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Bundesratbsbeschluß in

Aachen des Rekurs der Jungfer disette L e ne n berger, von Dürrenroth (Bern), niedergelassen im Säget bei Zofingen (Aargau), betreffend Gerichtsstand.

(Vom 10. August 1864.)

Der s chweizerische B u n d e s r a t h

hat in Aachen der Jungfer Lisette Lene n b e r g e r , von Dürrenroth, Kts. Bern, niedergelassen im Saget, bei Zofingen, Kts. Aargan, betreff

send Gerichtsstand ,

nach angehorte.n Berichte des Justiz- und Volizeidepartements und nach Einsieht der Akten, worans sich ergeben : 1. Am 25. Dezember 1861 ist Johann Lenenberger , Bürger nnd wohnhast zu Dürrenroth, gestorben und hat gemäss Testament als Erben fünf Geschwister und eine Richte hinterlassen. Unter den erstern befinden sich die heutigen Rekursparteien, nämlich die Jgsr. Lisette Lenenberger, Rekurrentin und ihre Schwestern Anna Barbara und Elisabetha Lenenberger, elftere verheiratet mit Hrn. Alexander Bigler in Biel und leztere die Ehefrau des Jakob Hausammann in Männedors, Kts. Zürich, Rekursbeklagte.

2. Zwischen sämmtliehen Erben kam eine Theilung zum Absolusse, d. d. Säget bei Zofingen, 18. September 1862, in welche unter Ziff. 6 folgende Schlussbestimmung ausgenommen wurde:

149 Rollten später uoeh andere zur Erbsehaft gehörende Ver,,mogensgegenstände, welcher Art sie immer sem mosten, ^m ,,Vorsehein kommen, so sollen alle Re.hte der Erben anf dieselben ,,bestens verwahrt sein. Diese Reehtsverwahrung bezieht sich na,,mentlich auch aus die ^wei Titel, welehe die Lisette Leuenberger ^dermal .in Handen hat, und aus welche von leiten der Miterben ,,A..sprüehe erhoben werden.^ 3. Dieser Vorbehalt begeht sieh aus ^wei Sehul.dtitel , der eine im betrage von Fr. 3000 a. W. oder Fr. 4347. 83 Rp. n. W., und der andere von ^r. ^6. ^0 Rp. a. W. oder Fr. 1111. 15 Rp. n. W.

Der Erblasser hat dieselben s. Z. abbezahlt, aber statt sieh selbst dafür .^.ittiren ^u lassen, bemerkt, .dass in beide eine Abtretung ^u Gunsten seiner ^ehwester, der Rekurrentin, eingetragen wurde. Deunoeh waren diese beiden Titel bei den Bapieren des Erblassers, bei welchem übrigens die Rekurrentin ^.r Zeit seines Absterbens aueh gewohnt hat. Der mit der Bereinigung ...er Erbsehast betraute Rotar Grädel hat sie dagegen der Rekurrentin ausgehändigt, die seither in deren Bes.^ geblieben ist.

4. Gestüt aus den der Theilnug beigesügten Vorbehalt haben di^ Herren Alexander Bigler und Jakob Hausammann , Ramens ihrer Ehefraueu, bei dem Amtsgerichte Traehsel.r,ald, Kts. Bern, in dessen Ge.xichtsspreugel der Erblasser heimatbereehtigt un... beim Absterben wohnhaft war, gegen die Rekurrentin Disette Leuenberger eine ^lage eingeleitet und verlaugt, dass diese ^. verurteilen sei, die in ^rage stehenden zwei ........itet der Erbschaft des Johann Leuenberg^r zurük..ugeben , resp. in die Erbtheilung fallen ^. lassen, oder der Erbsehast ^euenberger den vom Erblasser bezahlten Gegen.verth zu ersehen. Dieses Reehtsbegehren wnrde au.h für jeden Titel besonders gestellt und aus die den Klägern zustehenden Erbs.^.oteu beschränkt, uämlieh sur Hrn. Bigler ^^ und für Hru.

Hau.^ammann ^.^ der beiden Kapitalien.

5. Die Beklagte, heutige Reknrre..tin , bestritt die Kompetenz der berufen Geriete, gestü^t aus Art. o0 der Bundesverfassung.

