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Schweizerisches Bundesblatt.

XI. Jahrgang. II.

Nr. 42.

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1. September 1859.

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des Bundesrathes über die Rekursbeschwerde der Frau Josepha Inderdizin gesch. Cammenzind von Schwyz.

(Vom 4. Januar 1859.)

Der schweizerische Bundesrath

hai.

...n Sachen der Frau J o s e p h a J n d e r b i t z i n , geschiedene E a m m e n z i n d , ..oon Schwvz , wohnhast in Zürich , gegen ein Erkenntniß des Konsistoriums .in Schwvz, vom 1. Juli 1858, nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizei-Depaxtements und.

nach Einsicht der Akten,

w o r a u s sich e r g e b e n : A. Unterm ..). Juli abhin reichte Herr Kantonsprokurator E. A.

Bruhin, Namens und als Anwalt der Frau J o s e p h a Jnderbitz.iu obgenannt, eine Beschwerde ein, im Wesentlichen folgenden Jnhalts : Die Rekurrentin, Frau Jnderbitzin, heirathete seiner Zeit den Bezirksrichter Alois Eammenzind in Gersau. Die Ehe war eine höchst unglükliche, denn schon nach ungefähr fünf Jahren, nämlich am 27. Januar 1850. mußte von dem bischöflichen Kommissariate Luzern, dem damaligen Wohnorte des Herrn Eammenzind, die. Scheidung auf unbestimmte Zeit Ausgesprochen werden. Seither mußte Frau Jnderbitzin von Seite der schweizerischen Behörden und ihres Vormundes vielfache Verfolgungen erBeiden, was sie. bewog, sich nach Zürich zu flüchten. Am lezten PfingstFeste trat sie sodann in Glarus zu der evangelisch reformirten Kirche über..

Bundesblatt. .Jahra.. XI. Bd. II.

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356 Um nun eine allfällige zweite Verehelichung, die man befürchtet, zu.

verhindern, wurde Rekurrentin von dem bischöflichen Kommissariate Schw^.

auf den 1. Juli v. J. peremptorisch vor das geistliche Konsistorium gel.iden, um .über die Rechtsfrage des Klägers Eamm^izind., .^b nicht dr..

vom bischöflichen Kommissariate in Liizern ausgesprochene Scheidung ansz.^heben sei, Rede und Antwort zu geben. Hierauf ließ sie durch di^ Bezirksgerichten^ Zürich erklären, daß sie das römisch-katholische geist..

liche Gericht.. a.^s unzuständig, nicht anerkenne, gegenüber den Uedergxiffe.rt

der römischen Geistlichkeit und allf..illigeu unbefugten Entscheiden .sich ihre

Rechte als Protestantin verwahre, und insbesondere aber gegen eine all^ fällige Aufhebung der Scheidung protestire; allein troz dieser Einrede un.^ troz dem llebertritte der Rekurrentin zum Protestantismus hob das geistliche Gericht in contumaciam ^ie Scheidung aus.

Die Bundesverfassung (Art. 44) gewährleistet die anerkannten christlichen Konfessionen als gleichberechtigt im ganzen Umfange der Eidgenossen^ schäft. Dem Protestanten sind somit auch in Schw^z seine ^onf..sstönelle^.

Rechte gewährleistet. Da nun die Frau Jnder^itzin schon a.... 22. Mai zu Glarus in den Schooß der evangelifch.. reformierten Kirche ausgenommen worden ist, so konnte sie seither nicht mehr unter dem römifch^atholische^ Kirchenrechte und den geistlichen Gerichten der römischen Kirche stehen.

Sobald demnach das Konsistorium in Schwvz von dem Uebertritte amtlich unterrichtet war, mußte es sich alier weitern gerichtlichen Verfügungen enthalten. Da e.^ sich aber dennoch ein.. Urtheilsfällung angemaßt hat, so ist dessen Erkenntn.iß nothwendig nichtig. Das Priestergericht in Schw^z nimmt lant Erwägung 7. b. nichts Geringeres in Anfpruch , als di... Gerichtsbarkeit über die in seinem Gerichtskreise wohnhasten Protesten-

ten, indem ^es ansdrüklich sagt: ,,Die Beklagte leistete de^n. Beweis nicht,

daß sie ein anderes Doniizil als das schwvzerische besize., folglich steht sie als Bürgerin .von Gersau. wenn auch der evangelisch^reformirten Kirche angehörend, noch immer unter der geistlichen Jurisdiktion von Schwv.z.^ ^Die Folgen, die sich an diese. Theorie knüpfen, sind s^hr wichtig. Darnach sollen Protestanten, die ihx^Domizil in Schw.^z haben und alle übergetretetenen Schweizerbürger, die noch als in diesem Kanton domizilirt angesehen^ werden, als Untergebene der römisch-katholischen Priestergerichte ^.zu betrachten sein. Sodann soll auch eine Protestantin, welche mit einem katholischen Schweizerbürger in gemischter .^he lebt, denselben Gerichten unterworfen, folglich ihrer tonfeffionellen Rechte beraubt sein und unter Anderm nicht mehr gänzlich geschieden werden können. ^luf diese Weise könnte auch das Bundesgesez über die gemischten Ehen seine Wirksamkeit verlieren, indem dieselben einfach als katholische ^behandelt würden.

