^

#ST#

Bericht und Antrag der

Minderheit der kommission in Sachen des Vertrags mit Baden.

(Vom 21. Dezember 1 863

Tit. l Die Minderheit der von Jhnen in Sache des Vertrags mit Baden uber Niederlassung- und Gewerbswesen bestellten kommission ^) stellt steh formell auf emen ganz andern Standpunkt, als die Mehrheit, und gelangt daher auch zu einem abweichenden Antrage, dahin gehend : Der Ständerath, nach Einsicht des mit dem bevollmächtigten des Grossherzogthums Baden vereinbarten Vertragsentwurfs über Niederlassungs- und Gewerbswesen, in Abweichung vom Besehlusse des Nationalrathes ; mit Rüksicht auf Art. 3 und .) der Bundesversassung , möge den Bundesrath einladen, das Zustandekommen eines solchen Vertrages auf dem Wege des Eoneordates zwischen Baden und den Schweizerischen Kantonen anzubahnen.

Um die Richtigkeit und den Werth dieses Antrages zu ermessen, wird es nothwendig sein, vor Allem die Frage zu stellen und zu beantworten, ob nach Gesetzgebung und Praxis hier die entsendende Stimme den .Kantonen Anstehe, beziehungsweise : ob es sieh lediglich um einen Vertrag im Sinne des Art. 8 oder aber der Art. 3 und 9 der Bundesverfassung handle.

Art. 8 der Bundesversassung sagt : ,,Dem Bunde allein steht das Recht zu, Krieg zu erklären und Frieden zn sehliessen, Bündnisse und Staatsverträge, namentlich Zoll- und Handelsverträge mit dem Auslande einzugehen ", während Art. 3 die Hoheit der Kartone aufrecht hält in Allem, was nicht durch die Versassnng , als vereinbartes Statut, innert ^) Bestehend aus den Herren A r n o l d und V. Hettlingen.

50 welchem sich die 22 Souveränitäten zu bewegen haben , ^..m Voraus reglirt, oder der Staatshoheit des Bundes untersteilt ist.

Legeres Zugestandniss , in Verbindung mit Art. 9 der Verfassung , welcher sagt : ,,Die Besugniss , Verträge über Gegenstände der Staatswirthschaft, des nachbarlichen Verkehrs und der Bolidi mit dem Anslande abzuschließen, bleibt den Kantonen^, giebt der Minderheit das unbedingteste Recht , in vorlegender Materie dem .^inn und Geiste von Art. 3 und 9 der Verfassung ^u huldigen.

Der vom Bundesrathe beliebte Titel.. ,, Staatsvertrag ^ ist hier nicht entscheidend. Es kommt eben nicht auf den Titel, sondern aus den J n h a l t des Vereinbarten oder des zu Vereinbarenden an, und nach Diesem handelt es sich um nicht.... mehr und nichts weniger als um Gegenstande der Staatswirthsehaft und des Verkehrs mit einem Raehbar^ ftaate genau ini Sinne von Art. 9 nnd durchaus nicht nm ,,Krieg o.^er einen Friedensschluß oder tun einen Zoll.. nnd Handelsvertrag^ un eigentliehen Sinne des Wortes, deren Abschluss Art. 8 der Verfassung allein dem Bunde vindi^rt.

. . ..

