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Botschaft über die Volksinitiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)» vom 24. Februar 1988

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit unsere Botschaft über die Volksinitiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)» und beantragen Ihnen, die Initiative Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Verwerfung ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten.

Der Entwurf zu einem entsprechenden Bundesbeschluss liegt bei.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. Februar 1988

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Stich Der Bundeskanzler: Buser

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Übersicht Die Volksinitiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)» will den bestehenden Artikel34bis der Bundesverfassung (BV) über die soziale Kranken- und Unfallversicherung, eine in zwei kurze Absätze gekleidete Kompetenz- und Auftragsnorm unserer Verfassung, um insgesamt fünf neue Absätze sowie um eine Übergangsbestimmung betreffend die Krankenversicherung ergänzen.

Entgegen dem äusseren Anschein liegt die eigentliche Bedeutung und das politische Gewicht dieser Volksinitiative nicht in den fünf neuen Absätzen zu Artikel 34bis BV. Die hier aufgezählten Grundsätze (bedarfsgerechte und wirtschaftliche Ausgestaltung der Krankenversicherung; Durchführung der sozialen Krankenversicherung durch die vom Bund anerkannten Krankenkassen; Abgeltung der von den Krankenkassen zu tragenden Sozialhypotheken durch Beiträge des Bundes; Stützung der wirtschaftlich schwächeren Versicherten durch Beiträge der Kantone; Koordination des Sozialversicherungsrechts) sind nämlich bereits weitestgehènd erfüllt oder können, soweit noch erforderlich, ohne weiteres auf der Grundlage des geltenden Verfassungsartikels, der dem Gesetzgeber einen denkbar weitgehenden Ausgestaltungsraum lässt, erfüllt werden. Die anbegehrte Ergänzung des Krankenversicherungsartikels ist daher unnötig und wir beantragen ihre Ablehnung ohne Gegenvorschlag.

Das eigentliche Schwergewicht der Krankenkasseninitiative liegt jedoch auf ihrer Übergangsbestimmung. Mit dieser will sie den Bund dazu zwingen, bereits im Jahre nach einer allfälligen Annahme der Volksinitiative seinen Beitrag an die anerkannten Krankenkassen mehr als zu verdoppeln. Geht man davon aus, dass dies bereits für das Jahr 1991 der Fall sein könnte, so hätte der Bund - wenn man eine gleichbleibende Zunahme der Krankenpflegekosten von rund 7 Prozent pro Jahr zugrundelegt - im Jahre 1991 den Krankenkassen einen Betrag von annähernd 2,5 Milliarden Franken auszurichten, statt der nach geltender Ordnung dann voraussichtlich fälligen 985 Millionen Franken. Auch wenn der Bundesrat mit den Krankenkassen durchaus einig geht, dass der Bund in angemessener Weise an die Finanzierung der sozialen Krankenversicherung beizutragen hat - entsprechende Vorkehren waren übrigens in dem vom Schweizervolk am 6. Dezember 1987 abgelehnten Sofortprogramm für eine
Teilrevision der Krankenversicherung vorgesehen - so ist doch das durch die Übergangsbestimmung der Krankenkasseninitiative vorgesehene Ausmass stark überzogen und mit der Lage der Bundesfinanzen nicht vereinbar. Hinzukommt, dass eine derart massive Erhöhung des Bundesbeitrages kaum einen geeigneten Anreiz für die auch von den Kassen als notwendig erachteten Anstrengungen zur Eindämmung der Kosten in der Krankenversicherung darstellen dürfte. Der Bundesrat lehnt die Krankenkasseninitiative aus diesen Gründen ab. Das zielkonforme und angemessene Vorgehen besteht vielmehr in der Anwendung möglichst griffiger kostendämpfender Massnahmen einerseits und in einer massvollen Erhöhung und Anpassung der Beiträge des Bundes anderseits. In diesem Sinne ist auch der Bundesrat nach wie vor bereit, Hand zu bieten für die

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Erarbeitung neuer Lösungen, die dem sozialen Charakter unserer Krankenversicherung besser gerecht zu werden vermögen als die heute zum Teil entstandene Entwicklung, die gerade für finanziell schlechter gestellte Personen zu kaum noch verkraftbaren Krankenversicherungsprämien geführt hat. Die Lösung kann jedoch nicht darin bestehen, vorrangig die Bundessubventionen im Übermass zu erhöhen.

Das würde nur bestehende Missstände und schlechte Gewohnheiten verfestigen.

Vielmehr ist eine solide, griffige und praktikable Revision der Krankenversicherung auf Gesetzesstüfe mit einem erneuten und wohl durchdachten Anlauf in Angriff zu nehmen. Der geltende Verfassungsartikel lässt hierfür alle gewünschten Möglichkeiten offen und hat erst noch gegenüber der Krankenkasseninitiative den Vorteil, nicht störende Einseitigkeiten bei der Ausgestaltung der Krankenversicherung vorzuschreiben und überrissene finanzielle Forderungen an den Bund zu stellen. Der Bundesrat beantragt daher die Verwerfung der Krankenkasseninitiative ohne formellen Gegenvorschlag.

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Botschaft I

Allgemeiner Teil

II

Formelles

III

Wortlaut

Am 30. April 1985 wurde die Volksinitiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)» eingereicht. Die Initiative ist mit einer Rückzugsklausel versehen und hat folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt: Art. 34bis Abs. 3-7 (neu) 3 Bund und Kantone gewährleisten eine bedürfnisgerechte Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Dienstleistungen im Rahmen der Krankenund Unfallversicherung sowie deren wirtschaftliche Durchführung. Zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit erlassen sie insbesondere Tarif- und Abrechnungsnorrhen.

4 Die Krankenversicherung ist durch die vom Bund anerkannten Krankenkassen durchzuführen. Sie umfasst insbesondere Behandlungskosten und Geldleistungen bei Krankheit, Mutterschaft und, sofern hiefür anderweitig keine Versicherung besteht, bei Unfall und Geburtsgebrechen. Den Krankenkassen steht es frei, auf die Kranken- und Unfallversicherung bezogene Zusatzversicherungeu zu betreiben.

5 Der Bund richtet den Krankenkassen Beiträge aus zur Abgeltung der ihnen durch Verfassung und Gesetz auferlegten sozial- und gesellschaftspolitischen Verpflichtungen, wie .namentlich zur Sicherung der Solidarität zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen.

6 Die Kantone ermässigen in der Krankenversicherung durch angemessene Beiträge die Prämien und Kostenbeteiligungen für wirtschaftlich schwächere Versicherte. Der Bund erlässt hiefür Rahmenbestimmungen. Auferlegen die Kantone den Krankenkassen weitergehende Verpflichtungen als das Bundesrecht, so haben sie diesen die daraus erwachsenden Mehrkosten zu vergüten.

7 Der Bund regelt das Verhältnis zu den übrigen Zweigen der Sozialversicherung sowie anderen Leistungspflichtigen.

Übergangsbestimmungen Art. 19 (neu) Von dem der Annahme der Verfassungsbestimmungen von Artikel 34bis Absätze 3-7 folgenden Kalenderjahr an bis zum Inkrafttreten der auf sie gestützten Gesetzgebung richten sich die Bundesbeiträge an die Krankenkassen nach den Bestimmungen, die für 1974 Geltung hatten.

Damit sollen die heute geltenden Absätze l und 2 von Artikel 34bis BV ergänzt werden, die wie folgt lauten: Art. 34bis 1 Der Bund wird auf dem Weg der Gesetzgebung die Kranken- und Unfallversicherung einrichten, unter Berücksichtigung der bestehenden Krankenkassen.

2 Er kann den Beitritt allgemein oder für einzelne Bevölkerungsklassen obligatorisch erklären.

2,50

112

Zustandekommen

Die Bundeskanzlei hat mit Verfügung vom S.Juli 1985 das formelle Zustandekommen der am 30. April 1985 mit 390 273 gültigen Unterschriften eingereichten Volksinitiative festgestellt (BB1 1985 II 519).

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Behandlungsfrist

Die Botschaft des Bundesrates zur Krankenkasseninitiative ist der Bundesversammlung, gemäss Artikel 29 Absatz l des Geschäftsverkehrsgesetzes (SR 171.11) in der bis zum 31. Dezember 1986 geltenden Fassung, spätestens innert drei Jahren seit Einreichung der Initiative, also bis zum 29. April 1988, zu unterbreiten.

