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Bundesblatt 109. Jahrgang

Bern, den 4. Juli 1957

Band II

Erscheint wöchentlich. Preis 3O Franken im Jahr, 16 Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr 50 Happen die Petitzeile oder deren Kaum. -- Inserate franko an Stämpflie & Cie. in Bern

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung eines zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik abgeschlossenen Abkommens über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Spöl (Vom 28. Juni 1957) Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des am 27.Mai 1957 zwischen der Schweiz und Italien abgeschlossenen Abkommens über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Spöl zu unterbreiten.

I. Vorgeschichte 1. Die Ausgangslage

Die Idee, Wasserkräfte im Einzugsgebiet des Spöl nutzbar zu machen, ist so alt wie der im Jahre 1908 in die Bundesverfassung aufgenommene Artikel 24bis welcher, ohne prinzipiell die Gewässerhoheit der Kantone anzu- tasten, die Nutzbarmachung der Wasserkräfte der Oberaufsicht des Bundes unterstellt hat.

Einem Projekt für ein kleines Werk im Val Cluozza, linksseitig des Spöl, aus dem Jahre 1908 folgte 1914, im Bahnten der amtlichen Veröffentlichung über «Die Wasserkräfte der Schweiz», ein genereller Ausbauplan mit zwei Werken am Spöl, einem oberhegenden internationalen mit einem Stausee von 15 Mio m3 Inhalt im Val Mora und einem unterliegenden nationalen mit Zentrale in Zernez.

In diese Zeit fällt auch.die Errichtung des schweizerischen Nationalparkes im Unterengadin durch Bundesbeschluss vom 3. April 1914 und Genehmigung des Dienstbarkeitsvertrages mit der Gemeinde Zernez.

Bundesblatt. 109. Jahrg. Bd. II.

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Dann kam am I.März 1919 der Bündner Ingenieur Adolf von Salis als Gesellschafter des damaligen « Konsortiums für die Verwertung der Wasserkräfte Engadin-Bergell» mit einem Projekt für ein Spöl-Inn-Kraftwerk mit einer Akkumulieranlage Praspöl im Spöltal bis nahe an die schweizerisch-italienische Landesgrenze bei Punt dal Gali. Hierauf wurde im Bericht des Bundesrates über seine Geschäftsführung im Jahre 1919 hingewiesen (vgl. BEI 1920, S.797/798).

Nach dem damaligen Stand des Ausbaues -der Wasserkräfte wäre dieses Werk das zweitgrösste der Schweiz geworden. In den zwanziger Jahren wurden weitere Nutzungsmöglichkeiten im Einzugsgebiet des Spöl studiert.

In jenen Jahren entstand im Kreise des Schweizerischen Bundes für Naturschutz wegen der Frage einer Wasserkraftnutzung im Park eine gewisse Beunruhigung. Vermutlich gab dies im Jahre 1926 Herrn Nationalrat Gelpke Anlass, eine «Kleine Anfrage»,an den Bundesrat zu richten, auf die wir in dieser Botschaft noch zurückkommen werden.

Der obere, vor seinem Übertritt auf Schweizergebiet im italienischen Livignotal liegende Flusslauf des Spöl und sein rechtsseitiger Hauptzufluss aus dem Val del Gallo sind erst in den vierziger Jahren in die Aufstellung des nun ausgereiften Projektes eines internationalen Spölkraftwerkes einbezogen worden.

Im Jahre 1943 hatte ein neues Studienkonsortium, das «Konsortium für Engadiner Kraftwerksprojekte», «KEK» genannt, im Eahmen eines Gesamtplanes für den Ausbau der Engadiner Wasserkräfte die Errichtung von vier Kraftwerken projektiert : - ein schweizerisch-italienisches Werk, mit einer Zentrale bei Zernez, die Nutzung der Strecke des Spöl von Sta. Maria di Livigno bis Zernez umfassend, mit einem grossen 190 Mio m3 Wasser aufnehmenden Stausee Livigno; - ein kantonales Innwerk, die Strecke des Inn von'Madulain bis Zernez nutzend; - ein weiteres kantonales Innwerk, zur Nutzung der Strecke des Inn von Zernez bis Tarasp; und - ein schweizerisch-österreichisches Innwerk, die Nutzung des Inn von Scuol/ Schuls bis in die Nähe von Finstermünz unterhalb Martina umfassend, mit einem 438 Mio m3 Wasser aufnehmenden Staubecken im Unterengadin.

Bei diesem Ausbauplan handelte es sich um ein Maximalprogramm im Sinne einer rationellen Nutzbarmachung der verfügbaren Wasserkräfte.

Die Projekte für die beiden kantonalen Innwerke reichte das
KEK bei den nach kantonalem Becht verfügungsberechtigten Gemeinden am 81. März 1943 ein. Am 15. Juli desselben Jahres folgte beim Bundesrat die Einreichung der Projekte und Konzessionsgesuche für die beiden internationalen Speicherwerke.

Der Bundesrat hat die Kompetenz zur Konzessionserteilung für die beiden Grenzkraftwerke von Anfang an für sich in Anspruch genommen. Die Erteilung der Konzessionen für die beiden kantonalen Innwerke war dagegen Sache der verfügungsberechtigten Territorialgemeinden mit Genehmigung der kantonalen Eegierung. Diese Kompetenzabgrenzung war durch Artikel 24bis, Absatz 4, der Bundesverfassung und die Artikel 7 und 38, Absätze l und 2, des Bundesgesetzes

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vom 22.Dezember 1916 über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte (BWEG) gegeben; sie hat zu keinem Kompetenzkonflikt zwischen Bund und Kanton geführt.

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Die Konzessionsgesuche und Projekte für die beiden Grenzkraftwerke konnten während des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht näher behandelt werden. Alsbald stiess das Projekt für das schweizerisch-österreichische Grenzkraftwerk, wegen des geplanten grossen Stausees im Unterengadin, auf eine ähnliche Opposition der Talbewohner wie zu derselben Zeit der Stausee Splügen im Rheinwald, so dass es in der Folge vom KEK endgültig fallengelassen wurde. Dessen Bestrebungen konzentrierten sich von da an auf .das Grenzkraftwerk Livigno-Zernez und die beiden kantonalen Innwerke. Für das erstere, das sogenannte «Internationale Spölkraftwerk», legte das KEK im Jahre 1947 den Bundesbehörden ein bereinigtes Projekt vor und reichte gemeinsam mit der «Azienda elettrica municipale di Milano» (AEM), dem Elektrizitätswerk der Stadt Mailand, nunmehr auch in Italien ein entsprechendes Konzessionsgesuch ein. Danach sollte die Wasserkraft des Spöl ohne jegliche Wasserableitung nach anderen Flussgebieten nutzbar gemacht werden.

Der Kanton Graubünden und die beteiligten Engadiner Gemeinden traten von Anfang an für, die Verwirklichung des internationalen Spölkraftwerkes und der beiden nationalen Innkraftwerke ein. Wiederholt ersuchte der Kanton den Bundesrat, auch im Namen der Engadiner Gemeinden, ohne Verzug mit Italien Verhandlungen über eine gemeinsame Ausnützung der Wasserkräfte des Spöl aufzunehmen. Anderseits wurde von den Nationalpark-, Natur- und Heimatschutzkreisen in immer schärferen Formen dieses Vorhaben bekämpft.

2. 'Die weitere Entwicklung . .

Entsprechend dem Beschluss des Bundesrates vom 20.Februar 1948 wurde Italien die Aufnahme von Verhandlungen vorgeschlagen mit dem Ziel, die Wasserkräfte des Spöl gemeinsam in dem damals geplanten internationalen Spölkraftwerk nutzbar zu machen. Bei der ersten Zusammenkunft der Verhandlungsdelegationen zeigte sich, dass den italienischen Behörden seitens der Società Mpntecatini, Mailand, ein Konkurrenzprojekt eingereicht worden war, welches eine Ausnutzung des Speicherbeckens Livigno Richtung Münstertal und Etsch vorsah, wo Kraftwerke dieser Gesellschaft bereits im Betrieb oder im Bau waren.

Die Idee einer
Ableitung von Wasser nach italienischen Flussgebieten gewann in der Folge in Italien immer mehr an Boden. Zugunsten des Ableitungsprojektes schien auf italienischer Seite auch das Moment zu sprechen, dass in diesem Fall keine Bauten in den Nationalpark zu liegen kämen; so dass die Schwierigkeiten, die sich dem von der Schweiz angestrebten internationalen Spölkraftwerk entgegenstellten,, leichter überwunden werden könnten. Ein weiteres Projekt der Società Montecatini erfasste über das Flussgebiet des Spöl hinaus auch dasjenige des Inn und sah vor, rund 625 Mio m3 Wasser, d.h. rund l/3 der jährlichenWasserführung des Inn bei Martina, nach dem Etschgebiet abzuleiten. Reduzierte Vari-

anten mit einer Wasserableitung von 400 bzw. 850 Mio m3 Wasser wurden seitens der italienischen Verhandlungsdelegation nachdrücklich unterstützt. Diesbewog das Elektrizitätswerk der Stadt Mailand, auch seinerseits Ableitungsprojekte aufzustellen, wobei das Wasser statt dem Plussgebiet des Etsch demjenigen der Adda zugeleitet werden sollte, wo die Stadt Mailand ebenfalls bereits Werke in Betrieb, im Bau oder projektiert hatte. In den weiteren Verhandlungen war Italien vom Grundgedanken der Wasserableitung nicht mehr abzubringen.

In der Schweiz gingen die Projektstudien weiter. Es bildete sich das «Konsortium Innkraftwerke» (KIK), dem auch die Società Montecatini angehörte.

Der bekannte Konkurrenzkampf zwischen KIK und KEK begann und mit ihm das Werben um die Gunst der Engadiner Gemeinden. Für den Bau und Betrieb der von jeder Gruppe geplanten Werke wurde vom KIK die «Innkraftwerke AG» mit Sitz in Scuol/Schuls und vom KEK die «Engadiner Kraftwerke AG» mit Sitz in Zernez gegründet. Nach langen Auseinandersetzungen kam es schliesslich im Jahre 1954 doch zum Zusammenschluss der schweizerischen Interessenten und zu einer Verständigung über ein künftiges gemeinsames Vorgehen. Frei von Konkurrenzgedanken wurden neue umfassende Studien im Hinblick auf die Aufstellung eines Gesamtausbauplanes für die Wasserkraftnutzung von Inn und Seitenbächen in die Wege geleitet. Diese Studien führten im Juli 1955 zu einem ersten konkreten Ergebnis: das Projekt der Engadiner Kraftwerke AG für den kantonalen Ausbau des Inn und seiner Seitenbäche.

Anlässlich der Beantwortung der Interpellation Dietschi-Solothurn betreffend Spölwerk/Nationalpark in der Sitzung des Nationalrates vom 30. September 1955 haben wir u.a. erklärt, dass der Plan für den kantonalen Ausbau von Inn und Seitenbächen der zweckmässigen Nutzbarmachung der Wasserkräfte dieser Gewässer entspricht, die vorgesehene Stauung des Spöl im Parkgebiet ohne Berührung der schweizerisch/italienischen Landesgrenze auf die Idee von Ing. A. von Salis zurückgeht, dass diese Idee ihren Ausdruck in dessen Projekt vom Jahre 1919 und dieses seinen Niederschlag in einem Nachtrag von 1920 zum Dienstbarkeitsvertrag zwischen der Eidgenossenschaft und der Gemeinde Zernez von 1913/14 betreffend den Nationalpark gefunden hat. Wir haben ferner über den damaligen Stand der Verhandlungen
mit Italien Auskunft gegeben und darauf hingewiesen, dass dieselben sich nunmehr auf die Bedingungen konzentrieren, unter welchen das Speicherbecken Livigno als Ergänzung des kantonalen Ausbaus von Inn und Seitenbächen nutzbar gemacht werden könnte. Unsere damalige Antwort ist im Wortlaut in das Stenographische Bulletin aufgenommen worden (vgl. a.a.O. Herbstsession 1955, S.425 ff.). Wir können daher davon absehen, hier auf Einzelheiten zurückzukommen.

Zusammenfassend stellte die bundesrätliche Antwort fest, dass das Spölproblem heute einen nationalen und einen internationalen Aspekt aufweise. Der nationale Aspekt sei durch die Nutzbarmachung von Gewässerstrecken gegeben, welche ausschliesslich unter der schweizerischen Hoheit stehen.-Der internationale Aspekt betreffe dagegen das Speicherwerk Livigno mit der von Zernez nach Punt dal Gali hinauf verlegten Zentrale einerseits und die Ableitung eines Teils

des oberen italienischen Einzugsgebietes- des Spöl nach dem Flussgebiet der Adda anderseits. Es wurde betont, dass der Bundesrat nach wie vor gewillt sei, den Interessen des Nationalparkes zu dienen und diese zu verteidigen, entsprechend dem Bundesbeschluss von 1914 und den Verträgen, welche mit den Gemeinden als Grundeigentümern sowie mit der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft und dem Schweizerischen Bund für Naturschutz abgeschlossen worden sind. Unter Hinweis darauf, dass frühere Meinungsverschiedenheiten betreffend den Nationalpark immer auf gütlichem Wege erledigt werden konnten und dass die 15 Engadiner Gemeinden spontan ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit zum Ausdruck gebracht haben, wurde einer für die Zukunft des Nationalparkes unerlässlichen Verständigungslösung das Wort gesprochen.

u. Die heutigen Ausbaupläne 1. Wer will Wasserrechtskonzessionen erwerben?

Auf schweizerischer Seite tritt als Konzessionsbewerber eine einzige juristische Person auf unter der Firma: «Engadiner Kraftwerke AG» (Ouvras Eletricas d'Engiadina S.A.) (Officine Elettriche dell'Engadina S.A.) mit Sitz in Zernez.

Statutarischer Zweck der Gesellschaft ist: «Bau und Betrieb von Kraftwerken zur Nutzbarmachung der Wasserkräfte des Engadins und benachbarter Einzugsgebiete, namentlich des Inn und Spöl. Die Gesellschaft kann auch Anlagen der Energieübertragung und -Verteilung sowie andere Kraftwerke errichten oder sich in irgendeiner andern Weise an deren Betrieb interessieren, Energie kaufen und verkaufen.und sich an Gesellschaften mit ähnlichem Zweck beteiligen.» An der Engadiner Kraftwerke AG (E KW) sind ausschliesslich Personen des schweizerischen Eechts beteiligt. Die Aktionäre sind: die Motor-Columbus, Aktiengesellschaft für elektrische Unternehmungen, Baden, der Schweizerische Bankverein, Basel, die Schweizerische Kreditanstalt, Zürich, die Elektro-Watt, Elektrische und Industrielle Unternehmungen AG, Zürich, und die Schweizerische Elektrizitäts- und Verkehrsgesellschaft (Suiselectra), Basel.

Auf italienischer Seite will eine Unternehmung des öffentlichen Eechts, Konzessionen erwerben: die «Azienda elettrica municipale ài Milano» (AEM). Es handelt sich dabei um das kommunale Unternehmen, welches sämtliche öffentlichen Dienste der Stadt Mailand (Verkehrsbetriebe, Wasserversorgung, öffentliche Beleuchtung,
kommunale Verwaltung) sowie rund 300 000 private Abonnenten mit elektrischer Energie versorgt.

Die AEM hat ihr erstes Wasserkraft-Elektrizitätswerk im Jahre 1910 an der Adda ini Veltlin in Betrieb genommen. Seither hat sie die Wasserkräfte dieses Gebietes und die Übertragungsleitungen nach der lombardischen Hauptstadt immer weiter ausgebaut. Ihre letzte Eealisation ist die im vergangenen Jahre abgeschlossene erste Phase des neuen Kraftwerkes Premadio bei Bormio mit dem Stausee von Cancano II im Oberlauf der Adda, nahe dem oberen Einzugsgebiet des Spöl.

Die beiden Konzessionsbewerber haben bei der Aufstellung der heutigen Ausbaupläne aufeinander Rücksicht genommen. Für den Ausbau des internationalen Speicherwerkes Livigno interessiert sich allein die EKW, während die AEM sich allein um die Ableitung von Wasser aus dem oberen italienischen Einzugsgebiet des Spöl nach dem Nutzungssystem der Adda bewirbt. Damit ist eine klare Trennung der schweizerischen und italienischen Interessensphären erreicht.

2. Was sieht der Gesamtausbauplan vor?

Der heutige Gesamtausbauplan umfasst drei Gruppen von Projekten bzw.

Kraftwerken. Diese sind in der beigeschlossenen technischen Beschreibung und dem zugehörigen Übersichtsplan dargestellt (vgl. Beilage l, Ziffern 1-4, 6 und Abbildung 1). Wir können uns daher hier auf folgende Hinweise beschränken.

a. Die Projekte der EKW für den kantonalen Ausbau von Inn und Seitenbächen.

Es sind vier Kraftwerke vorgesehen, nämlich - das Werk S-chanf mit dem Stausee Chamuera; - das Werk Pradella mit dem Stausee Praspöl (Obere Innstufe) ; - das Werk Martina (Untere Innstufe) ; - das Werk Tasna an der linken Talseite bei Ardez.

Von besonderem Interesse ist in unserem Zusammenhange die «Obere Innstufe» mit dem Stausee Praspöl. Diese Werkeinheit stellt die nach modernen Gesichtspunkten neu bearbeitete Idee des Projektes von Ing. A.von Salis vom I.März 1919 dar, auf welche wir am Anfang dieser Botschaft hingewiesen haben.

Wie beim damaligen Projekt würde der Stausee im Spöltal zur Hauptsache im Nationalpark liegen, entsprechend einem vertraglichen Zugeständnis der Eidgenossenschaft vom Jahre 1920 gegenüber der Gemeinde Kernez (vgl. unten S. 18).

Die «Obere Innstufe» ist technisch und wirtschaftlich für sich allein ausführbar. Die EKW hat sich konzessionsmässig verpflichtet, diese zu bauen, selbst wenn der öberliegende internationale Ausbau Livigno-Punt dal Gali nicht kommen sollte. Die gleiche Verpflichtung hat sie auch für die «Untere Innstufe» mit der Zentrale bei Martina übernommen. Entsprechend dem bundesgesetzlichen Erfordernis der zweckmässigen Nutzbarmachung der Wasserkräfte (Art. 5, Abs. 3, E WEG) sind sowohl die Obere als die Untere Innstufe so angelegt und dimensioniert, dass diese auch die Wassermengen aufnehmen können, die aus dem Speicherwerk S-chanf und aus dem internationalen Speicherwerk Livigno zufliessen. Die
Ausbaugrösse ist aber an sich schon weitgehend durch die Grosse der natürlichen mittleren Wasserführung von Inn und Spöl bedingt. Mitbestimmend sind dabei auch die zur Deckung des Spitzenbedarfs an elektrischer Energie erforderlichen Kraftwerksleistungen.

Demgegenüber stellen die Werke S-chanf und Tasna weitere Etappen des kantonalen Ausbaues von Inn und Seitenbächen dar. Die EKW werden diese innert bestimmten, in den Konzessionen festgesetzten Fristen nach der Inbetriebsetzung der beiden Innstufen zu bauen beginnen.

b. Das Projekt für den internationalen Ausbau des Spöl ist durch den grossen Stausee Livigno mit einem Nutzinhalt von 180 Mio m3 Wasser charakterisiert.

