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Der Bundesrat hat den nachfolgenden Beschluss gefasst und, um der Öffentlichkeit die Begründung dazu bekanntzugeben, angeordnet, ihn samt dieser ins Bundesblatt einzurücken : # S T #

Bundesratsbeschluss über

das Verbot der Gewährung von Vergünstigungen auf Lebensversicherungen.

(Vom 23. Mai 1930.)

Der schweizerische Bundesrat, In Anwendung des Art. 9 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 betreffend die Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens (Aufsichtsgesetz) ; gemäss Bericht und Antrag des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes, beschliesst: Art. 1.

Den Lebensversicherungsgesellschaften und ihren Agenten und Vermittlern ist es untersagt, Versicherungsnehmern und Versicherten in irgendeiner Form auf Lebensversicherungen Vergünstigungen zu gewähren: Verboten sind insbesondere a. die Vereinbarung einer niedrigeren als der von der Aufsichtsbehörde genehmigten Prämie ; b, die teilweise oder vollständige Überlassung der Abschluss- oder der Inkassoprovision an den Versicherungsnehmer.

Art. 2.

Zuwiderhandlungen gegen diesen Beschluss werden vom eidgenossischen Justiz- und Polizeidepartement auf Grund des Art, 10 des Aufsichtsgesetzes geahndet.

Art. 3.

Dieser Beschluss tritt auf den 1. Juli 1930 in Kraft.

B e r n , den 23. Mai 1930.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Musy.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

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Begründung.

I. Die Gewährung von Vergünstigungen beim Yersieherungsabschluss als Anwerbemittel.

Die Gewährung von Vergünstigungen an Versicherungsnehmer auf die von ihm abzugchliessenden Versicherungen zeigte sich schon früh im Anwerbebetrieb der privaten Versicherung. Sie entspringt dem Bestreben, Personen, bei denen sich mehrere Versicherungsgesellschaften um den Abschluss der Versicherung bewerben, durch die Einräumung besonderer Vorteile gegenüber den normalen Vertragsbedingungen für den Abschluss der Versicherung zu gewinnen. Wurde von diesem Anwerbemittel anfänglich nur ausnahmsweise Gebrauch gemacht, so trat es mit der Zunahme der privaten Versicherungsunternehmungen und dem fortschreitenden Ausbau der Anwerbeorganieation und der damit Hand in Hand gehenden Verschärfung des Anwerbebetriebes immer häufiger in Erscheinung. Namentlich war dies der Fall auf dem Gebiete der Lebensversicherung, wo manchenorts dieses Anwerbemittel zu einer allgemeinen Übung geworden ist. Durch seine häufige Anwendung ist es dem versicherungsuchenden Publikum so vertraut geworden, dass manche Versicherungsnehmer die Einräumung eines Sondervorteils für den Absohluss der Versicherung nicht nur als selbstverständlich betrachten, sondern geradezu zur Bedingung macheu. In vielen Fallen kann ein Vermittler einen Versicherungsvertrag nur zustande bringen, wenn er das Angebot des Konkurrenten in bezug auf die Gewahrung des vom Versicherungsnehmer geforderten Soudervorteiles überbietet. Die Begehrlichkeit der Versicherungsnehmer wird zu einer Macht, die für die Vermittler in ihrer Anwerbetätigkeit ausserordentlich fühlbar sein kann.

Was anfanglich für den Vermittler ein leichtes Opfer sein sollte, um die Produktion zu erhöhen, wird bei der weitem Entwicklung der einmal angewendeten Geschäftspraxie unter dem Zwang der Verhältnisse für ihn zu einer schweren finanziellen Belastung. Die dem Vermittler im Ageütenvertrag auferlegte Pflicht, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes eine Mindestproduktion an Versicherungen aufzubringen, kann einen weitern Anreiz bilden, von diesem Anwerbemittel ausgiebig Gebrauch zu machen.

Da die vom Vermittler an den Versicherungsnehmer gewahrte Sondei Vergütung auf Kosten des Ertrages aus der Anwerbetäligkeit geleistet wird, sieht sich der Vermittler um den Erfolg seiner angestrengten Arbeit
gebracht und in seinem Einkommen geschmälert. Er ist daher genötigt, von der Versicherungsgesellschaft eine immer höhere Provision au verlangen.

Andererseits besitzt die Gesellschaft ein starkes Interesse, sich die gut eingeführten und bewährten Anwerbeorgane zu erhalten, was ihr den Entschluss recht erschweren kann, sich diesem Verlangen zu widerset/.en, auch wenn die finanziellen Aufwendungen für den Anwerbedienst schon die Grenze des Erträglichen erreicht haben.

602 Auch in der Schweiz hat dieses Anwerbemittel schon eine starke Verbreitung gefunden. Die geschilderten Verhältnisse im freien Anwerbebetrieb der privaten Versicherung sind nicht blosse Darstellungen eines möglichen Zustandes, sondern finden sich in andern Anwerbegebieten, wie aus den ernsten Klagen der Gesellschaften und ihres Anwerbepersonals über dio unhaltbar gewordenen Zustände im Anwerbebetrieb klar hervorgeht.

Es besteht keine Gewähr dafür, dass der unwiderstehliche Druck eines unerbittlichen Wettbewerbes auch in der Schweiz nicht ähnliche Verhältnisse herbeiführen könnte.

Auch in der Rechtsprechung beginnt sich die Auffassung durchzusetzen, dass die Rückvergütung eines Teils der Vermittlerprovisiou an den Versicherungsnehmer einen Missstand im Anwerbebetrieb der privaten Versicherung darstelle. Sie wird als eine Geschäftspraxis bezeichnet, die gegen die guten Sitten verstösst. In diesem Sinne sprach sich das Oberlandesgericht Dresden am 16. Mai 1929 aus in einem Prozesse, der von einer Versicherungsgesellschaft selbst gegen eine Motorwaganfabrik angestrengt wurde, die ohne ihr Wissen als ihr Vermittler den Käufern von Motorwagen beim Abschluss einer Haftpflicht- und Kaskoversicherung bei dieser Gesellschaft eine Vergütung aus ihrer Provision gewährte. Nach Ansicht des Richters widerspricht es dem Anstandsgefühl der beteiligten Verkehrskreise, sowohl der Versicherungsunternehmungen als der berufsmässigen Vertreter, dass ein Vermittler die ,ihm vom Versicherer gewährte Provision ganz oder teilweise dem Versicherungsnehmer überlässt. Das Verfahren sei daher als unzulässiger, unlauterer Wettbewerb zu bezeichnen.