Die Kläger dag^en haben Diesen Gerichtsstand uaeh zwei Richtungen hin zu begrundeu gesucht, indem ^sie ausführten : .... uaeh dem Konkordate vom 15. Juli 1822, welchem Aargau und Bern beigetreten seien, gehore diese Erbfehasts- resp. Erbtheilt..ngsklage vor den Gerichtsstand der Heimat des Erblassers,

b. die Benagle habe diesen Gerichtsstand durch ihren Bevollmächtigten anerkannt.

Beide Instanzen haben jedo.h die forideklinatorifche Einrede verworsen , und ^war das Amtsgericht Traehselwald , indem es in seinem Urtheile vom .). Dezember 1863 die beiden erwähnten Motive adoptirte, der Appellations^ und Kassatioushos des Kantons Bern dagegen, h^deur er dureh Urtheil vom 26. Februar 18^4 das erfte Motiv annahm, jedoch

150 das Vorhandensein einer .prorogation negirte. Es ist daher auf die leztere hier nicht weiter einzutreten.

6. Das Vorhandensein einer Erbschastsklage und daher die An-

wendbarkeit des Konkordates vom 15. Juli 1822 ist in dem Urtheile des

Appellations- und Kassationshoses des Cantons Bern in folgender Weise begründet : L Rach ^ 15 .^ gehoren Streitigkeiten in Betreff nnvertheilter Erbfchaften vor den Gerichtsstand des Wohnsizes des Erblassers; im vorliegenden Falle sei also allerdings das Richteramt Trachselwald die zuständige Behorde, indem a. die zwischen den Parteien stattgesundene Erbtheilnng nicht als eine definitiv vollendete angesehen werden konne , so lange un^ entschieden bleibe, ob die Titel und Werthe, die den Gegenstand der Klage bilden, in die Theilungsmasse gehören und einzuwerfen seien oder nicht, und so lange die diessallsige Verwahrung der .Kläger im Theilnngsakte selbst nicht erledigt sei.

b. der Streit geführt werde zwischen einzelnen Miterben derselben Verlassensehast und über Gegenstände, die nach den Behauptungen der Klage zu dieser Verlassensehaft gehoren und dem Erblasser angehört haben .

c. naeh der allgemeinen Fassung ^obiger Gesezesvorsehrist ebensowohl Sreitsragen über das Erbrecht an sich, als auch Streitigkeiten der Miterben unter sieh über den Umfang und die GeAnstände des Erbrechts vor den Gerichtsstand des Wohnsizes des Erblassers gehören;

d. der Rechtstitel, ans welchen der Klagsanspruch sich gründe, durchaus erbrechtlicher Ratnr sei und ans dem Erbrechte hergeleitet werde.

. II. Die Klage sei also nicht aus eine ^gewöhnliche personliche Ansprachen gerichtet, und daher konne aneh die E.^.ipientin sieh nicht aus Art. 50 der Bundesverfassung berufen.

IIL Ueberdies wäre nach den in ^ 3 des Konkordates vom 15. Jnli 1822 ausgestellten Grundsazen für Erbstreitigkeiten, und namentlich auch für Erbtheilnngsfragen , der Gerichtsstand des Heimatortes des Erblassers selbst dann begründet, wenn dieser im Kanton Aargau niedergelassen gewesen und dort verstorben wäre , um so mehr aber müsse dieses der ^all sein, da er wirklich im Geriehtsbezirk seines Heimatortes seinen Wohnsiz gehabt habe und verstorben sei.

7. Mit Eingabe vom 26. April 1864 hat Herr Fürspre^.er Dr.

Emil Vogt, Ramens der Jgsr. Lisette Leuenberger, bei dem Bundesrathe Beschwerde erhoben und das Gesuch gestellt, er moge das Urtheil des Appellations- und Kassationshofes des Kantons Bern von. 26. ^ebruar 1864, als mit der Bundesverfassung im Widerspruch stehend, aufheben.