Der internationale Aspekt dieses Werkes ist dadurch gegeben, dass in ein,und derselben Werkeinheit Gewässerstrecken nutzbar gemacht werden sollen, die zugleich unter der Hoheit der Schweiz und Italiens stehen. Es handelt sich bei diesen Gewässerstrecken um den Spöl und seinen rechtsseitigen Zufluss, die Ova dal Gali, von den beiden Stausee-Enden im Livignotal bzw. Val del Gallo bis,zur Wasserrückgabe in den unterliegenden Stausee Praspöl. Die Internationalität besteht auch darin, dass der Stauraum zur Hauptsache auf italienischem Gebiet, die Staumauer rittlings auf der Landesgrenze und die Zentrale auf Schweizergebiet bei Punt dal Gali liegen. Diese drei Hauptobjekte befinden sich, wenn auch in unmittelbarer Nähe, so doch ausserhalb des Nationalparkes.

Von den aus Italien natürlich zufliessenden Wassermengen des Spöl kommen für die Nutzung im Livignowerk diejenigen in Abzug, die nach dem Projekt für den italienischen Ausbau nach dem Flussgebiet der Adda abgeleitet werden sollen (vgl. lit. c hiernach). Soweit die dadurch verminderte natürliche Wasserführung des Spöl zur Füllung des Stausees Livigno nicht mehr ausreicht, soll die fehlende Wassermenge vom unterliegenden Stausee Praspöl her hinaufgepumpt werden.

Im Gegensatz zur kantonalen «Oberen Innstufe» mit dem Stausee Praspöl ist das Livignowerk wegen der hohen Staumauerkosten, aber auch wegen des geringen Gefalles für sich allein nicht ausführbar. Es ist heute wirtschaftlich nur dann realisierbar, wenn, wie z.B. im Falle des Stausees Valle di Lei, sich unterliegende kantonale Werke (Stufen) anschliessen, d.h. ina vorliegenden' Falle, wenn die «Obere Innstufe» mit ihrer Zentrale in Pradella Nutzen aus dem Speicherwerk Livigno zieht. Diese Voraussetzung ist dadurch erfüllt, dass die BKW das Werk Pradella bauen und betreiben will. Der Nutzen wird darin liegen, dass in diesem Werk wie auch im unterliegenden Werk Martina, ein erheblicher Teil Sommerenergie in hochwertigere Winterenergie umgewandelt werden wird, was im allgemeinen Interesse der Versorgung des Landes mit elektrischer Energie auch erwünscht ist.

c. Italien bietet zum Bau des Speicherwerkes Livigno indessen nur dann Hand, wenn die
Schweiz dem Projekt für den italienischen Ausbau des Spöl zustimmt. Dieser Ausbau bildet einen Teil des Gesamtausbauplanes der AEM für die Erschliessung der noch verfügbaren Wasserkräfte des benachbarten Flussgebietes der Adda. Der im vergangenen Jahr abgeschlossenen ersten Bauphase des Kraftwerkes Premadio soll nun eine zweite folgen, welche darin besteht, die neue Staumauer und den Nutzinhalt des im obersten Gebiet der Adda, östlich des Livignotales, gelegenen Stausees Gancano II zu erhöhen. Dazu gehört die Erstellung eines Systems von Überleitungen vom Gebiet dés sogenannten «alto Spöl» her. Auf diese Weise würden dem Spölgebiet durchschnittlich 97 Mio m3 Wasser im Jahr entzogen und, zusammen mit Wasser aus dem Flussgebiet der Adda, in der neuen, für eine entsprechende Erweiterung bereits hergerichteten Zentrale von Premadio genutzt. '

Der Entzug dieser Wassermenge würde sich nicht nur bis zum Übertritt des Spöl auf Schweizer Gebiet bei Punt dal Gali, sondern über die Einmündung des Spöl in den Inn bei Zernez hinaus erheblich auswirken, um dann allmählich bis Martina hinunter an Bedeutung zu verlieren. Ein Einfluss solchen Ausmasses könnte nicht ohne eine Kompensation seitens Italiens hingenommen werden.

In diesem Sinne ist Italien heute bereit, den Stauraum von Livigno ganz zugunsten der Schweiz nutzen zu lassen. Unter dieser Voraussetzung und unter Einrechnung der staatsvertraglich festgelegten korrelativen Eechte und Pflichten der Schweiz und Italiens erscheint eine Ableitung im vorgesehenen Ausmass noch als tragbar.

3. Wer ist zur Konzessionserteilung zuständig?

Wir haben in der vorangegangenen Ziffer gesehen, dass im Rahmen des Gesamtausbauplanes der projektierten Kraftwerke eine klare Ausscheidung von drei Gruppen von Werkeinheiten gegeben ist. Diesem Tatbestand entspricht . eine eindeutige Abgrenzung der Kompetenz zur Erteilung der erforderlichen Wasserrechtskonzessionen.

a. Beim kantonalen Ausbau von Inn und Seitenbächen, wo Strecken öffentlicher Gewässer in Anspruch genommen werden, welche ausschliesslich der schweizerischen Hoheit unterstehen, richtet sich die Kompetenz nach Artikel 2 und 38 E WEG. Danach bestimmt das kantonale Eecht, welchem Gemeinwesen (Kanton, Bezirk, Gemeinde oder Körperschaft) die Verfügung über die Wasserkraft der öffentlichen Gewässer zusteht (Art. 2, Abs. 1). «Die Verleihung von Wasserrechten steht der zuständigen Behörde desjenigen Kantons zu, in dessen Gebiet die in Anspruch genommene Gewässerstrecke liegt.» (Art. 38, Abs. 1). Nach dem Gesetz betreffend die Benutzung der öffentlichen Gewässer des Kantons Graubünden zur Errichtung von Wasserwerken vom 18. März 1906 sind die Territorialgemeinden zuständig (Art. 4, Abs. 1). Die Konzessionen bedürfen aber zu ihrer Gültigkeit der kleinrätlichen Genehmigung (Art. 4, Abs. 3), was mit Artikel 4 EWEG in Einklang steht. Unerlässliche Voraussetzung dieser Genehmigung ist, dass das Projekt für den kantonalen Ausbau in seiner generellen Anlage der zweckmässigen Nutzbarmachung der Wasserkräfte im Sinne des Artikel 5, Absatz 3, EWEG entspricht. Die amtliche Prüfung dieses Projektes hat ergeben, dass diese Voraussetzung erfüllt ist.

Demgemäss sind im
vorliegenden Falle fünfzehn Territorialgemeinden von La Punt-Chamues-ch bis Tschlin bei Martina zur Erteilung der Konzessionen, und der Kleine Bat des Kantons Graubünden zur Genehmigung der letzteren zuständig. Elf Gemeinden haben bereits die ihr Territorium betreffenden Konzessionen erteilt, darunter Zernez, dem die Schlüsselposition am Spöl zukommt.

Das kantonale Genehmigungsverfahren ist bereits eingeleitet und wird zu den gesetzlich vorgeschriebenen öffentlichen Auflage- und Einspracheverfahren führen.

b. Im Falle des internationalen Ausbaues in der Gestalt des Speicherwerkes Livigno mit dem gleichnamigen Stausee und der Zentrale bei Punt dal Gali steht

es schweizerischerseits dagegen dem Bundesrate zu, nach Anhörung des Eantons die Konzession zu erteilen. Diese Zuständigkeit ergibt sich eindeutig aus dem Artikel 24bis, Absatz 4, der Bundesverfassung in Verbindung mit den Artikeln 7 und 38, Absatz 3, E WEG. Dem Bundesrat obliegt es in diesem Falle, ebenfalls nach Anhörung des Kantons, unter billiger Rücksichtnahme auf dessen Gesetzgebung die letzterem zu entrichtenden Leistungen" wie auch das Verfahren für die Verleihung der Wasserrechte zu bestimmen (Art. 52 und 62 EWBG).

1 Der internationale Ausbau setzt voraus, dass die BKW auch in Italien eine Konzession von der dort zuständigen Behörde erwirbt. Im Falle des Speicherwerkes Valle di Lei wurde die Konzession in Form eines Dekretes des Präsidenten der Italienischen Kepublik erteilt.

o. Die Konzessionserteilung für den italienischen Ausbau, mit seinem System von Überleitungen nach dem Flussgebiet der Adda, fällt in erster Linie in die Zuständigkeit von Italien. Wie wir oben unter Ziffer 2, litera c, dieses Abschnittes gesehen haben, wirkt sich aber der Wasserentzug aus dem Gebiet des «alto Spöl» in erheblichem Masse auf die Gewässerstrecken aus, welche unterhalb der Wasserfassungen liegen, und zwar weit über den Punkt hinaus, wo der Spöl vom italienischen auf das schweizerische Hoheitsgebiet übertritt.

Wenn auch bei diesem Ausbau alle Anlagen auf italienischem Gebiet, in einem Umkreis von 10 bis 20 km von der schweizerischen Landesgrenze bei Punt dal Gali entfernt, zu stehen kommen, so liegt nichtsdestoweniger im erwähnten Wasserentzug eine Art der Wasserkraftnutzung von Gewässerstrecken, welche, im Spöl und alsdann im Irin vereinigt, auch unter schweizerischer Hoheit stehen. Und da diese Gewässerstrecken die Landesgrenze bei Punt dal Gali berühren, steht es dem Bundesrate zu, der AEM, zu der italienischen Konzession hinzutretend, eine schweizerische Wasserrechtskonzession zu gewähren.

III. Die Verständigung mit Italien '

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1. Verlauf der Verhandlungen

a. Im Herbst 1955, als die Interpellation Dietsohi-Solothurn im Nationalrat beantwortet wurde, waren die Aussichten für eine Verständigung mit Italien noch ungewiss. Das Haupthindernis bildete nach siebenjährigen Verhandlungen immer noch die fundamentale Frage der Ableitung von Wasser aus dem oberen Einzugsgebiet von Spöl und Inn nach anderen. Italien zugekehrten Flussgebieten. Die internschweizerische Prüfung und Entwicklung des Problems hatten für die Eidgenossenschaft, den Kanton Graubünden und seine beteiligten :Engadiner Gemeinden keine Möglichkeit ergeben, einer Wasserableitung, zuzustimmen, deren Grössenordnung 100 Mio m3 im Durchschnittsjahr übersteigen würde, d.h. ungefähr die Menge, welche im Livignotal, oberhalb der Höhenkote von 1960 m ü. M., gefasst und ohne Einschaltung von Pumpen durch Schwerkraft dem Stausee Cancano II an der oberen Adda zugeführt werden könnte.

Bestimmend für diese schweizerische Haltung waren ausschliesslich Gründe des

10 öffentlichen Wohles und die Sicherung der rationellen Ausnützung von Inn und Seitenbächen in Verbindung mit den untersuchten einheimischen Speicherungsmöglichkeiten. Dabei spielten die Nationalparkinteressen eine wichtige Eolle, dann aber auch die Schonung der Schönheit der Landschaft des Unterengadins, die damit sowie mit den Heilquellen von Schuls-Tarasp verbundenen Fremdenverkehrs- und Kurortsinteressen, die Bewässerungs- und Abwasserprobleme sowie andere Fragen, welche u.a. die Sicherung einer ausreichenden Mindestwassermenge im Inn bedingen. Und nicht zuletzt galt es, auf das Verhältnis zum Unterliegerstaat Österreich Bücksicht zu nehmen, mit welchem wir bezüglich der Nutzung des Inn in einem Grenzkraftwerk .Martina-Prutz in Verhandlungen stehen.

i>. Mit dem Jahr 1956 kam dann die Wendung rascher als der bisherige Gang der schweizerisch-italienischen Verhandlungen hatte vermuten lassen. Zu Beginn desselben Jahres eröffnete die AEM den Betrieb ihres neuen Kraftwerkes Premadio. Ausserdem schritt der Bau der neuen Staumauer von Cancano II rasch vorwärts. Damit rückte der Zeitpunkt immer näher, in dem Entscheidungen in beziig auf die Inangriffnahme der zweiten Bauphase mit der Wasserzuleitung aus dem Flussgebiet des Spöl fallen mussten. So kam im Frühjahr 1956 in Mailand eine Konferenz der Experten der offiziellen schweizerisch-italienischen Kommission zustande. Von schweizerischer Seite wurden nochmals mit allem Nachdruck, auch unter Hinweis auf die Antwort des Bundesrates auf die Interpellation Dietschi-Solothurn, die Gründe vorgetragen, welche nach schweizerischer Auffassung eine Wasserableitung in einem grösseren Umfange, als oben angegeben, ausschliessen. Unpräjudizierlich der beidseitigen Standpunkte erklärten sich die schweizerischen Experten auf italienischen Wunsch hin bereit, die Grundzüge eines schweizerisch-italienischen Abkommens in Form eines Vorentwurfes auszuarbeiten.

Die Fünfte Weltkraftkonferenz im Juni 1956 in Wien bot italienischen Konferenzteilnehmern die Gelegenheit, im Rahmen des Konferenz-Themas «Wirtschaftliche Probleme der internationalen energiewirtschaftlichen Zusammenarbeit» eine Aussprache über «Die internationale energiewirtschaftliche Nutzung des Einzugsgebietes des ,Oberen Inn'» herbeizuführen. In der Diskussion zeigte sich, dass Wasserableitungen in dem von
Italien angestrebten Masse auch für die Unterlieger Österreich und Bayern nicht annehmbar wären.

Hingegen wurde im Sinne der internationalen energiewirtschaftlichen Zusammenarbeit auf die Möglichkeit hingewiesen, ein Projekt zu realisieren, bei dem 90 bis 100 Mio m3 Wasser vom Einzugsgebiet des «alto Spöl» nach dem Stausee von Cancano übergeleitet würden.

Am 12. Juli 1956 reichte die AEM bei den zuständigen italienischen Behörden ein Konzessionsgesuch für die Verwirklichung der zweiten Bauphase des Kraftwerkes Premadio ein, umfassend die Verdoppelung des Stauraumes von Cancano II durch Erhöhung der neuen Staumauer sowie insbesondere die Zuleitung von Wasser aus dem italienischen Spölgebiet oberhalb der Kote von 1960 m ü. M.

11 Ende September 1956 fand dann in Bern eine neue Zusammenkunft der schweizerischen und italienischen Experten statt. Diese führte zu der Aufstellung eines gemeinsamen Entwurfes für ein schweizerisch-italienisches Abkommen auf der Basis einer Ableitung von rund 97 Mio m3 Wasser aus dem Gebiet des «alto Spöl» nach dem italienischen Stausee Cancano II einerseits und der Erstellung des Stausees Livigno als Hauptobjekt des internationalen Livignowerkes anderseits.

Damit war nach einem zweijährigen Unterbruch der Weg zu einer Wiederaufnahme der zwischenstaatlichen Verhandlungen auf der höheren Ebene der offiziellen schweizerisch-italienischen Kommission vorbereitet.

c. Seitens der Italienischen Botschaft in Bern wurden nunmehr Schritte unternommen, damit der Bundesrat bald einen konkreten Entscheid in dieser Angelegenheit treffe. Unter Betonung des besonderen italienischen Interesses an einem raschen Vertragsabschluss wurde hauptsächlich auf die praktisch vollendete erste Bauphase des Kraftwerkes Premadio mit der neuen Staumauer von Cancano II sowie auf die Notwendigkeit hingewiesen, auf italienischer Seite Entscheidungen über die Inangriffnahme der zweiten Bauphase zu treffen. Hervorgehoben wurden in diesem Zusammenhang die Befürchtung einer Stillegung des Baubetriebes verbunden mit bedeutenden Arbeiterentlassungen, die sich dann ergebende Notwendigkeit einer vorübergehenden Immobilisierung, Demobilisierung und einer späteren Wiederaufrichtung der grpssen, von Anfang an auf die Verwirklichung der beiden Bauphasen zugeschnittenen Bauinstallationen mit allen wirtschaftlichen Schädigungen im Falle, dass zu der zweiten Bauphase nicht in absehbarer Zeit, sondern erst nach längerem Unterbruch geschritten werden könnte. Es wurde ausserdem geltend gemacht, dass die italienische Eegierung stets den schweizerischen Anstrengungen zur Erhöhung der Produktion elektrischer Energie Eechnung getragen und der Schweiz namentlich für die Nutzung des Eeno di Lei wesentliche Konzessionen im Sinne und Geiste freundnachbarlicher und nutzbringender Zusammenarbeit gemacht habe.

Am 22./23.Oktober 1956 versammelte sich in Born die schweizerischitalienische Kommission, um über den von den beidseitigen Experten vorbereiteten Abkommensentwurf zu beraten. Der endgültigen Bereinigung des Wortlautes folgte als Zeichen der Einigung
die Paraphierung durch die Präsidenten der beidseitigen Delegationen. Hiezu bot die italienische .Delegation allerdings erst dann Hand, als die schweizerische Delegation es nochmals abgelehnt hatte, über die Ableitung grösserer Wassermengen zu verhandeln, als im Abkommensentwurf vorgesehen.

Auf Grund dieses Ergebnisses bef asste sich der Bundesrat mit dem Gesamtproblem und beschloss, das Geschäft im Sinne des Abschlusses des Staatsvertrages mit Italien .weiter zu behandeln. Dementsprechend wurde Ende Dezember 1956 der Italienischen Botschaft in Bern die Bereitschaft des Bundesrateszum Ausdruck gebracht, ein inhaltlich mit dem in Born paraphierten Text übereinstimmendes Abkommen unter Eatifikationsvorbehalt zu unterzeichnen.

12 Neben dem Hinweis auf die Schwierigkeiten, welche internschweizerisch noch zu überwinden sein werden, wurde auch auf diesem Wege festgestellt, dass die Wassermenge, welche unter den im Abkommen festgelegten Bedingungen abgeleitet werden könne, auf jeden Fall das Maximum darstellt, dem die schweizerischen Behörden iii der Lage sind, zuzustimmen.

Die Unterzeichnung des Abkommens hat sich bis zum 27. Mai 1957 verzögert. Von den italienischen Steuerbehörden waren einige Abänderungsanträge bezüglich der Vertragsbestimmungen über die Doppelbesteuerung und die Verwendung des schweizerischen Energieanteils in Italien gestellt worden. Diese Punkte wurden Mitte April in einer Konferenz der beidseitigen Experten bereinigt. Sodann schnitt die italienische Eegierung nochmals das Problem einer weiteren, über den heute vorgesehenen Eahmen hinausgehenden .Nutzung des Spöl an. Schweizerischerseits wurde es indessen abgelehnt, irgendwelche Verpflichtungen zu übernehmen, und lediglich zum Ausdruck gebracht, dass nur die Erfahrungen nach dem Bau und dem Betrieb der vorgesehenen Werke zeigen könnten, ob eine erneute Überprüfung dieses Problems möglich sei.

