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3404 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitritt der Schweiz zu dem am 27. August 1928 in Paris abgeschlossenen Vertrag über den Verzicht auf den Krieg.

(Vom 17. Dezember 1928.)

Bevor wir auf den sachlichen Kern des Vertrages eintreten, den wir den eidgenössischen Eäten heute zur Genehmigung unterbreiten, halten wir es für angezeigt, den Verlauf der Unterhandlungen zwischen den hauptsächlichsten Signatarstaaten in kurzen Zügen in Erinnerung zu bringen. Wenig völkerrechtliche Verträge haben einen so kurzen Wortlaut, wenige aber auch bedürfen so sehr der Erläuterung durch die auslegenden Erklärungen der verhandelnden Mächte.

Im Juni 1927 schlug die franzosische Eegierung derjenigen der Vereinigten Staaten von Amerika vor, zwischen beiden Ländern einen «Pakt immerwährender Freundschaft» zu schliessen, nach dessen Wortlaut die Arertragsparteien die Zuflucht zum Kriege verurteilen und auf ihn «als ein Mittel ihrer gegenseitigen nationalen Politik» verzichten würden, indem sie sich anderseits zu verpflichten hätten, «die Eegelung oder die Beilegung aller Streitigkeiten und Konflikte, welcher Art und welchen Ursprungs sie auch immer wären, wenn sich solche zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika erheben sollten», ausschliesslich nur durch friedliche Mittel zu erstreben. Die Kegierung der Vereinigten Staaten gab hierauf zu bedenken, dass die beiden Eegierungen, statt sich auf einen zweiseitigen Vertrag zu beschränken, «zum Weltfrieden noch mehr beitragen würden, wenn sie ihre Anstrengungen vereinigten, um die Zustimmung aller Hauptmächte der Welt zu einer Erklärung zu erlangen, in der sie auf den Krieg als Mittel ihrer nationalen Politik verzichten würden».

Die französische Eegierung stimmte dem Gedanken zu und empfahl, zunächst einen Vertrag zwischen beiden Ländern abzuschliessen, um ihn alsdann «allen Nationen zur Genehmigung» vorzulegen. Dieser Anregung hielt Herr Kellogg, Staatssekretär der Vereinigten Staaten, entgegen, dass es unzweckmässig und gefährlich sei, ein zweiseitiges Abkommen festzusetzen, das nach der Ansicht der Initianten dazu bestimmt sei, alle Länder zu umfassen. Die französische Eegierung beharrte nicht auf ihrem Standpunkt. Mit dem Hinweise darauf, dass ihr ursprunglicher Vorschlag «unter Berücksichtigung der jahrhundertalten Beziehungen zwischen
Frankreich und den Vereinigten Staaten abgefasst worden» sei, zeigte sie sich bereit, zum Abschluss eines mehrseitigen Vertrages Hand zu bieten, wobei jedoch die Meinung dahingehen sollte, dass Bundesblatt. 80. Jahrg. Bd. II.

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1106 1. das in Aussicht genommene Übereinkommen «gegenüber einer Macht, die daran beteiligt wäre, nur dann in Wirksamkeit treten würde, wenn die andern Staaten, die für schwere Verwicklungen mit dieser Macht in Betracht kämen, ebenfalls zu den Unterzeichnern gehörten»; 2. «wenn einer der Signatarstaaten seinem Versprechen untreu würde, die andern Unterzeichner gegenüber dem Vertragsbrüchigen Staat ihrer eigenen Verpflichtung entbunden wären»; 8. «der so ausgesprochene Verzicht auf den Krieg für die Unterzeichner das Eecht der Selbstverteidigung nicht ausschliessen würde»; 4. «die Pflichten der neuen Satzung in keiner Weise an Stelle derjenigen aus schon bestehenden internationalen Übereinkünften, wie den Satzungen des Völkerbundes, den Übereinkünften von Locamo oder Verträgen zur Garantie der Neutralität treten oder sie irgendwie beeinträchtigen sollten . . . . » *) Das Staatsdepartement bestritt die Berechtigung dieser Vorbehalte nicht ; es zog jedoch vor, sie nicht in den Vertrag aufzunehmen, in der Erwägung, dass sein Wert in hohem Grade von seiner Einfachheit abhängig sei. Es richtete nun 1 an die Ministerien für die auswärtigen Angelegenheiten Deutschlands, Grossbritanniens, Italiens und Japans eine Zirkularnote, mit der es ihnen den Schriftwechsel zwischen Paris und Washington sowie einen Vertragsentwurf, welcher mit dem ursprünglichen, von der französischen Eegierung ausgearbeiteten «praktisch übereinstimme», zur Prüfung unterbreitete. Der Quai d'Orsay gelangte seinerseits an die gleichen Mächte mit einem umgearbeiteten Vertragsentwurf, in dem die Vorbehalte, deren sich die Begierung gegenüber Washington bedient hatte, ausdrücklich angeführt wurden. Der weitere Verlauf ist bekannt.

Die angegangenen Eegierungen beanspruchten die Vorbehalte für sich ebenfalls, teilten aber die Ansicht der amerikanischen Eegierung, wonach eine Notwendigkeit nicht bestehe, sie in den Wortlaut des Vertrages aufzunehmen 2). Sie betonten insbesondere, dass es ihnen unmöglich wäre, ein Abkommen zu unterzeichnen, das die aus der Satzung des Völkerbundes sich ergebenden Verbindlichkeiten beeinträchtigen würde.

Den genannten vier Vorbehalten fügt die britische Eegierung einen fünften bei, der ebensowenig wie die übrigen bestritten wird, indem sie darauf aufmerksam macht, dass das Wohlergehen und die Unversehrtheit
gewisser Gebiete des Erdballs für den Frieden und die Sicherheit des britischen Eeichs von besonderer, lebenswichtiger Bedeutung seien. Sie bemerkt in diesem Zusammenhange folgendes: «Die Eegierung Seiner Majestät hat bis anhin grosse Sorgfalt darauf verlegt,, klarzustellen, dass bezüglich dieser Gebiete keine Intervention geduldet werden könnte. Der Schutz dieser Gebiete gegen irgendwelchen Angriff bedeutet J ) Brief des französischen Botschafters in Washington an den Staatssekretär der Vereinigten Staaten, vom 30. März 1928.

