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# S T #

Experten-Gutachten betreffend

die Dynamitfabrik auf den Kanincheninseln des Lago Maggiore.

(Vom 6. März 1876.)

Das Eisenbahn- und Handelsdepartement hat uns die nachfolgende Frage zur Beantwortung vorgelegt: ,,Wenn vorzuziehen ist, die Dynamitfabrikation der Privatindustrie zu überlassen, ist der Betrieb einer Dynamitfabrik auf den Kanincheninseln des Lago Maggiore mit Rücksicht auf die Lage derselben und auf die Umgebung überhaupt zuläßig, bejahendenfalls entsprechen die von den Herren Chavannes, Brochon und Comp. daselbst für diese Fabrikation erstellten Gebäulichkeiten den Anforderungen der Sicherheit in denselben und der Umgebung; wenn nicht, welche Aenderungen sind erforderlich. Wie kann die Kontrole im Etablissement am zweckmäßigsten ausgeübt werden ?"

In Folge dieses Auftrages haben wir an Ort und Stelle die gegenwärtige Fabrik der Herren Chavannes, Brochon und Comp.

in allen ihren Theilen genau untersucht, haben uns durch eigene Anschauung volle Klarheit über die Lage derselben in Bezug auf die Umgebung verschafft, und haben endlich gesucht, auch über Stimmung und Stellung der Bevölkerung zu der Fabrik möglichst Kenntniß zu erlangen.

Das Resultat unserer Untersuchungen, sowie unsere darauf basirten Schlüsse legen wir dem Eisenbahn- und Handelsdepartement im Folgenden vor:

695 I.

Beschreibung der Fabrik der Herren Chavannes, Brochon & Comp.

1. S i t u a t i o n d e r F a b r i k .

Die Dynamitfabrik der Herren Chavannes, Brochon & Comp.

liegt auf den sogenannten Kanincheninseln des Lago Maggiore bei Brissago. Es sind dies zwei kleine felsige Inseln, nur wenige Meter den mittleren Wasserstand des Sees überragend. Die größere der Inseln hat eine Länge von 350m, eine mittlere Breite von etwa 100m, die kleinere eine Länge von 200m und eine mittlere Breite von etwa 60m. Die Entfernung der Inseln von dem nächst gelegenen Ufer beträgt 900m, die Entfernung von der nächst gelegenen Ortschaft Ronco gegen 1200m die Distanz von Brissago über 2 Kilometer u. s. f.

Bei einer Explosion ist zunächst der Ort Ronco gefährdet, nicht nur als nächst liegend, sondern auch wegen seiner erhöhten Lage an dem gegen den See abfallenden Berghangc.

2. A l l g e m e i n e s über die D i s p o s i t i o n der Fabrik.

Die größere der beiden Inseln enthält die eigentliche Dynamitfabrik sammt allen zugehörigen Hilfsgebäulichkeiten, die kleinere der Inseln wird nur zur Magazinirung benuzt.

Die allgemeine Disposition der eigentlichen Fabrik ist die folgende : Gebäudegruppe A umfaßt das Administrationsgebäude, Maschinenbaus, Guhrdarre und kleinere Werkstätten; Gruppe B enthält Salpeters äure Fabrik und Vorkehrungen zur Wiederbelebung der schon einmal verwendeten Säuren. Beide Gebäudegruppen enthalten keine explosiven Stoffe.

Die Gebäude Ci C2 C3 bilden die eigentliche Fabrik, d. h.

jene Lokalitäten, in welchen das Sprengöl erzeugt, durch Mengung mit aufsaugenden Stoffen zu Dynamit verarbeitet und dieses in Patronen geformt und verpakt wird.

C4 ist ein kleines Handmagazin für Zündschnüre, Kapseln etc.

Der Raum zwischen der Gebäudegruppe A und jener C dient als Lagerraum für Rohstoffe, wie Säuren, Glycerin etc.

Auf der zweiten der Inseln liegen 4 Dynamitmagazine, zunächst jedes für 1000 Kil. Dynamit bestimmt.

696 3 . K u r z e B e s c h r e i b u n gö- d e r F a b r i k a t i o n .

a. Die N i t r o g l y c e r i n e r z e u g u n g .