Die Bundesversammlung hat gemäss Artikel 27 Absatz l des Geschäftsverkehrsgesetzes innert vier Jahren seit Einreichung der Initiative, also bis zum 29. April 1989, darüber Beschluss zu fassen, ob sie der Initiative zustimmt oder nicht.

12

Gültigkeit

121

Einheit der Form und der Materie

121.1

Einheit der Form

Nach Artikel 121 Absatz 4 BV kann eine Initiative entweder in der Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs eingereicht werden.

Mischformen sind unzulässig (Art. 75 Abs. 3 des BG über die politischen Rechte [BPR]; SR 161.1).

Vorliegend ist die Einheit der Form gewahrt, denn die Krankenkasseninitiative weist die Form des ausgearbeiteten Entwurfs auf.

121.2

Einheit der Materie

Nach Artikel Ì21 Absatz 3 BV darf ein Initiativbegehren auf Partialrevision der Bundesverfassung jeweils nur eine Materie zum Gegenstand haben. Die Einheit der Materie ist gewahrt, wenn zwischen den einzelnen Teilen des Initiativbegehrens ein sachlicher Zusammenhang besteht (Art. 75 Abs. 2 BPR). Dieser Zusammenhang besteht zweifellos zwischen den einzelnen Absätzen, mit denen die Initianten den Krankenversicheruhgsartikel der Bundesverfassung ergänzen wollen, wie auch zwischen diesen Absätzen und der vorgeschlagenen Übergangsbestimmung, geht es doch in all diesen Bestimmungen darum, bestimmte Grundsätze für die Durchführung und Finanzierung der sozialen Krankenversicherung aufzustellen. Der Grundsatz der Einheit der Materie ist somit gewahrt.

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122

Durchführbarkeit

Die Absätze 3-7 des Initiativbegehrens, die sehr allgemeinen Charakters sind, sind durchführbar. Gewisse Zweifel könnten demgegenüber hinsichtlich;der finanzpolitischen Durchführbarkeit der Übergangsbestimmung aufkommen.

Durch diese Bestimmung würden nämlich für den Bereich der Bundesbeiträge an die anerkannten Krankenkassen die seit 1978 bestehenden Massnahmen zur Sanierung des Bundeshaushaltes (vgl. BG vom 5. Mai 1977 über Massnahmen zum Ausgleich des Bundeshaushaltes; SR 611.04) aufgehoben und damit das Bundesbudget zweifellos erheblich aus dem Gleichgewicht gebracht. Die an die Krankenkassen auszuzahlenden Bundesbeiträge würden dann schlagartig auf mehr als das 2!/2-fache des plafonierten Betrages emporschnellen, nämlich von 985 Millionen auf knapp 2,5 Milliarden Franken (vgl. Ziff. 211.2, 212.2 und 232). Zur Beschaffung der erforderlichen Mittel müssten also Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen an anderen Stellen oder beide Massnahmen oder eine höhere Verschuldung des Bundes in Betracht gezogen werden. Man wird jedoch nicht behaupten können, die Übergangsbestimmung verlange etwas von vorneherein offensichtlich und gänzlich Unmögliches und sei daher undurchführbar.

2

Besonderer Teil

21

Die Initiative im Verhältnis zur heutigen Ordnung

211

Ziele der Initiative

211.1

Verfassungsartikel

Die Initianten wollen die heute geltenden Absätze l und 2 von Artikel 34bis BV beibehalten (vgl. Ziff. 111). Sie wollen nämlich am bestehenden System der bundesrechtlich freiwilligen, von den anerkannten Krankenkassen durchgeführten sozialen Krankenversicherung festhalten. Dieses System hat sich nach ihrer Auffassung grundsätzlich bewährt. Das kommt in zahlreichen Äusserungen des hinter der Initiative stehenden Konkordats der Schweizerischen Krankenkassen zum Ausdruck (vgl. Schweizerische Krankenkassen-Zeitung 198,4, 203; 1984, 253; 1984, 269; 1985, 141). Das bestehende System ist jedoch nach Ansicht der Initianten vor allem durch zwei Faktoren gefährdet, nämlich durch den anhaltenden starken Anstieg der Krankenpflegekosten einerseits und durch eine zu geringe Beteiligung der öffentlichen Hand an der Finanzierung der sozialen Krankenversicherung anderseits. Damit werden für wirtschaftlich schlechter gestellte Versicherte und ihre Familien die Krankenkassenprämien allmählich zu einer kaum noch tragbaren Belastung. Die Initiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung» zielt denn auch in erster Linie darauf ab, Bund und Kantone zur Einführung kostendämpfender Vorkehren (Abs. 3 der Initiative) und zur Verstärkung ihres finanziellen Engagements bei der Finanzierung der Krankenversicherung (Abs. 5 und 6 und Übergangsbestimmung der Initiative) zu verpflichten. Ergänzend dazu sollen einige allgemein gefasste Grundsätze über den Gegenstand und die Ausgestaltung der sozialen Krankenversicherung in die Verfassung aufgenommen werden. Die Absätze 3-7, mit denen der beste252

bende Verfassungsartikel 34bis ergänzt werden soll, enthalten in diesem Sinne folgende Richtlinien für den Gesetzgeber: - Bund und Kantone haben für eine bedarfsgerechte und wirtschaftliche Ausgestaltung der Krankenversicherung (und der Unfallversicherung) zu sorgen; sie stellen Tarif- und Abrechnungsnormen auf, um die Wirtschaftlichkeit der Versicherung zu gewährleisten; - die soziale Krankenversicherung umfasst die Deckung der Behandlungskosten und die Gewährung von Geldleistungen bei Krankheit und Mutterschaft und, falls hierfür kein anderer Versicherungsschutz besteht, auch bei Unfall und Geburtsgebrechen; - die Durchführung der sozialen Krankenversicherung obliegt den vom Bund anerkannten Krankenkassen; diese dürfen auch Zusatzversicherungen zur Kranken- und Unfallversicherung betreiben; - der Bund hat den Krankenkassen Beiträge zu gewähren zur Abgeltung der ihnen durch Verfassung und Gesetz auferlegten sozial- und gesellschaftspolitischen Verpflichtungen, wie insbesondere zur Gewährleistung der Solidarität zwischen den Geschlechtern und den Generationen; - die Kantone haben Beiträge zur Verbilligung der Prämien und Kostenbeteiligungen für wirtschaftlich schwächere Versicherte zu erbringen; der Bund hat Rahmenbestimmungen hierfür zu erlassen; - der Bund hat Koordinationsregeln über das Verhältnis zu anderen Sozialversicherungen sowie zu anderen Leistungspflichtigen aufzustellen.

211.2

Übergangsbestimmung

Die Übergangsbestimmung bezweckt, den Gesetzgeber unter Zeitdruck zu setzen und in der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten einer Ausführungsgesetzgebung zu den neuen Verfassungsbestimmungen eine massive Erhöhung der Bundesbeiträge sicherzustellen. Das hierfür gewählte Vorgehen ist ebenso einfach wie wirksam: Ab dem I.Januar nach der Annahme der neuen Verfassungsbestimmungen soll die alte Subventionsordnung aus dem Jahre 1974 Wiederaufleben, und zwar solange bis die Ausführungsgesetzgebung zu den neuen Verfassungsbestimmungen in Kraft getreten ist. Das würde bedeuten, dass die Artikel 35-39 des Bundesgesetzes vom 13. Juni 1911 über die Krankenversicherung (KUVG; SR 832.10) erneut mit ihrer vollen Wirkung in Kraft stünden, da der mit dem «Sparpaket» von 1977 (vgl. Ziff. 122) eingeführte Artikel 38bis, durch den die Bundesbeiträge plafoniert werden, dahinfiele. Dies wäre also die Rückkehr zum früheren Subventionssystem mit automatischer Anpassung der Bundesbeiträge an den Anstieg der Kosten in der Krankenpflegeversicherung. Die Folge davon wäre, dass der Bund seine Beiträge an die Krankenkassen mehr als verdoppeln müsste. Der im Jahre 1991 auszubezahlende Bundesbeitrag - dann könnte die Übergangsbestimmung der Krankenkasseninitiative bereits zur Wirkung kommen - würde von rund 985 Millionen Franken (Betrag nach geltendem Recht) auf rund 2,5 Milliarden Franken schnellen (vgl. Anhangtabelle).

