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Minderheit der ständeräthlichen Rekurskommission über den Rekurs der waadtländischen gemeinde Chigny gegen Bundesrathsbeschuß vom 4. November 1868 in Sachen der Ehe Rosset-Rochat.

(Vom 8. Juli 1869).

Lit. l Eine aus zwei Mitgliedern bestehende Minderheit Jhrer kommission

spricht sich dasür aus , es sei der Rekurs der Gemeiude Chigny gegen

Bundesrathsbeschluss vom 4. November 1868 sür begründet zu erklären, und demnach die Kompetenz und das Fornm der Gerichte des Kantons Waadt anzuerkennen.

Um diese ...luschauuugsweise zu rechtfertigen , beschränken wir uns darauf , zwei Thatsaehen zu konstatiren , welche aus den Akten mit Evidenz ersichtlich sind.

Die am 3. Jaunar 1863 zwischen Ehr. Rosset nnd seiner Richte, Julie Roehat , in Gens abgeschlossene Ehe ist eine Verbindung . welche vom waadtländischen Geseze (E. E. Art. 70) verpont ist , indem dasselbe die Ehe zwischen Oheim und Richte verbietet , und es sind der genannten Vereheli..huug uicht alie Publikationen vorausgegaugeu , die laut Konkordat vom 4. Juli 1820, dem die Stände Waadt und Genf beigetreten siud, im Kauton Waadt hätten stattfinden sollen.

Um diese in seinem Helmatkanton verbotene Verbindung eingehen zu kounen, hat Rosset Manovexs ausgeführt, welehe bezwekten, von den Behorden von Gens durch fingirte Erklärungen eine Einbürgeruug zu erlangen, und als er dieses neue Bürgerrecht sich verschafft hatte, sehritt er, ohne den Kanton Waadt zu verlassen und ohne anch nur ans ad-

.

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ministrativen und gerichtlichen Funktionen auszuscheiden , welche nothwendiger Weise die Eigenschaft eines waadtländischen Bürgers voraussezen , in Genf zu seiner ungesezlichen Heirat und kehrte in seine Gemeinde zurük, wo er fortwährend ein faktisches und rechtliches Domizil hat.

Wir haben hier vor uns : einerseits die Behörden des Kantons Genf , welche die Ehe Rosset .. Rochat als gültig anerkennen , und den Rekurrenten Rosset , welcher gestüzt aus Art. 53 der Bundesverfassung seinen natürlichen Richter in Genf sucht . anderseits die Gemeinde Chigny, Heimatort von Rosset und seiner Familie , und das Kantonsgericht von Waadt, von welcher Seite das waadtländische Forum angerufen wird, um über die Rechtsbesah.gung der Julie Rochat zur Eingehung der in Genf, entgegen dem waadtländischen Geseze und den Konkordaten , abgeschlossenen Ehe abzusprechen.

Es handelt sich hier also um eine Forumsfrage. Da die BundesVerfassung sich im Art. 53 aus die Bestimmung beschränkt , es dürfe Riemand feinem natürlichen Richter entzogen werden, so kann die B.mdesversammlung die eine oder andere der Alternativen als ^natürlicher Richter" annehmen ; sie ist durch keine positiveren Gesezesbestimmungen gebunden und es ist diesfalls noch zu bemerken, dass die Gesezgebuugen von Gens und Waadt die nämlichen Grundsäze ausstellen , indem sie bestimmen , es seien die Fragen über personal - Status von den zuständigen Gerichten des Heimatkantons zu beurtheilen.

Die Minderheit hält dafür , dass die waadtländischen Gerichte als kompetent erkannt werden müssen , über das Begehren der Gemeinde

Ehign.. zu entscheiden, indem die systematische Verlezuug des Eivilgesezes

und der Konkordate , gleichviel welchen Ersolg dieselbe für den Augen-

blik gehabt haben mag , nicht die Folge haben kann , die betheiligten Drittpersonen im Kanton Waadt des Rechtes zu berauben , durch ihre

heimatlichen Gerichte über die Rechtsbesähigung der waadtländischen Tochter zur Verehelichung absprechen zu lassen.

