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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Herbstsession 1921.)

(Vom 30. September 1921.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten, Ihnen über folgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen: 1. Eduard Trümpier, geb. 1888, Spengler und Taglöhner, zurzeit in der Strafanstalt Regensdorf.

(Sprengstoffverbrechen).

1. Eduard Trümpier wurde am 2. September 1920 von der III. Kammer des Obergerichts des Kantons Zürich in Anwendung von Art. l des Sprengstoffgesetzes vom 12. April 1894, § 216 des Strafgesetzbuches für den Kanton Zürich und Art. l der bundesrätlichen Verordnung betreffend den Besitz, die Aufbewahrung und den Verkehr mit Sprengmaterial vom 20. Mai 1919, verurteilt zu zehn Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von 58 Tagen Untersuchungs- und Sicherheitsverhaft.

Auf die hiergegen beim Kassationsgericht des Kantons Zürich eingereichte Kassationsbeschwerde wurde mit Entscheid vom 8. November 1920 wegen Unzuständigkeit nicht eingetreten.

Trümpier hat am 27. April 1920 nachts beim Feuerwehrhaus in Wädenswil eine mit Altorfit gefüllte Sprengpatrone auf die Schwelle der Haupttüre gelegt und mit einer Zündschnur zur Explosion gebracht. Das Haus war damals von einer Familie bewohnt, was Trümpier wusste. Verletzt wurde niemand, dagegen Schaden verursacht im schätzungsweisen Betrage von Fr. 1315.

Der amtliche Verteidiger reichte am 24. November 1920 für Trümpier beim Bundesrat ein Begnadigungsgesuch ein. Ferner gelangten mit Schreiben vom 5. Juli 1921 der Vater und ein Bruder Trümpiers mit einem Begnadigungsgesuch an den Regierungsrat des Kantons Zürich.

395 Zu diesen Begnadigungsgesuchen bemerken wir zunächst, dass es notwendig wird, die Frage der Zuständigkeit zur Erledigung der Angelegenheit näher zu erörtern. In den Akten befindet sich eine längere Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, die zum Schlüsse gelangt, die Begnadigung richte sich ausschliesslich nach Bundesrecht. Im gleichen Sinne äussert sich das zürcherische Obergericht. Unserseits gehen wir aus von Art. 7 des Sprengbtoffgesetzes, der bestimmt: ,,Treffen mit den in den Art. l--4 erwähnten Verbrechen Handlungen zusammen, welche unter das kantonale Strafrecht fallen, so sind diese letztern durch die kantonalen Gerichte zu beurteilen und unterstehen dem kantonalen Begnadigungsrecht." Angesichts dieser ausdrücklichen Anordnung muss unseres Erachtens ausnahmsweise von der herrschenden Übung der Begnadigungsbehörde abgewichen werden, wonach in Konkurrenzfällen für die Zuständigkeit des Bundes oder aber des Kantons zur Begnadigung als ausschlaggebend betrachtet wird, ob der erkannten Gesamtstrafe eine eidgenössische oder kantonale Strafandrohung als schwerste zugrunde liegt. Es kann im Hinblick auf die Fassung von Art. 7 des Sprengstoffgesetzes somit nicht gefolgert werden, im vorliegenden Falle sei das Begnadigungsgrecht deshalb ausschliesslich Bundessache, weil die der Gesamtstrafe zugrunde liegende Strafandrohung zweifelsohne dem Bundesrechte angehört. Wir greifen vielmehr in diesem besondern Falle auf die ältere, an sich mit Recht verlassene Praxis zurück, die auch in Konkurrenzfällen, in denen eine einzige Gesamtstrafe erkannt wurde, dem Grundsatze nach Bund und Kanton als zur Begnadigung zuständig erachtete, jedoch die schwerste Strafandrohung als bestimmend erklärte für das Vorrecht, sich mit dem Begnadigungsgesuch z u e r s t zu befassen. Im vorliegenden Falle dürfte zwar die zürcherische Begnadigungsbehörde sich aus einem formellen Grunde überhaupt nicht mit der Sache abzugeben haben, indem nämlich nach der Zürcher Strafprozessordnung ein Begnadigungsgesuch nur zulässig ist binnen acht Wochen seit rechtskräftig gewordenem Entscheid und derartige Begnadigungsgesuche dem Regierungsrat einzureichen sind. Diesbezüglich anerkennen der Vater und der Bruder des Verurteilten in ihrer nachträglichen Eingabe vom 5. Juli 1921 selbst, dass ihr Gesuch der zürcherischen
Fristsetzung nicht genügt. Mag derart das Gesuch einlässlich nur von den eidgenössischen Begnadigungsbehörden behandelt werden, so ändert dies nichts an dem Umstände, dass die zehn Jahre Zuchthaus als Gesamtstrafe zu gelten haben, die entsprechend Art. 7 des Sprengstoffgesetzes dem eidgenössischen und kantonalen Begnadigungsrecht untersteht, was bei der ErBundesblatt. 73. Jahrg. Bd. IV.