Die Erzeugung des Nitroglycerins geschieht in einem von drei Seiten offenen hölzernen Gebäude Ci, welches nach keiner Seite von einem Walle umgeben ist.

In dem Gebäude befinden sich 6 Reihen langer hölzerner Tröge, in welchen 140 bis 150 irdene Töpfe von solcher Größe stehen, daß jeder bequem die zur Erzeugung von etwa 2/3 Bai.

Nitroglycerin nöthige Menge von Säuren und Glycerin aufnehmen kann. In dem Räume zwischen Trog und Töpfen zirkulirt kaltes Wasser zu möglichster Vermeidung einer iätarken Erhizung in den Töpfen bei Einbringung des Glycerins.

Die Töpfe werden jeder mit etwa 3000 Gramm eines Gemenges aus einem Gevvichtstheil Salpeter und 2 Gewichtstheilen Schwefelsäure gefüllt und dann jedem Topf bei 350 Gramm Glycerin zugesezt und mit einem Glasstabe in die Säuremischung eingerührt.

Die Töpfe bleiben dann so lange stehen, bis das sich aus dem Glycerin bildende Nitroglycerin etwa 2 /sKil. à Topf auf der Oberfläche sich sammelt. Ist dies geschehen, so wird mittelst eines einfachen Heberapparates das Sprengöl von den Säuren abgezogen und dem sogleich zu beschreibenden Waschprozesse unterzogen. Die restirenden Säuren werden nach entsprechenden Operationen, die hier irrelevant sind, wieder verwendet.

Durch diese Arbeitsweise sind also immer 140--150 Töpfe mit Gemengen von Nitroglycerin und Säuren in verschiedenen Stadien der Erzeugung vorhanden. Im Durchschnitte wird man annehmen können, daß sich in allen Töpfen zusammen etwa 50 Kil.

Nitroglycerin befinden. Bei dem Einfüllen der Säuren in die Töpfe, dem Einbringen des Glycerins und dem Dekantiren des Nitroglycerins sind 4 Mann beschäftigt.

Das dekantirte Nitroglycerin muß einem Waschprozesse unterzogen werden, um die darin noch befindlichen Säurereste zu entfernen. Diese Reinigung geschieht ebenfalls in dem Gebäude Ci.

Das Nitroglycerin passirt zu diesem Zwecke ein System von Glasröhren, und zwar in einer Weise, welche das Nitroglycerin in stark vertheiltem Zustande mit einer großen Mienge frischen Wassers in Berührung bringt. Beim Austritte aus dem Röhrensystem enthält das Nitroglycerin nur mehr Spuren von Säure. Um auch diese zu entfernen, kömmt das Nitroglycerin in einen zweiten Waschapparat, in dem es mit Sodalauge in innige Berührung gebracht wird, der-

697 art, daß es beim Verlassen dieses Apparates vollkommen neutralisirt ist. Daß Letzteres wirklich der Fall sei, wird durch Prüfung mittelst Lackmuspapier verifizirt. Der letztere Waschapparat besteht aus einem hölzernen Zylinder, welcher um eine schiefstehende Achse beweglich ist und eine aus mehreren Windungen bestehende, aus Holzbrettchen zusammengesetzte archimedische Schraube enthält. Das aus dem Glasröhrenapparate kommende Nitroglycerin und eine genügende Menge Sodalauge fließen unten in den Zylinder ein und werden durch kontinuirliche Drehung des Zylinders auf der Schraubenfläche aufwärts bewegt, um oben, innig gemengt, den Apparat zu verlassen.

Das -Gemenge von Nitroglycerin und Sodalauge wird dann in einfacher Weise dekantirt.

Der Waschapparat arbeitet continuirlich, derart, daß er alle Minuten etwa l Kilo neuteralisirtes Sprengöl liefert. In beiden Waschapparaten werden sich gleichzeitig, freilich in feiner Vertheilung mit großen Mengen Wassers, 15--20 Kilo Sprengöl befinden.

Das Waschen und das Dekantiren des gewaschenen Sprengöles fordert drei Mann.

