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Schweizerisches Bundesblatt.

36. Jahrgang. IV.

Nr. 62.

27. Dezember 1884.

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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs der Frau Franziska Küster, geb. Wiedemann, von Mogelsberg (St. Gallen), betreffend Fortweisung aus der Stadtgemeinde St. Gallen.

(Vom

29. November 1884.)

Der

schweizerische Bundesr ath hat in Sachen der Frau Franziska K ü s t e r , geb. Wiedemann, von Mogeisberg, Kantons 8t. Gallen, betreffend Fortweisung aus der Stadtgemeinde St. Gallen; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse: I. Die Rekurrentin, deren Ehemann, Georg Jakob Küster, am 3t. Oktober 1878 polizeilich wegen wiederholten leichtsinnigen Falliments aus der Gemeinde St. Gallen fortgewiesen wurde, während sie selbst für ihre Person seit 6. März 1879 die Niederlassung in St. Gallen hatte, ist am 12. Januar 1883 vom Kantonsgericht St. Gallen wegen Kuppelei mit 6 Monaten Zuchthaus nebst Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte bis zur Rehabilitation bestraft worden.

Gestützt auf die Thatsache der mangelnden Ehrenfähigkeit infolge strafgerichtlichen Urtheils und auf die Information, daß der Ehemann der Rekurrentin sich schriftenlos bei ihr in St. Gallen aufhalte, beschloß der Gemeinderath der Stadt St. Gallen am 25. SepBundesblatt 36. Jahrg. Bd. IV.

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724 tember 1884 die erneuerte Wegweisung des Ehemannes Küster und unter Entzug der Niederlassung die Fortschaffung auch der Frau Küster.

II. Der st. gallische Regierungsrath hielt durch Beschlüsse vom 20. Oktober und 12. November 1884 gegenüber dem Rekurse der Frau und der Remonstration des Ehemannes Küster die gemeinderäthliche Maßregel aufrecht.

III. Mit einem Rekursmemoriale vom 16. November 1884 wandte sich hierauf Herr Advokat Scherrer in St. Gallen Namens der Frau Küster an den ßundesrath, um die Aufhebung der Wegweisung zu erwirken.

Die Rekursschrift bestreitet, daß der Rekurrentin , mit Ausnahme der einmaligen, auf das gesetzliche Minimum der Strafe lautenden gerichtlichen Venirtheilung vom 12. Januar 1883, in sittenpolizeilicher Hinsicht irgend etwas zur Last gelegt werden könne, wie es denn auch unwahr sei, daß sie ihrem weggewiesenen Ehemanne Unterschlauf gewähre.

Nach Art. 9 des st. gallischen Strafgesetzbuches betrage das in vorliegendem Falle anzuwendende Minimum der Zeitdauer für den bürgerlichen Ehrenverlust zwei Jahre. Am 12. Januar 1885 wäre deßhalb diese Frist abgelaufen. Das Vergehen sei gesühnt durch Verbüßung der Strafe und seitherigen korrekten Lebenswandel. Einem Rehabilitationsgesuehe müsse vom Großen Rathe von Mitte Januar 1885 an unzweifelhaft entsprochen werden, und dann werde auch der letzte scheinbare Grund 'zur Ausweisung fortgefallen sein.

Durch nichts würde es sich rechtfertigen, jetzt auf das gesühnte Vergehen zurückzugreifen und eine so harte Maßregel, wie die Ausweisung, unter Umständen zum Vollzug zu bringen , für welche die Bundesverfassung in Art. 45, Absatz 2, sie offenbar nicht vorgesehen habe.

IV. Der Regierungsrath des Kantons St. Gallen beharrt in seiner Vernehm lassung vom 24. November 1844 darauf, daß der Ehemann Küster ohne Schriftenabgabe bis in die neueste Zeit in St. Gallen bei seiner Frau sich aufgehalten habe, was von sämmtlichen Nachbarn der Frau bestätigt werde.

, .

Frau Küster werde erst im Juli 1886 (soll wohl heißen-1885, d. h. 2 Jahre nach der Verbüßung der Zuchthausstrafe) beim Großen Rathe um Wiedereinsetzung in ihre bürgerlichen Ehrenrechte eiukomrnen können, und es sei im Hinblick auf ihren schlechten Leumund mehr als wahrscheinlich, daß der Große Rath ihr allfalliges Gesuch abschlägig bescheiden würde;

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in Erwägung: 1) Wie der Bundesrath schon in frühem Fällen (vergi, namentlich den Entscheid in Sachen H. A. Grobéty in Genf vom 27. Oktober 1882 im Bundesblatt 1883, II, 851) hervorgehoben hat, muß ein Bürger den strafgerichtlichen Ehrenentzug bis zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als einen verfassungsmäßigen Grund, sei es der Verweigerung, sei es des Entzuges der Niederlassung gegen sich gelten lassen. (Artikel 45, Absatz 2 der Bundesverfassung.)

2) Im Spezialfalle ist unzweifelhaft die aus der Gemeinde St. Gallen weggewiesene .Rekurrentin in Folge eines strafgerichtlichen Urtheils zur Zeit nicht im Besitze der bürgerlichen Rechte und Ehren, weshalb die Berechtigung der Gemeindebehörde zum Entzug der Niederlassung mit Grund nicht in Frage gestellt werden kann; beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Entscheid ist der Regierung von St. Gallen, sowie zuhanden der Rekurrentin dem Herrn Advokaten Scherrer in St. Gallen schriftlich mitzutheilen, mit der weitem Eröffnung, daß der Bundesrath, soviel an ihm liegt, einem allfälligen Rekurse an die Bundesversammlung keinen Suspensiveffekt zuerkennen würde.

B e r n , den 29. November 1884.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Rillgier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs der Frau Franziska Küster, geb. Wiedemann, von Mogelsberg (St. Gallen), betreffend Fortweisung aus der Stadtgemeinde St. Gallen. (Vom 29. November 1884.)

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27.12.1884

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