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396 ledigung des Gesuches mit Bezug auf das Mass eines allfälligen teilweisen Erlasses der Freiheitsstrafe von Einfluss bleibt.

In der Sache selbst wird in den Gesuchen geltend gemacht, die ausgesprochene Strafe müsse als Härte empfunden werden.

Es ist dies auch die Auffassung der beiden kantonalen Gerichtsbehörden, und der Bundesrat kann sich ihnen nach der Aktenlage des Falles anschliessen. Trümpier wollte den im Feuerwehrhaus untergebrachten Gemeindearrest zerstören, damit er am 1. Mai bei allfälligen Ausschreitungen nicht zum Unterbringen von Verhafteten dienen könne. Die Tat war aber nicht die Frucht langer Überlegung und Vorbereitung. Sie entsprang einer augenblicklichen Eingebung, verursacht durch den übermässigen Genuss von Alkohol und durch eine gewisse Aufregung Trümpiers infolge eines Wortstreites mit einem andern Arbeiter. Die Straftat kennzeichnet sich als ausgesprochene Affekthandlung im Alkoholzustand. Für weitere Einzelheiten nehmen wir ausserdem Bezug auf die ausführlichen Erörterungen der Zürcher Staatsanwaltschaft in ihrer Vernehmlassung vom 8. März 1921. Ausserdem ist hinzuweisen auf das psychiatrische Gutachten, act. 115 : danach ist Trümpier ein heruntergekommener Alkoholiker aus einer stark mit Geisteskrankheiten belasteten Familie, eine Person ohne Halt, von schwankender, reizbarer Art. Er muss jedenfalls längere Zeit vor jeglichem Alkoholgenuss bewahrt bleiben, wenn er nicht einem dauernden schweren Zerfall ausgeliefert werden soll.

Im Anschluss an diesen kurzen Überblick teilen wir noch mit, dass das Obergericht dès Kantons Zürich in besonderem Mitbericht ausdrücklich dafürhält, es sei dem Gesuchsteller durch Herabsetzung der verhängten Zuchthausstrafe zu entsprechen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und die Direktion der Justiz befürworten ebenfalls einen teilweisen Erlass, wobei jedoch in keinem Falle unter die für das Delikt der Brandstiftung an bewohnten Gebäuden angedrohte Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus gegangen werden sollte. Die Staatsanwaltschaft beantragt in diesem Sinne Herabsetzung bis zu fünf Jahren Zuchthaus, mit der Auflage, dass sich Trümpier innert angemessener Bewährungszeit jeglichen Alkoholgenusses enthalte. Die Heimatgemeinde Trümpiers werde in der Lage sein, allenfalls seine Versorgung an die Hand zu nehmen und ihn während der
Bewährungszeit zu überwachen oder in eine Trinkerheilstätte einzuweisen.

