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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Dr. H. Schwendener, Rechtsanwalt in Zürich, namens des Werner Risch, in Zürich, gegen den Entscheid des Bundesrates vom 9. August 1921 betreffend Verweigerung der Wiedereinreise an Magdalena Mazurek.

(.Vom 30. September 1921.)

Wir beehren uns, Ihnen unter Vorlage der Akten über nachfolgende Beschwerde Bericht und Antrag zu stellen.

I.

Der deutschen Staatsangehörigen Magdalena Mazurek wurde am 20. Juli 1920 die Einreise zwecks Stellenantritt als Verkäuferin bei der Firma Schmidt & Risch, Automobilhandlung in Zürich, durch dio eidgenössische Zentralstelle für Fremdenpolizei bewilligt.

Sie reiste am 5. August gleichen Jahres mit Visum der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin für vier Monate in die Schweiz ein.

Nach Antrag des Kantons Zürich hat die eidgenössische Zentralstelle für Fremdenpolizei am 16. Februar 1921 das Gesuch der Vorgenannten, es möchte ihr eine Aufenthaltsverlängerung bewilligt werden, abgewiesen und ihr zugleich eine Ausreisefrist bis 15. März 1921 angesetzt. Ein von W. Risch, dem Arbeitgeber, gegen diesen Entscheid beim eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement am 8.März 1921 angehobener R e k u r s wurde von diesem arn 21. März gestützt auf die Lage des Arbeitsmarktes abgewiesen, ebenso ein nach der Abreise der Mazurek, am 6. J u n i 1921, von demselben eingereichtes W i e d e r e r w ä g u n g s g e s u c h . Ein gegen diesen letztern Entscheid von Dr. Schwendener eingereichtes z w e i t e s W i e d e r e r w ä g u n g s g e s u c h vom 11. J u n i 1921 führte am 6. Juli zu einer Be

425 stätigung der Abweisung durch das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement. Diese letzte Abweisung veranlasste Dr.

Schwendener zu seiner B e s c h w e r d e vom 7. g l e i c h e n Mon a t s an den B u n d e s r a t , in der er im wesentlichen folgendes ausführte: Der Entscheid des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 6. Juli, durch welchen das Gesuch der Mazurek um Bewilligung der Wiedereinreise in die Schweiz abgewiesen wurde, verstosse gegen klares Recht, sei formell und materiell willkürlich und füge einem Schweizerbürger grossen Schaden zu. Der Entscheid gehe willkürlich von der vom Beschwerdeführer vielfach berichtigten falschen Voraussetzung aus, dass es sich um die Interessen einer Ausländerin handle und dass anderseits das Arbeitsamt etwas dazu zu sagen habe. Beides sei falsch. Es handle sich nicht darum, der Frl. Mazurek Arbeit und Verdienst /-u verschaffen oder eine schweizerische Bureautochter zu verdrängen, sondern darum, dem Herrn Risch sein Gewerbe nicht zu schädigen und zu zerstören, resp. ihn in der Ausübung seines Gewerbes nicht zu hindern. Es sei ganz richtig, dass Herr Risch sich weigere, an Stelle der Frl. Mazurek eine beliebige vom Arbeitsamt hergesetzte Bureautochter zu beschäftigen. Herr Risch beschäftige sonst ausschliesslich Schweizer, zirka 15 Personen.

Risch wünsche eben die von ihm angelernte spezielle Vertrauensperson wieder in sein Geschäft. Solange ihm dies verweigert werde, bleibe sein Geschäft behindert und geschädigt. Der Entscheid sei auch formell anfechtbar, weil er die Gründe des in dieser Sache gar nicht in Betracht kommenden Arbeitsamtes des langen und breiten, die Gründe des Herrn Risch dagegen überhaupt nicht würdige.

In seiner Sitzung vom 9. August 1921 beschloss der Bundesrat auf diese Beschwerde wegen Inkompetenz nicht einzutreten.