2 ) Die italienische Antwort, deren Veröffentlichung wie die der übrigen Antworten durch die Regierung der Vereinigten Staaten besorgt wurde, beruft sich nicht ausdrücklich auf diese Vorbehalte, weil die italienische Regierung in diesem Stadium der Verhandlungen vorgeschlagen hatte, den Wortlaut des in Aussicht genommenen Vertrages einer Prüfung durch Rechtssachverständige unterziehen zu lassen.

110t für das britische Seich eine Massnahme berechtigter Selbstverteidigung. Es muss eindeutig festgestellt werden, dass die Eegierung Seiner Majestät bei der Annahme des neuen Vertrages von der ausdrücklichen Voraussetzung ausgeht, dass der Vertrag ihre Handlungsfreiheit in dieser Beziehung auf keine Weise beeinträchtigt. Die Eegierung der Vereinigten Staaten hat Interessen ähnlicher Art, bezüglich welcher sie erklärt hat, dass sie es als eine unfreundliche Handlung betrachten würde, wenn eine fremde Macht es unterliesse, ihnen Eechnung zu tragen. Die Eegierung Seiner Majestät ist daher der Auffassung, dass sie der Absicht und dem Gedanken der Eegierung der Vereinigten Staaten Ausdruck verleiht, wenn sie die Lage klarstellt, in der sie sich befindet 1 ).>> Die britische Eegierung legte gleichzeitig dar, dass sie nicht wohl anders an einem solchen Vertrage teilnehmen könnte, als gemeinsam mit den Regierungen der Dominien (Australischer Bund, Kanada, Freistaat Irland, Neuseeland. Südafrikanischer Bund) und der Eegierung Indiens, und dass es infolgedessen wünschenswert wäre, diese zur Teilnahme an der Abschliessung des Vertrages einzuladen.

Das amerikanische Staatsdepartement trug diesem Wunsche Eechnung und legte den Vertragsentwurf den erwähnten Eegierungen vor. Diese antworteten ihrerseits, dass sie bereit seien, in der in Aussicht genommenen Form und unter den gestellten Bedingungen zu unterzeichnen. In der Folge wurde vereinbart', dass Belgien, Polen und die Tschechoslovakei in ihrer Eigenschaf t als Mitbeteiligte an den Übereinkünften von Locamo ebenfalls eingeladen werden sollten, den Vertrag zu unterzeichnen. Daraufhin richtete die amerikanische Eegierung am 24. Juni 1928 an die 14 in Betracht fallenden Eegierungen eine Zirkularnote, mit der sie ihnen den zu schliessenden Vertrag in abgeänderter Form vorlegte und ihre Auffassung über einzelne der gemachten Vorbehalte bekannt gab. Der umgearbeitete Entwurf stimmt mit dem ursprünglichen bis auf die drei ersten Absätze der Präambel überein, in der nunmehr des genauem bestimmt wird, «dass jede Signatarmacht, die künftighin den Versuch machen sollte, ihre nationalen Interessen dadurch zu fördern, dass sie zum Kriege schreitet, ausgeschlossen werden soll von den Vorteilen des gegenwärtigen Vertrages.» Bezüglich des eigentlichen Inhalts des Vertrages
stellt die amerikanische Eegierung fest, dass keine der angegangenen Eegierungen sachliche Änderungen vorgeschlagen hat; sie erachtet dies «zur Wahrung der berechtigten Interessen irgendeiner Nation» auch nicht für nötig. Sie ist nämlich der Ansicht, dass der Anspruch auf berechtigte Selbstverteidigung ohnehin in jedem Vertrage mitenthalten sei und dass es weder notwendig noch wünschenswert erscheine, sich ausdrücklich auf dieses «unveräusserliche Attribut der Souveränität» zu berufen. Es ist nach ihrer Ansicht nicht weniger augenscheinlich, dass, wenn einer der vertragschliessenden Teile unter Verletzung des Vertrages zum Kriege schreiten sollte, die andern Teile dadurch ihrer Verpflichtungen gegenüber dem Vertragsbrecher entbunden würden. Über die aus der Satzung *) Nach der französischen Übersetzung der britischen Antwort im Schriftstück 0 380 M 121 1928 des Volkerbundes.

1108 des Völkerbundes entspringenden Verpflichtungen bringt sie ihre Auffassung vielleicht etwas weniger deutlich zum Ausdrucke; da sie aber gegenüber den bestimmten Erklärungen der angegangenen Kegierungen über ihren Standpunkt hinsichtlich ihrer Pflichten als Mitglieder des Völkerbundes keine Einwendungen erhebt, erscheint es nicht zweifelhaft, dass der Kriegsächtungspakt unmöglich in Widerspruch treten könnte zu der allfälligen Anwendung der in der Satzung des Völkerbundes vorgesehenen Sanktionen.

Die 14 Eegierungen gaben daraufhin bekannt, dass sie damit einverstanden seien, den Vertrag unter den im Verlaufe der Unterhandlungen angebrachten Vorbehalten einzugehen, und am 27. August 1928 wurde in Paris der Pakt über die Verurteilung des Krieges als eines Mittels der nationalen Politik unterzeichnet.