Von der gleichen Ansieht sind wohl auch die Kantonsregieru^gen ausgegangen, welehe, vom Bundesrathe ...uh l9. August d. J. über die Wünsehbarkeit eines Vertrages mit Baden und selbst über den T.nor desselben angefragt, in ihren Antworten ihn gros^tentheils einen ^Vertrag über gegenseitige Niederlassung^- und Gewer^reiheit.^ ^couveutiou coucernant l^. liberté d'ét^h^sse^ent et d'industrie^ ganz im ^inne von Art. .) der Verfassung nennen. Einzelne Kantone ^wahren sogar ausdrüklieh ihr Ratisikationsreeht, so: Schw^, Unter.. und Obwalden. ^e^teres (und nach der Theorie, die noch letzter Tage im Nationalräthe zu Dunsten einer garantirten Verfassung, gegenüber einer V..tition für .^timmreeht nach dem Geiste des Bundes, mit Erfolg anfrechtgehaiten wurde - sollte man meinen mit einiger Ber..ehl^gun^) beruft si.^h namentlich anf die ^ersassungsgemässe Regelung der Rie^erlassnngs- und Gewerbsverhält^isse gegenüber fremden Staaten durch seine Landsgemeinde.

Gleiches gilt aueh für andere Kantone. Jnner-Rhoden behielt an^drüklich den ^...tscheid seines Grossen Rathes vor, welcher sich ^ann für den Vertrag aus.sprach, immerhin mit dem Vorbehalt: wenn die M^.hr^l ^er Kantone sieh dasür interessare. ^t. Gallen, dessen Regierung sich zu
Absehluss von Verträgen in angeregter Materie sew...ilen geneigt erklärt, verlangt sub 1l. September ausdruklieh noch beruhigende Aufschlüsse, b...vor es seine Zustimmung erkläre^ will. Andere Kautone hab...n in der hofliehen A^frage des Bundesrathes oh.. e Zweifel ein Vorgehen im ^inne des Art. 10 der Bundesverfassung gesunken, welcher sur den amtlichen Verkehr zwischen Kantonen und auswärtigen ...^taatsregierungen der V e r m i t t e l n u g des Bundesrathes ruft, und mindesten^ hat ^oeh d i e Ansehauuug ihr... Berechtigung: der Bundesrath l.^be, indeu. er allerl^i^gs in seinem Eirkniar vo^n 1.). August d. J. dem Bunde die in Art. 8

5l enthaltene Besugniss ..^pre....^ verbi.. gewahrt wissen wollte, in Würdi^ung auch des Art. 9 und zur Vermeidung eines Eompetenzstreites ^..m vermittelnden Art. 10 der Verfassung die Zuflucht genommen, in seiner Anfrage ansdrüklieh das Ganze von den Wünschen der Kantonsregierungen (also nicht etwa nur von dem Ermessen der Rälhe) abhängig machend.

Für solche .Auffassung mag wohl die vorläufige oder definitive schriftliche Zustimmung v i e l e r Kantone zeugen, während Einzelne das sbrmlich...

Genehmigungsrecht sich noch vorbehalten , Andere positive Abänderung.^ antrage stellen.

Anbelangend die Vra^.s, so darf nicht übersehen werden, dass gerade Gegenstände des allgemeinen^ Wohles , des Verkehrs und auch solche von internationaler ..^edeutnng ^wischen dem Auslande und den Kantonen schon oft aueh unter der neuen Bundesverfassung geschlichtet worden sind, mit oder ohne Znlhnn des Bundes, so . Fragen über gegenseitige Verpflegung kranker Staatsangehöriger, Vereinbarungen über kostensreie Aktensertigun..

^en, Verträge über Seh..^ von literarischem und künstlerischem Eigenthnm, über Militärdienstbefreiung, woran gerade der Bund gewiss auch ein Jnteresse haben sollte, u. dgl. m. , während allerdings auch für die gegentheilige Brar^is Fälle eitirt werden . konnen und gerade der gegenwärtige Vertrag sich mehr o.^er weniger an jenen über Freizügigkeit mit dem gleichen Raehbarstaate , vom l.^. Dezember 1856 (anch mit den. Bunde vereinbart) anschließt.