Das ganze Gebäude Ci enthält also eine, in sehr viele Partien vertheilte, größtentheils mit größeren Mengen Säure oder Wasser vermengte Quantität von Sprengöl, welche jedenfalls unter 100 Kilo beträgt, wahrscheinlich aber in jedem Arbeitsstadium 50 Kilo überschreitet.

In dem Gebäude sind in Summa sieben Arbeiter beschäftigt, und es ist die mögliche tägliche Produktion an Sprengöl mit den gegenwärtigen Einrichtungen 800--1000 Kilo Nitroglycerin.

Nach den Angaben des Direktors Brochon sind aber bisher nicht mehr als höchstens 500 Kilo Nitroglycerin im Tag erzeugt worden.

b. Die D y n a m i t e r z e u g u n g .

Das durch den eben beschriebenen Prozeß gewonnene Sprengöl wird in Quantitäten von je l Liter nach dem von einem Erdwalle umgebenen Gebäude C 2 gebracht. Es ist dies ein einfacher allseits verschahlter Holzbau. Das Nitroglycerin wird in diesem Gebäude zunächst mit 5--10 °/o Glycerin gemengt, geschüttelt und dann das sich am Boden sammelnde Nitroglycerin vom Glycerin dekantirt. Dieser Prozeß hat zum Zwecke, dem Nitroglycerin das noch vom Waschprozesse anhaftende Wasser zu entziehen.

698 Die Fabrik erzeugt nur eine Sorte Dynamit. Dieselbe besteht aus

73 °/o Sprengöl; 27 % Kieselguhr.

Leztere wird vor dem Gebrauche auf eisernen Platten in der Fabrike (in den Gebäuden A) scharf getrocknet und dann gesiebt.

Sie bildet ein sehr feines, grau-röthliches Pulver, welches obigen Sprengölgehalt binden kann.

Die Mengung des Oels mit der Guhr geschieht einfach in hölzernen Trögen, in welchen Guhr und Oel zusammengebracht und dann mit bloßen Händen gut durchgerieben werden.

Bei dieser Operation sind zwei Mann beschäftigt, und es können diese gut 1000 Kilos fertiges Dynamit liefern.

c. C a r t o u c h e r i e und E m b a l l a g e .

Das fertige Dynamit wird in der Fabrik zu Sprengpatronen verarbeitet. Es geschieht dies in dem Gebäude Cs, einem großen, allseits verschahlten und von einem Erdwalle umgebenen Holzschuppen.

Die erzeugten Patronen sind kleine Cylinder von 20-- 30 Milimeter Durchmesser und verschiedenen Längen. Sie bestehen aus Hülsen aus einem Papiere, welches Nitroglycerin nicht durchläßt.

Die Erzeugung selbst geschieht in folgender Weise : In eine Blechhülse, von den Dimensionen dei- zu erzeugenden Patrone, wird das Dynamit eingeschüttet und mittelst eines hölzernen Ladestockes fest eingepreßt. Ist die Hülse gefüllt, so wird das darin eingepreßte Dj'namit mittelst eines hölzernen Stempels herausgedrückt, mit Papier umwickelt und die Papierhülse dann auf beiden Seiten geschlossen.

Die fertigen Patronen werden in demselben Gebäude in Mengen von je 25 Eil. in Pappschachteln und diese dann in Holzkisteu verpackt, welche mit Eisenstiften zugeschlossen werden.

In dem Gebäude müssen, wenn pro Tag 600--1000 Kil. Dynamit erzeugt werden sollen, wenigstens 7--10 Personen gleichzeitig beschäftigt sein.

4. M a Oe a z i n i r u n Oar.

Zur Magazinirung des fertigen Dynamits sind auf der kleineren Insel vier Magazine angelegt. Drei derselben bestehen aus sehr primitiven hölzernen Verschlagen, welche nur etwa 2 /3 Meter Hohe haben und mit abhebbaren Deckeln aus Ziakblech versehen sind.

699 Jeder dieser Holzkästen nimmt 1000 Kil. Dynamit auf und ist von einem Erdwalle ringsum umgeben.

Das vierte Magazin ist eine einfache hölzerne Hütte, welche an 5000 Kil. Dynamit aufnehmen könnte und ebenfalls von einem Erdwalle umgeben ist.