151 Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: ^..ie Kia^e gehe ^ alternativ auf Herausgabe bestimmter Werthgegenstände , und zwar nicht an sämmlliche, sondern nur au zwei Erbsinteressenten, oder ans Erfaz des (diesen ^wei ^.kommenden) Werthes. Sie enthalte also zunächst eine rei vmdic^io und gehe im Grunde aus die Frage hmans, ob eine rechtsgültige Schenknng jener Titel an die Beklagte stattgefunden habe. Es liege somit in beiden Richtungen eine personliche ^nspra^.he vor , die nach Art. 50 der Bundesverfassung vor die aarganischen Gerichte gehore, unter deren Jurisdiktion die Beklagte wohne und die streitigen Gegen-

stände sich befinden.

..^as Konkordat vom 15. Juli 1822 komme hier gar nicht zur Anwendung, weil es bloss aus ..Niedergelassene sich beziehe, d. h. auf die in einem Kauton heimatberechtigten und in einem andern Kanton ^esshaften Schwei^erbürger , ein Verhältniss , das hier gar nicht vorliege , indem Johann Leuenberger in seiner Heimat gestorbeu sei.

Auch sei der ^ 1 5 des beruischen Eivilprozesses hier nicht anwendbar, denn es liege keine Erbstreitigkeit vor. Es sei weder die Qualität der Erben , no.h der Grad ihrer Betheiligung streitig . auch handle es sich nicht um ein Objekt, das in der Erbschaft läge, sondern um die Ungültigkeit einer Schenkung und um Rüksorderung der geschenkten Gegenstände. ^er Erblasser selbst hätte eine solche Klage da erhebrn müssen, wo die Gegenstände liegen . sein Tod habe hierin nichts ändern

kennen, obschon die Beklagte znsällig Miterbin sei. ...^ie bundesrechtliche Vrar^is stimme mit dieser .Ansicht ebenfalls überein.

(Ullmer Rr.

275.)

Endlieh .haben die Erben durch die Erbtheilung in Zosingen den .Gerichtsstand im Kanton .^largau anerkannt.

8. Hr. Fürsprecher Bü^berger in Langenthal hat diese Besehwerde Samens der Rekursbeklagten unterm 6. Juni 1864 beantwortet wie folgt: Es sei unrichtig, dass die Erbtheilung im Wohnorte der Rekurrentin, in ^osingen, ^u Stande gekommen sei; sie sei blos dort geschrieben und von den Erben in ihren Wohnorten unterschrieben worden. Uebrigens soll seither die Reknrrentin ihren Wohnsi^ nach Her^ogenbuchsee verlegt haben. Es handle sieh jedoch nicht um eine personliehe Ansprache , sondern um eine Erbstreitigkeit, deren Ratur in dem rekurrirten Urtheile ganz richtig angegeben sei. ^ass die Kla^e alternativ laute, ändere nichts; denn in beiden fällen srage es sich, was in die Theilungsmassa salle, resp. unter den Erben ^..r Vertheilung kommen soll. Alle Streitigkeiten unter den Miterben über fragen, welche ans d.e Verlassenschaft Bezng haben , und so lange eine vollständige Erbtheilung noch n.eht stattgesunden, sallen unter den Begriff von Erbstreitigkeiten.

Wenn nun auch das Konkordat von 1822 ni.ht genau anf diefen Fall paffe, fo wäre es do.h unsinnig, wenn die konkordirenden Kantone

152 für die Niedergelassenen den Richter des Heimatortes ausgestellt hätten, aber sür ihre eigenen, im Danton wohnenden Bürger in Erbstreitigkeiten den Richter des .Wohnortes des Beklagten anerkennen sollten. Uebrigens genüge schon der ^ 15 des bernisehen .^rozessgesezes , um das fraglich..

Urtheil zu rechtfertigen.^ Die bundesreehtliche ^ra^is (Ullmer, l.^.

280 ff.) und namentlich der von der Rekurrentin zitirte Fall Rr. 27^, welcher dem porliegenden ähnlich sei, stimme mit der Ansicht der Rekursbeklagten überein.

Es wird aus Abweisung des Rekurses angetragen.