Einen besondern Fall der Gewährung von Vergünstigungen beim Versicherungsabschluss bilden die sog. V e r g ü n s t i g u n g s v e r t r ä g e .

Es sind dies Vereinbarungen, die von Versicherungsgesellschaften mit privaten Körperschaften direkt abgeschlossen werden und in denen sie sich verpflichten, die einzelnen Mitglieder derselben gegen eine ermässigte Tarifprämie zu versichern. Die Voraussetzungen der Vergünstigungsgewährung sind hier wesentlich andere als beim Abschluss von Versicherungen im freien Anwerbebetrieb, Die Versicherung wird nicht durch einen Agenten der Gesellschaft, sondern durch ein Korporationsorgan vermittelt. Die Prämienermässigung erfolgt daher nicht auf
Kosten einer Agenturprovision, sondern durch Kürzung der Prämie um den Betrag der nicht entstandenen Anwerbekosten. Es scheint daher auf den ersten Blick, als ob die Bedenken, die für die Provisionsabgabe bei Versicherungsabschlüssen im freien Wettbewerbe stehen, in bezug auf die Vergünstigungsverträge dahinfallen. Diese werden von den Körperschaften hauptsächlich aus dem Gedanken der Fürsorge für die Mitglieder abgeschlossen, und es muss anerkannt werden, dass sie von diesem Gesichtspunkte aus als eine wertvolle Einrichtung zu betrachten sind, die nicht nur den einzelnen Versicherten eine ökonomische Erleichterung bringt, sondern auch dazu beiträgt, den Fürsorgegedanken der privaten Versicherung zu verbreiten.

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Es ist aus allen diesen Gründen wohl zu verstehen, dass die an den Vergünstigungsvertragen interessierten Kreise auf das Fortbestehen derselben grosses Gewicht legen und bestreiten, dass die den Versicherungsnehmern durch sie gewährten Sondervorteile auf eine Linie zu stellen seien mit der Rabattgewährung im freien Anwerbebetrieb.

Die Erfahrung lehrt nun aber, daas die Vergünstigungsgewährung im freien Wettbewerb und auf Grund der Vergünstigungsverträge in ihrer Auswirkung auf die Anwerbekosten der Gesellschaften in einem engen und unlösbaren Zusammenhang miteinander stehen. Da ein Korporationsmitglied nicht verpflichtet ist, sich bei der Gesellschaft, mit welcher der Vorgünstigunggvertrag vereinbart ist, zu versichern, sondern es sich nur um eine Empfehlung unter Zusicherung bestimmter Vorteile handelt, so wird der Agent einer andern Gesellschaft, der im Wettbewerb auf einen Vergünstigungsvertrag stösst, dem Versicherungsnehmer, um ihn zum Versicherunggabschluss zu gewinnen, gleiche oder noch weitergehende Vorteile anbieten. Die Vermittler wollen im Konkurrenzfall mit gleichen Waffen kämpfen. Die Konkurrenzierung der Vergünstigungsverträge durch mindestens gleiche Angebote ist denn auch allgemein Übung geworden und die Gesellschaften haben ihre Anwerbeorgane hiezu ausdrücklich ermächtigt. Damit führen aber auch die Vergünstigungsverrräge mittelbar zu einem Wettlauf in der Einräumung von Sondervorteilen beim Abschluss von Versicherungen. Je mehr die Zahl der Vergünsligungsvertrage wächst und je grösser damit der Kreis der von ihnen erfassten Versicherungsnehmer wird, um so nachdrücklicher werden auch die Folgen dieses Wettkampfes sich fühlbar machen. Die Aufsichtsbehörde wird daher bei der Beurteilung der Vergilnstigungsvertr&ge ihre Bedeutung für da? Gesamtinteresse dor Versicherten sorgfältig in Erwägung ziehen müssen,

II. Die bisher getroffenen Massnahmen zur Bekämpfung der Vergünstigungsgewährnng.

Die Gefahr, die der privaten Versicherung durch ein Überhandnehmen der Unsitte der Gewährung von Vergünstigungen an den Versicherungsnehmer beim Abschluss von Versicherungen erwuchs, wurde denn auch bald nach ihrem Erscheinen erkannt. Mit dieser Erkenntnis entstand das Bedürfnis zu ihrer Bekämpfung. Der Anstoss hiezu ging von den Versicherungsgesellschaften selbst aus, die hiebei durch die in ihren Berufeinteressen ebenfalls bedrohten Anwerbeorganen unterstützt wurden.

Zunächst wurde die Sanierung der Anwerbeverhältnisse auf dem Wege der Selbsthilfe versucht. Durch Vereinbarungen unter den Gesellschafteu sollte die Provisionsabgabe den Anwerbeorganen als Anwerbemittel untersagt worden. Diese Bestrebungen führten aber infolge der Macht der Konkurrenz und der durch die zur Übung gewordenen Unsitte erweck-

eoi ton Begehrlichkeit der Versicherungsuchenden nicht zum Ziel. Die Gesellschaften erschöpften sich in langen und oft wiederholten Verhandlungen. Eine endgültige Vereinbarung kam dann aber entweder nicht zustande, oder, wo dies doch der Fall war, hatte sie keinen dauernden Bestand. Das Unvermögen der Gesellschaften, selbst Ordnung zu schaffen, rief der Notwendigkeit, durch staatliche Massnahmen das bedrohte Allgemeininteresse der Versicherten zu wahren. Eine Anzahl Staaten haben auch diesen Weg beschritten, indem sie die Provisionsabgabe im Anwerbebetrieb durch Gesetz oder Verordnung verboten. Am 21. November 1912 fanden in Wiesbaden Verhandlungen von Regierungsvertretern Deutschlands, Österreich-Ungarns und der Schweiz statt, um sich über die Verhältnisse in den betreffenden Ländern in bezug auf die Rabattgewährung auszusprechen und die Möglichkeit gleichgerichteter staatlicher Massnahmen zu prüfen. Irgendwelche Beschlüsse wurden dabei jedoch nicht gefasst.

