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B otsch a f t des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Belgien.

(Vom 29. November 1869.)

Tit. l Die eidgenössischen Räthe haben unterm 22. Juli 1868 folgendes Postulat angenommen : ,,Der Bundesrath wird eingeladen , den Ansliesernngsvertxag zwischen der Schweiz und Belgien vom 11. September 1846 zu künden, wosern von Seite der belgischen Regierung nicht die

bestimmte Erklärung abgegeben wird, dass sie denselben inskünstig auf

eine Weise vollziehen wolle, durch welche der Zwek des Vertrages wirklich erreicht wird. " Dieses Postulat wurde veranlasst durch einen ueuern Fall, wo in Belgien aus telegraphisches Ansuchen ein schweizerischer Verbrecher zwar arretirt, aber drei Tage nachher Bieder in Freiheit gesezt wurde, so dass er bereits nach .Amerika eingeschisst war, als das Anslieserungsbegehreu des Bundesrathes, obschon es uoch zwei Tage vorher

telegraphisch angezeigt wurde, beim belgischen Ministerium aulangte.

Aehnliche Fälle sind schon vorher vorgekommen und jeweilen in den Geschäftsberichten notirt worden. Sie führten eudlich zu der Ueberzeugung, dass Anslieserungen von Belgien nicht leicht erhältlich seien , während die von Belgien an die Schweiz gestellten ähnlichen .Ansuchen jeweilen gehörige Ausführung fanden. Die zwischen dem Bundesrathe und dem belgischen Gesandten zu verschiedenen Malen geführten Korrespondeuzen

490 brachten un.... die Ueberzeugung bei, dass der Vertrag von 1846 ohne alle und jede Kenntniss der belgischen Gesezgebung abgeschlossen wurde, und dass dort ein solch' formales Versahren beobachtet wird, welches den Vertrag für die Schweiz geradezu werthlos machte.

Der Artikel 4 des gegenwärtigen Vertrages , der zu verschiedenen Konflikten führte, lautet solgendermassen : ,, Wegen der im Art. 1 bezeichneten Handlungen kann der Fremde , dessen Auslieferung verlangt wird, in beiden .Ländern porläufig gegen Vorzeigung eines Arreftbefeh^s, welchen die kompetente Behörde des reklamirenden Staates in den durch dessen Geseze vorgeschriebenen Formen erlassen hat, verhastet werden. ......

Diese Verhaftung wird nach den durch die Gesezgebnng des ree.uirirten Staates bestimmten Formen und Vorschriften erfolgen.^

Da seit dem Vertragsabschluss die Verhältnisse sich wesentlich geändert haben, so wollte der Bundesrath diesem Artikel eine Anwendung

verschaffen, die es wenigstens moglich gemacht hätte, flüchtige Ver-

breche... in Belgien noch zu erreichen. Während früher ein aus der Schweiz geflüchteter Verbrecher im schnellsten Falle nur mit der Bost reisen und erst nach mehreren Tagen in einem Meerhafen sich einschiffen konnte , ist es ihm nunmehr durch die bestehenden Eisenbahnen möglich geworden , in viel kürzerer Frist an eine Einschisfungsstation zu gelangen. Oesters wird man die Flucht des Verbrechers erst gewahr, wenn derselbe bereits schon eine grosse .......treke Weges zurükgelegt hat und einem Meerhasen zueilt , wo schon in wenig Stunden nach seiner Ankunst, worüber er sich gewohnlich vorher die nothigen Erkundiguugeu verschafft, das Schiff ihn aufnimmt, um ihu in einen sernen

Welttheil in Sicherheit zu bringen. Der Bundesrath glaubte. dass in solchen Fällen eine amtliche telegraphische Anzeige, das.. ein Verhastsbesehl gegen den versolgten Verbrecher bestehe, der mit aller Beorderung werde eingeschikt werden, genügen sollte, um wenigstens durch eine provisorische Hast die Abreise um 2 - 3 Tage zu verhindern. Die Regierung von Belgien erklärte aber, nach ihrer Gefezgebung aus diese Ansichten nicht eingehen zu können. Sie machte solgende Einwenduugen geltend : Rach belgischen Gesezen dürfe ein Fremder auf^ dortigem Staatsgebiet. nieht verhastet werden, wenn er nicht im Lande selbst eine straf^are Handlung begangen habe, ja selbst dann nieht, wenn eine sormliche Anzeige von auswärtigen Behorden vorliege , dass der Betreffende .wegen Verbrechen verfolgt werde. Die Verhaftung eines Ausländers,

der in Belgien sich nicht mit den dortigen Strasgesezen in Widerspruch

gesezt habe, sei nur da.nn zulässig, weuu ein mit dem betretenden auswärtigeu Staate bestehender Staatsvertrag dieses erheische. Der zwischen der Schweiz und Belgien im Jahr 1846 abgeschlossene Vertrag besage aber ausdrüklich , dass eine provisorische Verhaftung nur aus die Vorweisung eines von .kompetenter Behorde erlassenen formlichen Verhafts-

491 besehls stattfinden solle. Bis aber ein solcher von den kompetenten Behoben in gehöriger Form ausgestellter Verhastsbesehl vorgewiesen werde, sei eine Verhaftung durchaus unzulässig, auch selbst dann, wenn die Regierung des andern Staates offiziell erkläre, dass ein Verhastsbesehl bestehe und mit aller Beförderung werde eingeschikt werden. Die belgische ^esezgebung sei in dieser Frage nicht weniger sormell, als der damit übereinstimmende Staatsvertrag vom Jahr 1846. ^.lber selbst wenn der Staatsvertrag über die Notwendigkeit eines Arrestbesehl.....

nicht^ gesagt hätte, so müssten die belgischen Vorschriften beachtet werden, weil der Vertrag ansdrüklich besage, es werde die Verhaftung nur nach ^den durch die Gesezgebung des ree.uirirten Staates bestimmten Formen und Borschristen ersolgen. Das belgische Ministerium erklärte ausdrükiich , dass in keinem ^alle , wenn das Verlangen einer Verhastuug sich nicht aus einen vorgewiesenen und in ganz guter Form ausgestellten Verhastsbesehl stüze, eine Verhastuug stattfinden werde, oder wenigstens müsse sie nach dem Vetrag von 1846 nicht statthaben.

