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Schweizerisches Bundesblatt.

VIII. Jahrg. II.

Nr. ..-5.

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22. Mai 1856.

Bericht

des schweizerischen Bundesgerichtes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im .Jahr 1855.

(Vom 3. April 1856.)

Tit.

Unser Geschäftsbericht, welchen wir für das Jahr 1855 zu erstatten uns hiemit die Ehre geben, bietet kein reichhaltiges Material. Es beschränkte sich unsere Thätigkeit im abgewichenen Jahre fast ausschließlich auf die Ausübung des Richteramtes in streitigen Rechtsverhältnissen. ZI..

diesem Behufe wurden von uns 21 Sitzungen gehalten, und zwar 14 in zwei Abtheilungen zu Bern, 7 in Luzexn. Die Zahl der von uns hiebei abgewandelten Processe betrug 27; 18 derselben waren ExpropriationsStreitigkeiten, und zwar betrafen hievon 10 die Eentralbahn, 6 die Nord-

ostbahn, 1 die Südostbahn,- 1 die St. Gallisch..Appenzellische Eisenbahn.

.Jn 5 der erledigten Streitigkeiten wurde der Recurs sofort theilweise als begründet erklärt, in 6 wurde derselbe sofort abgewiesen und in 7 Fällen wurde auf eine neue Untersuchung erkennt. Es ist uämlich zum bessern Verständnisse dieser Resultate unserer Urtheilsfällung zu bemerken, daß wir, wo wichtige Verhältnisse in Frage liegen, jederzeit die Ausnahme einer neuen Expertise unter Leitung einer bundesgerichtlichen Abordnung veranstalten, sosern es den Reeurrenten gelingt, die Erheblichkeit ihrer .Beschwerdeführung gegenüber dem Schatzungsbefunde darzuthun. Jn geringfügigern Prozessen, die nach dem Werthe des Objektes einen kostspieligen .Untersuch nicht ertragen, ward dagegen hie und da von uns aus die Schalung gesteigert, wenn die Partheiverhandlungen dafür einen zuver-

läßigen Anhaltspunkt darboten. --.. Von denjenigen Fällen, in welchen

wir einen nochmaligen Untersuch angeordnet hatten, gelangten fünf nicht mehr zum Endentscheid vor unser Forum, sondern wurden eompxomissorisch abgethan, in den übrigen zwei Proeessen uxtheilten wir im Sinne der zweiten Expertise.

Bnndesblatt. Jahrg. vIII. B.... II.

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Streitigkeiten u.^er Heimatlosigkeit waren 6 zu behandeln, und l^...bei die Kantone Bern, Luzern, Freiburg, Basellandschaft, Aargau, Waadt und Wal.lis , von diesen einige in verschiedenen Proeessen betheiligt. -- Schon wiederholt trat der Fall ein, daß Regierungen unfern Entscheid anriefen, wo bei Jndividueu .richt im eigentlichen Sinne des Wortes Heimathlofigkeit waltete, sondern der Streit darin bestand, ob ein besessenes Heimathrecht nicht verloren gegangen, und an dessen Stelle .^iu anderes erworben worden sei, z. B. bei unehlichen Kindern durch die nachfolgende Verehlichung der Eltern. Wir entschieden hiebei die aufgeworfene Frage unserer Kompetenz jederzeit im bejahenden Sinne. Die gleichen Gründe, welche da, wo es sich um^Einbürgernng von wirklichen Heimathlosen handelt, es wünschbar machen, daß ein durchaus unbeteiligtes Gericht angerufen werden könne, sprechen dafür, daß, wenn zwei Kantone ^darüber in Streit gerathen, ob eine Person das eine oder andere Bürgerrecht befitze, nicht die Gerichte des einen der implizierten Kantone unter den streitenden Regierungen entscheiden, sondern daß auch hier die Mög.lichkeit einer durchaus unparteiischen Rechtspflege gesichert sei. -- Dadurch allein kann vermieden werden, daß nicht Rechtssprüche und AdministrativVerfügungen der Behörden eines Kantons mit denjenigen eines andern iu sehneidenden Widerspruch treten, und für Lösung solcher Eonfliete ein Ausweg gesucht werden muß. -- Jnsofern übrigens die Kompetenz des .Bundesgerichtes begründeter Anfechtung unterliegt, so eröffnen immerhin

die Art. 92 bis 95 des Proeeß^.Gesetzes jeder Parthei die Möglichkeit, hiefiix den endgültigen Entscheid der Bundesversammlung nachzusuchen.