Im nachfolgenden sollen die in verschiedenen Staaten zur Bekämpfung dieses Übels getroffenen Vorkehren dargestellt und ein Überblick über die in der Schweiz hiefür gemachten Anstrengungen gegeben werden.

V e r e i n i g t e S t a a t e n von N o r d a m e r i k a , Zu Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts begannen auf dem Gebiete der Lebensversicherung ernsthafte Bestrebungen der Gesellschaften und der nationalen Vereinigung der Versicherungsvertreter zur Bekämpfung der Provisionsabgabe beim Versicherungsabsohluss, wobei für diesen Zweck erhebliche Summen aufgewendet wurden. D Beschwerden über Provisionsabgaben befasst. Dem Beispiel des Staates New York folgen andere Bundesstaaten mit ähnlichen Massnahmen. Die Lebensrersicherungsgesellschaften und die Berufsorganisation der Versicherungsvertreter setzten sich für die Durchführung des Gesetzes mit Nachdruck ein, so dass, wie verlautet, die Provisionsabgabe im Anwerbebetrieb der Lebensversicherung fast ganz verschwunden ist.

S c h w e d e n . Nach einem Abkommen der schwedischen Lebensversicherungsgesellschaften vom 13. Februar 1913 darf den Beruf eines

605 Vermittlers nur ausüben, wer beim Registerbureau der Gesellschaften als solcher eingetragen ist. Die gleiche Bestimmung wurde in ein neues Abkommen der Gesellschaften vom 11. Juni 1917 aufgenommen. Sie bezweckt eine scharfe Kontrolle des Anwerbebetriebes und die Schaffung der Gewähr für ein tüchtiges und zuverlässiges Anwerbepersonal. Zugleich war sie eine wertvolle Voraussetzung für die wirksame Bekämpfung des auch in diesem Lande überhand nehmenden Übels der Provisionsabgabe durch eine staatliche Masanahme. Diese erfolgte durch das schwedische Gesetz vom 4. September 1914, das den Lebensversicherungsgesellschaften und ihren Vertretern untersagt, zugunsten einzelner Versicherungsnehmer oder von Gruppen solcher unmittelbar oder mittelbar eine Ermässigung der Tarifprämie ^u gewähren. Ein Vermittler darf eine Provision oder einen andern Entgelt nicht beziehen, bevor er wenigstens zwei Versicherungen bei der gleichen Gesellschaft abgeschlossen hat. Das Abkommen bot den Gesellschaften die Möglichkeit, dem Verbot im Anwerbebetrieb Nachachtung zu verschaffen, so dass in Schweden der Missstand der Provisionsabgabe als beseitigt gelten kann.

Ö s t e r r e i c h . In Österreich hatte die Belastung der privaten Versicherer mit Anwerbekosten durch das Überhandnehmen der Provisionsabgabe einen hohen Grad erreicht. Zu ihrer Bekämpfung wurde das Gesetz über das Verbot der Beteiligung des Versicherungsnehmers an der Agentenprovision vom. 27. Januar 1921 erlassen. Es gilt nicht allein für die Lebensversicherung, obwohl in dieser der Missstand am lebhaftesten empfunden wurde, sondern für alle Versicherungszweige. Versicherungsagenten ist verboten, dem Versicherungsnehmer unmittelbar oder mittelbar einen Vorteil aus der ihm gebührenden Provision zuzuwenden. Die Versicherungsunternehmung kann den Geldbetrag oder Geldwert der bewirkten Leistung samt den gesetzlichen Zinsen von dem Versicherungsnehmer und dem Versicherungsagenten zurückfordern. Sie kann ihn auch von jeder Vertragsleistung in Abzug bringen. Der Strafe unterliegen im Falle des Zuwiderhandelns gegen das Verbot nicht allein der Versicherungsagent, sondern auch der Versicherungsnehmer und jeder Dritte, der hierzu verleitet oder zu verleiten sucht. Sie besteht in einer Busse bis zum dreifachen Betrag der dem Agenten gebührenden Provision.

D e u t s c
h l a n d . Im Jahre 1900 vereinbarten die vier grossen Lebensversicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit, dass den Versicherungsnehmern keine Abschluss- und Inkassoprovision gegeben werden dürfe.

Sie verpflichteten sich auch, keine Vergünstigungsverträge mehr abzuschliessen. Dieses sog. ^Heidelbergerabkommen"1 sollte die Grundlage für eine allgemeine Vereinbarung des Verbandes deutscher Lebensversicherungsgesellschaften werden. Eine grössere Zahl von Gesellschaften schloss sich dem Abkommen an, doch trat es schon Ende 1902 wieder ausser Kraft.

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Nach langen Verhandlungen kam im Jahre 1911 das sog. ,,Antirabattabkommena zustande, das den ihm beitretenden Gesellschaften ähnliche Verpflichtungen auferlegte wie das ,,Heidelbergerabkommen11'. Es untersagte sowohl die Gewährung von Sondervergütungen an einzelne Versicherungsnehmer als auch den Abschluss von Vergünstigungsverträgen. Ausgenommen waren die Verträge mit Arbeitgebern zum Zwecke der Fürsorge von Arbeitern und Angestellten. Für den Fall der Konkurrenz mit Vergünstigung^ vertragen wurde es den Gesellschaften freigestellt, den Versicherungsnehmern die gleichen Vorteile anzubieten. Für die Nichtbeachtung waren nachdrückliche Sanktionen vorgesehen, die hauptsächlich im Verlust der Abschlussprovision und im Wiederholungsfalle in einer Busse an die ,,Antirabattkommissiona bestanden. Auch diesem Abommen war kein Erfolg beschieden und im Jahre 1913 wurden die weitern Vorhandlungen hierüber abgebrochen.

Ein dritter Versuch zur Beseitigung der Provisionsabgabe durch eine gegenseitige Verständigung wurde im Jahre 1919 unternommen durch die Aufstellung der ,,Richtlinien für das Verbot der Provisionsabgabe und Vergünstigungsverträge'4. Sie verfolgten das gleiche Ziel wie das Antirabattabkommen. Da eine Anzahl Gesellschaften sich den Richtlinien nicht unterziehen wollte, wurden sie im Jahre 1921 wieder aufgegeben.