So kam es denn in einigen Fällen vor, dass unsere Telegramme den flüchtigen Verbrecher in Belgien wohl erreichten, so dass man dort wusste , dass ein Verhastsbesehl wegen eines bestimmten, im Vertrage vorgesehenen Verbrechens ex^istire, und dass derselbe ohne alle Zögerung werde eingeschikt werden. Da aber der Verhas..sbesehl nicht mit dem Telegraphen befordert werden konnte, sondern der Vost übergeben werden musste , so liess man ans den angegebenen Gründen den Verbrecher einfach laufen , wenn er nicht in Belgien selbst eine strafbare Hand-

lung begangen hatte. Mit Rüksicht auf die totere Möglichkeit gal...

man uns zu verstehen, dass wenn ein flüchtiger Verbrecher in Belgien wegen Konflikt mit der dortigen Strasgesezgebnng in Verhast gezogen würde , so würde man den schweizerischen Behorden davon Kenntniss geben, damit sie einen Verhaftsbesehl gegen ihn erlassen konnen.

Dass eine solche Erklärung völlig werthlos ist, braucht keiner weitern Erwähnung. Ein schweizerischer Verbrecher, der aus der Flucht sich in

Belgien einschiffen will, wird sich in de... Regel wohl hüten, dort .^andlungen zu begehen, die seinen Zwek vereiteln könnten.

So sehr einerseits der Schuz der persönlichen Freiheit gegen willkührliche Verhütungen einem jeden Staate zur Ehre gereicht, so kann doeh andererseits ein zu weit getriebener Formalismus, der vielen wirklichen Verbrechern zur Straslosigkeit verhilft, nicht im Jnteresse eines geordneten Staatswesens liegen. Wir haben hier die belgische Gesezgebuug, so weit sie nur ihr Land und ihre Bürger betrisst, nicht einer Kritik zu unterwerfen , aber wenn es sich um einen Auslieserungsvertrag mit diesem Lande handelt , so dürfen und sollen wir prüfen , welchen Werth sür uns ein solcher Vertrag mit Rüksicht ans die in jenem Lande bestehende

Gesezgebung habe. Wie es scheint, hat sich in Belgien die Ueberzeugung

492 Bahn gebrochen , dass in der eigenen ..^esezgebung wenigstens einige Aenderungen vorgenommen werden müssen . wenn man mit andern Staaten in Anslieserungsverträgen stehen wolle. Unterm 5. April 1868 wurde daher in Belgien ein von den Kammern angenommenes Gesez promulgirt, welches den grössten bisherigen Uebelständen abhelfen soll. Der belgische Herr Gesehäfsträger hat denn auch wirklieh unter Hinweisung aus dieses Gesez schon im vorigen Jahre dem Bundesrath den Antrag gemacht, einen neuen Ausliesernngsvertrag abzuschliessen. ..Wir erklärten uns bereit, in die Revision .^es Vertrags von 1846 einzutreten, wollten aber vor Beginn der sormlichen Verhandlungen zuerst den Abschluß des mit Frankreich in Unterhandlung begriffenen Vertrages über die .gleiche^ Materie abwarten. Rachdem dieser ...lbschlnss stattgefunden hatte . erneuerte der belgische Gesandte sein Gesuch , woraus unser Abgeordnete mit demselben in Verhandlungen trat, die zu dem Projekte sührten, das wir ihnen nunmehr zur Genehmigung vorlegen.

Wir kounen uns keineswegs bergen, dass der vorliegende Entwurf in vielen Vunkten unsern Ansichten und Wünschen nicht vollkommen entspricht . aber wenn wir mit Belgien wirklieh einen Auslieserungsvertrag haben wollen, so müssen wir uns bequemen, in demselben Bestimmungen zu finden , die Belgien mit Rüksieht aus seine Gesetzgebung eben nicht anderes bieten kann. Jn der gleichen Lage befinden sich anch Jtalien und

Frankreich, welche am 15. April 1869 und am 29. April 1869 mit Bel-

gien Auslieserungsverträge abschlossen, welche beide Verträge mit dem vorliegenden in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen. Nebenbei wurde bei den Unterhandlungen auch der zwischen der Schweiz und Frankreich abgeschlossene Vertrag, der ebenfalls Jhrer Genehmigung unterstellt ist, zu Rathe gezogen und möglichste Uebereinstimmung, so weit die verschiedenen Verhältnisse es zulassen , zu erzielen gefucht. Der vorliegende Vertrag ist jedenfalls dem gegenwärtig noch bestehenden weit vorzuziehen; er bietet uns wenigstens die Möglichkeit, flüchtige Verbrecher, wenn auch mit einiger Umständlichkeit , in Belgien zur .^ast und Auslieferung zn bringen, während dieses dem Vertrag von 1846 nicht nachgerühmt werden kann. Es ist aber von wesentlichem Jnteresse, dass flüchtige Verbreeher überall , .wenigstens auf dem Kontinent , noch ergriffen werden können, und dass sie nicht ein Land kennen, das sie.^auf ihrer flucht nur zu erreichen brauchen, uni vor der heimatlichen Verfolgung gesichert zu sein.

Raeh diesen einleitenden Bemerkungen gehen wir ^u den einzelnen Vertragsartikeln über und werden bei jedem derselben die Erläuterungen anbringen, die nöthig scheinen. Wo Vertragsbestimmungen mit den ini schweizerisch^französtsehen Vertrage enthaltenen gleichlautend und in der daherigen Botschaft schon besprochen sind, werden wir uns nieht besonder^ aufhalten.

493 Axt. 1. Der Eingang dieses Artikels stimmt im Wesentlichen mit ^lrt. 1 im schweizexisch-sranzostschen Vertrag überein und enthält nur eine kleine Aenderung des leztexn. Wenn nämlich statt der Worte ,.der zu-

ständigen Behörden^ gesagt ist: ,.dex zuständigen Behörden desjenigen der

beiden Länder, wo das Verbrechen begangen wurde^, so hat diese Exweitexung ihren Grund darin, das das bereits angeführte belgische Gesez vom 6. April 1868 vorschreibt, das inkriminirte Faktum müsse aus dem Gebiete desjenigen Landes begangen worden sein, welches die Auslieseruug ver-

langt. Das belgische Gesez erklärt zwar die dortigen Gerichte in ge-

wissen Fällen zuständig für Verbrechen, die im Auslande begangen wur..^en, aber das Verlangen einer Auslieferung konnte in solchen Fällen an den andern Staat nicht gestellt werden. Hat z. B. ein Belgier in der ..Schweiz ein Verbrechen begangen, so versteht es sich von selbst,

dass die schweizerische Strasgerichtsbarkeit gegen ihn begründet wird, hat er abex in. einem dritten Staate ein Verbrechen begangen und flüchtet sich in die Schweiz, so ist Belgien nicht berechtigt, die Auslieferung

von uns zu verlangen. Das Gleiche gilt im umgekehrten Falle für die

Schweiz.