Hierauf zog Dr. Schwendener diesen Entscheid des Bundesrates mit der eingangs erwähnten E i n g a b e vom 12. August 1921 an die B u n d e s v e r s a m m l u n g weiter.

Er stellte, folgende A n t r ä g e : 1. Erteilung der telegraphischen Einreiseerlaubnis an Magd.

Mazurek auf Grund von O.-G. 193 durch den Bundesrat (pro'v.

Verfügung); 2. Aufhebung des Entscheides des Bundesrates vom 9. August 1921; 3. Erteilung der definitiven Einreise- bzw. Aufenthaltsbewilligung an die Vertrauensangestellte des Herrn Risch, Magd. Mazurek.

426 Zur Begründung derselben führte er aus: 1. Die in der Beschwerde an den Bundesrat enthaltenen Gründe werden bestätigt.

2. Die Entscheidung des Bundesrates verstösst gegen Verfassung und Gesetz O.-G. 189 etc. Insbesondere ist auch die Bestimmung des Art. 33 der bundesrätlichen Verordnung vom 17. November 1919, wonach die Entscheidung des Justiz- und Polizeidepartements nicht auf dem Beschwerdeweg angefochten werden könne, verfassungs- und gesetzwidrig (O.-G. 189 etc.).

3. Eventuell: Es liegt überhaupt nicht ein Entscheid des Justiz- und Polizeidepartements vor. Die Entscheidung ist nicht vom Justiz- und Polizeidepartement (Vorsteher) gefällt und gezeichnet und daher nichtig.

Was den unter Ziffer 1 der Beschwerde enthaltenen Antrag anbelangt, es möge der Bundesrat der Magdalena Mazurek die telegraphische Einreisebewilligung im Sinne einer provisorischen Verfügung gemäss Art. 193 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege erteilen, so hat derselbe in seiner Sitzung vom 19. August 1921 beschlossen, diesen Antrag auf Ergreifung einer vorsorglichen Massnahme abzulehnen. Hierbei liess sich der Bundesrat von folgenden Erwägungen leiten, die er in einem Schreiben an Dr. Schwendener vom 19. August auseinandersetzte : ,,Es stellt sich demnach die Frage, ob der Bundesrat im Sinne von Art. 193 des Organisationsgesetzes eine provisorische Verfügung zu erlassen habe. Hierzu liegt kein Anlass vor. Der Magdalena Mazurek ist die Einreise verweigert worden. Hiergegen besehwert sich Herr Werner Risch. Ihr nun durch provisorische Verfügung die Einreisebewilligung zu erteilen, wäre widersinnig. Die provisorische Verfügung soll ihrem Wesen nach dafür sorgen, dass nicht der endgültige Entscheid rechtlich oder tatsächlich präjudiziert, dass der status quo erhalten werde.

Es kann sich dabei immer nur darum handeln, der entscheidenden Instanz die Freiheit des Entscheides bzw. die tatsächliche Ausführbarkeit jedes Entscheides zu sichern. Würde nun der Bundesrat dem heutigen Antrage stattgeben, so würde er dem Entscheide der Bundesversammlung offenbar vorgreifen, indem er das bewilligen würde, was zu bewilligen erst Gegenstand dieses letztern Entscheides sein kann. Hieran wäre nur dann vielleicht zu denken, wenn ernstliche Aussicht auf Erfolg des Rekurses bei der Bundesversammlung bestünde, was jedoch keineswegs der Fall ist. Aus diesen Gründen hat der Bundesrat be-

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schlössen: Ihr Antrag, auf Grund von Art. 193 O.-G. durch vorsorgliche Verfügung die Einreise der Magdalena Mazurek zu bewilligen, wird abgelehnt."

Schon am 23. A u g u s t richtete Dr. Schwendener neuerdings eine E i n g a b e an den B u n d e s r a t , in der er das dringende Gesuch um Eiteilung der Einreisebewilligung an Frl.