Ein solcher Anstieg ist aber nach unserem Dafürhalten für den Bundeshaushalt nicht tragbar. Der Bundesrat wäre somit gezwungen, raschestmöglich für Abhilfe zu sorgen (vgl. Ziff. 232).

253

212

Vergleich mit dem geltenden Bundesrecht

212.1

Vergleich mit dem geltenden Verfassungsartikel

In seiner geltenden Fassung (vgl. Ziff. 111) gibt Artikel 34bis BV dem Bund die Kompetenz und den Auftrag, die soziale Krankenversicherung gesetzlich zu regeln und dabei die bestehenden Krankenkassen zu berücksichtigen; der Bundesgesetzgeber soll dabei das Recht haben, die Versicherung für die gesamte Bevölkerung oder für einzelne Klassen der Bevölkerung obligatorisch zu erklären. Von der organisatorischen Anknüpfung an die bestehenden Kassen abgesehen, lässt die Verfassung dem Gesetzgeber also weitesten Spielraum bei der Ausgestaltung der Krankenversicherung. Das heutige System der bundesrechtlich freiwilligen, dezentral durchgeführten Krankenversicherung mit gewissen Mindestauflagen bezüglich Umfang und Finanzierung der Leistungen und mit Beiträgen des Bundes zur Stützung der sozialen Ausgestaltung der Versicherung hat unter diesem Verfassungsartikel ebenso Platz wie beispielsweise eine obligatorische Versicherung mit einkommensabhängiger Finanzierung. Die geltende Verfassungsbestimmung erlaubt es somit ohne weiteres, alle Ziele der Initiative (vgl. Ziff. 211) zu verwirklichen. Insoweit besteht verfassungsrechtlich keine Notwendigkeit, den bestehenden Artikel 34bis BV zu ergänzen.

Dagegen stellt die in der Übergangsbestimmung enthaltene Hauptforderung der Initiative, nämlich die unverzügliche und massive Erhöhung der Bundesbeiträge (vgl. Ziff. 211.2) ein denkbar untaugliches Lösungsinstrument dar, wie wir dies in Ziffer 23 noch näher zeigen werden.

212.2

Vergleich auf Gesetzesebene

Die in den Absätzen 3-7 der Initiative enthaltenen Anliegen sind durch den Gesetzgeber schon in weitgehendem Masse erfüllt worden. Wir werden dies nun im folgenden noch näher darlegen.

Im Blick auf die zukünftige Entwicklung der Krankenversicherung wird sich dabei aber auch zeigen, dass es nicht unbedingt als sinnvoll erscheint, bestimmte Regelungen, die heute im Gesetz stehen, in der Verfassung festschreiben zu wollen. Darüberhinaus ist festzustellen, dass die Initianten ihre Vorstellungen über die konkrete Ausgestaltung der Krankenversicherung kaum präzisieren; so wird auch nicht ersichtlich, wieweit sie beispielsweise den Status quo ändern wollen, denn dieser entspricht ja bereits den meisten Grundsätzen der Initiativbegehren.

Absatz 3 der Initiative Nach dieser Bestimmung sollen Bund und Kantone für eine bedarfsgerechte und wirtschaftliche Ausgestaltung der Krankenversicherung sorgen und insbesondere Tarif- und Abrechnungsnormen aufstellen.

Schon heute verfügen Bund und Kantone über weitgehende Befugnisse in diesem Bereich. Gemäss KUVG (Art. 12 Abs. 5 und 6) hat z. B. der Bundesrat eine umfassende Kompetenz, die Pflichtleistungen der Krankenversicherung festzulegen. So setzt z. B. der Bund die von den Krankenkassen zu übernehmenden 254

Arzneimittel und Analysen sowie deren Vergütung fest (Art. 12 Abs. 6 und Art. 22quat" Abs. l KUVG, SR 832.10; V VIII vom 30. Oktober 1968 über die Krankenversicherung betreffend die Auswahl von Arzneimitteln und Analysen; SR 832.141.2). Bei der Tarifiërung der anderen Krankenpflegeleistungen machen die Kantone und der Bund ebenfalls ihren Einfluss geltend, wenn auch nicht in gleich starkem Masse wie bei den Medikamenten und Analysen. Die Vergütungsansätze für die Leistungen der Medizinalpersonen und der Spitäler werden nämlich grundsätzlich durch Verträge zwischen den Leistungserbringern und den Kassen festgelegt, aber zu ihrer Gültigkeit bedürfen diese Tarifverträge jeweils der Genehmigung der Kantonsregierung, welche prüft, ob der Vertrag mit dem Gesetz und der Billigkeit in Einklang steht (Art. 22 und 22iuater KUVG). Unter Billigkeit ist dabei zu verstehen, dass sowohl dem Interesse der Versicherten an einer wirksamen medizinischen Betreuung zu tragbaren finanziellen Bedingungen als auch dem Interesse der Leistungserbringer an einer angemessenen Vergütung Rechnung getragen wird. Den Kantonen kommt damit eine Kontrollbefugnis über diese Krankenpflegekosten zu. Die Kantone können die Genehmigung eines Vertrages verweigern. Ein solcher Entscheid kann beschwerdeweise vor den Bundesrat gezogen werden (Art. 22
Dann hat der Bundesrat dafür zu sorgen, dass der Vertrag mit Gesetz und Billigkeit übereinstimmt. Kommt kein Vertrag zustande, so legt die Kantonsregierung selber die anwendbaren Tarife fest (Art. 22bis und 22iuater KUVG). Auch gegen den Tariffestsetzungsbeschluss der Kantonsregierung kann Beschwerde beim Bundesrat erhoben werden. Im vertragslosen Zustand sind also die Kantone und allenfalls der Bund für die Tarifiërung der Leistungen des medizinischen Personals und der Spitäler zuständig.

Um eine bedarfsgerechte und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten sicherzustellen, macht das geltende Recht (Art. 23 KUVG) den Medizinalpersonen, Laboratorien und Heilanstalten ausserdem zur Auflage, sich bei der Behandlung auf das durch das Interesse des Versicherten und den Behandlungszweck erforderliche Mass zu beschränken. Auch hier geht es also um bedarfsgerechte und wirtschaftliche medizinische Versorgung. Bei Verstössen gegen dieses Gebot können die Kassen ihre Leistungen
kürzen und unrechtmässig bezogene Leistungen zurückfordern. Im Falle besonders schwerer und wiederholter Verstösse kann die Kasse den Fehlbaren sogar von der Kassenpraxis ausschliessen.

Diese Regelungen und Massnahmen dienen der bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Dienstleistungen, wie Absatz 3 der Initiative sie anstrebt. Weitergehende Massnahmen im Sinne konkreter Auflagen an den Gesetzgeber lassen sich aus Absatz 3 der Initiative jedenfalls nicht direkt herauslesen, wären aber durchaus denkbar und mit Absatz 3 der Initiative grundsätzlich vereinbar. Ein stärkeres Eingreifen von Bund und Kantonen läge beispielsweise in einer Aufhebung der Tarifhoheit der Kassen und ihrer Partner und der Einführung von Tarifordnungen durch den Bund oder die Kantone. Denkbar wären auch verbindliche Bedürfnisklauseln für sämtliche Anbieter von medizinischen Leistungen im Rahmen der Krankenversicherung.1

255

Der wichtigste Einwand liegt aber auf einer anderen Ebene. Mit der allenfalls in die Bundesverfassung geschriebenen Forderung nach einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Dienstleistungen ist nichts erreicht. Die Forderung wird im Grundsatz von niemandem bestritten, nur gehen die Meinungen, was darunter zu verstehen ist, weit auseinander. Dies zeigte sich erst kürzlich wieder bei der parlamentarischen Beratung und während der Referendumskampagne zum Sofortprogramm der Teilrevision der Krankenpflegeversicherung. Die Auseinandersetzung findet auf jeden Fall auf der Gesetzesebene statt. Dem Gesetzgeber werden aber mit diesem neuen Absatz 3 keine konkreten Anweisungen gegeben, in welcher Weise er die Erfüllung dieses allgemeinen Ziels einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen medizinischen Versorgung der Bevölkerung angehen soll.