Axt. 2. Was den Katalog der Verbrechen und Vergehen betrifft, wegen deren die Auslieferung gegenseitig erfolgen soll, so ist derselbe gegenüber dem jezt bestehenden Vertrage bedeutend vermehrt. Es ist dieses eine Erscheinung , welche bei allen neueren Verträgen über diese Materie sich zeigt ; wir perweisen diessalls aus den in der lezten Julistzung genehmigten Auslieserungsvertrag mit Jtalien, ^aus den zur Ratifikation vorliegenden Vextrag mit Frankreich und aus die Verträge, welche Belgien im April dieses Jahres mit Jtalien und Frankreich abgeschlossen hat.

Man geht hiebei von der gewiss richtigen Ansieht aus, dass kein Staat ein Jnteresse habe, die Verbrecher des andern Staates aus seinem Gebiete ^u dulden und zu sehüzen. Es soll jedem Staate wenigstens die

Möglichkeit geboten sein , den aus das Gebiet des andern geflüchteten Verbrecher wirksam versolgen zn konnen, ob er davon Gebrauch maehen will oder nicht , hängt dann von seinem Ermessen nnd den Umständen ab. Wir verweisen übrigens ans die Botsehast zu dem schweizerischfranzösischen Vertrag , wo dieser Gesichtspunkt bereits aussührlieh erortert ist.

Was die ausgezählten Verbrechen nnd Vergehen betrifft, so haben wir uns augelegen sein lassen, die ^eala moglichst gleich zu stellen ^mit derjenigen im schweizerisch-franzofischen Vertrage. Die wenigen Abweiehungen, die vorkommen, stud meist untergeordneter Ratur und wur-

den durch den Wortlaut der belgischeu Gesezgebuug .bediugt. Da die Schweiz kein einheitliches Strafgesezbnch mit einer bestimmten Kodifikation.

hat, so konnen wir in diesen .funkten den Wünschen des mitkontrahi^

Bundesbla^. ^ahrg.XXI. Bd.III.

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494 xenden Staates um so eher entgegenkommen, nur müssen die BegriffsBestimmungen mit unsern Rechtsanschauungen harmonixen.

Was die Versuchshandlnngen betrifft, so haben wir es, in etwelcher Abweichung von dem schweizeris.^-franzosifchen Vertrag, süx angemessen erachtet, die Bestimmung dahin zu präzisiren, dass hier die Vorschriften beider Vergebungen in Betracht kommen, und zwar bezüglich der Verbrechen und Vergehen, anstatt nur die Gesezgebung des die Anslieferung verlangenden Staates. Bei dieser Redaktion ist die namentliche Erwähnung des Versuchs der Vergehen von Diebstahl, Vrellerei und Erpressung nicht nothwendig.

...^^

Schließlich ist hier noch der Weglassung einer Bestimmung zu erwähnen , welche im schweizerisch^sranzosischen Vertrage bezüglich der korrektionellen Handlungen ausgenommen ist. Es ist nämlich dort bestimmt, dass bei Vergehen die Auslieferung nur stattfinden soll, wenn ^ ein.e gewisse Hohe der Strafe bereits ausgesprochen oder ans die einge-

klagte Handlung im Gesez angedroht ist.

Eine ähnliche Bestimmung ist auch in dem zwischen Belgien und Frankreich abgeschlossenen Vertrage enthalten, während in dem Vertrage ^ zwischen Belgien und Jtalien von einer solchen Bestimmung Umgang genommen wurde.

Hierüber haben wir Folgendes zu bemerken : Es besteht in Auslieserungsfachen ein grosser Unterschied, ob zwei Staaten an einander grenzen oder durch dazwischen liegende Länder getrennt sind. Je weiter zwei Staaten auseinander liegen , mit desto mehr Schwierigkeiten sind die Auslieferungen verbunden und desto mehr Kosten müssen ausgewendet werden , um einen Verfolgten von einem der kontrahirenden Staaten in den andern ^u bringen. Es ist daher leicht begreiflich, dass man bei einem in weiter Ferne liegenden .^ande nur dann die Auslieferung eines korrektionell Angeklagten verlangt , wenn eine strasbare

Handlung in Frage liegt, die eine Haftbarmaehung des Augeschuldigten

aus der einen oder andern Ursache sehr wünsehenswerth macht. Es ist daher eine enge Beschränkung der Anslieserung in Verträgen mit ferngelegenen Ländern nicht am Blaze , die Ratur der Verhältnisse bringt diese Beschränkung von selbst. Gebe man den Regierungen die Mogliehkeit, in solchen fällen die Auslieferungen zu verlangen oder nicht, sie werden in jedem einzelnen Falle nicht nur die in Aussicht stehende Strafe, sondern alle Umstände des Falles prüsen und je nach Gestalt desselben die Auslieferung verlangen oder von derselben Umgang nehmen. Die staatliehe Ordnung kann überhaupt nur gewinnen, wenn irgendwie erhebliehe Gesezesverlezuugeu nicht ungestraft bleiben. Auch die ^ehlbaren werden nicht so leicht sich flüchtig machen , wenn sie wissen, dass die strafende Gerechtigkeit sie doch erreichen wird. Wesentlich ans

4..)5 diesen gründen haben wir, wie Jtalien, auf die Aufnahme einer bekrankenden Bestimmung für Vergehen verzichtet.

Art. 3. Ueber diesen Artikel haben wir nichts weiteres zu bemerken. Schon in dem bestehenden Vertrage mit Belgien ist diese Bestimmung aufgenommen worden , sie findet sich auch in Verträgen , die wir mit andern Staaten hab.en , so namentlich in jenem mit Jtalien.

Wir haben die Tragweite dieser Bestimmung in der daherigen Botschaft vom ..). Oktober 1868 aussührlieh erortert und kommen daher nicht weiter daraus zurük.

. .

Es mag hier noch bemerkt werden , dass Belgien anfänglich den ^egxisf von politischen Verbrechen im gleichen Sinne ^wie Frankreich ^ bezüglich der königlichen Familie beschränken. wollte, aber sosort davon abging , als es den bestimmten Willen des Bundesrathes vernahm, dass auf solche Begehren nicht eingetreten werde.

Art. 4. Hierüber ist nichts zu bemerken. Belgien verlangt wie Frankreich und andere Staaten den diplomatischen Weg für Ausliefernugsgesnche.

Art. 5. Wir haben bereits im allgemeinen Theil unseres Berichtes bemerkt, dass die provisorische Verhaftung eines verfolgten Verbreehers am meisten Schwierigketten verursachte. Diese Schwierigkeiten find im jezigen Vertragsprojekte wenigstens zum Theil gehoben. Wir hätten gerne weiter gehende Erleichterungen erhalten, allein die sehr

formelle belgische Gesezgebung lässt dieses nicht zu. Auch nach dem neuen Gesez vom 5. April 1868 muss ein von einer ausländischen Be-

horde eingesandter Verhaftsbesehl zuerst richterlich rechtsgültig erklärt werden (^ 4). Wir fügen dieses ausdrüklich bei, weil auch der neue Vertrag bestimmt, dass die provisorische Verhaftung in der ^orm und nach den Regeln vollzogen werden soll , welche die Gesezgebung des Landes, au welches jeues Ausuehen gestellt worden ist, vorsehreibt.

