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Bundesblatt

73. Jahrgang.

Bern, den 19. Oktober 1921.

Band IV.

erscheint wöchentlich. Preis Franken im Jahr, Franken im Salbjahr, znzttglich ,,Nachnahme- nnd Posttestellungsgebühr".

Einräckungsgebühr : 60 Happen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an die Bachärnckerei £ de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das am 7. August 1921 in Paris unterzeichnete Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich zur Regelung der Handelsbeziehungen und des freundnachbarlichen Grenzverkehrs zwischen den ehemaligen Freizonen Hochsavoyens sowie der Landschaft Gex und den angrenzenden schweizerischen Kantonen.

(Vom 10. Oktober 1921.)

I.

Die Zonenordnung.

A. Der Ursprung der Zonen.

1. Als eine inmitten eines fremden Hinterlandes gelegene Stadt «ohne landwirtschaftliebes Gebiet hat Genf von jeher mit der umliegenden Landschaft, die für seine Verpflegung unerlässlich ist und sein natürliches Absatzgebiet bildet, sehr enge wirtschaftliehe Beziehungen unterhalten. Zu allen Zeiten hat das internationale Eecht dieser Ausnahmestellung Genfs Rechnung tragen müssen. So verbürgte unmittelbar nach der Escalade der Vertrag von St. Julien von 1603 Genf den freien Handelsverkehr mit Savoyen und sah zugunsten der Genfer Einwohner Befreiung von Weg- und Brückengeldern vor.

Im Jahre 1602 enthob der König von Frankreich die Einwohner der Landschaft Gex der Verpflichtung, Aus- oder Eingangszölle zu bezahlen; ein königliches Edikt vom 22. Dezember 1775 stellte sie sogar ausserhalb der französischen Zollinie.

Nach der Eevolution -- Genf war infolge der Besetzung Savoyens durch Frankreich vollständig von fremdem Gebiet umschlossen -- wurden diese jahrhundertealten Freiheiten aufgehoben.

Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. IV.

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Eine 'wirtschaftliche Blockade folgte ihnen ; sie trug in hohem Masse zur Einnahme der Stadt bei.

Von 1798 an war Genf fünfzehn Jahre lang der Hauptort eines französischen Departements, das die gesamte umliegende Gegend umfasste, so dass dem Warenaustausch naturgemäss keinerlei Fesseln auferlegt waren.

Die Notwendigkeit, diesem Warenaustausch eine besondere Bechtsordnung zukommen zu lassen, drängte sich '-nur mit um s
2. Als die Kongresse von 1814 und 1815 die Karte Europas neu gestalteten, konnte die Genfer Eegierung die Erwartung hegen,dass die Grenzen der kleinen Eepublik bis an die Berglinie vorgeschoben würden, die ihr natürliches Wirtschaftsgebiet umschliesst.

Genf musste sich indessen damit begnügen, die Dörfer, die seit dem Ende des Mittelalters von ihm abhängig waren und bisher Enklaven gebildet hatten, mit seinem Gebiete zu vereinigen und sich guteVerkehrsmöglichkeiten-mit der Schweiz zu sichern. Aber der Kanton Genf war in dieser Ausgestaltung nicht in der Lage, die Versorgung' der städtischen Bevölkerung sicherzustellen. Der durch das französische Edikt vom 22. Dezember 1775 geschaffene Präzedenzfall musste zum Gedanken einer vertraglichen Lösung führen: nämlich, das nahe Hinterland Genfs ausserhalb der Zollinien derjenigen Staaten z.u stellen, zu denen es gehörte.

«.Der Pariser Die f r a n z ö s i s c h e Zone wurde durch den Pariser Vertrag Vertragund vom 20. November 1815 geschaffen. Ziffer 3 des 1. Artikels setzt die Zone von <üe Westgrenze des Kantons fest und bestimmt, dass «die franXzösische Zollinie westlich des Juras, und zwar so festgelegt wird, dassdie gesamte Landschaft Gex sich ausserhalb dieser Linie befindet».

Diese Vertragsbestimmung hat dauernden Charakter, in gleichem.

Masse wie die territorialen Klauseln, von welchen sie begleitet wird.

Angesichts der Tatsache, dass sie in einem «zwischen Österreich, Grossbritannien, Preussen und Eussland einerseits und Frankreich anderseits» abgeschlossenen Vertrage enthalten ist, wird ihre Durchführung von diesen Mächten gewährleistet. Indessen ist die Schweiz: berechtigt, die Anwendung der vertraglichen Bestimmungen, dieihr zugute kommen, zu verlangen.

6. Der Turiner Der Pariser Kongress hatte die Frage der Südgrenze des KanVertragund tons Genf offen
gelassen. Die Mächte hatten sich darauf beschränkt,.

die sardi- jn
Sie wurden mit dem Abschluss eines Vergleiches zwischen der

513 Schweiz, dem Kanton Genf und Sardinien beendigt. Dieser am 16. März 1816 in Turin unterzeichnete Vertrag regelt die Grenzen bis in alle Einzelheiten und setzt das Statut der sardischen Zone fest. Sein Artikel 3 beginnt wie folgt: «Um hinsichtlich auf die Zottstätten im Sinne des Protokolls vom 3. November zu verfahren, zugleich aber auch die Verfügungen desselben so viel möglich mit dem, was der Vorteil Seiner Majestät erheischt, in Übereinstimmung zu bringen, soll die Douanenlinie in der Nähe von Genf und dem See von der Rhone an ausgehen, über Cologny, Valeiry, Cheney, Eluiset, Chable, Sappey, Viaison, Etrerribières, Annemasse, Ville-la-Grand längs dem Foron bis nach Machilly, von da über Douvaine und Colongette bis zum See und längs dem See ' bis nach Meillerie, um alsdann die gegemvärtige Grenze vom nächst bei St. Gingolph gelegenen Posten an weiter zu verfolgen.»

Ein schmaler Gebietsstreifen, der den gesamten Salève und die Gegend von Veigy umfasst, um dann in der Ebene schmäler zu werden, bis er schliesslich südlich von Jussy weniger als einen Kilometer breit ist, sowie der sardische Teil des Genfer Sees wurden auf diese Weise zwischen die Zollinie der beiden angrenzenden Staaten gestellt.

Der Verlauf, den die sardische Zollgrenze von Meillerie bis zur c.DasManifest Grenze des Kantons Wallis nehmßn sollte, gab sogleich Anlass zu von 1829 einer Streitigkeit über die Auslegung. Ein sardischer Zollposten unddieZone war schon 1816 im Dorfe St. Gingolph, das durch die Grenze in zwei Ioh>h.'

gleiche Teile getrennt wird, aufgestellt worden. Die Walliser Eegierung machte auf die ernstlichen Unzuträglichkeiten aufmerksam, die sich aus einem Vorgehen ergeben müssten, das ihr dem Buchstaben des Turiner Vertrages zu widersprechen scheine, und vertrat die Meinung, dass der «nächst bei St. Gingolph gelegene Posten» sich jedenfalls ausserhalb dieses Dorfes befinden müsse. Die Frage blieb während 18 Jahren offen. Schliesslich stimmte indes die sardische Eegierung unter gewissen Vorbehalten der Meinung der Walliser Eegierung zu.

«Um dem Kanton Wallis angenehm zu sein», setzte das Manifest des Eechnungshofes (Cour des Comptes) von Sardinien vom 9. September 1829 nämlich folgendes fest: «Artikel 2. Von nun an wird die Zollinie in der Sichtung gegen den vorerwähnten Teil der Walliser Grenze am See ihren Anfang nehmen, und zwar an dem Orte, wo die rote Brücke in der Nähe des Dorfes Locum die grosse Strasse nach Evian schneidet ; sie wird dem Bette desselben Baches von Locum bergwärts folgen über die Spitze der Frasse und den Berg Mémise bis zu seiner Quelle am Fusse der Felskette, welche die Grenzlinie zwischen den Gemeinden Novel, Bernex und Tolon bildet; von diesem Vereinigungspunkte ab wird sie längs der Bergkette verlaufen, die,

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nahe bei Trépertuet sich hinziehend, den FUSS der Dent d'Oche erreicht ; von da an wird sie weiter dem Bergkamm folgen, der sich mit der Dent de Villand neben der Spitze der Cornette vereinigt.

«Artikel 3. In der neuen so gebildeten Zone wird von Seiten der Zollbeamten keinerlei Diensthandlung vorgenommen, entsprechend der im Artikel 3 des vorerwähnten Vertrages (des Turiner Vertrages) vorgesehenen Befreiung.» So wurde die Freizone von St. Gingolph, die infolge der engen Beziehungen zwischen den beiden Teilen ein und desselben Dorfes eine Notwendigkeit war, durch diese Auslegung des Turiner Vertrages endgültig bestätigt.

8. Wiewohl weder der Pariser noch der Turiner Vertrag der Schweiz irgendeine Verpflichtung zugunsten der Einwohner der beiden Freizonen überbunden hatte (die Zone von St. Gingolph muss als integrierender Teil der sardischen Zone im Süden von Genf betrachtet werden), bemühten sich die Kabinette von Paris und Turin seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, verschiedene zollrechtliche Vorteile für sich zu erlangen. Die rechtliche Lage der Schweiz war vollkommen klar; sie hätte sich weigern können, auf die Sache einzutreten; entgegen einer ziemlich weit verbreiteten Meinung hat die Schaffung der Bundeszollämter, die 1849 an die Stelle der kantonalen Zollämter traten, in der Tat nichts an den seit 1816 bestehenden Verhältnissen geändert 1 ). Dennoch glaubte die Schweiz, gewisse Zugeständnisse machen zu können, indem sie hierbei dem Beispiel Genfs folgte, das schon am 24. April 1816 freiwillig die aus der sardischen Zone eingeführten lebensnotwendigen Erzeugnisse von den Zöllen befreit hatte. Der Handelsvertrag zwischen der Schweiz und Sardinien vom 8. Juni 1851 gewährte den Einwohnern dieses Gebietes entsprechende Erleichterungen. Eine besondere zwischen der Schweiz und Frankreich am 19. Juli 1851 abgeschlossene Vereinbarung räumte den Einwohnern der Landschaft Gex ähnliche Vorteile ein.

Die grosse 4. Der König von Sardinien trat im Verfolge des Krieges von Zone.

1859 seine transalpinischen Besitzungen an Kaiser Napoleon III ab.

Er betonte indessen im «Vertrag b e t r e f f e n d die Vereinigung Savoyens und des A r r o n d i s s e m e n t s Nizza mit F r a n k reich», der am 20. März 1860 in Turin unterzeichnet wurde, dass er «die neutralisierten Teile Savoyens nur unter den
Bedingungen übertragen könne, unter denen er selbst sie besitze». Die Freizone im Süden Genfs liegt gänzlich innerhalb des in Eede stehenden Gebietes.

') Siehe hierüber: Lucien Cramer, La question des zones franches, Seite 9 bis 11.

515 Der gleiche Vertrag sah ausserdem vor, «dass diese Vereinigung vorgenommen werden sollte, ohne dem Willen der Bevölkerung Zwang anzutun, und dass die Eegierungen des Kaisers der Franzosen und des Königs von Sardinien sich, sobald als angängig, darüber verständigen sollten, wie es am besten möglich sei, die Äusserungen dieses Willens zu berücksichtigen und festzustellen». Eine Volksabstimmung fand am 28. April 1860 statt. Die Verhältnisse, unter denen sie vorgenommen wurde, sind noch heute lebhaft umstritten; Indessen steht fest, dass eine starke Strömung einen bedeutenden Teil der Wähler Hochsavoyens nach der Schweiz hinneigen liess x).

Die französische Eegierung äusserte die Absicht, die wirtschaftlichen .Interessen der Landschaften Faucigny und Chablais dadurch zu wahren, dass ihnen Freiheiten ähnlich denjenigen, die der Landschaft Gex seit 1815 zugute kamen, eingeräumt werden, und sie gewann die öffentliche Meinung Savoyens für Frankreich. Am 23.-April 1860 haben die Wähler der Landschaften Chablais und Faucigny, sowie des Gebietes von St. Julien nördlich des Flusses Les Usses mit 47,076 Stimmen «Ja und Zone» ihre Zustimmung zu der Annexion unter der ausdrücklichen Bedingung gegeben, dass das von ihnen bewohnte Gebiet als Freizone errichtet werde 2). Am 12. Juni des gleichen Jahres bestimmte, ein kaiserliches Dekret, dass die Zollinie über folgende Punkte verlaufen solle : «Bassy, Châtel, Planaz, Frangy, Chilly, Bonlieu, les Prats, Maillet, Duret, Menthonnex, Evires, la Luaz, Collet, Sappey, Saint-Jean-de-Sixt, Chenaillon, le Plan, la Giettaz, Flumet, Hauteluce, la Gite, Chapieux, Bonneval, Séez, Masure, la Thuile, Tigne, Val-de-Tigne, Bonneval, Lanslevillard, Lanslebourg, Bramans, Modane, Saint-Michel, Saint-Jean-de-Maurienne»3).

*) Lucien Cramer, a. a. 0., S. 13.

') Lucien Cramer, a. a. 0., S. 14.

3 ) Diese französische Zollinie wurde in 9er Folge leicht abgeändert durch das französische Gesetz vom 30. März 1899, dessen einziger Artikel wie folgt lautet: ,,Die Grenze des der Zollordnung unterworfenen Gebiets führt vom Fort de l'Ecluse ab das linke Ufer der Rhone entlang bis zu ihrem Zusammenfluss mit dem Flusse Les Usses; verfolgt dann das rechte Ufer dieses Flusses bis zu dem zwischen Cruseilles und Groisy gelegenen Punkte, wo dieser Fluss aufhört, die Grenze zwischen den Arrondissementen
St. Julien und Annecy zu bilden; verläuft dann längs der Grenze der Arrondissemente Annecy, St. Julien und Bonneville bis zu dem Punkte, wo sie auf die Grenzen der:Departemente Savoyen und Hochsavoyen stösst; längs der Grenze dieser Departemente bis zu dem Punkte, wo diese auf die italienische Grenze trifft; von da an auf der italienischen Grenze."

Lucien Cramer, à. a. 0., S. 49.

. .

516

Demgemäss bildete das gesamte zwischen der Genfer Grenze, dem Genfer See, der Grenze des Kantons Wallis, der französischitalienischen Grenze, den Bergen im Osten und Norden des Sees von Annecy und der Ehone gelegene Gebiet eine umfassende Freizone, wo die ganze Welt, voran aber die Schweiz und Genf, das den wirtschaftlichen Mittelpunkt dieser Gegend bildet, ihre Erzeugnisse zollfrei einführen konnten. Es ist dies das Gebiet, das man die grosse Zone oder Annexionszone genannt hat.

Diese Zone, deren Oberfläche ungefähr 3112 km2 beträgt, dehnt sich über zwei Drittel des durch die Erklärung vom 20. November 1815 neutralisierten Teiles von Nordsavoyen aus. Sie umschliesst die kleine Bardische Zone im Süden Genfs (inbegriffen die Zone von Saint-Gingolph) vollständig. Im Gegensatz zur sardischen Zone, die auf einem ohne Zustimmung der Schweiz nicht abänderbaren Vertrage beruht, ist die grosse Zone das Ergebnis einer Entscheidung, die von der französischen Eegierung im Verfolg von Ereignissen getroffen wurde, an denen die Schweiz keinen Teil hatte.

Frankreich ist demnach vollauf berechtigt, die grosse Zone von sich aus und durch einen selbständigen Entscheid abzuändern oder sogar vollständig aufzuheben.

B. Die Zonenordnnng.

Die Überein1. Die Schweiz erkannte die Annexion Savoyens durch Frankreich kunft vom nicht an und nahm amtlich bis zum Jahre 1881 vom Bestehen der 14. Juni 1881 grogsen Zone keine Notiz. Indessen weigerte sie sich nicht, auf sie Zusatzakte. &ie Bestimmungen der Übereinkunft, die zwischen der Schweiz und Sardinien zugunsten der im Süden Genfs gelegenen kleinen Zone abgeschlossen worden war, durch erweiterte Auslegung anzuwenden.

«Die Üereinkunft betreffend die Zollverhältnisse zwischen dem Kanton Genf und der freien Zone von Hochsavoyen» hatte zur Folge, dass die Schweiz den im Jahre 1860 geschaffenen Tatbestand anerkannte, und gewährte den Zonenbewohnern bedeutende Erleichterungen hinsichtlich der Einfuhr ihrer Produkte in die Schweiz.

Die wesentlichen Bestimmungen dieser Übereinkunft können wie folgt zusammengefasst werden: 1° Zollfreiheit für die Einfuhr von aus der Zone stammendem Wein in die Schweiz bis zu einem jährlichen Höchstbetrage von 10,000 hl; 2° zollfreie Einfuhr in unbeschränkter Menge von Brennholz verschiedener Art, von Gerberrinde, von gewöhnlichen Bausteinen, Ziegeln, Backsteinen, gewöhnlichem Kalk und Gips;

517 3° gleichfalls zollfreie Einfuhr von zwölf Arten von Lebensmitteln, unter der Bedingung, dass ihnen nach Umfang und Art der Beförderung die Eigenschaften der Marktversorgung zukommen; 4° Herabsetzung des eidgenössischen Einfuhrzolles auf ein Viertel ïur eine Gesamtmenge von 250 Doppelzentnern groben Leders und für 100 Doppelzentner gegerbter Kalbs-, Ziegen- oder Schafhäute; 5° Befreiung vom eidgenössischen Ausgangszoll für eine Jahresmenge bis zu 600 rohen groben Fellen und 6000 rohen Kalbs-, Schafoder andern Häuten bei der Ausfuhr aus der Schweiz nach deiZone.