Absatz 4 der Initiative Mit dieser Bestimmung der Initiative wird die Durchführung der sozialen Krankenversicherung den vom Bund anerkannten Krankenkassen übertragen und offensichtlich auch vorbehalten. Der Wortlaut ist imperativ gefasst; es heisst: «Die Krankenversicherung ist durch die vom Bund anerkannten Krankenkassen durchzuführen». Andere Versicherungsträger, wie z. B. die privaten Versicherungsgesellschaften, scheinen damit von der Trägerschaft ausgeschlossen zu sein.

In der heutigen Ordnung der freiwilligen Krankenversicherung sind zwar die anerkannten Krankenkassen tatsächlich die einzigen Träger der sozialen, Kran-, kenversicherung. Es ist dies eine Konsequenz der Bestimmungen des KUVG, wonach die Gewährung von Bundesbeiträgen an die Anerkennung und diese wiederum an die Einhaltung der Vorschriften des KUVG geknüpft ist (Art. l KUVG). Dies gilt jedoch nur für die Krankenversicherung nach diesem Gesetze (KUVG). Andere Arten der Krankenversicherung bleiben möglich, z. B. die Krankenpflege- oder die Krankengeldversicherung bei der Privatassekuranz, wenigstens solange als im Bereich der Krankenversicherung Vertragsfreiheit gilt, also auch Versicherungsverträge nach zivilrechtlichen Grundsätzen abgeschlossen werden können. Eine andere Bedeutung würde eine solche Bestimmung dagegen bei der Einführung eines allgemeinen Obligatoriums auf Bundesebene erlangen. Eine Lösung wie jene der obligatorischen Unfallversicherung nach
UVG (wonach die Privatversicherer sich an dieser Branche der Sozialversicherung beteiligen können) wäre nämlich nach Absatz 4 der Initiative nicht mehr möglich.

In Absatz 4 der Krankenkasseninitiative wird neben der Trägerschaft auch noch der Geltungsbereich der Krankenversicherung definiert. Dabei wird festgehalten, dass zur Krankenversicherung auch Leistungen bei Mutterschaft und, falls sie nicht anderweitig versichert sind, Leistungen bei Unfall und Geburtsgebrechen gehören.

Die Gewährung von Mutterschaftsleistungen durch die Krankenversicherung Pflegeleistungen oder ein Taggeld oder auch beides - war bereits im KUVG in seiner Fassung vom 13. Juni 1911 vorgesehen. Auf Gesetzesstufe ist die Mutterschaftsversicherung also von jeher aufs engste mit der Krankenversicherung 256

verbunden gewesen (Art. 14 KUVG), ohne dass es hierfür einer besonderen Erwähnung in Artikel 34bis BV bedurft hätte.

Zudem besagt der im Jahre 1945 eingeführte Familienschutzartikel 34qulniuies BV, dass der Bund auf dem Wege der Gesetzgebung die Mutterschaftsversicherung einrichten wird (Abs. 4). Es ist demnach überflüssig, eine zusätzliche Bestimmung über Leistungen bei Mutterschaft in die Verfassung einzuführen.

Dazu kommt, dass Artikel 34q"inquies gy offen formuliert ist. Artikel 34bis in der Fassung der Initiative will dagegen alles sehr stark auf die Krankenkassen zentrieren. Eine offenere und flexiblere Formulierung auf Verfassungsstufe ist unseres Erachtens vorzuziehen, lässt sie doch dem Gesetzgeber mehr Möglichkeiten.

Wie bereits erwähnt, sieht Absatz 4 der Krankenkasseninitiative auch die subsidiäre Deckung von Unfällen und Geburtsgebrechen durch die Krankenversicherung vor. Schliesslich hält er noch fest, dass die Krankenkassen auf die Kranken- und Unfallversicherung bezogene Zusatzversicherungen betreiben dürfen. All diese Fragen werden bereits durch das geltende Gesetzes- und Verordnungsrecht geregelt, und zwar in dem von der Initiative angestrebten Sinn.

Was die Deckung von Unfällen betrifft, haben die Kassen in ihren Statuten zu bestimmen, ob und in welchem Umfang sie diese übernehmen. Zahlreiche Kassen sehen heute die subsidiäre Unfallversicherung vor, erbringen also Leistungen, wenn keine andere Versicherung für den Unfall aufzukommen hat.

Im Ergebnis kann also zweierlei festgehalten werden: Absatz 4 der Initiative erweist sich als überflüssig, insoweit er Grundsätze des bereits heute geltenden Rechts wiederholt; er erweist sich darüberhinaus aber als unzweckmässig, insoweit er im Bereich der Trägerschaft der Krankenversicherung zukünftigen Entwicklungen einen Riegel schiebt.

Absatz 5 der Initiative Diese Bestimmung verpflichtet den Bund zur Mitfinanzierung der Krankenversicherung, und zwar als Ausgleich dafür, dass der Bund den Krankenkassen bestimmte soziale Verpflichtungen insbesondere hinsichtlich der Aufnahme der Versicherten, der Prämiengestaltung und des Leistungsumfanges auferlegt; die Bundesbeiträge sollen dabei namentlich der Sicherung der Solidarität zwischen den Geschlechtern und den Generationen dienen. Die Subventionsordnung des geltenden KUVG (Art. 35-39)
ist bereits auf dieses Ziel ausgerichtet. Das wird auch von den Initianten nicht in Frage gestellt.

Es ist denn auch gar nicht die grundsätzliche Ordnung des Subventionssystems gemäss KUVG, die von den Initianten angegriffen wird, sondern der Betrag der Bundessubventionen. Dieser erscheint den Initianten viel zu niedrig. Machten die Bundesbeiträge nämlich im Jahre 1974, also vor Einführung der Sparmassnahmen zur Sanierung des Bundeshaushaltes, noch einen Anteil von rund 17,7 Prozent an der Finanzierung der Krankenversicherungskosten, einschliesslich der Zusatzversicherungen, aus, so rutschte dieser Anteil bis zum Jahre 1985 auf rund 10,1 Prozent, und das obwohl die Bundesbeiträge - trotz Sparmassnahmen - von ungefähr 648 Millionen Franken im Jahre 1974 auf ungefähr 913 Millionen Franken im Jahre 1985 anstiegen. Im gleichen Zeitraum stiegen

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allerdings die Ausgaben der Krankenkassen unter Einschluss der Zusatzversicherungen von rund 3,58 Milliarden Franken auf rund 8,41 Milliarden Franken.

Das erklärt den rapid gesunkenen Finanzierungsanteil der Bundesbeiträge und das Begehren um eine massive Aufstockung dieser Beiträge, wie es insbesondere in der Übergangsbestimmung der Krankenkasseninitiative enthalten ist.

Hier ist indessen festzuhalten: Absatz 5 der Krankenkasseninitiative bestimmt nicht, welcher Anteil der Krankenpflegeversicherungskosten durch Bundesbeiträge abzudecken ist. Zwar haben die Initianten zu verstehen gegeben, dass ihres Erachtens der Bund mit seinen Subventionen ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel der Kosten finanzieren sollte (vgl. Schweizerische Krankenkassen-Zeitung 1984, 205); auch steuert die Übergangsbestimmung diese Zielrichtung energisch an. Nichtsdestoweniger ist Absatz 5 der Initiative offen formuliert.

Dies hat auch durchaus seinen Sinn; es ist nämlich gar nicht so einfach zu bestimmen, was bzw. wieviel zur Abgeltung der sogenannten Sozialhypotheken der Krankenkassen nötig ist oder genügt. Man kann durchaus die Auffassung vertreten - und wir tun dies auch -, dass die jetzige Höhe der Bundesbeiträge für diese Abgeltung angemessen ist und die Anforderung von Absatz 5 der Initiative damit erfüllt wäre.

