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Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 4. Juni 1928, um 18 Uhr, zur zwölften Tagung der 27. Legislaturperiode zusammengetreten.

Im K a t i o n a l r a t eröffnete Herr Präsident Minger die Session mit folgender Ansprache : Sehr geehrte Herren Nationalräte!

Immer seltener werden die Gestalten, auf deren starken Schultern die grosse Last der Verantwortung, in politischer und militärischer Beziehung, während der sorgenschweren Zeit des Weltkrieges ruhte. In Kreisen dieser Männer halt der Tod reiche Ernte. In der kurzen Zeitspanne von kaum vier Monaten haben wir den Verlust von zwei Persönlichkeiten zu beklagen, deren Namen mit goldenen Lettern in den Annalen der Schweizergeschichte eingetragen sind. Es sind die Männer: Alt B u n desrat Gustav Ador und Generalstabschef Sprecher von B er n egg. In kritisch ernster Zeit hat Gustav Ador von politischer und Theophil Sprecher von militärischer Warte aus unser Land sorgsam bewacht. Treu und fest sind die beiden auf ihren Posten gestanden, dem gleichen hohen und edlen Ziele dienend, nämlich dem Schutz und Schirm unseres Schweizervolkes und Vaterlandes. Gemeinsam haben sie, ein jeder in seiner Stellung, gestritten und gelitten. Gemeinsam sind sie sich im Tode gefolgt. Voll Ehrfurcht und Dankbarkeit hat sich das Schweizervolk am Sarge dieser Grossen verbeugt. Gemeinsam wollen wir im Nationalrate die beiden grossen Toten ehren. Die Umstände rechtfertigen ein Abweichen von der Regel auch deshalb, weil vorgesehen war, dem Generalstabschef Sprecher in dieser Session, anlässlich der Behandlung des Geschäftsberichtes, den Dank des Rates für seine treuen Dienste auszusprechen.

T h e o p h i l S p r e c h e r von B e r n e g g wurde im Jahre 1850 in Maienfeld geboren. Familientraditionen wiesen ihn auf die militärische Laufbahn. Glänzend war seine Karriere als Milizoffizier. Überlegene Ruhe, Klarheit im Urteil und in der Befehlsgebung machten ihm den Aufstieg frei bis hinauf zur obersten Truppenführung. Sprecher war ein Mann von edler Gesinnung, streng mit sich selbst, ausgestattet mit einem seltenen Pflichtgefühl, mit eisernem Willen und unerschütterlichem Grottesglauben.

Dazu kannte er unser Land und seine Geschichte. Alle diese hervorragenden Eigenschaften sicherten ihm die Hochachtung und das Vertrauen seiner Untergebenen und seiner Vorgesetzten.

Neben seiner militärischen Betätigung fand er in frühern Jahren noch reichlich Zeit zur Verwaltung seiner schonen Familiengüter in Maienfeld.

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Dadurch blieb er verankert mit der Scholle und mit seinen Landsleuten, und nicht zuletzt dürfte seine Liebe zum Vaterland und Schweizervolk in diesem umstände begründet sein.

Im Jahre 1905 berief ihn das Vertrauen des Bundesrates auf den höchsten militärischen Posten, den wir in Friedenszeiten zu vergeben haben : S p r e c h e r v o n B e r n e g g w u r d e C h e f d e r G e n e r a l s t a b s a b t e i l u n g . Damit vertauschte Sprecher seine bisherige unabhängige und inhaltsreiche Beschäftigung, die ihm hohe Befriedigung bot, gegen ein Amt, das ihm ein Übermass von Arbeit und Verantwortung auferlegte. Dadurch hat der damals 55jährige unserem Land ein grosses Opfer gebracht.

In seiner neuen Stellung hatte sich Sprecher zwei grosse Ziele gesteckt: Einmal die Förderung des Verständnisses bei unsern höhern Offizieren für die besondere Art der Verteidigung und Kriegsführung in unserem Lande und sodann durch das Mittel einer zweckmässigen Organisation ein Maximum von Kriegsbereitschaft zu erreichen. Seine Arbeitsweise war methodisch und gründlich. Er wollte nichts dem Zufall überlassen.

In sorgfältiger und mühsamer Arbeit wurde der ganze Apparat für die Kriegsmobilmachung bis ins hinterste Detail durchstudiert. Jeder Amtsstelle wurde ihre Aufgabe genau zugewiesen, und die Kontrolle über das Funktionieren wurde bis ins entlegenste Bergdorf durchgeführt. Diesen unermüdlichen und sorgfältigen Vorbereitungsarbeiten verdankten wir im August 1914 die ruhige und reibungslose militärische Mobilmachung, die bei unsern Nachbarstaaten grossen Eindruck machte und Bewunderung und Achtung auslöste.

Nachdem bei Kriegsausbruch die Bundesversammlung Oberstkorpskommandant Wille zum General gewählt hatte, ernannte der Bundesrat Herrn Oberstkorpskommandant Sprecher zu dessen G - e n e r a l s t a b s c h e f .

Ohne Zaudern hat sich Sprecher den Verhaltnissen angepasst, geleitet von dem Pflichtgefühl, unserem Lande in ernster Zeit seine besten Kräfte zur Verfügung zu stellen.

Als die Wolken des Weltkrieges unser Land überschatteten, da blickte unser Volk voll Vertrauen empor zur höchsten militärischen Führung.

Das Steuer war in sicherer Hand, und daran hatte Generalstabschef Sprecher seine hohen Verdienste.

Am 6. Dezember des letzten Jahres ist dieser grosse Eidgenosse zur ewigen Ruhe eingegangen. Voll Dankbarkeit und Verehrung hat das Schweizervolk von ihm Abschied genommen.