Wenn daher der Brax^s einiger Werth beigelegt werden will, so

dürfen wir dieselbe ebensogut sür uns als für die gegentheilige Ansieht in Ansehlag bringen. Und es ist jedensalls die daraus zu gehende ^on^ se.^uenz zu unseren Gunsten, weil sie den Art. .) der Verfassnng zur Seite hat und für den gegentheiligen ..^tandpunl^t mehr nnr ein freiwilliger Eonsens, ein ..Gehenlafsen^ von ...^eite der Kantone angenommen wer^ den darf.

Eine andere Auffassung, wonach das mehrere, ausgedehntere Recht, wie es aus Art. 8 gefolgert werden will , das mindere unter allen Umständen, unter denen vom erstern Gebrauch gemacht werden will, in sich schließt, beziehungsweise die kantonale Vefugniss in der eidgenossiseheu aufgehen soll , h.itte die einsache Folge, dass wir, b..i der Tendenz, Alles in den Mantel von sog. ^taatsverträgen zu hüllen , den Art. .) als werthlose ^loskel aus unserm Bundesstatut a u s m e r z e n konnten, währenddem ^inu und Geist der drei Artikel 8, 9 und 10 der Verfassung in ihrem Zusammenhange vielmehr der Jnitiative der Kautone rufen und ans Art. 8, soweit nicht von Krieg, frieden und eigentlichen ^ehul^büudnissen die Rede ist , mehr ein Brohibitivs^stem des Bundes gegen d..e Kautoue zu folgern ist , sür Alles , was aus hoh..rn politischen Gründen

nicht der individuellen Selbständigkeit der 22, b^iel..u..gsweise 25 sehwei^erisehen Einzelnftaaten , ohne einheitli.he Oberleitung . zugestanden werden will.

52 Rnr bei solcher Auslegung unserer Bunde.^esetze und nur bei solche..

Deutung unserer staatsrechtlichen Vra^is, konnen wir^die f o d e r a l e Form ...mserer Staatsorganisation beibehalten und uns mit Erfolg als Bundes.^ ftaat mit lebenskräftigem kantonalem Element, vom E e n t r a l s t a a t unterscheiden.

Wenn nun, nach dieser Auseinandersetzung, der formelle, man kann wohl auch sagen prinzipielle Standpunkt, auf welchem die Eommisfionsminderheit steht, gewiss s^on seine ..Berechtigung hat, so kommt ihr in nicht geringem Maasse auch noch der Umstand zu gnt, dass der .^uästionirliche sogen. Staatsvertrag in seinem Wesen nnd in seiner Tragweite für die Schweiz keineswegs so wünschbar nnd so opportun erscheint, um entgegen den ..^rotestationen von Bundesgliedern einerseits und trotz den Bedenken .Anderer, dessen .^lbschluss in Eilmärschen zu bewerkstelligen.

Die frühern Zollbegünstigungen werden von Baden keineswegs zugestanden, der Jmport leidet stets no.h zu nnserm Rachtheile. Raeh der Vorlage wird der Niedergelassene, wohl auch der Güterbesitzende, insoweit es den Besitz und Betrieb angeht, in jedem Lande nach der j e w e i l i g e n Gesetzgebung desselben behandelt. Es ist nun hier zwischen dem Lande mit monarchischer Staatssorm und der Republik wohl zu unterscheiden.

Während Letztere, sowohl ihrem Ursprünge als ihrem Dasein getreu, einer stets sreiern Entwickelung entgegen geht , ist Jene sehon ihrem Wesen nach nicht dazu angethan, und es bürgt uns Niemand dasür, dass die heute so viel -.- im Berichte der nationalräthlichen Eommission über alle Maassen -.^- gepriesene liberale Staatsregierung nach Jahren in Folge dieser oder jener, innern oder änssern Einwirkung ans der uns zusagenden Bahn noch zu finden sei. ^Schon desshalb wäre eine Beschneidung der 10jährigen Vertragsdauer, oder doch die Möglichkeit einer srühern .^.ündnng sehr wünschbar.