Absatz 6 der Initiative Diese Bestimmung verpflichtet den Bund, Rahmenbestimmungen für eine kantonale Subventionsordnung aufzustellen, welche der Ermässigung der Prämien und Kostenbeteiligungen für wirtschaftlich schwächere Versicherte zu dienen hat. Die gegenwärtig geltende Ordnung des KUVG kennt keine solchen Rahmenbestimmungen und keine entsprechende Pflicht der Kantone. Entsprechende Gesetzesbestimmungen müssten also noch erlassen werden!

Absatz 7 der Initiative Nach dieser Bestimmung hat der Bund das Verhältnis zu den übrigen Zweigen der Sozialversicherung sowie zu anderen Leistungspflichtigen zu regeln. Das KUVG und seine Durchführungsbestimmungen (Art. 26 KUVG; Art. 17-19 der V III über die Krankenversicherung) sehen in diesem Sinne eine Reihe von Koordinationsnormen vor; es besteht aber kein gesetzliches Regressrecht gegenüber haftpflichtigen Dritten. Ein solches könnte jedoch ohne weiteres durch den Gesetzgeber eingeführt werden. Hierfür braucht es keine neue Verfassungsbestimmung. Absatz 7 der
Initiative ist also überflüssig.

Übergangsbestimmung Käme die Übergangsbestimmung zur Wirkung, so würde, wie bereits erwähnt (Ziff. 122 und 211.2), die Subventionsordnung aus dem Jahre 1974 wieder aufleben. Die Bundesbeiträge würden somit wieder ungebremst der Kostenentwicklung angepasst. Während die plafonierten Bundesbeiträge im Jahre 1986 rund 922 Millionen Franken ausmachten, hätte der unplafonierte Betrag 1986 rund 1,75 Milliarden Franken betragen. Rechnet man diesen Betrag unter Zugrundelegung eines Kostenanstieges in der Krankenversicherung von ungefähr 7 Prozent jährlich (zur Kostenentwicklung in der Krankenpflegeversicherung vgl. Anhangtabelle) bis zum Jahre 1991 hoch - in jenem Jahr wäre bei Annahme der 258

Krankenkasseninitiative vermutlich mit der Rückkehr zur Subventionsordnung von 1974 zu rechnen - so erhält man einen Betrag von knapp 2,5 Milliarden Franken. Diese Summe müsste der Bund also gemäss Krankenkasseninitiative gegebenenfalls 1991 an die Krankenkassen ausbezahlen. Dass dies ohne die Erschliessung neuer Einnahmequellen für den Bund kaum möglich sein dürfte, liegt auf der Hand (vgl. Ziff. 232).

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Vergleich mit dem kantonalen Recht

Absatz 6 der Initiative will die Kantone verpflichten, durch angemessene Beiträge die Prämien und Kostenbeteiligungen für wirtschaftlich schwächere Versicherte zu. ermässigen. Der Bund soll hierfür Rahmenbestimmungen erlassen. Es soll also ein gewisses Mindestmass an kantonalen Leistungen zugunsten wirtschaftlich schlechter gestellter Versicherter garantiert werden. Heute leisten alle Kantone und manche Gemeinden Beiträge an die Krankenkassen. Für die Bemessung der Beiträge gelten die unterschiedlichsten Kriterien. Man kennt z. B.

Zuschläge zu den Bundesbeiträgen, frankenmässige Kopfbeiträge oder Beiträge zur Prämienermässigung für wirtschaftlich schwächere Versicherte. Die Spannweite reicht vom eher bescheidenen Zuschuss bis zur gezielten Entlastung in Abhängigkeit vom Einkommen des Versicherten. Für 1985 beliefen sich die Kantons- und Gemeindebeiträge auf gut 455 Millionen Franken und ihr Anteil an der Finanzierung der Krankenversicherungskosten machte 5,1 Prozent aus; das ist halb so viel wie der Anteil der Bundesbeiträge für das gleiche Jahr.

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Verhältnis zur Volksinitiative «für eine gesunde Krankenversicherung»

Am 17. März 1986 wurde die von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) zusammen mit dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) lancierte Volksinitiative «für eine gesunde Krankenversicherung» eingereicht. Gemäss Verfügung der Bundeskanzlei vom 12. Mai 1986 ist diese Initiative ebenfalls zustandegekommen (BB1 1986 II 304). Da sie die gleiche Verfassungsmaterie zum Gegenstand hat wie die vorliegend behandelte Krankenkasseninitiative, wird sich die Bundesversammlung, nach Artikel 28 Absatz 2 des Geschäftsverkehrsgesetzes (SR 171.11), innert eines Jahres seit der Volksabstimmung über die Krankenkasseninitiative darüber zu äussern haben, ob sie der Initiative von SP und SGB zustimmt oder nicht. Diese Initiative hat folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 34bis, 1 Der Bund richtet auf dem Wege der Gesetzgebung die Kranken- und die Unfallversicherung ein. Er überträgt deren Durchführung Einrichtungen, die die Versicherung nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit betreiben.

1. Die Unfallversicherung ist für alle Arbeitnehmer obligatorisch. Der Bund kann das Obligatorium auf weitere Kreise der Bevölkerung ausdehnen.

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2. Die Krankenpflegeversicherung ist für die ganze Bevölkerung obligatorisch. Sie deckt ohne zeitliche Begrenzung die Behandlungskosten bei Krankheit und, soweit nicht anderweitig von Gesetzes wegen versichert, bei Unfall; eingeschlossen sind die Hauskrankenpflege und Leistungen der Gesundheitsvorsorge.

Die Versicherung wird finanziert: a. durch Beiträge der Versicherten nach Massgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit; bei Erwerbstätigen wird das volle Erwerbseinkommen zur Bemessung des Beitrages herangezogen, wobei die Arbeitgeber bei Arbeitnehmern mindestens die Hälfte übernehmen. Kinder bezahlen keine Beiträge; b. durch einen Beitrag des Bundes von mindestens einem Viertel der Ausgaben; das Gesetz regelt die Beteiligung der Kantone am .Bundesbeitrag.

Das Gesetz kann eine Beteiligung der Versicherten an den von ihnen verursachten Kosten von höchstens einem Fünftel ihres Beitrages pro Jahr vorsehen; keine Kostenbeteiligung darf bei Vorsorgemassnàhmen erhoben werden.

3. Die Krankengeldversicherung ist für alle Arbeitnehmer obligatorisch.

Sie zahlt bei Lohnausfall infolge Krankheit ein Taggeld von mindestens 80 Prozent des versicherten Lohnes.

Die Versicherung wird finanziert durch Beiträge in Prozenten des versicherten Lohnes, wobei die Arbeitgeber mindestens die Hälfte tragen.

Der Bund sorgt dafür, dass sich gesetzlich nicht versicherte Personen der Taggeldversicherung für Leistungen bei Krankheit oder Unfall anschliessen könneri.

2 Die Behandlungsfreiheit ist im Rahmen der Wirtschaftlichkeit gewährleistet. Bund und Kantone sorgen für die wirtschaftliche Verwendung der Finanzmittel der Versicherung. Zu diesem Zweck erlassen sie Tarif- und Abrechnungsvorschriften und legen verbindliche Spitalplanungen fest.

Während die Krankenkasseninitiative grundsätzlich am bestehenden System der im Bundesrecht auf Freiwilligkeit beruhenden sozialen Krankenversicherung nichts ändern, sondern vor allem eine massive und möglichst rasche Erhöhung des Bundesbeitrages an die anerkannten Krankenkassen erreichen will, zielt die Initiative von SP und SGB sowohl auf eine grundsätzliche Systemänderung als auch auf eine massive Verstärkung des Bundesbeitrages an die Finanzierung der Krankenpflegeversicherung.

Wir werden zu den Anliegen der SP/SGB-Initiative in einer separaten Botschaft Stellung nehmen. Hier soll nur Folgendes festgehalten werden: Hinsichtlich der anvisierten Ausgestaltung der Krankenversicherung besteht Unbestrittenermassen ein grosser Unterschied zwischen beiden Initiativen, wobei die Zielsetzung in der SP/SGB-Initiative klar ausgesprochen ist, bei der Krankenkasseninitiative dagegen nur aus den Äusserungen der Initianten folgt (vgl.