Nachdem die ernsthaften Bemühungen der Gesellschaften, das unvermindert fortdauernde Rabattunwesen durch eigene Massnahmen zu unterbinden, wiederholt gescheitert waren, wandten sich diese um Hilfe an den Staat. Dem Ersuchen wurde entsprochen durch die Novelle zum deutschen Aufsichtsgesetz vom 19. Juli 1923. Nach § 64, Abs. 2, derselben kann die Aufsichtsbehörde allgemein oder für einzelne Versicherungszweige Anordnungen erlassen, wonach Versicherungsunternehmungen und Vermittlern von Versicherungsverträgen die Gewährung von Sondervergütungen an den Versicherungsnehmer in irgendeiner Form untersagt wird ; ebenso kann allgemein oder für einzelne Versicherungszweige den Versicherungsuoternehmungeu der Abschluss und die Verlängerung von Vergünstigungsverträgen untersagt werden. Die laufenden Vergünstigungsveiträge werden auf den 1. Oktober 1923 ausser Kraft erklärt.

Dieser Gesetzeserlass enthält noch nicht das Verbot der Vergünstigungsgewährung, sondern die Ermächtigung der Aufsichtsbehörde,
für alle Versicherungszweige die hiefUr erforderlichen Verfügungen zu treffen. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird darauf hingewiesen, dass namentlich die Lebensversicherungs- und auch die Unfall- und Haftpflichtversicherungsgesellschaften die durch die Provisionsabgabe vermehrten Abschlusskosten drückend empfinden. Eine Befreiung von diesen Lasten durch gesetzliche Anordnungen scheine geboten, zumal die Gesellschaften beö haupten, sich ihnen nicht durch eigene Kraft entziehen zu können. Es wird auch betont, dass die Gewährung eines besondern Vorteils aus der

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Abschlussprovision an den Versicherungsnehmer ihrem Wesen nach eine Bevorzugung einzelner auf Kosten der Gesamtheit der Versicherten sei.

In Ausführung dieser Gesetzesbestimmung wurden den Lebens-, Unfallund Haftpflichtversicherungsunternehmungen und ihren Vermittlern durch die Verfügungen des Reichsaufsichtsamtes vom 31. Juli 1923 und 14, Mai 1924 die Gewährung von Sondervergütungen an den Versicherungsnehmer in irgendeiner Form, sowie der Abschlüge und die Verlängerung von Begünstigungsverträgen untersagt. Ausgenommen von diesem Verbot sind für die Unfall- und Haftpflichtversicherungen Abkommen, durch die Angehörigen einer bestimmten Personengruppe ein Nachlass auf die jeweilige Prämie von nicht mehr als 10 % zugestanden wird.

Da über den Begriff des verbotenen VergünstigungsVertrages Zweifel entstanden, verfügte das Reichsaufsichtsarnt am 14. Mai 1924, dass ein solcher dann vorliege, wenn den Beteiligten ein Vorteil ohne Gegenleistung eingeräumt wird oder wenn, ungeachtet allfälliger Gegenleistungen, die bewilligten Vorteile unmittelbar oder mittelbar an die Versicherten weitergegeben werden. Durch Erlass vom 4. November 1925 erläuterte dann das Reichsaufsichtsamt diese Verfügung noch dahin, dass es einen verbotenen Vergünstigungsvertrag insbesondere dann nicht als gegeben erachte, wenn mit Firmen oder Personenvereinigungen auf Grund eines genehmigten Geschäftsplanes Versicherungen mit ermässiglen Prämienleistungen des Versicherungsnehmers derart abgeschlossen werden, dasa die verlangte Prämie den übernommenen Leistungen entspricht und eine Benachteiligung der übrigen Versicherten voraussichtlich nicht stattfindet. Damit wurde eine Ausnahmebestimmung für die Kollektiv Versicherungen aufgestellt.

S p a n i e n verbot die ganze oder teilweise Abtretung der Abschluasprovision durch die Agenten an den Versicherungsnehmer durch Verordnung vom 26. Juni 1929.

F r a n k r e i c h . Auch in Frankreich wurde von den Lebensversicherungsunternehmungen und ihren Vertretern schon längst lebhafte Klage geführt über die Unsitte der Provisionsabgabe, da sie die Gesellschafte a in steigendem Masse mit Anwerbekosten belastete und den Vermittlern mehr und mehr ihren Arbeitsertrag verkürzte. Im Jahre 1922 setzte die französische Aufsichtsbehörde eine Studienkommission ein, bestehend aus Vertretern der wichtigsten
Versicherungsgesellschaften, sowie der Agenten und Courtiers, mit dem Auftrag, die Verhältnisse in der Lebensversicherung eingehend zu prüfen und die Mittel zur Beseitigung dieses Übelstandes zu finden. Ein in der Folge aufgestellter Gesetzesentwurf verbot die Provisionsabgabe unter scharfer Strafdrohung. Das Gesetz kam indessen nicht zustande, und es scheint, dass die Verhältniese im Anwerbebetneb sich seither in bedrohlichem Masse verschlimmerten. Diese Tatsache veranlaaste die französische Aufsichtsbehörde zu energischem Einschreiton.

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Gestützt auf die ihr durch das französische Aufsichtsgesetz von 17. März 1905 erteilte Befugnis zur Genehmigung des Geschäftsplanes der ihrer Aufsicht unterstellten Lebensversicherungsgesellachaften, insbesondere auch zur Begrenzung der Anwerbekosten, erliess sie durch ein Dekret vom 6. April 1930 ein strenges Provisionsabgabeverbot. Im Dekret wird zunächst festgestellt, dass die geschäftsplanmässig festgesetzte Bruttoprämie einen Mindestbetrag darstelle, unter dem eine Lebensversicherung nicht abgeschlossen werden dürfe. In Anwendung dieses Grundsatzes wird den Gesellschaften und ihren Vermittlern untersagi, dem Versicherungsnehmer die ganze Anwerbeprovision oder einen Teil derselben mittelbar oder unmittelbar zu überlassen oder ihm in anderer Form einen Nachlass auf den Prämien, Steuern und Abgaben zu gewähren. Durch eia Rundschreiben wurden die Gesellschaften au/gefordert, das Verbot allen Anwerbeorganen unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und sie zu seiner gewissenhaften Befolgung anzuhalten. Es wurde auch als erwünscht bezeichnet, von den Agenten die schriftliche Erklärung einzufordern, dass sie das Verbot streng beachten worden.