Artikel 11 dieser Übereinkunft bestimmt, dass sie vom Tage des Inkrafttretens an dreissig Jahre, also bis zum 1. Januar 1913, in Gültigkeit bleiben solle. Von diesem Zeitpunkt ab kann sie von Jahr zu Jahr durch stillschweigende Erneuerung aufrechterhalten ·werden, wogegen eine Kündigung 12 Monate im voraus zu geschehen hat. Der letzte Absatz dieses Artikels setzt indessen ausdrücklich "fest, dass das Bestehen der Übereinkunft an die Aufrechterhaltung der grossen Zone gebunden ist, deren Aufhebung oder Abänderung sich die französische Eegierung als ein ihr jederzeit zustehendes Eecht vorbehalten hat.

Ein neues «Eeglement b e t r e f f e n d die L a n d s c h a f t Gex», das dem am 23. Februar 1882 zwischen der Schweiz und Frankreich abgeschlossenen Handelsvertrag angefügt ist, gewährte der Landschaft Gex Erleichterungen, wie sie die Übereinkunft von 1881 den Be-wohnern der Zone Hochsavoyens eingeräumt hatte. Überdies hat «ine Eeihe von Entscheidungen des Bundesrates (Beschlüsse vom ·9. Mai 1893, vom 23. Februar 1895, modus vivendi vom 25. Juni 1895) auf die besondere Lage der Zonenbevölkerung Eücksicht .genommen.

Diese Bestimmungen wurden, von einigen Erweiterungen abgesehen, die sich auf die zollfreie Zulassung gewisser Waren, wie Wein, Käse, rohe und gegerbte Häute, Felle usw. in beschränkter Menge bezogen, wörtlich in die am 20. Oktober 1906 zwischen der Schweiz -und Frankreich abgeschlossene und am 23. November gleichen Jahres in Kraft getretene Handelsübereinkunft aufgenommen. Bis aum Jahre 1908 sind die Beziehungen der Schweiz mit Savoyen durch das Abkommen von 1881 und die Handelsübereinkunft von 1906 und diejenigen der Schweiz mit der Landschaft Gex durch diese Übereinkunft und das ihr beigefügte Eeglement beherrscht worden (siehe Anlage C zur Handelsübereinkunft von 1906, Amtliche Gesetzessammlung, N. F. XXII, S. 738 ff.).

518

Endlich hat der Bundesbeschluss vom 19. Juni 1908 die den Zonenbewohnern zugestandenen Kontingentziffern für die Einfuhr von Lebensmitteln und von Vieh zu herabgesetzten Zollansätzen auf dem Wege einseitiger Entscheidung in geringem Masse erhöht.

Die Lage der Grundbesitzer diesseits und jenseits der Grenze (Grenzanwohner) ist in den Freizonen, wie auf den andern Punkten der französisch-schweizerischen Grenze, durch die am 28. Februar 1882 in Paris unterzeichnete Übereinkunft über die grenznachbarlichen Verhältnisse zwischen der Schweiz und Frankreich geregelt worden.

2. Es ergibt sich aus vorstehendem, dass Genf bei Ausbruch des Krieges mit den fremden Gebieten, die sein Hinterland bilden, wirtschaftliche Beziehungen unterhielt, die durch keinerlei Zollschranken gehemmt waren. Es konnte die Waren, mit denen es im gesamten Gebiete der Freizonen Handel trieb, in unbeschränkter Menge und zollfrei einführen. Andererseits machten es die Zollbefreiungen, die von der Schweiz für eine Eeihe von lebensnotwendigen Erzeugnissen zugestanden waren, Genf möglich, sich unter günstigen Bedingungen zu versorgen. Diese Erleichterungen trugen zur Entwicklung des Handelsverkehrs zwischen den benachbarten Bevölkerungen wesentlich bei.

Eine im Jahre 1894 auf Veranlassung der Genfer Handelskammer bei den schweizerischen und Genfer Kaufleuten veranstaltete Um-frage, auf welche etwa hundert Antworten einliefen, zeitigte folgendes Ergebnis: Der Warenabsatz des Grosshandels in den Zonen stellt für die Schweiz einen Betrag von 11 Millionen, die von den Einwohnern dieser Gebiete in Genf vorgenommenen Detaileinkäufe einen Betrag von 5--6 Millionen dar, wogegen verschiedene Sendungen und Lieferungen in das Zonengebiet eine Summe von 8--4 Millionen erreichen, so dâss sich ein Gesamtbetrag von rund 20 Millionen ergibt1).

Die Einfuhr aus den Zonen in die Schweiz besteht im wesentlichen aus marktgängigen Lebensmitteln und aus natürlichen Bodenerzeugnissen. Sie übersteigt in jedem Jahre die Ausfuhr der Schweiz in die Zone um ein Drittel 2).

J

) Luden Gramer, a. a. 0., S. 81.

2

) Ausfuhr aus der Schweiz in die Zone*)

1900

. . .

1910 .

1911 .

1912 .

1913 .

*) Herr Luden

Einfuhr aus der Zone in die Schweiz

(berechnet in Millionen Fr.)

7,472 19,105

. . 10,545 28,475 .

11,080 27,425 . . 11,930 30,289 . . 13,016 29,856 Cramer, dessen Schrift wir diese Zahlen entnehmen,

519 Dieser bedeutende Handelsverkehr sowie die leichten Verkehrsmöglichkeiten, für die ein einziger Zollgürtel kein Hemmnis bildete, hatten die Bande zwischen den benachbarten Bevölkerungen noch erheblich enger geknüpft.

Das System der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex trug seine Früchte ; es liess die Nachteile einer Grenze zurücktreten, die in ihrem Verlaufe nicht immer auf die geographische Gliederung des durchquerten Gebietes Kücksicht nimmt und nicht nur Genf in engem Kreise umschliesst, sondern auch die Dörfer Crassier, Hermance und St. Gingolph entzweischneidet.

3. Die aussergewöhnlichen Vorteile, die das System der Freizonen den schweizerischen und französischen Grenzbevölkerungen während des letzten halben Jahrhunderts verschafft hat, hörten mit Beginn des Krieges auf.

Wiewohl die schweizerisch-französische Übereinkunft von 1881 in Artikels bestimmt, dass «die Ausfuhr der für die Versorgung des Genfer Marktes bestimmten Lebensrnittel beim Ausgang aus der Freizone keinerlei Ausfuhrverbot unterworfen werden dürfe», begrenzte dennoch die französische Eegierung schon bei Beginn der Feindseligkeiten die Ausfuhr aus den Zonen nach Genf, indem sie sich sowohl auf den Tatbestand der Notlage als auf die im Turiner Vertrage vom 16. März 1816 vorgesehene Teuerungsklausel berief.

Die Umstände veranlassten sie ferner, die Befugnis zur militärischen Beschlagnahme auf die Ernteerträge der Grenzanwohner auszudehnen und sich über gewisse Bestimmungen der Übereinkunft von 1882, betreffend die grenznachbarlichen Verhältnisse zwischen der Schweiz und Frankreich, hinwegzusetzen.

Indessen muss anerkannt werden, dass die bedeutendsten durch den Krieg verursachten Änderungen der Zonenordnung vorgenommen wurden, ohne dass gegen die Bestimmungen der Verträge von 1815 und 1816 oder diejenigen der Übereinkunft von 1881 verstossen wurde und wiewohl sämtliche Texte, auf denen diese Ordnung, so wie sie vor 1914 bestand, beruht, grundsätzlich bis auf den heutigen Tag gültig und anwendbar geblieben sind.

bemerkt, dass die schweizerische Handelsstatistik in den Zonen lediglich auf den Eisenbahnverkehr Rücksicht nimmt. Alle auf Schiffen oder Wagen beförderten Waren, sowie die in Genf von den Zonenbewohnern gekauften und nach den Zonen verbrachten Artikel unterliegen keinerlei Zollkontrolle und stellen nach
der von der Genfer Handelskammer veranlassten Untersuchung einen Betrag dar, der mindestens demjenigen gleichkommt, deu die amtliche Statistik für die mittelst Eisenbahn beförderten Gütermengen angibt. Man muss demnach · die in der ersten der beiden Spalten angeführten Zahlen verdoppeln, um ein richtiges Ergebnis zu erhalten.

520

In der Tat bestand keine vertragliche Bestimmung, derznfolge die Ausdehnung des im übrigen Frankreich geltenden allgemeinen Passzwanges auf die Freizonen unzulässig gewesen wäre. An der Grenze wurde ein Polizeikordon zur Überwachung der Passanten und des, Verkehrs errichtet. Als im Jahre 1918 die Bargeldkrise, die Frankreich gegenwärtig durchmacht, dazu zwang, die zur Verhinderung der Ausfuhr von Werten ergriffenen Massnahmen mit aller Strenge auch auf die Zonen anzuwenden, wurde der Polizeikordon weiter verstärkt. Seit 1919 ist er überdies mit der Aufgabe betraut, die Luxussteuern und andere innere, durch die französische .Gesetzgebung vorgesehene Abgaben zu erheben. Indessen übt er keinerlei eigentlich zollamtliche Tätigkeit im strengen Sinne des Wortes aus ; er steht demnach mit keiner ausdrücklichen Bestimmung der Verträge im Widerspruch, und die Schweiz kann nicht verlangen, dass er zurückgezogen werde; aber deswegen hemmt er doch den Verkehr im gleichen Masse wie eine Zollschranke, so dass in Tat und Wahrheit von den ehemaligen weitgehenden Erleichterungen lediglich die Möglichkeit für den schweizerischen Handel übriggeblieben ist, Waren in die Freizonen einzuführen, ohne die französischen Zölle zu entrichten.

Das Mittel, das die Staatsmänner von 1815 angewandt haben, um Genf Erleichterungen in seinen Beziehungen zu der umliegenden Landschaft zu sichern, hat demnach der Belastungsprobe der gegenwärtigen Krisis nicht standgehalten.

Die französi4. Obwohl die Handelsbilanz zwischen der Schweiz und den sehen Kritiken Zonen einen Ausschlag zugunsten der Zonen auf wies, hat die Aufder Zonen- hebung des Systems der Freizonen in Frankreich jederzeit ihre Anordnung, junger gehabt. Diese stützen sich auf folgende hauptsächlichsten Gründe : 1° Es erscheine unlogisch, zuzulassen, dass in einem Lande, dessen Eegierungsweise in der Zentralisation ihren bezeichnendsten Ausdruck finde, «extemtorialisierte» oder, um den technischen Ausdruck zu gebrauchen,- «als fremdes Territorium angesehene» Gebiete bestehen, derart, dass diese von der allgemeinen Organisation des übrigen Landes ausgenommen und dass deren Einwohner in den Genuss besonderer Vorrechte gesetzt werden.

2° Die Hochsavoyen eingeräumten Befreiungen hätten lediglich dem Auslande Nutzen gebracht, und die Landwirtschaft habe sich daselbst nicht mehr als anderswo entwickelt.

3° Die Kaufleute der Zonen seien in ihren Geschäften durch die innere Zollinie behindert.

521

4° Es werde keinerlei neue Industrie mit Aussicht auf Entwicklung geschaffen werden können, solange die Schweiz auch weiterhin ihre industriellen Erzeugnisse in die Zonen zollfrei einführe. Die Zone Hochsavoyens, eine gebirgige Gegend, die reich an ergiebigen Wasserläufen, wie die beiden Dranse, der Giffre und die Arve, sei,' habe bisher eine Energie von nur rund 30,000 Pferdekräften ausgenützt, während diese Gebirgsbäche 150,000 Pferdekräfte zu liefern vermöchten. Dieser -Umstand sei darauf zurückzuführen, dass das Zonensystem grundsätzlich mit der Industrialisierung unvereinbar ·.sei1).

In den Zonen selbst richteten sich allerdings die Kritiken nicht sowohl gegen eine Einrichtung, deren Wert die Bevölkerung Savoyens in solchem Masse erkannt hatte, dass sie davon ihren Anschluss an Frankreich abhängig gemacht hatte, als vielmehr gegen die Bedingungen des Handelsverkehrs zwischen den freien Gebieten, Frankreich einerseits, der Schweiz anderseits.

Durch eine Eeihe von Entscheidungen, auf die näher einzugehen unnötig ist, hat sich die französische Kegierung bemüht, die Einfuhr ·der Zoaenprodukte nach Frankreich zu erleichtern 2). Diese Bestimmungen erschienen der Bevölkerung der Zonen nicht weitgehend genug; hatte sie doch ihre Hoffnung auf die Annahme eines Gesetzentwurfes gesetzt, den die Herren Peret, Eaynaud und Eenoult am 29. März 1914 im französischen Parlament eingebracht hatten, der aber infolge des Krieges nicht zustande gekommen ist.

Die Einwohnerschaft der Freizonen hob ausserdem hervor, dass iür ein so wertvolles Absatzgebiet, wie namentlich die Annexionszone es für die Schweiz darstellt, keine genügende Gegenleistung :bestehe. Die von der Schweiz hinsichtlich der Zölle eingeräumten Zugeständnisse erschienen -ZM geringfügig8).

Überdies war eine Beihe von Bestimmungen der Übereinkunft ^von 1881 unstreitig veraltet und stellte für die Ausfuhr aus den Zonen lästige Verpflichtungen dar.

Seit 1912, dem Verfallstermin dieser Übereinkunft, die seither lediglich durch stillschweigende jährliche Erneuerung weiterbesteht, machte sich in den Zonen sehr deutlich eine Bewegung bemerkbar, die auf eine Umgestaltung des Zonensystems abzielte. Herr Fernand David, zurzeit Senator von Hochsavoyen, stellte sich an die Spitze *) Lucien Cramer, a. a. 0., S. 98.

") Siehe hierüber die mehrfach erwähnte Schrift von Lucien Cramer, S. 42 ff.

3 ) Lucien Gramer, a. a. 0., S. 95 und 96.

522 diesef revisionistischen Bewegung und griff auf eigene Faust neuerdings den Satz von der gegenseitigen Handelsfreiheit zwischen deit Zonengebieten und der Schweiz auf, einenSatz, den die französische Eegierung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts vergeblich zu verteidigen versucht hatte. Eine Motion, die die Unterschrift von drei Senatoren und von zwei Abgeordneten trug und auf die Ausarbeitungeines neuen Abkommens hinzielte, war schon im Herbst 1912 ini Generalrate Hochsavoyens eingebracht worden. Im Jahre 1918.

äusserte sich die Pariser Handelskammer hierzu in einem Berichte^ der zu dem Schluss kam, es sei entweder die Freizone Hochsavoyens.

aufzuheben oder aber ein Abkommen abzuschliessen, worin die gegenseitige Handelsfreiheit festgelegt werde. Sie berief sich darauf,.

dass die Zollbefreiungen Hochsavoyens nur dem Auslande Nutzen gebracht und die Landwirtschaft sich daselbst ebensowenig wie dia Industrie entwickelt habe 1).

Seit jenem Zeitpunkte konnte nicht mehr zweifelhaft sein, das» die Übereinkunft von 1881 gekündigt und bei dieser Gelegenheit die Frage des Systems der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex in ihrer Gesamtheit und gerade nach ihrer grundsätzlichen Bedeutung aufgerollt werden würde. Die Kriegsereignisse haben dia Lösung dieser Frage um einige Jahre hinausgeschoben.

n.

A. Die Kündigung der Übereinkunft von 1881.

Sobald die Umstände es erlaubten, griff Frankreich die Frage der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex von neuem auf.

Am 20. September 1918 kündigte die französische Eegierung die Handelsübereinkunft von 1906; dies hatte notwendigerweisedie Kündigung des «Eeglements b e t r e f f e n d die Landschaft Gex» zur Folge, das als Beilage G dieser Übereinkunft beigefügt ist.

Am 18. Dezember desselben Jahres notifizierte die französischeBotschaft dem politischen Departement die Kündigung der Übereinkunft vom 14. Juni 1881 betreffend die Zollverhältnisse zwischen, dem Kanton Genf und der freien Zone von Hochsavoyen auf dea 31. Dezember 1919 8). Die Botschaft legte dar, dass die Entscheidung der französischen Eegierung «durch die allgemeinen Erwägungen.

*) Lucien Gramer, S. 91.

') Am 19. Dezember 1919 hat sich der-Bundesrat bereit erklärt, zugunsten der Bevölkerung der Freizonen die aus 'der Übereinkunft vom 14. Juni 1881 und dem Bundesbeschluss vom 19. Juni 1908 sich ergebenden Vorteile so lange weiterbestehen zu lassen, als die für diese Gebiete gültige

523 begründet sei, die sie veranlagst hätten, sämtliche mit fremden Staaten abgeschlossenen wirtschaftlichen Abkommen und namentlich die im Jahre 1906 mit der Schweiz abgeschlossene Übereinkunft zu kündigen». Sie drückte die Überzeugung aus, «dass der Bundesrat nicht anstehen werde, anzuerkennen, dass die Kegierung der Bepublik in ihrem Vorgehen sich einzig von der Sorge leiten lasse, ·ein vertragliches System, das in einer schon weit zurückliegenden Zeit zwischen Frankreich und seinen Nachbarn geschaffen worden und demzufolge veraltet sei, der gänzlich neuen Wirtschaftslage anzupassen, die sich aus den mit dem Kriegszustand notwendigerweise verknüpften durchgreifenden Umwandlungen ergeben habe».