Gleichen Tags brachte uns der Gesandte der Vereinigten Staaten in Bern in einem Schreiben, das in der Presse vollinhaltlich veröffentlicht worden ist, den Wortlaut des Abkommens zur Kenntnis, indem er uns bat, die Möglichkeit des Beitrittes der Schweiz einer Prüfung zu unterziehen. Nach einem vorläufigen Studium des Vertrages haben wir das Politische Departement beauftragt, der Gesandtschaft der Vereinigten Staaten zu antworten -- was unter dem Datum vom 30. August geschehen ist --, dass «ein Kollektivvertrag wie der KelloggPakt, der den Krieg als Mittel zur Eegelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten verurteilt und ihn als Instrument nationaler Politik in aller Form ächtet, ein Vertrag, der überdies den vertragschliessenden Staaten zur Pflicht macht, die Beilegung aller Streitigkeiten, welcher Art sie auch sein mögen, auf friedlichem Wege zu suchen, beim Bundesrat und beim Schweizervolke der günstigsten Aufnahme sicher sein konnte». Unsere Note fügt bei: «Der Verzicht auf den Krieg als Mittel der nationalen Politik steht in völligem Einklänge mit der hergebrachten Politik der Schweiz und ist tatsächlich schon in dem fundamentalen Staatsgrundsatz enthalten, den für sie die dauernde Neutralität darstellt. Der Gedanke, dass alle Streitigkeiten durch friedliche Mittel geregelt oder beigelegt werden sollen, entspricht auch durchaus den Anschauungen, welche die Schweiz ihrerseits sich bemüht, in der Politik zu verwirklichen, die sie auf dem Gebiete des internationalen Schiedsgerichtswesens verfolgt. Der Bundesrat ist somit überzeugt, dass das aufmerksame Studium, dem er die Frage noch unterwerfen muss, ihn zweifellos dazu führen wird, den eidgenössischen Baten zu beantragen, ihn zur Erklärung des Beitritts zu dem neuen Vertrage zu ermächtigen.»

Der Pakt über den Verzicht auf den Krieg umfasst nur drei Artikel. Die beiden ersten, die alles Wesentliche enthalten, lauten folgendermassen :

1109 Artikel I.

«Die hohen vertragschliessenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, dass sie den Krieg als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten verurteilen und auf ihn als ein Instrument der nationalen Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verziehten.

Artikel II.

Die hohen vertragschliessenden Parteien kommen überein, dass die Begelung oder die Beilegung aller Streitigkeiten und Konflikte, welcher Natur oder welchen Ursprungs sie auch sein mögen, die zwischen ihnen entstehen könnten, ausschliesslich durch friedliche Mittel erstrebt werden soll.» Wie wir bereits in der kurzen Darstellung des Verlaufes der Unterhandlungen bemerkt haben und wie sich übrigens aus Artikel l ergibt, hatten die Urheber des Paktes nicht einen unbedingten Verzicht auf den Krieg in Aussicht genommen. Was «aus der Rechtsordnung ausgeschlossen» wird, ist der Krieg «als ein Mittel der nationalen Politik».

Was ist nun der Sinn der letzten Worte ? Wenn der Pakt in diesem Punkte nicht Aufschluss gibt, so liefern dagegen die im Verlaufe der Unterhandlungen und bei der Unterzeichnung abgegebenen Erklärungen hierfür gewisse Anhaltspunkte. Da der Ausdruck «Mittel der nationalen Politik» aus dem Entwurfe zum zweiseitigen Vertrage stammt, den Frankreich anfänglich den Vereinigten Staaten von Amerika vorgeschlagen hatte, schien niemand besser als der Quai d'Orsay in der Lage zu sein, seinen Sinn zu bestimmen. Nun hob aber die französische Note vom 30. März 1928 an das Staatsdepartement in Washington hervor, dass für die vertragschliessenden Teile die Verurteilung des Krieges als eines Mittels ihrer nationalen Politik soviel heisse wie, ihn als «Behelf ihrer persönlichen, spontanen und unabhängigen Politik» zu verurteilen. Anderseits hat der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs, Herr Briand, in seiner Eede bei der feierlichen Unterzeichnung erklärt, dass «zum erstenmal ...

der Krieg ohne jeglichen Vorbehalt als Mittel der nationalen Politik, d. h. in seiner ureigensten und gefürchtetsten Form : in der des selbstsuchtigen und freiwillig eingegangenen Krieges, verworfen werde».

Der Pariser Pakt verfolgt somit das Ziel, die auf Eroberungsgelüsten, Interessenverfolgung und Herrschaftsplänen beruhenden Kriege, mit andern Worten, alle diejenigen Kriege zu verurteilen, die man unter dem
allgemeinen Ausdrucke der Angriffskriege zusammenfasst. Es folgt daraus, dass der Krieg aus erlaubter Selbstverteidigung nicht geächtet wird.

Wann aber befindet sich ein Land in der Lage berechtigter Selbstverteidigung und wann nicht ? Man hat auf völkerrechtlicher Grundlage eine befriedigende Umschreibung des Begriffes der Notwehr bzw. des Angriffes nicht gefunden, ja man hat sogar darauf verzichtet, sie zu suchen. Hierin liegt eine offenbare Schwäche des Kriegsächtungsvertrages. Auch sein Wortlaut nimmt uns die

1110 Ungewissheit nicht, in der wir uns über die Tragweite der Verpflichtungen, die er im Gefolge hat, befinden. Er gibt die Entscheidung darüber, ob der Krieg im Sinne der eingegangenen Verpflichtungen im einzelnen Falle rechtlich zulässig sei oder nicht, den vertragschliessenden Teilen anheim. Da somit die wesentlichen Begriffsmerkmale des als Mittel nationaler Politik dienenden Krieges bis zu einem gewissen Grade subjektiver Art sind, hängt der Wert des neuen Paktes sehr von der Auslegung ab, die dieser durch die vertragschliessendenTeile finden wird ; er wird grösser oder weniger gross sein, je nachdem die Auslegung enge oder weniger eng ausfällt. Wenn es auch ohne Zweifel eine Übertreibung wäre, wie gewisse Juristen es tun, zu behaupten, dass der Vertrag vom Gesichtspunkte des positiven Bechts aus wertlos sei, so muss doch zum mindesten eingestanden werden, dass seine Bedeutung ungewiss ist. Der Staat, der unter Verletzung seiner Verpflichtungen zum Kriege schreiten würde, sähe sich nicht notwendig einer Koalition gegenüber, die ihn über seinen Treubruch zur Rechenschaft zöge. Hier gibt es eben keine über den Parteien stehende Instanz, die untersuchen und verbindlich feststellen würde, ob die eingegangenen Verpflichtungen erfüllt worden sind oder nicht; gegenüber dem Staate, der den Pakt bricht, sind keine Sanktionen vorgesehen. Der merkliche Unterschied, welcher zwischen der von der Satzung des Völkerbundes eingesetzten Ordnung und derjenigen des Pariser Paktes besteht, fällt gänzlich zugunsten der erstem aus.