Die S c h w e i z . Schon in einem Rundschreiben vom 25. November 1891 an die konzessionierten Lebensversicherungsgesellschaften rügte das Versicherungsamt ,,als besonderen Übelstand die in neuerer Zeit immer mehr überhandnehmende Praxis der Agenten, dem Versicherten auf der ersten Prämie Eabatt zu gewähren a und lud sie ein, sich über die zur wirksamen Bekämpfung dieser bedauerlichen Anwerbepraxis geeigneten Massnahmen zu äussern. Die Antworten der Gesellschaften ergaben das Vorhandensein dieses Missstandes, über die Notwendigkeit besonderer Abwehrmassnahtnen und über ihre eventuelle Beschaffenheit und Eignung gingen die Meinungen noch stark auseinander. Die Aufsichtsbehörde verfolgte die Angelegenheit zunächst nicht weiter.

Im Jahre 1910 wurde die Frage bei Anlass der damals noch periodisch stattfindenden Konzessionserneuerung vom Veraicherungsamt neuerdings aufgegriffen und an einer Konferenz mit Vertretern der Lebensversicherungsgesellschaften und des Vereins der Versicherungsbeamten eingehend besprochen und die Möglichkeit einer Abhilfe durch das Zusammenwirken der Gesellschaften mit der Aufsichtsbehörde geprüft.

Insbesondere wurde gedacht an eine bei der
Konzessionserneuerung von den Gesellschaften der Aufsichtsbehörde abzugebende Erklärung, wonach sie sich verpflichten, dem Rabattunwesen nach Möglichkeit zu steuern und Vermittler, die sich zur Anwerbung der Gewährung von Rabatten bedienen, unnachsichtlich aus ihren Diensten zu entlassen. Aber auch dieser Weg wurde nicht als gangbar betrachtet, vielmehr gelangte die Konferenz zu der Auffassung, dass dieser nur in einer gesetzlichen Regelung durch eine entsprechende Ergänzung der Strafbostimmungen des Aufsichtsgesetzes gefunden werden könne.

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Seither hat die Frage der Bekämpfung der Provisionsabgabe die Lebensversicherungsgesellschaften andauernd beschäftigt, Im Jahre 1915 vereinbarten sie, den Vermittlern die Rabattgewährung als Anwerbemittel zu untersagen, und auf den,,l. Januar 1917 verpflichteten sie sich, keine neuen Vergünstigungsverträge mehr abzuschliessen und einige Zeit darauf auch die bestehenden Verträge nach Möglichkeit abzubauen. Die Durchführung dieser Massnahmen scheiterte aber an dem Umstände, dass sich die Unterdrückung der Provisionsabgabe im freien Anwerbebetrieb ohne die Unterstützung staatlicher Vorschriften als unmöglich erwies und bei dieser Sachlage auch die Bereitschaft zur Kündigung der Vergünstigungsverträge nicht zu finden war. In einer Eingabe vom 5. Oktober 1921 «rsuchte daher die Direktorenkonferenz die Aufsichtsbehörde, durch einen Bundesratsbeschluss ,,Massnahmen gegen die Abgabe von Provisionen durch Versicherungsagenten an Versicherungsnehmer zu treffen1*. Das Versicherungsamt verlangte zunächst die Beibringung eines möglichst eingehenden, die Verhältnisse abklärenden Tatsachenmaterials. Die Direktorenkonferenz war jedoch hiezu nicht in der Lage, da, wie sie erklärte, die Provisionsschleuderei sich im Dunkeln vollziehe und sich daher der Erfassung durch die Gesellschaften entziehe. Andere dringende Aufgaben verhinderten die Aufsichtsbehörde, sich in der nächsten Zeit mit der Angelegenheit zu befassen,In einer eingehend begründeten Eingabe vom 23. April 1924 an die Aufsichtsbehörde wiederholte die Direktorenkouferenz ihr Gesuch um Erlass behördlicher Massnahmen. Sie betonte die Unmöglichkeit, ohne solche dem Unfug der Provisionsabgabe zu steuern, und unter Hinweis auf den engen Zusammenhang zwischen der Rabattgewährung im freien Anwerbebetrieb und den Vergünstigungsverträgen befürwortete sie auch die Aufhebung dieser letztern. Am 23. Juli 1926 regte der Verband konzessionierter schweizerischer Versicherungsgesellschaften an, das Verbot der Provisionsabgabe nicht auf die Lebensversicherung zu beschränken, ·sondern auf alle Versicherungszweige auszudehnen.

Die nochmalige eingehende Prüfung der Angelegenheit bestätigte die grossen Schwierigkeiten, die sich in mancher Beziehung einer staatlichen Ordnung dieser Verhältnisse entgegenstellten. In Konferenzen vom 25, Februar 1927 und 23. Juni 1928 mit den
Vertretern der schweizerischen Lebensversicherungsgesellschaften und den sämtlichen Verbänden der privaten Versicherungsunternehmungen, sowie der Schweizerischen Rttckversicherungsgesellschaft, wurde versucht, alle in Betracht kommenden Fragen nach Möglichkeit abzuklären. Ausserdem wurden auch Vertreter von Personenverbänden angehört, die an dem Weiterbestehen von Vergünstigungsverträgen interessiert sind, Um die Durchführung einer behördlichen Massnahme zu erleichtern, gaben die sämtlichen in der Schweiz konzessionierten Lebensversicherungsgesellschaften der Aufsichtsbehörde -die schriftliche Erklärung ab, die nach den frühern Beschlüssen der Bundeeblatt. 82. Jahrg. Bd. I.

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610 Direhtorenkonferenz auf ein Jahr erneuerten Vergünstigungsvertrage auch weiterhin nur noch für die gleiche Zeitdauer zu erneuern und sie nach dem Erlass des Verbotes auf den nächstmöglichen Termin zu kündigen und bis dahin keine neuen Vergünstigungsvertrage abzuschliessen. Für den Fall jedoch, dass der Erlass des behördlichen Verbotes nicht bis zum 30. Juni 1930 erfolgen sollte, behielten sich die Gesellschaften ihre Entschliessungsfreiheit vor.