5. Stellung und S t i m m u n g der B e v ö l k e r u n g .

Der hier mitgelheilten Beschreibung über die Fabrik glaubt die Kommission noch ihre Bemerkungen über die wahrgenommene Stellung und Stimmung der Bevölkerung gegenüber der Fabrik beifügen zu müssen.

Es ist wahr und kann nicht bestritten werden, daß die Bevölkerungen von Ascona, Ronco und Brissago nach den bekannten Unglücksfällen, welche in Ascoria stattgefunden haben, eine übertriebene Furcht vor einer in ihrer Nähe befindlichen Dynamitfabrik haben, ja unter einer wahren Panik vor einer solchen stehen, welche manchmal in wirklich kindische Demonstrationen ausartet, die zwar durch die erfahrene Wirksamkeit des Explosionsstoffes theilweise zu erklären ist.

Es ist dieser Sachverhalt durch vielfältige Unterredungen und Erkundigungen seitens der Experten mit einzelnen Bewohnern und Vertretern der betreffenden Gemeinden konstatirt worden, unter welchen sich intelligente und nicht gerade übelwollende Männer befanden, so daß dieser Stimmung immerhin Rechnung getragen werden muß, .besonders in Betreff aller derjenigen Vorkehren, welche im Stande sind, der Bevölkerung bestmögliche Garantien ihrer Sicherheit zu bieten.

Geht man aber der Sache näher auf den Grund, so findet man durch Konsultation wirklich einsichtiger und vor Allem unparteiischer Männer schließlich die wichtige Thatsache, daß die große Aufregung und der zunächst zu Tage tretende Widerwille zum großen Theile ein Kunstprodukt ist, welches von gewichtigen Seiten nicht nur fortwährend auf derselben Höhe erhalten wird, welche den frühern Katastrophen nothwendiger- und natürlicherweise folgte, sondern so weit als möglich noch zu steigern gesucht wird. Es sind dieses Faktoren, die hier weder zu nennen, noch zu detailliren sind, mit denen aber unserer Ansicht nach auch nicht zu rechnen ist, da ihre treibenden Motive allmälig von selbst dahinfallen. Als Hauptsache erscheint uns für den Augenblick, die strengen, den Fabrikbetrieb in quantitativer Beziehung so sehr einschränkenden Maßregeln der Bevölkerung genügend bekannt zu geben und durch Belehrung über den wahren Sachverhalt, welcher

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die Leute durchaus nicht unzugänglich erscheinen, endlich die nö thige Beruhigung zu erzielen. Hiezu wäre allerdings in höchstem Grade wünschenswert!!, daß die kantonale Behörde nicht nur aus irgend welchem Grunde oppositionelle Haltung nicht einnähme, sondern etwaigen Bemühungen besonders in letzterer Richtung thunlichsten Vorschub leistete.

Unsere Ansicht in Betreff der augenblicklich noch erregten und feindseligen Stimmung und Haltung der Bevölkerung ist deßhalb unveränderlich die, daß bei geeigneter Behandlung dieselbe in kurzer Zeit dem Etablissement gegenüber eine wenn auch nicht definitiv günstige, doch eine völlig indifferente werden wird.

II.

Ist die Fabrikation auf den Kanincheninseln mit Rücksicht auf die Lage der Inseln und auf die Umgebung überhaupt zulässig ?

Die Kanincheninseln liegen ungefähr 1000 Meter von dem nächsten Ufer, also auch von den nächsten menschlichen Wohnungen entfernt. Der nächste Ort ist Ronco, in gerader Linie etwa 1200 Meter von den Inseln entfernt, und etwa 100 Meter höher wie diese, an dem den Inseln zugekehrten Berghange gelegen. Es ist zweifellos, daß durch diese Umstände, in Verbindung damit, daß zwischen den Inseln und der Fabrik nur eine freie Wasserfläche liegt, der Ort Ronco und Annexen im Falle einçr Explosion am gefährdetsten sind, daher auf sie zunächst Rüchsicht zu nehmen ist.