Aber es lag ihr daran, deutlich zu betonen, «dass die französische Regierung sich nie mit der Absicht getragen 'habe, die besondere wirtschaftliche Lage des Kantons Genf nicht mehr in Berücksichtigung zu ziehen, dass vielmehr die französische Eegierung trotz ihrem Entschlüsse, die Überbleibsel eines andern Zeitalters, die mit den heutigen Notwendigkeiten unvereinbar sind, aus der Welt zu schaffen, bereit sei, die künftigen Beziehungen zwischen der Freizone Hochsavoyens und der Schweiz zum Gegenstand einer freundnachbarlichen Übereinkunft zu machen; diese Übereinkunft hat zwar die Wandlungen, die sich im Laufe der Zeit in der Wirtschaftslage der heutigen Zonengegend vollzogen haben, zu berücksichtigen, anderseits aber im entgegenkommendsten Geiste der besondern wirtschaftlichen Lage der Stadt Genf Eechnung zu tragen, mit der Frankreich durch nach ihrem ganzen Werte geschätzte geistige Bande und eine herkömmliche Freundschaft verknüpft ist».

Dieses seit 1912 mehr oder weniger erwartete Ereignis verursachte kaum irgendwelche Überraschung.

Mit Note vom 14. Januar 1919 bestätigte das politische Departement den Empfang dieser Mitteilung und brachte der französischen Botschaft zur Kenntnis, dass «der Bundesrat in Nachachtung der Bestimmungen der Verträge von 1815 und 1816 bereit sei, in demselben freundschaftlichen Geiste, wie er in der vorerwähnten Note zum Ausdruck komme, alle Vorschläge zu prüfen, welche die französische Eegierung ihm hinsichtlich der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Hochsavoyen zu unterbreiten für notwendig erachten würde».

neue Rechtsordnung nicht in Kraft getreten
sei. Die französische Regierung hat mit Note vom 25. Dezember 1919 von diesem Vorschlag Vormerk genommen und sich bereit erklärt, zu vereinbaren, dass dieser Übergangszustand nur durch eine mindestens monatliche Kündigung aufgehoben werden könne. Demnach bleiben die Übereinkunft vom 14. Juni 1881 und der Bundesbeschluss vom 19. Juni 1908 weiter in Kraft.

524 Im Laufe der Besprechungen zwischen dem schweizerischen Gesandten in Paris und dem französischen Minister des Auswärtigen,; sowie anlässlich einer Eeise des Bundespräsidenten nach Paris voni Januar 1919 hatte sich die Überzeugung herausgebildet, dass es im Interesse beider Länder liege, über die verschiedenen mit den Zonen zusammenhängenden Fragen so bald als möglich Verhandlungen aufzunehmen. Mit Note vom 6. Februar 1919 benachrichtigte Herr Pichon, damals Minister des Auswärtigen, Herrn Dunant, dass er den Zusammentritt «einer Sonderkommission, bestehend' aus. den Vertretern der verschiedenen zuständigen Verwaltungs-, zweige, sowie der in Frage kommenden Gegenden» veranlassfr habe, «zu dem Zwecke, die Grundlagen prüfen zu lassen, von.

denen die Eegierung der Republik bei Verhandlungen über diesen Gegenstand auszugehen hätte».

Der Bundesrat seinerseits ernannte am 14. März 1919 eine aus achtzehn Mitgliedern bestehende Kommission, die mit der Aufgabe betraut wurde, die Frage der Zonen zu prüfen. Diese Mitglieder' suchte er sowohl unter den Sachverständigen der Bundesverwaltung als auch unter den Vertretern der Kantone Waadt und Wallis und der wichtigsten Gemeinden des Kantons Genf. Da diese Kommission ihre Arbeiten nicht beginnen konnte, solange ihr die Absichten der französischen Eegierung hinsichtlich der neu zu schaffenden Zonenordnung unbekannt waren, wurde der schweizerische Gesandte in Paris beauftragt, genauere Erkundigungen über diesen Gegenstand einzuziehen. Herr Pichon beschränkte sich darauf, in einer Note vom 24. Februar anzugeben, «dass es sich alles in allem darum handle, an die Stelle der Zonenordnung eine den heutigen Begriffen und Bedürfnissen entsprechende Eegelung zu setzen, wobei beiderseits auf die geographischen Verhältnisse der in Frage kommenden Gegenden Eücksicht genommen und der Grundsatz der Gegenseitigkeit in billiger Weise zur Anwendung gebracht werden müsse».

B. Der Artikel 435 des Versailler Vertrages, So lagen die Dinge, als Frankreich den Wunsch zu erkennen gab, in. den Versailler Vertrag eine Bestimmung aufzunehmen, worin bestätigt werden sollte, dass die Schweiz auf die militärische Neutralisierung Nordsavoyens verzichte und dass die Signatar-, mächte des Vertrages vom 20. November 1815 an der Eegelung der Frage der wirtschaftlichen Zonen nicht weiter beteiligt seien. Die' Verhandlungen, zu denen dieser Vorschlag Anlass gab, hatten zurFolge, dass die an der Pariser Friedenskonferenz vertretenen Mächte dfe ewige Neutralität der Schweiz anerkannten.

525 Diese Verhandlungen bildeten den Gegenstand der Botschaft vom 14. Oktober 1919, und der Nationalrat hat sich bereits am 21. November 1919 über die zwischen dem Bundesrate und der französischen Eegierung abgeschlossene Vereinbarung, so wie sie in den Artikel 435 des Friedensvertrages zwischen den alliierten und assoziierten Mächten einerseits und Deutschland andererseits aufgenommen worden ist, ausgesprochen. Die Angelegenheit ist vor dem Ständerat noch anhängig. Es mag genügen, daran zu erinnern, dass Frankreich grosses Gewicht darauf legte, die sich ihm durch den Abschluss eines grossen internationalen Vertrages bietende Gelegenheit zu ergreifen, uni die Rechtsordnung Nordsavoyens von denjenigen Bestimmungen zu · befreien, deren Abänderung von der Zustimmung der Signatarmächte des Vertrages von 1815 abhängig war. Es drang demnach zugleich auch darauf, von diesen Mächten eine Erklärung zu erlangen, wonach sie an der Eegelung der Rechtsordnung der wirtschaftlichen Zonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex inskünftig nicht mehr beteiligt seien. Im Verlauf der Besprechungen, die am 29. April 1919 zwischen Herrn Ador und Herrn Pichon in Paris stattfanden, hatte der französische Minister des Auswärtigen vorgeschlagen, den auf die Neutralisierung Nordsavoyens bezüglichen Bestimmungen eine Klausel beizufügen, die die einfache und vollständige Aufhebung der Bestimmungen des Vertrages von 1815 und der Zusatzakte über die Freizonen bedeutet hätte 1 ). Der Bundesrat erhob dagegen Einspruch und erklärte sich mit dem Wortlaut, der den Artikel 485 des Versailler Vertrages bilden sollte und dessen zweiter Absatz sieh darauf beschränkt, die Verzichtleistung der Mächte festzustellen, sowie der Schweiz und Frankreich die Befugnis zu erteilen, die neue Rechtslage der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex frei und im Wege der Einigung untereinander zu regeln, nur unter der Voraussetzung einverstanden, dass es sich hierbei zunächst um einen Entwurf handle. Die Note vom 29. April, mit der Herr Pichon Herrn Ador den Wortlaut dieses Entwurfes übermittelte, ist in der Anlage zu dieser Botschaft wiedergegeben 2). Sie lässfc keinen Zweifel über die Tatsache zu, dass eine ausdrückliche Beitrittserklärung der Schweiz noch erwartet wurde.

1 ) Der von Frankreich vorgeschlagene Wortlaut war folgendermassen abgefasst :
,,Die Hohen vertragschliessenden Teile erkennen an, dass die Bestimmungen der Verträge von 1815 und der Übereinkommen, Erklärungen und sonstigen Zusatzakte, betreffend die neutrale Zone Savoyens und die Freizonen Savoyens und der Landschaft Gex, den heutigen Verhältnissen nicht mehr entsprechen. Infolgedessen sind und bleiben diese Bestimmungen aufgehoben, und Frankreich kann im Einvernehmen mit der Schweiz die Rechtslage dieser Gebiete so regeln, wie beide Länder es für zweckmässig erachten."'

2 ) Siehe Anlage I zu vorliegender Botschaft.

526

Gerade während die Verhandlungen in Paris stattfanden, liess die französische Botschaft dem politischen Departement den Entwurf zu einem Abkommen über die neue Eechtsordnung der Freizonen zugehen, den die französische Sonderkommission auf Wunsch ihrer Eegierung ausgearbeitet hatte. Die französische Botschaft wies in ihrer Note vom 28. April 1919 zunächst nachdrücklich auf die Gründe hin, die die französische Begierung veranlassten, die Annexionszone aufzuheben, und schloss sodann mit folgenden Ausführungen : «Obwohl Frankreich berechtigt wäre, die grosse Freizone ein· fach aufzuheben, legte es Wert darauf, einen Abkommensentwurf festzusetzen, der den Gegenstand der gestern vom Französischen Geschäftsträger dem Politischen Departement überreichten Verbalnote bildet und der die vorausgesehene Sonderbehandlung nicht nur auf die Zonen von 1815, sondern auch auf das Gebiet der heutigen grossen Zone ausdehnt.

«Die Französische Eegierung ist davon überzeugt, dass eine glückliche Eückwirkung auf ihre künftigen Beziehungen zum Bundesrate von der Tatsache ausgehen wird, dass die Schweiz freiwillig der Hinfälligerklärung der Bestimmungen, die für die normale Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern ein Hemmnis geworden waren, zugestimmt haben wird.» Dieser Abkommensentwurf, auf den wir noch zu sprechen kommen werden, hatte folgenden Wortlaut: «Bei der Aufstellung dieser Bestimmungen wurde auf den üblichen Güteraustausch zwischen den Freizonen und den angrenzenden Schweizer Kantonen Rücksicht genommen.

«Wie die Bundesregierung aus der ihr andernorts übermittelten Liste der Erzeugnisse ersehen kann, zeugt der französische Entwurf von dem Wunsche der Französischen Eegierung, sowohl die in Frage kommenden Interessen Frankreichs wie der .Schweiz und namentlich diejenigen des Kantons Genf in weitestem Masse zu berücksichtigen.

«Die Eegierung der.Eepublik ist davon überzeugt, dass die Rechtsordnung, die somit auf dem Grundsatze einer gerechten Gegenseitigkeit aufgebaut ist und das Bestehen besonderer geographischer Verhältnisse in Betracht zieht, in vorteilhafter Weise das veraltete Freizonensystem ersetzen und in hohem Masse dazu beitragen wird, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern, vornehmlich was die besonders beteiligten Gebiete anbelangt, zu entwickeln.»

527 Das politische Departement bestätigte am 2. Mai*) den Empfang der Noten, die ihm die französische Botschaft am 26. und 28. April hatte zugehen lassen, sowie der am 29. April vom französischen Minister des Auswärtigen an den Bundespräsidenten gerichteten Mitteilung. Es betonte, es sehe sich genötigt, die Vorschläge der französischen Kommission prüfen zu lassen und die beteiligten schweizerischen Gebiete zu Eate zu ziehen, und sprach zum Schlüsse ausdrücklich den "Wunsch aus, die französische Eegierung möge darauf verzichten, der Freizonen, im Friedensvertrage Erwähnung 'zu tun.

Tags darauf, am 3. Mai, erklärte der französische Geschäftsträger, der Wortlaut des Versailler Vertrages müsse den deutschen Unterhändlern unverzüglich übergeben werden. Er betonte, seine Eegierung lege besonderes Gewicht darauf, dass die Frage der Neutralität Nordsavoyens und die Verzichtleistung der Mächte hinsichtlich der Teilnahme an der Eegelung der Zonenfrage bei dieser Gelegenheit entschieden werde, und er drängte mit Nachdruck darauf, dass der Bundesrat gegen die Aufnahme des von Herrn Pichon Herrn Ador anlässlich ihrer Unterredung mitgeteilten Artikelentwurfes in den Friedensvertrag keinen Widerspruch erhebe.

Es ist hier nicht der Ort, wiederum das hervorragende Interesse zu betonen, das die Schweiz ihrerseits daran hatte, die sich ihr bietende Gelegenheit zu ergreifen, um von neuem den Grundsatz ihrer ewigen Neutralität bestätigen zu lassen. Diese Frage ist in der Botschaft vom 14. Oktober 1919 beleuchtet worden. Es wird genügen, darauf hinzuweisen, dass zu jener Zeit der Begriff der Neutralität in gewissen Kreisen für unvereinbar mit den neuen Grundsätzen erachtet wurde, die man dem Völkerrechte einzufügen gedachte. Belgien hatte soeben auf die ewige Neutralität feierlich Verzicht geleistet, die ihm der Vertrag von 1830 zusicherte. Es schien gefährlich, das Ergebnis von Verhandlungen in Frage zu stellen, das der Schweiz die notwendige Grundlage für die Behauptung ihrer herkömmlichen Staatsmaxime darbot.

Der Bundesrat hatte keine Bedenken, seine Zustimmung dazu zu geben, dass dem Versailler Vertrag der Wortlaut, der dann dessen Artikel 435 bilden sollte, einverleibt werde, unter dem ausdrücklichen Vorbehalte, dass dieser Artikel des Friedensvertrages lediglich zu bedeuten habe, dass a. die Verzichtleistung
der Mächte auf die Teilnahme an der Eegelung der Eechtslage der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex zur Kenntnis genommen werde; ') Anlage II zu vorliegender Botschaft.

Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. IV.

37

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b. Frankreich und der Schweiz die Befugnis erteilt werde, diese Eechtslage im Wege der Einigung untereinander im Verfolg der Verhandlungen, die bereits im Dezember 1918 eingeleitet worden waren, zu regeln.

Der Bundesrat teilte seine Zustimmung durch die Note vom 5. Mai 1919 mit, die als Anlage dieser Botschaft vollständig beigefügt ist 1 ). Diese Note legt in klarer Weise dar, dass die schweizerische Eegierüng der einfachen und bedingungslosen Aufhebung der Freizonenordnung nicht zustimmen könne und dass es sich ihrer Auffassung nach «nicht darum handeln würde, das Zollsystem der Zonen, so wie es durch die obenerwähnten Verträge festgesetzt worden sei, abzuändern, sondern einzig darum, die Art und Weise des Güteraustausches zwischen den in Betracht kommenden Gegenden in einer den jetzigen wirtschaftlichen Verhältnissen besser angepassten Weise zu regeln».

Die französische Eegierüng hat den Abschluss des Einverständnisses in einer Note vom 18. Mai bestätigt, die folgende Stelle enthält: «Selbstverständlich darf dies in keiner Weise das Eecht Frankreichs beeinträchtigen, in dieser Gegend seine Zollinie mit seiner politischen Grenze zusammenfallen zu lassen, wie dies bei den andern Teilen seiner Landesgrenzen der Fall ist und wie die Schweiz es selbst seit langem an ihren eigenen Grenzen in dieser Gegend getan hat.» Diese Note 2) ist mit Eücksicht auf die Note vom 5. Mai 1919, durch die der Bundesrat der Verzichtleistung der Mächte unter den vorerwähnten Vorbehalten zustimmte, dem Artikel 435 des Versailler Friedensvertrages als Anlage beigefügt worden. Diese Tatsache hat den Eindruck erwecken können, als ob die französische Regierung die von der Schweiz gemachten Vorbehalte abgelehnt und die Bundesregierung sich damit abgefunden habe. Hiervon ist keine Eede. Die Antwort der französischen Eegierüng auf die Note vom 5. Mai 1919 hätte in keinem Falle an den ausdrücklichen Vorbehalten etwas ändern können, unter denen der Bundesrat sein Einverständnis damit erklärt hatte, dass in einem Vertrage, an dessen Ausarbeitung er keinen Anteil gehabt hat, eine die Schweiz betreffende Bestimmung aufgenommen werde. Sie konnte es um so weniger, als die Note vom 18. Mai 1919 nicht den Abschluss der diplomatischen Besprechungen zwischen, der Schweiz und Frankreich hinsichtlich des Artikels 485 des Versailler Vertrages bildet.

') Anlage III zu vorliegender Botschaft.

) Anlage IV zu vorliegender Botschaft.

2

529 Mit Note vom 29. Mai 1919 x) legte nämlich der Bundesrat genauer dar, wie die Meinungsäusserungen auszulegen seien, die bisher über diesen Gegenstand zwischen den beiden Eegierungen ausgetauscht worden waren, indem er folgendes schrieb: «Der Bundesrat hält im ganzen Umfange an seinen Vorbehalten fest, die übrigens den Akten der Friedenskonferenz einverleibt worden sind. Dieser Standpunkt ist um so begründeter, als der von der Französischen Eegierung vorgeschlagene Wortlaut, betreffend die Freizonen, in den Friedensvertrag lediglich zu dem Zwecke eingefügt worden ist, um von den übrigen Signatarmächten die Verzichtleistung auf die Teilnahme an der Eegelung dieser Frage zu erlangen. Der Wortlaut dieses Artikels kann daher für den Kern der Frage, das heisst für den Inhalt der zwischen der Schweizerischen und Französischen Eegierung abzuschliessenden Vereinbarung, kein Präjudiz bilden.