Mazurek stellte. Der Bundesrat beschloss in seiner Sitzung vom 26. August 1921, auch dieses Gesuch abzulehnen.

IIIn r e c h t l i c h e r B e z i e h u n g ist zu der an die Bundesversammlung gerichteten Beschwerde vom 12. August folgendes zu bemerken : a. Gemäss Art. 33 der Verordnung des Bundesrates über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919 steht den Beteiligten gegen die von den zuständigen Organen nach Massgabe dieser Verordnung getroffenen Verfügungen der Rekurs an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement zu, welches e n d g ü l t i g entscheidet. Die vom Departement letztmals am 6. Juli 1921 auf Grund dieser Kompetenznorm getroffene Verfügung, durch welche der Magdalena Mazurek die nachgesuchte Wiedereinreise in die Schweiz verweigert wurde, ist also l e t z t i n s t a n z lich und kann n i c h t beim Bundesrat auf dem Beschwerdeweg angefochten werden, um so weniger noch bei der Bundesversammlung.

Die Frage, ob gegen einen Departementsentscheid, der in Anwendung der zitierten Verordnung gefällt wurde, die Beschwerde an den Bundesrat zulässig sei, wurde von diesem wiederholt verneint. (Vgl. Rekursfälle Geitz, Arnold, Weiermann und ferner auch Bericht des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements über seine Geschäftsführung im Jahre 1919, Bundesbl. 1920, II, 6 L und 80.)

Was die Behauptung des Rekurrenten anbelangt, dass die Bestimmung des Art. 33 der bundesrätlichen Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919, wonach die Entscheidung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements nicht auf dem Beschwerdeweg angefochten werden könne, verfassungs- und gesetzeswidrig sei, so ist darauf hinzuweisen, dass die erwähnte Verordnung auf dem Bundesbeschluss vom 3. April 1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates beruht, den die Bundesversammlung in Ausübung der ihr verfassungsmässig zustehenden Befugnisse fasste.

Bundesblatt. 73. Jahrg.

Bd. IV.

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428 Durch den erwähnten Bundesbeschluss bleibt der Bundesrat ermächtigt, ausnahmsweise Massnahmen zu troffen, die zur Sicherheit oder zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Landes unumgänglich notwendig sind. Von den auf Grund dieser Vollmacht erlassenen Verordnungen ist der Bundesversammlung in ihrer nächsten Tagung tnit einlässlichem Bericht Kenntnis zu geben, und sie entscheidet darüber, ob dieselben weiter in Kraft zu bleiben haben.

Sofern demnach die erwähnten Voraussetzungen zutreffen, kann der Bundesrat über jede Materie legiferieren, ohne an die bestehenden Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen gebunden zu sein.

Als der Bundesrat am 17. November 1919 die Verordnung über die Kontrolle der Ausländer erliess, stützte er sich auf den Bundesbeschluss vom 3. April 1919 in der Erkenntnis, dass Massnahmen zum Schütze vor der drohenden Überfremdungsgefahr für die Schweiz sowohl zur Sicherheit des Landes als auch zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen unverzüglich notwendig seien. Er handelte hierbei im Sinne der ihm von der Bundesversammlung erteilten Befugnisse, die letztere kraft der Verfassung übertragen konnte. (Art. 85, Ziff. 6, der Bundesverfassung.)

Der Rekurrent ruft den Art. 189 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege an und behauptet, der Bundesrat bzw. die Bundesversammlung seien verpflichtet, auf seine Beschwerde, die einen staatsrechtlichen Rekurs darstelle, einzutreten.

Da sich die Beschwerde des Rekurrenten nicht gegen eine letztinstanzlicho kantonale Verfügung richtet, sondern gegen eine solche eidgenössischer Amtsstellen (Eidgenössische Zentralstelle für Fremdenpolizei, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement) fehlen die Voraussetzungen für einen staatsrechtlichen Rekurs im Sinne des zitierten Artikels.