Am 24. März 1927 wurde der Bundesrat im Nationalrat durch eine Kleine Anfrage um Auskunft ersucht, ob er dem Begehren der schweizerischen Direktorenkonferenz, wonach in Zukunft Vergünstigungsverträge zwischen Versicherungsgesellschaften und Vereinen oder Berufsverbändeii verunmöglicht werden sollen, zu entsprechen beabsichtige. In seiner Antwort vom 2. April 1927 bemerkte der Bundesrat, dass daa Gesuch der Direktorenkonferena von dem Gesichtspunkte aus geprüft werde, ob und inwieweit diese Praktiken mit der der Aufsichtsbehörde zustehenden Genehmigung der Versichernngstarife und mit einer gesunden Geschäftsgebarung verträglich seien. Die Prüfung werde längere Zeit in Anspruch nehmen und der Bundesrat habe zu der Frage noch nicht Stellung genommen.

III. Das Terbot der Vergünstigungsgewährung.

1. Die Wünschbarkeit des Verbotes.

In deu vorstehenden Ausführungen wurde nachgewiesen, dags die Gewährung von Vergünstigungen an Versicherungsnehmer als Akquisitionsmittel auch in der Schweiz einen ernsten Missstand im Anwerbebetrieb der privaten Versicherung darstellt, den die Gesellschaften aus eigener Kraft nicht zu beheben vermochten. Somit stellt sich die Frage, ob ein Eingreifen des Staates zur Sanierung dieser Verhältnisse wünschbar sei und in welcher Form dieses gegebenenfalls zu erfolgen habe.

Die Voraussetzung hiezu ist gegeben, wenn es sich darum handelt, nicht allein die Konkurrenzverhälnisae für die Versicherer erträglicher zu gestalten, sondern die dem Bund anvertrauten Interessen der Gesamtheit der Versicherten zu schützen.

Die Erhebungen der Aufsichtsbehörde ergaben, dass auf dem Gebiet der U n f a l l - u n d S c h a d e n s v e r s i c h e r u n g von der Provisionsabgabe als Anwerbemittel zwar ebenfalls Gebrauch gemacht wird, dass aber von einem die Gesamtinteressen der Versicherten bedrohenden Missstand nicht gesprochen werden kann. Diese Tatsache wurde auch von den Vertretern der Unfall- und Schadensversicherungsgesellschaften an den beiden Konferenzen der Jahre 1927 und 1928 bestätigt. Sie waren der Meinung, dass ein Bedürfnis zur Ausdehnung der Massnahmen auch auf diese Versicherungszweige nicht bestehe, wenn sie sich auch aus Solidarität gegen sie nicht ablehnend verhielten. In der Unfall- und Schadensversicherung

en ·wäre übrigens die Durchführung einer Massnahme gegen die Provisionsabgabe infolge der Besonderheiten der Tarifierung der Risiken ausserordentlich schwierig. Es bliebe den Gesellschaften immer die Möglichkeit offen, den Versicherungsnehmern durch die mehr oder weniger anheimgegebene Klassierung derselben entgegenzukommen. Nun scheint es aber nicht ratsam, die Massnahmen des Staates auf ein Gebiet zu erstrecken, auf dem nicht nachgewiesen ist, dass die "Voraussetzungen hiefür wirklich bestehen, nur um einer allenfalls möglichen nachteiligen Entwicklung der Verhältnisse vorsorglich vorzugreifen. Damit würde der Freiheit des Handels ein unnötiger Zwang auferlegt. Die Unfall- und Schadensversicherung soll daher für die Anwendung einer staatlichen Massnahme gegen die Provisionsabgabe ausser Betracht fallen.

Andere liegen die Verhältnisse in der L e b e n s v e r s i c h e r u n g . Die Versicherungsverträge werden auf eine lange Dauer abgeschlossen. Da die Prämie während der ganzen Vertragsdauer sich gleich bleibt, obwohl die Sterblichkeit mit dem Alter wächst, muss ein Deckungskapital angesammelt werden. Überdies muss die Gesellschaft Mittel bereitstellen können zur Tragung von Sterblichkeitsverlusten infolge von Epidemien oder Krieg und von Kapitalverlusten infolge wirtschaftlicher Krisen.

Diese Erfordernisse bedingen die Bestellung hinreichender technischer und freier Reserven. Die haupsächlichste Quelle zu ihrer Auffüllung bilden die Prämien. Diese müssen aber ausserdem zur Deckung der Abschluss-, Inkasso- und Verwaltungskosten ausreichen, deren zukünftige Höhe nach den Erfahrungen der Vergangenheit bemessen wird. Auf die Sterbetafel, den Zinsfuss und die Annahme über die mutmasslichen Kosten gründet sich die Berechnung der Prämie. Werden die Anwerbekosten durch das Überhandnehmen der Provisionsabgabo hinaufgetrieben, so entsteht die Gefahr, dass die Prämie den Zwecken, zu deren Erfüllung sie bestimmt ist, nicht mehr zu genügen vermag. Bei den ansehnlichen Versicherungsbeständen der Gesellschaften kann die Steigerung der Anwerbekosten bald grosse Beträge fordern. Verfügt die Gesellschaft zur Deckung der Mehrkoston nicht über hinreichende freie Reserven, so bliebe nur der Ausweg, die Gewinnanteile zu schmälern oder die Prämien zu erhöhen. Beide Vorkehren gingen auf Kosten der Gesamtheit der
Versicherten. Solche Massnahmen wären übrigens für die Gesellschaften auf die Dauer nicht tragbar, da sie ihr Ansehen erschüttern und zur Liquidation zwingen würden, was für die Versicherten wieder die Gefahr weiterer Verluste mit sich brachte. Aufgabe der Aufsichtsbehörde ist es, solchen Möglichkeiten in ihren Anfängen zu wehren. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Dringlichkeit des staatlichen Einschreitens gegen das in anderer Weise nicht zu behebende Übel der Provisionsabgabe, das erfahrungsgemäss in seinen Auswirkungen zu den erwähnten Folgen fuhren kann. Eine rechtzeitige staatliche Vorkehr gegen diese Gefahr liegt somit im Interesse der Gesamtheit der Versicherten.

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2. Die rechtliche Form des Verbotes.

Die staatliche Massnahme gegen die Vergünstigungsgewährung bei Versicherungsabschluss kann nur in einem gänzlichen Verbot dieses Anwerbemittels bestehen. Das Verbot kann ausgesprochen werden durch Gesetz oder durch Verordnung des Bundesrates als Aufsichtsbehörde über das private Versicherungswesen. Es fragt sich, welche Losung für den vorliegenden Fall vorzuziehen sei.

