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2403 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Gesetzesentwurf betreffend Ergänzung des Zivilgesetzbuchs und des Obligationenrechts durch Notvorschriften gegen Wohnungsmangel.

; (Vom 17. Dezember 1928.)

I. Die ausgedehnte Wohnungsnot der Kriegs- und Nachkriegszeit hatte den Bmidesrat genötigt, zur Bekämpfung ihrer Ursachen und Folgen eine Reihe von Massnahmen zu ergreifen, die sich auf die ausserordentlichen Vollmachten stützten. Im Bundesratsbeschluss vom 9. April 1920 betreffend Bekämpfung der Miet- und Wohnungsnot (Gesetzsammlung Bd. : 36, S. 199) wurden jene Massnahmen, soweit rechtlicher Natur, ausgebaut und zusarnmengefasst, im Bundesratsbesohluss vom 28. Juli 1922; (Gesetzsammlung Bd. 88, S. 475) teilweise und endlich durch den Bundesratsbeschluss vom 20. Mai 1925 (Gesetzsammlung Bd. 41, S. 289) gänzlich aufgehoben, mit Wirkung auf 1. Mai und 1. November 1926. Die Bundesversammlung stimmte diesen Erlassen jeweilen zu, verband jedoch damit die Überweisung mehrerer Postulate zur Prüfung an den Bundesrat. Am 7. Februar 1923 nahm der Nationalrat zugleich mit der Gutheissung des Bundesratsbeschlusses vom 28. Juli 1922 folgendes Postulat (Weber-St. Gallen, Nr. 1031) an: Der Bundesrat ', wird eingeladen, die Frage zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob nicht durch ein Baridesgesetz über das Wohnungswesen: ' .

, l 1. einheitliche "bundesrechtliche Bestimmungen .über eine ausreichende, den Anforderungen der Hygiene entsprechende Befriedigung des Wohnbedürfnisses der Arbeiterschaft unserer Industrien durch deren Arbeitgeber erlassen werden sollen; 2. durch Bundesunterstützung die Bestrebungen von Kantonen und Gemeinden zur Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaues gefördert werden könnten ; 3. durch eine zeitliche Beschränkung in der Freiheit der Liegenschaftsveräusserung die spekulative Ausnützung der Wohnungsnot eingedämmt werden könnte.

1128 Beide Bäte haben sodann bei Genehmigung des Bundesratsbeschlusses vom 20. Mai 1925 ein Postulat angenommen. Dasjenige des Ständerates (Nr. 1118) vom 24. September 1925 lautet: Der Bundesrat -wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht im Abschnitt des Obligationenrechts über den Mietvertrag Vorschriften aufzunehmen seien, die nur unter ausserordentlichen Verhältnissen, insbesondere im Falle einer andauernden wirtschaftlichen Krise, die eine Wohnungsnot zur Folge hat, anzuwenden wären.

Das Postulat des Nationalrates (Baumberger-Sträuli, Nr. 1120) vom 2. Oktober 1925 lautet: Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen: 1. ob nicht für Zeiten ausserordentlichen Wohnungsmangels Vorschriften zu erlassen seien zur Eegelung der Wohnungsverhältnisse, insbesondere zur amtlichen Festsetzung bestrittener Mietzinse, und von Kündigungen nach wirtschaftlichen Grundsätzen; 2. ob der Bund nicht in Gegenden starker Wohnungsnot den Wohnungsbau fördern solle, insbesondere durch Gewährung zweiter Hypotheken zu herabgesetztem Zinsfuss.

Wir befassen uns in der vorliegenden Botschaft mit den angeführten Postulaten nur insoweit, als sie den Erlass rechtlicher Vorschriften zum Gegenstande haben. Die Frage, ob und in welcher Weise der Bund durch finanzielle Leistungen zur Förderung des Wohnungsbaues beitragen solle (Ziff. 2 des Postulates Weber und Ziff. 2 des Postulates Baumberger-Sträuli), wird in einem besondern Bericht behandelt werden.

II. Die gestellten Postulate wollen den Bundesgesetzgeber veranlassen, in der einen oder andern Bichtung in das Problem der Deckung des Wohnungsbedarfs und in die Beziehungen zwischen Vermieter und Mieter einzugreifen, um nach Möglichkeit künftige Krisen zu verhüten oder ihnen wenigstens von vorneherein möglichst wirksam begegnen zu können. Eine Notwendigkeit dafür ist nur dann anzunehmen, wenn einerseits die bestehende Bundesgesetzgebung nicht ausreicht und andererseits auch die Kantone nicht in der Lage sind, selbst die als geboten erachteten Massnahmen zu ergreifen. Daher interessiert zunächst die Frage, welche Befugnisse den K a n t o n e n auf diesem Gebiete beim gegenwärtigen Stand des Verfassungsrechtes zustehen. Wir haben dabei, der gegebenen Abgrenzung gemàss, nur die unmittelbar durch Eechtsvorschriften zu erzielenden Einflüsse zu erörtern; anders geartete Massnahmen, wie namentlich
die Möglichkeit der Steuererhebung und ihrer Fruktifizierung für den Wohnungsbau, lassen wir ausser acht.

Zunächst sind es Kompetenzen polizeilicher Natur, kraft deren die Kantone im Interesse der Ordnung im Wohnungswesen und der Bekämpfung von Missbräuchen Vorschriften erlassen können. Wir denken namentlich an die

1129 Durchführung des amtlichen Wohnungsnachweises mit Meldepflicht hinsichtlich der vermietbaren Wohnungen, die besonders in Städten und grössern Ortschaften den Überblick über Angebot und Kachfrage von Wohnungen und den Abschluss von Mietverträgen bedeutend erleichtert. Denkbar ist auch die Einführung einer Konzessionspflicht für den gewerbsmässigen Liegenschaftenhandel oder die gewerbsmässige Liegenschaftenvermittlung, sowie etwa die Ausübung einer Kontrolle über die gewerbsmässig betriebene Untervermietung, die gelegentlich zu schweren Klagen über Ausbeutung geführt hat; solche Massnahmen wären im Bahmen des Art. 31, lit. e, der Bundesverfassung möglich.

Sodann können die Kantone das Grundeigentum andern öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterwerfen, um es dem Wohnzweck dienstbar zu machen oder zu erhalten. Art. 702 ZGB behält neben dem Bund auch den Kantonen und Gemeinden solche Beschränkungen zum allgemeinen Wohl vor.

Es wäre denkbar, dass die Kantone gestützt auf diese Bestimmung die Freiheit des Eigentümers in der Benutzung seines Hauses einschränken könnten. Immerhin ist fraglich, wie weit solche Einschränkungen gehen dürfen, ohne das Eigentum zu einem hohlen Begriff werden zu lassen. Andererseits können die Kantone (wie es Zürich getan hat) vom Gemeinwesen subventionierte Wohnbauten bestimmten Mietern, z. B. kinderreichen Familien, vorbehalten und diese Beschränkung gemäss Art. 962 ZGB im Grundbuch eintragen lassen.

Dass den Kantonen und Gemeinden für die Förderung des Wohnungsbaues die Bechtsform der Stiftung zur Verfügung steht, bedarf kaum der Erwähnung.

Frei sind die Kantone endlich auf dem strafrechtlichen Gebiet, solange und soweit der Bund nicht von seiner aus Art. 64blä B V fliessenden eigenen Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Sie können demnach nicht nur die Verletzung polizeilicher Ordnungsvorschriften als Übertretungen ahnden, sondern auch eigentliche Deliktstatbestände aufstellen, namentlich den Mietzinswucher.

