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Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 29. März 1887).

Mit Eingabe vom 23. d. Mts. hat Hr.-Dr. Weibel in Luzern, als Beauftragter des J. Sch. in Wohlhusen, dem Bundesrath auseinandergesetzt: Im Kanton Luzern gehöre das Glockengeläute, wie auch der Regierungsrath wiederholt festgestellt habe, zu der schicklichen Beerdigung. In Wohlhusen bestehe eine kleine christkatholische Genossenschaft. Bei Beerdigung von Christkatholiken sei unter dem früheren Pfarrer immer geläutet worden. Als im Februar 1884 dort ein Christkatholik beerdigt werden sollte, habe der Gemeinderath beschlossen, nur zu läuten, wenn der Kirchenrath es bewillige.

Der Kirchenrath habe aber das Geläute verweigert. Auf Beschwerde der Wittwe des Verstorbenen habe das kantonale Polizeidepartement verfügt, es müsse geläutet werden, und habe mit dieser Verfügung einen Landjäger nach Wohlhusen geschickt Allein als dieser angekommen, feien der Pfarrer (zugleich Präsident des Kirchenrathes), sowie der Präsident des Gemeinderathes abwesend gewesen; der Bote habe die Verfügung nicht abgeben können, und es sei nicht geläutet worden. Nachher habe der Pfarrer einen Verweis bekommen. Das Begehren, daß nachträglich geläutet werde, sei abgewiesen worden.

Am 22. dies sei die Christkatholikin Frau Seh. gestorben und sollte am 24. Nachmittags 3 Uhr beerdigt werden, und zwar unter Beiziehung eines christkatholischen Geistlichen. Der Ehemann sei an den Gemeinderath um Anordnung des üblichen Geläutes gelangt.

Dieser habe beschlossen, das Geläute anzuordnen, wenn der Kirchenrath einverstanden sei. Der Präsident dieser Behörde habe aber erklärt, er bewillige das Läuten nicht. Auf die Anfrage, ob er das Läuten bewillige, wenn die Regierung es anordne, habe er jede Antwort verweigert. Der Ehemann habe sich hierauf beim kantonalen Polizeidepartement beschwert und Anordnungen nachgesucht, welche das Läuten trotz des Widerstandes des Pfarrers ermög liehen. Der Herr Polizeidirektor habe sich hiezu bereit erklärt, aber bemerkt, er müsse die Angelegenheit noch dem Plenuni der Regierung vorlegen. Der Petent zweifle nicht daran, daß die Re-

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gierung ihre frühem Entscheide aufrecht halten werde und das Geläute anordne. Er bezweifle aber, ob die Weisung in Wohlhusen vollzogen werde. Wegen der Dringlichkeit der Sache werde aber für alle Fälle die Angelegenheit beim Bundesrath anhängig gemacht, und es werde um die nöthigen telegraphischen Anordnungen zur Wahrung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung ersucht.

Der Herr Bundespräsident erließ sodann auf Antrag des Justizund Polizeideparternentes am 24. dies, Vormittags, ein Telegramm m, in welchem er der Regierung von Luzern den Eingang der Beschwerd mittheilte, mit, dem Bemerken: ,,Wir erwarten, daß Sie unverzüglich Anordnungen im Sinne von Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung treffen werden, um uns der Notwendigkeit einer Beschlußfassung zu überheben."· Mit weiterer Eingabe vom 23. März, eingelangt am 24., theilt Hr. Dr. Weibel mit, die Regierung habe am 23. die Weisung vom 21. November 1877 betreffend Beerdigungen erneuert, wünschte aber noch, daß von der Regierung besondere, die Vollziehung sichernde Maßnahmen getroffen würden. Den gleichen Tag wurde von der Regierung telegraphisch angezeigt, daß das Erforderliche angeordnet worden, und schriftlich berichtet, sie habe eine sachbezügliche Weisung vom Jahre 1877, daß das Grabgeläute stattzufinden habe, schon am 23. dies erlassen. Was Herr Fürsprech Weibel von Absendung von Exekutionsboten u. s. w beifüge, habe sie nicht für nöthig gefunden. Allerdings sei itn Jahre 1877 ihre Weisung in Wohlhusen nicht gehörig befolgt, worden, daher habe sie eine Erneuerung und Verschärfung angezeigt erachtet. Herr Weibel habe sich aber, bevor er von ihrer Verfügung Kenntniß hatte, an den Bundesrath gewendet, und dieser habe sieh auf einseitigen Bericht hin beeilt, sie mit einer Schlußnahme zu bedrohen ! !

