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Bericht der

ständeräthlichen Kommission über den Rekurs des Gemeinderaths von Dürnten (Zürich), betreffend Stimmrecht der Niedergelassenen.

(Vom 14. März 1876.)

1.

Eduard Bodenmüller aus Niederzeihen, Kanton Aargau, hielt sich einige Zeit vor den letzten eidgenössischen. Wahlen, October 1875, in der zürcherischen Gemeinde Dürnten als Arbeiter (Gießer) auf; wie lange vor der Wahl, ist nicht ersichtlich, jedenfalls scheinen es 3 Monate gewesen zu sein. Als Ausweisschrift deponirte er sein Wanderbuch.

Insoweit ist, wenn auch die Akten an sich außerordentlich dürftig sind, jedenfalls über das thatsächliche Verhältniß kein Zweifel und da nach Art. 45 der Bundesverfassung ein Heimathschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift zur Niederlassung berechtigt, Bodenmüller auch höchst wahrscheinlich 3 Monate in Dürnten sich aufhielt, und das zürcheriche Gesetz in diesem Falle zwischen Aufenthaltern und Niedergelassenen keinen Unterschied macht, so steht fest, daß wenn Bodenmüller überhaupt stimmberechtigt war, er befugt war, sein Recht in Dürnten auszuüben.

976 2.

Als der Wahltag herankam, erhielt Bodenmüller keine Stimmkarte und nachdem er sich darüber beschwerte, erklärte der Gemeinderath Dürnten : nach Art. 43 der Bundesverfassung könne ihm eine Stimmkarte überhaupt nicht gegeben werden, ehe und bevor er sich über die Stimmberechtigung ausgewiesen habe. Einen solchen Ausweis bilde das eingelegte Wanderbuch nicht. Dasselbe sei ein Ausweis gemäß Art. 45 der Verfassung zur Erwerbung der Niederlassung, aber kein Dokument für die Stimmberechtigung.

3.

Der Regierungsrath von Zürich, bei dem Bodenmüller sich beschwerte, entschied indeß zu seinen Gunsten und behauptet in seinem Rekursalentscheid : ,,Bezüglich des Stimmrechts bei den Nationalrathswahlen sei Art. 74 der Bundesverfassung maßgebend. Derselbe erkläre jeden Schweizerbürger, der 20 Jahre alt sei und nach den Gesetzen des Kantons, in welchem er seinen Wohnsitz habe, nicht vom Activbürgerrecht ausgeschlossen sei, für stimmberechtigt.

,,Deßgleichen sage Art. 5 des Gesetzes vom 19. Juli 1872: Jeder in einer Gemeinde wohnende Schweizerbürger sei von Amtswegen in das Stimmregister einzutragen, insofern nicht der betreffenden Behörde die Beweise vorliegen, daß er nach den Gesetzen des Kantons vom Activbürgerrecht ausgeschlossen sei."

Nach diesen Bestimmungen, folgert dann die Regierung von Zürich, hätte Bodenmüller von Amtswegen auf das Stimmregister gesetzt werden sollen; denn als militar- und steuerpflichtig habe er offenbar das 20. Altersjahr erreicht, und Beweise, daß er nicht Activbürger sei, habe der Gemeinderath von Dürnten keine, sonst würde er dieselben vorgebracht haben.

4.

Der Bundesrath seinerseits schützte den Rekursalentscheid der Regierung, auf erfolgte Beschwerde von Dürnten. Er gibt in den Motiven zwar zu, daß der von dem Gemeinderath Dürnten angerufene Artikel 43 der Bundesverfassung und das von der zürcherischen Regierung angerufene Wahlgesetz vom Jahre 1872 in nicht allzu großer Harmonie zu stehen scheinen, aber der Widerspruch sei nur scheinbar. Es müsse sich der Schweizerbürger nach Art. 43 allerdings an seinem jeweiligen Wohnort über die Stimmberechtigung ausweisen, aber dieser Artikel sage nicht wie und in welchem Umfange. Es sei also nicht ausgeschlossen, daß der Ausweis durch eine Bescheinigung über das Schweizerbürgerrecht und das Alter

977 von 20 Jahren als erbracht betrachtet werden könne. Zum mindesten sei nirgends gesagt, daß der Betreffende selbst sich auszuweisen habe, ob er Activbürger sei oder nicht.

