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der

ständeräthlichen Rekurskommission , betreffend den Rekurs de-.

Melchior Nue di von Hasle, Kts. Luzern, wohnhaft in Baden, Kts. Aargau, wegen

Heiratsverweigerung.

(Vom 11. Dezember 1868.) .

Tit..

Jndem sich d.e Kommission in thatsä..hlicher Hinsicht im Allgemeinen aus den .faktischen Theil des Bundesrathsbesehlnsses vom ..). .September 1868) berust, hat sie demselben jedoch sollende Ergänzung, beziehungsweise Berichtigung beizufügen : Unter den Gründen, woraus die Regierung von Luzern ihren Entscheid stülpt, scheint die Ausschreibung des R..kurrenten im schweizerischen Bolizeianzeiger von Seiten der Bolizei des Kantons St. Gallen vom 28. Mai 1868 eine hervorragende Stelle eingenommen zn haben, wo.nach der Rekurrent wegen Diebstahls mit Einbruch und Unterschlagung zur Fahndnug ausgeschrieben ware und sieh mit Hinterlassung seiues Heimatscheines von seinem Meister entfernt hätte.

Gemäss Erklärnug des Bezirksamtmannes Bopp-Weiss in Baden vom 23. September ist jedo.h beengt, ,,dass diese Ausschreibung nicht den Melchior Ruedi (den Rekuxrenten) , sondern einen Jos. Ganz, Schustergeselle, von Hasle, Kt. Luzern, welcher dort in Untersuchung gestanden, betrifft, und der den Heimatschein des Ruedi aus salane Weise entwendet hatte. .. .

Bundesblatt von 1868, Bd. III, S. 915.

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Der Gemeinderath pon Hasle berichtet mittelst Zuschrift an .den Regierungsrath des Kantons Luzern vom 28. .November l. J., daß in der Gemeinde Hasle seit Menschengedenken kein Bürger mit Ramen Jos. Ganz bekannt^ sei, und hält den Entlastungsbeweis zu Gunsten

des Melchior Ruedi desshalb nicht sür geführt, weil derselbe unterlassen, von der P o l i z e i b e h ö r d e des Kts. St. G a l l e n , von welcher die Aussehreibung ausgegangen war, eine Bescheinigung seiner Sehnldlosig-

keit beizubringen.

Der Regierungsrath von Luzern begleitet die Mittheilung des ge-

meinderäthlichen Schreibens mit d e r Erklärung (vom 1. Dezember) an den Bundesrath, ,.dass das Zeugniss des Bezirksamtmannes von Baden auch auf ihn (den Regiernugsrath) den Eindruck gemacht habe, dass dieses Zeugniss nicht in allweg richtig sein könne. Judem somit ein H a u p t p u n k t unserer Eheverweigerung vom 16. Dezember 1867 nicht

gründlich beseitiget ist, so Beharren wir ans dem ertheilten Abschlage.^

Der Bundesrath endlieh übermittelt die sämmtlichen Ulkten am 4. diess der Bundesversammlung mit dem Bemerken, ,,dass sich der Bundesrath zu keinen weitern Erörterungen veranlagt sehe.^ Die Ko^nmissiou ihrerseits ist dagegen der Ansicht, dass durch das mehreru.ähnte Zeugniss des Bezirksamtmanns von Baden sieh der Sachverhalt in geradezu massgebender Weise verändert habe. Rach ihrem Dafürhalten muss der H a u p t p u n k t , woraus die Regierung von Luzern die Eheverweigernng gründet, als dahiugesalleu betrachtet werden. Abgesehen davon, dass der G e m e i n d e r a t h von Hasle die von ihm e r h o b e n e n Einsprachsgründe und uieht umgekehrt der Melchior Ruedi deren U u b e g r ü n d e t h e i t nachzuweisen hat, ist nunmehr sestgestellt,

dass di.^ polizeiliche Ausschreibung wegen Diebstahl und Unterschlagung

und das indizirende Moment der flucht mit Hinterlassung des Heimatscheines ---ein M e h r e x e s aber lag niemals vor - den R e k u r r e n t e n nicht besehlägt.

Wenn es sieh nun, .^it., fragt, in welcher Weise dieser Umstand von der rapportirendeu Kommission zu würdigen sei, so müssen wir noth^ wendig den Standpunkt mit eiu Vaar Worten erörtern, vou welchem aus Beschwerden über Verweigerung gemischter Ehen zu beurtheileu sind.

