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Botschaft des

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Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Basel-Stadt (Vom 28. November 1957)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Die Stimmberechtigten des Kantons 'Basel-Stadt haben in der Volksabstimmung vom 2./3. November 1957 den Grossratsbeschluss vom 9. Mai 1957 betreffend Revision von § 26, Absatz 2, der Kantonsverfassung vom 2. Dezember 1889 (Erteilung des Stimmrechts in rein bürgerlichen Abstimmungen und Wahlen an Gemeindebürgerinnen) mit 12 667 Ja gegen 8568 Nein angenommen.

Die Frist für die Einsprache gegen dieses Ergebnis ist nach Mitteilung des Regierungsrates unbenutzt abgelaufen. Gemäss dem Besohluss des Grossen Eates soll diese Änderung nach Erhalt der eidgenössischen Gewährleistung in Kraft treten. Mit Schreiben vom 12. November 1957 ersucht der Begierungsrat des Kantons Basel-Stadt um die Erteilung dieser Gewährleistung.

Die Änderung bezieht sich nur auf den letzten Satz des zweiten Absatzes von § 26 der Kantonsverfassung. Der bisherige und der neue Text, von § 26, Absatz 2, lauten: Bisheriger Text

Bei Abstimmungen und Wahlen in Gemeindesachen sind unter den nämlichen Voraussetzungen stimmberechtigt die Bürger der Gemeinde sowie diejenigen Bürger anderer Gemeinden des Kantons oder anderer Kantone, welche seit drei Monaten in der Gemeinde niedergelassen sind. In rein bürgerlichen . G e m e i n d e s a c h e n sind nur die G e m e i n d e b ü r g e r stimmberechtigt,

Neuer Text

Bei Abstimmungen und Wahlen in Gemeindesachen sind unter den nämliehen Voraussetzungen stimmberechtigt die Bürger der Gemeinde sowie diejenigen Bürger anderer Gemeinden des Kantons oder anderer Kantone, welche seit drei Monaten in der Gemeinde niedergelassen sind. Bei rein bürgerlichen Abstimmungen und Wahlen sind nur die Gemeindebürger stimmberechtigt ; die Bürgergemeinden können jedoch das Stimm- und Wahl, recht auch auf die Gemeindebürgerinnen ausdehnen.

1098 Der erste Satz des neuen Textes deckt sich insofern mit dem bisherigen Text, als er ebenfalls dem Gedanken Ausdruck gibt, dass in rein bürgerlichen Sachen nur die Gemeindebürger stimmberechtigt sind. Er bedient sich zwar einer andern Formulierung, indem er nicht mehr von der Stimmberechtigung in rein bürgerlichen «Sachen» spricht, sondern von jener in rein bürgerlichen «Abstimmungen und Wahlen». Inhaltlich bedeutet das aber keine Änderung, da schon bisher das Stimmrecht in einem weiteren Sinne gemeint war, der auch das Wahlrecht umfasst; und unter rein bürgerlichen «Sachen» wurde schon jetzt nichts anderes verstanden als die rein bürgerlichen Wahlen und Abstimmungen.

Insofern wollte man mit der Änderung des Textes wohl nur deutlicher zum Ausdruck bringen, dass sich die Eegelung auch auf das Wahlrecht (das aktive und das passive) bezieht.

Auffallend ist hingegen, dass das Wort «Gemeindesachen» im neuen Text fehlt. Man könnte daher glauben, in der neuen Eegelung gelte die Beschränkung auf Angelegenheiten der. Gemeinde nicht mehr. Dass das aber nicht so gemeint ist, geht schon aus dem Urnstand hervor, dass auch der neue Text als Teil des zweiten Absatzes gedacht ist, der im Eingang die ausdrückliche Beschränkung auf «Gemeindesachen» enthält. Hinzu kommt, dass rein bürgerliche Abstimmungen und Wahlen nur bei Gemeindesachen von Bedeutung sind. Dieser Auffassung gibt auch der «Batschlag» der Kantonsregierung an den Grossen Bat (S. 1) Ausdruck.

Folgt man nun dieser Auslegung, so kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der erste Satz nicht zu Bedenken gegen die Gewährleistung Anlass geben kann. Aber selbst wenn diese Bestimmung den Sinn hätte, dass künftig auch in Kantonsangelegenheiten nur die Gemeindebürger und -bürgerinnen bei rein bürgerlichen Wahlen und Abstimmungen stimmberechtigt wären, würde sie nicht gegen die Bundesverfassung verstossen. Denn diese (Art. 43, Abs. 4) verlangt nicht, dass der niedergelassene Schweizer in rein bürgerlichen Angelegenheiten an seinern Wohnort das gleiche Stimmrecht wie die dortigen Kantonsund Gemeindebürger habe. Artikel 43, Absatz 4, der Bundesverfassung macht für diesen Fall vielmehr ausdrücklich eine Ausnahme vom Grundsatz der Gleichberechtigung.