Auch der Art. 74 der Bundesverfassung enthalte eine solche Forderung nicht; derselbe sei vielmehr von den eidgenössischen Räthen so interpretirt worden, daß die Beweislast für den Besitz des Activbürgerrechts nicht auf dem Individuum ruhe, sondern die Behörde sei beweispflichtig für das Gegentheil.

Hiefür spreche nicht blos das Gesetz vom 19. Juli 1872, sondern ganz speziell auch der Umstand, daß eine solche Bestimmung in Art. 6 des Stimmrechtsgesetzes von 1874 aufgenommen worden sei.

5.

Die Commission bedauert vorerst, daß das Actenmaterial nicht gestattet, einige Hauptmomente wenigstens urkundlich festzustellen.

So z. B. ist nirgends ersichtlich, wie alt Bodeumüller ist; ob er am 31. October 1875 das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt hatte oder nicht; ob er militar- und steuerpflichtig ist und dgl. Man ist hinsichtlich aller dieser Dinge darauf beschränkt, zu vermuthen, daß es der Fall sei, weil der Gremeinderath Dürnten darüber Stillschweigen beobachtet. Sodann fehlt bei den Acten jede Vernehmlassung des Bodenmüller über die Sache; und endlich hätten wir gewünscht, daß in irgend welcher Weise von Amtswegen festgestellt worden wäre, ob Bodenmüller wirklich Activbürger sei oder nicht. Darüber sind wir nämlich vollständig im Ungewissen. Da Bodenmüller sich in keiner Weise hat vernehmen lassen, so weiß man nicht, wie er sich zu dieser Frage stellt, und ebenso hat der Gemeinderath Dürnten sich mit keiner Silbe hierüber geäußert.

Die Parteien streiten sich einzig und allein um die Frage der Beweislast.

6.

Wir finden nun die Erörterung dieser Frage im gegenwärtigen Momente außerordentlich inopportun. Die Stimmrechtsverhältnisse müssen durch ein Gesetz regulirt werden, nicht durch Rekursalentscheide der Räthe. Diese Notwendigkeit hat die Bundesversammlung selbst so sehr anerkannt, daß eine der ersten Arbeiten, nach Annahme der jetzigen Bundesverfassung, der Erlaß eines Slimmrechtsgesetzes gewesen ist. Das Volk hat dieses Gesetz verworfen ; aber es ist ja offiziell erklärt worden, daß schon ein neuer Entwurf bereit liege, und die hiefür bestellte Commission ist sogar bereits versammelt worden.

Wir stehen also sozusagen unmittelbar vor der Lösung der Frage durch den Gesetzgeber.

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Sollen wir nun in dieser Situation den Rekurs entscheiden auf die Gefahr hin, daß das Gesetz dann wieder anders ausfallt oder -- was gar nicht unmöglich ist -- nochmals verworfen wird?

Sollen wir die ganze prinzipielle Streitfrage außer dem Zusammenhang mit den übrigen, dem Gesetz zu unterstellenden Fragen gesondert erledigen, auf die Gefahr hin, daß sich die Räthe hierüber vielleicht nicht einmal einigen können? Die Commission verneint dies entschieden.

7.

Wir finden auch in der Natur des Falles absolut gar nichts, was eine Aenderung dieser Ansicht rechtfertigen könnte. Der Fall Bodenmüller kann auch in einer andern Weise und auf Grund einer andern Motivirung erledigt werden, ohne daß die eben erörterte Prinzipienfrage mit hineingezogen werden muß. Es genügt, wenn inzwischen durch die Bundesbehörden erhoben wird, ob Bodenmüller Activbürger und 20 Jahre alt sei.

Es sind ja bloß zwei Fälle möglich; entweder die Untersuchung constatirt den Besitz des Activbürgerrechtes oder sie constatili das Gegentheil.

Je nachdem ist er in Dürnten in's Stimmregister einzutragen oder nicht und der Fall ist erledigt.

Es ist wirklich auffallend, daß die Parteien diesen einfachen Ausweg nicht betreten haben. Offenbar wollten sie die Grundsatzfrage der Beweislast von den Bundesbehörden entschieden sehen ; es interessiate sie weniger, ob der Bodehmüller Stimmrecht habe oder nicht, als wer von beiden im andern Punkte Recht bekomme.

Nun hält aber die Kommission dafür, daß in einem solchen Falle die Räthe nicht die Diener solcher Prozeßparteien seien. Die Bundesversammlung ist die letzte Rekursinstanz in solchen constitutionellen Fragen ; allein sie hat denn doch auch noch andere Geschäfte zu erledigen und hat selbstständig zn prüfen, ob sie es opportun finde, die Begehren solcher Rekurrenten sofort zu erfüllen oder nicht.