Wir mussten uns daher zufrieden geben , dass in Zukunft eiue provisorische Verhaftung auch auf ein telegraphisches Verlangen stattfinden kann. Früher war hiezu die Vorweisung eines Verhastsbesehls nothig. heute genügt es, wenn ein osfi^elles Telegramm die Existenz eines ^solchen anzeigt. Jmmerhin muss aber im Falle einer Verhaftung der Verhaftsbefehl baldmöglichst nachgesandt werden , weil inner drei Wochen dem Verhasteten Mittheilung vom Verhaftsbesehl gemacht werden muss, ansonsten er freigelassen wird.

Wir bemühten uns, noch eine Bestimmung in den ^Vertrag zu bringen, wie eine solche im dritten Bassus des^Art. 4 des schweizerischsran^osis..hen Vertrages Eingang gefunden hat, wornach in dringenden Fällen eine Gerichts- oder Verwaltungsbehörde einem an sie direkt ge-

langten Verhaftungsgesuch entsprechen kann. Allein die belgische Ge-

496 sezgebung lässt ein solches Versahren nicht zu, daher auch in de.. neuesten Vertagen Belgiens mit andern Staaten von einem solchen Versahren nichts zu finden ist. Wir sahen uns daher gezwungen, uns mit dem zufrieden zu geben, womit sich auch Frankreich und Jtalien in ihren neuesten Ausliesernngsverträgen mit Belgien ^usrieden geben mussten.

Was die Dauer der provisorischen Verhaftung betrifft, so wurde dieselbe von 3 Monaten auf 2 herunter gesezt, und findet sich in den

Verträgen Belgiens mit Frankreich und Jtalien gleichmässig geregelt.

Diese Frist ist dex äusserste Termin, bis zu welchem eine Verhastung fortdauern darf. Es versteht sich aber von selbst, dass wenn d.e erwähnten Entscheide oder Beschlüsse srüher beigebracht werden , was in den^ meisten Fällen moglieh sein wird, auch die Auslieferung früher ersolgen kann und muss.

Jm legten Vassus dieses Artikels ist noch pon einem Verhältniss ^ die Rede, das schon mehr als einmal zu Anständen Anlass gegeben hat^ Da Belgien und die Schweiz nicht an einander grenzen, so muss für den Durchtransport durch die dazwischen liegenden Staaten die Bewilligung dieser Staaten nachgesucht werden, was ost einige Zeit in Anspruch nimmt. Namentlich ^ist diese Erlaubniss des Durchtransportes bei Frankreich ost nicht sosort erhältlich. Jn einem Falle, wo die Auslieferung zu lange nicht er^nirt werden konnte, erfolgte sogar die Freilassung des Jnknlpaten, und ein anderes Mal wurde ebensalls von unserer Seite die Aushebung der Gesangenhaltung angedroht, wenn die Abnahme des Verbrechers nicht bald erfolge. Jn einem leztes Jahr vorgekommenen Falle haben wir übrigens Mittel und Wege gesunden, einen Verbrecher nach Belgien zu liesern, ehe die Erlanbuiss des Durchtransportes durch franzosisches Gebiet beigebracht werden konnte.

Wir hoffen, dass diese Bestimmung auch in Zukunft keine grossen Schwierigkeiten bieten werde, und dass wenn solche aus der einen .^.ransportroute nicht in ganz kurzer Frist beseitigt werden können, der Transport aus andern .Linien sich bewerkstelligen lasse. Der Zwek dieser Bestimmung besteht eigentlich nur darin, dass dem andern Staate von solchen .^indernissen Kennt.nss gegeben werde , damit diese Schwierigkeiten .nicht die Ursache bilden , den Verbrecher einsach in Freiheit zu sezen. Es muss jedem Staate darau liegen, dass ihm die versolgten Verbrecher ausgeliefert werden , und zwar bald möglichst. Jnteresse und ^flieht ersordern dieses. Da die Schweiz bisher noch keine Verbrecher von Belgien ausgeliefert erhielt, so kamen wir natürlich bisher auch nicht in den Fall, den Dnrchtransport durch andere .Länder zu verlangen.

Mit diesem nenen Vertrage wird aber die Auslieserung von Belgien an die Schweiz in Zukunft moglich sein , und da könnte denn der Fall auch sur uns eintreten , dass wir von dieser Bestimmung Gebrauch machen müssten.

Es ist übrigens anzunehmen , dass aneh fernerhin

.

497 die Anslieserungssäl.le zwischen der Schweiz und Belgien selten sein werden. Die Flucht von Verbrechern in das eine oder andere Land würde erst .dannzumal zahlreiehex werden, wenn keine Ausliesernngspflicht bestehen würde.

Art. 6 enthält Bestimmungen, wie sie in allen Auslieserungsverträgen vorkommen, so namentlich auch in den Verträgen mit Frankreich und Jtalien. Wir konnen uns daher auf das in der Botschaft zu dem Vertrage mit Jtalien Gesagte berufen.

Art. 7. Die Auslieserung von Verbrechern wird erst dann be......willigt, wenn eine ..^ersügung der zuständigen Behorde vorliegt, woraus sich ergibt , dass wenigstens gegen den Verfolgten der Strafprozeß ernstlieh im Gange ist. Um dieses konstatiren zu konnen, musste ans die schweizerische und belgische Organisation der Behorden Rüksicht genommen werden, daher die etwas weitläufige Aufzählung der Behorden.

Rach dem alten Vertrage wurde die Auslieferung nur bewilligt aus die Vorweisung eines Schuld urtheil.s oder eines Beschlusses der Anklagekammer, wodurch der Augeschuldigte in deu Anklagestand verseht wurde. Der ueue Vertrag enthält nun die sehr wesentliche Erweiterung, dass der .^orweis jeder kriminellen oder korrektionellen, von dem kompeteuten Richter oder vou der kompetenten Behorde erlassenen Versügung, wodurch das angeschuldigte oder in Anklagezustand versehe Jndividuum sormlich und gesezmässig dem Str.^richter überwiesen wird , zur Be-

grüudung der Auslieferung genüge.

Es darf dabei aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass nach Art. 2 des belgischen Gestes vom 5. April 1868 die Auslieferung ^uur a^s das Gutachten der Auklagekammer des betrefseuden Appellationshoses und nach Vorlegung der bezeiehueteu Aktenftüke gestattet wird. Dieses gerichtliche Versahren verzogert und erschwert den Gang des Auslieseruugsprozesses ; aber diese gese^liehe Bestimmung er.istirt nun einmal in Belgien und mnss beachtet werdeu.