Entsprechend diesen Anträgen sollte auch unseres Erachtens.

von vornherein davon abgesehen werden, unter drei Jahre Zuchthaus herabzugehen. Wenn auch das urteilende Gericht eine Straf-

397 Schaffung über das Mindestmass der Strafandrohung des Sprengstoffgesetzes nicht vorgenommen hat, so ist in den zehn Jahren Gesamtstrafe das kantonale Delikt der Brandstiftung mitgeahnde't und sind, praktisch genommen, die drei Jahre als kantonale Quote der Gesamtstrafe zu betrachten. Danach wäre diesbezüglich dem kantonalen Straftatbestande Rechnung zu tragen, wobei zu sagen ist, dass nach der Art des in Betracht kommenden Vorfalls Trümpier die drei Jahre jedenfalls verbüssen sollte. Dagegen stellt sich die weitere Frage, wie lange Trümpier über die drei Jahre hinaus in der Strafanstalt zurückzuhalten sei. Wie bereits erwähnt, beuntragt die kantonale Staatsanwaltschaft, von der Gesamtstrafe fünf Jahre zu erlassen. Demgegenüber besteht eine andere Möglichkeit, und wir geben ihr den Vorzug, die darin besteht, dass der nähere Beschluss über den Umfang des teilweisen Erlasses heute noch nicht vorgenommen, sondern zunächst abgewartet wird, wie sich Trümpier während der ersten drei Jahre der Strafvollstreckung bewährt. In diesem Sinne b e a n t r a g e n wir deshalb, die Angelegenheit heute nicht endgültig zu erledigen, sondern an den Bundesrat zurückzuweisen, zwecks erneuter Vorlage zu gegebener Zeit. Wir werden nicht verfehlen, im weitern Verlaufe über das Verhalten Trümpiers in der Strafanstalt geeignete Erhebungen zu veranlassen.

2. August Alfred Marendaz, geb. 1890, der Strafanstalt Witzwil (Bern).

Kaufmann, zurzeit in

(Fälschung von Bundesakten und Betrugsdelikte.)

August Alfred Marendaz wurde am 24. Juli 1920 durch den Assisenhof des II. Geschwornenbezirkes des Kantons Bern, gestützt auf den Wahrspruch der Geschwornen und in Anwendung der Art. 61, 31 a, c und d, 32 », 33, 3. AI. 2, 7, ßundesstrafrecht in Verbindung mit kantonalrechtlichen Strafbestimmungen, verurteilt zu 18 Monaten Zuchthaus, unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchungshaft, und vier Jahren Einstellung im Aktivbürgerrecht. Die Geschwornen hatten Marendaz schuldig erklärt der Fälschung von Bundesakten in drei Fällen, wobei die Frage, ob es sich nur um ganz geringfügige Fälle handle, verneint wurde, ferner des Betruges, begangen in Aarau zum Nachteil des eidgenössischen Ernährungsamtes, des fortgesetzten Betruges, begangen in Bern, Zürich und Freiburg zum Kachteil der Schokoladefabrik Villars, und des Betrugsversuchs, begangen in Brig

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zum Nachteil des eidgenössischen Ernährungsamtes. Dabei nahmen die Geschwornen an, Marendaz habe zur Zeit der Begehung dieser strafbaren Handlungen in einem Zustande geminderter Zurechnungsfähigkeit gehandelt, und billigten ihm mildernde Umstände zu.