Ein gesetzlicher Erlass böte gewisse Vorteile. Das Verbot könnte freier normiert werden, da der Gesetzgeber nicht an die durch das Aufsichtsgesetz gezogenen Schranken gebunden wäre. Insbesondere wäre es möglich, wie dies in ausländischen Gesetzen geschehen ist, durch das Verbot alle an einer strafbaren Handlung beteiligten Personen, also auch den Versicherungsnehmer und jeden Dritten, zu erfassen. Im Übertretungsfall wären die Fehlbaren dem ordentlichen Richter zur Bestrafung zu überweisen, und dieser wäre in der Lage, den strafbaren Tatbestand mit allen einer richterlichen Strafuntersuchung zu Gebote stehenden Mitteln festzustellen.

Trotz dieser Überlegungen scheint der Erlass des Verbotes durch behördliche Verfügung als angemessener. Die in Betracht kommenden Verhältnisse sind nicht in einem Masse abgeklärt, das es ratsam erscheinen lässt, sie durch gesetzliche Vorschriften; die sich nur schwer neuen Erfordernissen anpassen lassen, sanieren zu wollen. Der anpassungsfähigere administrative Erlass kann den mit einer staatlichen Massnahme erst noch zu machenden Erfahrungen leichter gerecht werden. Sollte sich später die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung ergeben, so konnte diese gestützt auf dieselben um so wirksamer gestaltet werden.

Die Befugnis zu einer behördlichen Massnahme ist der Aufsichtsbehörde gegeben durch Art, 9, Abs. l, des Aufsichtsgesetzes, der es ihr zur Pflicht macht, jederzeit die ^durch das allgemeine Interesse und dasjenige der Versicherlen geboten erscheinenden Verfügungen ssu treffen". Schon ia andern Fällen machte der Bundesrat von dieser Gesetzesbestimmung Gebrauch und untersagte durch besondere Verordnung die Vornahme bestimmter Handlungen im Versicherungsbetrieb, Erinnert &ei insbesondere an das ,,Verbot der ziffernmässigen Nettokostenaufstellungen im Anwerbebetrieb der Lebensversicherungsgesellschaften in der Schweiz" vom 5. März 1915.

Die Handhabung des
Verbotes stellt der Aufsichtsbehörde keine leichte Aufgabe. Das Versicherungsamt ist nicht in der Lage, seine strenge Innehaltung im Anwerbebetrieb der Gesellschaften zu überwachen. Die wirksame Durchführung der Verordnung wird nur möglich sein im Zusammenwirken mit den Gesellschaften. Die Aufsichtsbehörde darf um so mehr erwarten, dass diese dem Verbot bei ihren Anwerbeorganen mit grösstem Nachdruck Nachachtung verschaffen, als dieses dem Schutze auch

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ihrer Interessen dient und daher von ihnen dringend begehrt wurde. Sie werden dabei von den zuverlässigen und tüchtigen Agenten unterstützt werden.

3. Dei Inhalt des Verbotes.

Der Tatbestand, auf den das Verbot Anwendung findet, ist in Art. l umschrieben. Aus den schon erwähnten Gründen soll es nur für die Lebensversicherung Geltung haben. Seinen Zweck, eine immer weitergehende Belastung des Versicherers mit Anwerbekosten zu verhüten, kann es nur erreichen, wenn es die Gewährung von Vergünstigungen an den Versicherungsnehmer auf die von ihm abzuschliessenden Versicherungen in jeder Form untersagt. Unter Vergünstigung ist jede direkte oder indirekte Vermögenswerte Sonderleistung zu verstehen, die ihm von der Versicherungsunternehmung oder vom Vermittler gewährt wird, wie die Ermässigung der ersten oder auch der Folgeprämien, der Erlass von Gebühren oder Nebenkosten, die Auszahlung eines Geldbetrages oder die Verabfolgung eines Geschenkes. Eine Zuwiderhandlung gegen das Verbot wird immer dann vorliegen, wenn die Vermögensaufwendung des Versicherungsnehmers geringer ist als seine geschäftsplanmässig festgestellte Gegenleistung für seine Versicherung. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Sondervergütung zu Lasten der Gesellschaft oder des Vermittlers geht.

Das Verbot verlangt eine konsequente Anwendung, die keine Ausnahmen zugunsten besonderer Versichertenkroise zulässt. Auch dem Verlangen der Gesellschaften, die von ihren Angestellten für sich und ihre Angehörigen abgeschlossenen Versicherungen vom Verbot auszunehmen, konnte aus grundsätzliche u Erwägungen nicht entsprochen werden. Den Gesellschaften bleibt es vorbehalten, ihren Angestellten eine Fürsorgevcrsicherung zu gewähren, doch soll sie nicht in die Form einer Vergünstigung im Sinne dieses Verbotes gekleidet sein. Sollten sich Zweifel ergeben, ob eine solche vorliege, so wird die Aufsichtsbehörde darüber zu entscheiden haben.

Abs, 2 hebt die wichtigsten und in ihren Folgen schwerwiegendsten Fälle der Vergünstigungsgewährung hervor. Die Aufzählung ist, wie sich aus der Fassung ergibt, keine abschliessende, sondern eine beispielsweise.

In lit. a wird ausdrücklich verboten die Vereinbarung einer niedrigeren als der von- der Aufsichsbehörde genehmigten Prämie. Die Einhaltung der geschäftsplanmässig festgelegten Prämie ist in der Lebensversicherung eine der wichtigsten Grundsätze der Staatsaufsicht. Für bestimmt umschriebene Personenkreiso und unter besonderen Voraussetzungen kann von
der Aufsichtsbehörde eine Sonderpraniie zugelassen werden, sofern die ihr von der Gesellschaft unterbreiteten technischen Nachweise eine solche rechtfertigen. Ein wichtiges Anwendungsgebiet von Sondertarifen bildet die Kollektiv- oder Gruppenversicherung, bei welcher durch einen Vertrag eine grössere Zahl von Personen umfasst wird. Sie werden namentlich

614 von Arbeitgebern abgeschlossen zur Versicherung der Arbeitnehmer. Da auch auf diesem Gebiet eine scharfe Konkurrenz unter den Gesellschaften eingesetzt hat, die leicht zu einem allzu weitgehenden Entgegenkommen dem Versicherungsnehmer gegenüber führt, sieht sich die Aufsichtsbehörde veranlagst, für die Festsetzung der Sondertarife allgemein verbindliche Richtlinien aufzustellen.