«Insbesondere glaubt der Bundesrat daran erinnern zu müssen, dass der in den Friedensvertrag aufgenommene Artikel den Bestimmungen der Verträge von 1815 und der sonstigen Zusatzakte bezüglich der Freizonen keineswegs einen nur vorläufigen Charakter verleiht; vielmehr bleiben diese Bestimmungen in derselben Gestalt in Kraft und können nur im Wege der Einigung zwischen der Schweiz und Frankreich abgeändert oder ersetzt werden.» Mit Note vom 14. Juni 2 ) bestätigte die französische Botschaft den Empfang dieser Mitteilung, und wiewohl sie auf dem in der französischen Note vom 18. Mai vertretenen Standpunkte verharrte, drückte sie den Wunsch aus, es möchten in Bälde direkte Verhandlungen auf der Grundlage des Abkommensentwurfes, der dem politischen Departement am 26. April zugestellt worden war, aufgenommen werden.

Mit Note vom 1. Juli 8) antwortete das politische Departement, es erscheine «dem Bundesrate schwierig, den ihm am 26. April unterbreiteten Abkommensentwurf mit den Vorbehalten in Einklang zu bringen, die er in seiner Note vom 5. Mai ausdrücklich gegenüber einer mit der Verlegung der französischen Zollinie an die Landesgrenze verbundenen Abänderung der gegenwärtigen Zonenordnung erhoben habe».

Der Bundesrat fügte hinzu, dass er, «beseelt von dem lebhaftesten Wunsche, so bald als möglich zu einer Abmachung zu gelangen, die J

) Anlage V zu vorliegender Botschaft.

) Anlage VI zu vorliegender Botschaft.

3 ) Anlage VII zu vorliegender Botschaft.

2

530 für beide Teile annehmbar und dazu angetan sei, den Austauschverkehr zwischen den Freizonen und der Schweiz zu erleichtern, eine Spezialkommission beauftragt habe, ihrerseits einen Abkomniensentwurf auszuarbeiten, worin die Eechtsordnung der in Betracht kommenden Gebiete festgelegt werden solle».

Diese Note ist nicht beantwortet worden. Der Meinungsaustausch über den Artikel 435 des Versailler Vertrages findet demnach in einer Mitteilung seinen Abschluss, die aufs neue die vom Bundesrate gemachten Vorbehalte unterstreicht und keinen Zweifel darüber zulässt, class er fest entschlossen ist, für die Frage der Freizonen eine Lösung im Geiste der Verträge von 1815 und 1816 zu suchen. Der Boden, auf dem die Verhandlungen über die neue Eechtsordnung der ·Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex fortgeführt werden sollten, schien geebnet und jedes Missverständnis aus dem Wege geräumt.

III.

Die Verhandlungen.

A. Der französische Entwurf vom 26. April 1919.

Der von der französischen Botschaft am 26. April 1919 überreichte Abkommensentwurf schien von allem Anfang an als Grundlage für die Verhandlungen über die neue Eechtsordnung der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex ungeeignet. Er zeichnete in groben Umrissen ein System gegenseitiger Durchdringung zwischen dem Gebiet der ehemaligen Zonen und den Kantonen Genf, Waadt und Wallis, das für Frankreich viel günstiger gewesen wäre als für die Schweiz, und vor allem nahm er die Verlegung des französischen Zollgürtels an die Landesgrenze, von der er ein Jahrhundert früher entfernt worden war, in Aussicht, ohne dass der Schweiz für die Preisgabe ihrer Rechte irgendein Ersatz geboten worden wäre; vielmehr setzte er sich ganz einfach über die Verträge von 1815 und 1816, die Grundlage des Zonensystems, hinweg.

Trotzdem wurde dieser Entwurf den Mitgliedern der Kommission unterbreitet, die der Bundesrat mit dem Studium der neuen Zonenordnung beauftragt hatte. Diese Kommission trat am 20. Mai 1919 in Bern zusammen; sie verwies die Prüfung des französischen Entwurfs an eine Unterkommission, und diese entschied am 4. Juni, dass es unnötig sei, auf einen Vorschlag einzutreten, der gleichzeitig den

531 vom Bundesrat in seiner Note vom 5. Mai 1919 gemachten Vorbehalten und den Wünschen der beteiligten Bevölkerung widerspreche.

Am 18. Juni stimmte die Vollkommission dieser Entscheidung zu und nahm eine Entschliessung an, worin dem Bundesrat empfohlen wurde, an der Beibehaltung des gegenwärtigen, auf Eecht und Geschichte gegründeten und den Bedürfnissen der Nachbarbevölkerungen entsprechenden Systems der Freizonen festzuhalten und sich nicht zu «Verhandlungen über ein Abkommen herbeizulassen, das sich über die Verträge hinwegsetzt».

Indessen war diese Kommission der Meinung, es sei nicht zweckmässig, sich auf eine rein verneinende Haltung zu versteifen, es sei vielmehr wünschenswert, wenn die Schweiz ihrerseits Gegenvorschläge ausarbeite, die die Beibehaltung der Zollordnung der Freizonen zum Ausgangspunkt nehmen, der französischen Bevölkerung jedoch unter weitgehender Berücksichtigung der in beteiligten französischen Kreisen gegen die Zonenordnung des Abkommens von 1881 erhobenen Einwände neue Vergünstigungen einräumen sollten.

B. Der schweizerische Gegenentwurf.

In ihrer Sitzung vom 18. Juni hatte die Zonenkommission eine Unterkommission mit der Ausarbeitung des Gegenentwurfes betraut.

Diese Unterkommission machte sich unverzüglich ans Werk und unterbreitete der Vollkommission am 9. August den Gegenentwurf eines Abkommens, der sich auf die Beibehaltung der Freizonen in ihrer gegenwärtigen Abgrenzung gründete, der der Zonenbevölkerung indes für die Einfuhr ihrer Erzeugnisse in die Schweiz grössere Erleichterungen gewährte, als dies bis dahin der Fall gewesen war. Die vom Bundesrat ernannte Kommission fand diesen Gegenvorschlag nicht entgegenkommend genug. Die Vertreter des Kantons Genf insbesondere bestanden nachdrücklich darauf, dass die Schweiz nur pann Aussicht habe, das System der Froiz'onen auf den herkömmlichen Grundlagen zu behaupten, wenn sie sich auf den moralischen Beistand der Zonenbevölkerung stützen könne und ihr zu diesem Behufe alle im Bereiche der Billigkeit liegenden Zugeständnisse mache. Der Präsident des Genfer Staatsrates legte der Kommission einen Abkommensentwurf vor, der derauf abzielte, Frankreich gleichwertige Vergünstigungen einzuräumen, wie sie sich für die Schweiz aus der Beibehaltung der «Annexionszone» ergeben hätten. Dieser Entwurf gestattete der Zonenbevölkerung, alle Bodenerzeugnisse sowie einen Teil der Industrieprodukte zollfrei in die Schweiz einzuführen, und

532 er schien selbst den Wünschen derjenigen französischen Kritiker Eechnung zu tragen, die das Abkommen von 1881 am abfälligsten beurteilt hatten. Der Entwurf wurde von den Vertretern der schweizerischen Landwirtschaft und Industrie bekämpft. Nach verschiedenen Abänderungen, die indessen seinen Grundcharakter unangetastet Hessen, nahm ihn die Mehrheit der Kornmission schliess- · lieh in der Sitzung vom 27. August 1919 an.

Der Bundesrat, dem dieser Entwurf alsbald vorgelegt wurde, war der Ansicht, dass angesichts der hervorragenden Bedeutung, die der Kanton Genf der Beibehaltung der herkömmlichen Zonenordnung beimesse, die Prankreich eingeräumten wichtigen Zugeständnisse gerechtfertigt seien, unter der Voraussetzung, dass der französische Zollgürtel nach wie vor an der innern Grenzlinie der grossen Zone verbleibe. Er nahm demzufolge den Entwurf an, urn ihn als Verhandlungsgrundlage vorzuschlagen.

Am 1. Oktober 1919 teilte das politische Departement der französischen Botschaft die Narnen der schweizerischen Delegierten für die mit den französischen Vertretern anzuknüpfenden Unterhandlungen über die künftige Eechtsordnung der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex mit, nämlich: die Herren Dunant, schweizerischer Gesandter in Paris, Cramer, Legationsrat, zugeteilt dem politischen Departement, Leute, Direktor des VI. eidgenössischen Zollkreises, Gignoux, Präsident des Genfer Staatsrates, Fazy, Staatsrat in Genf, Mégevand, Sekretär der Genfer Handelskammer.

Der von der Zonenkommission ausgearbeitete Vertragsentwurf wurde der französischen Botschaft am 15. Oktober übergeben. Die Begleitnote wies darauf hin, dass «der Vertragsentwurf im Laufe der Verhandlungen durch eine Zusatzakte zu ergänzen sei, worin die Bestimmungen über die Kontrollmassnahmen hinsichtlich des Ursprungs der von den Zonen in die Schweiz eingeführten Waren niederzulegen und die Massregeln zu bestimmen seien, die mit Bezug auf die Weineinfuhr und neue, in den fraglichen Gebieten möglicherweise in Erscheinung tretende Industrien ergriffen werden müssten»; sie führte ferner aus, dass «andererseits die schweizerischen Delegierten Instruktionen erhalten werden, die geeignet seien, die Ursprungskontrolle der aus -der Schweiz in die Freizonen ausgeführten Waren zur Zufriedenheit der beiden Staaten zu regeln».

Man durfte hoffen,
dass die bevorstehenden Verhandlungen dazu führen werden, «eine Neuregelung zu erreichen, die dem wirtschaftlichen Gedeihen der beteiligten Gegenden förderlich und geeignet sei», die zwischen den Gebieten der Zonen und der Schweiz bestehenden «jahrhundertealten Beziehungen enger zu knüpfen».

533 C. Die Verhandlungen vom Januar und Juni 1920.

Die Eröffnung der direkten Verhandlungen war ursprünglich auf den 16. Dezember 1919 angesetzt worden. Auf den Vorschlag Frankreichs hin wurde sie auf den 27. Januar 1920 verschoben. Der Bundesrat würde es vorgezogen haben, wenn diese Besprechungen in der Nähe der Freizonen abgehalten worden wären, damit nötigenfalls Erhebungen an Ort und Stelle hätten vorgenommen werden können. Es gelang ihm nicht, die französische Eegierung für seinen Standpunkt zu gewinnen. So kam es, dass die Vertreter des Bundesrates in Paris mit der französischen Delegation zusammentrafen; diese setzte sich zusammen aus den Herren Eegnault, französischem Botschafter, Laroche, bevollmächtigtem Minister, Unterdirektor der Abteilung Europa im Ministerium des Auswärtigen, Bolley, Generalzolldirektor, dem Haupturheber des französischen Entwurfes, Fighiera, Direktor der Handels- und Industrieangelegenheiten im Handelsministerium, Carrier, Direktor des Sekretariats und des Personellen im Landwirtschaftsministerium, denen die Herren Alexandre Bérard, Senator von Ain, Fernand David, Senator von Hochsavoyen, sowie Eené Bartholoni und Paul Tapponnier, Deputierte von Hochsavoyen, beigegeben waren.

Die schweizerischen Delegierten hatten Weisung erhalten, alle ihre Anstrengungen auf die Beibehaltung des Zollgürtels auf der gegenwärtigen Linie zu richten und die Eechte geltend zu machen, die sich aus den Vorbehalten der schweizerischen Note vom 5. Mai 1919 ergeben. Sie kamen indessen nicht mit leeren Händen; denn sie überbrachten Vorschläge, deren weitgehendes Entgegenkommen in der Schweiz ernsthafte Bedenken erregt hatte, und sie konnten mit vollem Eechte darauf hinweisen, dass der Grundsatz der Gegenseitigkeit im Güteraustausch, der den Zonenbewohnern zugestanden werde, den Gegenwert für die Aufrechterhaltung des Vorkriegszustandes bilde.

Von allem Anfang an mussten sie jedoch die Überzeugung gewinnen, dass die französischen Unterhändler keine andere Lösung der Zonenfrage ins Auge fassten als die Verlegung des französischen Zollgürtels unmittelbar an die Tore Genfs. Im Verlaufe von vier Sitzungen versicherte die französische Abordnung, dass die Zone von 1860 nicht aufrechterhalten bleiben und das Abkommen, welches dasjenige von 1881 zu ersetzen habe, nur unter der Bedingung abgeschlossen
werden könne, dass von den frühern Verträgen abgesehen und die Art und Weise des Güteraustausches zwischen den benachbarten Gegenden auf der gewöhnlichen Grundlage der Gegenseitigkeit geregelt werde.

534 Unter diesen Umständen wurde nicht einmal mit der Prüfung des schweizerischen Gegenentwurfes begonnen. Da die Vertreter des Bundesrates auf Grund ihrer Instruktionen nicht ermächtigt waren, in die Erörterung des französischen Entwurfes einzutreten, konnten sie die Bemerkungen der französischen Abordnung lediglich ad referendum anhören, und die Verhandlungen wurden am 31. Januar abgebrochen, um den Delegationen Gelegenheit zu bieten, den beiderseitigen Eegierungen über die Lage Bericht zu erstatten. Es war vereinbart worden, dass ein neuer Meinungsaustausch in kurzer Frist vorgenommen werden sollte.

Der negative Ausgang dieser ersten Zusammenkunft liess keinen Zweifel mehr darüber zu, dass die französischen Behörden den grössten Wert darauf legten, den innern Zollgürtel abzuschaffen, und dass diplomatische Verhandlungen die französische Eegierung selbst um den Preis sehr weitgehender Zugeständnisse von Seiten der Schweiz nicht dazu zu bestimmen vermöchten, die Zollordnung der Freizonen, so wie sie seit 1860 besteht, unangetastet zu lassen.

Es schien indessen nicht ausgeschlossen, dass in Frankreich selbst die öffentliche Meinung sich zugunsten der Beibehaltung der Vorteile rege, die Savoyen durch die Volksabstimmung vom 23. April 1860 erlangt hatte. Die Bevölkerung der Zonen gab die Absicht kund, diese Vergünstigungen als wohlerworbene Eechte zu betrachten, und hatte verlangt, vor der endgültigen Abänderung des herkömmlichen Standes der Dinge um ihre Meinung befragt zu werden.

Andererseits hatte die Schweiz das Eecht, die Aufrechterhaltuug der im Vertrage vom 20. November 1815 bestätigten Zone von Gex und der im Turiner Vertrage vorn 16. März 1816 errichteten kleinen sardischen Zone zu fordern. Diese Verträge waren auf unbeschränkte Zeit abgeschlossen worden. Es konnte von ihnen nicht ohne Zustimmung der Schweiz abgegangen werden.

Da aber einzig die grosse Zone, deren Abschaffung der französischen Eegierung freistand, für dia Schweiz von wirklicher wirtschaftlicher Bedeutung war, erhob sich die Frage, ob nach dem Verschwinden der grossen Zone das Fortbestehen der beiden vertraglichen kleinen Zonen für die angrenzenden schweizerischen Gegenden nach wie vor von tatsächlichem Werte sei. Diese Frage wurde im Laufe einer Konferenz bejaht, die am 7. Juni 1920 in Bern stattfand und an der unter
anderm die Delegierten, die in Paris für den ..schweizerischen Gegenentwurf eingetreten waren, teilnahmen. Die Vertreter des Kantons Genf betonten nämlich nachdrücklich, dass das Hauptziel nicht darin bestehen müsse, für die Schweiz ein zwar nicht unwichtiges, aber infolge der gegenwärtigen Valutaverhältnisse im Werte gesunkenes Ab-

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satzgebiet zu retten, sondern dem Kanton Genf einen fremden Zoll·gürtel fernzuhalten. Getreu der jahrhundertealten Politik ging Genfs hauptsächlichstes Streben dahin, der Einkreisung seines Staatsgebietes vorzubeugen und die erworbenen Eechte zu behaupten.

Die Verhandlungen sollten am darauffolgenden 5. Juli in Paris wieder aufgenommen werden. Angesichts der Sachlage hielt der Bundesrat es für unnötig, den schweizerischen Standpunkt durch eine grosse Abordnung vertreten zu lassen. So beschränkte er die schweizerische Delegation auf die Herren Dunant, schweizerischen Gesandten in Frankreich, Lucien Cramer, Legationsrat, Gignoux, Staatsrat in Genf, und Gustave Megevand, denen folgende Instruktionen mitgegeben wurden: A. Sie haben die Vorteile hervorzuheben, die der im Januar von der schweizerischen Delegation überreichte Entwurf der französischen wie der schweizerischen Bevölkerung biete. Wenn sie die französischen Delegierten bestimmen können, auf diesen Entwurf einzutreten, so haben sie weiterhin im Eahmen der Instruktionen vom Januar 1920 vorzugehen.

B. Im Falle der Ablehnung haben sie in der entschiedensten Weise zu bestehen auf der Aufrechterhaltung a. der Zone der Landschaft Gex, errichtet im Pariser Vertrag vom 20. November 1815; &. der kleinen sardischen Zone, beruhend auf dem Turiner Vertrag vom 16. März 1816 (Art. 3); c. der kleinen Zone von St. Gingolph, in Anwendung des Turiner Vertrages (Art. 3) errichtet durch das Manifest der königlichen Eechnungskammer von Sardinien vom 9. September 1829, da die Schweiz auf diese Gebiete unverjährhare Rechte habe.

1. Zu diesem Zwecke sollen die Delegierten darauf hinweisen, dass die Schweiz bereit sei, zugunsten der Bewohner der kleinen Zonen ähnliche Vergünstigungen aufrechtzuerhalten, wie sie in den nach der einseitigen Errichtung der Annexionszone von 1860 abgeschlossenen Übereinkünften eingeräumt worden sind.