Marendaz, der vom September 1918 bis im Juli 1919 Angestellter des eidgenössischen Ernährungsamtes war und nachher in eine Handelsfirma in Zürich eintrat, vermittelte im Auftrage dieser Firma eine Anzahl Zuckerverkäufe an die Schokoladefabrik Villars bei Freiburg. In diesem Geschäftsverkehr beging Marendaz die der Verurteilung zugrunde liegenden strafbaren Handlungen. Laut Anklageakte gelang es ihm, durch falsche Telegramme und durch falsche Angaben, die er den Beteiligten machte, im November 1919 einen Wagen Zucker von den Lagerhäusern des Bundes in Aarau und im Januar 1920 zwei Wagen Zucker von den Lagerhäusern der Bundesbahnen in Brig an die Schokoladefabrik Villars zum Versand zu bringen. Marendaz Hess sich weiterhin auf in der Folge nicht ausgeführte Zuckerlieferungen hin von der Fabrik Villars Fr. 57,000 bezahlen, über die er bis auf einen beschlagnahmten kleineren Teil verfügte.

Das von der Ehefrau des Verurteilten den bernischen Behörden am 31. Mai 1921 eingereichte Begnadigungsgesuch kam den Bundesbehörden am 9. Juli zu. In der Eingabe wird ersucht, Marendaz die noch zu verbüssende Freiheitsstrafe zu erlassen, allfällig ihn .aus der Strafanstalt bedingt zu entlassen.

Hierzu wird angebracht, die Kriegsgewinnlerstimmung, die Marendaz in der bereits erwähnten Firma auf dem Platze Zürich angetroffen, habe ihn verdorben. Hinzu komme, dass Marendaz nicht ganz zurechnungsfähig sei. Es müsse auch gesagt werden, dass die Vertragskontrahenten bei den Zuckergeschäften das auffällige Verhalten Marendaz' hätten bemerken und über die unrechtmässige Beschaffung der Ware hätten Verdacht schöpfen sollen. Marendaz sei ferner in Versuchung gekommen durch die mangelnde Kontrolle auf dem Ernährungsamt. Der Verurteilte bereue die Verfehlungen heute bitter. Die Familie selbst befinde sich in grosser Notlage. Die Ehefrau sei krank und ausserstande, für sich und die Kinder aufzukommen. Sie stehe ohne Hilfe da und bedürfe dringend des Verdienstes ihres Mannes.

Man möge Marendaz deshalb im Gnadenwege entgegenkommen, wäre es auch einzig mit Rücksicht auf Frau und Kinder.

In .den Akten befinden sich eine Reihe Bescheinigungen über die Lage der Familie, ferner ein Brief, den Frau Marendaz

399 nachträglich an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement richtete.

Der Meinungsaustausch mit den Behörden des Kantons Neuenburg ergab, dass Marendaz im Anschluss an die am 24. Oktober 1921 zu Ende gehende bundesiechtliclie Zuchthausstrafe weitere neun Monate Freiheitsstrafe zu verbüssen hat. In Betracht kommt eine ursprünglich bedingt unter Auferlegung einer Probezeit von fünf Jahren erkannte Gefängnisstrafe wegen Veruntreuung. Am 1. November 1920'wurde mit Bezug auf diese am 4. September 1917 vom Polizeigericht Neuenburg erkannte Strafe der Strafaufschub widerrufen. Das Justizdepartement des Kantons Neuenburg erklärte am 27. Juli, für den Fall, dass bei der kantonalen Begnadigungsbehörde um Erlass oder Ermässigung der neun Monate Gefängnis ersucht werde, sei es wahrscheinlich, dass der Regierungsrat Abweisung beantragen werde. Am 6. September wurde dies dahin ergänzt, dass Frau Marendaz angesichts der ablehnenden Haltung des neuenburgischen Justizdepartementes auf die Einreichung eines Gesuches verzichtet habe. Zugleich wurde beigefügt, das Departement habe die Angelegenheit der Familie Marendaz der Direction de l'assistance publique der Stadt Neuenburg unterbreitet. -- Danach ergibt sich, dass Marendaz noch bis zum 24. Juli 1922 in der Strafanstalt Witzwil zu verbleiben hat.