Im allgemeinen scheinen sich die Wucherparagraphen der kantonalen Strafgesetze nicht als taugliche Bepression gegen Mietzinswucher herausgestellt zu haben, was denn auch den Bundesrat bewog, in Art. 61 seines Beschlusses vom 9. April 1920 die Kantone zu ermächtigen, auf dem Verordnungswege Strafbestimmungen gegen den Mietzinswucher aufzustellen. Allein in den
wenigen Kantonen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, sind die entsprechenden Bestimmungen mit grosser Zurückhaltung angewendet worden.

Jedenfalls kann das Strafrecht in diesen Gebieten nur als äusserste Sanktion unterstützend eingreifen, ohne zu einer positiven Lösung wesentlich beizutragen.

Im Gegensatz zu diesen Befugnissen ist den Kantonen grundsätzlich das Gebiet des Zivilrechts verschlossen, soweit das Bundesrecht nicht einen ausdrücklichen Vorbehalt macht. Die Kantone können also nicht selbständige Vorschriften des Mieterschutzes im eigentlichen Sinne aufstellen, d. h. Bestimmungen über die Gestaltung des Mietzinses sowie über Dauer und Kündigung des Mietvertrags, .überhaupt Normen, die in die Vertragsfreiheit der

1130 Mietparteien eingreifen. Diese sind, als ôbligationenrechtlicher Natur, dem Bunde vorbehalten. Falls demnach neuerdings Eingriffe solcher Art in Betracht gezogen werden, sind sie nur durch eine Änderung der Bundesgesetzgebung möglich.

III. Die Art der a n g e s t r e b t e n V o r s c h r i f t e n , aber auch ihre zeitliche und räumliche Geltung werden bedingt durch ihren Zweck: Es handelt sich vor allem darum, für ausserordentliche Verhältnisse vorzusorgen, der Wiederkehr schwerer Wohnungskrisen, wie weite Gebiete unseres Landes sie durchgemacht haben, nach Möglichkeit vorzubeugen, überdies aber auch uns gegen die Folgen allfällig dennoch eintretender Störungen im voraus zu wappnen. Es soll nicht durch eine Erweiterung unserer Gesetzgebung schlechthin eine immerwährende neue Ordnung geschaffen, vielmehr für Ausnahmezeiten ein Ausnahmezustand ermöglicht mici die rechtlichen Abwehrmassnahmen zum voraus bereitgestellt werden, analog wie etwa im Schuldbetreibungsrecht durch den Kechtsstillstand und die Notstundung (Art. 62 und 317 a bis S17n SchKG). Diese Auffassung kommt auch in der Formulierung der Postulate im allgemeinen zum Ausdruck, und darüber soll jedenfalls nicht hinausgegangen werden. In der Tat sind wir der Meinung, dass für normale Zeiten und Verhältnisse die bisherige Gesetzgebung genügt. Eine eigentliche Wohnungsgesetzgebung zu schaffen, dafür liegt ein Bedürfnis nicht vor; der Bund würde damit eine neue Aufgabe übernehmen, die, soweit sie überhaupt dem Gemeinwesen obliegt, grundsätzlich den Kantonen und Gemeinden verbleiben kann und soll. Deshalb ist das Postulat Weber jedenfalls insoweit abzulehnen, als es auf den Erlass eines Bundesgesetzes über das Wohnungswesen hinzielt.

Xach dem Prinzip, nicht mehr als notwendig von der normalen Ordnung der Dinge abzuweichen, bestimmt sich auch die räumliche Geltung der zu erlassenden Vorschriften. Wie gerade die Kriegs- und Nachkriegszeit deutlich gezeigt hat, kann die Krise in den verschiedenen Landesteilen und Orten sehr ungleich auftreten ; dies ist sogar angesichts der ungleichen Vorbedingungen und der Verschiedenheit der einwirkenden Faktoren durchaus wahrscheinlich.

Die Wohnungsnot wird in grössern Städten und Industriezentren am heftigsten auftreten, die ländlichen und gebirgigen Eegionen mit vorwiegend bäuerlicher Bevölkerung
dagegen weniger berühren, und sie kann auch wohl ganze Kantone verschonen. Diese Erscheinung hat den Bundesrat schon unter der Herrschaft der Vollmachten bewogen, die ausserordentlichen Massnahmen nicht als allgemein gültige vorzuschreiben, sondern sie den Kantonen bloss zur Verfügung zu stellen, damit diese je nach Bedürfnis davon Gebrauch machen konnten.

Traf dies auch für die grosse Mehrzahl zu, so vermochten immerhin vier Kantone (Uri, Nidwaiden, Appenzell I.-Bh. und Wallis) ohne jegliche Anwendung des Ausnahmerechts durchzukommen, und in den übrigen Kantonen war die Inkraftsetzung der Bestimmungen des BundeSratsbeschlusses oder auch nur einzelner derselben örtlich (nach Gemeinden) und zeitlich so mannigfach ab-

1131 gestuft, dass tatsächlich das Ausnahmerecht nicht in dem Umfang gegolten liât, wie es nach der Zahl der Kantone, die davon nicht überhaupt verschont blieben, den Anschein haben könnte.

Das nämliche Verfahren rechtfertigt sich auch heute. Wie es kernen Sinn hätte, im Gegenteil nur schädlich wirken könnte, die für den kranken Organismus bestimmte und heilsame Medizin dem Gesunden zu verabreichen, wird man auch nicht mit Eücksicht auf einen vielleicht bloss in lokaler Begrenzung notwendigen rechtlichen Eingriff das übrige, unter normalen Verhältnissen stehende Land denselben Massnahmen unterwerfen. Denn das Sonderrecht bringt leicht störende Eückwirkungen mit sich, die zwar dann hingenommen werden müssen, wenn sie zur Verhütung grössern Übels unvermeidlich sind, die jedoch nicht ohne wirkliche Notwendigkeit in das Eechtsleben getragen werden sollen. Der Bundesgesetzgeber wird also gut daran tun, keinen Zwang auszuüben, sondern sich mit der E r t e i l u n g einer E r m ä c h t i g u n g zu begnügen, in deren Eahmen die Kantone die Ausnahmevorschiiiten für ihr Gebiet oder für Teile desselben in Kraft setzen können. Auch diese Methode der Eechtssetzung im Verhältnis von Bund und Kantonen ist ja unserer Gesetzgebung schon bekannt; wir verweisen wiederum auf den Eechtsstillstand und die Notstundung ini Betreibungsrecht.

IV. Wie sind aber die V o r a u s s e t z u n g e n zu umschreiben, unter welchen ·die besondern Vorschriften erlassen und angewendet werden können? Die Postulate beider Eäte beschränken sie in etwas verschiedener Formulierung: Während der Ständerat die Anwendung ins Auge fasst aunter ausserordentlichen Verhältnissen, insbesondere im Fall einer andauernden wirtschaftlichen Krise, die eine Wohnungsnot zur Folge hat», sagt der Nationalrat einfacher -«für Zeiten ausserordentlichen Wohnungsmangels», und im zweiten Teil seines Postulates spricht er von «Gegenden starker Wohnungsnot». Nirgends vorgeschlagen wird eine Beschränkung auf Kriegs- oder kriegsähnliche Zeiten, obwohl dies aus den Erfahrungen, denen die Postulate ihre Entstehung verdanken, erklärlich wäre. Die weitere Fassung verdient in der Tat den Vorzug. Trotz ·der Erschwerung der Einwanderung vom Auslande kann eine intensive Wohnungsknappheit da und dort schliesslich auch ohne Krieg durch die Freizügigkeit im Innern, durch
wirtschaftliche Konjunkturen und derartige Faktoren herbeigeführt v, erden.