Ju dieser Beziehung siud einerseits der Wortlaut des ^lrt. 3 des Bundesgese^es vom 3. Dezember 1850: ^.Bestehen gegen eine solche Ehe

keine geglichen Hindernisse, so ist die Bewilligung zur Kopulation entweder dnr.h eine geistliehe oder weltliehe Behörde auszustellen^) - und anderseits die Auslegung massgebend, welche. iu einer R.^ihe von fällen der Art. 3 ^es Bundesgese^es gesunden hat (siehe Erwägung 1 des Bundesrathsbeschlusses vom 9. September 1868). Znm ersten Male ist die ^rage in ihrer grundsätzlichen Schärfe beantwortet in dem Ge-

Bund^blat... ^ahrg.XXI.Bd.I.

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schäftsberichte des Bundesrathes vom Jahre 1861 , wo es in Bezug auf den Fall des Anton Bisaug von Egolzwhl heisst :

,,Der Bundesrath hat mit Besehluss vom 27. September 1861 den Rekurs^ begründet erklärt und die Regierung des Kantons Luzern eingeladen, dem Rekurrenten die zu seiner Verehelichung erforderlichen Bapiere ausstellen zu lassen. Dieser Entscheid gründet sieh aus folgende Erwägungen : ,,1) Gemäss wiederholten Entscheidungen des Buudesrathes kann es keinem Zweifel unterliegen, dass den Bundesbehörden eine Be.urtheilnng der Motive zustehen muss, aus denen die Bewilliguug einer gemischten Ehe verweigert ..^ird, iudem nur aus diese Weise

denselben die Möglichkeit gegeben ist, ihrer ^Bslicht zur Fürsorge für die gleichmässige Vollziehung des bezüglichen Bundesweites

^u genügen.

,,2) Jm Allgemeinen mnss bei der Beurtheilnng dieser fragen der Grundsal^ gelten, dass handluugssähigeu, wohlbeleumdeten, arbeitstüchtigen und mit gehörigem Verdienste versehenen Bersonen die Berechtigung zur Eiugehuug einer solchen Ehe zustehe, und dass sie desshalb bei diesem ihren. natürlichen Rechte so lange zu schüfen sind, bis von Seite allfälliger Einspreeher (Behörden, Verwandte u. s. f.^ der Nachweis in genügender Art für das Vorhandensein

eines gesetzlichen Ehehindernisses geleistet wird.

,,^) Jm vorliegenden Falle mangelt es an einem solchen . Nachweis von Seite der Behörden des Kantons Lnzern , indem bei der Thatsache eines vorhandenen ordentlichen Verdienstes der Ver.lobten, blosse vage Zweisel an der Möglichkeit des Unterhaltes einer ^amilie um so weniger die Stelle eines solchen Beweises zu vertreten geeignet fiud, als sonst mit solchen Gründen die gesammte arbeitende Klasse von der Ehe ausgeschlossen werden könnte.^ Die stäuderäthliche Geschästsberiehtskommission nahln von dieser ^neuen Gese^es-Jnterpretation des Bundesrathes in folgenden Worten

Akt:

,,Rach den. Buudesgesel^e von. 3.^Dezen.ber 1850 soll der Unterschied der Konfession kein Hiuderniss sur die Eingehung einer gemischten Ehe bil^ den dürfen, und es wird wohl äusserst selten oder gar nie, soweit der Bestimmungsgrund in die. ^..effeutlichkeit gelangt, aus jenem Grunde die Eingehung einer gemischten Ehe verweigert. Gleichwohl kann man sieh, angesichts der eben erwähnten ..^hatsaehe, dem Zweifel nicht erwehren, als ob denn doch unter dem Eindrucke widerstrebender Begrisfe und Ansehaunngen bisweilen konfessionelle Motive mitwirken würden. Die Kommission erklärt sich ausdrücklich mit den. Bundesrathe darüber einverstanden, dass

155 es ebensowohl in seiner Besugniss als Verpflichtung liege, in jedem einzelnen Falle den Eharakter der Eheeiusprache nach den ihm (dem Bundesrathe) ^u Gebote stehenden Erkenntniss.^ellen selbstständig zu prüfen uud also unter Umständen die lettere in Zuwendung des Bundesgese^es vom 3. Dezember l 850 auch dann^umal zu. verwerfen, wenn die betrefseude Kautoualbehorde erklärt, dass der Einsprachsgruud nicht in der Koufessionsverschiedenheit der Brautleute, sondern lediglich in mangelnden Subsis..e..zmitteln u. dgl. zu suchen sei, worüber ihr (der Cantonalbehorde) ausschliesslich das Entscheidungsrecht zukomme. Diese selbsteigene