In lit. b wird die teilweise oder vollständige Überlassung der Abschluss- und Inkassoprovision an den Versicherungsnehmer erwähnt. Die Verordnung weist; damit auf die von Vermittlern im freien Anwerbebetrieb am häufigsten angewendete Form der Vergünstigungsgewährung hin.

Nach der allgemeinen Fassung des Art. l findet dieser auch Anwendung auf die V e r g ü n s t i g u n g s v e r t r ä g e . Die Ausdehnung des Verbotes auch auf diese Vertragsform ist aus den weiter oben angegebenen Gründen notwendig. Die wirtschaftlichen Interessen der am Vergünstigungsvertrag beteiligten Kreise müssen vor dem höheren Gesamtinteresse der Versicherten zurücktreten.

Die bestehenden Vergünstigungsverträge werden durch die Verordnung nicht berührt, da es sich dabei um vertraglieh begründete Rechte handelt, in die eine behördliche Verfügung nicht eingreifen kann. Dies gilt nicht allein für die Sondervorteile, die den Versicherungsnehmern nach dem Vergüostigungsvertrag auf den schon abgeschlossenen Versicherungen eingeräumt sind, sondern auch für die auf Grund derselben erst abzuschliessenden Versicherungen. Diese Tatsache hat nicht die Bedeutung einer Ausnahmebehandlung dieser Versicherungen, sondern sie beruht auf der Nichtanwendbarkeit des Verbotes. Da es den andern Gesellschaften untersagt ist, den Versicherungsnehmern die gleichen Vergünstigungen zu gewähren, entsteht für die Übergangszeit eine Ungleichheit im Wettbewerb.

Dem von mehreren Gesellschaften gemachten Vorschlag, zu ihrer Beseitigung allen Versicherera bis zum Ablauf der Vergüusliguugsverträge das gleiche Recht einzuräumen, konnte nicht entsprochen werden, da eine solche Ausnahmebestimmung mit dem Ernst und der Dringlichkeit der Massnahme nicht vereinbar wäre. Es darf dabei nicht ausser acht gelassen werden, dass die Gesellschaften, die genötigt sind, die Vergünstigungsverträge zu kündigen, durch die Aufgabe wertvoller und zum Teil schon alter Vertragsbeziehungen im
Gesamtinteresse der privaten Lebensversicherung ein nicht unerhebliches Opfer bringen. Bei den andern Gesellschaften wird der vorübergehende, für das Gesamtgeschäft nicht ins Gewicht fallende Nachteil einer ungleichen Konkurrenzstellung durch den Vorteil des Wegfalles eines fühlbaren Übelstandes im Anwerbebetrieb reichlich aufgewogen.

Nicht unter das Verbot fallen die von Gesellschaften mit Korporationen abgeschlossenen Agenturverträge, d. h. Vereinbarungen, wonach der vom Versicherer für die Vermittlung von Versicherungen mit Korporationsmit-

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gliedern gewährte Entgelt dem vermittelnden Korporâlionsorgan zukommt oder au allgemeinen Korporationszwecken Verwendung findet. Die Notwendigkeit, das Verbot auf die Agenturverträge anzuwenden, besteht deshalb nicht, weil der Versicherungsnehmer die volle Tarifprämie bezahlt und daher im Konkurrenzfalle für den Vermittler der Konkurrenzgesellschaft keine Veranlassung zur Provisionsabgabe besteht.

4. Die Straî- und Schlussbestünmungeu.

Art. 2 enthalt die StrafbestimmuDg für den Fall der Übertretung des Verbotes. Sie ist eine Anwendimg des Art. 10 des Aufsichtsgesetzes, der den Bundesrat ermächtigt, gegen Unternehmungen oder deren Vertreter, ·welche den von ihm erlassenen Verfügungen oder Verordnungen zuwiderhandeln, Ordnungsbussen bis auf den Betrag von 1000 Franken auszusprechen. Nach der Auffassung der Aufsichtsbehörde haben als Vertreter alle Personen zu gelten, die für die Gesellschaft geschäftlich tätig sind, sei es auf Grund einer vertraglichen Abmachung oder" durch ein geschäftliches Handeln von Fall zu Fall. Unter die Strafbestimmung fallen daher auch Zuwiderhandlungen der sog. ,,stillen' Vermittler", die nur gelegentlieh oder im Einzelfalle Versicherungen vermitteln.

Die Beurteilung der Schuldfrage bei einer Übertretung ist in das Ermessen der Aufsichtsbehörde gestellt. Die Gesellschaft ist auf alle Fälle verantwortlich für die gewissenhafte Anordnung der für die Durchführung der Verordnung geeigneten Massnahmen. Diese lässt ihr hierin völlig freie Hand. Die Aufsichtsbehörde kann jedoch jederzeit über die getroffenen Vorkehren Auskunft verlangen und gegebenenfalls hieftir auch Weisungen erteilen. Hat sich die Gesellschaft in der Erfüllung dieser Pflicht eine Verfehlung zuschulden kommen lassen, so wird sie auch dann für eine Übertretung verantwortlich sein, wenn diese ohne ihr Wissen von einem Vermittler begangen wurde.

Nach Art. 50 des Bundesgesetzes über die eidgenössische Verwaltungsund Disziplinarrechtspfloge vom 11. Juni 1928 ist die Kompetenz zur Ausfällung einer Busse von Gesetzes wegen an eine Miltelinstanz übertragen. Die Verordnung erklärt hiefür das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement als zuständig.

Den Gesellschaften muss eine gewisse Frist eingeräumt werden, um den Anwerbeorganen das Verbot bekannt zu geben und die für die Durchführung notwendigen Anordnungen zu treffen. Als Zeitpunkt ihrer Inkraftsetzung wurde daher der 1. Juli 1930 bestimmt.

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Bundesratsbeschluss über das Verbot der Gewährung von Vergünstigungen auf Lebensversicherungen. (Vom 23. Mai 1930.)

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