Soweit Marendaz im Zeitpunkte der Behandlung des Begnadigungsgesuches durch Begnadigungskommission und Bundesversammlung die bundesrechtliche Freiheitsstrafe noch nicht verbüsst hat, beantragen wir Abweisung. Bereits die Polizeidirektion des Kantons Bern hielt dafür, mit einem Straferlass sei Marendaz in Wirklichkeit nicht gedient, und auch die Direktion der Strafanstalt Witzwil schreibt, eine starke Strafverkürzung liege weder im Interesse Marendaz' noch seiner Familie. Immerhin empfahl diese Behörde den Erlass von zwei Monaten mit Rücksicht auf seine befriedigende Aufführung in der Strafanstalt.

Massgebend für den von uns gestellten Abweisungsantrag war die übereinstimmende Ansicht aller zu Worte gekommenen Behörden, dass Marendaz nur durch eine längere Freiheitsstrafe nachhaltig beeinflusst werden könne. Wir nehmen diesbezüglich ausser auf die Urteilserwägungen insbesondere auch Bezug auf das psychiatrische Gutachten (act. 413 ff.). Marendaz ist ein impulsiver, unüberlegter Mensch, der infolge seiner geistigen Minderwertigkeit als zu verbrecherischen Handlungen besonders leicht verführbar geschildert wird. Es ist deshalb angezeigt, die

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von einer längern Freiheitsstrafe erhofften Wirkungen nicht durch eine vorzeitige Entlassung zu beeinträchtigen. -- Anderseits lag uns daran, der Ehefrau des Sträflings, die gut beleumdet ist, entgegenzukommen, weshalb wir Wert darauf legen, zu wiederholen, dass das JustizdepUrtement des Kantons Neuenburg diesbezügliche Schritte in die Wege geleitet hat.

A n t r a g : Abweisung, soweit noch einzutreten ist.

3. Thérèse Lang-Meyer, geb. 1884, ehemalige Wirtin, St. Ludwig (Elsass).

4. Eugen Steens, belgischer Staatsangehöriger, geb. 1880, zurzeit in der Strafanstalt Basel.

(Verbotene Einfuhr von Silbergeld.)

Thérèse Lang-Meyer wurde am 23. Februar 1921 vom Polizeigericht des Kantons Basel-Stadt in Anwendung des Bundesratsbesehlusses betreffend das Verbot der Einfuhr von silbernen Fünffrankenstücken der lateinischen Münzunion vom 4. Oktober 1920 verurteilt zu einem Monat Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft und Fr. 8000 Busse.

Das kantonale Appellationsgericht bestätigte am 4. April 1921 das erstinstanzliche Urteil bis an die Geldbusse, die in Anbetracht der schlechten Vermögensverhältnisse der Verzeigten als zu hart erachtet und bis zu Fr. 5000 herabgesetzt wurde.

Frau Lang hat in fortgesetzter Weise im Komplott mit andern ausländische Fünffrankenstücke der lateinischen Münzunion vom Elsass nach Basel geschmuggelt. In Betracht kommen 50--60,000 Franken.

Am 12. Juni 1921 wandte sich Frau Lang aus der Strafanstalt Basel-Stadt an den Bundesrat mit dem Ersuchen, es bei der seit 10. Januar verbüssten Gefängnisstrafe bewenden zu lassen.

Die Gesuchstellerin versichert, es habe weniger die Gewinnsucht als die Notlage ihr Verhalten beeinflusst. In längern Ausführungen schildert sie ihre Verhältnisse in St. Ludwig, um darzutun, dass sie auf dem von ihr geführten Gasthof in die Schulden geraten und nunmehr ruiniert sei. Sie hoffe, möglichst bald zu ihren Kindern zurückkehren zu können.