Art. 8 enthält die gleiche Bestimmung, wie der schweizerisch-srauzosische Vertrag und andere Auslieserungsverträge, nur ist die Redaktion etwas vollständiger.

Art. .). Die allgemeine Bemerkung zum Artikel 8 gilt anch hier.

Die im Art. 8 des schweizeris.h-fran^osisehen Vertrages enthaltene Eingangsbestimmung ist in diesem Vertrag im Art. 3 erwähnt. Ferner findet sich hier der Schlusssaz im Art. 8 des sehweizeriseh-franzosischen Vertrages weggelassen.

Wir finden, dass die Absicht, welche man bei Ausnahme einer solchen Bestimmung gehabt hat, wenigstens eben so gut mit dieser Weglassu^g erreicht wird.

498 Art. 10 bietet zu keinen Bemerkungen Anlass. die Fassung ist wortlich gleichlautend mit der Bestimmung im franzosischen und italienischen Vertrage.

Art. 11 und l 2 regeln die .Kostenvergütung der Verhaftung, Ver^ pflegung und des Transportes. Was den Transport aus den Eisenbahnen betrifft, so ist der Betrieb in Frankreich anders geregelt als in Belgien, worauf in jedem Vertrage bezüglich der Kostenvergütung besondere Rükstcht genommen werden musste. Für den Durchtransport durch ein drittes .^and sind die dort vorgeschriebenen Gebühren von dem rea^uirirenden Staate zu vergüten.

Der Transit eines von einem dritten Staate ausgelieferten Jndividuums wird durch Belgien nur nach den Vorschristen des dortigen Gesezes bewilligt, welche im Art. 12 Aufnahme gefunden haben. Dex ..Transit durch die Schweiz kaun nur unter den nämlichen Voraussezuugen statthaben.

Art. l3, 14 und 15 sind aus dem schweizerisch-franzosischen Vertrage wesentlich gleichlautend ausgenommen worden. Einzig wurde hier das Vorstreken von Reisegeldern an den Zeugen gestrichen. Man hat angenommen , das mache sich von selbst. Besizt ein Zeuge nicht die n...thigen Reisemittel , so .^ird er verlangen , dass man sie ihm vorstreke, und sollte dieses verweigert werden, so wird er einfach bei Hause bleiben.

Der Artikel 15 des schweizerisch-französischen Vertrages konnte nicht aufgenommen werden, weil die belgische Gesezgebung nicht erlaubt, verhaftete Verbrecher iu dieser Weise als Beugen zu verwenden.

Art. 16. Das belgische Ministerium machte uns den Vorschlag, diesen Vertrag aus 5 Jahre abzuschliessen , welchem Ansuchen wir aber nicht beistimmen konnten. Der gegenwärtig noch in Kraft bestehende Vertrag hat sieh in pra^i sur uns werthlos gezeigt, und wir mochten mit dem neuen uns nicht auf zu lange Zeit biuden, ehe er seine Vrobe bestanden hat. Wir haben mit Ablieferungsverträgen sehon sehr missbeliebige Ersahrungeu gemacht, so uamentlich mit .Amerika.

Daher wurde die Bestimmung aufgenommen, dass der Vertrag jederzeit gekündet werden konne und ein Jahr nach dieser Kündigung ausser Kraft trete.

Wir wollten zuerst nur eine Zeit von .^ Monaten feststen, fanden aber doch, dass diese ^rift ^u kür^ .^äre, um in der Zwischenzeit allsällig neue Unterhandlungen zu Eude führen zu konnen. Wir wollen zwar annehmen,

dass die Hanptübelstände des alten Vertrages beseitigt seien und dass bei

beidseitig gutem Willen die neuen Bestimmungen sich bewähren werden.

Aber die belgische Regierung ist durch ihre Gesezgebung in. der freien Bewegung sehr gehemmt, so dass ein sestes Abkommen auf längere Zeit nicht gerathen schien. Bewährt sich der Vertrag, so wird ohnehin Riemand an eine Kündigung denken.

499 Der Bundesrath gibt sich die Ehre, der h. Bundesversammlung nachstehenden Beschlussentwurf zur Genehmigung zu unterbreiten :

der

Die Bundesversammlung schweizerischen Eidgenossenschaft,

nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 29. November

1869,

beschließt: 1. Es wird dem zwischen der Schweiz und Belgien am 24. Ro..^ember 1869 zu Bern abgeschlossenen Vertrag, betreffend gegenseitige Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigten , die vorbehaltene

Ratifikation extheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses

beaustragt.

B e r n , den 29. November 1869.

Jm Ramen des schweizerischen Bundesrathes,.

Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

^elti.

Der Kanzler der Eidgenossenschast:

S^.

^ ^ ^ .

^

^00^

Ansliefernngsvertrag ^wts.hen

der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich

Belgien.

(Vom 24. November 1869.)

Die schweizerische .Eidgenossenschaft und Seine Majestät der König der Belgier haben in dex Absieht , die Uebereinkunst, betreffend gegenseitige Auslieferung der Verbrecher, vom 11/14. September 1846, einer Revision zu unterwersen., hiesür zu ihren Bevollmächtigten ernannt, nämlich: ^r .^nnde.^th der schweizerischen ^d.^nossensch....^ : Herrn Joseph Martin Knüsel, Bundesrath und Vorsteher des Justi^ und Polizeidepartements, und Seine ^.^je^t d...r ^önig ...er ^l^ier: Herrn Joseph R i g u e t , Fürst von Earaman, Ritter des Leopoldordens ..e. .e., seinen Geschäftsträger bei der schweizerischen EidGenossenschaft,

weiche nach gegenseitiger Mittheilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten sieh über den Vertrag geeinigt haben, dessen Wortlaut hier folgt:.

^lieferun^ertr^ zwischen der Schweiz und Belgien.

Art. 1.

Die Regieruug der schweizerischen Eidgenossenschaft und die Regie...ung Sr. M. des Königs der Belgier verpflichten sich gegenseitig , auf ^das von einer der beiden Regierungen gestellte Begehren, mit Ausnahme

501 der eigenen Staatsangehörigen, diejenigen Jndividuen auszuliefern, welche

als Urheber oder Mitschuldige eines dex im Art. 2 hienach ausgewählten

Verbrechen oder Vergehen von den zuständigen Behorden desjenigen der ^ beiden Länder, wo die Gesezesvexlezung begangen worden ist, verfolgt werden oder vexurtheilt worden sind und sich auf das Gebiet des einen oder des andern der beiden kontrahirenden Staaten geflüchtet haben.

Art. 2.

Die im vorhergehenden Artikel vorgesehenen Verbrechen und Ver^ehen sind:

^ 1. Mord.