Ziff. 211.1). Die Krankenkasseninitiative ist indessen so offen formuliert, dass sie den Gesetzgeber nicht hindern würde, die Krankenversicherung nach den Vorstellungen der SP/SGB-Initiative auszugestalten. Nicht sehr weit voneinander entfernt sind die beiden Initiativen hingegen in ihren Intentionen hinsichtlich des Anteils der Krankenpflegeversicherungskosten, der durch Beiträge des Bundes abzudecken ist. Die SP/SGB-Initiative hält in Absatz l Ziffer 2 Buchstabe b fest, dass dieser Anteil mindestens einen Viertel zu betragen habe. Die Krankenkasseninitiative enthält zwar keine derartige Festlegung. Immerhin ha260

ben die Initianten aber klar gemacht, dass der Bund mit seinen Subventionen ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel der Kosten der Krankenpflegeversicherung finanzieren sollte (vgl. Schweizerische Krankenkassenzeitung 1984, 205).

Die soeben erwähnten Aspekte legen immerhin die Frage nahe, ob bei einer Annahme der Krankenkasseninitiative und einer späteren Zustimmung zur SP/ SGB-Initiative beide Texte in einen einzigen neuen Artikel 34bìs BV integriert werden könnten. Formell gesehen ist es ja so, dass die Krankenkasseninitiative die Absätze 3-7 neu einführen, die SP/SGB-Initiative dagegen die bestehenden Absätze l und 2 von Artikel 34bis BV ersetzen will. Von daher stünde also einer Verschmelzung nichts entgegen. Materiell würden damit aber gewisse Überschneidungen und Ungereimtheiten geschaffen. Solche Überschneidungen ergäben sich z. B. zwischen Absatz 2 der SP/SGB-Initiative und Absatz 3 der Krankenkasseninitiative (Wirtschaftlichkeit der Krankenversicherung, Aufstellung von Tarif- und Abrechnungsnormen), zwischen Absatz l der SP/SGB-Initiative und Absatz 4 der Krankenkasseninitiative (Trägerschaft und Geltungsbereich).

Somit wäre eine Verschmelzung aus materiellen Gründen ausgeschlossen.

Würde also zunächst die Krankenkassen- und später die SP/SGB-Initiative angenommen, so hätte das folgende Konsequenz: Zunächst würden die heutigen Absätze l und 2 von Artikel 34bis BV durch die Absätze 3-7 der Krankenkasseninitiative ergänzt; nach Annahme der SP/SGB-Initiative würde dann der Artikel 34bis Absätze 1-7 durch Artikel 34bls Absätze l und 2 in der Fassung der SP/SGB-Initiative abgelöst.

23

Würdigung der Initiative

231

Notwendigkeit und Wünschbarkeit einer Änderung von Artikel 34bis der Bundesverfassung

Artikel 34bis BV in seiner geltenden Fassung stellt eine auf das Wesentliche reduzierte Kompetenz- und Auftragsnorm dar. Er verpflichtet den Bundesgesetzgeber zum Handeln, nämlich zur Schaffung der sozialen Krankenversicherung, lässt ihm jedoch bei der Ausführung des Auftrages einen denkbar weiten Spielraum (vgl. Ziff. 212.1). Der geltende Verfassungsartikel erlaubt insbesondere auch die Verwirklichung aller Anliegen der Initiative. Damit ist also eine Änderung des bestehenden Verfassungsartikels nicht notwendig.

Es bleibt die Frage, ob eine Änderung des geltenden Verfassungsartikels allenfalls wünschbar ist. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn dem Gesetzgeber mit der neuen Verfassungsbestimmung präzise Aufträge zur Ausgestaltung der Krankenversicherung erteilt würden, die bisher nicht erfüllt wurden und mit deren Erfüllung ohne die Aufnahme entsprechender Weisungen in die Verfassung nicht zu rechnen ist. Dem ist aber nicht so. Wie unsere Ausführungen zu Ziffer 212.2 zeigen, entspricht schon das geltende Krankenversicherungsgesetz (KUVG) recht weitgehend den Ausgestaltungsrichtlinien der Initiative. Der Rest könnte durch entsprechende Bestimmungen auf Gesetzesstufe erfüllt werden. Bei einer derart weitgehenden Erfüllung der Anliegen der Absätze 3-7 der Initiative durch die bestehende Gesetzgebung erweist sich die durch die Initia261

live begehrte Ergänzung von Artikel 34bis BV auch im Sinne eines politischen Druckmittels auf Verfassungsstufe als unnötig.

Darüber hinaus sind wir der Auffassung, dass die von der Initiative angestrebte Ergänzung von Artikel 34bis BV auch gewisse problematische Aspekte aufweist (vgl. Ziff. 212.2). Sie will nämlich im Bereich der Organisation und Finanzierung bestimmte Lösungen auf Verfassungsstufe festschreiben, für die unseres Erachtens zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten offen gehalten werden sollten.

So wird in Absatz 4 erster Satz der Initiative die Durchführung der Krankenversicherung ausschliesslich den vom Bund anerkannten Krankenkassen übertragen. Der Beizug anderer Versicherungsträger wäre damit für die Zukunft ausgeschlossen, jedenfalls im Rahmen von Versicherungsobligatorien. Lösungen, wie wir sie, analog zur Unfallversicherung, für die Ausgestaltung einer obligatorischen Krankengeldversicherung vorgeschlagen hatten (vgl. Botschaft vom 19. Aug. 1981 über die Teilrevision der Krankenversicherung; BB1 1981 II 1117 ff.), bei denen die Versicherung von den Krankenkassen und daneben auch von privaten Versicherungsgesellschaften durchgeführt würde, wären somit nicht mehr möglich. Das erscheint uns zu restriktiv, und eine solche Einschränkung auf Verfassungsstufe ist unseres Erachtens auch nicht angezeigt.

Des weitern legen die Absätze 5 und 6 der Initiative ein für alle Male fest, dass der Beitrag des Bundes insbesondere zur Sicherung der Solidarität zwischen den Geschlechtern und den Generationen zu verwenden ist und dass der Beitrag der Kantone der Ermässigung von Prämien und Kostenbeteiligungen für wirtschaftlich schwächere Versicherte zu dienen hat. Unseres Erachtens ist eine derart starre Aufgabenzuweisung in der Verfassung nicht angezeigt. Die Zukunft könnte durchaus zeigen, dass eine andere Verteilung der Prioritäten gerechtfertigt oder notwendig ist. Wir erinnern in diesem Zusammenhang insbesondere an die von den eidgenössischen Räten überwiesene Motion, die den Bundesrat einlädt, eine Vorlage über die Finanzierung der Krankenpflegeversicherung zu unterbreiten, mit dem Ziel, die Bundesbeiträge nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Versicherten auszurichten. Solche Lösungen sollten unseres Erachtens nicht durch zu restriktive Verfassungsbestimmungen verbaut werden.

Aus den
vorangehenden Erwägungen gelangen wir zum Schluss, dass die durch die Initiative beantragte Ergänzung von Artikel 34bis BV weder notwendig noch wünschenswert ist. Auch ein formeller Gegenvorschlag ist unter diesen Voraussetzungen nicht wünschenswert. Der geltende Verfassungsartikel genügt und hat den Vorteil der grösseren Flexibilität. Die materiellen Anliegen der Absätze 3-7 der Initiative werden überdies durch das geltende Recht weitgehend erfüllt. Im übrigen vertreten auch wir die Ansicht, dass das bestehende Gesetz revisionsbedürftig bleibt, insbesondere im Bereich der Finanzierung. Wie hiervor erwähnt, hat der Bundesrat überdies durch eine Motion der eidgenössischen Räte den Auftrag erhalten, ein neues Finanzierungsmodell für die Krankenpflegeversicherung vorzulegen.

262

232

Würdigung der Übergangsbestimmung

Die Übergangsbestimmung, das eigentliche Kernstück der Initiative, bezweckt eine möglichst rasche und drastische Erhöhung der Bundesbeiträge an die anerkannten Krankenkassen. Die rechtlichen und finanziellen Konsequenzen der Übergangsbestimmung wurden unter Ziffer 122, 211.2 und 212.2 bereits dargestellt.

Bei Annahme der Initiative würden die alten Subventionsbestimmungen des KUVG aus dem Jahre 1974 (unplafonierte Bundesbeiträge) voraussichtlich bereits auf den 1. Januar 1991 wieder in Kraft gesetzt.

