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Botschaft des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Auslieerungsvertrag mit Frankreich.

(Vom 29. November 1869.)

Tit.l Jn der Botschaft vom 28. Juni 1869, betreffend den neuen Ver-

trag mit Frankreich über die zivilrechtlichen Verhältnisse vom 15. gl. Mts.

haben wir Jhnen bereits mitgetheilt, dass die schon im Jahr. 1864 angeregte Revision der Bestimmungen des Vertrages von 1828, welche die Auslieferung von Verbrechern und Angeschuldigteu beschlagen , infolge Jhrer Postulate vom Juli 1866 und 1867 ausgeuommen und beinahe zu Ende geführt worden sei. Die Differenzen, welche damals allein noch walteten, bezogen sich lediglich auf die politischen Verbrechen.

Jndess wurdeu auch diese Schwierigkeiten bald uaeh Erlass jener Botschaft gehoben, und zwar in einer Weise, die den politischen Brinzipieu

der Schweiz entspricht. Wir sind daher gegenwärtig in der Lage, Jhnen

auch den neuen V e r t r a g mit Frankreich über die g e g e n s e i tige A u s l i e f e r u n g v o n V e r b r e c h e r n u n d A n g e s c h u l d i g t e n zur Brüsung und Genehmigung vorzulegen und denselben mit der gegenwärtigen Botschaft Jhnen einzubegleiten.

Wir haben schon in der Botschast vom 28. Juni den historischen Gang der Verhandlungen über die Einleituug der Revision aller seit dem

.Abschluss der Verträge vom 30. Juni 1864 noch in Kraft gebliebenen

463 Bestimmungen des Vertrages vom Jahr 1828 im Allgemeinen bis zu dem Momente gezeichnet, wo die eigentlichen Regotiationeu über die Revision selbst beginnen konnten. Namentlich haben wir hervorgehoben, dass man von Ansang an übereingekommen sei , die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verhältnisse auseinander zu halten und in besondern Verträgen zu reguliren.

Rachdem nun der Vertrag über die zivilreehtlichen Verhältnisse Jhre Prüfung bestanden und die beseitigen Ratifikationen erhalten hat , so dass derselbe auf den 1. Januar 1870 in Kraft treten kann, erübrigt uns noch, den Gang der gesonderten Unterhandlungen über die strasreehtWichen Verhältnisse etwas näher zu berühren und sodann den Jnhalt dieses Vertrages und den Sinn und die Tragweite einzelner Bestimmungen einer speziellen Vrüfung zu unterstellen.

Bekanntlieh behandelt der Vertrag von 1828 die Auslieserung von Verbrechern uud die damit zusammenhängenden Fragen nur in den zwei Artikeln V und Vl.

Es mussten daher die wenigen Grundsäze, die sie enthielten, gegenüber der so raschen Entwiklung aller Verhättnisse mehr und mehr als lükenhast erscheinen. Der wesentlichste Mangel bestand aber darin, dass Art. V nur eine sehr beschränkte Zahl von Verbrechen, welche ein Ausliesernngsbegehren begründen konnten , aufzählte. Man war dah^r genothigt, um sich gegenseitig eine wirksamere Rechtshülse zu sichern, die Erweiterung des Kreises jener Verbrechen in der Vra^is oder durch spezielle Uebereinkommen anzustreben. Allein es wurde dadurch keine sichere Basis gewonnen und die Vra^is wurde bald wieder schwankeud. Aus den vielen derartigen Verhandlungen perdienen j^ne aus den 1850er Jahren einer besondern Erwähnung.

^Die sranzofische Gesandtschaft machte nämlich schon im September 1854 daraus aufmerksam, dass die Verbrechen gegen Treu und Glauben zusehends sich vermehren. Es liege daher eine Ergänzung des Vertrages von l 828 gerade in dieser Richtung im Jnteresse der öffentlichen ^rdnung, und es erscheine diese Ergänzung geradezu als dringend. Gleichzeitig wurde auch damals schon eine Vereinbarung angeregt hinsichtlich.

des Verbrechens der Rothzucht und anderer Angriffe aus die Schamhastig- .

keit, da steh diese oft wiederholen.

Statt aber auf solche besondere Vereinbarungen hinsichtlich spezieller Verbrechen einzutreten, fand man es Angesichts
der auch in andern Riehtungen zu Tage getretenen Mangelhastigl.eit des .Vertrages doch besser, den Abschluß eines neuen vollständiger^ Vertrages in Aussieht ^u nehmeu. Jn der That wurden noch im Jahr 1854 formliehe Konferenzen zu diesem Z.veke erosfnet , die auch im Jahr 1855 fortgesezt wurden und zur volligen Vereinbarung eiues Vrojektes führten , mit einziger Ausnahme des Artikels betreffend die politischen Verbrechen. Ueber

464 diesen Bunkt war jedoch eine Verständigung nicht zu erzielen. Es blieb daher die ganze Angelegenheit suspendirt und im September 1856 wurden

die hierseitigen Akten in das Archiv niedergelegt.

Ueber die Wiederaufnahme der Unterhandlungen im Jahr 1863 haben wir bereits in der Botschaft vom 28. Juni abhin berichtet, sowie auch darüber, dass die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Verhältnisse damals perschoben worden seien , um bei den neuesten Verhandlungen in ganz getrennte Verträge ausgeschieden zu werden.

Die Konferenzen betreffend die strafrechtlichen Verhältnisse begannen am 7. April 1868. Als Repräsentant der Schweiz haben wir hiezu bevollmächtigt den schweizerischen Minister in Baris, Hrn. Dr. K e r n . ^ Die französischen Delegirten waren: Hr. B a bin et , Direktor sür kriminelle Angelegenheiten im Justizministerium, ^und Hr. Gav-de^Tunis.

U..terdirektor in der Abtheilung für Brozesswesen im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten , der ledere als zeitweiliger Remplaçant des Herrn Vi l le s or t, welcher längere Zeit krank war.