Nach den über Thérèse Lang eingeholten Berichten handelt es sich um eine Frau, die auf Abwege kam. Statt ihrer Pflicht als Frau und Mutter zweier Kinder zu genügen, strebte sie nach

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reichlicherem Gelderwerb und übernahm zu diesem Zwecke einen Wirtschaftsbetrieb. In der Folge machte sie schlechte Geschäfte, geriet in unsaubere Gesellschaft und wurde im weitern Verlaufe mit einem Liebhaber in den Schmuggelfall verwickelt. In Wirklichkeit sei sie ausgenutzt worden und soll im Grunde genommen keine schlechte Person sein. Da die Verurteilte die Busse von Fr. 5000 nicht aufbringen konnte, wurde diese in ein Jahr Gefängnis umgewandelt. Der Strafvollzug hätte bis zum 4. April 1922 gedauert. Auf das Begnadigungsgesuch vom 12. Juni hin kam es zwischen der Bundesanwaltschaft und den Behörden des Kantons Basel-Stadt zu einem Meinungsaustausch über die Frage einer vorzeitigen Unterbrechung des Strafvollzuges. Da die Gefängnisstrafe von einem Jahr unter den obwaltenden Umständen als zu harte Massnahme erschien, wurde Frau Lang am 13. Juli, unter Vorbehalt. des Entscheides der Begnadigungsbehörde, über die Grenze abgeschoben. Laut Akten wurde sie überdies von den Basler Behörden administrativ auf fünf Jahre des Landes verwiesen.

Wir betrachten diese Erledigung als geeignete Lösung und beantragen Erlass der Umwandlungshaft, soweit sie noch nicht verbüsst ist.

Eugen Steens wurde in Anwendung des Bundesratsbeschlusses vom 4. Oktober 1920 verurteilt am 5. März 1921 vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt zu zwei Monaten Gefängnis und Fr. 15,000 Busse. Die beim Bundesgericht eingereichte Kassationsbeschwerde wurde abgewiesen.

Steens war als Miturheber in ein Komplott von Silberschmugglern verwickelt. Er stand in engen Beziehungen zu Schmugglern, die über Fr. 200,000 in silbernen Fünffrankenstücken über die Grenze brachten, war zum Teil Abnehmer des Geldes und passierte die Grenze wiederholt ohne ersichtlichen Grund.

Steens ersucht, ihm die Umwandlungshaft zu erlassen, soweit sie noch nicht verbüsst ist. Er beteuert seine Unschuld und verweist auf den Umstand, dass die Vermögenslage der Mitverurteilten diesen gestattet habe, die Bussen zu entrichten, indessen er ein Jahr in der Umwandlungshaft verbringen müsse.

Der I. Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt macht gellend, die Einwendung, die Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt, könne im Begnadigungsverfahren nicht mehr gehört werden. Steens habe früher als sehr reich gegolten ; die Tatsache, dass er die Busse von Fr. 15,000 nicht bezahlen könne, scheine aber die

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diesbezüglichen Gerüchte zu widerlegen. Eine Gefängnisstrafe von einem Jahr sei trotz der Schwere des Verschuldens eine allzu hohe Strafe für Steens und eine teilweise Begnadigung deshalb am Platze.

Wir stimmen dem bei. Steens ist, wie die Akten ergeben, eine Person, die an sich wenig Interesse erweckt, die Dauer der Umwandlungshaft sollte aber abgekürzt werden. Im Gefängnis führt er sich gut auf. Auf Rechnung der Busse läuft der Strafvollzug seit 18. April 1921. Durch Beschluss des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt vom 9. August 1921 ist er auf die Dauer von fünf Jahren aus dem Gebiete der Schweiz ausgewiesen. Abschliessend beantragen wir, Steens die Umwandlungshaft zu erlassen, soweit sie Ende Oktober noch nicht verbüsst ist.

A n t r ä g e : In beiden Fällen Erlass des Restes der Umwandlungsstrafen, bei Steens ab Ende Oktober 1921.

5. Albert Kappeier, geb. 1881, Bauführer und Kaufmann, Zürich.

(Kriegswucher.)