Bei Beantwortung der Frage nun, ob der Betrieb einer Dynamitfabrik auf den Kanincheninseln speziell mit Rücksicht auf Ronco zuläßig ist, werden die Kommissionsmitglieder von folgenden Erwägungen geleitet: Es ist durch zahlreiche Erfahrungen nachgewiesen, daß Nitroglycerin-und Dynamitquantitäten bis zu 4000 Kilg., welche auf 15--20 Meter von einander entfernt liegen und auch nur durch schwache Erdwälle getrennt sind, n i c h t g l e i c h z e i t i g e x p l o d i r e n , wenn eine dieser Mengen zur Explosion kömmt. Es wurde dies sehr scharf wieder eben durch die wiederholten Explosionen bei Ascona bewiesen.

Erfahrungsgemäß kann also angenommen werden, daß, wenn alle in einer Fabrik vorkommenden getrennten Partien von Nitroglyzerin und Dynamit nicht 4000 Kilg. überschreiten, je wenigstens 15--20 Meter von einander entfernt und durch Erdwälle von ein-

701 ander getrennt sind, nur e i n e solche Quantität auf einmal zur Explosion kommen kann, also auch nur deren Wirkung gegenüber der Umgebung in Betracht zu ziehen ist.

Vor Beantwortung der Frage ist also zu erwägen, welche Quantität auf e i n e m Orte der Inseln angehäuft werden darf, ohne Ronco zu gefährden.

Auch hierauf gibt die Erfahrung klare Antwort.

Im Mai 1874 explodirten in der frühern Fabrik bei Ascona, 250 Lit. oder etwa 400 Kilo;. Nitroglycerin. Diese entsprechen an Wirkung über 550 Kilg. Dynamit. Die Explosion dieser Quantität hatte in dem nur 700 Met. entfernten Ascona keine andere Wirkung als das Eindrücken von Fensterscheiben. Theoretisch und erfahrungsgemäß stehen die Mengen von Explosivstoffen, welche auf verschiedene Entfernungen gleiche Wirkungen hervorbringen, etwa in dem Verhältnisse der 3. Potenzen der Entfernungen; um z. B.

auf die zweifache Weite die gleiche Wirkung hervorzubringen, bedarf man etwa die 8fache Menge. Folgendes ist die Quantität Dynamit, welche auf den Kanincheninseln explodiren müßte, um in Ronco die gleiche Wirkung zu haben, wie die bei Ascona stattgefundene Explosion.

O

(12/7)( yl 12/7)3

550 = 2700 bis 3000 Kilogr.

Diese Zahl stimmt überein mit dem durch Herrn Oberst Siegfried auf anderem Wege gewonnenen Resultate, daß bei einer Entfernung der Fabrik von bewohnten Orten von 1000 M. das Maximum des Vorrathes, welches an einem Orte aufgehäuft werden dürfe, 3000 Kilog. betrage.

Rücksicht genommen nun auf die ungünstigere erhöhte Lage von Ronco, so kann doch mit aller in praktischen Fragen möglichen Sicherheit behauptet werden, daß die E x p l o s i o n e i n e r M e n g e v o n 1500--2000 Kilog. D y n a m i t i n R o n c o k e i n e a n d e r e n F o l g e n h a b e n w e r d e , a l s d a s Eindrücken von Fensterscheiben.

Daß die Gefahr für die Umgebung bei Explosionen selbst viel bedeutenderer Mengen auf Entfernungen von 1000 Met. an eine sehr geringe ist, und daß sie sich ausschließlich auf die Möglichkeit beschränkt, daß leicht zu restaurirende geringfügige Schäden an Gebäuden entstehen, beweist eben die zweite große Explosion bei Ascona vom 13. Dez. 1874. Es explodirten an diesem Tage 4000 Kilg. Nitroglycerin, entsprechend an Wirkung mehr als 5000 Kil.

Dynamit. Der gesammte Schaden an Gebäuden, der in dem nur 700 M. entfernten Ascona (von Fensterscheiben abgesehen) ange-

702 richtet wurde, betrug 4319 Fr.; in dem 1300 M. entfernten Losone nur mehr 397 Franken.

Diese Daten und eiae Reihe anderer zahlreicher Erfahrungen lassen mit Bestimmtheit schließen, daß selbst durch die Explosion so bedeutend großer Quantitäten, wie 5000 Kil. Dynamit, Ronco keiner anderen Gefahr als höchstens der unbedeutende); Beschädigungen an Gebäuden ausgesetzt ist.