Am zweckmässigsten dürfte es sein, die Umschreibung der Voraussetzungen unmittelbar dem Zweck der Vorschriften anzupassen und von «Zeiten starken Wohnungsmangels » zu sprechen, ohne also darauf Eücksicht zu nehmen, auf welche Ursache die Erscheinung zurückzuführen ist. Starken Wohnungsrnangel würden wir annehmen, wenn das Angebot an Wohnräumen so bedeutend hinter ·der Nachfrage zurückbleibt, dass das Missverhältnis sich bereits in einem Hinaufschnellen der Mietzinse auszuwirken beginnt, wenn auch vielleicht nicht .schon von einer eigentlichen Wohnungsnot gesprochen werden rnuss: es ist -besser, eingreifen zu können, bevor das Übel sich zur Notlage gesteigert hat.

1132 Dass es sich um eine Erscheinung von längerer Dauer handeln nauss, braucht wohl nicht gesagt zu werden und wird sich von selbst ergeben; die Erfahrung zeigt, dass regelmässig die Deckung eines einmal vorhandenen Fehlbetrages an Wohnungen erheblicher Zeit bedarf, da sie weniger durch Abwanderung der Bevölkerung als durch Erstellung neuer Wohnungen herbeigeführt wird.

V. Wenden wir uns nunmehr der Prüfung der Massnahmen selbst zu, die getroffen werden sollen, so fassen wir zunächst diejenigen ins Auge, die sich gegen das Übel selbst richten, d. h. die U r s a c h e n des W o h n u n g s m a n g e l s bekämpfen oder wenigstens seinen U m f a n g einzudämmen suchen, die alsa vorbeugenden Charakter haben im Gegensatz zu denjenigen, welche den Wirkungen des Wohnungsmangels entgegenzutreten bestimmt sind. Die Aufgabe dieser primären Mittel geht vor allem dahin, genügenden Wohnraum zu beschaffen und den vorhandenen restlos auszunutzen, weiter auch die den Mietzins erhöhenden Paktoren, die nicht selbst Folge einer Wohnungsnot sind, zu beseitigen. Wir müssen freilich vorweg bemerken, dass gerade auf diesem Gebiete den rechtlichen Massnahmen naturgemäss weniger Erfolg beschieden sein wird als den finanziellen; den Wohnungsbau fördert man nicht mit Geboten und Verboten, sondern vor allem durch die Beschaffung der erforderlichen Mittel.

1. An einzelnen Massnahmen erwähnen wir, als dem Gebiet finanzieller Vorsorge am nächsten stehend, zunächst die Möglichkeit einer Limitierung des H y p o t h e k a r z i n s e s als eines der wesentlichen Faktoren für die Bemessung des Mietzinses. Die ausländische Gesetzgebung hat sich vereinzelt dieses Mittels bedient. Wir verwerfen indessen jeden solchen Eingriff mit Eücksicht auf die unausbleiblichen Bückwirkungen auf die Hypothekargläubiger. Jede solche Massnahme würde weitere Kreise in Mitleidenschaft ziehen, das Gleichgewicht der gegenseitigen Verbindlichkeiten stören und am Ende eben Gefahr laufen, ein Übel mit einem andern, nicht weniger schlimmen zu bekämpfen. Hat man doch selbst während der schärfsten Wohnungsnot der Nachkriegsjahre von diesem Mittel abgesehen. Ob andererseits der Bund selbst im Sinne der Ziffer 2 des Postulats Baumberger-Sträuli, d. h. durch Beschaffung von Hypotheken zu niedrigem Zinsfuss, eingreifen kann und soll, ist, wie gesagt, anderwärts
zu prüfen.

Hinwiederum rnuss, da der Hauseigentümer in dieser Hinsicht im allgemeinen nicht entlastet werden kann, dafür gesorgt werden, dass er nicht seinerseits das Opfer einer künstlichen Niederhaltung des Mietzinses wird. Soll seine Stellung nicht zum grössten Schaden der Wohnungsfrage erschüttert werden, so muss auch bei der Möglichkeit behördlicher Überprüfung des Mietzinses stets der Höhe der Hypothekarzinse Bechnung getragen werden.

2. Als rein rechtliches Institut könnte das S t o c k w e r k s e i g e n t u m geeignet erscheinen, durch Erleichterung der Erwerbung einer eigenen Wohnung das Problem zu fördern. Frankreich und Belgien haben in der Tat neuerdings

1133 zu diesem Mittel gegriffen. Bei uns hat das Stockwerkseigentum nur in einer Minderzahl von Kantonen je bestanden, und es widerspricht unserer heutigen Auffassung; das Zivilgesetzbuch lehnt es dem Grundsatz nach ab (Art. 675 und Schlusstitel Art. 45). Auf diese Lösung zurückzukommen, wurde sich nur bei einigermassen sicherem Erfolge rechtfertigen. Letzterer erscheint aber ·durchaus zweifelhaft. Die Schaffung genügenden Wohnraumes selbst ist wichtiger als die Art der Berechtigung daran, und im allgemeinen dürfte auch mit den übrigen möglichen Rechtsformen, sei es Miteigentum, sei es Alleineigentum mit Einräumung eines Wohnrechts als Dienstbarkeit oder unter Abschluss «ines durch Eintragung im Grundbuch dinglich gesicherten langfristigen Mietvertrages, auszukommen sein.

3. In diesem Zusammenhang ist auch zum ersten Teil des Postulates Weber Stellung zu nehmen. Schon im Jahre 1920 hatte das Justiz- und Polizeidepartement in seinem umfassenden Entwurfe zum Bundesratsbeschluss betreffend Bekämpfung der Miet- und Wohnungsnot Vorschriften über die V e r p f l i c h t u n g von U n t e r n e h m e r n zur Sorge für die Wohnungen ihrer A r b e i t e r aufgenommen. Eine derartige Massnahme durfte damals, da die Wohnungsnot ihren Höhepunkt erreicht hatte und gerade in den industriellen Zentren mit besonderer Schärfe auftrat, füglich ins Auge gefasst werden.

Die grossen Schwierigkeiten der Ausführung des Gedankens Hessen sich freilich nicht verkennen, und sie nötigten denn auch dazu, jene Bestimmungen zu gesonderter Beratung aus dem Entwurfe auszumerzen. Aber auch die weitere Verfolgung der Frage führte nicht zum Ziel. Es zeigte sich, dass schon die Verpflichtung zur Beschaffung genügenden Wohnraums für die neu zuziehenden Arbeiter und ihre Familien den Unternehmungen eine Last aufgebürdet hätte, die viele von ihnen nicht zu tragen vermocht hätten.

So ist dieser Teil des Postulates zwar mit den übrigen Teilen unerledigt stehen geblieben, hat sich aber als unausführbar erwiesen. Heute ist er durch die Entwicklung überholt. Die intensive private, genossenschaftliche und kommunale Bautätigkeit hat die Wohnungsnot wenigstens insoweit behoben, dass zu derart weitgehenden Mitteln nicht mehr gegriffen zu werden braucht; &ie könnten zudem angesichts der längst wieder hergestellten interkantonalen Freizügigkeit
keine Gewähr mehr für einen wirklichen Erfolg bieten, besässen jedenfalls bei weitem nicht mehr die ihnen ehemals zugedachte Bedeutung.

Unter diesen Umständen braucht auf eine Prüfung der Frage, ob nach dem Dahinfallen der ausserordentlichen Vollmachten das Postulat sich auf eine verfassungsmässige Grundlage stützen könnte, nicht eingetreten zu werden.

4. Droht eine Wohnungskrise, so muss das nächstliegende Bestreben auf E r h a l t u n g und A u s n ü t z u n g des v o r h a n d e n e n Wohnraumes gehen.

Es fragt sich, ob der Gesetzgeber auch in dieser Bichtung eingreifen soll und kann. Der Bundesrat hat es im Beschluss vom 9. April 1920 (Art. 29 ff.) getan.