Wenn die französischen Delegierten diese Verhandlungsgrundlage annehmen, so sind die schweizerischen Delegierten ermächtigt, mit ihnen einen Vertragsentwurf auszuarbeiten, der die Bestimmungen der Übereinkunft vom 14. Juni 1881, des Règlements von 1906 über die Landschaft Gex and des Bundesbeschlusses von 1908, betreffend Hochsavoyen und die Landschaft Gex, wiederaufnimmt, deren Charakter jedoch geschmeidiger macht.

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D. Falls die französischen Delegierten ablehnen sollten, auf irgendeinen dieser Vorschläge einzutreten, so werden die schweizerischen Delegierten die Verhandlungen abbrechen, nachdem sie hinsichtlich der aus den frühern Verträgen herrührenden Kechte der Eidgenossenschaft einen ausdrücklichen Vorbehalt zum Ausdruck gebracht haben. Falls diese .Rechte angefochten werden sollten, so würde der Bundesrat möglicherweise ein schiedsgerichtliches Verfahren ins Auge fassen.

Die schweizerischen Vertreter trafen am 5. Juli 1920 in Paris mit der französischen Abordnung zusammen, die sich gleich zusammensetzte wie im Januar. Wiederum lehnten die französischen Delegierten ab, auf die schweizerischen Vorschläge einzutreten. Sie betonten, ihre Eegierung sei fest entschlossen, die Zollinie an die Landesgrenze zu verlegen. Ausserdem entwickelten sie die schon in der Konferenz vom Januar angedeutete These, die Verträge von 1815 und 1816 seien kraft des Grundsatzes der Klausel «rebus sic stantibus» und des Vertrages von Versailles hinfällig. In Übereinstimmung mit ihren Instruktionen verlangten die schweizerischen Delegierten den Abbruch der Verhandlungen, nachdem sie folgende Vorbehalte angebracht hatten : «In Bestätigung der schweizerischen Note vom 5. Mai 1919 behält die schweizerische Delegation ausdrücklich die Eechte der Eidgenossenschaft vor, die sich ergeben a. aus den Bestimmungen von Artikel l des Pariser Vertrages vom 20. November 1815 über die Errichtung der Zone von Gex; b. aus den Bestimmungen von Artikel 3 des Turiner Vertrages vorn 16. März 1816 über die Errichtung der kleinen sardischen Zone; c. aus dem Manifest der königlichen Rechnungskammer von Sardinien vom ,9. September 1826 über die in Anwendung von Artikel 3 des Turiner Vertrages zu vollziehende Errichtung.der kleinen Zone von St. Gingolph.

Die schweizerische Delegation kann keinerlei Modifikation der auf diesen Verträgen beruhenden Zollgrenzen und keinerlei Abänderung zustimmen, die an der vom Turiner Vertrag geschaffenen Ordnung, namentlich mit Bezug auf die Versorgung der Stadt Genf und die Lage der Grenzanwohner, vorgenommen werden sollte.

Angesichts der für sie unannehmbaren Auslegung der französischen Delegation, wonach die oben erwähnten Bestimmungen

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hinfällig geworden seien, behalten sich die schweizerischen Delegierten das Kecht vor, die Frage zu prüfen, ob sie ihrer Eegierung nicht vorschlagen sollten, im Wege eines Schiedsgerichtes eine juristische Lösung der Meinungsverschiedenheit zu suchen.»

D. Die Fortsetzung der Besprechungen.

Im Verlauf einer Zusammenkunft von drei Mitgliedern des Bundesrates, den Herren Bundespräsident Motta und Bundesräten Schulthess und Chuard, mit Herrn Millerand, damals Präsidenten des · Ministerrates der Französischen Eepublik, in Lausanne wurde vereinbart, dass die französische Begierurig eine Delegation mit dem Auftrage, eine Lösung der Zonenfrage zu suchen, nach der Schweiz senden werde.

Herr Eegnault, französischer Botschafter, und Herr Bolley, französischer Generalzolldirektor, trafen am 20. Oktober in Bern mit den Herren Lucien Cramer, Gassmann, Leute und Mégevand zusammen. Sie hörten die Erklärungen an, die ihnen von neuem hinsichtlich der ganz besondern Grenzverhältnisse zwischen der Schweiz und den Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex gegeben wurden, und kehrten am 25. Oktober nach Paris zurück, nachdem sie die baldige Überreichung von neuen französischen Vorschlägen in Aussicht gestellt hatten.

Der von den Herren Eegnault und Bolley angekündigte Vorentwurf zu einem Abkommen wurde uns am 24. Januar 1921 vom französischen Botschafter übergeben.

Nachdem der Bundesrat das Gutachten der Sachverständigen ·eingeholt und Vertreter der Kantone Waadt und Wallis, sowie aller Kreise der Genfer Bevölkerung um ihre Ansicht befragt hatte, teilte ·er mit Note vorn 25. Februar 1) dem französischen Botschafter mit, dass, nachdem er sich der Hoffnung hingegeben habe, «dass die letzten Vorschläge der Französischen Eegierung in dauerhafter Weise die wirtschaftliche Lage Genfs in dessen Beziehungen zu den Zonen festigen würden«, er zu seinem Bedauern feststellen müsse, dass diese Festigung mit der Verlegung- der Zollinie an die politische Grenze nicht vereinbar erscheine. Er bestand darauf, dass die Schweiz berechtigt sei, die Aufrechterhaltung der vertraglichen kleinen Zonen zu fordern, und er drückte die Hoffnung aus, die französische Eegierung werde sich dazu verstehen, den Wunsch der Genfer Bevölkerung in Berücksichtigung zu ziehen.

*) Anlage VIII zu vorliegender Botschaft.

538 Die französische Eegierung antwortete am 26. März 1921 auf die Mitteilung des Bundesrates mit einer Note1), die den Beweis zu erbringen suchte, dass die Schweiz sich.in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht an die Verträge von 1815 und 1816 gehalten habe und dass diese Verträge übrigens ausser Gebrauch gekommen seien, eine Hinfälligkeit, die durch die Aufnahme des Artikels 435 in den Vertrag von Versailles lediglich ihre Bestätigung erfahren habe; sodann betonte die französische Eegierung, dass sie beabsichtige, sich ihre Handlungsfreiheit zurückzunehmen und durch eine einseitige Entscheidung die neue Zollordnung der Zonengebiete zu regeln. In seinem Begleitschreiben fügte der französische Geschäftsträger bei, «die französische Eegierung könne selbstverständlich die Möglichkeit nicht ins Auge fassen, eine Frage, die so unmittelbar die Staatshoheit Frankreichs berühre, einem Schiedsgericht zu unterbreiten, wie dies kürzlich in der Schweiz von verschiedenen politischen Persönlichkeiten angeregt worden sei».

Wie angekündigt brachte die französische Eegierung zu gleicher Zeit im Bureau der Deputiertenkammer einen «Gesetzentwurf betreffend die Umgestaltung des Zollstatuts der Freizonen der Landschaft Gex und Hochsavoyens» 2) ein, der vorsieht, dass « im ganzen Umfange der französisch-schweizerischen Grenze die nationale Zoll') Anlage IX zu vorliegender Botschaft.

) Schon am 17. Oktober 1919 hatte die französische Regierung in der Deputiertenkammer einen Gesetzentwurf eingebracht, der auf die Errichtung eines Zollgürtels an der Grenze zwischen der Schweiz und den Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex abzielte. Mit Note vom 1. November 1919 drückte der Bundesrat der französischen Botschaft sein Erstaunen darüber aus, dass trotz der ihm gemachten Zusicherungcn die französische Regierung die Frage der Zonen, die den Gegenstand der bevorstehenden Verhandlungen bilden sollte, durch eine einseitige Entscheidung scheine regeln zu wollen. Am 18. November 1919 bestätigte die französische Regierung ihre Erklärung vom 29. April, indem sie auseinandersetzte, dass ,,die blosse Einbringung eines Gesetzentwurfes, der die künftige Lage der Zonen zu regeln bestimmt sei, mit der von der Französischen Regierung eingegangenen Verpflichtung, den status quo gegenüber der Schweiz bis zum Abschluss der
io Artikel 435 vorgesehenen Vereinbarung zu respektieren, nicht im Widerspruch stehe". Gleichzeitig gab sie der Überzeugung Ausdruck, dass die eingeleiteten Verhandlungen zum Abschluss gelangen werden, bevor die französischen Kammern über den Entwurf abgestimmt, ja vielleicht sogar, bevor sie ihn behandelt haben ; überdies fügte sie bei, dass alle Massnahmen getroffen werden würden, um nötigenfalls die Ausführung des vorgeschlagenen Gesetzes aufzuschieben. Mit Note vom 25. November 1919 bestätigte der Bundesrat den Empfang dieser Erklärung. In Tat und Wahrheit wurde dieser erste Gesetzentwurf über die Umgestaltung des Zollstatuts der Freizonen infolge der Erneuerung des französischen Parlaments hinfällig.

2

539 unie an der Grenze des französischen Staatsgebietes zu errichten sei», dass zwar den Bewohnern dieser Gebiete gewisse Erleichterungen vorbehalten seien, «die Gegend der sogenannten Freizonen jedoch inskünftig in jeder Beziehung, namentlich hinsichtlich der indirekten Steuern, derselben Gesetzgebung zu unterstellen sei wie die Gesamtheit des französischen Staatsgebietes». Ausserdem sollte den Gemeinden des Zonengebiets als Ersatz für ihre frühern Vorrechte jährlich eine Entschädigung von 40 Fr. auf den Kopf der Bevölkerung ausgerichtet werden.

Der Bundesrat antwortete am 19. April auf die Mitteilung der französischen Botschaft mit einer Note 1), worin er alle Vorbehalte machte für den Fall, dass er vor einen mit dem Völkerrecht im Widerspruch stehenden Gewaltakt gestellt werden sollte. Gleichzeitig drückte er die Hoffnung aus, die französische Regierung werde sich nicht weigern, den Streitfall «dem Spruch der Eichter oder der Vermittlung der Freunde» zu unterbreiten.

Mit Note vom 10. Mai 2 ) teilte die französische Kegierung dem Bundesrat mit, dass sie zwar den von ihr eingenommenen Beehtsstandpunkt nicht aufgebe, anderseits aber nach wie vor bei der Meinung verharre, dass ein Weg zu finden sei, um ihren Wunsch nach Verlegung des innern Zollgürtels an die Landesgrenze mit den Interessen der Eidgenossenschaft in Einklang zu bringen. Der Kern dieser Note ist in folgender Stelle enthalten: «Von dem aufrichtigen Wunsche geleitet, die wirtschaftlichen Interessen der Eidgenossenschaft und des Kantons Genf im besondern zu wahren, und von der Überzeugung getragen, auf diese Weise den Erwartungen der schweizerischen Begierung zu entsprechen, beabsichtigt die Eegierung der Eepublik, einen neuen Vertreter nach Bern zu senden mit dem Auftrage, die Verhandlungen fortzuführen, um zu der im Vertrage von Versailles vorgesehenen Einigung zu gelangen, wobei der besondern geographischen Lage des Kantons Genf Bechnung zu tragen ist und namentlich die Gegenleistungen festgestellt werden sollen, die der Bundesrat und die Eegierung von Genf berechtigterweise wünschen können; dieser Delegierte ist zur Unterbreitung neuer Vorschläge ermächtigt.» Die jahrhundertealten Eechte der Schweiz werden darin stillschweigend anerkannt, da doch der neue Delegierte von der französi') Anlage X zu vorliegender Botschaft.

2 ) Anlage XI zu vorliegender Botschaft.

540 sehen Eegierung Auftrag erhält, gemeinsam mit den Vertretern des Bundesrates die Gegenleistungen festzustellen, die der Schweiz zum Ausgleich einzuräumen seien.

Da die französische Kegierung in Herrn Laroche, stellvertretendem Direktor der politischen und kommerziellen Angelegenheiten, eine neue Persönlichkeit für den Ahschluss der eingeleiteten Verhandlungen ernannt hatte, sah sich der Bundesrat veranlasst, in gleicher Weise vorzugehen. Nur mit Bedauern jedoch und um nicht vom feststehenden Brauche abzugehen, sah er davon ab, nochmals die guten Dienste seiner frühern Unterhändler in Anspruch zu nehmen, die in schwieriger Lage den schweizerischen Standpunkt mit Geschick vertreten hatten. Wir werden weiter unten noch Gelegenheit haben, festzustellen, wie sehr der umsichtige Patriotismus der Männer, die die schwere Aufgabe, den ersten Teil der Verhandlungen zu führen, auf sich genommen hatten, zu dem Erfolge beigesteuert hat, der von ihren Nachfolgern davongetragen worden ist.

Unter diesen schwierigen Umständen wandte sich der Bundesrat an die Herren Maunoir, Nationalrat und Präsident des Grossen Eates des Kantons Genf, und Professor Laur, Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes, um ihre Mitwirkung. Die Herren Maunoir und Laur, denen Herr Paul Martin, Staatsarchivar von Genf, zur Seite stand, nahmen am 24. Mai Fühlung mit Herrn Laroche, dem Herr Guerlet, Botschaftssekretär, und ein Vertreter der französischen Zollverwaltung beigegeben waren. Der Delegierte der französischen Regierung schlug als Verhandlungsgrundlage einen neuen Vertragsentwurf vor, der zwar wie die vorhergehenden auf der Verlegung des Zollgürtels an die Landesgrenze beruhte, der Schweiz indessen als Gegenleistung für den Verzicht auf ihre Rechte bedeutende Vergünstigungen einräumte. Der Delegierte erklärte sich überdies bereit, soweit immer möglich den ihm unterbreiteten Bemerkungen und Vorschlägen Rechnung zu tragen.

Im Laufe einer Zusammenkunft, die am 26. Mai in Bern stattfand, setzten die Mitglieder des Bundesrates und die schweizerischen Unterhändler Vertretern aller Teile der Genfer Bevölkerung auseinander, unter welchen Bedingungen die neuen Verhandlungen angeknüpft werden können, und ersuchten sie hinsichtlich der französischen Vorschläge um ihre Meinung. Die Mehrzahl der Redner war der Ansicht, dass, wenn auch
der von Herrn Laroche unterbreitete Vertragsentwurf nicht unverändert angenommen werden könne, er doch geeignet sei, als Ausgangspunkt für einen erspriesslichen Meinungsaustausch zu dienen, unter der Voraussetzung, dass die Rechte

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der Schweiz ausdrücklich bis zu dem Zeitpunkte vorbehalten werden, wo ein Urteil darüber möglich sei, ob die zum Ausgleich zugestandenen Gegenleistungen als hinreichend zu erachten seien. .

E. Die Verhandlungen von Mai, Juni und Juli 1921.

Demzufolge ermächtigte der Bundesrat- die Herren Maunoir und Laur, in seinem Namen der französischen Delegation folgende Erklär rung abzugeben: «Der Bundesrat hat den auf das bestimmteste geäusserten Wunsch der Französischen Kegierung, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, um zu der in Artikel 435 des Versailler Vertrages bezüglich der Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex vorgesehenen Verständigung zu gelangen, in seiner vollen Bedeutung gewürdigt.

«In demselben Geiste der Versöhnlichkeit hat der Bundesrat seine Vertreter grundsätzlich ermächtigt, den von der Französischen Kegierung unterbreiteten Vorentwurf eines Abkommens, der die Verlegung des Zollgürtels an die Landesgrenze vorsieht, mit der französischen Delegation einer Prüfung zu unterziehen.

«Die schweizerische Delegation muss indessen schon jetzt darauf aufmerksam machen, dass die Annahme einer Vereinbarung auf dieser G r u n d l a g e durch den Bundesrat, die eidgenössischen Eäte und das Schweizervolk -- für den Fall, dass das Keferendum verlangt werden sollte -- nur dann möglich erscheint, wenn die Bestimmungen des französischen Entwurfs in gewissen wesentlichen Punkten abgeändert werden, derart, dass die Gegenleistungen deutlich festgesetzt werden, auf die die Schweiz als Gegenwert für das grundlegende Zugeständnis, das sie auf diese Weise Frankreich einräumen würde, Anspruch zu erheben berechtigt ist; in dieser Hinsicht müssen die Bestimmungen, die sich auf .die Gegenseitigkeit des Güteraustausches beziehen, in ihrer Tragweite genau abgewogen werden.

«Unter diesen Umständen kann die schweizerische Delegation , den französischen Vorentwurf lediglich als einen Ausgangspunkt betrachten; sie behält sich vor, alle ihr notwendig erscheinenden Abänderungsvorschläge vorzubringen und allenfalls auch ihrerseits einen Entwurf zu einem Abkommen vorzulegen.'» Tatsächlich stellten die schweizerischen Delegierten dem von Herrn Laroche eingereichten Entwurf einen Gegenentwurf entgegen, der den französischen Behörden zur Prüfung unterbreitet wurde.

542 Ein neuer französischer Entwurf, der teilweise den Wünschen der Schweiz Eechnung trug, wurde der schweizerischen Gesandtschaft in Paris am 2. Juni übergeben und diente als Grundlage für die Ausarbeitung neuer schweizerischer Vorschläge, an die sich seit dem 15. Juli die mündlichen Besprechungen anschlössen. Am 26. Juli kam zwischen den Unterhändlern das Einvernehmen über die Bestimmungen des Abkommens zustande, das gegenwärtig den eidgenössischen Bäten zur Genehmigung vorliegt.

IV.

Das Abkommen vom 7. August 1921.