Ohne Zweifel gehören die zum Abschluss gebrachten Verhandlungen zu den schwierigsten, welche die Schweiz bisher im Bereiche der Wasserkraftnutzung internationaler Gewässerstrecken mit einem ihrer Nachbarstaaten geführt hat. Diese Schwierigkeiten waren wesentlich dadurch bedingt, dass es sich beim Spöl um ein sogenanntes übertretendes Gewässer handelt, dessen Oberlauf in Italien und dessen. Unterlauf in der Schweiz liegt. Die schweizerische Verhandlungsgelegation konnte sich der Tatsache nicht verschliessen, dass der Spöl für Italien eine seiner letzten Wasserkraftreserven darstellt und es gewillt ist, diese Energiequelle möglichst nutzbringend zu. erschliessen. Als Oberliegerstaat ist Italien vom sogenannten «Territorialitätsprinzip» ausgegangen, wonach jeder Staat kraft seiner Souveränität berechtigt ist, «auf seinem Gebiet mit seinen Gewässern so zu verfahren, wie es ihm wirtschaftlich am zweckmässigsten dünkt, wobei er nur durch bestehende Verträge beschränkt ist».

(Vgl. E. Hartig, «Internationale Wasserwirtschaft und internationales Recht», Wien 1955, S. 11 f.) Ohne diesen Oberliegerstandpunkt anzuerkennen, konnte sich die Schweiz, die sich in der Regel in
der Lage des Oberliegerstaates befindet, im vorliegenden Ausnahmefall auch nicht dem entgegengesetzten Standpunkt verschreiben, wonach der Oberliegerstaat am1 Flusslauf keine Veränderungen vornehmen darf, die den Unterlieger nachteilig beeinflussen (sogenanntes «Integritätsprinzip», vgl. Hartig a.a. 0.). Da sich in bezug auf das Verhältnis des oberliegenden Uferstaates zum unterliegenden keine sicheren völkerrechtlichen Grundsätze feststellen lassen, Italien im Falle des Spöl bereit ist, die nachteiligen Folgen der Wasserableitung durch Überlassung des Staubeckens Livigno zu kompensieren, war es für unser Land das praktisch Richtige, zu einer staatsvertraglichen Regelung der Wasserableitung Hand zu bieten.

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2. Inhalt des Abkommens

Das Abkommen über die Wasserkraftnutzung des Spöl umfasst nebst einer Präambel drei Kapitel mit insgesamt 20 Artikeln sowie ein Zusatzprotokoll.

In der Präambel wird festgestellt, dass die Ableitung eines Teils des Spölwassers nach dem italienischen Mussgebiet der Adda, gernäss dem italienischen Vorschlag einerseits, und die Schaffung des Staubeckens Livigno, gemäss dem schweizerischen Vorschlag anderseits, zwei Arten der Nutzbarmachung der Wasserkraft von Gewässerstrecken darstellen, welche oben in Italien und unten in der Schweiz liegen. Es wird anerkannt, dass beide Staaten dementsprechend Anrecht auf je einen Teil der Wasserkraft haben und dass ihre Nutzbarmachung in zwei verschiedenen Systemen Gegenstand von Entscheidungen bilden, welche im gegenseitigen Einvernehmen getroffen werden sollen, wobei den sich gegenüberstehenden Interessen und den voneinander abweichenden Gesetzgebungen Eechnung zu tragen sei. Beide Staaten seien demnach übereingekommen, den italienischen und den schweizerischen Bewerbern die zur Ausnützung der Wasserkraft erforderlichen Wasserrechtskonzessionen zu erteilen, die Wasserkraftanteile beider Staaten in jedem der beiden Nutzungssysteme festzusetzen und alsdann auf dieser Basis einen Abtausch der entsprechenden elektrischen Energie und Leistun'g vorzunehmen, so dass die Werkbesitzer über die letzteren möglichst so verfügen können, wie wenn die nutzbar gemachte Wasserkraft der Hoheit eines und desselben Staates unterstehen würde.

Die in.der Präambel niedergelegten Grundsätze werden in den folgenden drei Kapiteln des Abkommens und im Zusatzprotokoll näher ausgeführt.

Kapitel I (Art. l bis 4) befasst sich speziell mit der Wasserdbleitung nach dem Flussgebiet der Adda.

Nach Artikel l stimmt der Bundesrat der Erteilung der Ableitungskonzession durch die italienische Begierung unter den im Abkommen näher festgesetzten Bedingungen und unter dem Vorbehalt zu, dass zu der für das italienische Hoheitsgebiet erteilten Konzession eine komplementäre schweizerische Wasserrechtskonzession hinzutreten wird. Gegenstand der letzteren soll die Wasserkraft des auf Schweizer Gebiet liegenden Teils der durch den Wasserentzug beeinflussten Gewässerstrecke sein.

Damit wird zugunsten von Italien der Oberliegerstandpunkt in den Vordergrund gestellt. Trotzdem nimmt Italien auf die Schweiz
als Unterlieger in einer der Billigkeit entsprechenden Art und Weise Bücksicht, ohne dass ein Präzedenzfall geschaffen würde, welcher uns in den Eällen, wo wir Oberlieger sind, allzu sehr einengen könnte. Die Tatsache, dass Italien sich vertraglich damit einverstanden erklärt, dass neben der italienischen Ableitungskonzession eine, schweizerische komplementäre Konzession erteilt werde, bedeutet für die Schweiz, dass sie entsprechend ihres Wasserkraftanteiles: eine Konzessionsgebühr, Wasserzinse und im Eahmen der bundesgesetzlichen Schranken auch die kantonale Wasserwerksteuer zu beziehen berechtigt ist.

14 Artikel 2 bestimmt, dass die italienische Eegierung den Konzessionär der Ableitung bezeichnet und dass der Bundesrat die komplementäre schweizerische Konzession demselben erteilen bzw. auf denselben übertragen wird. Praktisch kommt nur der Eigentümer der bestehenden Kraftwerksanlagen von FraeleCancano-Premadio in Frage: die «Azienda elettrica municipale di Milano», d.h. das öffentliche Elektrizitätswerk der Stadt Mailand. Denn es geht bei der vorgesehenen Wasserableitung um eine Erweiterung dieser Kraftwerksanlagen.

Artikel 3 umschreibt die für die Wasserableitung auszuführenden Anlagen, das italienische Einzugsgebiet, welches erfasst werden soll, sowie die nach Fraele-Cancano und im Werk Premadio auszunützende Wassermenge, welche durchschnittlich 97 Mio m3 im Jahr nicht wesentlich überschreiten soll. Es handelt sich dabei um ungefähr 1J3 der jährlichen Abflussmenge des Spöl bei Punt dal Gali.

Artikel 4 setzt den von der Schweiz zur Verfügung gestellten Wasserkraftanteil auf 26 850 Bruttopferdekräfte fest. Die entsprechende, der Schweiz zustehende, im Kraftwerk Premadio erzeugbare Menge elektrischer Energie beträgt jährlich 128 Mio kWh bei einer Leistung von 64 000 kW. Im übrigen enthält Artikel 4 analoge Bestimmungen wie die schweizerisch-italienische Vereinbarung betreffend das Grenzkraftwerk Val di Lei-Innerferrera sowie die früheren schweizerisch-französischen Abkommen betreffend die Grenzkraftwerke Kembs und Châtelot. Eine Besonderheit liegt lediglich darin, dass ein Abtausch eines Teiles des schweizerischen Energieanteiles in Premadio gegen den italienischen Anteil im Livignowerk vorgesehen ist. Die Modalitäten dieses Abtausches sind im Zusatzprotokoll geregelt.

Kapitel II (Art. 5 bis 10) betrifft die Speioherung von Livigno und bildet das Korrelat zum ersten Kapitel.

Da das Livignowerk im Gegensatz zum italienischen Nutzungssystem der Wasserableitung nach dem Flussgebiet der Adda auf den Gebieten beider Staaten liegt, bestimmt Artikel 5, dass das Eecht der Wasserkraftnutzung durch die zuständigen Behörden beider Staaten verliehen werden soll. Schweizerischerseits ist der Bundesrat zuständig (vgl. oben Ziff. II/2, lit.b, und 3, lit.6). Dadurch wird die Kompetenz des Kantons Graubünden zur Erteilung der Konzessionen für den kantonalen Ausbau von Inn und Seitenbächen, inklusive der
Stauung des Spöl auf Schweizer Gebiet (im Sinne des Projektes von Salis), nicht tangiert.

Das Livignowerk mit der Zentrale am Fusse der Staumauer bei Punt dal Gali steht insbesondere diesem kantonalen Ausbau nicht entgegen (vgl. oben S.6 sowie die Antwort auf die Interpellation Dietschi-Solothurn, StenBull NE, Herbstsession 1955, S. 425 ff.).

Nach Artikel 6 steht es dem Bundesrat zu, den Konzessionär des Livignowerkes zu bezeichnen. Italien verpflichtet sich, seine Konzession diesem zu erteilen. Als Konzessionär kommt praktisch nur die Engadiner Kraftwerke AG mit Sitz in Zernez in Frage. An derselben sind ausschliesslich schweizerische Unternehmungen beteiligt (vgl. oben Ziff.II/1). Insbesondere soll auch in Zukunft keine italienische Kraftwerksunternehmung, auch nicht das Elektrizitätswerk

15 der Stadt Mailandt an der Gesellschaft beteiligt sein. Die Beteiligten haben diesbezügliche Vereinbarungen getroffen.

Artikel 7 bestimmt, dass die Staumauer des Livignowerkes beim Zusammenfluss des Spöl und der Ova dal Gali ausserhalb der Nationalparkgrenze zu errichten ist, so dass rund 180 Mio m3 Wasser akkumuliert werden können (Val di Lei = 200 Mio m3).

Nach Artikel 8 soll die Staumauer für die Schweiz ein Maximum an Sicherheit bieten, gemäss den geltenden schweizerischen Vorschriften. Damit überlässt Italien der Schweiz freie Hand hinsichtlich der Sicherheitsfragen.

Um mit Rücksicht auf die Interessen des Nationalparkes die nötige Bewegungsfreiheit zu behalten, sieht das Abkommen vor, dass der Standort der . Z,:ntri.le erst im schweizerischen Konzessionsakt oder dann bei der Genehmigung der Baupläne festgesetzt werden soll. Der Entscheid über diesen Standort steht demnach dem Bundesrat zu. Dieser Punkt spielt eine entscheidende Bolle im Zusammenhang mit der konstruktiven Lösung, auf die wir unten noch zu sprechen kommen (vgl. Ziff.V/2).

Artikel 9 schafft die Grundlage für die Inanspruchnahme des in Italien liegenden Grundeigentums für die Errichtung und den Betrieb des Speicherbeckens Livigno. Der Konzessionär wird nach Weisung der italienischen Behörden das italienische Zollgebäude von Ponte del' Gallo zu ersetzen haben. Er wird ferner könzessionsniässig verpflichtet werden, unterbrochene Verbindungswege wieder herzustellen.

Der dritte Absatz von Artikel 9 behält dem Bundesrat die Befugnis vor, dem Konzessionär die zum Schutze des Nationalparkes erforderlichen Verpflichtungen aufzuerlegen. Obwohl das Livignowerk internationalen Charakter hat, überlässt es Italien der Schweiz, autonom dem gemeinsamen Konzessionär diejenigen Bedingungen und Auflagen zu überbinden, die; sie als notwendig erachtet, um die Nationalparkinteressen sowohl beim Bau als beim Betrieb und Unterhalt des Werkes zu schonen.

Artikel 10 setzt den italienischen Anteil an der im Livignowerk nutzbar gemachten Wasserkraft auf 9750 Brutto-PS fest. Der entsprechende Anteil an der erzeugbaren elektrischen Energie beträgt 36,5 Millionen kWh bei einer Leistung von 18 250 kW. Im übrigen lautet dieser Artikel analog dem Artikel 4 des Abkommens.

Das III. Kapitel des Abkommens (Art. 11 bis 20) enthält gemeinsame Bestimmungen. Diese
sind der Vereinbarung betreffend. Val di Lei nachgebildet.

Sie regeln insbesondere das Prozedere bei der Genehmigung der Pläne, bei der Erteilung der beidseitigen Konzessionen, beim. Vorliegen von Verwirkungsgründen, beim Ablauf der Konzessionsdauer, bei der staatlichen Aufsicht während des Baues und Betriebes der Werke sowie im Falle von Streitigkeiten. Das Heimfallsrecht richtet sich nach dem Territorialitätsprinzip. Im Sinne der in den letzten Jahren von der OECE und vom Genfer UNO-Energiekomitee ausgegangenen Empfehlungen wird in Artikel 13 bestimmt, dass die beiden Staaten sich

16 verpflichten, im Eahmen ihrer Gesetzgebungen den Bau und Betrieb der Anlagen möglichst zu erleichtern und zu diesem Zwecke die erforderlichen Massnahmsn zu treffen, insbesondere hinsichtlich des Zolles, der Ein- und Ausfuhr der Baumaterialien, der Finanzierung und des Zahlungsverkehrs. Es handelt sich dabei um eine Wohlwollenserklärung. Da jedes der beiden Nutzungssysteme von getrennten, selbständigen Unternehmungen ohne gegenseitige Beteiligungen ausgeführt und betrieben werden soll, werden sich Schwierigkeiten, wie sie sich z.B.

beim Grenzkraftwerk Châtelot ergeben haben, ohnehin nicht einstellen.

Das Zusatzprotokoll dient der Vollziehung der Artikel 4 und 10 des Abkommens. In Ziffer I wird der italienische Energieanteil im Livignowerk gegen eine entsprechende Energiemenge und Leistung aus dem schweizerischen Anteil im Werk Premadio abgetauscht und bestimmt, dass hiefür auf die Erhebung irgendwelcher Ein- und Ausfuhrgebühren verzichtet wird.

In Ziffer II wird festgestellt, dass nach dem Abtausch gemäss Ziffer I im Werk Premadio eine Eestquote von 91,5 Mio kWh jährlich und von 45 750 kW zugunsten der Schweiz verbleibt. Für den Fall, dass der Konzessionär des Livignowerkes diese Eestquote nicht innert Jahresfrist in Anspruch nimmt, verpflichtet sich der Bundesrat, dem Konzessionär des Werkes Premadio die Bewilligung zu erteilen, diese Eestquote in Italien zu verwenden. Für diese Bewilligung, welche erstmals für die Dauer von 20 Jahren gewährt werden soll, dürfen von der Schweiz keine höheren Gebühren erhoben werden als im Falle der Ausfuhr elektrischer Energie.

Ziffer III bestimmt analog dem Artikel 13, Absatz 2, des Abkommens, .dass die Bestimmungen des Zusatzprotokolls sich nicht auf die direkten Steuern beziehen. Es handelt sich hier um eine von den italienischen Steuerbehörden gewünschte Präzisierung. Schweizerische Belange, namentlich betreffend Steueransprüche des Bundes oder des Kantons Graubünden, werden dadurch nicht berührt.

Schliesslich will die Ziffer IV einer unrichtigen Interpretation des Abkommens und des Zusatzprotokolls hinsichtlich der fiskalischen Belastung des jedem Staate zukommenden Energieanteils vorbeugen.

3. Würdigung des Abkommens Das Abkommen verdient die Bezeichnung eines für beide Teile günstigen, wohlabgewogenen Verständigungs-und Kompromisswerks zwischen
einem leicht betonten Oberliegerstandpunkt'und den nach Grundsätzen der Billigkeit und der freundnachbarlichen Beziehungen berücksichtigten Unterliegerinteressen.

Als solches bildet es im Bereich des internationalen Wasserrechts eine Pionierarbeit. Auf der einen Seite kann Italien seine Wasserkraftanlagen im Oberlauf der Adda erweitern und betreiben, wie wenn die dabei in Anspruch genommene Wasserkraft ausschliesslich der italienischen Hoheit unterstände. Das Elektrizitätswerk der Stadt Mailand kann das abgeleitete Spölwasser nicht bloss im Werk Premadio nutzen und die Produktionsmöglichkeit dieses Werkes von 820

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auf 540 Mio kWh Winterenergie erhöhen. Es kann darüber hinaus auch in den unterliegenden Werken bis zum Comersee zusätzlich, erhebliche Mengen elektrischer Energie erzeugen und dabei die verhältnismässig hohen Gestehungskosten der Energieproduktion des Werkes Premadio wesentlich senken. Das abgeleitete Wasser kann aber auch unterhalb des Comersees der Bewässerung dienstbar gemacht werden. Darin liegen die Hauptvorteile für Italien.

Anderseits kann die Schweiz das internationale Livignowerk ebenfalls so.

realisieren, wie wenn es ausschliesslich schweizerisch wäre. Bein Vorteil für die Schweiz liegt in der Hauptsache im Ausgleich für den Wasserentzug, der sich infolge der italienischen Ableitung nach dem Flussgebiet der Adda auf Schweizer Gebiet bis hinunter nach.Martina an der schweizerisch-österreichischen Grenze noch auswirkt. Diesem Wasserentzug steht der Nutzen gegenüber, den die unterliegenden kantonalen Werke von Pradella und Martina aus dem in Livigno gespeicherten Wasser ziehen werden. Diese werden die Produktion der wertvolleren Winterenergie erheblich erhöhen können, ohne anderseits eine wesentliche Einbusse an der jährlichen Gesamtproduktion zu erleiden. Von der Speicherung werden ferner ein künftiges schweizerisch-österreichisches Grenzkraftwerk Martina-Prutz sowie die weiter innabwärts bestehenden, oder noch geplanten österreichischen Kraftwerke profitieren und so ebenfalls einen billigen Ausgleich für den vom Oberliegerstaat Italien vorgenommenen Wasserentzug erhalten.

Das ursprünglich, im Zeitpunkt der Eröffnung der schweizerisch-italienischen Verhandlungen im Frühjahr 1948, von der Schweiz angestrebte Ziel konnte allerdings nicht mehr erreicht werden: Die Nutzung des Spöl ohne Wasserableitung in ein anderes Flussgebiet. In den langjährigen, mühsamen internationalen Verhandlungen ist es aber schliesslich doch gelungen, ein Abkommen zu schliessen, das mit einem tragbaren schweizerischen Opfer in bezug auf die Wasserableitung die zweckmässige Nutzbarmachung der Wasserkräfte zum Nutzen der beteiligten Staaten gewährleistet und auch im Hinblick auf die Wahrung der Nationalparkinteressen begrüsst werden muss. Das Abkommen schliesst einmal endgültig die Eventuallösung der Errichtung eines rein italienischen Stausees imLivignotal unmittelbar oberhalb Punt dal Gali aus. Ausserdem schafft
es einen sicheren Ausgangspunkt, um auch im Bereiche des kantonalen Ausbaues von Tnn und Seitenbächen eine Lösung im Sinne bestmöglicher Schonung des Parkgebietes und der daran bestehenden Interessen zu erreichen.

Hievon ist unter Ziffer V hiernach die Bede.

Das Abkommen liegt ganz allgemein im Sinne unserer traditionellen Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten auf den verschiedenen Gebieten der Wasserwirtschaft. Die Gewässer, die unser Land und seine Nachbarstaaten trennen oder durchfliessen, bilden von Natur aus eine Einheit, die sich in der Solidarität der Interessen aller Uferstaaten geltend macht. «Das Gewässer ist ein Ganzes, dessen Teile gegeneinander sehr empfindlich sind, dessen Benutzer einander leicht schaden, auch nützen können, und deshalb in einer Interessen-Gemeinschaft stehen». So schrieb schon 1928 ein gewiegter Kenner des Staats- und Bundesblatt. 109. Jahrg. Bd. II.