Rach vier Sizungen führten diese Verhandlungen in der Mitte des Monats Mai 1868 zu einem ersten Brojekt, in welchem jedoch diejenigen Buukte , über welche noch keine Verständigung erzielt werden konnte, gesondert herausgehoben wurden. Es blieben noch süns streitige Fragen pendent, nämlich: 1) die ...Bestimmung der Verbrechen und Vergehen, welche. zur Auslieferung verpflichten sollen . 2) die Form des Verfahrens zum Zweke einer provisorischen Verhaftung ; 3) die Transportkosten ; 4) die Rogatorien und 5) die politischen Verbrechen.

Die weitern Unterhandlungen drehten sich nun lediglich um diese Fragen. Es konnte indess über die meisten derselben verl.ält.nssmässig bald auch eine, wie un^ scheint, annehmbare Form der Verständigung erzielt werden. Einzig der Artikel betreffend die politischen Verbrechen bot wieder grosse Schwierigkeiten und drohte abermals den Abbruch der Unterhandlungen herbeizuführen. Schließlich konnte dieser Knoten nur durch die Dazwischenkunst des Kaisers und des Ministerrathes in einer Weise gelöst werden, die uns gestattete, am ..). Juli 1869 den neuen Vertrag unter gegenseitigem Ratisikationsporbehalt unterzeichnen zu lassen.

Judem wir nuu diesen Vertrag Jhnen zur Ratifikation vorlegen, begleiten wir denselben mit folgenden Erläuterungen.

Zunächst bezieht sich der Vertrag aus alle Bersouen, welche iu einem der beiden Staaten ^on den kompetenten Behörden wegen eines im Vertrage aufgezählten Verbrechens oder Vergehens als Urheber oder Mitschuldige iu Untersuchung gezogen oder verurtheilt worden sind, und

es ist die einzige Ausnahme ausgestellt , dass die eigenen Angehörigen nicht auszuliefern seien.

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Es ist sonach auch hier der Grnndsaz anerkannt, der in den neuern Verträgen allgemeine Anerkennung gefunden hat, wonach auch die Angehörigen dritter Staaten ohne Beschränkung ausgeliefert werden müssen.

Der Vertrag von ^828 beschränkte die Verpflichtung zur Auslieferung nur aus die Franzosen von Seite der Schweiz und aus die Schweizer von Seite Frankreichs. Allein in der Brax.is wurden schon jezt auch die Angehörigen dritter Staaten gegenseitig ausgeliefert, obschon die kontrahenten frei waren, ganz nach Umständen zu handeln .und bei der Regierung des Staates , dem der Verbrecher angehorte , anzufragen oder nicht. Jmmerhin ist einem solchen bloss saktiseheu Zustande eine seste .^orm vorzuziehen. Der Zwek solcher Verträge, nämlich die Beförderung der Rechtssicherheit und die internationale Mitwirkung zur Realifirung des Rechts, wird aber in weit hoherm Masse erreicht, wenn alle fremden Judividuen , die als Urheber von Verbrechen oder Vergehen sigualisirt sind, ausgeliesert werden, als wenn man sieh nur aus die Auslieferung der Augehorigeu der koutrahireuden Staaten beschränkt.

Was die Verbrechen und Vergehen betrifft , welche gegenseitig ^nr Auslieferung verpflichten , so ift deren Zahl in diesem neuen Vertrag gegenüber dem alten Vertrag mit Frankreich bedeutend vermehrt worden.

Während der Vertrag von 1828 nur 9-10 einzelne Verbrechen enthi.^lt, sind im neuen 32 theils einzelne Verbrechen, theils Gruppen von verwandten Verbrechen und Vergeheu aufgezählt.

Der Vertrag von 1828 enthielt allerdings gerade in dieser Beziehuug eine sehr empfindliche Lüke, und ost kounteu kantonale Behorden nicht begreisen, warum überhaupt ein Auslieserungsvertrag mit ^rankreich bestehe, wenn sie erfahren mussten, dass in gewissen Fallen, die am Wohnorte des Flüchtigen Aufsehen erregen oder Geschädigte empfindlich

berühren mochten, eine Auslieferung des Angeklagten nicht erhältlich sei, so dass der Ledere die Früchte seines Verbrechens ruhig geniessen und nur in coutum.^i^m verurtheilt werden konnte. Es musste daher jedenfalls eine ganz bedeutende Vermehrung der ^eala in Aussieht genommen werden. Das glei.he Bestreben waltete aber auch auf srauzosischer Seite.

Die dortigen Delegirten traten schon von .Anfang au mit einem Vrojekte aus, das uicht bloss eiue weit grossere Zahl von wirkliehen Verbrechen primes), die zur gegenseitige Auslieferung verpflichten sollten, aufzählte, sondern auch auf viele Handlungen ausgedehnt war, die als blosse Vergehen (délits) strafbar sind.

Diese Ausdehnung wurde von den srauzosischen Delegirteu sosort mit einem gewissen Rachdruk betont und damit begründet, dass in ^olge

der Leichtigkeit der Zirkulation und also auch der Flucht, welche die Eisenbahnen und die Aufhebung der Bässe biete,

den Regierungen im

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Jnteresse der Gerechtigkeit nothwendig auch die Verfolguug der Urheber von Verbrechen und Vergehen erleichtert werden müsse. Zudem beweise die Ersahrung, wie schwer es in dieser Beziehung sei, die Unterscheidung zwischen Vergehen und Verbrechen aufrecht zu halten. Sie fügten bei, dass die französische Regierung auch bei den günstigen Regotiationen mit andern .Ländern nach diesen Brinzipien verfahren werde , und wiesen darauf hin, dass das von den belgischen Kammern am 5. April 1868 angenommene Gesez von gleichen Prinzipien ausgehe.

Mit der aufgestellten Zahl von strafbaren Handlungen, welche die Auslieferung begründen sollten, hatten nun aber die sranzosischen Delegirten uusere Bestrebungen mehr als erfüllt. Wir hätten uns mit eine..^ .^iste begnügt, wie sie etwa die Verträge mit Oesterreich und Baden enthalten, oder auch wie sie der neueste Vertrag mit Jtalien ausweist, wo schon eine ansehnliche Vermehrung stattgefunden hat.

Wir bemühten uns daher namentlich im ..^inne unseres Vertrages mit Jtalien, eine Verminderung der Zahl und eine Vereinfachung in der Begrisssbezeiehunng zu erhalten.