Prüfung des Buudesrathes. wenn sie gegen Alle gleichmässig und über-

haupt auf einer objektiven Basis geübt werden soll, kann nun aber kaum in eiuer anderen Weise vorgenommen werden, als indem eben gewisse, aus der Ratnr der Sache, der Gesetzgebung der Kantone uud insbesondere aus der bei uicht gemischten Ehen beobachteten Brar^is des betreffenden Kantons hergeleitete a l l g e m e i n e Erfordernisse für die Bereehtiguug zur Eingehung eiuer Ehe (aus dem Titel des Armeuwesens) als lei-

tende Gesichtspuukte ausgestellt werden , uud sofern diese erfüllt siud,

nicht zwar sofort uud nothwendig (da^ eine Verschiedenheit in der Werthuug uud Beurtheiluug der massgebendeu Faktoreu gedenkbar ist) die ^chlussfolgeruug ^la^ greift , es sei m kraudem le^s die Konfessionsverschiedenheit als .das geheime Motiv der Einsprache zu betrachten, wohl aber das freie Ermessen des Bundesrathes über diesen Bnnkt eintreten darf und soll. Jndem wir also grundsä^lieh die Anschauungsweise des Buudesrathes (S. 255--.257) vollkommen billigen, soll hiemit siir die Beurtheilu^g eiuer von der Regierung des Standes Luzern auhäugig ge^uaehten Beschwerde (in dem Rekursfalle Bisang) in keiner Weise präjudi^irt sein, indem die Anwendbarkeit der hier erorterten Maximen an und für sieh und im gegebenen ^alle gerade den eigentlichen Streit^ punkt ausn^acht.^ Seither sind die hier uiedergelegten Maximen durch eine konstante .^ra^is ^um geltenden Bundesreeht erhoben worden.

Gleichwohl bietet deren Anwenduug im vorliegenden Falle einige Schwierigkeit. Der Grundgedanke derselben scheint uus nämlich uieht so sast der zu sein, dass - im Gegensal^e zu den nicht gemisehten^Ehen, u.it Bezug auf welche dem Bunde überall gar keine Einmischung zukommt - die Bundesbehorden gleichwie eine Appellationsinstan.. nach a b s o l u t freiem Ermessen die Gesetzmässigkeit der kantonalen Eheverweigernngsbeschlüsse prüsen konnten , sondern es ist das Gegentheil der ledern als ein Moment erklärt, welches der Verweigerung aus d e m G r u n d e d e r K o n s e s s i o n s v e r s c h i e d e n h e i t g.leich g e a c h t e t w i r d uud das somit jede Untersuchuug über ein Motiv der le^tern Art überflüssig macht. .^b nun aber in einem g e g e b e n e n ^alle die^ Uugesetzmässigl^eit einer Eheverweigernng vom k a n t o n a l e n Standpunkte

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aus in s o l c h e r .Liquidität vorliege, dass die V e r m u t h u n g einer

Umgehung des Bund esgeset^es über die gemischten Ehen Blatz zn greifen habe, ist hänsig eine qu^stio kacti, bei deren Losung stets mehr oder weniger die i n d i v i d u e l l e Anschauung ihren .^lntheil haben wird.

Ergibt es sich indess, dass die kantonalen Behörden jedensalls bei ihrer Entscheidung der Konsessionsverschiedenheit keinen Einfluss gestattet haben, so ist man nicht berechtiget, aus ihre Entscheidungen einen Massstab anzulegen, welchen man bei nicht gemischten Ehen nicht anlegen dürste.

Wenden wir nun diese Grundsätze aus den vorwürfen Fall an, so kommen wir zu folgendem Schluss. Wir sind überzeugt,. dass die Regierung von ^uzern unter den Voraussetzungen, unter welchen sie ihren Entscheid gefasst, in g u t e n T r e u e n gehandelt. d. h. die Be-

willigung zur Eingehung der Ehe desshalb verweigert hat, weil sie,

namentlich im Hinblick ^auf die Diebstahlsa..klage, gegenüber dem Reknrrenten in .Verbindung mit dessen Vermogenslosigkeit die Besorgniss hatte, es werde derselbe, beziehungsweise dessen Familie, der Gemeinde zur .^ast fallen.