Wahrscheinlich ist auch, dass gegenüber den grossen schweizerischen .^api.talien und Geschähen, die bereits schon in Baden arbeiten (nnd sieh mit dem Vertrage mehren werden) nnr Kleingewerb-Treibende, wohl in mancher Beziehung nicht zu nnserm ...ationalokonomisehen Rutzen , sieh in der Sehweiz niederlassen werden. Jetzt schon weiset allein die Stadt Basel bei 600l) Badenser aus, nahezu zwei Drittheile mehr als die gesammten Schweizer im Grossherzogthnm Baden, indem bei der letzten Zählung sich 2234 Schweizer dort vorfanden.

Das in ...lrt. lll in .Aussicht gestellte Reeiprozitätsverhältniss , näm.^ lich die Zusicherung des einem dritten Staate eingeräumten Vortheiles von ^eite beider Kontrahenten , ist an und sür sieh eine sehr vage und für uns wenig Vorteil verheizende Bestimmung , währenddem , bei dem W..rthe, den die Schweiz aus einen erweiterten Staatsvertrag mit Frankreich legt und der --.. wie wir befürchten --.. den sranzosischen Juden auf diesem oder jenem Wege unser .Land ossnen dürste, wir, bei solcher Be-

..^

stimmung, die badifchen Juden jetzt schon mit in den ^aus nehmen.

Es wäre daher auch hier der Wortlaut der Riederlassungsverträge mit Jtalien , Frankreich , England .und Amerika ,^ wonach die Angehörigen dieser Staaten einfach den Jnländern gleich gehalten werden müssen , vorzugehen.

^ ^.

.

Wie es daher unbestrittene Thatsaehe ist, dass ein Vertragsabschluss mit Baden durchaus nicht von schweizerischer, sondern von badiseher ...^eite anbegehrt worden ist, so ka..n Jhnen, Tit., bei dem eben beendigten Vortrage der Eommissionsmehrheit auch nicht entgangen sein , dass sie selbst der Bedenken viele hat, die sie allerdings, bei dem unverholenen Streben : nicht mehr zurük zu gehen , mit vielem Geschick für sich selbst und ändere zu widerlegen bemüht ist. Sie nimmt daher selbst die Zuflucht zum letzten Mittel , das dahin zielt , bei der. Vertragsaus...

wechselung schweizerischer Seits den Vorbehalt zu machen : dass das Eine und Andere s o und nicht anders gemeint sei, was einem ^ auf Gnade

oder Ungnade Sichergeben so ziemlich gleichsteht.

Jndem die Minderheit sich hiemit erlaubte, anch aas einige Schat..

tenseiten des Vertrages selbst hinzuweisen, eines Vertrages, in seinem

praktischen Werthe ähnlich jenem mit Frankreich vom 30. Mai 1827, der den Franzosen .viele, den Schweizern w e n i g e Vortheile gebracht, glaubt sie damit nur gezeigt zu haben, wie wenig beneidenswerth die ...Lage des Rathes ist, wenn er ^ entgegen ihrem Antrage --. den Kantonen die Möglichkeit der Mitwirkung benehmen und die Kompetenz zum Absehlusse des in FragestehendenVertrages , entgegen dem Willen von Kantone.. , sich selbst vindiziren wollte .

.

Hoehachtungsvollst.

Bern, den 21. Dezember 1863.

.

Ramens der Minderheit der Kommission, Der Berichterstatter:

.^f. .^ruol.^.

.^ o ^. Der Sta^...ertrag m^ dem ..^r^ßherzogthum Baden ist ......m ^al^na^ rath am 17. und ^m Standerath ...m 21. Dezember 18^ genehmst worden.

.^unde^Iatt. Jahrg. X^l. Bd.I.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht und Antrag der Minderheit der Commission in Sachen des Vertrags mit Baden.

(Vom 21. Dezember 1863.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1864

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

03

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

14.01.1864

Date Data Seite

49-53

Page Pagina Ref. No

10 004 311

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.