Soweit wir wahrnehmen konnten, fanden jene Bestimmungen, obwohl von den

1134 unter Wohnungsnot leidenden Kantonen fast durchwegs übernommen, nur spärliche Anwendung, was sich leicht aus dem eigenen Interesse des Eigentümers an der möglichst rationellen und vollständigen Ausnützung seines Grundbesitzes erklärt. Der Wert rechtlicher Zwangsnormen dieser Art ist also jedenfalls nicht zu überschätzen. Auch kann es sich von vorneherein nicht um drakonische Massnahmen handeln, wie etwa um die Eationierung der Wohnungen, die das Familienleben und auch die berufliche Tätigkeit aufs schwerste beeinträchtigen kann. Wir haben ebenfalls davon abgesehen, die Möglichkeit der amtlichen Inanspruchnahme unbenutzter Wohnräume zur Unterbringung obdachloser Personen (Art. 36--42 des erwähnten Beschlusses) in unsere Vorschläge aufzunehmen; die Durchführung dieser rigorosen Massnahme ist mit Schwierigkeiten verbunden, die kaum im richtigen Verhältnis zu ihrem praktischen Nutzen stehen, da doch in Zeiten des Wohnungsmangels ohnehin der vorhandene Wohnraum fast restlos ausgenützt sein wird.

Eher lässt sich eine Vorschrift ins Auge fassen, welche sich gegen die Verminderung des vorhandenen Wohnraumes durch Abbruch von Wohnhäusern oder durch Umbau oder sonstige Verwendung von Wohnräumen zu einem andern Zwecke wendet. In bezug auf die Zweckbestimmung eines Hauses kann das private Interesse des Eigentümers scharf mit dem öffentlichen Interesse kollidieren; dann soll aber letzteres wenigstens vorübergehend bis zur Behebung des Wohnungsmangels den Vorrang haben. Wir denken immerhin nicht an ein absolutes Verbot, sondern nach dem Muster der frühern Notverordnung nur an das Erfordernis einer behördlichen Bewilligung, die stets dann zu erteilen wäre, wenn eine dringende Notwendigkeit für die geplante Umwandlung nachgewiesen wird.

Anlass zu Zweifeln kann die Frage geben, ob die Kantone derartige Vorschriften von sich aus aufstellen können oder ob sie eigens dazu ermächtigt werden müssen. Ihrem Wesen nach stellen sich diese Massnahmen als öffentlichrechtliche, im Interesse des Gemeinwohls vorübergehend verfügte Beschränkungen in der freien Ausübung des Eigentumsrechtes dar. Sie sind aber nicht etwa deswegen schon als bundesrechtswidrig aufzufassen. Denn das Eigentum selbst stellt begrifflich kein schrankenloses Eecht dar, es vermittelt vielmehr die rechtliche Herrschaft über eine Sache nur in dem ihm
von der Bechtsordnung jeweilen zugestandenen Inhalt. So kann gernäss Art. 641 ZGB der Eigentümer «in den Schranken der Bechtsordnung» nach seinem Belieben über die Sache verfügen. Solche Schranken können aber auch aus dem öffentlichen Becht der Kantone herrühren. Denn nach Art. 6 ZGB werden die Kantone in ihren öffentlich-rechtlichen Befugnissen durch das Bundeszivilrecht nicht beschränkt, und Art. 702 behält ausdrücklich neben dem Bunde auch den Kantonen und Gemeinden vor, Beschränkungen des Grundeigentums zum allgemeinen Wohl aufzustellen. Es ist aber doch zuzugeben dass Vorschriften der Art, wie wir sie im Auge haben, die Substanz des Eigentumsrechts einschneidender treffen als die in Art. 702 ZGB beispielsweise angeführten Beschränkungen. Eine so

1135 -weitgehende Bedeutung ist dieser Bestimmung wenigstens bisher schwerlich beigemessen worden; sonst hätte \\ohl auch Art. 218 OB, als in jener Kompetenz eingeschlossen, keine eigene Existenzberechtigung. Zudem handelt es sich bei den von uns vorgeschlagenen Bestimmungen nicht darum, bleibendes Becht zu schaffen, sondern vorübergehendes Notrecht; auch diese Eigenschaft passt nicht wohl in den Rahmen des Art. 702. Andererseits wäre allerdings denkbar dass die Kantone kraft eines selbständigen Xotverordnungsrechts solche Vorschriften aufstellen könnten. Allein abgesehen davon, dass die Existenz eines solchen Notverordnungsrechtes jedenfalls nicht durchwegs feststeht, wäre wiederum fraglich, ob es nicht hier am bundesrechtlichen Eigentumsbegriff seine Grenzen finden musate. Fehlt den Kantonen aber die eigene Kompetenz, so müssen sie bundesrechtlich in den Stand gesetzt werden, unter Vermeidung des zeitraubenden Gesetzgebungsverfahrens auf dem Verordnungswege vorzugehen; das erfordert die dringliche Natur der Massnahnien, die durch eine erhebliche Verzögerung leicht ihren Zweck verfehlen können. Und diese Besonderheit erscheint uns entscheidend dafür, dass durch eine ausdrückliche Vorschrift die klare Kompetenz der Kantone geschaffen werden soll. Darin unterscheidet sich die aufzustellende Norm deutlich von Art. 702 ZGB, der kantonale Bestimmungen bloss vorbehält, ohne in die nach dem kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht sich beurteilende Zuständigkeit zum Erlass solcher Bestimmungen irgendwie einzugreifen.

Diese Erwägungen führen uns dazu, die E i n f ü g u n g einer auf Z e i t e n starken Wohnungsmangels zugeschnittenen Ermächtigungsnorm z u h a n d e n der K a n t o n e in das Z i v i l g e s e t z b u c h vorzuschlagen. Sie findet ihren Platz als besondere Art öffentlich-rechtlicher Eigentumsbeschränkung zweckmässig im Anschluss an Art. 702 und 703 als A r t . 703 bis : Inhaltlich sieht sie ein Verbot des Abbruchs von Wohnhäusern sowie des Umbaus und der Verwendung von Wohnungen und Wohnräumen für andere Zwecke vor, mit dem Beifügen jedoch, dass unter bestimmt umschriebenen Voraussetzungen Ausnahmen bewilligt werden müssen.

Abgesehen von dieser bindenden Wegleitung für die materielle Ausgestaltung der kantonalen Vorschriften möchten wir durch weitere Kautelen Gewähr dafür schaffen,
dass das 'Ausnahmerecht nicht über den Bahmen der strikten Notwendigkeit hinaus zur Anwendung gebracht wird. Wir sehen nämlich als Gültigkeitserfordernis für die kantonalen Ausführungsbestimmungen die Genehmigung des Bundesrates vor, und zwar in dem Sinne, dass dem Bundesrat vor allem eine Kontrolle darüber zustehen soll, ob die Voraussetzungen zur Anwendung des Ausnahmerechts überhaupt vorliegen, dass er also der Anwendung des Notrechts an sich zustimmen, ferner aber die kantonalen Vorschriften auf ihren Inhalt nachprüfen muss, um festzustellen, ob sie nicht über den bundesrechtlich gezogenen Bahmen hinausgehen. Aus diesem letztern Gesichtspunkt hat das Zivilgesetzbuch allgemein die bundesrätliche Genehmigung für die Ausführungsvorschriften der Kantone vorbehalten (Schlusstitel Art. 52).

1136 Überdies soll die Inkraftsetzung des Ausnahmerechts durch die kantonale Behörde von vornherein befristet werden; eine Verlängerung der Geltungsdauer ·wird allerdings nicht ausgeschlossen sein, jedoch wiederum der Zustimmung des Bundesrates bedürfen.