Dieses ihr Recht hat sie sich namentlich überall da gewahrt, wo eine grundsätzliche Lösung der Streitfrage durch Gesetz oder Verfassungsrevision ohnehin in naher Aussicht stand und Rekursalentscheidung also unnützen Zeit- und Kostenaufwand im Gefolge hatte.

(Vgl. Schulrekurs Gendre, Lehrschwestern im Jura etc.)

Wenn irgend einmal, so war dieses Prozedere im concreten Falle angezeigt, wo mit absoluter Sicherheit vorauszusetzen ist, daß

979 die Controverse anläßlich des Stimmrechtsgesetzes gelöst werden muß.

Im übrigen will die Kommission über die rechtliche Seite des Rekurses durchaus nicht mit Stillschweigen hinweggehen. Wir erachten uns im Gegentheil für verpflichtet, Ihnen auch nach dieser Richtung die vorhandenen Schwierigkeiten vorzuführen. Wir erblicken darin einen Grund mehr für die von uns in Aussicht genommene Verschiebung, denn Sie werden sich, Tit., wie wir annehmen, bald überzeugen, daß die Lösung nicht leicht ist. Es handelt sich um die Interpretation der neuen Bundesverfassung, Art. 43 und 74; -- sodann um die Frage der Rechtsbcständigkeit einzelner Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872, speziell des Art. 5 des fraglichen Gesetzes.

Dieses Gesetz und die Art. 43 und 74 der Bundesverfassung enthalten in ihrem Wortlaut und Sinn einen Widerspruch.

Bei der Erörterung dieses Verhältnisses treten wir sofort in etwelchen Gegensatz zur Anschauung des Bundesrathes. Derselbe hat die Anschauung, die jetzige Bundesverfassung, welche sagt, Art. 43: ,,Jeder Kantonsbürger ist Schweizerbürger.

,,Als solcher kann er bei allen eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen an seinem Wohnsitze Antheil nehmen, nachdem er sich über seine Stimmberechtigung gehörig ausgewiesen hat.

,,Niemand darf in mehr als einem Kanton politische Rechte ausüben.

,,Der niedergelassene Schweizerbürger genießt an seinem Wohnsitze alle Rechte der Kantonsbürger und mit diesen auch alle Rechte der Gemeindsbürger. Der Mitantheil an Bürger- und Korporationsgütern, sowie das Stimmrecht in rein bürgerlichen Angelegenheiten sind jedoch hievon ausgenommen, es wäre denn, daß die Kantonalgesetzgebung etwas Anderes bestimmen würde.

,,In kantonalen und Gemeindeangelegenheiten erwirbt er das Stirnmrecht nach einer Niederlassung von drei Monaten.

,,Die kantonalen Gesetze über die Niederlassung und das Stimmrecht der Niedergelassenen in den Gemeinden unterliegen der Genehmigung des Bundesrathes."

könne erklärt und ergänzt werden durch den Inhalt des Stimmrechtsgesetzes vom 24. Dezember 1874, speziell Art. 6, wo es heißt :

980 ,,Der Ausweis über die Stimmberechtigung ist durch Vorweisung einer Bescheinigung über das Schweizerbürgerrecht und das 20.

Altersjahr als geleistet zu betrachten."

Diese Auffassung theilen wir nicht. Das Gesetz, dessen Bestandtheil der obige § 6 bildet, ist verworfen worden, existirt also gar nicht mehr; und wir unserseits -- mögen die frühern Anschauungen der Räthe gewesen sein, welche sie wollen -- erachten uns nicht für befugt, den Inhalt eines durch den Volkswillen verworfenen Gesetzes als gültiges Material zur Interpretation der Verfassung zu verwenden.

Im Uebrigen sind wir der Ansicht, eine solche Interpretation selbst sei unthunlich, nachdem man stetsfort darüber einig gewesen ist, hier müsse ein förmliches Gesetz gemacht werden.

> 9, Wir gehen aber noch weiter. Es will uns scheinen, daß auch das Bundesgesetz über Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872, auf dessen Art. 5 sich der Regierungsrath von Zürich wesentlich . stützt, keineswegs als ein (rücksichtlich dieser Bestimmung wenigstens) gültiges Gesetz erscheine.