9. Der Appellations- und Kassationshof des Kantons Bern begeht sieh in seinem Berichte vom .). Jnli 1864 (eingegangen den 26. Juli) zunächst auf die im Urtheil enthaltenen Gründe znr Rechtfertigung derselben und weist darauf hi^, dass ein kor.im contractas dem beruhen und seheizerisehen Rechte unbekannt sei , und dass von einer Anerkennung des Gerichtsstandes in Zofiugen auch darum keine Rede sein ko....e. weil dort eine gerichtliche Verhandlung gar nicht staltgesunden habe. Sodann wird die vorliegende Klage als Erbtheilungsklage eharakterisirt, indem sie von Miterben gegen einen Miterben und ans Gegenstände gerichtet sei, die eingestandenermaßen naeh dem Tode des Erblassers in seinem Rachlass sich vorgesunden haben. Es sei ...^aehe des Richters. zu entscheiden, ob das Erbrecht aufgehoben worden sei, resp. ob es sieh um die Gültigkeit einer ^.henl.nng handle. Richt irgend ein obligatorisches Verhalt-

niss, sondern das Erbrecht liege der Klage als Rechtstitel z.. Grm.de.

Der im Konkordate von 1822 vorgesehene Fall. liege allerdings insofern nieht vor, als der Erblasser in seiner Heimat verstorben sei , allein indem die konkordirenden Kantone anerkennen, dass Erbstreitigkeiten nach den heimatlichen Gesezen behandelt werden müssen, haben sie den Gr..ndsaz implieite auch anerkannt, dass das Domizil eines Miterben nicht in Betraeht komme. Anch Erbtl^eilungen müssen gemäss dem Konkordate vom heimatliehen Richter nach heimatlichem Rechte beurteilt werden.

10. Auf spezielle Anfrage des eidg. Justi^ nnd Bolizeidepartementes hat Hr. Fürspreeher Dr. Emil ...^ogt mit ..Scheiben vom 8. Angust 1864 geantwortet, Jgfr. Lisette Leueuberger wohne bestandig im ^äget bei Zosingen , sie habe dort ihre ^ehristen noeh deponirt und u^ohue dort; sie komme nnr von Zeit zu Zeit naeh Herzogenbnchsee, un. dort die erwähnte Erbschaft zu bereinigen.

J n Erwägung:

1) der Entscheid der vorliegenden Geriehtsftandssrag.. hängt ^nzunächst von der ^ualitat der Klage ab, ob namlieh eine Erbsehastsklage oder ob eine bloss personliehe ^ord.^rungsklage vorliege, indem für erstere die heimatlichen Gerichte des Erblassers im Kanton Bern, sür die ledere aber die. Gerichte am Domizil der Beklagten (Reknrrentin) kompetent^ wären .

15^ 2) die Frage, ob eine Erbschaft ein Guthaben an einen Dritten habe, ist nun unzweifelhaft keine Erbsehastsstreitigkeit. und sie wird naturlich auch ^u kemer solchen, wenn dieser Dritte znfä^g ein Miterbe ist, denn die personliche Qualität einer B e k l a g t e n kann meht den Eharak..

ter einer Klage bestimmen ; ^ 3) es ist somit die Frage, ob die Beklagte der Erbschaft Leuenberger etwas schulde, vor dem Richter ihres Wohnortes ^u erledigen.

Wenn dagegen naeh allsäl.liger bejahender Erledigung dieser ^rage weitere Streitigkeiten über die Qualität der Erben , oder den Grad ihrer Erbs.^ Ansprüche auf das etwaige neue Guthaben der Erbsehast entstehen sollten,

so waren di.^sällige Streitigkeiten als wirkliehe Erbstreitigkeiten von dem

bernischen Richter zu erledigen ; beschlossen: .1. Es sei der Rekurs begründet und das Urtheil des Appellationsund Kassationshoses des Kantons Bern vom 2.^. ^ebruar 1864 h...

Sinne der Erwägungen ausgehoben.

2.

Sei dieser Besehluss der Regierung des Kantons Bern zuhanden des Gerichtshofes und der Reknrsbeklagten, sowie der Rekurrentin mitzutheilen, unter Rüksendung der Atzten. .

Also beschlossen, Bern, den 10. August 1864.

Jm Ramen des schweig. Bundesrathes,

Der Bundespräsideut: ^r. ^. Dnbs.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schieß.

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Bundesrathsbeschluß in Aachen des Rekurs der Jungfer Lisette Leuenberger, von Dürrenroth (Bern), niedergelassen im Säget bei Zofingen (Aargau), betreffend Gerichtsstand. (Vom 10. August 1864.)

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26.11.1864

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