A. Die Grundgedanken.

Die Zonenordnung, so wie sie durch die Verträge von 1815 und 1816 geschaffen worden war, verfolgte nur einen einzigen Zweck: zu v e r h i n d e r n , dass f r e m d e Z o l l ä m t e r die s t ä n d i g e n Beziehungen hemmen, die Genf mit seinem f r e m d e n Hinterl a n d e zu u n t e r h a l t e n genötigt ist. Um diesen Zweck zu erreichen, hatten die Staatsmänner vom Anfang des XIX. Jahrhunderts zu dem Radikalmittel gegriffen, die französische und die sardische Zollinie von den Toren Genfs fernzuhalten.

Heute wie zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts sind für Genf freie und bequeme Beziehungen mit den fremden Gebieten, von denen es eingeschlossen ist, eine Lebensnotwendigkeit. Genf hängt mit der Schweiz nur auf einem nicht mehr als 4 km breiten Landstreifen zusammen und ist mit ihr durch eine einzige Eisenbahnlinie verbunden; die 36,000 Seelen, die seine Landbevölkerung bilden, stellen kein genügendes Gegengewicht gegen eine städtische Bevölkerung von 138,000 Seelen dar; auf mehr als neun Zehnteln seiner Grenzen stösst der Kanton Genf an französisches Staatsgebiet; die Errichtung einer starren Zollschranke auf dieser Grenze, die sich längs des Bannkreises einer grossen Stadt hinzieht, müsste auf das Gedeihen dieser Stadt eine ernstliche Rückwirkung ausüben. Diese Überlegung rechtfertigte vollauf die Anstrengungen, die die Genfer Regierung zur Aufrechterhaltung eines bewährten Zustandes unternommen hat.

An Stelle dieser h e r k ö m m l i c h e n O r d n u n g d u r f t e man d e m z u f o l g e eine neue Ordnung nur dann t r e t e n lassen, wenn der von den alten V e r t r ä g e n v e r f o l g t e Zweck mit a n d e r n M i t t e l n erreicht w i r d . Im letzten Teil der'Verhandlungen haben sich die französischen und schweizerischen Delegierten

543 beständig von dieser Überzeugung leiten lassen. Das Abkommen vom 7. August 1921 ist demnach vom selben Geiste erfüllt wie die Bestimmungen der Verträge von 1815 und 1816 bezüglich der Freizonen.

Es trachtet, wie diese, jedoch mit andern Mitteln, zu verhindern, dass ein Zollgürtel den f r e u n d n a c h b a r l i c h e n G r e n z v e r k e h r und die Handelsbeziehungen hemme, die notwendigerweise zwischen den Kantonen G e n f , Waadt und Wallis und den angrenzenden Gegenden, hauptsächlich aber zwischen der Stadt Genf und ihrem f r e m d e n H i n t e r l a n d , herrschen müssen.

Diese neuen Mittel, über" die ein Urteil erst auf Grund einer längern Anwendung möglich sein wird, bestehen darin, dass unter Anpassung des französischen Zollgürtels an die berührte Gegend und unter Eerücksichtigung der besondern Lage Genfs ein System des freund nachbarlichen Grenzverkehrs bis in alle Einzelheiten hinein festgelegt wurde. Dieses System, das an Stelle der Zonenordnung tritt, ist wie diese auf unbeschränkte Dauer festgesetzt. Es kann nur im Wege der Einigung zwischen beiden Staaten abgeändert werden. Das ist in unsern Augen der Kern des Abkommens.

Andererseits war es notwendig, den Grenzgebieten die Möglichkeit einer Art von Wirtschaftsgemeinschaft zu bieten und ihnen ein besonderes Handelssystem zu sichern. Man würde sich jedoch einer Täuschung hingegeben haben, wenn man versucht hätte, die Handelsbeziehungen ein für allemal festzulegen, da diese ihrem ganzen Wesen nach starken Veränderungen unterworfen sind. Keiner der beiden .Staaten hätte übrigens zu einem solchen Vorgehen Hand bieten können. Zum Ausgleich für das weitgehende Zugeständnis, das die Schweiz durch Annahme einer Abänderung der in den alten Verträgen enthaltenen Bestimmungen gemacht hat, wird die Schweiz in diesem Handelssystem in ausgesprochenem Masse begünstigt ; es ist für die Dauer von zehn Jahren abgeschlossen. Nach Ablauf dieser Frist .steht es jedem Staate frei, die Handelsklauseln des Abkommens zu kündigen; aber es ist vereinbart (Art. 84), dass Verhandlungen angeknüpft werden sollen, um an deren Stelle neue, vom selben Geiste getragene Bestimmungen zu setzen.

Besondere Massnahmen sind ergriffen worden, um die Wiederkehr von Schwierigkeiten, wie sie beiden Eegierungen aus der Zonenfrage erwachsen sind, zu verunmöglichen und
eine reibungslose Regelung aller Anstände sicherzustellen, zu denen die Ausführung dieses Abkommens Anlass geben könnte. Diese Massnahmen bestehen vor allem darin, dass das schiedsgerichtliche Verfahren vorgesehen wird, und bieten daher wertvolle Bürgschaften für die Zukunft.

Bundesblatt.

73. Jahrg. Bd. IV.

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B. Die Einzelheiten des Abkommens.

1. Das System des freundnachbarlichen Grenzverkehrs.

Um zu verhindern, dass die Verlegung des französischen Zollgürtels an die schweizerisch-französische Grenze die Beziehungen zwischen den schweizerischen und französischen Grenzgebieten beeinträchtige, mussten drei Bedingungen erfüllt werden: a. der f r a n z ö s i s c h e Zollgürtel war so schmiegsam zu machen, dass er kein grösseres Hindernis bildet als der schon bestehende schweizerische Zollgürtel; o b. die Grenze d u r f t e für den äusserst l e b h a f t e n Verkehr, den die geographischen Verhältnisse mit sich bringen, k e i n H e m m n i s bilden; c. die Lage Genfs war derart sicherzustellen, dass es der H a u p t m a r k t für die umliegende Gegend bleiben kann.

Das Abkommen sorgt dafür in folgender Weise: a. Die Zollverhältnisse.

Zwischen den Zollverwaltungen der beiden Länder ist ein ständiges Handinhandarbeiten hergestellt, in der Weise, dass sie sich gegenseitig alle Angaben zukommen lassen, die sie für die Ausübung ihres Dienstes nötig haben (Art. 81). Sie haben gemeinsam alle Massnahmen zu ergreifen, die zur Ausführung dieses Abkommens dienlich sind, und sich untereinander darüber zu verständigen, «dass die französischen und schweizerischen Zollposten so angeordnet und mit derartigen Befugnissen ausgestattet werden, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den anstossenden Gebieten, sowie der Personenverkehr gegenseitig erleichtert werden. Wenn immer die Umstände es erlauben, sollen diese Posten so nahe beieinander als möglich errichtet werden, damit die Eeisenden beim Grenzübertritt durch die von den Zollbeamten der beiden Länder vorzunehmenden, aufeinanderfolgenden Untersuchungen nur einmal gestört zu werden brauchen» (Art. 26).

Eine besondere Abmachung ist namentlich zur Erleichterung des täglichen Lokalverkehrs für die schweizerischen und französischen Einwohner von St. Gingolph vorgesehen.

Auch ist vereinbart worden, dass «an Stellen, wo eine Tramlinie oder ein anderes öffentliches Fahrzeug die Grenze überschreitet, die Zollabfertigung wenn immer möglich im Innern der Wagen vor sich gehen soll, ohne dass die Eeisenden zum Aussteigen genötigt werden» (Art. 27).

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Allgemein kann der Grenzübertritt zu jeder Stunde erfolgen (Art. 28). Besondere Massnahmen sind für die Erleichterung der Viehkontrolle getroffen worden (Art. 29).

Endlich darf man die besten Wirkungen erwarten von der im Artikel 32 festgesetzten Einrichtung einer schweizerisch-französischen Kommission, die beauftragt ist, «die in diesem Abkommen vorgesehenen Kontrollmassnahmen auszuarbeiten, die Schwierigkeiten, zu denen die Anwendung dieses Vertrages Anlass geben sollte, nach Möglichkeit aus dem Wege zu räumen und überhaupt alle Fragen zu regehi, über die die betreffenden Verwaltungen der beiden Staaten zu keiner Verständigung gelangt sein sollten». Diese Kommission, die aus je drei von den beiderseitigen Eegierungen ernannten schweizerischen und französischen Mitgliedern besteht, hat demnach die nötigen Befugnisse, um dem doppelten Zollgürtel die von den örtlichen Verhältnissen erheischte Geschmeidigkeit verleihen zu können.

b. Der Grenzverkehr.

1. Die Bewirtschaftung

der Grenzgüter.

A r t i k e l 18 ordnet an, dass den schweizerischen und französischen Grundeigentümern, Nutzniessern, Pächtern, ihren Familienangehörigen, sowie ihren Angestellten, Bevollmächtigten und Arbeitern im Hinblick auf ihre Bewegungsfreiheit alle Erleichterungen gewährt werden sollen, um ihnen die Bewirtschaftung ihrer in der Zone von 10 Kilometern diesseits und jenseits der Grenze zwischen dem Gebiet der ehemaligen Zone und dem Kanton Genf gelegenen Güter zu ermöglichen». Er bestimmt ausserdem, dass die Artikel l bis 6 der schweizerisch-französischen Übereinkunft vom 23. Februar 1882 über die grenznachbarlichen Verhältnisse und die Beaufsichtigung der Grenzwaldungen *) für diesen Teil der Grenze in Kraft bleiben, selbst *) Diese Artikel haben folgenden Wortlaut: Artikel 1. Um die Bewirtschaftung der an der Grenze liegenden Güter und Wälder zu erleichtern, werden von allen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchführgebühren befreit : Getreide in Garben oder in Ähren, Heu, Stroh und Grünfutter, die Roherzeugnisse der Wälder, Holz, Kohlen und Pottasche, sowie im fernem Dünger, Sämereien, Pflanzen, Stangen, Eebstecken, Tiere und Werkzeuge jeder Art, die zur Bewirtschaftung der innerhalb eines Umkreises von zehn Kilometern auf beiden Seiten der Grenze gelegenen Güter dienen, vorbehaltlich der in beiden Ländern zur Verhütung von Defraudationen bestehenden reglementarischen Kontrolle.

Artikel 2. In dem im vorhergehenden Artikel angegebenen Umkreise und unter den daselbst angeführten Garantien sind ebenfalls von allen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrgebühren befreit: Korn und Holz, welches von Bewohnern des einen der beiden Länder in eine auf dem Gebiete des andern gelegene Mühle oder Sägemühle geführt wird, sowie die daherigen Produkte Mehl und Bretter.

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wenn diese Übereinkunft gekündigt werden sollte. Die Übereinkunft von 1882, die während des Krieges erheblich durchlöchert worden ist, besteht nur noch durch stillschweigende Verlängerung, und es ist nicht gleichgültig, wenn den Grenzgrundbesitzern die Bestätigung und die dauernde Aufrechterhaltung der ihnen darin verliehenen wichtigen Vergünstigungen zugesichert wird.

Die Artikel 19 und 20 gewähren ihnen endlich neue Erleichterungen für die aus einem Lande ins andere erfolgende Einfuhr von Erzeugnissen der Bienenstände und der Alpen, Molkereien und Käsereien.

2. Verkehr.

Die Bevölkerung von Genf legt ganz besondern Wert darauf, sich auch weiterhin in den angrenzenden ländlichen Gegenden frei bewegen zu können. Artikel 22 erlaubt den aus der Schweiz kommenden Vergnügungsreisenden, Spaziergängern und Jägern, ihre Eeisevorräte und ihre Sportausrüstung samt Zubehör, die sie für ihren Ausflug mit sich führen, unter Befreiung von allen zollamtlichen Gebühren und Taxen ins Gebiet der Zonen einzuführen.

Die gleiche Begünstigung wird den Angehörigen beider Länder gewährt für die Gewinnung des Öls aus den auf ihren Gütern eingesammelten Sämereien, für das Bleichen der rohen Garne und Leinwand, welche aus den Erzeugnissen der von ihnen bebauten Grundstücke hergestellt werden, sowie für die Lohnspinnerei des im genannten Umkreise geernteten Flachses und Hanfes.

Artikel 3. Die Feld- oder Walderzeugnisse sind auf den öffentlichen Wegen zu transportieren, ohne einer weitern Entschädigung zu unterliegen, als wie sie die Landesgesetze den Ortsbewohnern auferlegen.

Die längs der Grenze hinlaufenden oder je nach der Bodenbeschaffenheit von einem Gebiet ins andere übergehenden Grenzwege dürfen in keinem Falle für die Zirkulation besagter Erzeugnisse gesperrt oder geschlossen werden.

Artikel 4. Bei enklavierten Waldungen oder andern Liegenschaften, welche von einem Nichtlandesangehörigen bewirtschaftet werden, soll in jedem der beiden Länder gegen Entschädigung eine Durchfahrt über die umliegenden Grundstücke geöffnet werden. Diese Entschädigung ist, wenn die Parteien sich nicht gütlich verständigen sollten, durch die Gerichte zu bestimmen.

Artikel 5. Die französischen Eigentümer oder Bebauer von Grundstücken in der Schweiz und umgekehrt die schweizerischen Eigentümer oder Bebauer von Grundstücken in Frankreich
gemessen in bezug auf die Bewirtschaftung ihrer Güter insgesamt die nämlichen Vorteile wie die Landesangehörigen des gleichen Ortes, unter der Bedingung, dass sie sich allen für die Landesangehörigen geltenden Verwaltungs- oder Polizeiverordnungen unterziehen.

Artikel 6. Durch die vorstehenden Bestimmungen soll keine der Übereinkünfte, welche zwischen den Grenzmunizipalitäten bestehen könnten, alteriert werden.

547 A r t i k e l 23 zufolge wird Zollfreiheit gleichfalls für Pferde, Lasttiere und Fahrzeuge aller Art zugestanden. Ein Passierschein ist nur erforderlich, wenn die Besitzer den Zollbeamten nicht bekannt sind. Für Automobile, Sidecars und Motorräder darf indessen die Vorlegung eines Zollausweises verlangt werden.

Tiere und Fahrzeuge unterstehen natürlich den in jedem Lande geltenden Vorschriften der Gesundheits- und Verkehrspolizei. Artikel 24 befreit jedoch die Besitzer von Fahrrädern, Motorrädern, Sidecars oder Automobilen, die in den Kantonen Genf, Waadt und Wallis wohnen, von der Verpflichtung, sich für den Verkehr im Gebiet der Zonen mit den in Frankreich vorgeschriebenen Ausweisen und Kontrolltafeln zu versehen, sofern sie mit den von der schweizerischen Gesetzgebung vorgeschriebenen Kontrolltafeln ausgerüstet sind. Sie müssen lediglich einen Passierschein lösen, für den Fahr- und Motorräder einzig die Stempelgebühr, Automobile und Sidecars ermässigte Taxen zu entrichten haben. Es war billig und vorteilhaft, den Bewohnern der ehemaligen Freizonen entsprechende Vergünstigungen einzuräumen.

3. Durchgangsverkehr.

A r t i k e l 15 sichert den Waren und dem Vieh, die von einem Ort zu einem andern desselben Landes unter Benutzung fremden Staatsgebietes befördert werden, Zoll- und Durchfuhrfreiheit zu.

Diese Bestimmung wird sicherlich für die Beförderung von Waren zwischen dem Kanton Genf und dem Kanton Wallis über das Südufer des Genfer Sees nutzbar gemacht werden.

c. Sicherung der Lage Genfs.

1. Ausfuhr.

Artikel 17 gibt den Bewohnern der ehemaligen Freizonen mit Einschluss der grossen Zone das Eecht, in Genf alle beliebigen Waren anzuschaffen, unter der Voraussetzung, dass diese in Frankreich weder einem Staatsmonopol noch einer innern Abgabe unterworfen sind, und sie unter den von der französischen Verwaltung zu regelnden Bedingungen zollfrei einzuführen. Dieses Keglement wird einen Höchstbetrag für die Einkäufe festsetzen, indem es als Grundlage eine ungefähre Zahl von 15 Franken auf das Jahr und den Kopf der Bevölkerung annimmt. Diese Bestimmung, die zeitlich unbegrenzt ist, kann für den Handel Genfs von grosser Bedeutung werden ; denn er behält in dieser Weise die Möglichkeit, jedes Jahr ausserhalb der Kontingente Waren im Werte von rund 15 Millionen Franken in die ehemaligen Zonen auszuführen.

548 A r t i k e l 5, Liste B zufolge können ausserdem Lebensrnittel, wie Eier, frische Butter, natürlicher Honig, frisches Ohst und Gemüse sowie Zuckerbäckerwaren im Marktverkehr im Umfang gewisser Höchstgewichte von den Verkäufern selbst zollfrei in die Zonen eingeführt werden. Die Einzelheiten dieser Vergünstigung, die den Bewohnern der Kantone Waadt und Wallis gleichfalls zugestanden wird, sind nur für eine Dauer von zehn Jahren festgesetzt ; aber der Grundsatz selbst dieses Artikels und die Zulässigkeit der Waren, für die er gilt, haben dauernden Charakter.

2. Versorgung.

Eine Bestimmung von Artikel 21 setzt fest, dass die französische Eegierung sich bemühen werde, «die Lebensmittelversorgung des Kantons Genf und des schweizerischen Gebietes der Gemeinde St. Gingolph und des Bezirkes Nyon sicherzustellen, indem sie zugunsten dieser Gebiete in die notwendigen und mit der Verpflichtung zur Sicherung der örtlichen Versorgung zu vereinbarenden Abweichungen von den allgemeinen Ausfuhrverboten einwilligt».