Das über den Vertrag bereits Gesagte enthebt uns der Notwendigkeit, länger bei den Vorbehalten zu verweilen, mit denen er von Anbeginn beschwert war. Sie erweisen sich weniger als Ausnahmen einer allgemeinen Norm, denn als Auslegungsregeln. Zwischen den Gedanken, denen sie Ausdruck geben und dem grundlegenden Satze von der Verurteilung des Krieges als eines Mittels der nationalen Politik besteht in der Tat kein Widerspruch. Auch wenn der Vorbehalt der erlaubten Selbstverteidigung nicht erhoben worden wäre, hätte er ohne weiteres aus dem Vertrag abgeleitet werden können. Der «britische Vorbehalt», von dem viel die Bede war und der nur ein besonderer Anwendungsfall des Vorbehaltes der erlaubten Selbstverteidigung sein dürfte, setzt zum voraus fest, welche Auslegung diesem vom britischen
Beich in mehr oder weniger bestimmter Hinsicht zuteil werden wird.

Von selbst versteht sich der Vorbehalt, wonach die Vertragsstaaten von ihren vertraglichen Verpflichtungen entbunden sind gegenüber einem Staate, der die seinen verletzt. Aber es ist begreiflich, dass man über diesen Grundsatz keinen Zweifel aufkommen lassen wollte, weil die blosse Aussicht, dass die vertragschliessenden Teile ihre Handlungsfreiheit zurückgewinnen würden, einen heilsamen Einfluss auf den Willen eines Staates haben kann, der sich mit dem Gedanken des Vertragsbruches trägt.

Was den Vorbehalt über den Völkerbund anbelangt, ist erfreulich festzustellen, dass die Signatarstaaten, sow'eit sie Mitglieder des Völkerbundes sind,

lili so nachdrücklich den Willen kundgegeben haben, an den Grundsätzen der Satzung in vollem Umfange festzuhalten. Aber hätte der Pariser Pakt in seiner gegenwartigen Fassung zum Genfer Pakt überhaupt in Gegensatz treten können ?

Wie soll man sich vorstellen, dass einen Staat, der in Anwendung von Artikel XVI der Völkerbundssatzung an einem Gesamtkriege teilnähme, je der Vorwurf treffen könnte, den Krieg als Mittel zu seiner nationalen Politik benutzt zu haben ? Anderseits aber wird ein bundesbruchiger Staat wohl bloss dann von einer Staatengemeinschaft bekriegt werden, wenn seine Haltung die Interessen des Volkerbundes und seiner Glieder ernstlich gefährdet : in diesem Fall aber wurden die Bundesglieder gerade auf Grund der Ordnung des Kellogg-Paktes zur Selbstverteidigung berechtigt sein: auch nach ihm wurden sie somit erlaubterweise zu den Waffen greifen.

Artikel l des Kellogg-Paktes scheint den Krieg nicht nur als ein Instrument nationaler Politik, sondern auch noch, und sogar in erster Linie, als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten zu verurteilen. Das Verbot, zum Kriege zu greifen, um internationale Streitfalle aus der Welt zu schaffen, hat in Wahrheit nur den Wert einer grundsatzlichen Erklärung. Es fügt rechtlich zum Grundsatze des Artikels l, der für sich allein das Wesen des Kellogg-Paktes ausmacht, wonach es verboten ist und bleibt, sich des Krieges als eines Mittels der nationalen Politik zu bedienen, nichts hinzu. Ein Krieg, der einzig und allein unternommen würde, um einen internationalen Streit zu beseitigen, d. h. mit dem ein Staat versuchen wollte, seinen Willen gewaltsam durchzusetzen, wäre nämlich ein Angriffskrieg, und dieser Krieg fände als Mittel der nationalen Politik ohnehin seine Verurteilung.

Wenn die Zuhilfenahme der Waffen unter den von uns hervorgehobenen Einschränkungen zur Erledigung internationaler Streitigkeiten verboten sein soll, so ist es folgerichtig, anzugeben, wodurch der Krieg ersetzt werden soll, um Interesse- und Machtkonflikten zwischen Staaten ein Ende zu bereiten.

Wenn der Krieg ein Übel ist, das um jeden Preis vermieden werden muss, so ist doch auch ein fortbestehender Streit ein solches, und zwar ein so verderbliches, dass es in gewissen Fällen auf die Dauer die gesamten zwischenstaatlichen Beziehungen zu zerrütten vermag. Aus diesem Grunde bestimmt Artikel 2 des Pariser Vertrages, dass die Beilegung aller Streitigkeiten «ausschliesslich nur durch friedliche Mittel erstrebt werden soll». Für die Wahl dieser Mittel wird den Vertragsstaaten alle Freiheit gelassen. Unmittelbare Verhandlungen, Vermittlung, Vergleichs-, Schieds- und Gerichtsverfahren -- an Möglichkeiten zur Beilegung ist kein Mangel. Es ist indessen festzuhalten, dass einzig ein Schieds- oder Gerichtsverfahren geeignet ist, die endgültige Regelung internationaler Streitigkeiten in jedem Falle zu gewährleisten. Da nun aber derKelloggPakt die Parteien nicht verpflichtet, gerade dieser Art der Beilegung und nicht einer andern den Vorzug zu geben, bietet er nicht volle Gewähr dafür, dass die

1112 Streitigkeiten zwischen Vertragsstaaten inskünftig endgültig geschlichtet werden können. Es ist dies eine weitere Lücke, die ihm zum Vorwurfe gemacht werden kann, weil es, wenn es auch wesentlich ist, den Krieg zu untersagen, nicht minder wesentlich ist, zu verhindern, dass die rechtlicheUnmöglichkeit,Krieg zu führen, schliesslich Zustände zeitigt, die dem Kriege näherstehen als dem Frieden.