So wäre für die nächsten Jahre in etwa mit folgender Entwicklung der Bundesbeiträge zu rechnen: 1989 1990 1991 1992 1993 ,--.

1994

978 Mio. Franken \ , .lafonlerte .

,, . . . . . x e 982 Mio. Franken ) (P Bundesbeitrage) 2475 Mio. Franken i s Subventionsordnung des KUVG aus dem 2652 Mio. Franken . Jahrg ^ ^ Annahme der Initiative wie2840Mio. Franken , . ,, ,,. . ... , -,,,,,,. ^ , der m Kraft träte) 3035 Mio. Franken J

Wie wir bereits festgestellt haben (vgl. Ziff. 122 und 211.2), würde ein derartiges Emporschnellen der Ausgaben des Bundes für die Krankenversicherung die Bundesfinanzen aus dem Gleichgewicht bringen. Der Bundesrat wäre folglich gezwungen, so rasch wie möglich einen Erlass vorzulegen, der die Finanzierungsbestimmungen der Initiative erfüllt, um die Wirkung der Übergangsbestimmung ausser Kraft zu setzen.

Mit Annahme der Initiative hätte der Souverän den Willen geäussert, dass der Bund in Zukunft deutlich verstärkt an der Finanzierung der Krankenpflegeversicherung mitzutragen habe. Dem müssten Bundesrat und Bundesversammlung Rechnung tragen. Es wäre daher unerlässlich, gleichzeitig mit dem Finanzierungserlass neue Finanzierungsmittel für die Krankenversicherung bereitzustellen. Wie dies zu geschehen hat, ob durch Ausgabenkürzungen bei anderen Bundesaufgaben oder durch Steuererhöhungen oder verstärkte Verschuldung oder durch eine Kombination dieser Massnahmen, wird in der Initiative nicht gesagt.

Hier zeigt sich eine der wesentlichen Schwächen der Krankenkasseninitiative: Es genügt nicht vorzuschreiben, dass die Bundessubventionen an die Krankenkassen massiv zu erhöhen sind, man muss dem Bund auch die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Damit würde überdies der Stimmbürger klarer vor seine Verantwortung gestellt.

Unseres Erachtens kommt eine längerfristige Finanzierung der Bundesbeiträge an die Krankenkassen durch eine verstärkte Verschuldung des Bundes nicht in Frage. Des weiteren kann man realistischerweise nicht davon ausgehen, dass die im Falle der Annahme der Initiative bereits für das Jahr 1991 zusätzlich benötigten rund 1,49 Milliarden Franken durch Kürzungen bei anderen Verpflichtungen des Bundes aufgebracht werden könnten. Der Bund müsste also unbedingt für eine Erhöhung seiner Steuereinnahmen sorgen, nötigenfalls gestützt auf Artikel 89bis BV (Notrecht).

263

Unsere Ablehnung der Übergangsbestimmung der Krankenkasseninitiative gründet jedoch nicht nur auf finanzpolitischen Erwägungen. Der Kostenanstieg in der Krankenpflegeversicherung und die Einfrierung und zeitweilige Kürzung der Bundesbeiträge - die zur Sanierung des Bundeshaushaltes auch deswegen nötig geworden waren, weil der Souverän dem Bund die Erschliessung neuer Finanzierungsquellen versagt hatte - haben in den vergangenen Jahren zu einer starken Erhöhung der Prämien in der Krankenversicherung geführt. Für kinderreiche Familien und für wirtschaftlich schwächere Versicherte erreicht die Prämienlast inzwischen ein oft nur schwer erträgliches Ausmass. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass dies in weitaus stärkerem Masse dem Kostenanstieg als der Plafonierung der Bundesbeiträge zuzuschreiben ist (vgl.

Ziff. 212.2). Man wird des weitem davon ausgehen dürfen, dass eine automatische Anpassung der Bundesbeiträge an den Kostenanstieg - so wie sie bis 1974 galt und wie die Übergangsbestimmung der Krankenkasseninitiative sie wieder einführen will - den Kostenauftrieb kaum gebremst, sondern im Gegenteil noch angeheizt hätte. Auch unter diesem Gesichtspunkt müssen wir also der Initiative und insbesondere dem in ihrer Übergangsbestimmung enthaltenen Begehren entschieden opponieren.

Unseres Erachtens besteht der richtige und zweckmässige Ansatz zur Lösung dieses Problèmes in einer Kombination aus Kostendämpfung und massvoller Erhöhung der Bundesbeiträge, und zwar in einem wohl dosierten Vorgehen, das eine Anpassung der Bundesbeiträge erlaubt. Es wäre unseres Erachtens demgegenüber verfehlt, durch eine schlagartige Erhöhung der Bundesbeiträge falsche Anreize zu setzen und die Motivierung zur Kosteneindämmung wieder abzuschwächen.

24

Weiteres Vorgehen

Nach der Absicht des Bundesrates hätten durch das aus den parlamentarischen Beratungen hervorgegangene und am 20. März 1987 verabschiedete Sofortprogramm für eine Teilrevision der Krankenversicherung (vgl. BG über die Kranken- und Mutterschaftsversicherung, KMVG; BB1 1987 I 985 ff.) einige weitherum als vordringlich anerkannte Revisionsanliegen verwirklicht werden sollen, nämlich: erste Schritte zur Kosteneindämmung; Verstärkung und gezielterer Einsatz der Bundesbeiträge an die Krankenkassen; Einführung einiger weniger aber wichtiger Verbesserungen in der Krankenpflegeversicherung sowie die Schliessung von Lücken in der Mutterschaftsversicherung. Das Sofortprogramm durfte sicher nicht überbewertet werden, stellte sich aber nach langen Diskussionen im Parlament als einzig konsensfähige Lösung heraus. Dieser erste, relativ bescheidene Schritt zu einer Teilrevision der Krankenversicherung wurde in der Volksabstimmung vom 6. Dezember 1987 abgelehnt (vgl. BB1 1988 l 569), nachdem zwei Komitees mit unterschiedlicher Stossrichtung - das eine ,gegen die Mutterschaftsversicherung, das andere gegen die Krankenversicherung - gegen die Vorlage das Referendum ergriffen hatten.

Das Sofortprogramm war das Ergebnis ausgedehnter vorparlamentarischer und parlamentarischer Beratungen. Ein Rückblick auf seine Entstehungsgeschichte 264

macht dies deutlich: Nachdem im Jahre 1974 der Versuch einer grundlegenden Neuordnung der Krankenversicherung gescheitert war, entschloss sich der Bundesrat, eine Vorlage zur Teilrevision der Krankenversicherung auszuarbeiten, welche die dringendsten Probleme lösen sollte. Gestützt auf Beratungen einer Expertenkommission und auf Vernehmlassungen zu einem Vorentwurf des Departementes des Innern unterbreitete der Bundesrat seine Vorstellungen mit der Botschaft vom 19. August 1981. Die im Jahre 1982 von der Schweizerischen Sanitätsdirektorenkonferenz und vom Departement des Innern einberufene Nationale Sparkonferenz erarbeitete noch zusätzliche Vorschläge zur Kosteneindämmung in der Krankenversicherung, die vom Parlament zu einem grossen Teil übernommen wurden. Im Verlaufe der parlamentarischen Beratungen wurden sodann aus der Vorlage des Bundesrates eine Reihe umstrittener Vorschläge eliminiert; es entstand das erwähnte, relativ bescheidene Sofortprogramm. Im weiteren hat das Parlament in der Frage des Taggeldes bei Mutterschaft eine neue Lösung gefunden, nachdem der Konsens über den ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates - die obligatorische Taggeldversicherung bei Krankheit und Mutterschaft - auseinandergebrochen war. Das Sofortprogramm war also ein Kompromiss, der niemanden voll befriedigte, mit dem aber versucht wurde, die verschiedensten Wünsche und Vorstellungen über die Kranken- und Mutterschaftsversicherung in einer Vorlage zu vereinigen.