2. Verwandtenmord.

3. Kindsmord.

4. Vergiftung.

5. Todtschlag.^ 6. Abtreibung dex Leibesfrucht.

7. Rothzucht 8. Bigamie.

9. Mit

Gewalttätigkeit vollendeter

oder versuchter Angriff auf die

Schamhastigkeit.

10. Ohne Gewalttätigkeit vollendeter oder versuchter Angriff auf die Schamhaftigkeit an oder mittelst dex Verson von Kindern beiderlei Geschlechtes unter dem Alter von 14 Jahren.

11. Verlegung der Sittlichkeit durch gewerbsmäßige Forderung, Vegünstigung uud Erleichterung dex Sittenlosigkeit oder Ausschweifung der Jugeud des eiuen oder andern Geschlechtes unter den.

Alter von 21 Jahren behufs der Unzucht Anderer.

12. Entführung von Minderjährigen.

13. Aussezuug oder Verlassuug von ^Kindern.

14. Wegnahme, Verheimlichung, Unterdrükung , Vertauschung oder Unterschiebung von Kindern.

15. Absichtliche Korperverlezuug, die den Tod oder eine Krankheit oder

bleibende Arbeitsunfähigkeit, die Verstümmelung, die Amputation oder die Unbrauchbarkeit eines Gliedes, Erblindung, Verlust

eines Organs, oder andere bleibende Gebrechen zur ^olge hatte.

16. Komplott zur ^Ausübung von Gesezesübertretungen, die in diesem Vertrage vorgesehen sind.

17. Bedrohung von Bersonen oder Eigenthum , die im Verbrechensgxade strafbar ist.

18. Widerrechtlich begangene ..^erlezung des Hausrechtes durch Vrivatpersonen.

502 19. Erpressung.

20.

Ungesezliche Gefangenhaltung von Bersonen durch Vrivate.

21. Absichtliche Brandstiftung.

22. Diebstahl und Unterschlagung.

23. Brellerei und Betrug.

24. Vertrauensmissbrauch, Amtsmissbrauch und Bestechung öffentlicher Beamten.

25. Unterschlagung ^..uxch öffentliche Beamte.

26. Münzfälschung, inbegrifsen das nachahmen und die Fälschung von Münzen, das Ausgeben und Jnvexkehrsezen der falschen und ge^ fälschten Münzen, sowie Betrug in der Auswahl der Versuchstüke

zur Ermittlung des Gehaltes und des Gewichtes der Münzen.

27. Nachahmung oder Fälschung von Staatspapieren oder Banknoten, von öffentlichen oder privaten Wertpapieren, Ausgabe oder Jn^ verkehrten solcher nachgeahmter oder gesälsehter Staatspapiere, Banknoten oder Werthsehristen ; Fälschung in der Schrift oder in telegraphisehen Depeschen und Gebrauch solcher nachgeahmten, gemachten oder gesälschten Depeschen , Staatspapiere , Banknoten und Wertpapiere.

Nachahmung oder Fälschung von Siegeln, Stempeln, Kontrolstempeln und Marken ; Gebrauch von nachgeahmten und gefälschten Siegeln, Stempeln, Kontrolstempeln und Marken und Missbrauch achter Siegel, Stempel, .^ontrolstempel und Marken.

28. Fälschung in öffentlichen und authentischen Urkundeu , oder in Handels- oder Brivatschriften.

29. Betrügerischer Gebrauch der verschiedenen Fälschungen.

30. Falsches Zeugniss und falsche Expertise.

31. Meineid.

32.

33.

34.

35.

Bestechung von Zengen und Experten.

Betrügerischer Bankerott und Betrug im Jn strafbarer Absieht verübte Zerstörung Eisenbahnen, Telegraphenapparaten oder Jede Zerstörung oder Beschädigung von

weglichem Eigenthum.

Konkurs.

oder Beschädigung von Telegraphenlinien.

beweglichem oder unbe-

Vergütung von Hausthieren oder von Fischen in Teichen, Fifehweihern oder Behältern.

Jn den vorstehenden Begriffsbezeichnungen ift der Versuch von allen Handlungen inbegrissen , welche durch die Gesezgebung beider kontrahirenden Länder als Verbrechen oder Vergehen bestrast werden.

503 Jn allen diesen Fällen jedoch , ob es steh um Verbrechen oder um Vergehen handle, kann die Auslieferung nur stattfinden, wenn die gleiche Handlung nach der Gesezgebung desjenigen Landes, an welches das Begehren gerichtet wird, ebensalls strasbar ist.

Art. 3.

Die politischen Verbrechen und Vergehen sind pon dem gegenbärtigen Vertrage ausgeschlossen.

Es ist ausdrüklich sestgesezt . dass ein Jndividuum , dessen AusLieferung gewährt worden ist, in keinem Falle weder wegen irgend eines seiner Auslieferung vorangegangenen politischen Vergehens, noch wegen einer Handlung , die mit einem solchen Vergehen konnex^ ist , verfolgt oder bestrast werden dars. Ebenso dars Niemand wegen irgend eines, in der gegenwärtigen Uebereinkuust nicht vorgesehenen Verbrechens oder Vergehens verfolgt oder bestraft werden.

Art. 4.

Das Auslieserun^sbegehxen muss immer aus diplomatischem Wege gestellt werden.

Art. 5.

Wer wegen einer der im Art. 2 des gegenwärtigen Vertrags vorgeseheneu Handlung versolgt wird , soll auf den Vorweis eines Verhaftsbesehls oder einer andern die nämliche Geltung besizenden Urkunde, welche von der zuständigen auswärtigen Behorde ausgestellt und im diplomatischen Wege beigebracht ist, vorläufig verhastet werden.

Jn dringenden Fällen soll die provisorische Verhaftung auch stattfinden aus die durch die Vost oder durch deu Telegraphen gemachte Anzeige , dass ein Verhastsbesehl bestehe , immerhin unter der Bedingung,

dass diese .anzeige, wenn der Augeklagte sich nach der Schweiz geflüchtet

hat , dem Bundespräsidenten oder, wenn sich der Angeklagte nach Belgien geflüchtet hat, dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in gehoriger Form anf diplomatischem Wege gemacht werde.

Die provisorische Verhastung soll in der ^orm uud uach den Regeln vollzogen werden , welche die Gesezgebung der Regierung , an die jenes Ansuchen gestellt worden ist, vorschreibt. sie soll aber aushoren, wenn naeh drei Wochen von dem Moment der Vollziehung an gerechnet,

der Angeschuldigte nicht Mittheilung von dem durch die zuständige auswärtige Behorde erlassenen Verhastsbesehl erhalten hat.