Die ausdruckliche Verweisung auf den Verordnungsweg wird in der Eegel die Kantonsregierung in den Stand setzen, die Notvorschriften zu erlassen.

Immerhin haben wir es vermieden, eine direkte Ermächtigung der Kantonsregierungen vorzusehen, getreu dem Bestreben in der Bundesgesetzgebung, der internen Zuständigkeit der kantonalen Behörden nicht vorzugreifen.

Sollte also da und dort auch die Form der Verordnung noch die Mitwirkung einer der Eegierung übergeordneten Behörde (Grosser Rat, Landrat) erheischen, so hätte der Kanton dieses wohl auch nicht zu lange dauernde Verfahren einzuschlagen, es wäre denn, er könnte zu einer Änderung der Kompetenzen seine Zuflucht nehmen.

5. Durch eine zeitliche B e s c h r ä n k u n g der W e i t e r v e r ä u s s e r u n g von L i e g e n s c h a f t e n will das Postulat Weber (Ziff. 3) die spekulative Ausnützung der Wohnungsnot eindämmen. Es würde sich ungefähr um die Vorschriften handeln, die der Bundesrat in Art. 48 ff. seines Beschlusses vom 9. April 1920 den'Kantonen zur Verfügung gestellt hatte: immerhin sind sie im Postulat als bleibende, nicht nur in Krisenzeiten vorübergehend in Kraft zu setzende verstanden. Unzweifelhaft kann ungesunde Spekulation durch Hinauftreiben der Preise der Liegenschaften und indirekt der Mietzinse zur Verschärfung einer Wohnungskrise beitragen, wie gerade die Kriegszeit bewiesen hat. Andererseits fällt auf, dass von jenen Vorschriften des Bundesratsbeschlusses von 1920 mir fünf Kantone Gebrauch gemacht haben, und dass sich im Jahre 1922 bei einer Umfrage über die Wünschbarkeit der Stabilisierung solcher Bestimmungen 17 Kantone dagegen und bloss vier mit Vorbehalten dafür ausgesprochen haben.

Diese Stellungnahme drängt den Schluss auf. dass es an einem hinreichenden Bedürfnis für die vorgeschlagene Ergänzung des Gesetzes fehlt.

Für den Fall jedoch, dass die Aufnahme einer Bestimmung beschlossen werden sollte, fügen wir eine Formulierung bei, die zeigt, wie wir uns die Ausführung des Gedankens vorstellen. Die Vorschrift wäre als Art. 218bls OE dem verwandten Art. 218
anzuschliessen. In der Fassung haben wir uns einiger inassen an die erwähnten Artikel des Bundesratsbeschlusses von 1920 angelehnt, die ihrerseits schon ein Vorbild im Bundesratsbeschluss vom 23. September 1918 betreffend den land- und forstwirtschaftlichen Liegenschaftsverkehr besassen, ohne ihn übrigens einfach zu kopieren. Da es sich hier um Vorschriften dauernden Charakters handeln würde, wäre wie in Art. 218 OE der Gesetzgebungsweg vorzubehalten. Die Bestimmung könnte das Marginale «C bls .

Weiterverkauf von Wohnhäusern und Bauland» erhalten und etwa folgendermassen lauten: «Die Kantone können auf dem Wege der Gesetzgebung vorschreiben, dass durch Kauf, Tausch, Ersteigerung oder Schenkung erworbene Grund-

1137 stücke, die Wohnbauten enthalten oder sich zu Bauzwecken eignen, vom Erwerber nicht yor Ablauf einer bestimmten Frist ganz oder teilweise weiterverkauft werden dürfen.

Die Kantone sind dabei an die folgenden Bestimmungen gebunden: 1. Das Verbot des Weiterverkaufes darf nicht über drei Jahre von dem Zeitpunkte an dauern, wo das Grundstück dem Erwerber zu Eigentum übertragen worden ist.

2. Das Verbot darf keine Anwendung finden auf die Erwerbung oder Veräusserung von Grundstücken durch den Bund, den Kanton oder die Gemeinde sowie auf Grundstücke, die sieb in vormundschaftlicher Verwaltung befinden oder die im Betreibungs- oder Konkursverfahren versteigert werden.

3. Die zuständige Behörde soll einen frühern Verkauf da gestatten dürfen, wo wichtige Gründe ihn rechtfertigen, wie namentlich, wenn jede Spekulationsabsicht ausgeschlossen erscheint oder wenn Bauland zum Zwecke der Erstellung von Wohnbauten parzelliert wird.

Ein Verkauf, der diesen Vorschriften zuwiderläuft, ist nichtig und gibt kein Eecht auf Eintragung in das Grundbuch.» VI. Trotz vorbeugender Massnahmen wird die Möglichkeit des Eintrittes von Wohnungskrisen nicht ganz ausgeschaltet werden können. Alsdann stellt sich das Bedürfnis ein, den Polgen des Wohnungsmangels, vor allem einer ü b e r t r i e b e n e n Steigerung der Mietzinse, entgegenzutreten.

Auf der Beeinflussung der Mietzinse liegt hier das Schwergewicht. Auch die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit fällt in Betracht, jedoch weniger als Selbstzweck denn in dem Sinne, dass sie dazu dienen soll, die einfache Umgehung der Vorschriften über die Mietzinsbemessung zu verhindern. Um diese beiden Pole, Mietzins und Kündigung, dreht sich ausnahmslos die besondere Mietergesetzgebung der letzten Zeit, auch im Ausland, wo sie freilich vielfach mit anders gearteten, besonders mit Steuermassnahmen verbunden worden ist.

Die möglichen Systeme und Grade einer rein rechtlichen Kepression sind mannigfaltig; die Kriegs- und Nachkriegsgesetzgebung der europäischen Staaten gibt ein instruktives Bild davon, offenbart aber auch die Schwierigkeiten der Lösung. Ohne auf Einzelheiten einzutreten, deuten wir bloss einige grundsätzlich verschiedene Methoden des Gesetzgebers an: einmal, in Hinsicht auf die Geltungskraft der Regelung, die Festsetzung amtlicher, für die Mietparteien schlechthin
verbindlicher Mietzinse im Gegensatz zu der den Parteien noch offen gelassenen Verständigung, sodann in Hinsicht auf die Bemessung des Mietzinses im einen Lande das absolute Verbot jeder Steigerung, in andern die Zulassung eines festen, prozentual oder anderswie zu bestimmenden Aufschlages, wieder anderwärts die individuelle Festsetzung des Mietzinses im Einzelfall; ähnlich in bezug auf das Kundigungsrecht die allgemeine, bindende Erstreckung der Mietverträge auf eine bestimmte Anzahl von Jahren gegenüber «iner verschieden gestalteten Möglichkeit der Kündigung.

Bundesblatt

80. Jahrg. Bd. II.

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1138 Wenn wir uns auch für die ins Obligationenrecht einzufügende Sonderregelung dem Grundgedanken nach an die ausserordentliche Gesetzgebung anlehnen möchten, die bei uns auf Grund der Vollmachten bestand, so geschieht es auf Grund der Feststellung, dass jene sich im ganzen als die beweglichste und mildeste erwiesen hat, die soweit nur möglich auf die Schonung des Hausbesitzes bedacht war und nicht zuletzt deshalb auch beim Abbau ohne die vielfach vorausgesagten Erschütterungen wieder aufgegeben werden konnte.