Allein der Erfolg war nur gering. Es bestanden die französischen Delegi..teu im Grossen und Ganzen beharrlich ans ihrem Vorschlage, als Basis eines neuen Vertragsrechtes, das küustig überall ^ur Auwendung kommen müsse.

Jndess kann man sich anch mit diesem nenen System befreunden, da keine Verpflichtung vorliegt, die nach Frankreich geflüchteten .^ehweizer zu verlangen, wenn die lokalen Behordeu finden, die eingeklagte Handlung sei zu unbedeutend, während umgekehrt keiu Jnteresse besteht, solche Franzosen zu behalten , die einer strafbaren Haudlung sich schuldig gemacht haben und desswegen reklamirt werden. Die Entwikluug des Verkehrs, der Eiseubahn^n uud der Telegraphen, ferner die massenhafte gegenseitige Einwanderung von ^lugehorigen des audern Staates und endlieh die lange Gränze zwischen der ^.hweiz und Frankreich erfordern

übrigens nothwendig eine besondere Entwiklung der gegenseitigen Rechts-

hülfe und rechtfertigen darum auch insbesondere aus den. Gebiete des Strasrechts, den staatlichen Sehuz für Versoneu uud .^igenthum bis aus scheiubar uubedeutende Gesezesverlezungeu hinab auszudehnen.

Jn der That beschlagen die ausgezählten Begrisssbezeichnuugeu oft nur seheiubar unbedeutende Handlungen ; es sind aber die dem Art. 1 .^eigesügten Beschränkungen nicht zu übersehen, indem dadurch eine grosse Masse von ^.au.^lungen , die als Vergehen erscheinen und korrektionell bestraft werden, von jeder Auslieferung ausgeschlossen ist. Darnach kann die Auslieferung in folgenden z.vei Fällen uicht verlaugt, xesp. sie muss nicht gewährt werden :

467 a. im Falle. das flüchtige Jndividuum bereits vexurtheilt ist: -

wenn die Strafe nicht

wenigstens in zwei Monaten ..^e-

sängniss besteht, b. im Falle das flüchtige Jndividuum noch nicht verurtheilt, aber in Untersuchung ist : wenn das Maximum der auf die eingeklagte Handlung anwendbaren Strafe nicht in wenigstens zwei Jahren Gesängniss oder in einer andern gleich schweren Strafe besteht.

Was den V e r s u c h betrifft, so begründet dieser nur dann die ^uslieserung, wenn er sich aus eine Handlung bezieht, die im Vertrage

speziell aufgezählt und in dem Staate , der die Auslieferung verlangt, als V e r b r e c h e n (cr.me) strafbar ist.

Eine Abweichung von diesem ..^ruudsaze wurde nur angenommen bei Diebstahl, Brellerei und Erpressung, indem hier wegen Versuch die Auslieferung auch dann stattfinden soll, wenn die vollendete Handlung bloss als V e r g e h e n (deht) strafbar wäre. Der Grnnd füx diese Erweiterung liegt in dem Umstande, dass diese drei Arten von ^ergehen sehr häufig vorkommen.

Jn allen Fällen aber, so schließt der Art. 1, handle es sich. um Verbrechen oder um Vergehen - kann die Auslieserung nur dann stattfinden, wenn die gleiche Handlung in b e i d e n S t a a t e n strafbar ist.

Auch dieser Saz ^wird eine nicht unerhebliche Beschränkung der Auslieferungen zur Folge haben. Z. B. ist die Unterschlagung von VogtFeldern durch den Vogt ausgeschlossen, weil diese Handlung nach der franzosischen Strasgesezgebung ni..ht strasrech^ich^ versolgt werden kann, sondern lediglich . Grund bildet zu einer Klage aus Restitution und Schadenersaz.

Jn Uebereinstimmung mit allen andern Auslieferungsverträgen der Schweiz sind auch hier die p o l i t i s c h e n V e r b r e c h e n a u s g e s c h l o f f e n . Die Ausliesexung wird also wegen keinem derartigen Ver-

brechen bewilligt. Ferner ist im Art. 2 ausdrüklich sestgesezt , dass ein

.

Jndividuum, dessen Auslieferung wegen einer andern im Vertrage vorgesehenen strafbaren Handlung hätte bewilligt^ werden müssen, in keinem Falle wegen eines vor seiner Auslieserung begangenen politischen Vergehens , noch wegen irgend einer mit einem derartigen Verbrecheu oder Vergehen zusammenhängenden Handlung verfolgt oder bestrast werden darf. Weun also wegen derjenigen Handlung, welche die Auslieferung begrüudet hat, eine Freisprechung einträte, so müsste ein solches.Jndividuum . wieder unter den Schuz des As.^ls zurükgeliesert werden.

Dieser Artikel ist genau so redigirt , wie er in Uebereinstimmung mit den andern Auslieferungsperträgen der Schweiz in^ den ersten Konferenzen von dem schweizerischen Delegirten vorgeschlagen worden ist.

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Wir haben bereits erwähnt , dass dieser Artikel 2 . in den UnterHandlungen die meisten Schwierigkeiten verursacht habe und nahezu wieder den Abbruch der Unterhandlungen herbeigesührt hätte, indem wir uns in keinerlei Modifikationen des Grundsazes, wie. er nun festgestellt ist, einlassen wollten, noch konnten.

Die französischen Delegirten anerkannten zwar auch, dass wegen politischen Verbrechen und Vergehen keine Auslieferung stattfinden soll, allein sie wollten einen Angriff auf die Berson des Souverains und seine Familie als gemeine Verbrechen angesehen wissen. Zu diesem Ende perlaugten sie , dass dem ersten Saz von Art. 2 (oder Art. 13^ des ersten Entwurfes^ folgender ^...saz beigefügt werden soll: ,,Der Angriff gegen die Berson eines fremden Souverains oder