Jedoch auch dann, wenn im vorliegenden Falle eine Verfügung der letztinstanzlichen kantonalen Behörde vorläge, und somit die Möglichkeit des staatsrechtlichen Rekurses an den Bundesrat gemäss Art. 189, letztes Alinea, 190 und 178 O.-G. gegeben wäre, gingen gemäss den obigen Ausführungen über das Notverordnungsrecht die auf dem Bundesbeschluss vom 3. April 1919 beruhenden Bestimmungen der Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919 vor. Es hätte somit bei dem Entscheid des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements

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sein Bewenden. Das gleiche wäre der Fall, wenn der Rekurrent seine Eingabe als verwaltungsrechtliche Beschwerde, über die übrigens der Bundesrat endgültig zu entscheiden hätte, aufgefasst wissen wollte.

b. Mit Bezug auf das Eventualbegehren des Dr. Schwendener, es liege überhaupt nicht ein Entscheid des eidgenössischen Justizund Polizeidepartements vor, da die Entscheidung nicht vom Vorsteher desselben gefällt und gezeichnet und daher nichtig sei, ist folgendes festzustellen : In seiner Sitzung vom 30. Januar 1920 hat der Bundesrat u. a. beschlossen, das nach Art. 7, 19 und 33 der Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919 dem eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement zustehende endgültige Entscheidungsrecht bis auf weiteres der Ausübung nach an den Chef der Polizeiabteilung dieses Departements zu delegieren.

Es ist nicht einzusehen, wieso dieser Beschluss des Bundesrates anfechtbar und warum die durch den Chef der Polizeiabteilung im Auftrage des Departementschefs unterschriebenen Entscheide als nichtig anzusehen wären. Diese Entscheide werden von jeher durch die Polizeiabteilung bearbeitet. Zu diesem Zwecke sind deren Chef die sogenannte Zivilrekursabteilung, früher auch die Militärrekursabteilung unterstellt worden. Sie ergehen in steter Fühlungnahme mit dem Chef des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, dem der einzelne Fall vorgelegt oder mit welchem die in Betracht kommenden Grundsätze und Richtlinien für bestimmte Arten von Fällen festgelegt werden.

Der Entscheid bleibt somit ein Entscheid des Justiz- und Polizeidepartements, auch wenn er die Unterschrift des Abteilungschefs an Stelle derjenigen des Departementschefs trägt. Es ist denn auch der Departementschef, welcher die Verantwortung für den Entscheid trägt.

Ebenso wie es dem Departementschef freisteht, im einzelnen Fall einem Abteilungschef Auftrag zu erteilen, ein Schriftstück an seiner Stelle zu unterschreiben, ebenso muss eine generelle Beauftragung, eine bestimmte Gattung von Geschäften zu unterschreiben, als zulässig erscheinen. Im konkreten Falle ist dieser Auftrag aber nicht etwa bloss vom Departementschef, sondern vom Gesamtbundesrate in seinem Beschlüsse vom 30. Januar 1920 ausgesprochen worden.

Somit erscheint der Einwand des Rekurrenten auch in diesem Punkte als unbegründet.

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Mit Rücksicht auf die dargelegte Sachlage stellen wir Ihnen den A n t r a g , es sei auf die am 12. August 1921 beim Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung durch Dr. H. Schwendener, Rechtsanwalt in Zürich, namens und im Auftrage des Werner Risch in Zürich eingereichte Beschwerde gegeu den Entscheid des Bundesrates vom 9. August 1921 betreffend Verweigerung der Wiedereinreise an Magdalena Mazurek wegen Inkompetenz nicht einzutreten.

B e r n , den 30. September 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Dr. H.

Schwendener, Rechtsanwalt in Zürich, namens des Werner Risch, in Zürich, gegen den Entscheid des Bundesrates vom 9. August 1921 betreffend Verweigerung der Wiedereinreise...

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05.10.1921

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