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18 Wasserrechts, Prof. Dr. W. Burckhardt, in einem in der «Weltchronik» publizierten kleinen Aufsatz «Vom Becht am fliessenden Wasser». Hinweisend auf die Schwierigkeiten, die sich dabei im Verhältnis von Staat zu Staat ergeben, führte er dann weiter aus : « Jeder muss von sich aus auf die andern gebührende Bücksicht nehmen; aber jeder kann auch verlangen, dass ihm in diesen Schranken die Verfügung über sein Gebiet bleibe. Wie viel jeder nachgeben muss oder sich behaupten darf, darüber gibt es keine festen Begriffe. Was jedem von Rechtswegen gehört, lässt sich nicht beweisen und aus bindenden Sätzen ableiten. Man muss einen willkürlichen Ausgleich suchen.» So sprach Burckhardt der freiwilligen Verständigung das Wort, die, wegen der eigenartigen Züge des internationalen Bechts und des Mangels an festen Normen im Bereiche der Wasserwirtschaft, sich aufdränge.

Substantielle Eingriffe in das Flussregime des Inn zugunsten anderer, Italien zugekehrter Flussgebiete kommen in harten Konflikt mit den an jenem Gewässer bestehenden privaten und öffentlichen Interessen. Diese gebührend zu berücksichtigen und in dieser Schranke auch dem Oberliegerstaat Italien die Verfügung über sein Gebiet zu belassen, das war die Aufgabe, die der schweizerischen Verhandlungsdelegation gestellt war, und auch das Ziel, das im nun vorliegenden schweizerisch-italienischen Abkommen erreicht worden ist.

IV. Die rechtliche Situation in bezug auf den Nationalpark Rechtsgrundlage des Nationalparkes bilden der Bundesbeschluss vom S.April 1914 betreffend die Errichtung eines schweizerischen Nationalparkes im Unterengadin (B S 4, 259 f.) in Verbindung mit einer Beihe von Dienstbarkeitsverträgen der Eidgenossenschaft mit der Gemeinde Zernez und weiteren Grundeigentümern des vertraglich festgesetzten Beservationsgebietes. Von diesen Bestimmungen befasst sich ausdrücklich mit Wasserkraftnutzung lediglich der Nachtrag vom 13. Juni/17. August 1920 zum Dienstbarkeitsvertrag vom 29. November/30. Dezember 19.13/21. Juli 1914 mit der Gemeinde Zernez. Dieser Nachtrag, welcher die Erweiterung des Nationalparkes durch Angliederung des Gebietes von Falcun zwischen Cluozza- und Spöltal brachte, war im Hinblick auf die Wiederbesiedelung des Nationalparkes mit Steinwild abgeschlossen worden.

Die Eidgenossenschaft stimmte in diesem Nachtrag der
Wasserkraftnutzung des Spöl wie folgt zu: 4. Die Schweizerische Eidgenossenschaft erklärt, dass sie der Stauung des Spöls im Parkgebiete durch Erstellung erforderlicher Stauwerke zum Zwecke der Erstellung eines Elektrizitätswerkes oder anderer industrieller Unternehmungen keine Opposition machen wird. Diese Erklärung erfolgt unter Verzicht auf eine bezügliche Entschädigung. Sollte dieses Projekt zur Ausführung gelangen, so hat die Gemeinde Zernez dafür zu sorgen, dass bei Punt Praspöl und Punt Perif oder in deren Nähe Übergänge über den Spöl erstellt und im guten Zustande erhalten werden.

5. Die jährliche Entschädigung an die Gemeinde Zernez wird pro 1920 und die folgenden Jahre um 400 Franken erhöht, bis die Wasserkräfte des Spöls ausgebaut werden können.

19 Diese Zustimmung war auf das Projekt von Ing. A. yon Salis für die Wasserkraftnutzung von Inn und Spöl vom Jahre 1919 zurückzuführen (vgl. oben Ziffer I/l) und von der Gemeinde Zernez zu einer «conditio sine qua non» für .den Vertragsabschluss gemacht worden. Ini Jahre 1926 hatte der Bundegrat dem Nationalrat darüber Auskunft zu geben. Damals war wegen der Frage der Wasserkraftnutzung im Einzugsgebiet des Spöl in Naturschutzkreisen eine Beunruhigung entstanden. Im Jahresbericht des Schweizerischen Bundes für Naturschutz und auch in der Presse erfolgten heftige Proteste gegen das Projekt einer Spölstauung zum Zwecke der Erstellung eines Elektrizitätswerkes.

Die Nationalparkkoinmission erklärte jedoch am 29. August 1926 der Gemeinde Zernez gegenüber folgendes: «Diesen Protesten steht aber die Nationalparkkommission durchaus fern, und sie fühlt sich verpflichtet, Ihnen zu erklären, dass sie gehalten ist, sich an den von der Eidgenossenschaft mit Ihnen abgeschlossenen Vertrag vom 13. Juni/17. August 1920 zu halten». Seinerseits richtete Herr Nationalrat Gelpke am 27.September 1926 eine «Kleine Anfrage» an den Bundesrat, worin er um Auskunft ersuchte, ob der Bundesrat von den Bestrebungen zur Verwirklichung einer im Nationalpark gelegenen Stausee-Hochdruckanlage am Spölfluss bei Zernez Kenntnis habe, und ob er nicht auch die Auffassung teile, dass die vorgesehenen künstlichen Eingriffe dem Sinn und Geist des Bundesbeschlusses vom S.April 1914 zuwiderlaufen. Der Bundesrat gab am 4.Oktober 1926 folgende Antwort: Den Bundesbehörden ist bisher irgendein Projekt für eine am Spöl bei Zernez zu erstellende Wasserkraftanlage zur Prüfung und Genehmigung ! nicht eingereicht worden. Der Bundesrat hatte also bis heute keine Gelegenheit, das Projekt als Ganzes zu prüfen. Durch Vertrag vom 13. Juni und 17. August 1920 betreffend die Angliederung des Gebietes von Palcun an den Nationalpark wurde auf den einstimmigen Antrag der Nationalparkkommission einzig die Erklärung abgegeben, dass der Stauung des Sp öls keine Opposition gemacht werde, in der Meinung, dass darin eine Verletzung des Bundesbeschlusses vomS. April 1914 nicht zu finden sei,- um so mehr als dabei eine Stauung des Cluozzabaches nicht in Frage stand. Es sei daran erinnert, dass in dem durch diesen Bundesbeschluss gutgeheissenen Dienstbarkeitsvertrag
mit der Gemeinde Zernez, vom 29.November 1913, der Bau einer Bahn über den Puornpass vorgesehen ist, die das Nationalparkgebiet durchschneiden würde.

Die1 Gesetzgebung bietet den Bundesbehörden eine genügende Handhabe, um bei ihren Massnahmen nicht nur einzelne, sondern alle in Betracht kommenden Interessen festzustellen, zu würdigen und gegeneinander abzuwägen, so dass unter Berücksichtigung aller Paktoren und der erwähnten abgegebenen Erklärung der Entscheid gemäss den allgemeinen Interessen getroffen werden kann.

In den vierziger Jahren, im Zusammenhang mit dem Projekt des KEK für ein internationales Spölkraftwerk, war von neuem die Frage umstritten, ob die Erteilung einer Konzession für die Ausnützung der Spölwasserkräfte mit dem Bundesbeschluss vom S.April 1914 vereinbar sei. Es wurden in den Jahren 1947 bis 1951 eine ganze Eeihe von Gutachten darüber erstattet, die sich weitgehend widersprachen. Als durch das Gesamtprojekt der EKW für die Wasserkraftnutzung von Inn und Seitenbächen vom Jahre 1955 (vgl. oben Ziff. .11/2) nochmals eine neue Situation entstand, beschloss der Bundesrat in seiner Sitzung

20 vom 19.März 1956, das Gesamtproblem erneut zu überprüfen, und beauftragte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, über das Verhältnis des Zusatzvertrages vom Jahre 1920 zum Bundesbeschluss von 1914 Bericht zu erstatten.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat in seinem dem Bundesrat am 16. Oktober 1956 erstatteten Gutachten das Ergebnis seiner Untersuchung wie folgt zusammengefasst : Wir können damit die uns gestellte Frage nach dem Verhältnis des Zusatzvertrages zum Bundesbesohluss dahin beantworten, dass der Bundesbeschluss den Bundesrat lediglich ermächtigt und beauftragt, den Nationalpark auf Grund und im Rahmen der mit der Gemeinde 'getroffenen Vereinbarungen zu errichten, zu erhalten und zu betreiben. Zu diesem Zwecke stellt der Bundesbeschluss dem Bundesrat die nötigen Mittel zur Verfügung. Inhalt und Umfang der Hechte des Bundes bestimmen sich also ausschliesslich nach den vertraglichen Vereinbarungen mit der Gemeinde.

Der Bundesbeschluss gibt dem Bundesrat keine darüber hinausgehenden Rechte gegenüber der Gemeinde und enthält auch keine allgemeinverbindlichen Vorschriften.

Er hat insofern keine selbständige Bedeutung. Die Vereinbarungen mit der Gemeinde haben eine privatreohtliche Dienstbarkeit, eventuell eine Verpflichtung nach OR begründet. Soweit aber eine Verpflichtung der Gemeinde, die Gewässer des Spöl nicht auszunutzen, in Frage steht, liegt eine öffentlichrechtliche Verpflichtung der Gemeinde vor, die als gültig zu betrachten ist. Infolgedessen ist die Bewilligung der Konzession zu verweigern, soweit sie mi-t diesen Vereinbarungen nicht vereinbar ist. Dagegen darf der Bundesrat der Konzession nicht unter Berufung auf den Dienstbarkeitsvertrag oder auf den Bundesbeschluss Opposition machen, falls die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen der Bundesrat das Versprechen im Nachtragsvertrag (Ziffer 4) abgegeben hat. Den Maßstab dafür, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht, erblicken wir darin, dass das in Frage stehende Projekt die Zwecke des Parkes nicht in stärkerem Masse beeinträchtigen darf, als das Projekt von Salis es getan hätte.

Damit sind vom rechtlichen Standpunkt aus die Richtlinien für die Entscheidung gegeben.

Einem Bericht von Ingenieur von Salis vom 1. Juli 1947 zu seinem Projekt von 1919 ist folgendes zu entnehmen: Vorgesehen war ein Akkumulierbecken im Flusslauf von 7,25 km Länge und 330 m grösster Breite bei Praspöl mit einem Nutzinhalt von 28 Ilio m3 und Staugrenze ca. 1,1 km von der schweizerisch/ italienischen Landesgrenze entfernt. Bei vollem Stau hätte dieser Stausee im Spöltal eine Fläche von 1,22 km3 überflutet, wovon 1,04 km2 im Gebiete des Nationalparkes. Zum Ersatz der untergehenden Spölübergänge hätten ca. 800 m flussaufwärts des jetzigen bei Praspöl und bei Punt Periv neue Übergänge von ca. 85 m bzw. ca. 60 m Länge erstellt werden müssen.

Wie schon in dieser Botschaft (Ziff. 1/2 und II/2, ht. a) und in der beiliegenden technischen Beschreibung (Beilage l, Ziff. 2) festgestellt wurde, stimmt das heutige Projekt der EKW für die «Obere Innstufe» hinsichtlich der Stauung des Spöl mit dem seinerzeitigen Projekt von Salis überein. Die Eealisierung des ersteren würde den Nationalpark sogar weniger beeinträchtigen als die des Projektes vom Jahre 1919. So sieht das heutige Projekt nicht nur, wie dasjenige von 1919, keine Stauung des Cluozzabaches vor, sondern es verzichtet überhaupt auf eine Fassung dieses Gewässers. Überdies würden die heutigen Baumethoden erlauben, das Werk mit geringeren Eingriffen in den Nationalpark, namentlich auch in kürzerer Bauzeit, zu erstellen.

21 Es kann demnach die vom Eidgenössischen : Justiz- und Polizeidepartement am Schlüsse seiner Ausführungen aufgestellte Frage dahin beantwortet werden^ dass die Voraussetzungen des Nachtragsvertrages von 1920 erfüllt sind.

Auf Grund dieser erneuten Prüfung des Problems .hat es der Bundesrat nicht für möglich gehalten, unter Berufung auf die rechtliche Situation in bezug auf den Nationalpark gegen die Erteilung einer Konzession für die heute geplante Spölstauung im Parkgebiet Opposition zumachen. Es stellte sich indessen die weitere Frage, ob eventuell diese Spölstauung gegen Artikel 22 E WEG betreffend die Wahrung von Naturschönheiten verstosse. In dieser Hinsicht hat sich ergeben, dass eine Nutzung der Wasserkraft des Spöl wohl eine Beeinträch tigung von Naturschönheiten mit sich bringen wird. Es ist indessen möglich, diese Naturschönheiten zu schonen und dem Konzessionär entsprechende Verpflichtungen aufzuerlegen, so dass diese, Beeinträchtigung nicht als schwerwiegend genug eingeschätzt werden kann, um beim Entscheid über 'die Wasserkraftnutzung den Ausschlag zu geben. Der weitaus grösste Teil des Parkes wird überhaupt nicht berührt und bleibt der wissenschaftlichen Forschung uneingeschränkt erhalten.

V. Die Notwendigkeit einer konstruktiven Lösung ,

1. Die Verständigungsverhandlungen

Gleichzeitig mit dem Auftrag an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, :über das Verhältnis des Zusatzvertrages vom Jahre 1920 zum Bundesbeschluss von 1914 Bericht zu erstatten, ermächtigte der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern, «eine Aussprache zwischen dem Kleinen Hat des Kantons Graubünden und einer Delegation des Bundesrates zu vereinbaren über die Frage, ob und wie der Nationalpark trotz der beabsichtigten Wasserkraftnutzung erhalten werden kann».

Eine erste Aussprache der Vertreter des Kleinen Kates des Kantons Graubünden und der 'Gemeinden Zernez, Scuol/Schuls und S-chanf mit einer Delegation der Nationalparkkomrnission fand am 15. Juni 1956 in Bern statt..Seitens der Nationalparkkommission wurde mit Nachdruck versucht, die Gemeinden und den Kanton zum Verzicht auf die Wasserkraftnutzung gegen Entschädigung zu bewegen. In der Diskussion zeigte sich aber, dass sich auf diesem Wege keine Lösung finden lässt. Die Vertreter von Kanton und Gemeinden hielten an der Wasserkraftnutzung und an der diesbezüglichen Zusicherung, der Eidgenossenschaft vom Jahre 1920 fest. Dagegen bekundeten sie erneut ihre Bereitschaft, zu einer Erweiterung des Nationalparkes um weit grössere Gebiete, als das durch die Wasserkraftnutzung berührte, Hand zu bieten. Anderseits wurde die Frage aufgeworfen, ob der Stausee Praspöl nicht überflüssig würde, wenn das internationale Livignowerk später .doch gebaut werden sollte, und ob die Möglichkeit bestehe, mit Italien noch darüber zii verhandeln. Diesbezüglich wurde darin festgestellt, dass im Falle der Errichtung des Livigno-Speicherwerkes wohl auf den Stausee Praspöl verzichtet werden und man sich mit einem Ausgleichsbecken

22 Ova Spin begnügen könnte; Italien habe die Ausnützung des Spöl nicht aufgegeben, und die schweizerisch/italienischen Verhandlungen seien noch nicht zum Abschluss gelangt. So zeigte sich bei dieser ersten Fühlungnahme doch eine Möglichkeit für eine Verständigung. Um die näheren Fragen abzuklären, wurde vereinbart, dass eine paritätische Kommission, bestehend aus je einem Vertreter der am Nationalpark interessierten Gemeinden Zernez, S-chanf und Scuol/Schuls und einer Dreierdelegation der Nationalparkkommission, weiter verhandeln solle.

2. Die Verständigungslösung In den Verhandlungen dieser Verständigungskommission und in Besprechungen zwischen Vertretern der Bundes- und. Kantonsbehörden, der Nationalparkkommission und der Engadiner Kraftwerke AG hat sich in der .Folge eine im Sinne bestmöglicher Berücksichtigung des Nationalparkzweckes gelegene Lösungsmöglichkeit ergeben.

a. Verzicht auf den. Stausee Praspöl Wie erwähnt, könnte im Falle der Errichtung des Livigno Speicherbeckens auf den Stausee Praspöl verzichtet werden, und man könnte sich mit einer wesentlich kleineren Stauanlage als dem Stausee Praspöl begnügen; an Stelle des letzteren mit seinen 28 Mio m3 Speicherinhalt würde ein Ausgleichsbecken Ova Spin mit 6,5 Mio m 3 Inhalt treten. Die Speicheranlage Livigno müsste mit dem unterliegenden Ausgleichsbecken Ova Spin verbunden werden, damit von hier aus Wasser in den Stausee Livigno hinaufgepumpt werden könnte, da ja infolge der Wasserableitung gemäss dem italienischen Ausbau die restlichen Zuflüsse zum Stausee Livigno zu seiner Füllung nicht mehr ausreichen. Demgeinäss müsste die Zentrale des Livignowerkes von Punt dal Gali bis in die Nähe der Staumauer Ova Spin hinunter verlegt werden (vgl. die Projektbeschreibung in Beilage l, Ziff. 6).

Wie die Gegenüberstellung der beiliegenden Situationspläne der Lösungen.

Praspöl und Ova Spin (Beilage l, Abbildung 2) veranschaulicht, würde der Nationalpark bei Verwirklichung der letzteren bedeutend 'Weniger berührt.

Grosse Teile des Nationalparkes im Spöltal, welche im Falle der Stauung von Praspöl überflutet würden, blieben verschont ; die Staumauer würde kleiner. Der Druckstollen vom Stausee Livigno her nach der ausserhalb des Nationalparkes gelegenen Kavernenzentrale, rechter Hand der Staumauer Ova Spin, würde an der Erdoberfläche im Nationalpark
nicht in Erscheinung treten. Auf der Strecke Punt dal Gall-Ova Spin würde eine Mindestwassermenge im Spöl verbleiben und zusammen mit den ungeschmälerten Zuflüssen der dortigen Seitenbäche eine für die Zwecke des Nationalparkes genügende Wasserführung sichern.