gegen ein Mitglied seiner Familie wird weder als ein politisches,

noch als ein mit einem solchen konnex^es Verbrechen angesehen, wenn dieser Angriff in Mord, Todtschlag oder Vergiftung bestehen würde .^ So erklärlich es ist, dass diese proposition von Seite der Delegirten eines monarchischen Staates gemacht wurde, so ist es doch nicht minder erklärlich, dass sie von den Repräsentanten eines republikanischen Staates nicht anerkannt werden konnte. Der prinzipielle Gegensaz ist s.l.on an sich vollkommen klar, und der schweizerische Standpunkt ist nach unserer Ansicht so selbstverständlich, dass wir uns einer weitern Begründung durchaus enthalten zu können glauben. Wir brauchen nur darauf hin^uweisen, dass die Schweiz das seit Jahrhunderten allen politisch Verfolgten gewährte As.^l ausgeben müsste, sobald ein Grundsaz, wie ihu die franasischeu Delegierten vorgeschlagen haben, in einem solchen ^taatsvertrage Aufnahme säude. Bis anhiu hat aber die Schweiz allen daraus hiuzielenden Zumuthuugen widerstanden und keinem andern Staate gegenüber die mindeste derartige Kouzession gemacht. Wir konnten daher nicht im geringsten zweifelhaft sein. welchen Weg wir zn befolgen haben, zumal wir schon im Jahr 1856^ lieber ans einen neuen Staatsvertrag mit Frankreich verzichteten, als dass wir ein mit unserer republikanischen Staatsform und mit unserer Geschieht.. so enge verknüpftes Vrinzip ansgegeben oder auch nur geschwächt hätten. Auch durften wir nicht ans den Augen lassen , dass eine Konzession zu Gunsten von Frankreich die Ergänzung aller andern Ablieferungsverträge der ^.hweiz im gleichen Sinne nothwendig zur Folge haben müsste, indem ein derartiges Brivileginm zu Guuften von Frankreich nicht haltbar wäre.

Aus der andern Seite glaubten die franzofisehen Delegirten , dass umgekehrt in derAnerkennnng des schweizerischen Vorschlages einBrivilegium ^u Gunsten der Schweiz läge, das Frankreich mit Rüksi.l.t aus seine sreundgastlichen Beziehungen zu den andern Staaten , mit denen es Ans-

469 lieserungsperträge geschlossen habe, nicht eingehen könne. Auch selbst der Justizminister , Herr Baroche , glaubte die hierseitige Redaktion ablehnen zu müssen.

Dieser Standpunkt wurde im Wesentlichen begründet wie folgt: 1. Frankreich konne nicht anerkennen, dass ein Angriff aus ^ das Leben des Souverains aus die gleiche Linie gestellt werden könne mit den gewöhnlichen. politischen Vergehen.

Bei der Würdigung solcher Handlungen müsse die Absieht, einen Angriff auf das Leben zu machen, vorherrschen, und man könne nicht zugeben, dass das Leben eines Son^verains durch das Gese^ weniger geschüzt sei als dasjenige des geringsten Unterhaus.

2. Die sranzösische Regierung habe diesen Standpunkt in allen Verträgen beibehalten , die sie seit vielen Jahren über die Auslieferung abgeschlossen habe, und gerade auch in demjenigen der ganz neulich mit Belgien unterzeichnet worden sei.

3. Wenn Frankreich in den Unterhandlungen mit der Schweiz aus den von ihm gemachten Vorschlag verzichtete , so würde dadurch ein ^räzedens geschaffen , das mau ihm bei den Unterhandlungen mit andern Staaten entgegenhalten könnte.

4. Es hätte selbst eine gewisse Gefahr für Frankreich , den Vorschlag der Schweiz anzunehmen, in dem Sinne nämlich, dass man ans der Weglassung des von den französischen Delegirten angetragenen Zusazes schlössen könnte , dass die Schweiz in allen ^ä.llen von Angriffen gegen den Souverain die Auslieserung oder .gerichtliche Nachforschungen betreffend das Attentat verweigere.

5. Verschiedene Staaten , welche in allen Auslieferungsaugelegenheiten ausserordentlich strenge seien , wie ^England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika, haben dennoch anerkannt, dass mau Angriffe solcher Ratur keineswegs als einfache politische Vergehen ansehen konne.

Diese Begründuug ging augeuscheinlieh von der irrigen Voraussezung aus, als ständen ^wei Staaten mit gan^ identischer Staatsform in Unterhaudluug. Es handelte sich also für die Schweiz darum, diese Vorausse^ung zu berichtigen, jeden der beiden Staaten in seiner Eigenart darzustellen und zu konstatiren, dass di^ Schweiz anch ohne eine solche Vertragsklausel ihre internationalen Pflichten gegen einen besreundeten Rachbarstaat anerkenne und stets lo..al ersüllen werde.

Von diesem Standpunkte aus beantwortete Hr. Minister Kern das dritte Argument des
Hrn. Baroche damit, dass Frankreich durch die Anerkennung. des schweizerischen Vorschlages kein ihm nachtheiliges Vräzedens schassen könne, weil die Schweiz als ein republikanischer Staat in einer von den monarchischen Staaten ganz verschiedenen Lage sei und

470 somit in diesem Beziehung von einer Reziprozität zwischen de.. Schweiz und Frankreich keine Rede sein konne, denn die Schweiz werde niemals einen derartigen Vorbehalt machen zu Gunsten der Mitglieder der Regierung. Dennoch konne von^.einer Besorgniss , wie sie Hr. Barone unter Rr. 4 dargestellt habe, keine Rede sein. Die Schweiz verbleibe einfach bei denjenigen Grundsäzen, die sie bis anhin befolgt habe, nämlieh: die Bundesbehorden wären, wenn ein derartiges Begehren an sie gestellt würde, nicht zum voraus verpflichtet , eine Auslieserung zu be.^ willigen , sondern sie hätten zunächst und bevor sie irgend einen Entscheid fassen würden, alle Umstände des Verbrechens, wodurch das Gesuch veraulasst wäre, zu prüfen.

^ Weun auch in solcher Weise die srannzosischerseits erhobenen Bedenken offenbar siegreich bekämpft waren , so glaubte man sich doch dabei nicht beruhigen zu konnen.

Hr. Baroche machte desshalb den .Vorschlag, dass eventuell, wenn der schweizerische Autrag angenommen würde, die Erkläruug des schweizerisehen Delegirten in ein Schlussprotokoll niedergelegt werden sollte,

dahin gehend, dass aus dem Stillschweigen des Vertrages, betreffend Zugriffe gegen den Souverain. nicht der Schluss gezogen werden dürfe, dass diese nur als einfache politische Vergehen augesehen werden , für welche .keine Auslieferung stattfinde , vielmehr feien fie rüksichtlich der

Verhaftung, gerichtlichen Versolguug und Auslieferung nach deu allge-

meiuen Grundsäzen über internationale Justiz^ und Rechtspflege zu behandeln.