Nebenbei mag auch eine Hinweisung auf die schweizerische Kantonsvertassüng am Plaze sein. Dieselbe spricht nirgends von Priestergerichten..

Wenn fie auch die römisch-katholische Religion als die einzige Religion des Staates gewährleistet, so folgt doch daraus allein für die Katholiken..

aewiß nicht, daß für Ehesachen, die unzweifelhaft in.s Staatsgebiet ein^

357 schlagen, auch die katholischen Priestergexichte mitgewahrleistet seien, wie denn auch die Klöster im .^. 33 noch ausdrüklich gewährleistet werden mußten. Noch viel weniger kann daraus eine geistliche Jurisdiktion übe^ Protestanten gefolgert werden.

Auffallend ist es, daß das bifchöflich^churifche Konsistorium in Schw.^z ein Scheidungsiirtheil aufgehoben, welches vor 8i/... Jahren das bischöflich...aselfche Konsistorium in Luzern gefällt hat.

Rekiirrentin stellt das Gesuch, der Bundesrath möchte das Erkenntniß des Konsistoriums in Schw.^z vom 1. Juli v. J., als von unzuständiger Behörde ausgegangen und ihre verfassungsmäßigen Rechte ver-

lezend , kassiren und fie^ gegen ^die Ansprüche der römischen Geistlichkeit ^chüzen.

B. Als Antwort aus obige Beschwerde übermittelte die .Regierung .von Schw^z unterm 25. November abhin : .

a) die Vernehmlassnng des Vormundes der Frau Jnderbitzin, vom 21.

Oktober l 858;

h) die Vernehmlaffnng des Konsistoriums in Schwr^z , vom 20. Oktober

lezthin.

Diese leztere Vernehmlassung, als die Rechtsfrage erörternd , enthält im Wesentlichen Folgendes : Es entsteht die Frage, ob Rechtsgründe vorliegen, um das rechtskräftige Konsistorialurtheil vom 1. Jnli v. J. aufzuheben.

Diese Frage innß, gestüzt ans folgende Säze, verneint werden.

I. Bezüglich der Zuständigkeit:

1) Gemäß ^en allgemein anerkannten Rechtsgrundfäzen richtet fich in matriinoniellen Angelegenheiten das Forum nach demjenigen des Ehemannes (l^oxum originis).

2) Der Kläger hat seine Ehefrau, auch abgesehen vom ersten Saze, vor keinem andern Forum belangen können, als vor dem schwvzerifchen . denn

a. die Klägerin ging als Katholiken Verpflichtungen ein, uin die es sich im Prozesse handelte und von welchen sie kein answärtiges Gericht entbinden kann; h. die Rekurrentin hatte zur Zeit der Prozeßverhandlung weder in Glarus noch in Zürich ein Domizil, und stellte der Klage auch keine solche Behauptung entgegen; dieselbe konnte somit nicht außer de^i Kanton in's Recht gefaßt werden, indem sie wie der Kläger unter der Jurisdiktion von Schwr^z steht.

II. Es sind die verfassungsmäßigen Rechte der Rekurrentin in keiner Weise v^rlezt worden.

1) Angenommen auch, es sei eine gemischte Ehe vorhanden, so muß die Rekurrentin dennoch vor dem schw.^zerischen Forum Rede und Antwort geben. Das Forum von Schw.^z .gesteht für alle fchw^zerischeu Angehörigen, somit für alle im Verband desselben Befind-

358 lichen, feien sie Katholiken oder Protestanten.

Es besteht daher keine Ungleichheit vor dem Geseze und vor der Verfassung, indem alle dem gleichen Gerichtsstande unterworfen sind.