Wenn der Angeschuldigte in der vorgeschriebenen ^rist von dem durch die auswärtige zuständige Behorde gegen ihn ausgestellten Verhaftsbefehl Mittheilung erhalten hat, so ist seine provisorische Verhastung

504 während zwei Monaten, von dem Zeitpunkte ihrer Vollziehung an gerechnet, aufrecht zu erhalten.

Die provisorische Verhaftung wird ausgehoben werden , wenn ber

Ablauf dieser Frist der Angeschuldigte nicht Mittheilung erhalten hat,.

entweder von einer Verurtheilung, oder von einem Erkenntniss der Gerichts..

kammer (ordonnance de la Chambre du conseil), oder einem Entscheide der Anklagekammer, oder von einer kriminalgerichtlichen oder zncht^ polizeilichen, von der kompetenten Behorde erlassenen Verfügung, wodurch das angeschuldigte oder in Anklagezustand versezte Jndividuum formlich und gesezmässig dem Strafrichter überwiesen wird.

Wenn die Auslieferung stattzufinden hat, so wird der um die Auslieserung angegangene Staat dem andern Staate, der sie verlangt, aus dessen Begehren die nothige Zeit gestatten , damit er steh der Mitwirkung der Behorden der ^wischenliegenden Staaten versichern kann , und sobald diese Mitwirkung erlangt ist , soll das auszuliesernde Jndividunm an der Gränze des^taates, bei dem dieselbe nachgesucht worden, ^ur Ver^.

sügung des nachsuchenden Staates gestellt werden.

Der leztern wird von Tag und Ort , an welchem die Uebergabe Bewerkstelligt werden kann, Anzeige gemacht werden.

Art. 6.

Wenn eine Auslieserung stattzufinden hat, so sollen alle s^nestrirten Gegenstände, welche geeignet sind, das Verbrechen oder Vergehen zu konstatiren, sowie diejenigen Gegenstände, welche vom Diebstahl herrühren , nach Ermessen der kompetenten Behorde der die Auslieferung begehrenden Regierung zugestellt werden, gleichviel, ob die Auslieferung

infolge Verhaftung des Angeklagten wirklieh stattfinden kann oder ob solches nicht moglich ist, weil der Angeklagte oder der Verurthe.lt.. sich aufs Reue geflüchtet hat oder gestorben ist.

Gleiehermassen sollen alle Gegenstände ansgeliesert werdeu, die der Augeklagte in dem Lande, in das er sieh geflüchtet, verstekt oder in Verwahrung gegeben hat und die später ausgefnnden werden sollten.

Jmmerhin bleiben die Rechte , welche dritte , in die Untersuchung nicht verwikelte Bersonen aus die im gegenwärtigen Artikel bezeichneten Gegenstände allfällig erworben haben.

Art. 7.

Die Auslieferung wird nur bewilligt entweder aus die Beibringung eines Urtheiles oder eines Erkenntnisses der Gerichtskammer (Cambre de Conseil), oder eines Entscheides dex Anklagekammer, oder eines kriminalrechtlichen oder zuchtpolizeilichen, von dem kompetenten Richter oder der kompetenten Behorde erlassenen Versügnng , wodurch .das angeschuldigte oder in Anklagestand versehe Jndividuum formlich und .^esezmässig den. ^txafrichter überwiesen wird.

505 Diese Akten müssen in Original oder in amtlich beglaubigte... Abfchrift in der durch die ...^esezgebung des Staates, der die Auslieferung verlangt, vorgeschriebenen Form ausgestellt sein.

Sie sollen, so weit moglich, das Signalement des auszuliefernden Jndipiduums, son.ie eine Abschrift der auf die eingeklagte Handlung anwendbaren Gesezesbestimmungen enthalten.

Wenn über die Frage^ Zweifel entsteht , ob das Verbrechen oder Vergehen, welches Gegenstand der Verfolgung ist, unter die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages falle, so werden Erklärungen verlangt und ^ach Vrüsung derselben wird die Regierung, an welche das Auslieferungsbegehren gerichtet ist, darüber entscheiden, ob demselben Folge .zu geben sei.

Art. 8.

Wenn das Jndividuum, dessen Auslieferung verlangt wird, in dem Lande wohin es sich geflüchtet hat, wegen eines dort begangenen Vergehens oder Verbrechens in Untersuchung gezogen oder perurtheilt ist, so kann seine Ausliesernng perschoben werden, bis diese Untersuchung niedergeschlagen oder bis der Angeklagte freigesprochen oder der Untersuehung entlassen ist, oder bis zu dem Zeitpunkte, wo er seine Strafe a.usgestanden haben wird.

Jst dieses Jndividuum in dem gleichen Lande wegen Verpflichtungen, die es gegenüber von Privatpersonen eingegangen hat, angeklagt oder verhastet, so soll die Auslieferung dennoeh stattfinden ; es bleibt aber der geschädigten ^artei vorbehalten, ihre Rechte vor der zuständigen Behorde ^geltend zu machen.

. Wird die Auslieferung des gleichen^ Jndividuums von zwei Staaten wegen verschiedener Verbrechen oder Vergehen verlangt , so wird die darum angesprochene Regierung nach Massgabe der grossern Strafbarkeit der eingeklagten Handlung oder der grosseren Leichtigkeit, mit welcher der Verfolgte, sofern Grund hiezu vorhanden ist, von einem Land naeh dem andern überliefert werden kann, um für die eine Anklage naeh der andern por Gerieht gestellt zu werden, darüber entscheiden.

Art. 9. ^ Das ausgelieferte Jndividuum kann für keine andere Gesezesverlezung verfolgt oder verurtheilt werden als für . diejenige , welche die

Auslieferung begründet hat, es sei denn, dass der Angeklagte hiezn aus^ drüklieh und freiwillig zugestimmt habe und dass diese seine Einwilligung dem ausliefernden Staate zur Kenntniss gebracht worden sei.

506 Art. 10.

Die Auslieferung kann verweigert werden , wenn v^m Zeitpunkte der eingeklagten Handlung oder der Untersuchung, oder der Vernrthe^ lung an nach den gesezen desjenigen Landes, in welches der Angeklagte sich geflüchtet hat, die Verjährung der Strafe oder der An.la^e e^getreten ist.

Art. 11.

Die tosten der Verhaftung , der Gefangenhaltung , der Ueberwachung, der Verpflegung und des Transportes der Ausgelieferten oder der Zustellung und des Transportes der in Art. 6 dieses Vertrage^ erwähnten Gegenstände nach dem Orte, wo die^Uebergabe stattfinden soll, fallen demjenigen der beiden Staaten zur Last, auf dessen Gebiet die Ausgelieferten verhaftet worden flnd. Wenn der Transport per Eisenbahn verlangt wird, so hat er aus diesem Wege stattzufinden.