Bei einer andern Verhandlung machte auch Hr..Babinet noeh einen eventuellen Vorschlag, der des Souverains nicht erwähnen sollte und der mit einen. bezüglichen Antrag einer Kommission des englischen Parlaments identisch ist, dahit. lauteud .

Der ausserhalb eineui insurrektionellen Kampfe verübte Mord wird nicht als politisches Verbrechen betrachtet.

Solche Aushilssmittel konnten aber schwei^eriseherseits auch nicht anerkannt ^werdeu, zumal sie entweder das Gleiche festgestellt hätten, was wir gerade vermeiden mussten, oder der Unbestimmtheit wegen nicht als annehmbar erschienen.

Es ist natürlich etwas ganz Verschiedenes, eine formelle Verpflichtung zur Auslieferung aller Theilnehmer an einem Verbrechen zu übernehmen, oder die Auslieferung nur zu bewilligen, nachdem eine gründliche und unparteiische Untersuchung aller aus das Verbreeheu bezüglichen Umstände von Seite der eigenen Staatsbehörden stattgesunden und die

Handlung als nicht politischer Ratur herausgestellt hat.

Der Hauptgesichtspuukt, der die Schweiz in solchen Angelegenheiten immer leiten muss, ist offenbar der: keinerlei Ungleichheit in den inter-

471 nationalen Beziehungen und also auch nicht in Fragen über politische Verbrechen ; keinerlei Gunst und keinerlei Ungunst gegen irgend einen andern Staat , sondern gegen Alle völlige Gleichheit der ^Rechte und Bfliehten.

Dieser Grundsaz hat uns auch bei dieser ganzen Unterhandlung mit Frankreich geleitet. Es durfte daher die Besorgniss, welche Hr. Minister Baroche mit Bezug auf die vermeintlich nachtheiligere Stellung Frankreichs bei Anlass künstiger politischer Untersuchungen aus der Ablehnnng des französischen Znsazes ableiten wollte , nicht Vlaz greifen, vielmehr mussten wir daraus Bedacht nehmen , diese Besorguiss zu zer^storen, und dies um so mehr, als Hr. Baroche und der Minister des Auswärtigen, Herr de La Valette, erklärten, sie könnten diese Angelegenheit nicht von sich aus erledigen , sondern müßten den definitiven Entscheid dem Ministerrath und somit auch dem Kaiser selbst vorbehalten.

Wir beaustragten daher Hrn. Minister Kern in einer lezten Jnstruktion vom 31. Mai 186.^ dem Ministerium nochmals die nothigen Aufklärungen zn geben, was mit Rote vom 5. Juni 186..) geschah.

Der wesentliche Jnh..lt dieser Rote geht dahin : .,Das Brinzip, welches die Bundesregierung immer beibehalten hat und wovon sie nicht abgehen kann , ist , dass die politischen Verbrechen und Vergehen nicht unter diejenigen Verbrechen gehoren, sur welche die gegenseitige Auslieferuug festgestellt ist. Wenn ein Auslieserungsbegehren an einen der kontrahirenden Theile gestellt wird, so steht es der Regierung des Landes, von welchem die Auslieserung verlangt wurde, zu , nach Vrüsung aller Umstände , welche auf das fragliche Verbrechen sich beziehen, zu eutscheiden, ob diese Umstände ihm den Eharakter eines politischen Verbrechens oder Vergehens geben und daher die Verweigerung der Auslieferung begründen. Weun aber umgekehrt jene Vrüsuug zeigt, dass es^fich um ein gemeines Verbrechen oder Vergehen handelt,

das im Vertrag vorgesehen ist, so ergibt steh die gegenseitige Verpflichtung zur Auslieferung aus dem Vertrage selbst.

^Frankreich würde also durch die Aunahme von Art. 2, wie er von dem schweizerischen Delegirten vorgesehlagen worden, vollständig in der gleichen Lage sich befinden, wie die andern Staaten, mit denen die Schweiz Ausliefernngs^verträge abgeschlossen hat, oder aueh wie jene Staaten, mit denen sie über diese Materie noch nicht in Vertragsverhältnissen steht, indem die ...Schweiz das .Prinzip des Art. 2 aneh gegen die Staaten der leztern Kathegorie immer angewendet hat.^ Rach einigen allgemeinern Gesichtspunkten bemerkte Hr. Dr. Kern in dieser Rote weiter : ,,Betreffend den Einwnrf, dass Art. 2, wenn er so angenommen würde, wie er von der Schweiz vorgeschlagen ist , in künftigen Unter-

472 handiungen zwischen Frankreich und andern Staaten als Bräzedens angerusen werden konnte, so erlaube ich mir aus den Umstand aufmerksam zu machen ^, dass die Schweiz in Folge ihrer besondern Stellung , die ihr durch ihre politischem. Justitutionen angewiesen ist, niemals zn ^un^ sten des Bräsidenten ihrer Regierung die Reziprozität verlangen konnte und niemals verlangen würde. Dieser Artikel würde also in der Zukunst bei Anlass von Unterhandlungen zwischen Frankreich und andern monarchischen Staaten nicht als Vorgang angerufen werden können.

,,Jch h^ffe, ^.err Minister, dass diese Bemerkungen genügend Beigen werden, warum es dem Bundesrathe und der Bundesversammlung un-^ moglich ist, mit Bezug auf politische Verbrechen und Vergehen andere Bestimmungen anzunehmen oder zu genehmigen . als wie sie bis heute von der Schweiz ununterbrochen und ohne Modifikation in allen von ihr abgeschlossenen Verträgen beibehalten worden sind.

,,Meine. Regierung würde es im Jnteresse der Justizverwaltung beider Länder lebhaft bedauern, wenn die Unterhandlungen auch dieses Mal aus dem gleichen Grunde wie 1856 ohne Resultat bleibeu müssten.