Die Kommission beantwortet die Eingangs angeführte Frage also dahin : D e r B e t r i e b e i n e r D y n a m i t f.a b r i k a u f d e n K a n i n c h e n i n s e l n des Lago Maggiore ist unbedingt mit R ü c k s i c h t auf die Lage d e r s e l b e n und a uf di e U mg eb u ng überhaupt zuläßig, wenn 1) in der Fabrik an keinem Orte eine größere Quantität als 1500--2000 Kil.

Dynamit konzentrirt sind ; 2) die einzelnen größeren Quantitäten Dynamit wenigstens 15--20m von einander entfernt und durch entsprechend hohe und starke Erdwälle von einander gelrennt sind: 3) eine strenge verläßliche Kontrole die Ausübung dieser Bedingungen überwacht; 4) der Fabrikant eine Kaution erlegt, welche allen möglichen Schaden ausreichend dekt.

Die Kommission hat hier nicht festgesetzt, welches Maximum von Nitroglycerin zuläßig ist, d e n n s i e s c h l ä g t s p ä t e r i n Bezug auf Nitroglycerin Maßregeln vor, deren A n n a h me j e d e , a u c h d i e g e r i n g s t e G o f a h r d u r c h Explosion von Nitroglycerin für die Umgebung absolut, ausschließt.

Die Kommission hat endlich nur Ronco speziell in Betracht gezogen, weil dieser Ort der gefährdetste ist und alles, was sich auf ihn bezieht, nothwendig auch auf die anderen NachbarortSchäften Bezug hat.

Obwohl nun also die Kommission einstimmig der Ueberzeugung ist, daß selbst die Explosion von 2000 Kil. ohne jeden Schaden selbst für den nächst gelegenen Ort Ronco stattfinden könnte, schlägt sie doch vor, mit Rücksicht auf die Stimmung der Bevölkerung das an einem Orte zuläßige Quantum Dynamit auf nur 1000 Kilogramm festzusetzen und so der Stimmung der Bevölkerung bis auf die äußerste Grenze des mit Rücksicht auf die Industrie noch praktisch Zuläßigen Rechnung zu tragen

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III.

Entsprechen die von den Herren Chavannes, Brochon & Comp. für die Fabrikation erstellten Gebäulichkeiten, Einrichtungen und Anordnungen der Sicherheit in denselben und der Umgebung? Wenn nicht, welche Aenderungen sind erforderlich ?

"Die Kommission hält'die von den Herren Chavannes, Brochon & Comp. befolgte Fabrikationsmethode und die Anlage der Gebäulichkeiten, Einrichtungen und Anordnungen nicht in allen Theilen den Forderungen der Sicherheit in denselben und der Umgebung entsprechend, und hält folgende Anordnungen und Aenderungen für noth wendig: 1. In keinem Gebäude, in welchem explosive Stoffe vorhanden sind, dürfen gleichzeitig mehr als 4 Arbeiter oder Arbeiterinnen beschäftigt werden.

2. Alle G-ebäude (von Magazinen abgesehen), in welchen explosive Stoffe vorhanden sind, müssen mit einem Erdwalle umgeben sein, welcher wenigstens 1 / 2 m vom Fuße der Gebäude absteht, wenigstens '/ 2 m Kronenbreite und innere Böschungen unter 45° hat und bis in die Höhe des Firstes des Gebäudes reicht.

3. Die Nitroglycerinerzeugung muß so geleitet werden, daß in den Gebäuden, wo Nitroglycerin fabrizirt wird, nicht mehr als höchstens 100 Kilogramm Nitroglycerin vorhanden sind.

4. In den Gebäuden, wo Dynamit erzeugt wird (Mischgebäude) dürfen nicht mehr als zusammen 10n Kilogramm Nitroglycerin und Dynamit vorhanden sein.

In keinem Gebäude der Cartoucherie dürfen mehr als 100 Kilogramm Dynamit vorhanden sein.