Mit der Einlösung dieses Versprechens ist schon begonnen worden dadurch, dass die französische Eegierung sich im gleichen Artikel verpflichtet, Kriegszeiten vorbehalten und unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, die Ausfuhrverbote, die für die Gesamtheit des französischen Staatsgebietes erlassen werden sollten, auf die Erzeugnisse derjenigen Landgüter nicht anzuwenden, die im Besitze von Genfer Einwohnern sind und in der Zone von 10 Kilometern liegen. Diese Bestimmungen gelten gleichfalls für die Einwohner des Bezirkes Nyon und der Gemeinde St. Gingolph und auf Grund der Gegenseitigkeit auch für die Zonenbewohner.

A r t i k e l 16 bestimmt überdies, dass diese Erzeugnisse bei der Ausfuhr aus dem Zonengebiete von allen Zollgebühren befreit sind, wenn sie in den Kanton Genf, den Bezirk Nyon und die Gemeinde St. Gingolph zur Versorgung der dortigen Bevölkerung gesandt und von Grundeigentümern oder für deren Eechnung von den Mietern und Pächtern befördert werden.

Die besonderen Bestimmungen, die von der Schweiz in den Listen B und C des Artikels l zugunsten des Marktverkehrs und des kleinen Grenzverkehrs eingeräumt worden sind, werden ebenfalls dazu beitragen, die Versorgung Genfs zu erleichtern.

2. Das besondere Handelssystem, a. Die Ausfuhr aus der Schweiz in die ehemaligen Freizonen.

Wenn das oben auseinandergesetzte System des freundnachbarJichen Grenzverkehrs den Bewohnern des Kantons Genf, der Gemeinde

549 St. Gingolph und des Bezirkes Nyon mindestens ebenso ausgedehnte Erleichterungen gewährt wie die alten Verträge, so verliert die Schweiz durch die Zustimmung zur Verlegung des französischen Zollgürtels an ihre Grenze doch das dauernde Eecht, in die Landschaft Gex und in die kleine sardische Zone ungehindert, zollfrei und in Mengen, die nur durch die Aufnahmefähigkeit dieser Gebiete beschränkt werden, alle Waren auszuführen, mit denen sie Handel treibt..

Die Preisgabe dieses Eechtes musste durch Verleihung eines gleichwertigen Zugeständnisses ausgeglichen werden. Nach Artikel 5 und 6 des Abkommens verpflichtet sich Frankreich demzufolge, die hauptsächlichsten Waren schweizerischen Ursprungs zollfrei zur Ausfuhr nach dem Gebiete der ehemaligen Zonen, mit Einschluss der grossen Zone, auf die die Schweiz bisher keine Eechte erworben hatte, zuzulassen. Die französischen Unterhändler legten indessen Wert darauf, diese Vergünstigung nur für diejenigen schweizerischen Waren zuzugestehen, die in den Kantonen Genf, Waadt und Wallis zum Versand gelangen.

.

.

Artikel 5 führt die Erzeugnisse schweizerischen Ursprungs an, die in unbeschränkter Menge zollfrei in die Zonen eingeführt werden dürfen. Es handelt sich um Eohstoffe, für die Frankreich selbst Ausfuhrland ist und die nicht geeignet erscheinen, mit der französischen Produktion ausserhalb des Zonengebiets in Wettbewerb zu treten.

Im Hinblick auf die besondern Handelsverhältnisse zwischen der Schweiz und den Zonen ist es immerhin von Wert, dass Erzeugnissse wie Dünger, Kalk, Nutzholz und Viehfutter in unbeschränkter Menge zollfrei in das Gebiet der ehemaligen Freizonen ausgeführt werden dürfen l).

Infolge der Aufhebung des innern französischen Zollgürtels mussten dagegen für die zollfreie Einfuhr der meisten verarbeiteten Erzeugnisse schweizerischen Ursprungs in die ehemaligen Zonen Kontingente festgesetzt werden. Es ist jedoch unbestreitbar, dass die daraus herrührenden Vergünstigungen viel grösser sind als diejenigen, die sich aus der Aufrechterhaltung der blossen kleinen Zonen würden ergeben haben. Bei der Aufstellung der in Artikel 6 aufgezählten Kontingente haben sich die Unterhändler von den mittlern Zahlen leiten lassen, die sich aus der Statistik über die Ausfuhr von schweizerischen Erzeugnissen nach den Freizonen Hochsavoyens und der
Landschaft Gex während der Vorkriegsjähre ergeben. Es war indessen nicht immer möglich, im Abkommen vom 7. August 1921 Kontingente von l ) Im Jahre 1913, dem letzten Jahre, das hinsichtlich des Güteraustausches zwischen der Schweiz und den Zonen normale Verhältnisse aufweist, führte die Schweiz 35,778 q Dünger, 56,432 q Gips und Kalkstein, 33,322 q rohes Bau- und Nutzholz und 79,354 q Futter und andere pflanzliche Produkte für das Vieh nach diesem Gebiete aus.

550 der Höhe dieser Ausfuhrzahleu zu erlangen; dabei muss freilich darauf hingewiesen werden,, dass in'diesen Zahlen auch die schweizerische Ausfuhr ausländischer Erzeugnisse nach den Zonen enthalten ist, während diese inskünftig verzollt werden müssen. Andererseits fehlt aber in der Statistik der Warentransport durch Wagen und Personen. Manche Kontigente werden deshalb dem bisherigen Verkehr kaum genügen. Vereinzelt hat auch Frankreich überhaupt kein Kontingent gegeben, wie z. B. für Mehl, weil der französische Müller im Gegensatz zum schweizerischen einen erheblichen Getreidezoll bezahlen muss und die zollfreie Konkurrenz der schweizerischen Müllerei nicht ertragen könnte. Die Gesamtheit der erhaltenen Kontingente ist aber doch sehr ansehnlich, und es darf deshalb erwartet werden, die schweizerische Produktion werde in den Zonen ein wichtiges Absatzgebiet behaupten. Der hauptsächlichste Nachteil des neuen Systems dürfte sich aus den Schwierigkeiten ergeben, die mit der Verteilung der Kontingente unter die Handeltreibenden der drei angrenzenden Kantone unlösbar verknüpft sind. Die nur allzu zahlreichen Erfahrungen, die während des Krieges auf diesem Gebiete gemacht worden sind, haben bewiesen, dass diese Schwierigkeiten tatsächlich bestehen, haben aber auch gezeigt, dass sie nicht unüberwindlich sind. Diese heikle Frage soll durch ein noch aufzustellendes Beglement gelöst werden.

Es mag hier darauf hingewiesen werden, dass, wenn auch die in Artikel 5 und 6 vorgesehenen, ausschliesslich für Erzeugnisse schweizerischen Ursprungs gewährten Vergünstigungen für die schweizerischen Industrien vorteilhaft sind, diese Bestimmung jedoch für die Handeltreibenden der drei angrenzenden Kantone ungünstig ist, da diese in den Zonen bisher nicht nur schweizerische Erzeugnisse, sondern auch Waren fremden Ursprungs verkauft haben. Dieser Nachteil wird für den Genfer Handel aufgewogen durch den Umstand, dass inskünftig der übrige Teil der Schweiz gezwungen ist, einen Vermittler in den Grenzkantonen zu bemühen, wenn von dort nach den Zonen zollfrei exportiert werden will. Die Bestimmungen des Artikels 17 über die Ankäufe für den Hausgebrauch ermöglichen ausserdem die Einfuhr von Produkten jeder Herkunft in die ehemaligen Zonen.

Wenn auch die neue Eegelung der Ausfuhr aus der Schweiz nach dem Gebiet der Zonen dem
schweizerischen Handel nicht ganz ebenso weitgehende Vergünstigungen bietet wie diejenigen, die er seit der Errichtung der grossen Zone genossen hat, so ist doch unbestreitbar, dass diese Veigünstigungen an wirtschaftlicher Bedeutung weit über eine Eegelung hinausgehen, wie sie die Aufrechterhaltung der kleinen Zonen mit ihrer sehr beschränkten Aufnahmefähigkeit würde gebildet haben.

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b. Die Einfuhr ans dem Gebiet der Zonen nach der Schweiz.

Um eine billige und gerechte Eegelung des Güteraustausches herzustellen, musste man bei der Festsetzung des Abkommens vom 7. August 1921 der Tatsache Eechnung tragen, dass Genf für das Gebiet der ehemaligen Zonen die Eolle des Marktmittelpunktes spielt, und man musste daher den Zonenbewohnern besondere Erleichte· rangen für die Einfuhr ihrer Erzeugnisse einräumen.

A r t i k e l l des Abkommens führt die Erzeugnisse auf, die aus den alten Freizonen in unbeschränkter Menge zollfrei in die Kantone Genf, Waadt und Wallis eingeführt werden dürfen. Es handelt sich ausschliesslich um Eohprodukte, die für die schweizerische Produktion keine ernstliche Konkurrenz bilden können. Ein grosser Teil davon war schon in Anwendung des schweizerischen Zolltarifs oder de» schweizerisch-französischen Abkommens von 1881 zollfrei.

A r t i k e l 2 gewährt im Eahmen von Kontingenten rund vierzig verschiedenen aus den Zonen stammenden Erzeugnissen zollfreie Einfuhr; diese Kontingente gelten für Waren, die der Versorgung Genfs dienen, sowie für Halbfabrikate, die von der schweizerischen Industrie verwendet werden, wie Boden-, Zeug- und Militärleder-, Häute, abgebundenes Bauholz, sowie Kunstdrechsler-, Steinhauer- und Steindrechslerarbeiten. Grössere Kontingente wurden zugunsten der Töpfereien von Ferney und Pougny und für das Mineralwasser von E vian vorgesehen. Gewisse schweizerische Produzenten, vornehmlich die Genfer Landwirte und die Waadtländer Weinbauern, hatten der Befürchtung Eaum gegeben, Erzeugnisse, die als angeblich aus den Zonen stammend eingeführt würden, könnten unter den gegenwärtigen günstigen Kursverhältnissen mit ihren eigenen Produkten in gefährlichen Wettbewerb treten. Die schweizerischen Unterhändler haben dieser Befürchtung möglichst Eücksicht getragen, und das Abkommen vom 7. August 1921 gewährt in dieser Hinsicht diesen sehr berechtigten Interessen wirksamen Schutz. Das Weinkontingent, das sich nach der Übereinkunft von 1881 auf 19,000 hl belief, wurde auf 12,000 hl herabgesetzt; ausserdem wurden mit Bezug auf die Ursprungskontrolle die strengsten Vorsichtsmassregeln ergriffen. Die Kontingente für die Vieheinfuhr zu Vorzugstarif, die durch den Bundesbeschluss vom 19. Juni 1908 festgesetzt worden waren, wurden eingeschränkt.

Im Eahmen
dieser Kontingente ist das aus den ehemaligen Zonen stammende Vieh lediglich von der Entrichtung von 50 °/0 der gegenwärtigen Zollgebühren befreit und untersteht demzufolge Einfuhrgebühren, die wesentlich höher sind als unter der alten Zonenordnung, während das schweizerische Vieh im Eahmen der Kontingente des Artikels 6 völlig zollfrei in das Zonengebiet ausgeführt werden

552

darf.. Die schweizerischen Unterhändler lehnten es ab, besondere Erleichterungen für die Grosseinf uhr gewisser Erzeugnisse, wie Butter und frischer Rahm, zuzugestehen ; diese Produkte dürfen daher, selbst im Marktverkehr, nur in kleinen Mengen zollfrei eingeführt werden.

Das Abkommen vom 7. August 1921 sichert auch sehr weitgehende Erleichterungen für die Einfahr einer grossen Anzahl landwirtschaftlicher Erzeugnisse in das ganze Gebiet der Zonen, mit Einschluss der grossen Zone, zu. Trotz dem starken Widerstande, auf den die schweizerischen Begehren gerade in den landwirtschaftlichen Positionen gestossen sind, darf gesagt werden, dass die landwirtschaftlichen Verhältnisse des schweizerischen Grenzgebietes weitgehende Berücksichtigung gefunden haben.

c. Verschiedene Bestimmungen.

Artikel 3 befreit eine bestimmte Anzahl von Häuten und Fellen schweizerischen Ursprungs, die zur Verarbeitung in die Gerbereien des Zonengebiets ausgeführt werden, vom Ausfuhrzoll.

Nach Artikel 4 dürfen Halbfabrikate der Uhren- und Bekleidungsindustrie in den Zonen fertiggestellt werden, vorausgesetzt, dass sie wieder in die Schweiz eingeführt werden. Gegenseitigkeit ist unter den gleichen Bedingungen zugestanden.

Besondere Erleichterungen sind für den Grenzübertritt der Arbeiter vorgesehen, die diesseits oder jenseits der Grenze ihrer Beschäftigung nachgehen.

3. Die Rechtsordnung auf dem Genfer See.

Die Ausübung eines Zolldienstes längs der in der Mitte des Genfer Sees verlaufenden schweizerisch-französischen Grenze verändert den Zustand der Dinge, der dem am 10. September 1902 in Paris unterzeichneten Übereinkommen zwischen der Schweiz und Frankreich, betreffend die Schiffahrtspolizei auf dem Genfer See, zugrunde liegt.

Dieses Übereinkommen musste infolgedessen unter Beachtung der neuen Erfordernisse durch eine gewisse Anzahl von Bestimmungen vervollständigt werden ; sie sind für die gleiche Dauer gültig wie das Übereinkommen, an das sie sich anschliessen. Diese Bestimmungen stehen in den Artikeln 11, 12, 13 und 14 des neuen Abkommens.

Artikel 11 des Abkommens ergänzt die Artikel 3, 27 und 67 des Übereinkommens von 1902 derart, dass die Zollverhältnisse für die französischen Gewässer auf der gleichen Grundlage geregelt werden, wie sie bisher in den schweizerischen Gewässern geordnet waren.

553 Das Abkommen vom 7. August 1921 war bestrebt, auf dem See hinsichtlich der Geschmeidigkeit der Kontrollmassnahmen ähnliche Grundsätze zur Geltung zu bringen wie beim Zollgürtel auf dem Lande.

Artikel 12 ordnet an, dass «beide Eegierungen sich verpflichten, die Erfüllung der Zollformalitäten zu erleichtern, indem sie wenn möglich die Zollabfertigung der Eeisenden und des von ihnen mitgeführten Gepäcks unterwegs an Bord der Schiffe vornehmen lassen, die zwischen der Schweiz und Frankreich auf dem Genfer See einen regelmässigen Personenverkehr vermitteln.

Falls unterwegs eine Übrtretung der Ausfuhrvorschriften festgestellt wird, so veranlasst der dabei in Betracht kommende Zolldienst die Hafenbehörden des Bestimmungslandes bei der Ankunft im ersten Ausschiffungshafen, die in Übereinstimmung mit der Gesetzgebung des Versandlandes beschlagnahmten Waren aufzubewahren. Die beschlagnahmten Waren werden bei der ersten Gelegenheit in das Land zurückgesandt, in dem sie verschifft worden sind.» Lustschiffe dürfen während der Tagesstunden an allen Stellen des Ufers landen, sofern sie keinerlei Waren befördern (Art. 11).

Wenn einerseits die Zollbeamten das Eecht haben, jedes Schiff während der Dauer seines Aufenthaltes in den Häfen ihres Landes zu untersuchen (Art. 13), so dürfen andererseits die.Kreuzfahrten der Wachtschiffe nicht in einer Entfernung von mehr als 600 Metern vom französischen oder schweizerischen Ufer ausgeführt werden und darf die Verfolgung in keinem Falle über die äusserste Grenze der Hoheitsgewässer hinausgehen (Art. 14).

4. Diplomatische Bestimmungen.

Der Umstand, dass an Stelle einer Eechtsordnung, die sich auf mehrere, über verschiedene Verträge verstreute Klauseln gründete, ein verwickeltes neues System mit Bestimmungen von unbegrenzter und beschränkter Dauer trat, liess es den beiden Eegierungen angezeigt erscheinen, gewisse Vorsichtsmassregeln zu ergreifen, um künftigen Missverständnissen vorzubeugen.

Der Eingang schildert einlässlich die Umstände, unter denen das Abkommen vom 7. August 1921 zustande gekommen ist, und weist ausdrücklich darauf hin, dass nur diejenigen Bestimmungen der alten Verträge, die auf die Freizonenordnung Bezug haben, abgeschafft sind.

Im übrigen bleiben diese Verträge, die für die Schweiz von grösster Wichtigkeit sind, da sie deren gegenwärtiges Gebietsstatut festsetzen, in Kraft.

554 A r t i k e l 33 zufolge «verpflichtet sich jeder der beiden vertragschliessenden Teile, die Bestimmungen dieses Abkommens dem andern gegenüber in keiner Weise einzuschränken, von vorübergehenden ausserordentlichen Vorkehrungen abgesehen, die sich aus einer für das gesamte schweizerische oder französische Staatsgebiet gültigen Massnahme ergeben und sei es aus gebieterischen Gründen der staatlichen Ordnung und Sicherheit, sei es infolge von Epidemien, Teuerung oder Kriegsereignissen, unerlässlich erscheinen». Selbst in diesen Fällen bleiben die in Artikel 21 zugunsten Genfs festgesetzten Sonderbestimmungen vorbehalten.