Das Ausland ist fast überall zu weit einschneidenderen Massnahmen geschritten, die wir nicht nachahmen möchten. Insbesondere verwerfen wir starre und schablonenhafte Vorschriften, die dem Parteiwillen und der Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles keinen Spielraum mehr lassen, wie das absolute Verbot der Mietzinserhöhung oder einen festen Mietzinszuschlag, ebenso ein absolutes Kündigungsverbot. Wir möchten daran festhalten, auch in Krisenzeiten zunächst den Parteien die Ordnung des Mietverhältnisses zu überlassen, dem Mieter aber gegen offenbare Ausbeutung den Schutz der Behörde zur Verfügung stellen.

Seit dem Abbau des Mieterschutzes ist aus Mieterkreisen gelegentlich der Huf nach ständigen Mietschiedsgerichten laut geworden, deren Aufgabe es sein müsste, alle oder gewisse Streitigkeiten zwischen den Mietparteien zu schlichten. Sie hätten also für ein bestimmtes Eechtsgebiet an die Stelle der ordentlichen Gerichte zu treten. Nach Art. 64 (letzter Absatz) der Bundesverfassung würde aber dem Bunde die Kompetenz fehlen, in dieser Weise durch die Vorschrift der Einsetzung besonderer Instanzen in die kantonale Gerichtsorganisation einzugreifen. Wir sehen, wie schon erwähnt, für normale Zeiten auch kein Bedürfnis nach derartigen Instanzen neben den ordentlichen Gerichten; bei starken Konjunkturstörungen des Wohnungsmarktes hinwiederum vermöchten sie auf Grund des ordentlichen Mietvertragsrechtes (Art. 253--274 OB) nicht wirksam einzugreifen. In der Feststetzung bestimmter Abweichungen von diesem Eechte für den Notfall liegt also das Wesentliche: den Kantonen muss es überlassen bleiben, ob sie die Anwendung dieses Sonderrechts den bestehenden oder eigens zu schaffenden Instanzen übertragen wollen. Nichts einzuwenden ist selbstverständlich dagegen, dass, namentlich etwa in den Städten,
ständige Amtsstellen eingerichtet werden, die den Mietparteien beratend und vermittelnd zur Verfügung stehen, wie andererseits auch die durch die fortschreitende Organisation der Vermieter- und der Mieterschaft begünstigte Aufstellung von Mietvertragsmustern (Normalmietverträgen)' das Entstehen gewisser Streitigkeiten eindämmen mag. Einen Ausgleich bei eigentlichen Krisen können diese Mittel nicht bewirken.

Soll für solche Zeiten der Not ein wirksamer Schutz geschaffen werden, so wird es ohne Antastung der Vertragsfreiheit nicht abgehen. Es ist nun die Auffassung vertreten worden, eine derartige Lösung etwa im Sinne unserer frühern Mieterschutzgesetzgebung könnte nach der geltenden Verfassung nicht getroffen werden und würde somit eine vorausgehende Verfassungsrevision be-

1139 dingen. Das trifft jedoch nicht zu. Wohl lässt unser Obligationenrecht in der Eegel den Parteien die Freiheit, ihre vertraglichen Eechte und Pflichten nach ihrem Belieben zu gestalten. Von diesem Prinzip macht aber das Gesetz selbst zahlreiche Ausnahmen, indem es gewisse Bindungen unzulässig erklärt oder umgekehrt die Parteien auch gegen ihren Willen an gewisse Vorschriften bindet.

Der Parteiwillkür sind demnach Grenzen gezogen, wo der Gesetzgeber es zum Schutze einer Vertragspartei als notwendig erachtet. Niemand wird behaupten wollen, solche zwingende Vorschriften überschreiten den Eahmen der dem Bunde durch Art. 64 B V verliehenen Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiete des Zivilrechts; es gibt keine verfassungsmässige Garantie unbedingter Vertragsfreiheit. Besonders notwendig wird aber der Schutz einer Partei dann, wenn gestörte Konjunktur der andern Partei eine einseitige Überlegenheit verschafft. Greift der Gesetzgeber für diesen Fall mit zwingenden Vorschriften ein, so gibt er dem Vertragsverhältnis einen veränderten Inhalt, aber letzteres bleibt nichtsdestoweniger ein privatrechtliches Verhältnis, und der Gesetzgeber bewegt sich im Eahmen seiner Kompetenz. Das wäre übrigens selbst dann der Fall, wenn wirklich die hier in Frage stehenden Mieterschutzbestimmungen dem öffentlichen Eecht zuzuscheiden wären; denn der Gesetzgeber muss als ermächtigt betrachtet werden, auch in das öffentliche Eecht der Kantone insoweit einzugreifen, als es der Zweck der Zivilrechtsnorm notwendig mit sich bringt, da ihm sonst die richtige Erfüllung seiner verfassungsmässigen Aufgabe nicht möglich wäre (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Zivilgesetzbuch, BB1. 1904, 4, S. 11; Burckhardt, Kommentar zur Bundesverfassung.

S. 608).

Trotz zweifellos gegebener Kompetenz muss aber der Gesetzgeber sich bestreben, auch unter besondern Verhältnissen nicht mehr als nötig vom normalen Eecht abzuweichen. In der Tat glauben wir eine Lösung vorschlagen zu können, die in der Beschränkung der Vertragsfreiheit wesentlich weniger weit geht als seinerzeit die Notverordnungen. In Erinnerung an diese spricht der Nationalrat in seinem Postulat von «amtlicher Festsetzung bestrittener Mietzinse und von Kündigungen nach wirtschaftlichen Grundsätzen», während das Postulat des Ständerates den Inhalt der Ausnahmevorschriften gänzlich
offen lässt. Nun hat während der Geltung des Bundesratsbeschlusses vom 9. April 1920 wohl nichts so sehr Anstoss erregt wie die Beschränkung des Kündigungsrechtes des Vermieters, und sie mag auch gewiss, obwohl durchaus nicht in dieser Absicht erlassen, in vielen Fällen zur zwangsweisen Verlängerung beinahe unerträglich gewordener Mietverhältnisse geführt haben. Wir haben uns deshalb bemüht, eine Lösung zu finden, die d a s Kündigungsrecht des Vermieters nicht a n t a s t e t , ihm aber den Anreiz zu einer Kündigung nimmt, die nur den Zweck hätte, vom nachfolgenden Mieter einen höheren, nicht objektiv gerechtfertigten Mietzins zu verlangen. Dies suchen wir zu erreichen durch die Vorschrift, dass im Falle des Wechsels einer der Parteien der bisher für das Objekt bezahlte Mietzins nur mit behördlicher Genehmigung erhöht werden darf. Überlässt der Vermieter dem neuen Mieter -- oder der neue Ver-

1140 mieter, dem Mieter -- das Objekt zu dem im Zeitpunkt des Wechsels bestehenden Zins, so hat sich die Behörde damit nicht zu befassen; es besteht dann auch keinerlei Verdacht, der wahre Grund der Kündigung liege in der Absicht einer Mietzinserhöhung, oder es sei etwa nur zu diesem Zwecke eine Handänderung vorgenommen worden, wie das unter der Herrschaft des ersten Bundesratsbeschlusses von 1917 beobachtet wurde. Niemals kann die Kündigung selbst aufgehoben und dem Yerrnieter ein ihm missliebig gewordener Mieter weiter aufgezwungen werden. Der Vermieter soll auch nicht schlechthin gehindert sein, zugleich mit dem Wechsel einer Partei eine Mietzinserhöhung eintreten zu lassen, die ja tatsächlich gerechtfertigt sein kann; allein er muss sich alsdann darüber ausweisen, dass dies der Fall sei. Und zwar soll die behördliche Prüfung hier von Amtes wegen eintreten, das Einverständnis des neuen Mieters also nicht massgebend sein. Denn letzterer wird in Zeiten der Wohnungsnot leicht zu einem Mehrangebot bereit sein, um nur ja die Wohnung zu bekommen.