..Allein sie würde dennoch in der Lage sein , eher aus diese Konvention verzichten zu müsseu , als Debatten hervorzurufen , die nach ihrer Ueberzeugung in keiner Beziehung geeignet wären, die beiden Regierungen im gemeinsamen Streben zum Abschlusse eines neuen Auslieferungsvertrages einander zu nähern.^ Rachdem hierauf diese Angelegenheit im Ministerrath erörtert worden war, gab der Minister der auswärtigen Angelegenheiten mit De-

pesche vom 26. Juni 1869 folgende Antwort:

,,Die Regierung des Kaisers, naehdem sie die besondern Gründe, welche die Eidgenossenschaft abhalten , die von den sranzosischen Delegirten ursprünglich vorgeschlagene Redaktion zu unterschreiben, und indem sie wünscht , der Schweig einen Beweis ihrer freundschaftlichen Gesinnungen zu geben , sehliesst sich dem Wortlaute des schweizerischen Projektes an.

,,Die Regierung Seiner Majestät beharrt auch uieht ans dem Be-

gehren eines Spe^ialprotokolls und beschränkt sich daraus , Akt zu nehmen von der Zusicherung . des Bundesrathes, u.elche Frankreich mit Bezug auf politische Verbrechen und Vergehen eine gleiche Behandlung garantirà, wie diejenige aller andern Staaten, mit welchen die schweiprische Regierung bereits Auslieserungsverträge abgeschlossen hat oder noch abschlössen wird. Es versteht sich daher von selbst, ohne dass es nöthig wäre, aus die verschiedenen Redaktionen, welche im Verlaus der Unterhandlungen zur Regulirung der ^rage der politischen Vergehen

473 vorgeschlagen worden sind, zurükzukommen, daß nur der Tex^t von Art. 2 des Projektes, wie er gegenwartig redigirt ist, in Betracht kommen kann.

,,Da nun mit heute ein vollkommenes Einverständniss erzielt ist, so lasse ich die Vertragsurkunden anfertigen, damit wir sogleich nachher zur Unterzeichnung schreiten können.^ Und so geschah es . da diese Frage , wie bereits erwähnt wurde, die lezte war, welche zur Erledigung kam.

Was das Versahren betrifft, das zu beobachten ist, um die Ausliefernng eines Jndividuums zu erhalten, so find drei Stadien zu ^....unterscheiden : einerseits die Verhastuug des Verfolgten , andererseits

das Gesuch um Bewilligung der Auslieferung und drittens die Vollziehung der Auslieferung.

Bezüglich der Aussuchung und provisorischen Verhaftung eines Jndividunms zum Zweke der Auslieferung haben wir uns umsonst bemüht, die Anerkennung des Grundsazes zu erlangen, dass die vorläufige Verhaftung auch aus direkte Requisition von Seite der zu-

ständigen Gerichts- oder Polizeibehörde durch Vermittlung der Kon-

sulate wegen aller jener Verbrechen und Vergehen, welche eine Ausliefernng begründen , ausgewirkt werden konne. Es hätte ^ur Verhütung von Missbräuchen eine kurze ^rist .eingeräumt werden mögen, nach deren Ablaus die Freilassung hätte eintreten müssen, wenn nicht vorher das Begehren um Auslieseruug des Verhasteten in ^ gehöriger Form der betretenden Landesregierung eingereicht worden wäre.

Dies ist so ziemlich dasjenige Versahren . das bis in die neuere Zeit zwischen der Schweiz und Frankreich praktisch geübt wurde.

Es sind aber unleugbar Missbräuche eingetreten. Oefter nämlich kam es vor, dass schweizerische Gemeinds- und Bezirksbehörden telegraphiseh die Verhaftung eines Flüchtigen verlangten, bloss um das Geld herausVerhalten, das er etwa bei sich tragen mochte. Je nach dem Resultate wurde dann aus die Auslieferung verzichtet, ohne dass die BundesBehörden von diesem Versahren direkt Kenutniss erhalten hätten. Auch sollen sranzofische Lokalbehorden in einzelnen Fällen amerikanischen und englischen Behörden zu bereitwillig an die .^and gegangen sein. Diese Erfahrungen veranlassen die sranzosische Regierung schon im Jahre 1867 zu der Forderung, dass ^ das Verhasts- und Auslieserungsbegehren aus diplomatischem Wege gestellt werden müssen, und dass nur in dringenden Fällen per Telegraph und durch die Konsulate bei den Lokalbehördeu die Verhaftung nachgesucht werden moge , es müsse aber im Telegramm selbst angegeben sein, dass ein gehoriger Verhaftsbefehl bestehe, und dass das Auslieferungsbegehren sogleich aus diplomatischem Wege nachfolgen werd^. Mit andern Worten, es musste das Tele-

474 gr..mm die ......otiz enthalten, dass die Verhaftung z u m Z w e k e d e r A u s l i e f e r u n g verlangt werde.

Die franzosischen Delegirten perlangten nun , dass dieses strengere System auch in dem neuen Staatsvertrage bleibende Anerkennung finde.

Gemäss dex in Frankreich durchgeführten Eentralisation der Staatsver-

waltung, erseheint es nämlich dort als nicht zulässig, dass Verhandlungen mit Lokalbehörden geführt werden können, ohne die Kontrole der Regierung zu passtren.

Es ist jedoch die

möglichste Erleichterung einer provisorischen Ver^.

hastung von grosserer Wichtigkeit sür die Schweiz als sür Frankreich,^ und wir unterdessen nicht , durch unsern Delegirten daraus aufmerksam zu machen, dass die flüchtigen schweizerischen Verbrecher Frankreich so schnell als möglich passiren , und von dessen Häfen ans England oder Amerika zu erreichen suchen , während umgekehrt die flüchtigen franasischeu Verbrecher in der Regel in der Schweiz ein Verstek zu finden hoffen. Wenn also die Verfolgung der schweizerischen Angeschuldigten mit aller Eile geschehen müsse , so sei eine solche Dringlichkeit sür den andern Fall nicht vorhanden.

Die sranzosischen Delegirten erklärten aber in der bestimmtesten Weise, dass Frankreich auf das schweizerische System nicht eingehen könne, weil die von ihnen vorgeschlagene Redaktion in den Verträgen enthalten sei, welche Frankreich in den lezten Jahren abgeschlossen habe und nun zu Gunsten der Schweiz keine Ausnahme ausgestellt werden könne.