Albert Kappeier wurde durch Urteil der III. Kammer des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 24. Juni 1920 schuldig erklärt der Gehilfenschaft bei einem Teil der von andern Beteiligten begangenen Zuwiderhandlungen gegen Art. l, lit. c, der bundesrätlichen Verordnung vom 10. August 1914 gegen die Verteuerung von Nahrungsmitteln und andern unentbehrlichen Bedarfsgegenständen sowie mit Bezug auf ein Geschäft der Übertretung des Art. l, lit. e, der Ergänzungsverordnuog vom 18. April 1916. Er wurde zu einem Monat Gefängnis, Fr. 1500 Busse und zu einem Jahr Einstellung im Aktivbürgerrecht verurteilt. Die beim Bundesgericht gegen diesen Entscheid eingereichten Kassationsbeschwerden wurden abgewiesen.

Dem Urteil des Kassationshofes entnehmen wir: Die heute verurteilten Munzinger und Seligmann betrieben seit 1902 als Kollektivgesellschafter unter der Firma Munzinger & Cie. in Zürich den Handel mit Gas- und Wasserleitungsartikeln und sanitären Installationen im Grossen. Als infolge des Krieges der Umsatz in diesem Geschäftszweige annähernd stillgelegt wurde, warfen sie sich im Herbst 1915, unter Zuziehung des später flüchtig gewordenen Max Emanuel als stillen Gesellschafter, auf den Einund Verkauf en gros von Nahrungsmitteln und Bedarfsgegenständen der verschiedensten Art. Gegenstand des hier in Betracht

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kommenden Strafverfahrens bildeten eine grosse Anzahl von Geschäften über Kaffee, Mais, Speiseöl, Schweineschmalz, Kokosfett, Schokolade, Teigwaren, Seife, Leinöl, Harz, Schwefel, Borax, Paraffin, Maschinenöle aus der Zeit vom Oktober 1915 bis erste Hälfte April 1916 im Betrage von über zwei Millionen Franken.

Alle Waren wurden zugestandenermassen in der Absicht der Weiterveräusserung nach der "Richtung des Exportes erworben und in der Folge tatsächlich auch an Personen, welche sie entweder selbst ausführen oder zu diesem Zwecke weitergeben wollten, verkauft. Zahlreiche Warenposten waren durch Vermittlung der S. S. S. eingeführt und von den Verkäufern unter entsprechender Klausel oder ähnlichen Bedingungen wie ,,nur für Schweizerkonsum a usw. abgegeben worden. Beim Weiterverkauf wurden diese Bedingungen, um auch dafür die auf dem inländischen Exportmarkt geltenden höhern Preise sich nutzbar machen zu können, unterdrückt. Zur Verschleierung des Tatbestandes bedienten sich Munzinger & Cie. der Beihilfe des Emanuel und des mittellosen Kappeier, die nach aussen als Käufer auftraten und sodann die auf ihren Namen, aber auf Rechnung von Munzinger & Cie. mit deren Mitteln erworbene Ware klauselfrei an diese weiter fakturieren mussten. Für diese Mitwirkung erhielt Kappeier eine Provision von l bis 3 °/o des Fakturabetrages.

Ausserdem hat er im Laufe des April 1916 auch einen Posten klauselbehafteten Kaffee auf eigene Rechnung gekauft und klauselfrei weiterverkauft. Am 28. Januar 1916 erwarben Munzinger und Seligmann in Luzern 9785 kg Käse zur Ausfuhr, ohne dass hierfür eine Ausfuhrbewilligung vorlag. Einen Posten Käse von 40850 kg hatten sie am 15. Januar 1916 zum gleichen Zwecke, ohne eine Ausfuhrbewilligung zu besitzen, an zwei Abnehmer in Zürich veräussert; der Verkauf wurde jedoch in der Folge noch vor der Erfüllung storniert, nachdem der Anwalt der Firma sie auf die Unerlaubtheit dieses Geschäftes aufmerksam gemacht hatte, Kappeier, dem bis auf weiteres Strafaufschub gewährt wurde, ersucht nunmehr um gänzliche Begnadigung oder doch um bedingten Erlass der Gefängnisstrafe.