Anlässlich der Besprechung der übrigen Artikel des Abkommens wurden die in Artikel 34 zusammengefassten Bestimmungen schon gestreift, die sich auf die Dauer der verschiedenen Festsetzungen beziehen.

Durch A r t i k e l 35 endlich «kommen die Hohen vertragschliessenden Teile überein, dass auf Ersuchen des einen von ihnen der Ständige internationale Gerichtshof von Eechts wegen zuständig sein soll, jede Streitigkeit bezüglich der Auslegung und der Ausführung dieses Abkommens zu schlichten, die weder auf diplomatischem Wege noch durch die Verweisung an ein durch die beiden Parteien eigens gebildetes Schiedsgericht geregelt werden könnte. Der Ständige internationale Gerichtshof soll indes nur dann zuständig sein, wenn sein Statut von den beiden Teilen ratifiziert worden ist.

Wenn aus dem einen oder andern Grunde der Ständige internationale Gerichtshof nicht in der Lage sein sollte, ein Urteil zu fällen, so verpflichten sich die Hohen vertragschliessenden Teile, auf alle Fälle das im Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 über die friedliehe Beilegung internationaler Streitigkeiten vorgesehene schiedsgerichtliche Verfahren anzuwenden».

Der Bundesrat legt dieser Schiedsgerichtsklausel ganz besondere Wichtigkeit bei. Trotz der Sorgfalt, die von den Unterhändlern bei der liegelung des neuen Systems des freundnachbarlichen Grenzverkehrs und der Handelsbeziehungen zwischen den benachbarten Bevölkerungen aufgewendet worden ist, musste die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, dass über die Auslegung oder Ausführung des Abkommens eine Streitigkeit sich würde erheben können, die mit den gewöhnlichen Mitteln nicht zu schlichten wäre.

Manche Bestimmungen des Abkommens stellen ziemlich kühne
Neuerungen dar, die Anlass zu Meinungsverschiedenheiten geben können, und die schiedsgerichtliche Lösung musste nicht nur als statthaft, sondern als obligatorisch erklärt werden für den Fall, dass eine der beiden Parteien sie als zweckmässic; erachtet.

555

Bildet vielleicht der Ständige internationale Gerichtshof für die Mehrzahl der Streitigkeiten, die aus dem Abkommen vom 7. August 1921 sollten entstehen können, eine allzu erhabene Instanz und einen allzu schwerfälligen Apparat? Man wird indessen zugeben müssen, dass in der Praxis die Möglichkeit, eine gerichtliche Lösung vorzunehmen, genügen wird, damit die beiden Eegierungen die Bestimmungen eines schiedsgerichtlichen Verfahrens festlegen und sich über die Bildung eines weniger imposanten Gerichtshofes verständigen können. Diese Möglichkeit bildet für die Zukunft die beste Schutzwehr für die Eechte der Schweiz und die sicherste Bürgschaft dafür, dass das Abkommen vom 7. August 1921 zum Gedeihen der beteiligten schweizerischen und französischen Bevölkerung beitragen werde.

5. Das französische Zollamt in Cornavin.

Eine Zusatzbestimmung, die den A r t i k e l 36 bildet, bietet ein ergänzendes Zugeständnis zugunsten Genfs, das seit Jahren Erleichterungen für die Erfüllung der französischen Zollformalitäten fordert.

Dieser Artikel bestimmt, dass «die beiden Kegierungen sich über die Errichtung eines französischen Zolldienstes im Bahnhof Genf-Cornavin für die Abfertigung der Reisenden und ihrer persönlichen Gepäckstücke verständigen werden, die mit den zwischen Genf und der Grenze direkt verkehrenden Schnellzügen nach oder aus Frankreich befördert werden».

556

V.

Schlussfolgerungen.

Bietet das soeben untersuchte Abkommen der Schweiz Gegenwerte und Bürgschaften, die einen hinreichenden Grund bilden, um auf die berechtigte Forderung nach unbedingtem Eückzug der französischen Zollinie auf die in Artikel l des Pariser Vertrages vom 20. November 1815 und des Artikels 3 des Turiner Vertrages vom 16. März 1816 festgelegte Linie zu verzichten?

Wir stehen nicht an, diese Frage zu bejahen. Unser Urteil stützt sich auf folgende Überlegungen: 1. Kraft der Verträge war die Schweiz berechtigt, sich der Vornahme von Zollhandlungen in den kleinen Zonen zu widersetzen; aber ihr Eecht beschränkte sich hierauf. Namentlich konnte sie sich der Amtstätigkeit eines Verwaltungskordons nicht entgegenstellen, der an der französisch-schweizerischen Grenze den gesamten Verkehr kontrollieren und andere Taxen als Zollgebühren erheben würde. Die allzu einfache Formel der Verträge von 1815 und 1816 -- der letzte Krieg hat dies bewiesen -- genügte nicht, um die A u f rechterhaltung von bequemen Beziehungen zwischen den Grenzgebieten sicherzustellen. Der freundnachbarliche G r e n z v e r k e h r , wie er durch das Abkommen vom 7. August 1921 eingeführt wird, ist wirksamer und den heutigen Verhältnissen besser angepasst. Er erstreckt sich auf das ganze Gebiet der Zonen mit Einschluss der grossen Zone, auf die die Schweiz bisher keine Eechte hatte. Er gewährt in dauernder Weise den Einwohnern des Kantons Genf, der Gemeinde St. Gingolph und des Bezirks Nyon ausgedehntere Zusicherungen, als sie in dieser Hinsicht bisher besessen haben.

2. Indem die Schweiz der Errichtung des französischen Zollgürtels auf der schweizerisch-französischen Grenze zustimmt, verzichtet sie allerdings auf ihr Eecht, Waren aller Art zollfrei nach den kleinen Zonen auszuführen. Aber die wirtschaftliche Bedeutung dieses winzigen Gebietes ist nach Ansicht aller Sachverständigen äusserst gering. Der Verlust dieses Eechtes wird demnach in b i l l i g e r Weise ausgeglichen durch den Umstand, dass im Eahmen von Kontingenten die in Artikel 5 und 6 des A b k o m m e n s vom 7. August 1921 genannten Waren nach dem gesamten Gebiet der Zonen ausgeführt werden dürfen. Selbst wenn man zugibt, dass diese wirtschaftlichen Zugeständnisse möglicherweise durch die neue Handelsvereinbarung

557

eingeschränkt werden, zu deren Abschluss die Schweiz und Frankreich sich unter Umständen in zehn Jahren veranlasst sehen könnten, so darf das Handelssystem des jetzigen Abkommens doch als annehmbar gelten.

3. Die Vergünstigungen, die im neuen Abkommen den Einwohnern der angrenzenden französischen Gegenden eingeräumt werden, halten sich, so entgegenkommend sie auch sind, an die gleichen Grundsätze, die für die Einführung einer besondern Bechtsordnung zugunsten Genfs massgebend gewesen sind. Sie bilden übrigens für die schweizerische Produktion keinerlei Gefahr.

Die Grundlagen, auf denen sich die Umgestaltung der vor mehr als einem Jahrhundert zugunsten Genfs geschaffenen Zonenordnung aufbaut, dürfen demzufolge als billig und gerecht gelten, und keine Partei wird sich als benachteiligt betrachten. Die Neuregelung bewegt sich in der Kichtung der frühern Bestimmungen, und das Abkommen vom 7. August 1921 setzt nicht die Abschaffung des alten Zustandes fest, sondern bildet in Wirklichkeit eine Neuerung der Bestimmungen der Verträge von 1815 und 1816 bezüglich der Freizonen.

Solange die französische Kegierung an die Umgestaltung der Zonenordnung wie an eine Frage, die unter Übergehung der schweizerischen Hechte geregelt werden sollte, heranzutreten schien, musste der Bundesrat alles daran setzen, um Genf seine alten Vorrechte zu wahren. Sobald die Verhandlungen den Abschluss einer Kombination erhoffen Hessen, die auf dauerhafte Weise Genf gleichwertige Vergünstigungen sicherte und überdies für Frankreich die Befreiung von einer Verpflichtung bedeutete, die ihm zu drückend vorkam, hatte der Bundesrat keine Veranlassung mehr, zum vornherein einen Ausgleich auszuschlagen. Es würde den Grundsätzen einer weitsichtigen Politik widersprochen haben, wenn er es abgelehnt hätte, in voller Unabhängigkeit die Vorschläge zu prüfen, die die französische Regierung in diesem Sinne zu machen wünschte.

Der Gang der schwierigen Verhandlungen, die erst in ihrem letzten Stadium einen Ausblick auf eine befriedigende, nun gelungene Lösung zuliessen, musste bis in die Einzelheiten hinein auseinandergesetzt werden. Die Schilderung unter Kapitel III dieser Botschaft wird die Bundesversammlung instand setzen, sich davon Eechenschaft abzulegen, dass das Abkommen vom 7. August 1921 das Ziel erreicht, das wir unablässig gesucht
haben: eine Vereinbarung, die in möglichst weitem Masse die jahrhundertealten Vorrechte Genfs wahrt und gleichzeitig dem Begehren Frankreichs Kechnung trägt, den herkömmlichen Zustand der Dinge den heutigen Verhältnissen wiederum anzupassen.

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Diese Schilderung wird Ihnen auch klarmachen, was einen Teil der öffentlichen Meinung zu der Annahme bewegen hat, der Bundesrat habe unter dem Druck der Verhältnisse den Standpunkt preisgegeben, auf den er sich seit Anfang des Jahres 1919 gestellt und den er nochmals in seiner Note vom 19. April 1921 zusammengefasst hatte; der mühsame Gang der Verhandlungen, die erfolglosen Versuche von .

1920, die in der Abrede vom 5. Mai 1919 vorgesehene Verständigung zu erreichen -- eine Abrede, durch die die Einfügung einer Bestimmung, betreffend die Freizonen Hochsavoyens und der Landschaft Gex, in den Versailler Vertrag ermöglicht worden ist --, und mehr noch vielleicht die französische Beweisführung, die die Eechte der Schweiz auf das Gebiet der Zonen in Frage stellte, dies alles hat die öffentliche Meinung stark beunruhigt, so dass zum Schlüsse die Ansicht Platz griff, dass in der Zonenfrage nur zwei Lösungen möglich seien : die einfache Bestätigung oder aber die kompensationslose Abschaffung der Vorrechte, die Genf durch die Verträge von 1815 und 1816 verheben worden sind. Wir glauben zur Genüge gezeigt zu haben, dass ein Mittelweg gefunden worden ist und dass die alten Eechte der Schweiz an Eechte ausgetauscht worden sind, die in ihrer Gesamtheit mit den alten Vorrechten gleichwertig sind und die, unabhängig von den anlässlich dieser Neuerung erlangten wirtschaftlichen Vergünstigungen, dauernd in Kraft bleiben werden.

Es wäre um so natürlicher, dass der herkömmliche, wohlbewährte Zustand der Dinge in den Genfer Kreisen, die der Vergangenheit am meisten zugetan sind, nur mit Bedauern aufgegeben würde, als -- wie wir gesehen haben -- es heute fast unmöglich ist, den Vorteil der in den alten Verträgen erworbenen Eechte von den Vergünstigungen, die Genf während der letzten sechzig Jahre von der grossen Zone und von günstigen politischen Umständen geboten worden sind, deutlich zu unterscheiden. Wenn wir der Ansicht sind, das Abkommen vom 7. August 1921 sichere der Schweiz ebenso ausgedehnte Eechte wie die Verträge von 1815 und 1816, so dürfen wir uns natürlich nicht verhehlen, dass es nicht ebenso grosse Vergünstigungen in sich schliesst, ·wie sie sich aus den selbständigen Entscheidungen der französischen Eegierung ergeben haben. Es lag jedoch ni chi in der Macht der Schweiz, Frankreich ohne die Gewährung
von Gegenleistungen zur Aufrecht«rhaltung von Bestimmungen zu zwingen, deren Widerruflichkeit immer anerkannt worden ist.

Zur Zeit, wo der Gegensatz in den Auffassungen der beiden Begierungen den Glauben erwecken konnte, die Verhandlungen würden von den beiden Parteien nicht mehr auf dem Fusse der Gleichberechtigung fortgesetzt werden können, galt einem Teil der schweizerischen

559 öffentlichen Meinung der Gedanke, die Lösung der Zonenfrage an ein Schiedsgericht oder an eine Vermittlungskommission zu überweisen, als ein sicheres Mittel, eine Streitigkeit auszugleichen, die die guten Beziehungen zwischen der Schweiz und Frankreich zu trüben drohte.

Dieser Gedanke stimmte derart mit den Überlieferungen unseres Landes überein und entsprach auch den neuen Bestrebungen so sehr, dass er sich manchen in solchem Grade aufdrängte, bis er nicht mehr als ein blosses Mittel, sondern sozusagen als ein Endzweck angesehen wurde. Es schien besonders wünschenswert, an der Schwelle der neuen Zeit zwei durch sehr alte Bande der Freundschaft miteinander verknüpfte Staaten zum Schiedsverfahren ihre Zuflucht nehmen zu sehen, um eine Streitigkeit zu schlichten, wie sie zwischen Nachbarn entstehen kann, und einzelne Leute haben vielleicht bedauert, dass eine Lösung auf der Grundlage eines Vergleichs das Schiedsverfahren überflüssig gemacht hat. Als eine Verständigung im Wege von freundschaftlichen Verhandlungen nicht erreichbar schien, schlug der Bundesrat ohne Zögern vor, ' die Bechtsfrage, die damals die schweizerische und die französische Eegierung trennte, Schiedsrichtern zu unterbreiten. Er würde die Möglichkeit, die Streitigkeit durch ein schiedsgerichtliches Verfahren entscheiden zu lassen, ohne Bedenken aufgenommen haben, vorausgesetzt, dass dieses Verfahren die nötigen Bürgschaften geboten hätte. Wir durften uns indessen nicht verhehlen, dass beim heutigen Stand des Völkerrechts und angesichts des Umstandes, dass zwischen der Schweiz und Frankreich kein Schiedsgerichtsvertrag besteht, lange und kitzlige Verhandlungen nötig gewesen wären, bevor ein frei gebildetes Gericht das Studium der eigentlichen Streitfrage hätte in Angriff nehmen können, und wir können uns heute nur dazu beglückwünschen, dass es unter stillschweigender Anerkennung der schweizerischen Rechte möglich gewesen ist, die Zonenfrage gütlich ·zu regeln.

Man könnte meinen, der Bundesrat desavouiere durch seine Zustimmung zum Abkommen vom 7. August 1921 diejenigen Unterhändler stillschweigend, die sich mit äusserster Zähigkeit für die Aufrechterhaltung der herkömmlichen Zonenordnung eingesetzt haben.

Nach dem Vorstehenden braucht nicht wiederholt zu werden, dass dem nicht so war, dass vielmehr die zwischen der Schweiz
und Frankreich erzielte Verständigung die Krönung der Anstrengungen bedeutet, die jene bei der Verteidigung der Vorrechte Genfs entfaltet haben.

Die patriotische Tatkraft und das hohe Mass von Sachkenntnis, mit denen sie unter den schwierigsten Verhältnissen die Anhänglichkeit Genfs an seine jahrhundertealten Eechte verkündeten, trugen sicherlich dazu bei, in der französischen Eegierung die Überzeugung zu festigen, dass diese Eechte nicht missachtet werden dürfen. Als dies Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. IV.

39

560 einmal erreicht war, lag es neuen Unterhändlern ob, zur Neuerung der Rechte, deren Anerkennung von ihren Vorgängern erlangt worden war, überzugehen. Für die eine wie die andere dieser Aufgaben war eine unbedingte Hingabe an das Gemeinwohl und die gleiche technische Geschicklichkeit erforderlich; die eine wie die andere Aufgabe sind zu gutem Ende geführt worden, und das Abkommen vom 7. August 1921 bildet eine annehmbare Umgestaltung eines Zustandes, der nicht über jede Kritik erhaben war, und eine billige Neuerung der alten Eechte.

Wir glauben demnach der Bundesversammlung Zustimmung zu dem am 7. August 1921 in Paris unterzeichneten Abkommen zwischen der Schweiz und Prankreich zur Regelung der Handelsbeziehungen und des freundnachbarlichen Grenzverkehrs zwischen den ehemaligen Freizonen Hochsavoyens sowie der Landschaft Gex und den angrenzenden schweizerischen Kantonen empfehlen zu können, und wir beantragen Annahme des nachstehenden Bundesbeschlussentwurfs.

Bern, den 10. Oktober 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

561 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Ratifikation des am 7. August 1921 in Paris unterzeichneten Abkommens zwischen der Schweiz und Frankreich zur Regelung der Handelsbeziehungen und des freundnachbarlichen Grenzverkehrs zwischen den ehemaligen Freizonen Hochsavoyens sowie der Landschaft Gex und den angrenzenden schweizerischen Kantonen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft nach Kenntnisnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 10. Oktober 1921 beschliesst: Das am 7. August 1921 in Paris unterzeichnete Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich zur Eegelung der Handelsbeziehungen und des freundnachbarlichen Grenzverkehrs zwischen den ehemaligen Freizonen Hochsavoyens sowie der Landschaft Gex und den angrenzenden schweizerischen Kantonen wird genehmigt.

Dieses Abkommen unterliegt den Bestimmungen des Artikels 89, Absatz 8, der Bundesverfassung, betreffend die Annahme der internationalen Verträge durch das Volk.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das am 7. August 1921 in Paris unterzeichnete Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich zur Regelung der Handelsbeziehungen und des freundnachbarlichen Grenzverkehrs zwischen den ehema...

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