Wir haben vielmehr die Ansicht, daß da, wo ein Widerspruch besteht, die später erlassene Bundesverfassung derogire und zwar in doppelter Hinsicht : einmal, weil die Verfassung in solchen Fällen qua allgemeines Grundgesetz immer vorangeht, und sodann, weil sie eben spätem Datums ist.

Nun kommt aber dieser Meinung der historische Hergang in geradezu entscheidender Weise zu Hülfe.

Nachdem die erste Revision dei- Bundesverfassung durch die Abstimmung vom 12. Mai 1872 zu Fall gebracht worden war, legte der Bundesrath, gestützt auf die bei dieser Abstimmung zu Tage getretenen Uebelstände, einen Gesetzesentwurf über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vor, in der Absicht, dabei eine gewisse Gleichmäßigkeit in der Behandlung der Niedergelassenen und Aufenthalter zu erzielen.

Dies suchte er zu erreichen : a. in Bezug auf das Alter durch Vorschreibung des zurückgelegten 20. Altersjahres ; b. durch die Bestimmung, daß jeder in einem andern als dem Heimathkanton domicilirte Schweizer in Bezug auf den Besitz des Aktivbürgerrechtes wie die Kantonsangehörigen behandelt werden müsse (§ 2 des Gesetzes);

981 c) endlieh durch die Bestimmung des Art. 5, wonach jeder in einer Gemeinde wohnende Schweizerbürger von Amtswegen durch die Behörde in das Stimmregister einzutragen ist, wenn derselben nicht die Beweise vorliegen, daß er nach den Gesetzen des Kantons vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen sei.

Das Motiv dieser Fassung ist in der Botschaft des Bundesrathes sehr ausführlich erörtert. Es hat sich nämlich bei der Volksabstimmung vom 12. Mai herausgestellt, daß an vielen Orten Aufenthalter nicht stimmen konnten, weil sie nicht in's Stimmregister eingetragen waren, und daß daraus Anstände erwuchsen, deren Erledigung sich über den Abstimmungstermin hinaus verzögerte. Dem wollte der Bundesrath abhelfen und deßhalb wurde im Gesetz gesagt: Der Betreffende sei sofort auf das Stimmregister zu setzen, von Amtswegen und ohne daß der Bürger deßhalb Schreibereien und Gänge haben müsse, sobald nicht der Beweis vorliege, daß der Betreffende nicht Aktivbürger sei.

Wenn Sie, Tit., berücksichtigen, daß im Juli 1872, als dieses Gesetz von den Räthen angenommen wurde, noch die Verfassung von 1848 galt, so werden Sie sich überzeugen, daß diese Bestimmung den bisher in der Eidgenossenschaft gültigen Grundsatz, wonach der Niedergelassene oder Aufenthalter seine Stimmberechtigung, beziehungsweise sein Aktivbürgerrecht, zu beweisen hatte, gar nicht alterirte, denn nach Art. 41 dieser (jetzt) alten Bundesverfassung gehörte zur Erlangung der Niederlassung: a. ein Heimathschein, b. ein Sittenzeugniß, c. die Bescheinigung, daß der Betreffende in bürgerlichen Rechten und Ehren stehe.

Die Gemeindsbehörde hatte also jeweils in jedem concreten Falle den Ausweis schon vor sich liegen, ob der Niedergelassene Aktfrbürger sei oder nicht, sowie ob er 20 Jahre alt sei etc.

Das Bundesgesetz vom 19. Juli 1872 und speziell der Art. 5 änderte also am bisherigen Rechtszustand nur insoweit, als ein gleichmäßiges Alter und die Eintragung ins Stimmregister von Amtswegen angeordnet wurde.

Dagegen war es nach wie vor Sache des Individuums, den Ausweis über die Qualität des Stimmberechtigten zu liefern ; nur geschah das nicht durch einen besondern Act ad hoc, sondern mit der Abgabe der in Art. 41 geforderten Ausweisschriften.

Daraus kann also nach unserer Anschauung in keiner Weise gefolgert werden : die Beweislast für die Einsprache liege nun auf

982 dem Beamten und ein Niedergelassener sei ohne weiteres durch das Gesetz als Aktivbürger präsumirt worden.

10.

Wenn diese Anschauung richtig ist, so bleibt blos noch zu konstatiren, ob dieser Grundsatz durch die jetzige Verfassung eine Aenderung erlitten habe.