Infolge des herwärtigen Telegramms habe sie dann den Gemeindeammann von Wohlhusen telegraphisch, unter eigener Verantwortlichkeit angewiesen, dafür zu sorgen, daß bei der Beerdigung der Frau Sch. das übliche Geläute stattfinde. Dem Pfarrer in Wohlhusen habe sie telegraphisch die Erwartung ausgesprochen, daß seinerseits kein Hinderniß in den Weg gelegt werde. Sie schicke einen Polizeiangestellten an Ort und Stelle, um die Vollziehungihrer Anordnungen zu überwachen.

Der Bundesrath hat mit großer Befriedigung konstatirt daß infolge der Anordnungen
der Regierung diese Angelegenheit eine der Vorschrift der Bundesverfassung entsprechende Erledigung gefunden hat, dabei aber bemerkt, weder Form noch Inhalt der Mittheilung des Bundesrathes könne zur Erhebung eines Vorwurfes Veranlaßung geben.

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Es sei selbstverständlich und durch die Natur der Sache bedingt, daß die Bundesbehörde beim Eingang einer Beschwerde in Betreff einer b e v o r s t e h e n d e n Beerdigung nio.ht den gewöhnlichen Geschäftsgang einschlagen und durch Vermittlung der Post der kantonalen Regierung die Eingabe zur Vernehmlassung zugehen lassen könne. Sonst würden in der Regel solche Beschwerden, auch wenn sie durchaus begründet wären, nutelos sein, d. h. ihre Wirkung zu spät äußern. Die Vorschrift des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung bliebe infolge dessen unvollzogen ; denn die Verletzung dieser Verfassungsbestimmung könne ja hinterher nicht mehr in vollem Maße gutgemacht werden.

Aus diesem sehr natürlichen und sachlichen Grunde unterrichte der Bundesrath in solchen Fällen regelmäßig die Kantousregierung telegraphisch von dem Beschwerdefall und lade dieselbe auf diesem Wege ein, die nöthigen Anordnungen zu treffen, damit das Grundgesetz des Landes respekürt werde.

Das Gleiche habe der Bundesrath im Falle Seh. gegenüber der Regierung von Luzern gethan. Angesichts der Mittheilung des rekurrentischen Anwaltes, betreffend die Renitenz der Behörden von Wohlhusen im Jahre 1884, habe er sich noch mehr als gewöhnlich veranlaßt sehen müssen, auf raschestem Wege die Regierung von dem Einlangen der Beschwerde in Kenntniß zu setzen.

In den Worten des bundesräthlichen Télégrammes sei einerseits der Ausdruck des vollen Vertrauens des Bundesrathes in den guten Willen der Regierung gelegen, der Vorschrift der Bundesverfassung Nachachtung zu verschaffen, anderseits die Kundgebung des hierseitigen Wunsches, der Bundesbehörde in dieser Angelegenheit eine Beschlußfassung erspart zu sehen. Wie die Regierung der Absendung des Telegramms und dessen Inhalt den Sinn hahe beilegen können, daß der Bundesrath ,,auf einseitigen Bericht hin sich beeilt habe, sie mit einer Schlußnahme zu bedrohen"1, sei unverständlich. Uebrigens dürfe wohl bezweifelt werden, daß ohne die sehr angemessenen, durch das Telegramm hervorgerufenen Schritte der Regierung der Bundesrath heute in der angenehmen Lage sich befände, den Gegenstand als dem eidgenössischen Verfassungsrechte gemäß erledigt zu erklären.

(Vom 1. April 1887.)

Da die Referendumsfrist für das Bundesgesetz vom 21. Dezember v. J., betreffend Zusätze zum Gesetz vom 23. Dezember 1880 über Kontrolirung und Garantie des Feingehaltes der Gold-

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und Silberwaaren, mit dem 30. März d. J. unbenutzt abgelaufen ist, so hat der Bundesrath das Inkrafttreten des genannten Gesetzes auf den 1. April d. J. festgesetzt.

Der Bundesrath hat die Volksabstimmung über das Bundesgesetz vom 23. Dezember 1886, betreffend gebrannte Wasser, d e f i n i t i v auf Sonntag den 15. Mai d. J. angesetzt.

Der Bundesrath hat über die Kontrolirung der goldenen und silbernen Uhrgehäuse, welche nach Deutschland bestimmt sind, einen neuen Beschluß gefaßt, welcher sofort in Kraft tritt und durch welchen derjenige vom 2. November 1886* außer Kraft gesetzt wird.

Der Bundesrath wählte: als Zolleinnehmer in St. Margrethen: Hrn. Paul Komminoth, v. Maienfeld (Graubünden), derzeit Zollaufseher in St. Margrethen (St. Gallen); ,, Posthalter in Sempach : ,, Xaver Schürmann , von Sempach (Luzern), Telegraphist daselbst; ,, Postkommis in Locamo: Jgfr. Ilda Galli, Postaspirantin, von und in Locamo.

*) Siehe eidg. Gesetzsammlung n. F. Band IX, Seite 296.

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