.^lus dem im saktischen Theile angesührten Grunde ist diese Annahme oder wenigstens deren hauptsächlichste Unterlage zum Mindesten nicht erwiesen oder glaubhaft bescheiniget. Es liesse sich daher wohl rechtfertigen, wenn die Kommission unter solchen Umständen knrzweg die Aushebung der regiernugsräthliehen Schlussuahme beantragen würde, da die übrigen Einsprachsgründe sich in der That als durchaus unstichhal-

tig darstellen. Wirklich war die Kommission anfänglich getheilter ^lnsicht, und wenn sich dieselbe schließlich aus denjenigen Rückweisungsantrag geeiniget hat, welcher Jhnen gedruckt vorliegt, so geschah es wesentlich aus folgender Betrachtung :

Der Regierungsrath des Kantons Luzern erklärt ausdrücklich, dass der durch die Volizeiausschreibung hervorgerufene und zur Zeit noch nicht gehobene Verdacht eines verübten Verbrechens das hauptsächlichste Motiv der Ehever.veigerung bilde. Wenn nun z.^.ar die Kommission das that-

sächliche Verhältnis zu Gunsten des Melch. Ruedi bereits als ausgeklärt

und jedenfalls den dem G e m e i n d e r a t h o b l i e g e n d e n Schuldbeweis als uieht geführt erachtet, so kann sie audexseits doch nicht verkennen, einmal dass es ein nicht aus d^r Konse.ssiousverschiedenheit hergeleitetes, sondern sachlich erhebliches Bedenken ist, über welches die zustäudige kautonale Behorde no^h nicht hinweggekommen ist, und sodauu, dass, da hier vor ^.lllem ans auch Gesichtspunkte des o s f e n t l i c h e n Rechtes ins Gewicht fallen, es doch angemessen erscheint, dem Regierungsrathe vorerst noch die Gelegenheit zur g e n a u e n Feststellung des Tatbestandes zu erofsnen. ^s .^äre immerhin unpassend, von Bundes wegen einen Zwang zur Ehebewilligung ausgeübt zu haben, wenn sich unmittelbar nachher, allerdings gegen uus^ Erwartung, eine Beziehung des Melch.

157 Ruedi zu dem Diebstahlseinbruche im Kanton St. Gallen herausstellen

und also derjenige hauptsächlichste Einsprachsgrund sich bestätigen sollte, bei dessen Vorhandensein die Bundesintervention nicht Bla^ gegriffen hätte. Die ledere kann gegenwärtig um so eher ausgewicheu werden, als ja nach der eigenen Erklärung der Regierung des Kantons ^nzern angenommen werden darf, dieselbe .x.erde nach Einsicht des gegenwärtig gen Kommissionalberiehtes beziehungsweise nach genauerer Ermittlung des Tatbestandes in dem hier vorausgesehen Sinne den Eheverweigerungsbeschluss zurücknehmen. Würde dies dennoch nicht geschehen, so kann die Kommission ihren Standpunkt in der Frage wohl nicht besser kenn-

zeichnen, als indem wir schliesslieh erklären, dass wir, in die Rothwendig-

keit eines definitiven Entscheides verseht, aus Begründeterklärung des Rekurses antragen müssten.

So wie die Dinge jet^t liegen, glauben wir uns zur Zeit aus den Antrag beschränken zu sollen : ,,es sei die Angelegenheit an den Regierungsrath des Kantons Luzern zurückgewiesen, damit derselbe nach nä^ herer Vrüsung beziehungsweise Ermittlung des au.^ der Voli^eiaussehreibnng vom 28. Mai l. J. hergeleiteten Einsprachsgrundes neuerdings

Beschluss sasse.^

B e r n , den 11/18. Dezember 1868.

.Samens der ständeräthlichen Kommission, Der Berichterstatter:

^d. ..^al.erliu.

^tan^erathli.he .^eknr.^^mmis^n.

Herren .

I^r. .^. .^. Blnmer^ ^laru.^.

^d. .^aberlin, ..^einfelden.

.l^^.. .^. .^üttimann, in ^ilrich.

^ug. Borel, .^enenburg.

P. C. Planta, ^hnr.

^. ..lieber, in ...uzern.

.^. v. .^ettlingen, Schwhz.

^.......ttnissi...^ de.^ ^..ti^nalrathe.^ in .^nrssache .^uedi.

Herren ^ .^. Brunner, Bern.

P. Fraehebond, in Freiburg.

.^h. Friderich, ..^ens.

St. ^u^willer, in ^rle.^heim (Basel^andschast).

.^. v. Schmid, Bettstein (.^largan).

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Bericht der ständeräthlichen Rekurskommission , betreffend den Rekurs des Melchior Ruedi von Hasle, Kts. Luzern, wohnhaft in Baden, Kts. Aargau, wegen Heiratsverweigerung. (Vom 11. Dezember 1868.)

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30.01.1869

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