Wenn man die Lösungen der Gewalt ächten will, so ist es wichtig, sich zu den Lösungen des Kechts zu bekennen, und um tatsächlich zu diesem Ergebnisse zu gelangen, gibt es wohl nur ein Mittel: die Anerkennung des Grundsatzes der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit in möglichst weitem Umfange.

1

Wird der Kellogg-Pakt mit seinen Einschränkungen und Lücken die Garantien vermehren, die vom Völkerbund auf dem Gebiete der Kriegsverhütung geschaffen wurden, und in welchem Masse wird dies gegebenenfalls geschehen ?

Bekanntlich lässt die Satzung des Völkerbundes den Krieg zu, wenn das gemäss ihrem Artikel XV angehobene Untersuchungs- und Prüfungsverfahren nicht mit einem vom Bat einstimmig angenommenen Bericht endet. Man hat mehrmals schon versucht, diesen Eiss im Aufbau des Paktes, wie er genannt worden ist, auszufüllen; ohne auf das Genfer Protokoll zurückzukommen, genügt es, daran zu erinnern, dass die Völkerbundsversammlung am 24. September 1927 eine Eesolution angenommen hat, die, abgesehen von der Präambel, folgendermassen lautet : «Die Versammlung erklärt: 1. Jeder Angriffskrieg ist und bleibt verboten.

2. Zur Eegelung von Streitigkeiten, welcher Art auch immer, die sichzwischen den Staaten erheben, müssen alle zu Gebote stehenden friedlichen Mittel angewandt werden.

Die Versammlung erklärt, dass die Mitgliedstaaten des Völkerbundes verpflichtet sind, sich nach diesem Grundsatze zu richten.» Man wird die auffallende Ähnlichkeit und Symmetrie zwischen dieser Resolution und dem Kellogg-Pakte sofort bemerken. Beide Dokumente stimmen sogar dem Inhalte nach völlig überein, da es ja, wie wir gesehen haben, eigentlich der Angriffskrieg ist, der vom Pariser Pakt geächtet wird, und da anderseits der Grundsatz, zu dem sich Ziffer 2 der Eesolution bekennt, dem Artikel 2 des Vertrages über den Verzicht auf den Krieg entspricht. Zwischen beiden hat man indessen tatsächlich einen Unterschied gemacht und muss ihn auch machen. Die Eesolution vom 24. September 1927 erklärt zwar, dass die Mitgliedstaaten des Völkerbundes verpflichtet seien, den von ihr ausgesprochenen Grundsatz zu beobachten ; wie aber von der Eednerbühne der Versammlung aus selbst hervorgehoben wurde, ist dies nur eine Eesolution. Über die rechtliche Verbindlichkeit eines einstimmigen Beschlusses der Völkerbundsversammlung kann man verschieden urteilen; Tatsache ist aber, dass man in Genf der Ansicht war, dass die vorerwähnte Eesolution «keinen eigentlichen

1113 Eechtsakt bildet ..., der sich selbst genügen würde *) ». Es muss wohl angenommen werden, dass dem so sei ; denn, falls der Eesolution der Versammlung, die nicht mehr und nicht weniger enthält als der Kellogg-Pakt, die gleiche Eechtskraft zukäme wie einem völkerrechtlichen Vertrage, hätte sich der Pakt vom 27. August als ganz oder fast überflüssig erwiesen 2). Da dem Pariser Pakt nun aber diese rechtliche Verbindlichkeit zukommt, besteht sein Verdienst darin, den Grundsatz der Verurteilung der Angriffskriege vom Boden der Moral auf den des Bechts gestellt zu haben.

Auf die vom Völkerbund eingesetzte Ordnung übertragen, würde dieser Grundsatz Ergebnisse zeitigen, deren Bedeutung von vornherein einleuchtet.

Er würde den im Genfer Pakt bestehenden Eiss, durch den der Krieg entschlüpfen könnte, verengen. Ein Bundesglied hätte nicht mehr das Eecht, Gewalt anzuwenden, einzig aus dem Grunde, weil in einem bestimmten Falle das Vergleichsverfahren auf Grund von Artikel XV der Satzung nicht mit einer einstimmig gef assten Empfehlung des Eates abgeschlossen würde ; dazu wäre ausserdem erforderlich, dass er sich im Zustande berechtigter Selbstverteidigung befände.

"Wenn letztere Voraussetzung nicht erfüllt ist, wird die Zuhilfenahme der Waffen, die nach der Völkerbundssatzung zulässig gewesen wäre, zur Eechtswidrigkeit auf Grund des Kellogg-Paktes. Aber zwischen den Schranken, welche die Völkerbundssatzung gegen den Krieg errichtet, und denjenigen, die der Pariser Pakt hinzufügen würde, bestünde ein Unterschied: die zweiten wären weniger widerstandsfähig als die ersten, weil der entgegen der Satzung geführte Krieg seinen Urheber den Sanktionen des Artikels XVI aussetzen würde, während der Kellogg-Pakt nichts vorsieht, was das Vorhaben des Angreifers zum Scheitern bringen könnte. Allerdings kann auch ein Vertrag ohne bestimmte Sanktionen nichtsdestoweniger derartige Wirkungen äussern, dass sein praktischer Wert nicht zu leugnen ist. Es steht denn auch ausser Zweifel, dass der KelloggPakt die Friedensgarantien der Völkerbundssatzung vermehren würde. Durch ihn würde sich die dem Kriege noch halb geöffnete Pforte noch mehr schliessen.