5. Die Emballage ist von der Cartoucherie zu trennen. In dem Gebäude der Emballage dürfen nie mehr als 500 Kilogramm Dynamit vorhanden sein.

6. Alle Gebäude, in welchen nicht mehr als 100 Kilogramm Dynamit oder Nitroglycerin gleichzeitig vorhanden sind, dürfen einander bis auf 10 Meter (Abstand beider Gebäude) genähert werden.

Gebäude, in denen 100--500 Kilogramm gleichzeitig vorhanden sein dürfen, müssen wenigstens 15 Meter von einander entfernt liegen.

7. Die Magazine müssen so konstruirt werden, daß sie versperrbar sind und nicht durch die Wände fremde Körper eingebracht werden können, oder Wasser hineingelangen kann. Der

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Wall um die Magazine muß dieselben wenigstens um l Meter überragen, l Meter Kronenbreite und innen 45" Böschungen haben.

Kein Magazin darf mehr als 1000 Kilogramm Dynamit enthaltenDer Abstand der einzelnen Magazine, gemessen von einem Gebäude zum andern, muß wenigstens 20 Meter betragen.

Die Magazine müssen sorgfältigst vor dem Eindringen von.

Wasser geschützt werden.

8. Das Nitroglycerin muß nach vollständiger Befreiung von Wasser auf seine vollkommene Neutralität geprüft werden. Als Aufsaugestoff darf zunächst- nur gebrannte, vollkommen sandfreie Kieselguhr in dem Verhältnisse genommen werden, welches ein vollkommenes Festhalten des Sprengöles während der Lagerung und des Transportes garantirt.

9. Es darf absolut kein fertiges Nitroglycerin aufbewahrt werden, sondern es muß alles an einem Tage erzeugte Nitroglycerin noch an demselben Tage zu Dynamit verarbeitet werden.

10. Die Fabrikdirektion hat genaue Vorschriften für alle Arbeiter zu entwerfen und diese der Kantonalbehörde zu unterbreiten.

11. Die Fabrik wird spezieller strenger Kontrole seitens der Kantonal- und der Bundesbehörde unterworfen.

12. Die Fabrik bleibt natürlich allen bestehenden gesetzlichen Vorschriften, so wie allen noch etwa später gegebenen gesetzlichen Vorschriften, welche auf die Fabrik Bezug haben, unterworfen.

Die hier gegebenen Vorschriften bedingen folgende wesentliche Aenderungen in der bestehenden Anlage : 1. Das Gebäude, in welchem das Nitroglycerin erzeugt wirdT muß mit einem Walle umgeben werden, welcher den früher gestellten Anforderungen entspricht, und die Erzeugung des Nitroglycerins muß so eingerichtet werden, daß 4 Mann hiezu genügen.

Ohne der Fabrikleitung vorschreiben zu wollen, wie diese Bedingungen realisirt werden können, glauben wir doch darauf hinweisen zu sollen, in welcher Weise dies nach unserer Ansicht am einfachsten geschehen könne: Wir schlagen vor, die bisherige Methode des Abscheidens des Nitroglycerins von den Säuren, welche den Zweck der Wiedergewinnung dieser letzteren hat, aufzugeben und jeden Topf, nach Einbringen des Glycerins, sogleich in ein entsprechend großes Wassergefäß zu entleeren, das sich am Boden sammelnde Nitroglycerin abzuziehen und dem gewöhnlichen Waschprozesse zu unterziehen.

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Diese Methode ist in Folge des Verlustes der restirenden Säuren etwas weniger ökonomisch als die bisherige, dagegen gewährt sie folgende Vortheile: a. Die Arbeitsmethode des direkten Ausgießens in Wasser ist s i c h e r e r als die bisherige, bei welcher eine größere Anzahl Gefässe das immer gefährliche Gemenge von Säuren und fertigem Nitroglycerin enthalten und so der sorgfältigsten Ueberwachung bedürfen.

b. Die Arbeit kann rascher und mit weniger Arbeitskräften betrieben werden.

c. Das Gebäude kann verkleinert und erniedrigt werden, wodurch die Möglichkeit einer leichtern Herstellung des Erdwalle» gegeben ist.