Streitigkeiten über Vermögensrechte gelangten nur d r e i zur Beurtheilung au unser Gericht, hievon einer von Gesetzeswegen, indem die Verwaltung dex Messageries générales von Frankreich gegen den Bundesrath eine Ersatzklage anhob, welche als unbegründet abgewiesen ward. -- Jn den Beiden andern Fällen wurde unser Tribunal als prorogiexter Gerichtsstand angerufen, nämlich .^n dex Stadt L u z e r n gegen den dortigen Kanton,

.betreffend streitige Baupflicht, und von der Stadt Stein gegen die Re-

gierung des Kantons Schaffhausen, betreffend Herausgabe eines Pfrundsatzes. -- Jn beiden Fällen unterlagen die klagenden Städte mit ihren Rechtsansprüchen gegen die Regierungen.

Jndem wir es als angemessen erachten, in unserm Rechenschafts.Berichte die Fehler , welche wir an den bestehenden Proeeßgesetzen wahruehmen, zur Sprache zu bringen, damit bei einer . allfälligen Revision die gemachten Erfahrungen benutzt werden können : müssen wir die Zweckmäßigkeit des Axt. 178 des bürgerlichen Proeeß^Gesetzes in Anfechtung ziehen.

Derselbe verpachtet die Partheien, ... Beschwerden und Gesuche, welche auf Ergänzung oder Berichtigung des Vorverfahrens abzielen, bei der SchlußVerhandlung vor a.lem aus zu erörtern, und es muß nach Anhörung beider Partheien durch motiviertes Urtheil hierüber entschieden werden.^ Die Vollziehung dieser Gesetzesbestimmung bringt nun den Richter in die unangenehme Notwendigkeit, daß er vor der Hauptverhandlung in Gegenwart

der Paxtheien seine .Ansichten in Betreff des Rechtsstreites selbst zu erExtern hat , sei es , um darzuthun , daß nach dex Artenlage ein weitere^ Beweisverf^hre.^ als überflüssig erscheine, oder um bemerkbar zu machen, auf welche Thatsachen dex Schwerpunkt dex Entscheidung gelegt werden muß. - Ein m o t i v i e r t e s Vorurtheil insbesondere wird zur Unmöglichkeit, wenn hiedurch dem Hauptu^theil nicht vorgegriffen werden darf. Nach deu Ansichten des Gerichts follte hiemit die Beschwerdeführung über ein unvollständiges oder ungenügendes Vorverfahren jederzeit mit der HauptverHandlung verbunden werden, und die Beobachtung der Eventual^Maxime würde auch hier ihxex wohlthätigen Einwixkung auf den Rathschlag nichts verfehlen.

Jm Gebiete des Strafrechts waren nur z^vei der Abtheilungen unserer Behörde, nämlich das Eassations-Gericht und die Anklagekammer, veranlaßt, zu funktionieren. .-- Das Eassations^Gericht erledigte eine Beschwerde, hetreffend einen Ausspruch des eorreetionellen Gerichtshofs von G e u f iu eiuex Zoll-Eontraventions^Sache. Der Rekurs des schweizerischen Zoll-Departements ward abgewieseu, immerhin bestätigte sich aber dabei die früher gemachte Ueberzeugung, daß das Eassations-Versahren, wie es organisiert ist,.

nichts weniger als dafür sich eignet, dem materiellen Stxaf-Rechte zur Förderung zu dienen. Die Anklagekammer hatte sich mit den aus Veranlassung der Nationalraths^Wahlen im Kanton T essi n statt gefundenen Ruhestörungen und den hierüber aufgenommenen Pxoeeduxen zu befassen, und es überwies dieselbe die Fälle, betreffend die in Giubiaseo und Agno gewalteten ....^onfliete, außerordentlicher Weise an die Eriminal-Kammer des 4. Bezirks ^ bekannter Maaßen wurden jedoch im Wege der von Jhnen ertheilten Amnestie .die sämmtlichen Tesstn'fcheu Prozeduren wegen der Wahlstörungen niedergeschlagen.

Jndem wir hiemit unfern Bericht schließen, versichern wir Sie unserer vollkommenen Hochachtung und Ergebenheit. ..

Zürich, den 3. April 1856.

Der Präsident des B und e sgexichts.

.^astmir ^fl^er, D. .I. l.l.

Der Bundesgerichtsschreiber^

^l^rdt.

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Bericht des schweizerischen Bundesgerichtes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1855. (Vom 3. April 1856.)

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