Nachdem der «selbstsüchtige und freiwillig eingegangene» Krieg in allen seinen Erscheinungsformen feierlichst verboten wird, fände der Eat in seinem Schosse die Vorbedingungen
für eine Einigung leichter, die ihm erlauben würde, den ersten Anzeichen eines Angriffsversuches sein einstimmiges Veto entgegenzusetzen. Der Kellogg-Pakt hätte also in zweifacher Hinsicht zur Wirkung, die Vorkehrungen des Völkerbundes zur Kriegsverhütung zu verstärken: in rechtlicher würde er die Fälle der Widerrechtlichkeit des Krieges vermehren, in tatsächlicher die Kriegsmöglichkeiten vermindern, die auf Grund von Art. XV der Satzung noch bestehen, indem er die Gefahr einer Meinungsverschiedenheit im Eate herabsetzte. Aus diesem doppelten Grunde könnte er der Sache des Friedens einen bemerkenswerten Dienst erweisen.

') Erklärungen des Herrn Sokal, Berichterstatters der III. Kommission der Versammlung; Journal officiel des Volkerbundes, Akten der Versammlung 1927, S. 155.

2 ) Die Resolution der Versammlung ist nur für die Mitgliedstaaten des Volkerbundes verbindlich, während der Kellogg-Pakt den weitern Vorteil aufweist, allen Staaten ohne jegliche Ausnahme zum Beitritt offenzustehen.

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i

Nach dem Wortlaute seines dritten und letzten Artikels wird der Pakt über den Verzicht auf den Krieg in Wirkung treten, sobald die fünfzehn Signatarstaaten ihre Eatifikationsurkunden in Washington hinterlegt haben werden; er bleibt allen übrigen Staaten, ohne jegliche Ausnahme, zum Beitritt offen.

Welche endgültige Antwort ist unsererseits angezeigt, nachdem uns die Regierung der Vereinigten Staaten im Namen der Signatarmächte eingeladen hat, die Möglichkeit unseres Beitrittes einer Prüfung zu unterziehen?

Über diese Antwort sind wir nicht im Zweifel. Wir glauben, dass die eidgenössischen Räte und mit ihnen das Schweizervolk eine Massnahme beifällig aufnehmen werden, deren Zweck es ist, eine neue Schranke aufzurichten auf dem Wege, der zum Kriege führt. Gewiss ist der Pariser Pakt nicht dazu angetan, den Rechtskundigen vollauf zu befriedigen. Wenn auch unbestreitbar ist, dass die Verpflichtungen, die er in sich schliesst, bei näherer Prüfung sich als unbestimmt und ungewiss erweisen, so muss doch seine grosse moralische Tragweite anerkannt werden. Zugegeben, dass der Angriffskrieg noch nicht dadurch aus der Welt geschafft wird, dass man ihn zu einer rechtlich unerlaubten und verbrecherischen Handlung stempelt, dass man ihn, wie in Paris gesagt wurde, in seinem Wesen angreift, ihn brandmarkt, wie man die Piraterie und das Räubertum brandmarkt. Aber muss nicht damit begonnen werden, wenn man ihn beseitigen will?

Den Grundgedanken des Kriegsächtungspaktes hat die Schweiz seit langem in vollem Umfang anerkannt. Schon lange beherrscht er unsere politische Denkweise, unsere Überlieferung, ja auf ihm fusst unsere Neutralität.

Wir haben ihn gewissermassen zum unsrigen gemacht, bevor er auf internationalem Boden Wesen und Gestalt annahm. Wie sollte die Schweiz unter diesen Umständen zögern, sich an einem internationalen Akte zu beteiligen, der verurteilt, was sie für ihr Teil seit langem verurteilt hat?

Man könnte sich fragen, ob es nicht angezeigt wäre, unsere Entscheidung bis zu dem Tage hinauszuschieben, an dem der Pakt tatsächlich in Kraft tritt, weil das Ausbleiben der Ratifikation durch den einen oder andern Signatarstaat noch nicht ausser dem Bereiche der Möglichkeit liegt und weil anderseits ein Staat seine Ratifikation an Vorbehalte knüpfen könnte, deren Sinn und Tragweite heute unmöglich
vorauszusehen sind. Wenn das in Frage stehende Abkommen eine positive Verpflichtung, eine Verpflichtung zu einem Tun in sich schlösse, würden wir kaum zögern, die Frage zu bejahen. Aber der Kellogg-Pakt auferlegt uns keinerlei Verpflichtung, die wir nicht schon aus freien Stücken übernommen hätten. Er schreibt uns nur eine Enthaltung vor, und es trifft sich, dass diese Enthaltung, der Verzicht auf den Krieg als Mittel der nationalen Politik, in der Schweiz auch ohne Vertrag geübt wird. Man verlangt von uns, dass wir ausdrücklich einem Grundsatze zustimmen sollen, der bei uns von tiefer Überzeugung getragen ist und das Wesen selbst der politischen Ordnung bildet, die wir uns freiwillig gegeben haben. Sollten wir zögern,

1115 unter dem Vorwande, dass andere diesen Grundsatz noch nicht in guter und gehöriger Form anerkannt haben? Wir halten im Gegenteile dafür, dass die Schweiz gut tun wird, schon durch ihre Bereitwilligkeit zum Beitritt die ganz natürliche Sympathie zu bekunden, die sie für die Idee des Friedens und der Gerechtigkeit hegt, von der sich der Kriegsächtungspakt hat leiten lassen.