....^ Wenn eine ganz protestantische Ehe stch im Kanton Schwvz befinden würde und es wollte eine Scheidung bezwektt werden, so wäre das schwedische Forum kompetent, ohne daß man sich über Verfassung^verlezung beklagen könnte. Ein Fall dieser Art wurde vom Bun.

desrathe in Sachen des Ad. Adain ^neichen im gleichen Sinne entschieden. indem zwei protestantische Personen an das katholische Prie.stergericht von Liizern verwiesen wurden. Die Ansicht der Returrentin würde zu der Konsequenz führen, daß, wenn in einer gemischten Ehe im Kanton Schwr^z der katholische Mann gegen seine protestantische Frau klagend austreten wollte , sich derselbe vorerst von irgend einer Oberbehörde ein protestantisches Gericht außerhalb des Kantons anweisen lassen müßte, während eine solche Besugniß keiner Oberbehörde zusteht. Jn einem solchen Falle würde aber ^das allgemein geltende Rechtsprinzip des Gerichtsstandes des Mannes nicht nur verlezt werden, sondern es würde auch noch die Rechtsungleichheit eintreten, daß der katholische Ehemann sich einem protestantischen Gerichte unterwerfen müßte. -- Es werden zwei vollkommen gleichberechtigte Konfessionen in der Eidgenossenschaft anerkannt, allein diese verfassungsmäßige Bestimmung hat nicht die Verlegung eines natürlichen Gerichtsstandes zum Zweke. Bei Behandlung der Streitfragen Schin i d l i n - Z i e g l e r und Reg an e ll^ waren übri..

gens sänimtliche Juristen der Bundesversammlung fast einstimmig dex Ansicht, daß in Ehesachen ohne Rükstcht auf die Konsession das Forum des Ehemannes zuständig sei.

.3) Der von der Rekurrentin angerufene Art. 44 der Bundesverfassung handelt von der freien Ausübung des Gottesdienstes dei den aner^ kannten christlichen Konfessionen. Es handelt sich aber im vorliegenden Falle keineswegs um Beschränkung der Ausübung des Gottesdienstes ; es ist daher diese Berufung unstichhaltig. Wenn ferner eingewendet wird , die schweizerische Kantonsverfassung spreche nirgends von Priestergerichten, so muß hierauf erwidert werden, daß wenige Kantonsverfassungen der Ehegerichte erwähnen , d..ß aber dessen ungeachtet dieselben dennoch im Staate anerkannt und durch die
unbedingte Vollziehung ihrer Urtheile gefchüzt sind, weil sie auf altherkömmlicher Uei^ung beruhen , wie dieß anderwärts auch der Fall ist. Es steht daher dem Bundesrathe in dieser Beziehung ^eine Jntervention zu, indem es nicht in die Kompetenz des Vundes fällt, den Kantonen das materielle Recht in ihrer Zivi.gesezgebung . vorzuschreiben.

359 Jn Erwägung: 1) daß zur Zeit die kompetente Behörde die Rekurrentin und ihren ^ann auf unbestimmte Zeit von Tisch und Bett geschieden hat ; 2) daß der später erfolgte Uebertritt der Frau zur protestantischen .Konfession keineswegs die Aufhebung der Ehe nach sich zieht , sondern fortwährend eine noch gültige, aber dermalen gemischte Ehe vorhanden ist; 3) daß bis zu einer gänzlichen Trennung jedem Ehegatten die Be..

fugniß zusteht, bei der kompetenten Behörde eine Aufhebung der tempo^ xären Scheidung zu verlangen; 4) daß in matrinioniellen Angelegenheiten der Gerichtsstand des Ehemannes kompetent und die bloße Thatsache der Konfessionsänderung.

^..er Frau nicht geeignet ist , den natürlichen Gerichtsstand zu ändern ; 5) daß das Forum von Schw^noch um so eher als kompetent z^ betrachten ist , da die unter Vormundschaft stehende Rekurrentin keinem sesten ^ohnsiz hat und der in Gerfan wohnende Ehemann nirgends an^ ^erswo ein Gericht finden würde, welches über sein Begehren entscheiden

könnte ;

6.I daß daher eine Berufung ans den Art. 44 der Bu^desversassung nicht am Plaze ist, indem weder freie Ausübung des Kultus, noe.l^ Handhabung der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter den KonZessionen in Frage steht, auch eine Verlezung der Kantonsverfassung nicht

.vorliegt ;

7^ daß. somit die .staatsrechtliche Frage, ob der Bund zu einer Jntervention bezüglich der angegriffenen Verfügung berechtigt sei , verneinen^ zu beantworten ist , beschlossen: 1) Der Rekurs fei als nicht begründet abgewiesen.

2) Sei diese Schlußnahme der Regierung von Schwvz und dem ..Hrn. Bruhin zuhanden der Reknrrentin Initzutheilen.

Also beschlossen in B e r n , den 4. Januar 1859.

Jm Namen des schweizerischen Bundesrathes , Der Biindespräsident :

Stäm.^fli.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß.

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Beschluß des Bundesrathes über die Rekursbeschwerde der Frau Josepha Inderdizin gesch. Cammenzind, von Schwyz. (Vom 4. Januar 1859.)

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01.09.1859

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