Die Lösung Ova Spin, als geringerer Eingriff als die Stauung von Praspöl, bleibt im Eahmen des Nachtragsvertrages von 1920 zwischen der Eidgenossenschaft und der Gemeinde Zernez (vgl. oben Ziff. IV). Anderseits schafft diese Lösung die tatsächliche Voraussetzung dafür, dass die dem Bunde zustehende

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Konzessionserteìlung die ganze, in das internationale Livignowerk einbezogene, der schweizerischen Hoheit unterstehende Teilstrecke des Spöl von Punt dal Gali bis Ova Spin umfasst. So kommt der Bund in eine stärkere Position als beim internationalen Speicherwerk Livigno-Punt dal Gali und beim unterliegenden, zur kantonalen «Oberen Innstufe» gehörenden Stausee Praspöl. Die Kompetenz, die Bedingungen und Auflagen zur Schonung der Nationalparkinteressen, im Eaume zwischen der schweizerisch-italienischen Landesgrenze und Ova Spin konzessionsmässig festzusetzen, wird in einer Hand vereinigt und liegt beim Bundesrat. Wie oben erwähnt, hat sich der Bundesrat im Abkommen mit Italien, die Befugnis ausdrücklich vorbehalten, dem Konzessionär des Speicherwerkes Livigno solche Verpflichtungen aufzuerlegen (vgl. Ziff. HI/2, Art. 9).

Die Engadiner Kraftwerke AG hat in einem als Beilage Nr.2 zu dieser Botschaft abgedruckten Schreiben vom S.Mai 1957 bestimmte Zusagen in bezug auf einen Verzicht auf die Stauung von Praspöl abgegeben. Unter der Voraussetzung, dass das vorliegende Abkommen mit Italien in Eechtskraft erwächst, und auch im übrigen der rechtliche Weg für die Nutzbarmachung des Spöl offensteht, hat sich die Kraftwerksgesellschaft verpflichtet, die Lösung mit dem Ausgleichsbecken Ova Spin zu verwirklichen. Der Bundesrat wird die Gesellschaft bei dieser Zusage behaften.

fc. Erweiterung des N a t i o n a l p a r k e s Der Verzicht auf den Stausee Praspöl verbunden mit der Verpflichtung der Kraftwerksinteressenten, die Projekte mit dem geringsten Eingriff für den Nationalpark auszuführen (Lösung Ova Spin), bedeutet an sich schon einen namhaften Beitrag zugunsten einer allseitigen Verständigung. Dazu kommt im Sinne eines freiwilligen Entgegenkommens die Bereitschaft einzelner an den Park angrenzender Engadiner Gemeinden, weitere auf ihrem Territorium gelegene, in ihrem Eigentum stehende Grundstücke für Zwecke des Nationalparkes zur Verfügung zu stellen. In Betracht kommen insbesondere die linke Talseite des Val Trupchun auf Gebiet der Gemeinde S-chanf, die Alpen Buffalora oder Ivraina auf Gebiet der Gemeinde Zernez und die heutige Beservation im S-charl-Tal auf Gebiet der Gemeinde Scuol/Schuls. Bezüglich der S-charlEeservation ist besonders hervorzuheben, dass diese heute immer noch auf einem 25jährigen auf
1962 kündbaren Pachtvertrag beruht, welcher zwischen der Gemeinde Scuol/ Schuls und dem Schweizerischen Bund für Naturschutz abgeschlossen wurde.

Die rechtliche Grundlage dieser Eeservation ist somit nicht die gleiche wie die der übrigen Parkgebiete, obwohl es sich um ein Gebiet handelt, das von jeher als eines der wertvollsten für Zwecke des Nationalparkes begehrt wurde. Das bisher unerfüllt gebliebene Postulat, dieses Gebiet zum Gegenstand eines dem Bundesbeschluss von 1914 entsprechenden Dienstbarkeitsvertrages zu machen, könnte nun endlich realisiert werden.

Seitens der beteiligten Gemeinden liegen bereits verbindliche, schriftliche Zusagen zugunsten dieser bedeutenden und wertvollen Parkerweiterungen vor

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(vgl. Beilagen 8-6). Letztere finden die Unterstützung des Kantons (vgl. Beilage 7) und der Eidgenössischen Nationalparkkommission. Voraussetzung für die Erfüllung dieser Zusagen ist aber, dass der vorgesehenen Nutzung .von Inn und Spöl mit dem Speicherwerk Livigno keine Opposition gemacht wird. Unter der gleichen Voraussetzung haben sich die Gemeinden bereit erklärt, die Nutzung mit einem Stausee Praspöl durch eine solche mit dem Ausgleichsbecken Ova Spin ersetzen zu lassen.

Die in Frage stehende Parkerweiterung kann min aber nicht mehr auf Grund des Bundesbeschlusses vom S.April 1914 finanziert werden, da die in Artikel 3, Absatz 3, desselben für die Entschädigung an die Grundeigentümer zur Verfügung gestellten Kredite bereits voll in Anspruch genommen sind. Sobald die neuen Dienstbarkeitsverträge mit den Gemeinden betreffend die Angliederung neuer Gebiete an den Nationalpark abgeschlossen sein werden, wird der Bundesrat daher den eidgenössischen Bäten mit einer besonderen Botschaft, unter Beifügung dieser Vertragstexte, einen Entwurf für einen neuen Bundesbeschluss betreffend den Nationalpark unterbreiten. Durch diesen Bundesbeschluss sollen der Bundesrat zur Genehmigung dieser Dienstbarkeitsverträge, ermächtigt, die Mittel für die jährliche Entschädigung der Grundeigentümer der zum Nationalpark neu hinzukommenden Gebiete bewilligt und im übrigen die Bestimmungen des Bundesbeschlusses vom S.April 1914 bestätigt werden.

3. Wasserkraftnutzung und Nationalpark Als vor etwa zehn Jahren die Frage zur Diskussion und der Bundesrat vor der Entscheidung stand, ob mit Italien Verhandlungen über eine gemeinsame Nutzbarmachung. der Wasserkraft des · Spöl aufzunehmen seien, wurde aus Nationalpark- und Naturschutzkreisen heraus die Möglichkeit eines Nebeneinander von Nationalpark und Wasserkraftnutzung verneint und erklärt, es gäbe nur ein «Entweder-Oder». Eine Entscheidung in diesem Sinne würde jedoch der rechtlichen Situation nicht entsprechen, indem nicht nur der Bundesbeschluss von 1914 über die Errichtung des schweizerischen Nationalparkes mit den zahlreichen Parkverträgen vollzogen werden wollen, sondern ebenso Artikel 246is der Bundesverfassung mit dem eidgenössischen Wasserrechtsgesetz. Die rechtliche Situation spricht vielmehr dafür, den Weg einer den Nationalparkinteressen besser dienenden,
freiwilligen Verständigung mit allen Beteiligten zu suchen.

Heute, wo der Gedanke einer gütlichen Verständigung konkrete Formen angenommen hat, wäre es nicht zu verantworten, auf eine konstruktive Lösung zu verzichten.

Der Nationalpark war von Anfang an ein Verständigungswerk zwischen Bund, Kanton, Gemeinden, Naturforschender Gesellschaft und Bund für Naturschutz. Er wurde von seinen Gründern als solches konzipiert, geschaffen, erweitert und gepflegt. Es heisst daher der Tradition treu bleiben, wenn heute die Nachfolger das ererbte Gut auf dem Wege einer neuen Verständigung erhalten, erweitern und stärken wollen.

25 Eine Wasserkraftnutzung im Rahmen der dargestellten Verständigungslösung bliebe unter dem von der Eidgenossenschaft im Nachtragsvertrag von 1920 zugebilligten Mass und würde in bezug auf den Park schon allein eine Verbesserung gegenüber diesem Vertrag darstellen. Diese Nutzung würde sich auf einen im Verhältnis zur Grosse des Nationalparkes sehr kleinen Raum beschränken. Vom bundesrechtlichen Gesichtspunkt der rationellen Nutzbarmachung der Wasserkräfte aus bedeutet der Verzicht auf den Stausee Praspöl eine.Einbusse an Speichervolumen, was angesichts der immer weniger verfügbaren Speichermöglichkeiten nicht selbstverständlich ist. Mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse lässt es sich aber hier verantworten, eine solche Konzession zu machen.

Der Ausbau der Engadiner Wasserkräfte stellt eine auf die Dauer wirksame Massnahme im Sinne einer Hilfe an die Gebirgsbevölkerung dieses entlegenen Landesteiles dar. Bau, Betrieb und Unterhalt der Werke bringen eine wichtige wirtschaftliche Belebung, ohne dass, auf die Dauer gesehen, eine Überfremdung eintreten würde.

Für die Volkswirtschaft des Kantons Graubünden und für die gesamtschweizerische Volkswirtschaft stellt der Ausbau von Inn und Seitenbächen mit einer Energieproduktion von jährlich rund 1,5 Milliarden kWTi einen wichtigen Faktor dar.

.· Wie der Bundesrat in seiner Botschaft vom 26. April 1957 zum Verfassungsartikel über Atomenergie betont hat, bedarf es grösster Anstrengungen im Ausbau unserer Wasserkräfte, «die mit allen Mitteln zu unterstützen sind» (BEI 1957,1,1148). Der Ausbau der Wasserkräfte von Inn und Seitenbächen vermag einen wichtigen Beitrag für die Sicherung einer genügenden Energieversorgung unseres Landes zu liefern. Die Wasserkräfte werden auch in Zukunft ihren Wert behalten, wobei Speicherbecken noch eine erhöhte Bedeutung erhalten dürften.

In den kommenden Zeiten, bis Energie aus Atomkraftwerken in genügender Weise zur Deckung des weiteren Bedarfes zur Verfügung stehen wird, dürfte ferner die Schweiz auch sehr auf eine Zusammenarbeit mit andern europäischen Staaten angewiesen sein, obwohl ein Energiebezug aus diesen Ländern wegen der dortigen Bedürfnisse nur innerhalb bestimmter Grenzen und zu wohl relativ hohen Preisen möglich sein wird. An der 5.Weltkraftkonferenz vom. Juni 1956 ist in Übereinstimmung mit dem Bericht
vom Mai 1956 ainer Expertengruppe des Europäischen Wirtschaftsrates in Paris (OECE) «L'Europe face à ses besoins croissants en énergie» eindeutig zum Ausdruck gekommen, dass die erforderliche Intensivierung der Anstrengungen zur Nutzbarmachung der Wasserkräfte der gemeinsamen Arbeit und der gegenseitigen Hilfe aller Beteiligten bedürfe. Die Schlussfolgerungen des Berichtes sind vom Ministerrat der OECE am 18. Juli 1956 im Prinzip als Grundlage für die zukünftigen Aufgaben der OECE auf dem Gebiete der Energie genehmigt worden. Die vorgesehene Wasserkraftnutzung stellt also,.besonders auch in bezug auf die unterliegenden Staaten Österreich und Deutschland, einen Akt der Solidarität dar. Die Schweiz hat übrigens auch

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noch andere wichtige wasserwirtschaftliche Aufgaben mit Italien zu einem guten Ende zu führen, wir denken z.B. an den Bau und Betrieb des für die Schweiz so bedeutsamen Grenzkraftwerkes Val di Lei-Innerferrera und an die Probleme der Eegulierung des Lüganersees und des Langensees.

Unter den obwaltenden Umständen stellt die vorgesehene konstruktive Lösung in jeder Hinsicht das Maximum des Erreichbaren dar. Die am Nationalpark interessierten Engadiner Gemeinden und der Kanton hätten die Genugtuung, dass der Ausbau ihrer Wasserkräfte auf gütlichem Wege zustande kommt.

Das für die Zukunft des Nationalparkes notwendige, freundschaftliche Einvernehmen wäre wieder gesichert, und die am Nationalpark interessierten Wissenschafter könnten sich wiederum ganz den Parkzwecken widmen. Allererste Voraussetzung dafür, dass das Verständigungswerk zustande kommt, ist, dass das schweizerisch/italienische Abkommen über die Nutzbarmachung der Wasser kraft des Spöl ratifiziert wird. Wir empfehlen Ihnen daher die Genehmigung des Abkommens gemäss dem beiliegenden Beschlussesentwurf.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 28. Juni 1957.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der V i z e p r ä s i d e n t : Holenstein Der Bundeskanzler: Ch. Oser

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(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik abgeschlossenen Abkommens über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Spöl

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, , gestützt auf Artikel 85, Ziffer 5, der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 28. Juni 1957, beschliesst:

Art. l Das am 27.Mai 1957 zwischen der Schweiz und Italien abgeschlossene Abkommen über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Spöl wird genehmigt.

Der Bundesrat wird ermächtigt, es zu ratifizieren.

Art. 2 Dieser Beschluss untersteht den Bestimmungen von Artikel 89, Absatz 3, der Bundesverfassung betreffend die Unterstellung der Staatsverträge unter das Eeferendum.

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28 Übersetzung aus den französischen und italienischen Originaltexten

Abkommen zwischen

der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des SpÖl

Die Schweizerische Eidgenossenschaft

und die Italienische Republik, in der Meinung, dass an der Ausnützung des Spöl ein überwiegendes Interesse im Hinblick auf die Entwicklung der Hilfsmittel beider Länder zur Erzeugung elektrischer Energie und die Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Wirtschaften besteht, in Anbetracht, dass die Ableitung eines Teils dieses Gewässers nach dem italienischen Plussgebiet der Adda, gemäss dem italienischen Vorschlag einerseits, und die Schaffung des Staubeckens von Livigno, gemäss dem schweizerischen Vorschlag anderseits, zwei Arten der Nutzbarmachung der Wasserkraft von Gewässerstrecken darstellen, welche oben in Italien und unten in der Schweiz liegen, haben anerkannt, dass jeder der beiden Staaten Anrecht auf einen Teil der Wasserkraft im Verhältnis zum Gefalle und zu den natürlichen Zuflüssen hat, welche ihm in diesen Strecken zukommen, und dass ihre Nutzbarmachung in zwei verschiedenen Systemen Gegenstand von in gegenseitigem Einvernehmen zu treffenden Entscheidungen bilden soll, wobei den sich gegenüberstehenden Interessen und den voneinander abweichenden Gesetzgebungen Eechnung zu tragen ist.

Sie haben infolgedessen vereinbart, dass beide Staaten dafür besorgt sein sollen, im gegenseitigen Einverständnis den italienischen und den schweizerischen Bewerbern die zur Ausnützung der Wasserkraft erforderlichen Wasserrechtsverleihungen zu erteilen, die Wasserkraftanteile festzusetzen, auf die jeder der beiden Staaten in den beiden Nutzungssystemen Anrecht hat, und alsdann auf dieser Basis einen Abtausch der entsprechenden elektrischen Leistung und Energie vorzunehmen, so dass die Werkbesitzer über die letzteren möglichst so verfügen können, wie wenn die nutzbar gemachte Wasserkraft der Hoheit eines und desselben Staates unterstehen würde.

29 Zu diesem Zweck sind sie übereingekommen, ein internationales Abkommen abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat: Herrn Bundesrat Dr. Max Petitpierre, Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departementes; Der Präsident der Italienischen Republik : Seine Exzellenz Herrn Maurilio Coppini, ausserordentlicher und bevollmächtigter Botschafter Italiens in der Schweiz.

Diese haben nach Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten folgendes vereinbart : I. Ableitung nach dem Flussgebiet der Adda Artikel l Die schweizerische Regierung stimmt zu, dass die italienische Regierung das Recht verleiht, einen Teil des natürlichen Abflusses des vom italienischen nach döm schweizerischen Territorium übertretenden Spöl abzuleiten und die entsprechende Wasserkraft im italienischen Elussgebiet der Adda zu nutzen, und zwar geniäss den im vorliegenden Abkommen festgesetzten Bedingungen und der von der schweizerischen Regierung zu erteilenden ergänzenden Verleihung, deren Gegenstand der schweizerische Wasserkraftanteil sein .wird.

Artikels Die. Erteilung und etwaige Übertragung der ergänzenden schweizerischen Verleihung erfolgt zugunsten des von der italienischen Regierung bezeichneten Beliehenen.

Artikel 3 Der Beliehene wird im Einzugsgebiet des oberen Spöl, oberhalb der Kote 1960 (I. G.M. [s.m.m.]), ein Überleitungssystem errichten, durch welches die natürlichen Zuflüsse einer Fläche von maximal 105 km2 gesammelt, und durch Schwerkraft in die Speicherbecken von San Giacomo und Cancano im Val di Fraele im oberen Veltlin übergeleitet werden können. Die so abgeleitete Wassermenge soll durchschnittlich 97 Millionen Kubikmeter im Jahr nicht wesentlich überschreiten.

Das so von seinem natürlichen Lauf abgeleitete Wasser wird, im Kraftwerk von Premadio, bei Bormio an der Adda, genutzt.

Es besteht Einverständnis darüber, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft gegenüber der Italienischen Republik keine Verpflichtung übernimmt, die Verluste < an Wasser und elektrischer Energie auszugleichen, die im Falle mangelhaften Funktionierens der Fassungs- und Überleitungsanlagen oder aus irgendeinem anderen Grunde eintreten könnten.

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Artikel 4 Unter Berücksichtigung der Ableitung von 97 Millionen Kubikmeter Wasser nach der Adda und des in der Schweiz unterhalb «Punt dal Gali» verfügbaren Gefälles wird vereinbart, dass der auf die Schweiz entfallende Wasserkraftanteil durchschnittlich 26 850 Bruttopferdekräfte beträgt.

Entsprechend diesem Anteil hat die Schweiz Anrecht auf eine im Kraftwerk Premadio erzeugbare Menge elektrischer Energie sowie auf einen Teil der in diesem Werk verfügbaren Leistung. Die so auf die Schweiz entfallende Energie und Leistung werden auf jährlich 128 Millionen Kilowattstunden bzw. auf 64 000 Kilowatt festgesetzt. Die Schweizerische Eidgenossenschaft kann darüber in jeder ihr nützlich erscheinenden Form und unter beliebigen Bedingungen verfügen.

Die auf die Schweiz entfallende und ihr abgegebene elektrische Energie und Leistung gemessen von Seiten der Italienischen Eepublik Freiheit von allen Gebühren, Abgaben oder öffentlichrechtlichen Beschränkungen irgendwelcher Art, so dass die Energie frei nach der Schweiz hinübergeleitet werden kann und in jeder Beziehung gleichgestellt ist, wie wenn sie auf schweizerischem Gebiet erzeugt worden wäre. Auf italienischem Gebiet bleibt jedoch für die Erstellung, den Betrieb und den Unterhalt der für die Überleitung der der Schweiz zukommenden elektrischen Energie dienenden elektrischen Anlagen die einschlägige italienische Gesetzgebung anwendbar.

Die auf die Schweiz entfallende elektrische Energie und Leistung können ausserhalb ihres Gebietes nur gemäss den geltenden schweizerischen Vorschriften über die Ausfuhr elektrischer Energie verwendet werden. Es besteht Einverständnis darüber, dass die schweizerische Eegierung einer Verwendung in Italien des Teiles dieser Energie, welcher der nach Artikel 10 des vorliegenden Abkommens auf Italien entfallenden Menge entspricht, keine Hindernisse in den Weg legen wird, insofern die italienische Regierung dafür die Bewilligung erteilt, jene Menge in der Schweiz zu verwenden.

II. Speicherung von Livigno Artikel 5 Das Eecht, die Wasserkraft des Spöl durch Schaffung eines Speicherbeckens im Val di Livigno und Val del Gallo nutzbar zu machen, wird für das Gebiet jedes der beiden vertragschliessenden Staaten durch ihre zuständigen Behörden verliehen.