Jn der That kann . die Kompetenz und das Forum der Genser Gerichte nur gestuft darauf geltend gemacht werden, dass man der Thatsache der in Genf erfolgten Verheirathung eine entscheidende Bedeutuug beilegt. Man fügt bei : da diese Thatsaehe die Ehesrau zu einer Angehörigen des Heimatkantons ihres Mannes mache , so sei ihre Eigensch.ast als Waadtländerin damit verschwunden uud es müsse daher der augehobene. Vrozess über die Eivilbefähigung von Genser Bürgern von den Genfer Gerichten benrtheilt werden.

Wir können diese Konsequenz , in der vollen ..Strenge , wie man sie zu ziehen beliebt, nicht zugeben , denn in unsern Augen hiesse dies, der Gesezesverlezung eine Vrämie ertheilen.

964 Die V e r h e i r a t h n n g in Gens fand eben nur statt unter Verlezung des waadtländischeu Gesezes und des Konkordats. Dieser Thatsache nun die zwingende Folge beiznmessen , es seien dadurch die waadt-

ländischen Gerichte des Rechts verlustig gegangen, ihre Angehorigen zu

schüfen - hiesse dies nicht , den Urhebern gesezwidriger Akte , sowie dem Kanton Gens, der jene mit seiuem Mantel dekt, zum Rachtheile der waadtläudifchen Gemeinde , welche eine getreue und loyale Einhaltung der Konkordatsbestimmungen verlaugt , eine Vergünstigung erweisen ?

hiesse dies nicht, der Souveränel.ät uud den Gesezen des Kantons Waadt zu nahe treten ^ Die Konkordate müssen von den eidgenossischen Räthen geschüzt werden, und es .haben dieselben deren Vollziehung zu überwachen und zu verhindern , dass durch konkordatswidrige Akte ungesellige Brasumptionen uud Forumsentziehungen stattfinden.

Die Thatsache der Eingehung einer dem heimatlichen Geseze der Gattin und dem Konkordat entgegenstehenden Heirat darf nicht die frühere Kompetenz der waadtländischen Gerichtsbehorden ändern und ihnen die Befngniss entziehen, über die Civilbefähigung der im Kanton Waadt domizilirten waadtländischen Tochter Rochat abzusprechen.

Wir konnen diese Ansicht um so mehr aussprechen , als es die gleiche ist, welche die eidgenössischen Räthe im Jahr 1858 in den bekannten Fällen Schmidlin-Ziegler und Reganelly-Rebeaud adopti.rt haben.

Damals wie heute handelte es sich um Verheiratungen unter Verlegung der Konkordate uud der Eivilgeseze, uud zwar dort der Kantone Schaffhauseu und Waadt, und m.an faud, es seien die Gerichte dieser Kantone kompetent geblieben, über die Konsequenzen dieser Heiraten und über die Eivilbefähigung ihrer Angehörigen abzusprechen , obschon die Kantone Ludern uud Freiburg , wie es gegenwärtig Genf thut , die e.us il.ren Territorien eingegangenen Heiraten mit ihrem Schnze gedekt hatleu.

Wir halten dafür, diese Grnndsäze seien im Jahr 1869 gültig so gut wie im Jahr 1858.

Der Bundesrath behauptet in seinem Beschlusse , dass die Souveränität des Kantons Geus unperlezlich sei und dass die Statuirung der Kompetenz der waadtländisehen Gerichte zur Folge hätte, jener Sonveränetät Eintrag zu thun.

Wir anerkennen gerne , dass die Souceränetät des Kantons Gens zu respektiren ist ; wir sagen aber , dass auch diejenige von Waadt und die Kompetenz seiner Gerichte die nämliche Rül.sicht verdienen. Rnn fragen wir: müsste dies nicht zu einem beklagenswerten Ergebnisse führen, wenn der Thatsache einer ungeselligen Verheirathung die Mächt zugestanden würde. Gerichte bei Seite zu schieben , welche früher allein

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kompetent waren , über die Eivilbesähignng ihrer Angehorigen zu entscheiden ? Hätten die gesezlichen und konkordatsmässigen Publikationen stattgefunden, so wären die im Kanton Waadt befindlichen iuteressirten Drittpersonen in den Fall gesezt worden , ihre Einsprachen geltend zu machen und es wären die waadtländischen Berichte allein kompetent gewesen , über die Opposition gegen die ungesezliche Heirat der Tochter Rochat mit ihrem Oheim abzusprechen. Man entzog sich diesen Bublikationen schlauer Weise, um seder Opposition zu entgehen. Wir kounen nicht zugeben , dass dieses Versahren , welches auf der Verlegung der Garantien beruht, die , wie das Konkordat von 1820 sagt, ausgestellt wurden zur Aufrechthaltung der moralischen und bürgerlichen Ordnung, damit belohnt werden dürfe, dass dadurch den betretenden Drittpersonen eine andere Jurisdiktion , audere Richter aufgeuöthigt würden , welche nur durch Missachtung des gesezes kompetent geworden wären.