Zur Begründung seines Gesuches bringt er an : Das vom Vater übernommene, in Rorschach lange geführte Baugeschäft habe er infolge des Zusammenbruches einer Reihe thurgauischer Geldinstitute aufgeben müssen. Im Jahre 1914 sei er
nach Zürich gezogen und habe sich dort eine neue Existenz geschaffen, sei jedoch durch den Krieg wiederum brotlos geworden. Er sehe die bei den Kriegsgeschäften begangenen Verfehlungen heute ein,

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bringe aber zu seiner Entschuldigung vor, damals mit der Familie in der grössten Notlage gewesen und der Verführung redegewandter Mitbeteiligter erlegen zu sein. Den von ihm geäusserten Bedenken gegenüber habe' man sich auf die vorhandenen Rechtsgutachten berufen. Im Frühjahr 1916 sei in der Tat nicht bekannt gewesen, dass die Kriegswucherbestimmungen auch auf die Entklauselung von Ware Anwendung fänden.

Die Staatsanwaltschaft Zürich beantragt Abweisung und bezeichnet die hier in Betracht kommende Strafsache Munzinger und Konsorten als den grössten schweizerischen Kriegswucherfall, sowohl was den Umfang der abgewickelten Geschäfte anbetreffe, wie auch bezüglich der skrupellosen Art, mit der versucht wurde, aus der wirtschaftlichen Notlage des Landes Gewinn zu ziehen.

Das erkläre auch, dass Kappeier und andere Beteiligte die einzigen in der Schweiz verurteilten Personen seien, denen wegen Kriegswuchers die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt wurden.

Mit Bezug auf Kappeier wird für das Jahr 1916 die familiäre Notlage nicht bestritten, jedoch verneint, dass er gezwungen gewesen sei, als Gehilfe ausländischer Schieber deren Tätigkeit zu unterstützen oder geradezu erst möglich zu machen. Sodann wird festgestellt, dass die Bundesversammlung als Begnadigungsbehörde bis jetzt in allen Kriegswucherfällen eine Begnadigung abgelehnt habe, so dass es ungerecht wäre, diese nun im schwersten Falle zu gewähren. Der über Kappeier eingeholte Polizeibericht lautet nicht ungünstig.

Wir fügen diesen Vernehmlassungen bei, dass die Gesuchsanbringen im wesentlichen nichts enthalten, was nicht schon den Gerichtsbehörden vorgelegen hätte. Das zeigen mit aller Deutlichkeit die bundesgerichtlichen Erwägungen über die Schuldfrage, auf die wir ausdrücklich hinweisen. Das ganze Geschäftsgebaren der Verurteilten erweist sich als typischer Schieberbetrieb. Dass dieser in seinen Wirkungen auf die Inlandspreise von Einfluss sein und damit dem Landesinteresse und dem Bestreben der Behörden direkt entgegenwirken musste, konnte dem Gesuchsteller schon damals schlechterdings nicht verborgen bleiben. Wie in den frühern Kriegswucherfällen halten wir angesichts der schweren Verfehlungen dafür, es habe notwendigerweise bei den Ergebnissen des Strafverfahrens sein Bewenden zu haben. Demgegenüber vermag unseres Erachtens die Schilderung
der persönlichen Verhältnisse des Gesuchstellers eine Begnadigung ernstlich nicht zu begründen. Einzig für den Fall, dass Kappeier die Busse im Wege der Umwandlungshaft tilgen musste, scheint uns ein ge-

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wisses Entgegenkommen am Platze.

zeit nicht entschieden zu werden.

A n t r a g : Abweisung.

Darüber braucht aber zur-

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 30. September 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Schulthess.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Herbstsession 1921.) (Vom 30. September 1921.)

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

05.10.1921

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