Da somit keine Hoffnung war , ein unfern Wünschen mehr entgegenkommendes Versahren zu erlangen, so ist nun im Art. 4 folgendes System sür die provisorische Verhaftung vereinbart worden : Wenn wegen einer der im Art. 1 ausgezähltem. Handlungen anf diplomatischem Wege der von der zuständigen Behörde ausgestellte. Verhastsbesehl oder eine andere gleichbedeutende Urkunde beigebracht wird, so m u ss die provisorische Verhaftung angeordnet werden.

Die provisorische Verhastung muss serner auch dann stattfinden, wenn brieflich oder per Telegraph die Anzeige gemacht wird, dass gegen ein Jndividuum ein Verhaftsbefehl erlassen .vorden^ sei , insofern diese Anzeige aus diplomatischem Wege gemacht wird.

Diese zweite ^orm ist uuläugbar geeignet, die Härten des Brin-

zipes wesentlich zu mildern. Es ist nämlich wohl zu beachten, dass bei den Unterhandlungen Uebereinstimmung darüber waltete , dass für die Schweiz unter dem d i p l o m a t i s c h e m W e g e in diesem Falle nicht der gewohnliche Weg durch die Kautonsregieru.^g und Bundesrath ge-

475 meint sein soll, sondern dass de.r Brief oder das Telegramm von derjenigen schweizerischen Behörde , welche den Verhastsbefehl ausgestellt hat, auch direkt an den schweizerischen Minister in Baris eingesendet werden könne , welcher dann auf jene Mittheiluug gestüzt , bei dem französischen Ministerium des Aeussern die Verhastung nachzusuchen habe.

Die franzosische Regierung will Sicherheit dafür haben , dass der Verhaftsbefehl von einer kompetenten Behörde ausgestellt sei und anerkennt, dass hiefür die .^ontrole des schweizerischen Ministers in Baris genüge und jedenfalls .bessere Gewähr biete, als blosse Lokalbehörden.

^ ^ Da in der Schweiz die Verhastsbesehle nicht immer von Gerichtsbeamten ausgestellt werden. so ist der allgemeinere Ausdruk ,,zustäudia^ B e h ö r d e ^ gewählt worden.

Endlich kann drittens die provisorische Verhaftung auch direkt von einer Lokalbehörde an die andere verlangt werden. Jn diesem dritten Falle steht es dann aber in dem Ermessen der angesuchten Behorde, ob ste dem Begehren entsprechen wolle oder nicht. Jn jedem Falle soll sie aber ohne Verzug alle zur Herstellung der Jdentität der Berson und zur

Beibringung der Beweise für die eingeklagte Handlung ^wekdienlichen

Verhöre vornehmeu, und im Falle die Verhastung verschoben worden wäre, über die Gründe dieser Verschiebung dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten (in Frankreich) oder dem Bundespräsidenten (in der Schweiz) Bericht erstatten.

Dieser lettere Fall bietet so ziemlich die Vortheile ^des bisherigen Verfahrens. Es war auch bis jezt eine Verhastung , die aus direktem Wege nachgesucht wurde, keineswegs obligatorisch. Dennoch wurde sie in sehr vielen fällen vollzogen, und es wird auch in Zukunft geschehen, wenn in gehöriger Form und mit der nöthigen Umsicht verfahren wird.

Der Zwek wird insbesondere regelmässig dann zu erreichen sein , wenn die zweite und dritte Form kumulirt werdeu, d. h. wenn neben dem aus direktem Wege gestellten Verhastsbegehren gleichzeitig noch an den

schweizerischen Minister in Baris telegraphirt wird, damit das gleiche Gesuch noch aus diplomatischen.. Wege vermittelt werde.

Das neue Verfahren verhindert sogar eine bis je^t immerhin mögliche Willkührlichkeit der Lokalbehörden , indem sie, wenn sie auch eine

Verhaftung nicht vollziehen, dennoch verpflichtet sind, alle sür die Unter-

suchung wichtigen Verhandlungen vorzunehmen, und über die ^Gründe einer unterlassenen Verhastung Rechenschaft geben müssen, was alles bis anhin nicht der ^all war.

Ueberdies hätte es auch der Schweiz kaum konveuireu können, daß jede .Loka^lbehörde verpflichtet worden wäre, aus das erste Begehren eines beliebigen Beamten in einem französischen Departement ohne weiter.^

476 zur Verhaftung eines Bürgers zu schreiten, und es erscheint daher auch von diesem Gesichtspunkte aus das angenommene System als ^annehmbar.

Was das A u s l i e f e x u n g s b e g e h r e n selbst betrifft, so muss dieses nach Art. 3 immer aus diplomatischem Wege gestellt werden, ein Gruudsaz , der allgemeine Geltung hat und von Frankreich gegen alle Staaten streng festgehalten wird. Es ist also das definitive Auslieferuugsbegehren immer von der betreffenden Kantonsregierung an den Bundesrath zu richten, welcher es durch den schweizerischen Minister in Baris an die französische Regierung zu vermitteln hat. Damit aber der provisorische Verhaft nicht zu lauge andauern muss, ist im Art. 4., vorgeschrieben , dass das diplomatische Gesuch um Auslieseruug des verhasteteu Judividuums spätestens im Verlause von 14 Tagen, von dem Momente der provisorischeu Verhastung an gerechnet, der re.^uirirten Regierung eingereicht werden muss.

Zur Begründung der Auslieferung genügen nach Art. 6 diejenigen Dokumente wie bis anhin, nur müssen sie vollständiger e^pedirt werden, dami.t die Schwere der ausgesprochenen oder der möglichen Strafe erfichtbar .ist und geprüft werden kann, ob die eingeklagte Handlung in beiden Gesezgebungen strafbar (Art. 1), oder ob. die Verjährung l^lrt. 9) eingetreten sei. Das Detail, welches die Urkunde, aus welche gestüzt die

Auslieferung verlangt wird, nothwendig enthalten muss, ist übrigens im

Art. 6 in genügender Weise angegeben.

Wenn die Auslieferung bewilligt ist, so wird dadurch implizite die provisorische Verhaftung als legitim anerkannt. sie wird also definitiv, und es wird dann zum legten A k t , zur V o l l z i e h u n g der A u s l i e f e r u n g gesehritten.