Das Konkordat vom 8. Juli 1808 , bestätigt den 9. Juli 1818 (alte offizielle Sammlung Bd. I , Seite 287) ist ein Beleg sür unsere .Ansicht. Dasselbe besagt: Eine nach den Landesgesezeu geschlossene und eingesegnete Ehe macht die Frau zur Angehörigen desjeuigen Kautons, in welchem der Mann das Heimatrecht besizt."

Der Abschluss und die Einsegnung der Ehe müssen jedoch, um ihre Wirkungen zu äussern, nach den ...gesezen stattgesunden haben. Ruu ist dies aber , wie wir wiederholt bemerkten , bei d..r in Genf erfolgten Heirat zwischen Rosset und der Waadtländerin Rochat nicht der Fall.

Das Konkordat von 1820, welches sür Gens Gesez ist, wurde verleg.

es wurde das waadtläudische Gesez verlebt und die Tochter Rochat hatte

nach ihren heimatlichen Gesezen nicht die Reehtsbefähigung, ihren Oheim

zu heiraten. Eine solche Heirat kann ihre Wirkungen .vohl im Kanton Gens haben, welcher als souveräuer Staat frei ist, nur seine Konventenzen zu Rathe zu Riehen ; sie kann und darf es aber nicht im Kanton Waadt, dessen Bürger und Gemeinden den Schuz der Geseze auspreeheu dürfen.

Endlieh ist noch zu berükfichtigen , dass selbst in Gens eine Heirat zwischen Oheim und Richte nur unter spezieller Dispensation des Staatsraths und aus gewichtigen Grüuden abgeschlossen werden kann. Run wurde diese Dispensation nicht zu Gunsten von zwei Ehegatten , welche beide dem Kanton Gens angehoren , sondern einem Genser und einer Waadtländerin gewährt, während die heimatliche Gesezgebung der leztern solche Dispensationen aus Gründen össentlicher Ordnung untersagt.

Dieser Akt ist ungesezlich, denn es ist evident, dass wenn auch die Genfer Behorde volle Kompetenz sür ihren Kantonsangehorigen hatte,

sie dagegen nicht in gültiger Weise in Bezug aus eine Waadtländerin

versügen dnrste , deren Eivilstatus sich nach dem heimatlieheu Gesez zu richten hat.

966.

Diese Ungesezlichkeit bestärkt uns in der bereits ausgesprochenen Ansicht, dass ein in missbräuchlicher Weise, durch Gesezesverlez.mgen her-

beigesührter faktischer Zustand in Ehesachen nicht in gültiger Weise einem

Rekurrenten entgegengehalten werden kann, welcher den Schuz der eidgenossischen Behorden anrust.

Wir halten demnach dasür , es müsse der Rekurs der Gemeinde Chigny für begründet erklärt werden.

B e r n , den 8. Juli 1869.

Der Berichterstatter der Minderheit : Jules Roguin.

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der ständeräthlichen kommission, betreffend die Petition der Postbeamten um Erhöhung der Gehalte.

(Vom 10. Juli 1869.)

Tit..

Unterm 28. Oktober 1868 wurde von einer grossern Anzahl Vostbeamten ein Gesu.h um Erhohuug ihrer Besoldungen. an das eidgen.

Boftdepartement zu Handen des Bundesrathes und der Bundesversammlung gerichtet.

Als Hauptpunkte dieser Petition konnen folgende bezeichnet werden: Vergleiche Botschaft des Bundesrathes vom 4. Junl 1869

v. J. 1869, Band II, Selle 406.

Bundesblatt

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Rekurskommission über den Rekurs der waadtländischen gemeinde Chigny gegen Bundesrathsbeschuß vom 4. November 1868 in Sachen der Ehe Rosset-Rochat. (Vom 8. Juli 1869).

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Jahr

1869

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36

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.09.1869

Date Data Seite

962-966

Page Pagina Ref. No

10 006 262

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