Artikel 6 Die italienische Verleihung wird dem von der schweizerischen Eegierung
bezeichneten Beliehenen erteilt. Sie wird den italienischen Teil der Gewässerstrecken zum Gegenstand haben, deren Wassermengen und Gefalle im Speicherwerk Livigno nutzbar gemacht werden.

31 Bei einem Wechsel in der Person des Inhabers der schweizerischen Verleihung wird die italienische Regierung die italienische Verleihung auf den von der schweizerischen Begierung bezeichneten neuen Inhaber übertragen.

Artikel 7 Der Beliehene der beiden vertragschliessenden Staaten wird beim Zusammenfluss des Spöl und der Ova dal Gali, ausserhalb der Grenze des schweizerischen Nationalparkes, eine Staumauer errichten, welche eine Stauung bis auf Kote 1808 im Maximum (LG.M. [s.m.m.]) ermöglicht, so dass ein Nutzinhalt von rund 180 Millionen Kubikmeter erreicht wird.

Das Speicherbecken wird durch das nach der Ableitung gemäss Kapitel I des vorliegenden Abkommens verbleibende, natürlich zufliessende sowie durch das mittels Pumpanlagen zugeführte Wasser gespiesen.

Artikel 8 Die Staumauer soll hinsichtlich ihrer Konstruktion ein Maximum an Sicher heit für die Schweiz, gemäss deren geltenden Vorschriften bieten. Sie soll so gebaut werden, dass ausreichende Abflussmöglichkeiten bestehen, damit die Hochwasser jederzeit abfliessen können, ohne die im vorhergehenden Artikel festgesetzte Kote zu überschreiten.

Der Standort der Zentrale soll entweder im schweizerischen Verleihungsakt oder dann bei der Genehmigung der Baupläne festgesetzt werden.

Artikel 9 Der durch die schweizerische Eegierung bezeichnete Beliehene hat auf italienischem Gebiet die für die Errichtung und den Betrieb des Speicherbeckens Livigno notwendigen Grundstücke und Rechte Dritter gemäss den Vorschriften des italienischen Eechts zu erwerben. Die italienische Eegierung wird dem Beliehenen zu diesem Zweck das Enteignungsrecht gewähren.

Es besteht Einverständnis darüber, dass der Beliehene verpflichtet werden soll, das italienische Zollgebäude von Ponte del Gallo zu ersetzen und die durch die Staumauer und das Speicherbecken unterbrochenen Verbindungswege wieder herzustellen.

Die schweizerische Eegierung behält sich das Recht vor, dem Beliehenen die zum Schutze des schweizerischen Nationalparkes erforderlichen Verpflichtungen aufzuerlegen.

Artikel 10 Unter Berücksichtigung der Wassermengen und des Gefälles, welche auf den Gebieten der beiden Staaten nutzbar sind, wird vereinbart, dass der auf Italien entfallende Anteil an der im Speicherwerk Livigno nutzbar gemachten Wasserkraft durchschnittlich 8750 Bruttopferdekräfte beträgt.

32 Entsprechend diesem Anteil hat Italien Anrecht auf eine im Speicherwerk Livigno erzeugbare Menge elektrischer Energie sowie auf einen Teil der in diesem Werk verfügbaren Leistung. Die so auf Italien entfallende Energie und Leistung werden auf jährlich 36,5 Millionen Kilowattstunden bzw. auf 18 250 Kilowatt festgesetzt. Die Italienische Bepublik kann darüber in jeder ihr nützlich erscheinenden Forni und unter beliebigen Bedingungen verfügen.

Die auf Italien entfallende und ihm abgegebene elektrische Energie und Leistung gemessen von Seiten der Schweizerischen Eidgenossenschaft Freiheit von allen Gebühren, Abgaben oder öffentlichrechtlichen Beschränkungen irgendwelcher Art, so dass'die Energie frei nach Italien hinübergeleitet werden kann und in jeder Beziehung gleichgestellt ist, wie wenn sie auf italienischem Gebiet erzeugt worden wäre. Auf schweizerischem Gebiet bleibt jedoch für die Erstellung, den Betrieb und den Unterhalt der für die Überleitung der Italien zukommenden elektrischen Energie dienenden elektrischen Anlagen die einschlägige schweizerische Gesetzgebung anwendbar.

Die auf Italien entfallende elektrische Energie und Leistung können ausserhalb seines Gebietes nur gemäss den geltenden italienischen Vorschriften über die Ausfuhr elektrischer Energie verwendet werden". Es besteht Einverständnis darüber, dass die italienische Eegierung der Verwendung dieser Energie in der Schweiz keine Hindernisse in den Weg legen wird, wenn die schweizerische Eegierung die Bewilligung erteilt, einen entsprechenden Teil der auf die Schweiz gemäss Artikel 4 des vorliegenden Abkommens entfallenden Energie in Italien zu verwenden.

III. Gemeinsame Bestimmungen Artikel 11 Die generellen Ausbaupläne sowie die Bauprojekte der Kraftwerksanlagen sind durch die Beliehenen aufzustellen.

Sie sind mit allen erforderlichen Unterlagen den Regierungen der beiden vertragschliessenden Staaten zu unterbreiten und dürfen erst zur Ausführung gelangen, wenn die zuständigen Behörden der beiden Staaten sich über ihre Genehmigung verständigt haben.

Alle Kraftwerkanlagen sind von den Beliehenen zu betreiben und zu unterhalten.

Artikel 12 Die Eegierungen der beiden vertragschliessenden Staaten werden einander von ihren Entschliessungen in bezug auf die Verleihungsurkunde in Kenntnis setzen; diese' werden nur dann
Eechtswirksamkeit erlangen, wenn die beiden Eegierungen ihr Einverständnis mit den aufgestellten Bedingungen erklärt haben. Diese letzteren sollen in allen Punkten übereinstimmen, wo dies notwendig ist. Sie können von den Bestimmungen der nationalen Gesetzgebung abweichen, insofern bei deren Anwendung die Verleihungsurkunden nicht in Übereinstimmung gebracht werden können.

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Die Verleihungen werden am 31. Dezember des achtzigsten Jahres nach dem Zeitpunkt ablaufen, der in den ' Verleihungsurkunden für die. Inbetriebsetzung der Kraftwerkanlagen festgesetzt wird. Die Beliehenen werden während der ganzen Verleihungsdauer einen Gerichtsstand in jedem der beiden vertragschliessenden Staaten haben.

Eine nachträgliche Beschränkung oder der Rückzug einer der Verleihungen können nur nach vorheriger Verständigung zwischen den beiden Re. gierungen beschlossen werden.

Artikel 13 Die beiden vertragschliessenden Staaten verpflichten sich, im Eahmen ihrer betreffenden Gesetzgebungen, den Bau und den Betrieb der projektierten Kraftwerkanlagen möglichst zu erleichtern und zu diesem Zweck.die nötigen Anordnungen zu treffen, insbesondere hinsichtlich des Zolles, der Ein- und Ausfuhr von Baumaterialien, der Finanzierung und des Zahlungsverkehrs.

Die Bestimmungen des vorliegenden Abkommens beziehen sich nicht auf die direkten Staats- und Gemeindesteuern.

Im Falle einer Doppelbesteuerung werden sich die italienischen und schweizerischen Behörden im Hinblick auf den Abschluss eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung konsultieren.

Artikel 14 Bei Nichtvollendung der Kraftwerkanlagen, bei Betriebsunterbrechung oder bei Vorliegen eines andern in den Verleihungsurkunden erwähnten Verwirkungsgrundes werden die Regierungen der beiden vertragschliessenden Staaten im gegenseitigen Einvernehmen diejenigen Masshahmen treffen, die sie als für die Sachlage und gegebenenfalls für die Erteilung von neuen Verleihungen am zweckmässigsten erachten.

Artikel 15 Zehn Jahre vor Ablauf der Verleihungsdauer werden die beiden Regierungen Verhandlungen aufnehmen, um sich darüber zu verständigen: a. ob die Verleihungen erneuert werden sollen und unter welchen Bedingungen; b. ob und unter welchen Bedingungen jeder der beiden Staaten von seinem Heimfallsrecht Gebrauch machen soll; c. ob mit dem Ablauf der Verleihungsdauer der Betrieb der Kraftwerkanlagen aufhören soll.

In den unter a und b des ersten Absatzes genannten Fällen sollen .die auf die Schweiz und Italien entfallenden Wasserkraftanteile entsprechend den in den Artikeln 4 und 10 des vorliegenden Abkommens angegebenen Grossen beibehalten werden, und die Bedingungen für die neuen zu treffenden Regelungen Bundesblatt. 109. Jahrg. Bd. II.

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sollen so festgesetzt werden, dass den beiden Staaten die Vorteile derselben im gleichen Masse gewährleistet sind.

Das Heimfallsrecht jedes Staates erstreckt sich auf die auf seinem eigenen Gebiet gelegenen Anlagen.

Artikel 16 Die beiden Regierungen behalten sich vor, für die Bauzeit eine Aufsichtskommission von vier Mitgliedern einzusetzen, wovon zwei Mitglieder durch die schweizerische und zwei durch die italienische Regierung bezeichnet werden sollen.

Diese Kommission hat die Ausführung der Bauarbeiten zu überwachen und ihre Wahrnehmungen in Form von Berichten den zuständigen schweizerischen und italienischen Behörden zu unterbreiten.

Artikel 17 Während der Betriebszeit wird die Aufsicht nach Massgabe der Verleihungsurkunden ausgeübt. Jede Regierung wird den mit der Aufsicht betrauten Beamten des andern Staates sowie dem Personal des Beliehenen alle Erleichterungen zur Erfüllung ihrer Aufgabe gewähren. Die Namen dieser Beamten sind gegenseitig bekanntzugeben.

Artikel 18 Allfällige Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Regierungen über die Anwendung oder Auslegung des vorliegenden Abkommens oder einer der beiden in diesem Abkommen genannten Verleihungen sind, sofern sie nicht innert einer angemessenen Frist auf diplomatischem Weg oder auf andere gütliche Art erledigt werden können, einem Schiedsgericht zu unterbreiten, dessen Spruch verbindlich ist.

Dieses Schiedsgericht soll aus zwei Mitgliedern und einem Obmann zusammengesetzt sein. Jede der beiden Regierungen wird ein Mitglied wählen.

Der Obmann, der kein Angehöriger eines der beiden Staaten sein darf, wird von beiden Regierungen im gemeinsamen Einverständnis bezeichnet.

Findet die gemeinsame Bezeichnung des Obmannes nicht innert sechs Monaten, nachdem eine der beiden Regierungen die schiedsgerichtliche Erledigung des Streitfalles vorgeschlagen hat, statt, so soll diese Bezeichnung in analoger Anwendung des in Artikel 45, Absätze 4 ff., des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907 zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vorgesehenen Verfahrens erfolgen.

Jede Streitigkeit, die zwischen den. beiden Regierungen wegen der Auslegung und der Ausführung des Schiedsspruches entsteht, unterliegt der Beurteilung des Schiedsgerichtes, das den Spruch erlassen hat.

Es besteht Einverständnis darüber, dass der vorliegende Artikel auf jeden Streitfall anwendbar sein wird, der nach Ansicht der einen der beiden Regie-

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rangen die Anwendung oder die Auslegung des Abkommens oder einer der beiden in diesem Abkommen genannten Verleihungen oder die Ausführung des Schiedsspruches betreffen -würde.

Artikel 19 Die Bestimmungen des vorliegenden Abkommens bleiben auch in Kriegszeiteri in Kraft.

: : Artikel 20 , Das vorliegende Abkommen wird ratifiziert, und die Ratifikationsurkunden werden in Bora ausgetauscht. Es tritt am Tage des Austausches der Ratifikationsurkunden in Kraft.

Zur Beurkundung dessen haben die Bevollmächtigten der beiden Staaten das vorliegende Abkommen unterzeichnet und dasselbe mit ihren Siegeln versehen.

: .

Geschehen zu Bern am 27.Mai 1957, in zwei Originalexemplaren in französischer und italienischer Sprache, wobei beide Texte in gleicher Weise verbindlich sind.

Für die Schweizerische Eidgenossenschaft : (gez.) Max Petitpierre

Für die Italienische Republik: (gßz.) Maurjlio Coppini

36 Übersetzung aus den französischen und italienischen Originaltexten

Zusatzprotokoll zum

Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Spöl Zur Gewährleistung der gehörigen Durchführung der Bestimmungen der Artikel 4 und 10 des unter dem heutigen Datum abgeschlossenen Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Eepublik über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Spöl haben die hohen vertragschliessenden Parteien folgendes erklärt : I.

Die italienische Regierung erteilt zugunsten des Inhabers der Verleihung für das Speicherwerk Li vigno die Bewilligung, die gemäss Artikel 10, Absatz 2, des genannten Abkommens auf Italien entfallende elektrische Energie und Leistung während der ganzen Verleihungsdauer in der Schweiz zu verwenden.

Dafür erteilt die schweizerische Eegierung zugunsten des Inhabers der Verleihung für die Wasserableitung nach der Adda (Kraftwerk Premadio) die Bewilligung, einen entsprechenden Teil der gemäss Artikel 4, Absatz 2, des genannten Abkommens auf die Schweiz entfallenden elektrischen Energie und Leistung -während der ganzen Verleihungsdauer in Italien zu verwenden.

Im Eahmen dieses Abtausches verzichten die beiden Staaten darauf, irgendwelche Ein- oder Ausfuhrgebühren oder -abgaben zu erheben.

II.

Unter Berücksichtigung des in Ziffer I vorgesehenen Abtausches und unter Vorbehalt einer Berichtigung auf Grund der ausgeführten Kraftwerkanlagen verbleibt im Kraftwerk Premadio eine Restquote von 91,5 Millionen Kilowattstunden jährlich und von 45 750 Kilowatt zugunsten der Schweiz. Der Beliehene dieses Kraftwerkes hat diese Energiemenge und diese Leistung dem Beliehenen des Speicherwerkes Livigno gegen Bezahlung des Gestehungspreises der im Kraftwerk Premadio erzeugten Kilowattstunde zur Verfügung zu stellen.

Falls der Beliehene des Speicherwerkes Livigno nicht innert Jahresfrist, vom Datum des Inkrafttretens der schweizerischen Verleihung für die Wasserableitung nach dem Mussgebiet der Adda an gerechnet, vom Recht Gebrauch

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macht, diese Energie und diese Leistung ganz oder teilweise zu beziehen, wird die schweizerische Eegierung dem Belieheneii des Kraftwerkes Premadio auf sein Gesuch hin eine Bewilligung erteilen, die oben angegebene Bestquote in Italien zu verwenden.

Die Schweizerische Eidgenossenschaft wird die vorgenannte Bewilligung nicht von der Bezahlung eines höheren Geldbetrages abhängig machen als im Falle von Ausfuhr elektrischer Energie.

Eine erste Bewilligung wird gegebenenfalls für die Dauer von 20 Jahren erteilt.

III.

Die Bestimmungen des vorliegenden Zusatzprotokolles betreffen nicht die direkten Steuern.

IV.

Die Bestimmungen des Abkommens und des vorliegenden Zusatzprotokolles können nicht in dem Sinne ausgelegt werden: - dass die schweizerische Eegierung das Eecht hat, Steuern, Gebühren und Abgaben fiskalischer Natur auf der auf die Schweiz entfallenden elektrischen Energie und Leistung zu erheben, welche in Italien erzeugt und verwendet wird, ausgenommen die Leistungen, welche in der Verleihungsurkunde festgesetzt werden; - dass die italienische Eegierung das Eecht hat, Steuern, Gebühren und Ab gaben fiskalischer Natur auf der auf Italien entfallenden elektrischen Energie und Leistung zu erheben, welche in der Schweiz erzeugt und verwendet wird, ausgenommen die Leistungen, welche in der Verleihungsurkunde festgesetzt werden.

Geschehen zu Bern am 27.Mai 1957, in zwei Originalexemplaren in französischer und italienischer Sprache, wobei beide Texte in gleicher Weise verbindlich sind.

: Für die Schweizerische Eidgenossenschaft : (gez.) Max Petüpierre

Für die Italienische Eepublik : (gez-) Maurilio Coppini

38 Beilage l Wasserkraftnutzung des Inn und seiner Seitenbäche

Beschreibung der Projekte (Siehe auch Abbildungen l und 2)

1. Einleitung Der heutige Gesamtausbauplan umfasst drei Gruppen von Projekten bzw.

Kraftwerken, nämlich a. die Projekte der «Engadiner Kraftwerke AG» (EKW) für den kantonalen Ausbau von Inn und Seitenbächen, bestehend aus - dem Kraftwerk S-chanf mit dem Stausee Chamuera, - dem Kraftwerk Pradella mit dem Stausee Praspöl (Obere Innstufe), - dem Kraftwerk Martina (Untere Innstufe), - dem Kraftwerk Tasna an der linken Talseite bei Ardez; b. das Projekt der EKW für den internationalen Ausbau des Spöl (Livignowerk), bestehend vor allem aus dem Stausee Livigno und der Zentrale Punt dal Gali; c. das Projekt der {(Azienda elettrica municipale di Milano» (AEM) für den italienischen Ausbau des Spöl, bestehend aus den Anlagen, die zur Überleitung des Wassers aus dem Gebiet des sogenannten «alto Spöl» in das Mussgebiet der Adda sowie zur Speicherung und Nutzung dieses Wassers daselbst erforderlich sind.

2. Der kantonale Ausbau a. Das Speicherwerk S-chanf mit dem Stausee Chamuera nutzt das Wasser des Baches aus dem Val Chamuera und dessen Zuflusses aus dem Val Burdun.

Im Val Chamuera bietet sich ca. 400 m talabwärts der Einmündung des Val Lavirun eine Speichermöglichkeit durch Erstellung einer Bogenmauer mit einer Höhe über der heutigen Talsohle von ca. 120 m. Der Nutzinhalt des Stausees beträgt 55 Mio m3, was in einem Durchschnittsjahr gerade die Speicherung des ganzen Sommerzuflusses erlaubt. Staukote 2093 m ü.M. 1 ). Der wenig oberhalb der Staumauer beginnende Druckstollen (Ausbauwassermenge 11,5 m3/sec) führt zum Wasserschloss, von welchem ein Druckschacht das Wasser zu der östlich von S-chanf im Freien gelegenen Zentrale leitet. Die Wasserrückgabe erfolgt auf ca. Kote 1690 m ü.M. direkt in den Ereispiegelstollen S-chanfPraspöl des Kraftwerkes Pradella.

1

) Alle Koten im Text und in den Abbildungen beziehen sich auf den neuen

schweizerischen Horizont E. P. N. 373,600.

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Die energiewirtschaftlichen Daten sind unter Ziffer 6 hiernach zusammengestellt.

b. Das Kraftwerk Pradella mit dem Stausee Praspöl (Obere Innstufe) nutzt das Wasser aus einem totalen Einzugsgebiet von 1171,6 km2 (nach:Abzug von 104,8 km2 infolge der Ableitungen aus dem Gebiet des «alto Spöl»). Gefasst werden auf der linken Talseite des Inn die Bäche aus dem Val Barlas-ch, Val Puntuta und Val Susauna, dann der Inn bei S-chanf, das aus der Zentrale S-chanf fliessende Wasser, dann auf der rechten Talseite die Ova da Varusch aus dem Val Trupchun, der Bach des Val Tantermozza, der Spöl, die Bäche des Val Sampuoir, Val Plavna, Val S-charl, Val Mingèr und Val d'Uina. Von den Fassungen auf der rechten Talseite des Inn liegt keine innerhalb des eigentlichen Nationalparkes, dagegen eine (Val Mingèr) innerhalb der S-charl-Beservation. Von einer Fassung im Val Cluozza wird mit Bücksicht auf den Nationalpark vollständig abgesehen.