Anders die Begelung im f o r t d a u e r n d e n M i e t v e r h ä l t n i s , wenn auf keiner Seite ein Grund zur Auflösung des Mietvertrages vorliegt, der Vermieter aber den Mietzins erhöhen will. Er hat dies dem Mieter auf einen Kündigungstermin hin unter Beobachtung der Kündigungsfrist anzuzeigen. Der Mieter aber steht hier nicht unter dem Druck drohender Obdachlosigkeit, und er vermag auch den Mietwert des von ihm bewohnten Objekts besser als der neu einziehende zu beurteilen. Nimmt er also die Zinserhöhung an, so liegt ein Grund zu behördlicher Einmischung nicht vor. Hält er sie aber für unbegründet oder übersetzt, so kann er den Entscheid des Mietamtes anrufen. Im laufenden Vertragsverhältnis soll demnach, wie gemäss unsern frühern Notverordnungen, die behördliche Nachprüfung einer Mietzinssteigerung nur auf Begehren des Mieters stattfinden. Beizufügen ist (wiederum entsprechend dem Beschluss von 1920, Art. 8), dass auf die Anrufung der Behörde nicht im voraus gültig verzichtet werden kann; die Möglichkeit verbindlicher Zusicherung einer bestimmten spätem Zinserhöhung durch den Mieter würde namentlich die Wirksamkeit der für den Fall des Mieterwechsels getroffenen Ordnung gefährden.

Mit einer Lösung nach diesen Eichtlinien glauben wir einen hinreichenden
Schutz des Mieters ohne unnötige Belästigung des Vermieters zu erreichen.

Der letztere ist nicht gehemmt an der ernst gemeinten, nicht bloss für den Fall der Ablehnung einer Mietzinserhöhung angedrohten Kündigung, die behördliche Herabsetzung des im Vertragsverhältnis einmal bestehenden Mietzinses ist ausgeschlossen und eine besondere Eemedur gegen den Abschluss befristeter, ohne Kündigung ablaufender Mietverträge (rgl. Art. 20 des Beschlusses von 1920) entbehrlich.

Was nun die Bemessung des Mietzinses selbst betrifft, wird es Sache der Kantone sein, die Normen darüber aufzustellen, zumal da die herkömmliche Berechnungsweise regional etwelche Verschiedenheit mit sich bringen kann.

1141 Eine bundesrechtliche Schranke für den materiellen Inhalt dieser Vorschriften glauben wir jedoch aufrichten zu müssen ; sie liegt in der bindenden Wegleitung, dass dem Vermieter in jedem Falle, bei Berücksichtigung aller ihm auffallenden Lasten, insbesondere der Hypothekarzinse, mindestens der Anspruch auf angemessene Verzinsung des Anlagekapitals gewährt werden muss.

Auf der nämlichen Basis der Mietzinsberechnung beruhte bereits Art. 11 des Bundesratsbeschlusses von 1920, der. wenn auch vielleicht nach anfänglichen Schwankungen, im ganzen eine dem Vermieter gerecht werdende Praxis der Mietämter ermöglicht hat. Die Zugrundelegung des Anlagewertes soll übrigens nur das bundesrechtlich geforderte Minimum bedeuten; eine Abweichung zugunsten des Vermieters im Sinne einer etwelchen Berücksichtigung des Verkehrswertes, sofern er den Anlagewert bedeutend übersteigt, möchten wir nicht ausschliessen, wie der Wortlaut wohl ersehen lässt. Es dient ferner dem Schutze des Vermieters vor kleinlicher Zänkerei des Mieters, dass nicht jede geringfügige oder selbst diskutable Abweichung des geforderten Mietzinses von den für seine Bemessung aufgestellten kantonalen Vorschriften, sondern nur ein o f f e n b a r e s Miss Verhältnis den Mieter zur Anrufung der behördlichen Korrektur berechtigen soll; auch in dieser Hinsicht möchten -wir hinter der Notverordnung von 1920 (Art. 13) zurückbleiben.

Wohl wissen wir, dass unter der Herrschaft jener Verordnung auch an der behördlichen Festsetzung bestrittener Mietzinse viel Kritik geübt, dass über einseitige Eechtsprechung und mangelndes Verständnis für die Lage der Hauseigentümer geklagt worden ist. Allein ohne dieses Minimum behördlicher Einmischung wird die Notgesetzgebung nicht auskommen, wenn sie noch wirksam sein soll. Und es darf füglich darauf hingewiesen werden, dass trotz des Mieterschutzes, der in einem grossen Teil des Landes und namentlich in fast allen grössern Städten jahrelang in Geltung stand, die Mietpreise seit dem Krieg, im ganzen genommen, allmählich, aber sehr bedeutend angestiegen sind, so dass sie im Verhältnis zu ihrem Niveau bei Kriegsausbruch heute einen wesentlich höheren Stand erreicht haben als die Kosten der Lebenshaltung im ganzen genommen. Nach den neuesten Erhebungen des eidgenössischen Arbeitsamtes (Wirtschaftliche und sozialstatistische
Mitteilungen, 6. Heft, Juni 1928) stieg der Mietpreisindex von Juni 1914 (= 100) bis Mai 1928 in den vier grössten Städten (Zürich, Basel, Genf, Bern) auf 190, in den übrigen Städten auf 159, im Durchschnitt auf 177, während der Index der gesamten Lebenshaltung auf 160 stand. Sicherlich ist ein Teil dieser Erhöhung auf gesteigerte Anforderungen an die Wohnung und einen dementsprechend vermehrten Aufwand für Wohnungsmiete zurückzuführen, eine Wahrnehmung, die wir vom kulturellen Standpunkt nur begrüssen können; zur Hauptsache aber kommen jedenfalls in der Bewegung der Mietzinse die steigenden Aufwendungen und Lasten der Hausbesitzer zum Ausdruck, denen auch die Praxis der Mietämter Bechnung trug. Naturgemäss traten mit der Aufhebung der Schutzvorschriften etwas stärkere Erhöhungen der Mietzinse ein; so stieg der

1142 Index von Mai 1926 bis Mai 1927 für die Grossstädte von 178 auf 186, im Durchschnitt von 167 auf 174. Im letzten Jahre hat sich die Aufwärtsbewegung wieder wesentlich vermindert und scheint sich dem Stillstand zu nähern. Ein allgemeines Aufwärtsschnellen der bisher gebundenen Mietzinse als Folge der Aufhebung des Mieterschutzes ist nicht eingetreten; die Bückkehr zur vollen 'Vertragsfreiheit hat sich im ganzen unauffällig vollzogen. Dies beweist, dass das Ausnahmerecht keine für die Yermieterschaft unerträgliche Spannung erzeugt hatte, weil es eben ihre berechtigten Ansprüche doch im grossen und ganzen zur Geltung kommen Hess und nur die ungesunden Auswüchse beschnitt. Die nämliche Erwartung darf für den Fall einer künftigen Krise ausgesprochen werden, wenn die Behörden ihre Aufgabe richtig erfassen und die in ihrem Umfang noch eingeschränkte Befugnis zur Herabsetzung von Mietzinserhöhungen massvoll ausüben.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich die E r g ä n z u n g des A b s c h n i t t s über die Miete im O b l i g a t i o n e n r e c h t durch eine E r m ä c h t i g u n g der Kantone zur vorübergehenden Einführung von Notvorschriften bei starkem Wohnungsmangel. Ihres Ausnahmecharakters wegen möchten wir die Bestimmung als Art. 274 bis an den Schluss des Abschnitts stellen.