Eine materielle Änderung der kantonalen Verfassung kann somit nur im zweiten Satz enthalten sein. Durch diesen
werden die Bürgergemeinden ermächtigt, das Frauenstimm- und -Wahlrecht für rein bürgerliche Abstimmungen und Wahlen einzuführen. Und zwar kann damit nach dem oben Gesagten nur das Stimm-und Wahlrecht in Gemeindesachen gemeint sein. Eine solche Änderung enthält aber ebenfalls nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes (Art. 6 B V). Zwar schliesst Artikel 74 der Bundesverfassung das Frauenstimmrecht aus und Artikel 43 der Bundesverfassung zieht aus dieser Eegelung die Konsequenzen. Es ist jedoch unbestritten, dass das nur für eidgenössische Angelegenheiten gilt. Ob das Frauenstimmrecht in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten eingeführt werden soll, ist dem kantonalen Becht überlassen, wie in der Botschaft vom 22. Februar 1957 über die Einführung des

1099 Frauenstimm- und -Wahlrechts in eidgenössischen Angelegenheiten (BB1 1957, I, 775 ff.) dargetan wird. In einer Reihe von Kantonen sind denn auch Volksabstimmungen durchgeführt worden, um den Frauen das Stimmrecht in Kantons- und Gemeindeangelegenheiten zu geben, allerdings bisher ohne Erfolg (vgl. S. 694 f. der erwähnten Botschaft).

Die Einführung des Frauenstimmrechts in Kantons- oder Gemeindeangelegenheiten verstösst auch nicht gegen andere Vorschriften der Bundesverfassung. Das gilt vor allem für Artikel 4, welcher die Rechtsgleichheit auch für die Verfassungen und Gesetze der Kantone vorschreibt. Insbesondere kann eine mit Artikel 4 der Bundesverfassung unvereinbare Rechtsungleichheit nicht etwa darin: erblickt werden, dass bei einer solchen Regelung die Frauen in einzelnen Gegenden das Stimmrecht erhalten, in andern dagegen nicht. Diese Möglichkeit ist dadurch vorbehalten worden, dass man den Kantonen freie Hand liess, das Frauenstimmrecht für den Kanton oder nur für die Gemeinden, eventuell nur für einzelne Gemeinden einzuführen. Von einem andern Standpunkt aus betrachtet, liegt das Frauenstimmrecht sogar ganz in der Richtung der Rechtsgleichheit, da es eine bessere Gleichbehandlung der Frauen mit den Männern gewährleistet. Dem steht die Tatsache, dass Artikel 74 der Bundesverfassung die Ungleichbehandlung auf eidgenössischem Boden festlegt und als Spezialbestimmung dem Artikel 4 der Bundesverfassung vorgeht, nicht entgegen. Denn diese Bestimmung gilt nur für eidgenössische Angelegenheiten.

Hinzu kommt, dass die Einführung des Frauenstimmrechts den Kreis jener Bürger, die an der Willensbildung des Staates beteiligt sind, erheblich erweitert.

Das bedeutet eine Verstärkung des demokratischen Gedankens und steht auch in dieser Hinsicht in Übereinstimmung mit der Bundesverfassung.

Die in Frage stehende Verfassungsänderung bewirkt übrigens nicht die Einführung des Frauenstimmrechts, sondern sie ermächtigt die Bürgergemeinden nur, es für ihre Angelegenheiten einzuführen. Eine ähnliche Regelung besteht schon seit langer Zeit im Kanton Zürich, wo durch die Volksabstimmung vom 29. Januar 1911 dem.Artikel 16 der Kantonsverfassung als zweiter Absatz die Vorschrift beigefügt worden ist: «Die Gesetzgebung hat zu bestimmen, inwieweit bei der Besetzung öffentlicher Ämter das Stimmrecht und die
Wählbarkeit auch Schweizerinnen verliehen werden könne.» Diese Vorschrift hat die eidgenössische Gewährleistung durch Bundesbeschluss vom 24. Juni 1911 erhalten (vgl. AS 27, 274 f. und die Botschaft vom 30. Mai 1911 in BEI 1911, III, 459 f.). In neuester Zeit ist eine Regelung dieser Art auch im Kanton Waadt (am 25.März 1951) und im Kanton Bern (am 4.März 1956) versucht worden, jedoch ohne Erfolg. .

Nach dem neuen Text der Basler Verfassung können die Bürgergemeinden das Stimm- und Wahlrecht im erwähnten Umfange auf die Gemeindebürgerinnen ausdehnen. Das kann wohl nur heissen, dass das auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung zu geschehen hätte. Auch das hegt im Sinne der Bundesverfassung.

1100 Die vorliegende Verfassungsänderung enthält demnach nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes. Sie bedeutet im Gegenteil einen den Grundsätzen der Bundesverfassung entsprechenden und begrüssenswerten Schritt im Ausbau der Demokratie und der Eechtsgleichheit. Wir beantragen Ihnen deshalb, dieser Änderung durch Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfes die Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

Bern, den 28.November 1957.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Streuli Der Bundeskanzler : Gh. Osei

(Entwurf)

Bundesbeschluss über

die Gewährleistung der geänderten Verfassung des Kantons Basel-Stadt Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Artikel 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 28. November 1957, in Erwägung, dass die geänderte Verfassungsbestimmung nichts der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, beschliesst :

Art. l Der in der Volksabstimmung vom 2./3.November 1957 angenommenen Änderung des § 26, Absatz 2, der Verfassung des Kantons Basel-Stadt wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2 Der Bundesrat wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

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19.12.1957

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