Die Fassung des Inn erfolgt mittels eines Wehres ca. 500 m unterhalb der steinernen Brücke bei S-chanf auf Kote 1652 m ü.M. Den genauen Standort dieses Wehres werden Modellversuche ergeben. Es werden maximal 32 m3/sec Wasser gefasst. Es schhesst ein kleines Ausgleichbecken an, von welchem das Wasser mittels einer Pumpanlage auf Kote 1688 m ü.M. gefördert werden muss, damit es hierauf, vereinigt mit dem aus der Zentrale S-chanf rückgegebenen und dem unterwegs zugeleiteten Wasser mit natürlichem Gefalle in einem Freispiegelstollen (Ausbauwasserrnenge 44 m3/sec) dem Stausee Praspöl zufliessen kann.

In bezug auf die Bestwasserführung des Inn unterhalb der Fassung S-chanf ist folgendes zu sagen: In den Sommermonaten wird eine ansehnliche nicht ausnutzbare Restwassermenge über das Wehr und im Inn talwärts fliessen; im Winter, wo praktisch alles Wasser gefasst werden könnte, wird eine minimale, mit den zuständigen Behörden noch festzulegende Dotationswassermenge im Fluss zu belassen sein.

.

In der engen Spölschlucht, ca. 1400 m unterhalb der Einmündung der Ova Spin (s. Abbildung 2), wird eine linksufrige innerhalb, rechtsufrig àusserhalb des Nationalparkes gelegene Bogenniauer von ca. 100 m Höhe und ca. 160 m Kronenlänge erstellt ; sie ist von der Ofenpaßstrasse aus praktisch kaum sichtbar. Der dadurch geschaffene Stausee Praspöl mit Staukote 1668 m ü.M. hat einen Nutzinhalt von 28 Mio
m3. Er reicht bis ca. 1,1 km an die Landesgrenze heran; seine Oberfläche bei Vollstau beträgt cà. 1,20 km2, wovon ca. 83 Prozent auf Parkgebiet entfallen. Nach dem Bau der Stauseen Livigno und Chamuera oder einem derselben wird der Stausee Praspöl während 10-11 Monaten des Jahres praktisch ganz gefüllt sein, vorher wird er in den Wintermonaten Januar bis März entleert und im Mai wieder gefüllt werden. Die heute bestehenden zwei Spölübergänge im Bereich des Stausees werden gewahrt durch Erstellung neuer Brücken. Der Eingang zum Bau des Freispiegelstollens in Richtung: S-chanf sowie, wie schon erwähnt, der linksufrige Teil der Staumauer Praspöl, liegen innerhalb, der.rechtsufrige Teil der Staumauer und der Driickstolleneingang in Richtung Pradella

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. ausserhalb des Nationalparkes. Die Bauinstallationen werden grösstenteils ausserhalb des Parkgebietes angelegt. Die Deponien für das Aushub- und Ausbruchmaterial der Staumauerwiderlager und der anschliessenden Stollenstrecken werden zum Teil im Staugebiet aufgeschüttet, jedoch so, dass sie auch bei tiefster Absenkung unsichtbar bleiben ; zum andern Teil wird das Material ausserhalb des Parkgebietes in einer Mulde am rechtsseitigen Talhang des Spöl ca.

1000 m unterhalb der Staumauer abgelagert.

Hinsichtlich der Sommer und Winter unterhalb der Staumauer im Spöl zu belassenden Dotationswassermengen gilt sinngemäss das oben für die Wasserfassung S-chanf Gesagte.

Der wenig oberhalb der Staumauer beginnende Druckstollen (Ausbauwassermenge 70 rn3/sec.) leitet das im Stausee Praspöl gesammelte und unterwegs noch gefasste Wasser zum Wasserschloss. Von dort führt eine oberirdisch angelegte Druckleitung zu der südlich des Dorfes Sent, auf der rechten Talseite, im Freien gelegenen Zentrale Pradella hinunter. Die Wasserrückgabe erfolgt auf Kote 1143 m ü. M. in das Ausgleichbecken Pradella des Kraftwerkes Martina.

Die energiewirtschaftlichen Daten sind ebenfalls unter Ziffer 6 hiernach zusammengestellt.

c. Das Kraftwerk Martina (Untere Innstufe) nutzt das Wasser aus einem totalen Einzugsgebiet von 1673,8 km2 (nach Abzug von 104,8 km 2 infolge der Ableitungen aus dem Gebiet des «alto Spöl»). Gefasst werden der Inn, das aus der Zentrale Pradella fliessende Wasser, und auf der rechten Talseite des Inn die Bäche des Val d'Uina und Val d'Assa. Die Fassung des Inn erfolgt mittels eines Wehres ca. 700 m unterhalb des Gehöftes Pradella auf Kote 1143 m ü. M.

Es werden maximal 20 m3/sec Wasser'gefasst. Hinsichtlich der Bestwasserführung bzw. der Dotationswassermenge im Inn unterhalb dieser Fassung gelten sinngemäss die im obenstehenden Abschnitt & für die Innfassung S-chanf gemachten Bemerkungen. Anschliessend an die Fassung im Inn ist ein Ausgleichbecken von 500 000 m3 Inhalt angeordnet, in welches auch die Wasserrückgabe aus der Zentrale Pradella erfolgt. Ein Druckstollen (Ausbauwassermenge 75 m3/sec) führt zum Wasserschloss, an welches 2 parallele Druckschächte anschliessen, die das Wasser zur unterirdischen Zentrale Martina hinunterleiten, welche gegenüber dem gleichnamigen Dorf gelegen ist. Die Wasserrückgabe
erfolgt durch einen kurzen Unterwasserstollen in den Inn auf ca.

1030 m ü.M. dicht bei der Landesgrenze oberhalb der Strassenbrücke.

Auch für dieses Werk sind die energiewirtschaftlichen Daten unter Ziffer 6 hiernach zusammengestellt.

d. Das Kraftwerk Tasna, ein Laufwerk, nutzt das Wasser aus einem totalen Einzugsgebiet von 153,1 km2. Gefasst werden die im Bereich von Susch bis Ardez von der linken Talseite dem Inn zufliessenden 5 Bäche vom Val Susasca bis zum Val Tasna. Ein Freispiegelstollen (Ausbauwassermenge 7,5 m3/sec) sammelt das Wasser der auf einer mittleren Kote von 1745 m ü. M. gefassten

41

Bäche und leitet es zu dem als künstliches Ausgleichbecken ausgeb ildeten, oberhalb Ardez gelegenen Wasserschloss. Anschliessend führt eine oberirdische Druckleitung zu der im Freien bei der Einmündung des Tasnan in den Inn gelegenen Zentrale hinunter. Die Wasserrückgabe erfolgt auf ca. Kote 1236 m ü. M.

in den Inn oder den Tasnan. Von einer energiewirtschaftlich besseren Ausnützung dieser Bäche durch Überleitung in den Druckstollen des Kraftwerkes Pradella ist abgesehen worden, damit dieses Wasser im Gebiet der Heilquellen im Inn belassen wird.

Die energiewirtschaftlichen Daten sind unter Ziffer 6 hiernach zusammengestellt.

3. Der internationale Aus.bau: Das Livignowerk

Gefasst wird der Spöl oberhalb des Nationalparkes durch Erstellung einer Sperre ca. 60 m nach dem bei Punt dal Gali erfolgenden Zusammenfluss von Spöl und Acqua del Gallo. Von einer Fassung der das Nationalparkgebiet durohfliessenden Seitenbäche des Spöl und deren Zuleitung zum Stausee Livigno, wie sie in früheren Projekten, z.B. für die Ova dal Fuorn vorgesehen war, wird mit Rücksicht auf den Nationalpark vollständig abgesehen. Das natürliche Einzugsgebiet an der Sperrstelle beträgt 295 km2, wovon 247 km2 auf italienisches und 48 km2 auf schweizerisches Territorium entfallen. Davon sind jedoch wegen der im schweizerisch-italienischen Abkommen über die Wasserkraftnutzung des Spöl vorgesehenen Wasserableitung aus dem Gebiet des «alto Spöl» nach Italien 104,8 km2 in Abzug zu bringen. Es verbleibt somit für die Zentrale Punt dal Gali total ein ausnutzbares Einzugsgebiet von 190,2 km2.

Die Sperre wird als Bogenmauer ausgebildet mit einer Höhe über Talsohle von ca. 124 m und einer Kronenlänge von ca. 490 m. Sie kommt linksufrig auf italienisches, rechtsufrig auf schweizerisches Gebiet, jedoch ausserhalb des Nationalparkes, zu liegen.

Der so geschaffene Stausee hat einen Nutzinhalt von 180 Mio m3 bei der Staukote 1808 m ü. M. Er gabelt sich bei der Sperre in zwei Arme, deren einer bei Vollstau sich 10 km weit in das Valle di Livigno bis zum gleichnamigen Dorf und der ändere 4,5 km weit in das Val del Gallo hinein erstreckt. Der Stausee liegt zum grössten Teil auf italienischem Territorium.

Von der Wasserfassung direkt oberhalb der Staumauer gelangt das Wasser (Ausbauwassermenge 33 ms/sec) durch einen kurzen Druckschacht zur unterirdischen Zentrale Punt dal Gali in der rechten Talflanke. Die Wasserrückgabe erfolgt durch den anschliessenden Unterwasserstollen in den Stausee Praspöl.

Die Ausmündung dieses Stollens liegt auf Gebiet des Nationalparkes ; sie ist aber, da die Sohle daselbst 8 m unter der Staukote des Praspölstausees liegt, während 10 bis 11 Monaten des Jahres unsichtbar. In der Zentralenkaverne ist auch eine Pumpanlage installiert. Diese ist erforderlich, weil die Sommerzuflüsse aus dem Eesteinzugsgebiet von 190,2 km2 zur Füllung des Stausees Livigno nicht ausreichen und das fehlende Wasser (40 Mio m3 im Durchschnittsjahr) aus dem Stausee Praspöl entnommen und hinaufgepumpt werden soll. Für die Zuleitung dieses Wassers zu den Pumpen dient der Unterwasserstollen.

42 Zur Erhöhung der Kestwasserführung des Spöl wird am FUSS der Staumauer eine gewisse Dotationswassermenge im Flussbett belassen. Die hiezu erforderlichen Einrichtungen sind in der Zentrale untergebracht. -- Die Bauinstallationen befinden sich ausserhalb des Nationalparkes. Desgleichen die Deponien für das Aushub- und Ausbruchmaterial der Stauinauerwiderlager, der Kaverenenzentrale und des Unterwasserstollens, da sie oberhalb der Sperrstelle im Staugebiet aufgeschüttet werden. - Der Transport des Installationsmaterials und des Zements für den Bau der Staumauer erfolgt über italienisches Gebiet entweder durch das Val del Gallo oder durch das Valle di Livigno. -- Die jetzt bestehende Verbindung zwischen der Ofenpaßstrasse und dem Valle di Livigno muss aufrechterhalten bleiben. Das Strässch^n wird voraussichtlich über die Mauerkrone führen und wird in geeigneter Weise an das bestehende Strässchen Punt la Drossa-Punt dal Gali angeschlossen.

Die energiewirtschaftlichen Daten sind unter Ziffer 6 hiernach zusammengestellt. Es sei hiezu erwähnt, dass ein Teil der in diesem Kraftwerk nutzbar gemachten Wasserkraft Italien zusteht. Der italienische Anteil an der total erzeugten Energie von 47 Mio kWh ist gemäss schweizerisch-italienischem Abkommen auf 36,5 Mio kWh festgesetzt bei einer maximalen Leistung von 18 250 kW, entsprechend einer minimalen Bezugsdauer von 2000 Stunden im Jahr.

4. Der italienische Ausbau Von der durch die AEM 1955 erzeugten Gesamtenergie von 1000 Mio kWh entfielen 3/4 auf ihre 6 im Veltlin gelegenen Wasserkraftanlagen. Diese sind demnach als Kraftwerkgruppe beispielsweise mit den schweizerischen Kraftwerken Oberhasli oder den Maggiakraftwerken vergleichbar. Dank zweier hochgelegener Stauseen im Valle di Fraele, nämlich San Giacomo mit 64 Mio m3 und Cancano mit 24 Mio m 3 Nutzinhalt, war bereits ein gewisser Ausgleich der Energieproduktion möglich, trotz sehr unregelmässigem Abflussregime in den alpinen Einzugsgebieten.

Angesichts des stark und ständig steigenden Energiebedarfs im Versorgungsgebiet der AEM hat diese vor einigen Jahren einen ergänzenden Ausbauplan für die Ausnützung der Wasserkräfte im oberen Veltlin aufgestellt. Die Gesamtenergieproduktion soll auf 1500 Mio kWh gesteigert, d.h. gegenüber dem jetzigen Zustand verdoppelt werden. Kernpunkt des Ausbauplanes bildet eine
Vergrösserung des Nutzinhaltes des Stausees Cancano von 24 Mio m3 auf 240 Mio m3.

Dies wird ermöglicht durch den Bau einer neuen hohen Staumauer Cancano II, welche - wie bei der Grande Dixence - den Überstau der alten Sperre zur Folge hat. Zur Füllung des Stausees werden die noch ungenutzten Gewässer aus dem oberen Veltlin zugeleitet und, da dieselben nicht ausreichen, gemäss schweizerisch-italienischem Abkommen noch Wasser aus dem oberen Einzugsgebiet des Spöl, dem sogenannten «alto Spöl», und zwar 97 Mio m3 im Durchschnittsjahr. Das so in den Stauseen San Giacomo und Cancano II gespeicherte Wasser wird in einer Eeihe aufeinanderfolgender Kraftwerke ausgenützt. Davon be-

43

stehen einige schon und vermögen das zusätzliche Wasser ohne bauliche Änderungen zu verarbeiten, andere müssen vergrössert, wieder andere neu erstellt werden. Von der in allen Stufen zusammen bei einem Bruttogefälle von ca.

1500 m erzeugbaren Jahresenergie von 1500 Mio kWh wird der überwiegende Teil auf wertvolle Winter-Speicherenergie entfallen.

Vom genannten Ausbauplan ist eine erste Phase bereits abgeschlossen; sie umfasst folgende Anlagen: a. Erstellung der weiteren Zuleitungen aus dem Einzugsgebiet der Adda zum Stausee Cancano II.

fe. Erste Etappe der Staumauer Cancano II mit entsprechender Erhöhung des Stauseeinhalts von 24 auf 112 Mio m3.

G. Erster Ausbau der neuen Zentrale Premadio (installierte Leistung 150 000 kW bei einem Bruttogefälle von 670 m).

Es handelt sich also hier um Arbeiten, die zur Fassung, Zuleitung, Speicherung und Nutzung der aus dem Addagebiet noch verfügbaren Wassermengen erforderlich waren.

Eine zweite Phase des Ausbauplans umfasst folgende Anlagen: a.. Zuleitung der im Gebiet des «alto Spöl» gefassten Wassermengen zu den Stauseen San Giacomo bzw. Cancano II. Diese Anlagen befinden sich ganz auf italienischem Gebiet, in einer Entfernung von 10 bis 20 km von der Landesgrenze bei Punt dal Gali.

b. Schlussetappe der Staumauer Cancano II (weitere Erhöhung um 40 m), mit Erreichung des vorgesehenen maximalen Stauinhaltes von 240 Mio m3.

c. Vollausbau der neuen Zentrale Premadio (nach Vollausbau installierte Leistung 375 000 kW).

Es handelt sich also hier vor allem um Arbeiten, welche die von der AEM vorgesehene,Fassung, Zuleitung, Speicherung und Nutzung der Wassermengen aus dem Gebiet des «alto Spöl» ermöglichen sollen.

Die dritte und letzte Phase des Ausbauplanes umfasst die für die Ausnützung der zusätzlichen Wassermengen in den unteren Stufen erforderlichen Arbeiten.

Die Gesamtproduktion der Zentrale Premadio wird nach Vollausbau im Durchschnittsjahr 540 Mio kWh betragen. Ein Teil davon steht der Schweiz zu, indem durch die Wasserableitung nach dem Adda-Gebiet schweizerische Wasserkraft nutzbar gemacht wird, und zwar entsprechend,dem natürlichen Gefalle von Punt dal Gali bis Martina. Dieser schweizerische Anteil ist gemäss schweizerisch-italienischem Abkommen auf 128 Mio kWh festgesetzt worden, bei einer maximalen Leistung von 64 000 kW, entsprechend einer
minimalen Bezugsdauer von 2000 Stunden im Jahr.

5. Verständigungslösung Ova Spin (siehe Abbildung 2) Diese besteht darin, dass im Spöltal die Nutzung nicht mehr, wie im vorbeschriebenen Ausbauplan, mit dem Stausee Praspöl von 28 Mio m3 Inhalt

44

(Lösung Praspöl), sondern mit einem viel kleineren Ausgleichsbecken Ova Spin von 6,5 Mio m3 Inhalt (Verständigungslösung Ova Spin) erfolgen würde. Dadurch würden auch die Einwirkungen auf das Nationalparkgebiet längs des Spöltals bedeutend gemildert.

Die Sperrstelle Ova Spin ist am selben Ort vorgesehen wie die Sperrstelle Praspöl. Es wird eine Bogenmauer von ca. 60 m Höhe und ca. 100 m Kronenlänge erstellt; sie ist von der Ofenpaßsstrasse aus nicht sichtbar. Das dadurch geschaffene Ausgleichsbecken Ova Spin weist bei einer Staukote 1630 m ü. M.

(38 m tiefer als Staukote Praspöl) und der tiefsten Absenkung 1600 m ü. M.

einen Nutzinhalt von 6,5 Mio m3 auf. Das Becken hat bei Vollstau eine Länge von ca. 4 km und eine Oberfläche von ca. 0,35 km2 (Stausee Praspöl ca. 1,20 km2), wovon ca. 72 Prozent auf Parkgebiet entfallen. Die täglichen Wasserspiegelschwankungen des Ausgleichsbeckens werden, da dieses eine bedeutend kleinere Oberfläche aufweist, etwas ausgeprägter sein als beim Stausee Praspöl.

Die gegenüber dem Stausee Praspöl tiefere Lage des Ausgleichsbeckens hat zur Folge, dass die Pumpanlage S-chanf der oberen Innstufe wegfällt. Es kann das Wasser von der Innfassung S-chanf (1652 m ü. M.) mit natürlichem Gefalle durch einen Hangkanal von 1,4 km und einem anschliessenden Freispiegelstollen von 12,8 km Länge dem Ausgleichsbecken Ova Spin (1630 m ü. M.) zugeleitet werden.