Die den zwischenliegeuden Staaten durch die Auslieferung erwachsenden Trausport- und andern Kosten werden von dem die Auslieferung verlangenden Staate gemäss der vorzuweisenden Belege bezahlt.

Art. 12.

Der Transit eines Jndividuums zum Zweke der Auslieferung desselben von einer fremden Regierung an eine andere kann durch die Schweiz oder Belgien, auf die in Original oder authentischer Abschrift gescheheue Vorlage einer der im Art. 7 erwähnten Brozessakte bewilligt werden , wenn jenes Judividuum dem Lande , welches transitât werden muss, nicht angehort, und wenn die Schweiz und Belgien mit derjenigen Regierung, an welche die Auslieferung stattfindet, einen Vertrag haben, in welchem die Gesezübertretuug , die Anlass zur Auslieferung gab, enthalten ist, immerhin Bunter der Bedinguug , ^dass die Gese^verlezung , welche die Verfolgung veranlag hat , nicht in den Bereich der Artikel 3 und 10 des gegenwärtigen Vertrages falle.

Die durch diesen Transit veranlagten Kosten müssen von dem Staate, der die Auslieferung verlangt hat, getragen und auf Vorweis der Belegeakten bezahlt werden.

Art. 13.

Wenn im Laufe eines Strafverfahrens nicht politischer Ratur eine der beiden Regierungen die Abhorung vou Zeugen, welche in dem andern Staate wohnen, oder die Vornahme jeder andern Untersnehuugshaudlung für nothig erachtet, so soll zu diesem Z....eke aus diplomatischem Wege ein Rogatorium (Re.fuisitorial.) eingesandt und es soll demselben durch die kompetenten Beamten Folge gegeben werden gemäss den Gesezen des Landes, in welchem die Abhorung der Zeugen stattfinden soll.

507 Die betreffenden Regierungen verzichten aus jede Forderung, welche zum Zweke hätte, die Rükerstattung der Kosten , die durch den Vollzug der Rogatorien entstehen, zu verlangen, es wäre denn, dass es sich um Ausgaben für .Kriminal-, Handels- oder gerichtlich-medizinische Ex^pertisen handelte. Ebenso kann keinerlei Ersazsordernng gestellt werden für Kosten gerichtlicher Handlungen , die von Beamten des einen oder andern Staates freiwillig vorgenommen worden sind zum Zweke der Feststellung von strafbaren Handlungen, die auf dem^ebiete der beiden Staaten von einem später in seinem Heimatlande den bestehenden Gesezen ^emäss in Untersuchung gezogenen Fremden begangen worden sind.

Art. 14.

Wenn im Lause eines Strafverfahrens nicht politischer Ratur der belgischen Regieruug die amtliche Zustellung eines Uutersuchuugsaktes oder eines Urtheils an einen Schweizer oder an einen Belgier nothwendig erscheint und umgekehrt , so soll das in diplomatischem Wege übermittelte Aktenstük aus Anordnung des Staatsanwaltes am Wohnorte durch die Vermittlung des kompetenten Beamten der betreffenden Ver so n s e l b s t zugestellt werden, und es soll das die Anleguug konstatirende Original mit dem Visum versehen der rea^uirirenden Regierung auf demselben Wege z urükgeschikt werden.

Art. 15.

Wenn in einer nicht politischen Strassache das persönliche Erscheine.n eines Zeugen uothwendig ist , so soll derselbe von der Regierung des Landes, in dem er wohnt, eingeladen werden, der au ihn ergaugenen Vorladung ^olge zu leisten. Jm ^alle der Zeuge erscheinen will, so sind ihm die Reise- und Aufenthaltsorten uach den in dem Lande, wo die Abhorung stattfinden soll, in Kraft bestehenden Tarifen uud Verordnungen zu vergüten.

Keiu Zeuge, welchem Laude er immer angehore, der in einem der beiden Länder eitirt worden ist und freiwillig vor dem Richter des andern Landes erseheint , dars für frühere kriminelle oder ^..chtpolizeiliehe Handlungen oder Verurtheilungen, oder unter dem Vorwande der Mitschuld an den Handlungen , welche den Gegenstand des Brozesses bilden , in dem er als Zeuge erscheint, versolgt oder verhastet werden.

Art. 16.

^...er gegenwärtige Vertrag tritt ...n die Stelle desjeuigeu vom

11,^14. September 1846.

Der Zeitpunkt, an welchem er in Kraft treten soll, wird im Vrotokoll über die Auswechslung der Ratifikationen festgestellt werden.

.508 Dieser Vertrag kann zu jeder Zeit von jedem der kontrahirenden Staaten gekündigt werden. Di... .Kündigung wird aber erst nach Ablauf eines Jahres vom Zeitpunkte der Notifikation an gerechnet wirksam.

Art. 17.

Der gegenwärtige Vertrag soll ratisizirt und die Ratifikationsurkunden sollen in Bern binnen drei Monaten oder früher, wenn es moglich ist, ausgewechselt werden.

Dessen zur Urkunde haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den-

selben unterzeichnet und ihre Siegel beigedrükt.

^

So geschehen in doppelter Ausfertigung in Bern am 24. November

1869.

^(L. ...) (Gez.) ^. .^. ^nufel.

(L. .^.) (Gez.) l^e .^ ^^^^..

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509

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Botschaft des ^

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend Feststellung des ursprünglichen Anlagekapitals der schweizerischen Eisenbahnen..

(Vom 29. November 1869.)

Tit..

Angesichts der wiederholten Bemerkungen , welche in den lezten Jahren bei Anlass der Prüfung des Geschäftsberichts darüber gemacht

worden sind, dass eine definitive Feststellung des Anlagekapitals der.

Eisenbahnen immer noch nicht stattgefunden habe , musste es wüuschbar erscheinen , diese Frage eiumal zum Gegenstand einer besondern Besprechung zu macheu und dadurch in der einen oder anderen Weise zur Erledigung zu bringen. Zu diesem Zweke wnrde bei Gelegenheit der

Behandlung des Geschäftsberichts vom Jahr 1868 das Vostulat ge-

stellt, der Bundesrath sei eingeladen, Bericht und Antrag

darüber

vorzulegen, ob die Feststellung des Anlagekapitals der schwei-

z e r i s c h e u E i s e n b a h n e n j e z t s c h o n s t a t t f i n d e n s o l l e , und in welcher Weise bejahendenfalls bei dieser Ermittlung und Feststelluug zu versahreu sei.

Wir beehren uns nunmehr, in Nachfolgendem unsere Ansichten über diese Frage vorzulegen.

Bundesblatt. Jahrg. XXI. Bd. III.

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Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Belgien. (Vom 29. November 1869.)

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1869

Année Anno Band

3

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49

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11.12.1869

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489-509

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10 006 335

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