Ueber die Art und Weise des Transportes entscheidet zunächst das in jedem ^ande übliche Verfahren, und es hat auch nach Art. 10 jeder Staat die Kosten des auf ordinärem Wege vollzogenen Transportes bis an den ^rt der Ueber^abe des Verhasteten an sich selbst zu tragen.

Ebenso sollen nach Art. 5 gleichzeitig auch alle aus das Verbrechen .bezüglichen Gegenstände uud insbesondere jene, welche gestohlen wurden, unbeschwert zurükgegeben werden. Was die audern Objekte betrifst, die der Angeklagte geflüchtet und im andern Staate verstekt hätte, so werden sie auch an den re^uirirenden Staat verabfolgt .^ es bleiben aber hierauf bezügliche Rechte dritter Bersonen vorbehalten.

Bezüglich des Trausportes der auszuliefernden Bersoueu hätteu^vir möglichste Beugung der Eisenbahnen geu.ünseht, weil der in Frankreich übliche Transport von Brigade zu Brigade zu lange dauert uud in .einzelnen Fällen zu lästig ist. Allein es war nur die Modifikation er^hältlich , dass wenn der Transport per Eisenbahn verlaugt werde , so

477 müsse er aus diesem Wege vollzogen werden , alleiu dann habe der re^uirende Staat die dadurch entstehenden Kosten zu bezahlen , wobei .^ jedoch die der Landesregierung zustehende Reduktion der Tarife geniesse.

Es wuxde unserm Begehren namentlich der Umstand entgegengehalten, dass der Transport per Eisenbahn viel zahlreicher und aus weit grossern ^Streken in Frankreich ausführen wäre als in der Schweiz.

Die im Art. 7 vorgesehene Moglichkeit einer Suspension der VollZiehung der Auslieferung im Falle das betreffende Jndividuum in dem re.^uirirten Staate eine strafbare Handlung verübt hätte und dafür be.^rast worden wäre, ist keine Neuerung, sondern bis anhin schon faktisch ^eübt worden.. Dagegen soll nach dem gleichen Artikel der Sehuldverhast keinen Suspensiveffekt auf eine Auslieferung üben.

Jm Art. 8 ist ebenfalls ein Brinzip, das in der Vra^is schon lange ^geübt wurde, zum festen Recht geworden. Darnach kann das ausge..

lieferte Judividunm für keine andere Gesezverlezung versolgt oder bestraft werden als für diejenige , welche die Auslieferung begründet hat.

Wenn es sich im Laufe der Untersuchung ergibt , dass der Angeklagte wegen eines andern Verbrechens oder Vergehens bestrast werden konnte, so ist dieses nur statthaft, wenn entweder der Angeklagte freiwillig zugestimmt hat und dem ausliefernden Staate hiepon Kenntniss gegeben worden ist, oder wenn die Einwilligung der Regierung, welche die Auslieferung gewährt hat, eingeholt wurde, falls die betretende Handlung wirklich in diesem Vertrage vorgesehen ist.

Die Einvernahme^ von Zeugen .darf nach Art. 12 wie bisher nur . durch Re^uisitorial geschehen , das auf diplomatischem Wege überschikt werden muss. Die Anregung eines direkten Verkehrs der Berichtsbehorden wurde absolut zurükgewiesen , indem Frankreich einen solchen direkten Verkehr no.h keinem andern Staate zugestanden habe und auch nicht ^..gestehen konne. Die Regierung müsse in der Lage sein, prüfen zu konnen , ob das Begehren mit der offentlichen Ordnung verträglich sei und ob es sich nicht etwa um ein politisches Verbrechen handle.

Dagegen sind die sranzosisehen Delegirten in dem Punkte den schweizerischen Wünschen entgegengekommen, dass sie im Art. 13 anerkannten , dass die amtliche Anstellung eines andern Untersuchnngsaktes oder eines Urtheils im Lanfe eines Strafverfahrens
nicht absolut aus diplomatischem Wea^e geschehen mü^se , sondern auch durch kompetente Lokalbehorden stattfinden konne. Diese Errungenschaft wird namentlich den ^ren^antoneu eine erwünschte Bequemlichkeit bieten.

B...ndes...la..... .^ .. l,. r g . X X I . Bd..^.

42

478 Die Artikel 14 und 15 geben zu keinen weitern Bemerkungen Anlass.

Der Jnhalt dieser Bestimmungen ist im Wesentlichen übereinstimmend mit dex Brax^s und mit andern Verträgen.

Hiermit schließen wir unsere Erörterungen. Wir glauben , gestüzt auf dieselben, mit allem Grund die Genehmigung dieses Vertrages em^ pfehlen zu dürfen. Wenn die Genehmigung im Lause der nächsten Wintersiznng - wie wir sehr wünschen mochten --- ertheilt wird , so kann auch dieser Vertrag mit dem 1. Januar 1870 in Kraft treten, womit dann der Vertrag von 1828 aus den gleichen Zeitpunkt seinem ganzen Jnhalte nach ausser Wirksamkeit fiele.

......

Jndem wir noch dem schweizerischen Delegirten , Herrn Minister I)r. Kern, unsere vollste Anerkennung für die mit seiner grossen Sachkenntniss und mit gewohntem Geschike geführten Unterhandlungen aussprechen, benuzen wir diesen Anlass, Sie, Tit., unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 29. November 1869.

Jm .^amen des schweizerischen Bundesrathes, Der B u n d e s p r a s i d e n t :

^elti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft :

Schiel

479

^es^l.^ent^rf betreffend

den Auslieferungsvertrag .^wischen der Schwe^ und Frankreich.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g dex schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer vember 1869,

Botsehast des Bundesrathes vom 29. Robeschließt:

...lrt. 1. Dem zwischen der Schweiz und Frankreich unterm 9. Juli 1869 zu Baris abgeschlossenen Vertrage, betretend gegenseitige ^us.^ liesernng von Verbrechern, wird hiermit die vorbehaltene Ratifikation erteilt.

Art. 2.

beauftragt.

Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses

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Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag mit Frankreich. (Vom 29. November 1869.)

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1869

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3

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49

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11.12.1869

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