Der Druckstollen Ova Spin-Pradella wird, mit Ausnahme des ersten kurzen Teilstückes, praktisch dieselbe Linienführung aufweisen wie in der Lösung Praspöl. Infolge der etwas tieferen Lage des Ausgleichsbeckens können die unterwegs zugeleiteten Gewässer - was auch für den vorerwähnten Hangkanal bzw.

Freispiegelstollen gilt - entsprechend tiefer gefasst werden, wodurch das Einzugsgebiet des Kraftwerkes Pradella um 13,5 km2 vergrössert wird.

Das Hinaufpumpen von Wasser aus dem Inngebiet in den Stausee Livigno zu dessen Füllung ist natürlich auch bei der Verständigungslösung nötig. Aus diesem Grunde wird die Zentrale des internationalen Ausbaus, einschliesslich Pumpanlage, vom FUSS der Staumauer Livigno nach der Gegend der Staumauer Ova Spin verlegt. Dies bedingt für den internationalen Ausbau einen Druckstollen von ca. 7000 m Länge und einen ebenfalls unterirdischen Druckschacht zur Zentrale Ova Spin. Das obere Ende des
Druckstollens liegt auf italienischem Gebiet. Der Fenstereingang für den Bau des Druckstollens von der Seite Ova Spin her sowie des Wasserschlosses liegt im Nationalpark, am Rand desselben.

Die in der rechten Talflanke vorgesehene Kavernenzentrale Ova Spin samt Zugangsstrasse und -Stollen befindet sich ausserhalb des Parkgebietes. Die Bauinstallationen werden grösstenteils ausserhalb des Parkes angelegt werden können. Hinsichtlich Deponien gilt das unter Ziffer 2& Gesagte. Sichtbare Deponien werden humusiert und bepflanzt.

Der Einfluss des vorgesehenen Ausbaues auf die Wasserführung des Spöl zwischen der Staumauer Livigno und dem unterhalb gelegenen Staubecken wird sich bei der Verständigungslösung auf eine längere Flußstrecke auswirken

45 als bei der Lösung Praspöl Es wird auch, bei der Verständigungslösung am FUSS der Staumauer Livigno eine gewisse Dotationswassermenge im Flussbett belassen. Die Wasserführung daselbst wird zudem flussabwärts bald erhöht durch die Zuflüsse aus den Seitenbächen des Val da l'Acqua und des Val da la Foglia.

Die totale Jahresenergieproduktio des kantonalen und internationalen Ausbaus ist praktisch dieselbe wie bei der Lösung Praspöl, dagegen ist allerdings der Anteil der wertvollen Winterenergie wegen des verminderten totalen Speichervolumens etwas kleiner. Dieses totale Speichervolumen beträgt bei der Lösung Praspöl 55 (Chamuera) +180 (Livigno) + 28 (Praspöl) = 263 Mio m3 und bei der Verständigungslösung Ova Spin 55 + 180 + 6,5 (Ovà Spin) = 241,5 Mio m3.

6. Zusammenstellung der energiewirtschaftlichen Daten des kantonalen und internationalen Ausbaus Die Tabellen geben die Verhältnisse nach Vollausbau der Kraftwerke und bei Ableitung von 97 Mio m3 Wasser im Durchschnittsjahr aus dem Gebiet des «alto Spöl» nach Italien wieder.

a. Nutzung mit Stausee Praspöl Speichervolumen in Mio m 3 : 55 (Chamuera) +3 28 (Praspöl) + 180 (Livigno) = 263 Mio m [ '· S-chanf Ì

Zentralen:

Ausbauwassermenge

m3/seo

11,5

Predella Martina

70

j

75

Tasna 7.5

Punt dal Gall

Total

33

m'

403

525

113

495

140

Installierte Leistung 1000 kW Kraftwerk (Pumpwerk) . . .

. . .

35

280 (18)

60

28

35 (22)

438 (40)

Energieproduktion 1) Mio kWh.

Winter Sommer .

49

468 514

115 173

28 90

47 -17

707 760

49

982

288

118

30

1467

Maximales Bruttogefälle

Jahr . . .

1

) Im Durchschnittsjahr; Pumperlergie ab gezogen, Obigen Zahlen legen bereits gewisse Annahmen übe r die dir akt unte rhalb dei Fassuntgen bzw. Staumauern in den Mussbetten des Inn bzw. Spöl zu belassenden Dotationswassermengen zugrunde. Die definitive Festsetzung der letzteren wird jedoch erst im Einvernehmen mit den Behörden erfolgen. Es könnten sich daraus noch gewisse Änderungen der obigen Zahlen ergeben.

46 b. Nutzung mit Ausgleichsbecken Ova Spin (Verständigungslösung) Speichervolumen in Mio m3: 55 (Chamuera) + 6,5 (Ova Spin) + 180 (Livigno) = 241,5 Mio m3 Zentralen:

S-chanf

Pradella Martina

Tasna

Ova Spin

Total

i

Ausbauwassermenge

m3/sec

11,5

66

70

7,5

33

m'

442

487

113

495

178

Installierte Leistung 1000 kW Kraftwerk (Pumpwerk) . . . . . . .

37

240 (-)

56

28

43 (28)

56 0

483 560

105 161

28 90

, 60 -25

56

993

266

118

Maximales Bruttogefälle

Energieproduktion 1) Mio kWh Winter Sommer . . . .

. . . .

Jahr

. .

404 (28) 682 786

35 2) 1468

1 ) Im Durchschnittsjahr; Pumpen ergie ab gezogen, Obigen Zahlen '. iegen bereits gewisse Annahmen über die dir«ekt unter halb der Fassung en bzw. Staumauern in den Flussbetten des Inn bzwr. Spöl zu belasse nden Do ;ationsw assermengen zugrunde. Die definiti ve Festse tzung der letzter en wird . edoch ei st im Einvernehmen mit den Behörd en erfolg en. Eskönntenc si ch darau s noch ge wisse Änderungen der obigen Zahlen ergeben 2 ) Einschliesslich Produkt!on einer " deinen D otierzen ;rale am Fuss der Staumauer Livigno zur Ausnutzung; der daselbst im Spöl zu belassen en Dota ionswassermenge.

Die totale Jahresenergie beträgt im Fall a wie im Pali l rund 10 Prozent der gegenwärtigen gesamtschweizerischen Produktionsmöglichkeit.

50 Beilage 2 Engadiner Kraftwerke AG An den Hohen Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft Bern Basel, den S.Mai 1957 Wasserkraftnutzung des Inn und seiner Seitenbäche Internationale Stufe - Projekt April 1957 Hochgeehrter 'Herr Bundespräsident, Hochgeehrte Herren Bundesräte, Die im Eahmen unseres Gesamtprojektes vom Juli/Dezember 1955 für die Wasserkraftnutzung des Inn und seiner Seitenbäche vorgesehene Nutzung des Spöl, weil letztere den schweizerischen Nationalpark berührt, hat bekanntlich zu lebhaften Diskussionen in den Kreisen geführt, die aus Gründen der Naturforschung und des Naturschutzes die Unantastbarkeit des Parkes postulieren.

Unsere Gesellschaft ist nach wie vor überzeugt, dass der Konzessionserteilung für die Nutzung der Engadiner Gewässer gemäss eingangs erwähntem Projekt auf Grund der vorhandenen Eechtslage und der heutigen Gesetzgebung nichts ini Wege steht. Sie begrüsst jedoch die vomHohenBundesrat eingeleiteten Verhandlungen, um eine Verständigung zwischen, den am Nationalpark und an der Wasserkraftnutzung interessierten Kreisen herbeizuführen, und ist bereit, dazu folgenden namhaften Beitrag zu leisten: Unter der Voraussetzung: - dass der am 23. Oktober 1956 paraphierte Staatsvertrag mit der Italienischen Eepublik betreffend die Wasserkraftnutzung des Spöl in Eechtskraft erwächst, wodurch die Schaffung des Stausees Livigno von 180 Mio m3 Nutzinhalt möglich wird, und - dass auch im übrigen der rechtliche Weg für die Nutzbarmachung des Spöl offensteht, verpflichtet, sich die Engadiner Kraftwerke AG, a. ihr Projekt vom Juli 1955 für die Obere Inn-Stufe des kantonalen Ausbaus in dem Sinne umzugestalten, dass an Stelle des Stausees Praspöl von 28 Mio m3 Nutzinhalt beim Stauziel 1668 m ü. M. ein Ausgleichsbecken Ova Spin von 6,5 Mio m3 beim Stauziel 1630 m ü. M. zur Ausführung kommen wird, und

si fe. ihr Projekt vom Dezember 1955 für den internationalen Ausbau des Spöl mit Kraftwerk Punt dal Gali, dessen Konzession beim Hohen Bundesrat bereits nachgesucht worden ist, durch ein solches vom April 1957, mit Kraftwerk Ova Spin, gemäss in beiliegender Mappe enthaltenen technischen Unterlagen zu ersetzen.

Wir bitten Sie, hochgeehrter Herr Bundespräsident und hochgeehrte Herren Bundesräte, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung entgegennehmen zu wollen.

Engadiner Kraftwerke AG gez. E. Blank B. Jobin Beilage 3 Comunità da Zernez

, Zernez, den 24. Januar 1957 Herrn a. Oberforstinspektor A. J. Schlatter Präsident der BNPK Pully/VD Nationalpark/Wasserkrattnntzong

Sehr geehrter Herr Präsident, Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass die stark besuchte Gemeindeversammlung von Zernez vom 23. Januar 1957 mit überwältigender Mehrheit und ohne Gegenstimme folgenden Beschluss gef asst hat : «Die Gemeindeversammlung Zernez ist im Sinne eines freiwilligen Entgegenkommens bereit, der Eidgenossenschaft für Zwecke des Nationalparkes weiteren Gemeindeboden im Ofenberggebiet zur Verfügung zu stellen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der vorgesehenen Nutzung von Inn und Spöl mit einem Speicher Livigno keine Opposition gemacht wird. Unter der gleichen Voraussetzung ist sie damit bereit, die Nutzung mit einem Stausee Praspöl durch eine solche mit einem Ausgleichbecken Ova Spin ersetzen zu lassen.» Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Präsident, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Comunità da Zernez II président : gez. Tramer L'actuar: gez. Calonder

52 "Beilage 4 Vschinauncha d'à; S-chanf" Gemeinde Scanfs S-chanf, ils 24 Januar 1957

An die Schweizerische Nationalparkkommission Bern Sehr geehrter Herr Präsident, Sehr geehrte Herren, Die Gemeindeversammlung hat gestern Ihre Anfrage vom 20. Dezember 1956 behandelt und gemäss Antrag des Gemeinderates beschlossen: Die Gemeinde S-chanf ist bereit, der Eidgenossenschaft für Zwecke des Nationalparkes weiteren Gemeindeboden (auf der linken Seite des Val Trupchun mit der Alp Purcher) zur Verfügung zu stellen, unter der Voraussetzung einer Einigung über die Bedingungen und dass der vorgesehenen Nutzung von Inn.

und Spöl mit einem Speicher Livigno keine Opposition gemacht wird.

Unter den gleichen Voraussetzungen ist sie damit einverstanden, die Nutzung mit einem Stausee Praspöl durch eine solche mit einem Ausgleichsbecken Ova Spin ersetzen zu lassen.

Mit vorzüglicher Hochachtung gez. R. Bott Stoffel

53 Beilage 5 Comunità da Scuoi ·, .

Scuoi, ils 00 J .

22 juni Schuls den

1957

An das Eidgenössische Amt für Wasserwirtschaft Bern

Mit Gegenwärtigem teilen wir Ihnen mit, dass die Gemeindeversammlung Scuol/Schuls vom 21. Juni 1957 mit 183 gegen 52 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgenden Beschluss gefasst hat: 1. der Engadiner Kraftwerke AG, Zernez, die Konzession für die Nutzung des Inn mit Seitenbächen, kantonaler Ausbau, gemäss Projekt Juli. 1955 für die Obere und Untere Inn-Stuf e zu erteilen; 2. sich, im Sinne eines freiwilligen.Entgegenkommens, jedoch unter der Voraussetzung, dass der projektierten Nutzung des Inn und Spöl mit einem Stausee Livigno keine Opposition gemacht wird, bereit zu erklären, die Nutzung mit einem Stausee Praspöl durch eine solche mit einem Ausgleichsbecken :0va Spin ersetzen zu lassen; ; .

' 3. zuhanden der Eidgenössischen Nationalparkkommission zu erklären, im Prinzip bereit zu sein, die Reservation Val S-charl weiterhin für Parkzwecke zur Verfügung zu stellen, sofern: a. der vorgesehenen Nutzung von Inn und Spöl mit einem Speicher Livigno keine Opposition gemacht wird und ; b. der Pachtvertrag die Änderung der Verhältnisse berücksichtigt.

Comunità da Scuol Der Gemeindepräsident: (gez.) A.Fried ,

Der Aktuar : (gez.) J.Klaas

54 Beilage 6 Comunità da vaschins Scuol Bürgergemeinde Scuol

Schuls, den 22. Juni 1957

Cumischiun da povers Armenbehörde

An das Eidgenössische Amt für Wasserwirtschaft Bern

Mit Gegenwärtigem teilen wir Ihnen mit, dass die Bürgerversammlung von Scuol/Schuls vom 21./22. Juni 1957 mit 63 gegen 6 Stimmen folgenden Beschluss gef asst hat : 1. der Konzession an die Engadiner Kraftwerke AG, Zernez, für die Nutzung des Inn mit Seitenbächen, kantonaler Ausbau, gemäss Projekt Juli 1955 für die Obere und Untere Inn-Stuf e zuzustimmen; 2. zuhanden der Eidgenössischen Nationalparkkommission zu erklären, im Prinzip bereit zu sein, die Eeservation Val S-charl weiterhin für Parkzwecke zur Verfügung zu stellen, sofern: a. der vorgesehenen Nutzung von Inn und Spöl mit einem Speicher Livigno keine Opposition gemacht wird und b. der Pachtvertrag die Änderung der Verhältnisse berücksichtigt.

Comunità da vaschins da Scuol Der Präsident : (gez.) A. Toll Der Aktuar: (gez.) Hartmann

55 Beilage 7 Der Kleine Eat des Kantons Graubünden Sitzung vom 8. Juni 1957 Mitgeteilt den 18. Juni 1957 Protokoll Nr. 1292 An den Hohen Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft Bern Spölwerk und Nationalpark Hochgeachteter Herr Bundespräsident, Hochgeachtete Herren Bundesräte, Der Kleine Eat hat sich mit der Frage der Nutzung des Spöls und:einer allfälligen Erweiterung des Parkgebietes befasst. Er beehrt sich, Ihnen in dieser Angelegenheit mitzuteilen: I. Der Kleine Eat ist damit einverstanden, dass die Nutzung von Inn und Spöl in der oberen Innstufe statt nach dem Konzessionsprojekt Juli 1955 mit einem Stausee Praspöl (Staukote 1668 m, Inhalt 28 Mio m3) im Interesse des Nationalparkes gemäss dem Projekt März 1957 mit einem Ausgleichsbecken Ova Spin (Staukote 1680 m, Inhalt 6,5 Mio m3) .erfolge, sofern die Gemeinde Zernez dieser veränderten Nutzung zustimmt, und unter der ausdrücklichen Voraussetzung, dass die Verwirklichung der internationalen Spölstufe mit Staubecken Livigno und Zentrale Ova Spin in jeder Hinsicht gesichert ist.

II. Der Kleine Eat ist grundsätzlich bereit, die Bestrebungen auf eine Erweiterung des Nationalparkes zu unterstützen, ein entsprechendes Mschereiverbot zu erlassen und dem Grossen Eat den Erlass eines entsprechenden Jagdverbotes zu beantragen, allerdings nur, sofern 1. die zweckmässige Nutzbarmachung von Tnn und Spöl mit dem Staubecken Livigno gesichert ist; 2. den Parkgemeinden angemessene und periodisch revidierbareTVergütungen geleistet werden; 3. die Vergütung des gesamten Wildschadens, welcher im Grenzgebiet des Parkes einschliesslich des Kreises Münstertal und des Ofenberggutes entsteht, befriedigend geregelt wird und auch die Kosten der Abwehrmassnahmen übernommen werden; 4. gegen die Aufhebung des eidgenössischen Bannbezirkes Selva-Caroh'na-Val Torta keine Opposition gemacht wird.

56

Ausserdem muss für den Fall einer Änderung des Jagdsystems ein angemessener Ausgleich des Ausfalles an Pachteinnahmen vorbehalten bleiben, welchen Kanton und Gemeinden durch das Bestehen des Parkes erleiden.

Zum besseren Verständnis einzelner Punkte beehren wir uns, Ihnen auszu führen: Die Zustimmung zu einer Parkerweiterung, welche durch ein rein freiwilliges Entgegenkommen der Gemeinden ermöglicht werden soll, fällt dem Kleinen Bat bei aller Hochschätzung des Parkgedankens nicht leicht. Der Park erscheint heute schon als reichlich gross. Die praktisch unwiderrufliche Eeservierung weiterer Alpen, Weiden und Wälder für Parkzwecke erweckt angesichts der dauernden Bevölkerungszunahme der Schweiz'auf lange Sicht Bedenken, auch wenn im Engadin derzeit kein Mangel an Alpen besteht. Die Entvölkerung der Gebirgsgegenden ist, so steht zu hoffen, keine Dauererscheinung, und so oder anders werden Alpen und Wälder immer gesuchter.

Dazu kommt die Wildschadenfrage. Der Hirschbestand im Park ist derart angewachsen, dass er zu einer Plage für die Landwirtschaft in den angrenzenden Gebieten geworden ist und zudem zu grossen Hirschsterben geführt hat. Diesem Übelstand musste durch ausserordentliche Abschussmassnahmen begegnet werden. Da das Hirschwild im Winter zufolge Nahrungsmangels aus dem Park auswechselt und das angrenzende Gebiet aufsucht, entsteht im Engadin und Kreis Münstertal an Wald und Kulturland grosser Wildschaden. Die Schadenvergütung durch die Eidgenossenschaft und den Schweizerischen Bund für Naturschutz ist heute völlig ungenügend.

Die weitere Schmälerung des Jagdgebietes im mittleren Engadin muss durch die Aufhebung des eidgenössischen Bannbezirkes Selva-Carolina-Val Torta, welcher dem Park vorgelagert ist, ausgeglichen werden. Die Aufhebung dieses Bannbezirkes ist mit Eücksicht auf den untragbar grossen Hirschbestand ohnehin unumgänglich. Graubünden weist im übrigen mehr eidgenössische Bannbezirke auf, als das Gesetz vorsieht.

Der Beitrag von Kanton und Gemeinden an den Park ist unter anderem durch den Ausschluss der Nutzung von Seitenbächen des Spöl, die ohne das Bestehen des Parkes mitgenutzt würden, gross genug. Der Kanton muss deshalb auf volle Schadloshaltung in den übrigen Belangen halten.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Herren Bundesräte, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung, Namens des Kleinen Eates Der Präsident : gez. i. V. Lardelli Der Kanzleidirektor: gez. Seiler

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung eines zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik abgeschlossenen Abkommens über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Spöl (Vom 28. Juni...

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