Es ist nun allerdings in Bezug auf die Niederlassung eine wesentlich freiere Anschauung eingetreten. Der Besitz des Aktivbürgerrechts ist nicht mehr nöthig, um dieselbe verlangen zu können.

Ein bloßer Heimathschein genügt, oder ein gleichbedeutender Ausweis. Damit ist denn die Voraussetzung weggefallen, auf welcher das Gesetz vom 19. Juli 1872 wesentlich ruhte. Der Gemeindsbeamte hat nach wie vor die Pflicht, den Niedergelassenen von Amtswegen auf das Stimmregister zu setzen, aber unter den von diesem zu liefernden Ausweisschriften ist die Bescheinigung des Aktivbürgerrechts weggefallen.

Der Beamte weiß also nicht mehr, wie früher, ob er einen Stimmberechtigten vor sich hat oder nicht.

11.

In dieser Situation erhält nun allerdings die Beweisfrage eine ganz enorme Bedeutung. Es ist gar nicht daran zu denken, daß die Gemeindsbeamten sich mit Untersuchungen abquälen und Requisitionen anstellen werden, ob das jeweils sich meldende Individuum Aktivbürger sei oder nicht; sie werden in diesem Falle jeden ohne alle Ausnahme als stimmberechtigt eintragen und mag man nachher im Gesetze noch so viele Beschränkungen oder Ausnahmen feststellen, praktisch ist das Alles werthlos. Gegenüber der klar genug ausgesprochenen Volksansohauung, anläßlich der Abstimmung über das letzte Stimmrechtsgesetz, scheint es uns daher dringend geboten, wohl zu prüfen, ob ein solches System auf dem Rekurswege so leichthin eingeführt werden könne, und das Mindeste, was hiebei verlangt werden müßte, wäre doch wohl eine solche Redaktion der jetzigen Bundesverfassung, welche dies gestatten würde.

12.

In dieser Hinsicht aber scheint uns das gerade Gegentheil der Fall zu sein. Wenn der Art. 43 sagt: am Wohnort könne stimmen : wer sich über seine Stirnmberechtigung gehörig ausgewiesen habe, und der Art. 74: stimmberechtigt sei jeder Schweizer, der das 20.

Altersjahr zurükgelegt, und nach der Gesetzgebung des Kantons, in dem er wohnt, nicht vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen sei,

983 so will das doch offenbar nichts Anderes sagen, als der Betreffende hat sich darüber auszuweisen, daß er eben nach den kantonalen Gesetzen Aktivbürger ist, resp. daß auf ihn keine der Stimmrechtsbeschränkungen Anwendung finden, welche das kantonale Recht aufstellt. Dann ist der Ausweis gehörig erfolgt und dann hat auch der Beamte die Pflicht, ihn auf das Stimmregister zu setzen.

13.

So ist unser heutiges Recht beschaffen. Müßte heute ein Entscheid gefällt werden, so wäre die Kommission gezwungen, Ihnen zu beantragen, den Rekurs zu schützen. Gerade weil aber ohnehin ein Gesetz darüber bevorsteht, in welchem möglicherweise die jetzt vom Bundesrath anticipando aufgestellte Rechtsanschauung doch adoptirt wird, sind wir zum vorliegenden Antrag gelangt; denn es ist besser, die Entscheidung zu verschieben, als heute den Rekurs zu schützen und einige Monate später das gegentheilige Prinzip in's Gesetz niederzulegen oder umgekehrt.

Antrag : 1. Die Entscheidung über den Rekurs Dürnten wird bis nach Erlaß des neuen Stimmrechtsgesetzes verschoben.

2. Inzwischen wird der Bundesrath eingeladen, das Actenmaterial zu vervollständigen und amtlich erheben zu lassen, ob Bodenmüller wirklich Aktivbürger sei oder nicht, und von dem Ergebniß der Gemeindsbehörde von Dürnten Kenntniß zu geben.

B e r n , den 14. März 1876.

Im Namen der ständeräthlichen Kommission, Der Berichterstatter :

P. Nagel.

N o t e . Vergleiche Beschluß des Bundesrathes vom 31. Januar 1876 und Verhandlungen der Bäthe: Bundesblatt 1876, I, 437, 812, 845.

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Bericht der ständeräthlichen Kommission über den Rekurs des Gemeinderaths von Dürnten (Zürich), betreffend Stimmrecht der Niedergelassenen. (Vom 14. März 1876.)

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15.04.1876

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