Der Pakt hat übrigens viel grössere Aussicht, in Kraft zu treten, als toter Buchstabe zu bleiben. Da es sich nun um einen Vertrag von so besonderer Art handelt, um einen Vertrag, der uns keine neuen Verpflichtungen auferlegt, scheint uns noch am klügsten zu sein, den wahrscheinlichsten unter den möglichen Fällen ins Auge zu fassen. Wenn wider jede Voraussicht der Pakt über die Stufe der Unterze'chnung nicht hinauskommen sollte, so hätten wir nichtsdestoweniger einer guten Sache unsere Unterstützung angedeihen lassen.

Es wird angezeigt sein, die Bedeutung der Vorbehalte, die bei der Ratifikation angebracht werden könnten, nicht zu überschätzen. Nachdem nun der Pakt abgeschlossen ist, haben weder die Signatarstaaten, noch die beitretenden das Recht, Vorbehalte zu machen, die mit dem Geist und Buchstaben des Vertrages nicht vereinbar wären. Alle beteiligten Staaten stehen einander vielmehr als Gleichberechtigte gegenüber. Wenn wir uns also nur in voller Sachkenntnis und nach Prüfung aller Vorbehalte, welche vielleicht an die Ratifikation oder den Beitritt geknüpft werden, binden wollten, so bliebe uns nur eines übrig: zuzuwarten, bis alle Staaten der Welt beigetreten sind oder ratifiziert haben. Aber einer so weitgehenden Zurückhaltung ginge jede Berechtigung ab, da, abgesehen von den uns bereits bekannten Vorbehalten, die im Laufe der Unterhandlungen erhoben wurden, die später auftauchenden nur diejenigen binden werden, die sie abgeben. Es ist übrigens zu bemerken, dass sogar die erstgenannten Vorbehalte nicht wesentlicher Bestandteil des Vertrages sind. In der Tat würde nichts die Staaten hindern, die sie erhoben haben, sie späterhin zurückzunehmen. Es gibt in Wirklichkeit im Kellogg-Pakte nur ein gänzlich unwandelbares und beständiges Element : es ist dies der Grundsatz des Verbotes des Krieges als eines Mittels der nationalen Politik. Dieser Grundsatz kann, wie jede Rechtsnorm, in mehr oder weniger weitem Sinn ausgelegt
werden, und wenn angenommen wird, dass er gegenwärtig eine etwas einschränkende Auslegung erfährt, so ist doch damit noch nicht gesagt, dass diese nicht mit der Zeit in dem Mass erweitert werden könnte, um jeden Vorbehalt auszuschliessen, der sich nicht vernunftnotwendig und unmittelbar aus dem Wortlaute des Vertrages selbst ergibt.

Beigefügt sei, dass der Kellogg-Pakt unserer Ansicht nach zu den unkündbaren völkerrechtlichen Verträgen gehört. Die Kündigung eines Vertrages, der den Angriffskrieg zum Verbrechen stempelt, käme notwendigerweise einem Anschlag auf die zwischenstaatliche Moral gleich. Der Vertrag ist, weil von unbeschränkter Dauer, nach unserm Staatsrechte dem Referendum unterworfen, so dass unser Beitritt rechtswirksam erst erfolgen kann, wenn die dreimonatige Referendumsfrist vom Tage der Genehmigung durch die eidgenössischenRäte an abgelaufen ist. Dies ist ein Grund mehr, um unsere Entscheidung nicht länger

1116 hinauszuschieben, wenn wir uns aus den oben dargelegten Gründen wirklich den moralischen Vorteil einer gewissermassen spontanen Beipflichtung sichern wollen.

Falls sich wider Erwarten nach Ihrer Ermächtigung und dem Ablaufe der Eeferendumsfrist erweisen sollte, dass der Kellogg-Pakt kaum Aussicht hat, in Kraft zu treten, so bliebe immer noch die Möglichkeit, von unserer endgültigen Zustimmung abzusehen. Zu diesem Zwecke würde es genügen, dass Sie dem Bundesrate die Befugnis einräumten -- und diese Vorsichtsmassregel erschiene durchaus begreiflich --, in Washington den Beitritt der Schweiz erst bekannt zu geben, wenn er den Zeitpunkt für gekommen erachtet.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen bitten wir Sie, dem Vertrag über den Verzicht auf den Krieg Ihre Zustimmung zu geben, indem Sie den beiliegenden Entwurf zu einem Bundesbeschlusse gutheissen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 17. Dezember 1928.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

1117 (Entwurf.)

ßundesbeschluss betreffend

den Beitritt der Schweiz zu dem am 27. August 1928 in Paris abgeschlossenen Vertrag über den Verzicht auf den Krieg.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 17. Dezember 1928, beschliesst: Artikel 1.

Der am 27. August 1928 in Paris abgeschlossene Vertrag über den Verzicht auf den Krieg wird genehmigt.

Artikel 2.

Der Bundesrat wird mit dem Vollzuge dieses Beschlusses beauftragt; er ·wird die Beitrittserklärung abgeben, sobald er den Zeitpunkt für gekommen erachtet.

Artikel 3.

Dieser Beschluss unterliegt den Bestimmungen von Artikel 89, Abs. 3, der Bundesverfassung, betreffend die Unterstellung von Staatsverträgen unter das Referendum.

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Wortlaut des am 27. August 1928 in Paris abgeschlossenen Vertrages über den Verzicht auf den Krieg.