Auch hier müssen die Kantone im Interesse raschen Eingreifens auf dem Verordnungsweg vorgehen können. Sie werden dabei den Kreis der dem Sonderrecht zu unterwerfenden Mietobjekte abzugrenzen haben, insbesondere etwa die Neubauten davon ausnehmen können. Hinsichtlich der Befristung der Geltungsdauer der Notvorschriften und der Genehmigung durch den Bundesrat gilt das oben für Art. 703bl8 25GB Gesagte; besondere Bedeutung wird hier der Prüfung darüber zukommen, ob die kantonalen Vorschriften in keiner "Weise über die durch Art. 274bis OB. gezogenen materiellen Grenzen hinausgehen. Die Ordnung der Behördenorganisation und des Verfahrens steht wiederum allein den Kantonen zu; nur soviel ist zu sagen, dass die amtliche Prüfung von Mietzinssteigerungen beim Wechsel einer Partei eine Meldepflicht gegenüber der Behörde voraussetzt.

VII. Kum Schlüsse mag die gesetzgebungspolitische Frage, wie sie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, kurz zusammengefasst werden. Auf die Schwierigkeiten einer zweckmässigen Lösung wurde
bereits hingewiesen. Zu ihnen gesellen sich gewisse Bedenken allgemeinerer Natur, die nicht übersehen werden dürfen. Wir wollen nicht verhehlen, dass wir nur ungern uns entschlossen haben, in das geschlossene Ganze unserer Privatrechtskodifikation, besonders in das noch junge und bisher nicht angetastete Zivilgesetzbuch gleichsam einen Fremdkörper hineinzutragen. Die Durchbrechung der normalen, auf der Abwägung der allseitigen Interessen beruhenden Gesetzgebung ist ja an sich schon nicht erfreulich. Im besondern befürchten die Kreise der Hauseigentümer von der blossen Möglichkeit künftiger Einschränkungen eine Beunruhigung des Baukapitals und eine Lähmung der Initiative zum Wohnungsbau, die sich namentlich seit Aufhebung des Mieterschutzes

1143 wieder kräftig und erfolgreich betätigt habe. Schwerer wiegt vielleicht noch die Gefahr der Begünstigung einer ungesunden Mentalität bei der Mieterschaft, die sich zu leicht auf die staatliche Intervention verlassen mag und schon ein massiges Ansteigen der Mietzinse für den Beginn einer Krise zu halten geneigt sein wird. Die Kantonsregierungen haben sich zur Frage der Ergänzung des Obligationenrechts im allgemeinen zurückhaltend geäussert, wobei die Erwägung mitgespielt haben mag. die blosse Existenz vorsorglicher Normen werde gelegentlich die Mieterschaft ohne wirkliche Notwendigkeit dazu treiben, deren Anwendung zu verlangen.

Trotz dieser Bedenken legen die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit es nahe, für die Zukunft vorzusorgen. Den Anforderungen der Wirklichkeit gegenüber müssen ästhetische Wünsche auf Erhaltung eines möglichst systemreinen Gesetzestextes zurücktreten. Sollten wieder schwere Wohnungskrisen eintreten, dann werden die schon bereitstehenden Vorschriften rasch in Kraft gesetzt werden können, sie werden vielleicht die Krise selbst und jedenfalls ihre Auswirkungen von Anfang an mildern. Namentlich werden sie eine Schranke gegen das Überborden einseitig übersetzter Forderungen der einen oder andern Gruppe bilden und in diesem Sinne auch politisch beruhigend wirken.

Wenn schliesslich die Hauseigentümer für den Fall, dass den Postulaten Folge gegeben werden sollte, auch für sich entsprechende Schutzbestimmungen verlangen, so ist ihnen entgegenzuhalten, dass vom Standpunkt des Gemeinwohls ein starker Wohnungsmangel, der zu unerschwinglichen Mietpreisen und zur Obdachlosigkeit führen kann, nicht mit einem Wohnungsüberfluss zu vergleichen ist. Folge des letztern sind mehr oder minder schwere ökonomische Einbussen der Hauseigentümer, während die Wohnungsnot kulturell und sozial die bedenklichsten Folgen zeitigen kann. Wir halten nicht dafür, dass nach dem Prinzip der gleichen Behandlung die Vorsorge gegen solche Möglichkeiten nicht ohne gleichzeitige Abwehrbestimmungen gegen die umgekehrte Eventualität getroffen werden dürfe, ganz abgesehen von der Frage, ob derartige Bestimmungen sich überhaupt zweckmässig gestalten Hessen und wie sie lauten müssten.

Wir empfehlen Ihnen den nachstehenden Gesetzesentwurf zur Annahme und benützen den Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 17. Dezember 1928.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

1144 (Entwurf.)

Bundesgesetz betreffend

Ergänzung des Zivilgesetzbuchs und des Obligationenrechts durch Notvorschriften gegen Wohnungsmangel.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 17. Dezember 1928, gestützt auf Art. 64 der Bundesverfassung, beschliesst:

Art. 1.

In das Schweizerische Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 wird nach Art. 708 folgende Bestimmung eingefügt: Art. 703bis.

s. NotvorsehrifIn Zeiten starken Wohnungsmangels bleibt es den Kantonen vortone gegen"" behalten, mit Zustimmung des Bundesrates auf dem Verordnungswege ma°nhlle"ne8" TM ganzen Kanton oder in Teilen desselben auf bestimmte Frist den Abbruch von Wohnhäusern sowie den Umbau und die Verwendung von Wohnungen und Wohnräumen für andere Zwecke zu verbieten.

Ausnahmen sind auf Gesuch zu bewilligen, wenn eine dringende Notwendigkeit sie rechtfertigt oder wenn für die wegfallenden Wohnräume Ersatz geschaffen wird.

Der Kanton ordnet das Verfahren und ist befugt, Zwangsmassnahmen zu treffen, wenn der Eigentümer dem Verbot zuwiderhandelt oder bei Ablehnung der Bewilligung sich weigert, die Bäume zu Wohnzwecken zu verwenden.

Die kantonalen Vorschriften bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Bundesrates.

Art. 2.

In das Schweizerische Obligationenrecht vom 30. März 1911 wird nach Art. 274 folgende Bestimmung eingefügt :

1145 Art. 274biB.

In Zeiten starken Wohnungsmangels bleibt es den Kantonen vorbe- H.Notvorsoimfhalten, mit Zustimmung des Bundesrates auf dem Verordnungswege für tone gegen,"1" den ganzen Kanton oder für Teile desselben auf bestimmte Frist Vor- ^a0nbne°ngB~ Schriften für die Bemessung des Mietzinses zu erlassen, die jedoch dem Vermieter unter Berücksichtigung der ihm auffallenden Lasten, in allen Fällen mindestens den Anspruch auf angemessene Verzinsung des Anlagekapitals gewährleisten müssen.

Macht der Kanton von der Ermächtigung Gebrauch, so ist eine mit dem Wechsel einer Mietpartei verbundene Mietzinserhöhung von Amtes wegen, eine bei Erneuerung des Vertrages vom Vermieter erklärte Mietzinserhöhung auf Begehren des Mieters behördlich zu überprüfen und herabzusetzen, wenn und soweit sie mit dem der Vorschrift entsprechenden Mietzins in einem offenbaren Missverhältnis steht.

Der Kanton bezeichnet die zur Überprüfung des Mietzinses zuständige Behörde und ordnet das Verfahren. Auf die Anrufung dieser Behörde kann nicht zum voraus verzichtet werden.

Die kantonalen Vorschriften bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Bundesrates.

Art. 3.

Dieses Gesetz tritt am in Kraft.

Der Bundesrat ist mit der Vollziehung beauftragt.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Gesetzesentwurf betreffend Ergänzung des Zivilgesetzbuchs und des Obligationenrechts durch Notvorschriften gegen Wohnungsmangel. (Vom 17. Dezember 1928.)

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