Am 31. März dieses Jahres ist dem grossen Militär Sprecher von Bernegg der grosse Politiker Gustav Ador im Tode nachgefolgt. G u s t a v

145 A d or wurde im Jahre 1845 in seiner Vaterstadt Genf geboren und absolvierte daselbst seine juristischen Studien. Frühzeitig wurde er yom Strudel der Politik erfasst. Schon mit 29 Jahren finden wir ihn im Grossen Rat und mit 34 Jahren im Staatsrat. Jahrzehntelang hat er in seinem Heimatkanton eine hervorragende politische Rolle gespielt, und dabei kamen seine glänzenden Fähigkeiten und seine Kräfte zur schönsten Entfaltung. Im Jahre 1889 wurde er in den Nationalrat abgeordnet, dem er 1901 als Präsident vorstand.

Es kam der Weltkrieg. Mitten in dieser gewaltigen Brandung stand unsere kleine Schweiz da wie eine Rettungsinsel zwischen Skylla und Charybdis. Immer drohender wurde der Wellenschlag, speziell auf wirtschaftlichem Gebiet. Nervosität und politische Spannungen waren an der Tagesordnung. Unser Land durch diese Fährnisse glücklich hindurchzusteuern war ein Meisterwerk. Der kleinste Missgriff derjenigen, die am Steuer sassen, konnte für unser Land die grössten Gefahren auslösen.

Am Steuerrad des Politischen Departementes sass im Jahre 1917 Bundesrat Hoffmann. Sein edles Streben, die Bemühungen zur Herbeiführung des längstersehnten Friedens zu unterstützen, wurde ihm zum Verhängnis, und Herr Hoffmann zog die ihm gutscheinenden Konsequenzen.

Das soll uns nicht hindern, dass wir, nachdem Herr alt Bundesrat Hoffmann letztes Jahr ebenfalls durch den Tod abberufen wurde, bei dieser Gelegenheit uns im Nationalrat der grossen Verdienste, die sich dieser hohe Magistrat um unser Land und Volk erworben hat, dankbar erinnern.

In der politisch kritischen Zeit des Jahres 1917 war es ein Gebot der Staatsklugheit, Herrn Hoffmann im Bundesrat durch einen Vertrauensmann der Westschweiz zu ersetzen. Dieser Mann konnte damals kein anderer sein als Gustav Ador. Seine Wahl brachte Entspannung und Beruhigung. Das war es, was unserem Volke damals so nottat. Schon diese Tatsache allein genügt, um dem Staatsmann Ador einen Ehrenplatz in der Geschichte der Kriegszeit einzuräumen. Die Zeit, während welcher Herr Ador dem Bundesrat angehörte, war kurz, aber historisch bedeutungsvoll.

Nachdem Herr Ador im Jahre 1919 das hohe Amt des Bundespräsidenten bekleidet hatte, erachtete er seine Mission als erfüllt und trat als Bundesrat zurück. Er war ein begeisterter Förderer und Anhänger des Völkerbundes, und der 16. Mai
1920 war für ihn ein Tag der Freude und Genugtuung. Während der ersten fünf Jahre wurde ihm das Mandat eines Delegierten an den Völkerbundsversammlungen übertragen.

Seine eigentliche Lebensaufgabe erblickte Gustav Ador in der Leitung des internationalen Roten Kreuzes. Im Jahre 1871 wurde er ins Komitee gewählt, und seit 1910 bis zu seinem Tode war er dessen Präsident.

Volle 57 Jahre hat er auf diesem Gebiet der Humanität gearbeitet, und diese Arbeit war fruchtbar und segensreich. Hier hat sich Ador unver-

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gessliche Verdienste erworben. Sein menschenfreundliches Wirken hat dem Namen unseres Landes in der ganzen Welt Ehre und Anerkennung verschafft. Damit hat er den Dank des Schweizervolkes in hohem Masse verdient.

Voll Dankbarkeit blicken wir heute empor zu den beiden grossen Eidgenossen : Sprecher und Ador. Ich ersuche den Rat, sich zu Ehren dieser beiden Männer von den Sitzen zu erheben.

Im S t ä n d e r a t e eröffnete Herr Präsident Dr Savoy die Session mit einem Nachruf auf den verstorbenen alt Bundesrat und alt Bundespräsident, Herrn G. Ador.

(Wortlaut siehe im Feuille fédérale.)

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 6. Juni 1928.)

Laut Mitteilung der Gesandtschaft von Kolumbien in Bern ist an Stelle des zurückgetretenen Herrn Hermann Böhmer-Haya zum Konsul von Kolumbien in Lausanne Herr Luis Delgado Padilla ernannt worden. Der Bundesrat hat Herrn Luis Delgado Padilla als Konsul von Kolumbien das Exequatur erteilt.

(Vom 7. Juni 1928.)

Es werden folgende Bundesbeiträge bewilligt : 1. Dem Kanton Graubünden an die zu Fr. 61,400 veranschlagten Kosten der Verbesserungen auf der Alp Tarviesch, Gemeinde Savognino, Bezirk Albula, 35 °/0, im Maximum Fr. 21,490.

2. Dem Kanton Wallis an die zu Fr. 284,159 veranschlagten Kosten einer Bergweganlage Villette-Verbier, Gemeinde Bagnes, 35 °/o, im Maximum Fr. 99,455.

Die bisherigen Delegierten des Bundesrates in der Aufsichtskommission des Pestalozziheims Neuhof bei Birr, nämlich die Herren Hans von Matt, Walter Schneider und Professor Dr. Bovet, werden für eine neue dreijährige Amtsperiode, vom 1. Mai 1928 an gerechnet, bestätigt.

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24

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13.06.1928

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