Der Deutsche Reichspräsident, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Seine Majestät der König der Belgier, der Präsident der Französischen Republik, Seine Majestät der König von G-rossbritannien, Irland und der überseeischen Britischen Lande, Kaiser von Indien, Seine Majestät der König von Italien, Seine Majestät der Kaiser von Japan, der Präsident der Republik Polen, der Präsident der Tschechoslovakischen Republik, tief durchdrungen von ihrer erhabenen Pflicht, das Wohl der Menschheit zu fördern ; in der Überzeugung, dass die Zeit gekommen ist, einen offenen Verzicht zu leisten auf den Krieg als ein Mittel der nationalen Politik, damit die friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen, die gegenwärtig zwischen ihren Volkern bestehen, immerwährend erhalten bleiben ; in der Überzeugung, dass alle Änderungen in ihren gegenseitigen Beziehungen nur durch friedliche Mittel angestrebt und in friedlichem und geordnetem Verfahren herbeigeführt werden sollen und dass jede Signatarmacht, die künftighin den Versuch machen sollte, ihre nationalen Interessen dadurch zu fördern, dass sie zum Kriege schreitet, ausgeschlossen werden soll von dea Vorteilen des gegenwärtigen Vertrages ; in der Hoffnung, dass durch ihr Beispiel aufgemuntert, alle andern Nationen der Welt dieser humanitären Bestrebung sich anschliessen und durch Beitritt zum gegenwärtigen Vertrag, sobald er wirksam wird, ihre Völker seiner segensreichen Bestimmungen teilhaftig machen werden, und dass hierdurch die zivilisierten Nationen der Welt in dem gemeinsamen Verzicht auf den Krieg als ein Mittel der nationalen Politik verbunden werden ; haben beschlossen, einen Vertrag abzuschliessen und zu diesem Zweck als ihre Bevollmächtigten bezeichnet: der Deutsche Reichspräsident: Herrn Dr. Gustav Stresemann, Reichsminister des Auswärtigen; der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika : den ehrenwerten Frank B, Kellogg, Staatssekretär ; Seine Majestät der König der Belgier: Herrn Paul Hymans, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Staatsminister ; der Präsident der Französischen Republik: Herrn Aristide Briand, Minister der auswärtigen Angelegenheiten :

1119 Seine Majestät der König von Grossbritannien, Irland und der überseeischen Britischen Lande, Kaiser von Indien: für Grossbritannien und Nordirland sowie für alle Teile des Britischen Reiches, die nicht selbständige Mitglieder des Völkerbundes sind : den Sehr Ehrenwerten Lord Cushendun, Kanzler des Herzogtums Lancaster, interimistischen Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten 5 für das Dominium Kanada: den Sehr Ehrenwerten William Lyon Mackenzie King, Ministerpräsidenten und Minister der auswärtigen Angelegenheiten ; für den Australischen Bund: den Ehrenwerten Alexander John McLachlan, Mitglied des Ministerrates; für das Dominium Neuseeland: den Ehrenwerten Sir Christopher James Parr, Oberkommissar von Neuseeland in Grossbritannien; für die Südafrikanische Union: den Ehrenwerten Jacobus Stephanus Smit, Oberkommissar der Südafrikanischen Union in Grossbritannien; für den Freistaat Irland: Herrn William, Thomas Cosgrave, Präsidenten des Ministerrates ; für Indien: den Sehr Ehrenwerten Lord Cushendun, Kanzler des Herzogtums Lancaster,, interimistischen Staatssekretär für die auswärtigen O Angelegenheiten ; Seine Majestät der König von Italien : den Grafen Gaetano Manzoni, seinen ausserordentlichen und bevollmächtigten Botschafter in Paris ; Seine Majestät der Kaiser von Japan : den Grafen Uchida, Geheimen Rat; der Präsident der Republik Polen: Herrn A. Zaleski, Minister der auswärtigen Angelegenheiten ; der Präsident der Tschechoslovakischen Republik: Herrn Dr. Eduard Benes, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und dieselben in guter und gehöriger Form befunden haben, sich auf die folgenden Artikel geeinigt haben: Artikel I.

Die hohen vertragschliessenden Parteien erklären feierlich im Namen ihrer Völker, dass sie den Krieg als Mittel zur Beilegung internationaler

1120 Streitigkeiten verurteilen und auf ihn als ein Instrument der nationalen Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten.

Artikel II.

Die hohen vertragschliessenden Parteien kommen überein, dass die Regelung oder die Beilegung aller Streitigkeiten und Konflikte, welcher Natur oder welchen Ursprungs sie auch sein mögen, die zwischen ihnen entstehen könnten, ausschliesslich durch friedliche Mittel erstrebt werden^soll.

Artikel III.

Der gegenwärtige Vertrag wird von den hohen vertragschliessenden Parteien, die in der Präambel genannt sind, gemäss den Vorschriften ihrer Verfassungen ratifiziert werden, und er wird für sie in Kraft treten, sobald die verschiedenen Ratifikationsurkunden in Washington hinterlegt sein werden.

Der gegenwärtige Vertrag wird, nachdem er gemäss dem vorhergehenden Absatz in Kraft getreten ist, solange notwendig für den Beitritt aller übrigen Mächte der Welt offen stehen. Jede den Beitritt einer Macht feststellende Urkunde wird in Washington hinterlegt, und der Vertrag wird unverzüglich nach dieser Hinterlegung zwischen der beitretenden Macht und den andern vertragschliessenden Mächten in Kraft treten.

Es liegt der Regierung der Vereinigten Staaten ob, jeder in der Präambel genannten Regierung und jeder diesem Vertrage später beitretenden Regierung eine beglaubigte Abschrift des Vertrages und jeder Ratifikations- oder Beitrittsurkunde zu verschaffen. Es liegt der Regierung der Vereinigten Staaten ferner ob, die genannten Regierungen unverzüglich telegraphisch davon zu benachrichtigen, wenn bei ihr eine Ratifikationsoder Beitrittsurkunde hinterlegt wird.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag in französischer und englischer Sprache, wobei beide Texte gleichwertig sind, unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

Gegeben zu Paris, am 27. August 1928.

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Gustav Stresemann Frank B. Kellogg Paul Hymans Aristide Briand Cushendun W. L. Mackenzie King A. J. McLachlan C. J. Parr >-$S~

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J. S. Smit William T. Cosgrave Cushendun G. Manzoni TJchida August Zaleski Dr. Eduard Benea.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Beitritt der Schweiz zu dem am 27. August 1928 in Paris abgeschlossenen Vertrag über den Verzicht auf den Krieg. (Vom 17. Dezember 1928.)

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1105-1120

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