2. Die Cartoucherie ist von der Emballage zu trennen. Am zweckmäßigsten wird dies geschehen, wenn das Gebäude, das jetzt für Cartoucherie und Emballage dient, nur mehr zu letzterem Zwecke bestimmt wird. Als Cartoucherie ist zunächst das Gebäude C*, welches gegenwärtig als Handmagazin für Schnüre und Kapseln dient, herzurichten. In dem Räume zwischen Ci und Ca kann dann noch ein zweites kleines, ebenfalls als Cartoucherie bestimmtes, mit genügendem Walle versehenes Gebäude erstellt werden. Es ist dies besonders leicht ausführbar, wenn Ci und das neu aufzuführende Gebäude einen gemeinsamen sie trennenden Wall erhalten.

Alle übrigen Anordnungen bedingen nur unwesentliche Aenderungen, die keiner Erörterung bedürfen.

IT.

Wie kann die Kontrole am zweckmässigsten im Etablissement ausgeübt werden.

Wir sind übereinstimmend der Ansicht, daß die Fabrik einer kontinuirlichen Kontrole durch ein Organ der Kantonalbehörde und einer periodischen Inspektion durch ein Organ der Bundesbehörde unterzogen werden soll.

Das Organ der Kantonalbehörde sollte ein technischer Beamter sein, welcher von der Kantonalbehörde bestimmt ist, derselben verantwortlich bleibt, aber von Seite der Fabrik zu zahlen ist.

Die Pflicht dieses Organes, welches jederzeit, wenn gearbeitet wird, auf der Fabrik anwesend zu sein hat, ist die kontinuirliche Kontrole der Einhaltung aller der Fabrik gegebenen Vorschriften.

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Das Organ der Bundesbehörde, dem eventuell die Koutrole aller in den verschiedenen Kantonen gelegenen Fabriken explosibler Stoffe anvertraut werden sollte, hat die Pflicht zeitweiser Revision der Fabrik mit besonderer Beziehung darauf, ob nicht geänderte Verhältnisse in irgend einer Richtung, z. B. neu gewonnene Erfahrungen, eine Abänderung der bestehenden Vorschriften, der Fabrikationsweise u. s. f. nöthig machen.

Wir glauben, daß die Aufstellung eines solchen Bundesorganes, das nach der Natur der Sache einen weit größeren Erfahrungskreis gewinnen kann, als ein in einer speziellen Fabrik aufgestellter Beamter unbedingt nothwendig ist.

Die speziellen Rechte und Pflichten der kantonalen und der Bundesorgane bei Kontrole solcher Fabriken wären gesetzlich festzustellen.

B e r n , den 6. März 1876.

H. Siegfried.

J. Dnnmr.

Karl Pestalozzi.

Prof. Dr. Schwarzenbach.

Trauzl.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend die Gewährleistung der neuen Verfassung des Kantons Wallis.

(Tom 16. März 1876.)

Tit.!

Mit Schreiben vom 25. Februar und 4. März d. J. übermittelte uns der Staatsrath des Kantons Wallis die neue Verfassung dieses Kantons vom 26. November 1875, und ersuchte uns, dieselbe Ihnen zur Gewährleistung vorzulegen.

Diese Verfassung ist am 13. Februar 1876 der Volksabstimmung unterstellt worden, wobei gemäß einer amtlichen Zusammenstellung des Departementes des Innern des Kantons Wallis, von 25,639 .stimmfähigen Bürgern 14,166 ihre Stimme abgaben, und zwar 7528 für die Annahme und 6587 für Verwerfung. 51 Stimmen waren ungültig. Demnach sprach sich eine Mehrheit von 941 Stimmen für die Annahme aus. Mit der Genehmigung dieses Resultates erklärte der Große Rath unterm 22. Februar 1876 die neue Verfassung als angenommen und als neues Grundgesez des Kantons Wallis.

Wir haben nicht ermangelt, diese Verfassung einer nähern Prüfung zu unterstellen, und sehen uns nur zu folgenden kurzen.

Bemerkungen veranlaßt : Bundesblatt. 28. Jahrg. Bd. I.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Experten-Gutachten betreffend die Dynamitfabrik auf den Kanincheninseln des Lago Maggiore. (Vom 6. März 1876.)

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25.03.1876

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