlußentwurf vorzulegen und zur Annahme zu empfehlen.

B e r n , den 23. Februar 1876.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiess.

506 (Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die eidgenössische Gewährleistung der neuen Verfassung des Kantons Solothurn.

Die. B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes und Antrages des Bundesrathes vom 23. Februar 1876 über die Staatsverfassung des Kantons Solothurn vom 12. Dezember 1875; In E r w ä g u n g : daß diese Verfassung am 12. Dezember 1875 von der Mehrheit des stimmenden solothurnischen Volkes angenommen worden ist und revidirt werden kann, wenn die Mehrheit der Stimmenden es verlangt; daß die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen Formen durch diese Verfassung gesichert ist; daß diese Verfassung im Uebrigen nichts enthält, was den "Vorschriften der Bundesverfassung zuwider wäre; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Der neuen Verfassung des Kantons Solothurn vom 12. Dezember 1875 wird die bundesgemäße Garantie ertheilt.

2. Der Bundesrath wird mit der weitern Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die neue Staatsverfassung des Kantons Solothurn. (Vom 23. Februar 1876.)

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11.03.1876

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