Das Volk hat diesen Kompromiss abgelehnt. Dieses Ergebnis ist zu respektieren. Gleichzeitig sind daraus auch die nötigen Lehren für das weitere Vorgehen zu ziehen. Der Bundesrat ist deshalb der Ansicht, dass es keinen Sinn hätte, nun umgehend eine neue Vorlage zu unterbreiten, die sich in der Substanz am abgelehnten Sofortprogramm orientieren würde. Davon raten auch zahlreiche Stellungnahmen nach der Volksabstimmung deutlich ab. Besonders gestattet dies aber das unmissverständliche Nein des Volkes nicht. Das Ergebnis der Volksabstimmung lässt als eine der möglichen Schlussfolgerungen sogar die Hypothese zu, dass die Mehrheit des Volkes mit dem heutigen Zustand der Krankenversicherung gar nicht so unzufrieden ist. Die hohe Qualität unseres Gesundheitswesens, die allen Schweizerinnen und Schweizern zuteil wird, hat ihren Preis. Dieser ist im internationalen
Vergleich nicht übermässig hoch. Die Zufriedenheit könnte allerdings von kurzer Dauer sein. In der Krankenversicherung bestehen nämlich Probleme, die sich in der Zukunft, insbesondere was die Finanzierung betrifft, noch verschärfen werden.

Nachdem nun alle möglichen Versuche von Bundesrat und Parlament zu keinem Ziel geführt haben, ist zeitlich die Krankenkasseninitiative der nächste Schritt. Das Volk wird sich dazu äussern können, ob es den von den Krankenkassen vorgeschlagenen Weg einschlagen will, der konkret darin besteht, den Krankenkassen zusätzlich rund l ,5-2 Milliarden Franken aus Bundesmitteln zuzuführen. Der Bundesrat ist, wie dargelegt, der Meinung, dass dieser Weg falsch ist. Die Probleme der Krankenversicherung lassen sich nicht allein durch zusätzliche Finanzspritzen lösen, abgesehen von den Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und damit auch auf die Finanzpolitik des Bundes.

Angesichts des breiten Spektrums an Ideen, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten als nicht konsensfähig erwiesen haben, entsteht erneut die Notwendigkeit, die Probleme der Krankenversicherung ein weiteres Mal anzupacken.

265

Der Bundesrat hat vorderhand darauf verzichtet, eine weitere Expertengruppe nach altem Muster einzuberufen, deren Mitglieder wohl weitgehend Vertreter der sehr breit gefächerten Interessen in diesem Bereich sein müssten. Das würde die Expertengruppe jedoch zwingen, von Anfang an nach einem Konsens, d. h. nach Kompromissen zu suchen. Über die Ergebnisse solcher Verfahren haben wir berichtet. Der Bundesrat versucht nun, neue Wege zu gehen, indem er eine Art Ideenwettbewerb veranstaltet. Zu diesem Zweck hat er das Departement des Innern beauftragt, Experten, die an der abgelehnten Revision nicht direkt beteiligt waren, zu mandatieren, praktikable, konkrete Vorschläge für eine künftige Lösung zu machen. Der Vergleich zwischen den individuell erarbeiteten konkreten Vorschlägen der Experten dürfte möglicherweise über die Wege Aufschluss geben, die zu verfolgen sein werden. Die Vorschläge der Experten sollten im Herbst dieses Jahres vorliegen. Der Bundesrat wird anschliessend über die nächsten Schritte entscheiden. Dabei ist er sich bewusst, dass Fortschritte nur verwirklicht werden können, wenn sie sich auf einen politischen Konsens stützen können. Ebenfalls ist klar, dass die Experten kaum in der Lage sein werden, Wunder zu vollbringen.

Die Ideen, die in diesem Bereich bereits aufgeworfen worden sind, sind nicht nur zahlreich, sie sind auch sehr umfassend. Ob sich aufgrund der Vorschläge der Experten und nach einer sicher notwendigen Bearbeitung ihrer Ideenskizzen schnell zu einer bundesrätlichen Botschaft schreiten lässt, ist in diesem Zeitpunkt unmöglich vorauszusagen. Sollte dies der Fall sein, so könnten die entsprechenden bundesrätlichen Vorschläge an das Parlament als indirekter Gegenvorschlag zur hier zur Verwerfung empfohlenen Volksinitiative gelten. Ob es soweit kommen wird, kann der Bundesrat aber heute in keiner Weise verbindlich sagen.

3

Auswirkungen

31

Bund

Aufgrund der Übergangsbestimmung der Initiative würde der Bundesbeitrag an die Krankenkassen im Jahr nach der Annahme der Initiative massiv in die Höhe schnellen. Dies könnte bereits im Jahre 1991 der Fall sein. Statt der gemäss heutiger Beitragsplafonierung in jenem Jahr vorgesehenen Ausgabe von 985 Milliarden Franken dürfte dann eine Belastung von rund 2,47 Milliarden Franken auf den Bund zukommen. Diese Belastung würde in den folgenden Jahren entsprechend der Kostensteigerung in der Krankenpflegeversicherung zunehmen. Geht man von einer jährlichen Kostensteigerung von rund 7 Prozent aus, so ergäben sich Bundesbeiträge von rund 2,65 Milliarden Franken für 1992, von rund 2,84 Milliarden Franken für 1993 und von rund 3,035 Milliarden Franken für 1994.

266

32

Kantone und Gemeinden

Die finanziellen Auswirkungen für Kantone und Gemeinden können zur Zeit nicht abgeschätzt werden. Sie würden von der Ausführungsgesetzgebung zu Absatz 6 der Initiative abhängen.

4

Schlussfolgerungen

Die Initiative bringt ausser der Forderung nach einer massiven Erhöhung der Bundesbeiträge keine neuen konkreten Ansätze zur Lösung der in der Krankenversicherung anstehenden Probleme. Wir lehnen die anbegehrte Erhöhung ab, denn sie ist überzogen, für den Bundeshaushalt nicht tragbar und setzt mit Blick auf die Kosteneindämmung den falschen Akzent. Die Probleme der Krankenversicherung können und müssen auf dem Wege der Gesetzgebung gelöst werden. Dies gilt auch nach der Verwerfung der Vorlage für die Teilrevision der Krankenversicherung («Sofortprogramm») durch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 6. Dezember 1987. Kaum jemand bestritt oder bestreitet denn auch die Reformbedürftigkeit unserer sozialen Krankenversicherung. Da die Korisensfindung hierfür jedoch offensichtlich nicht einfach ist, hat sich der Bundesrat zu dem in Ziffer 24 skizzierten weiteren Vorgehen entschlossen. Bereits bei der Entgegennahme der Finanzierungsmotion der eidgenössischen Räte, welche darauf abzielt, dass die Bundesbeiträge in erster Linie nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Versicherten ausgerichtet werden, hat der Bundesrat klar die Ansicht vertreten, dass eine Änderung der Finanzierung der Krankenversicherung in diese Richtung gehen sollte. Hieran hat sich nach dem Abstimmungsergebnis vom 6. Dezember 1987 nichts geändert.

Allerdings ist die in der Initiative geforderte massive Erhöhung der Bundesbeiträge sicher nicht der geeignete Ausgangspunkt für die notwendige Flurbereinigung. Hiermit würde eher das bestehende Finanzierungssystem, das auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Versicherten keine Rücksicht nimmt, verfestigt und das Interesse an kostendämmenden Massnahmen bei den Krankenkassen und den Leistungserbringern vermindert. Aus diesem Grunde und weil überdies eine Verfassungsänderung gar nicht nötig ist, hingegen eine solide Revision auf Gesetzesstufe, empfehlen wir Ihnen, die Initiative ohne formellen Gegenvorschlag zur Ablehnung.

2464

267

Anhang

Ni O^

Bundesbeiträge an die Krankenkassen Unplafonierle Beiträge2)

Zunahme gegenüber Vorjahr 2 )

Gekürzte bzw. plafonierte Beiträge nach dem KUVG

Zunahme gegenüber Vorjahr

in Mio. Fr.

in Prozent

in Mio. Fr.

in Prozent

1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988

785 905 995 1051 1114 1195 1289 1423 1531 1671 1753 rund 1868 rund 2005

15,3 9,9 5,5 6,0 7,3 7,8 10,4 7,6 9,1 4,9 6,6 7,3

706 815 874 907 917 927 891 902 907 913 922 974 977

1989 1990 1991 1992 1993 1994

rund 2151 rund 2308 rund 2475 rund 2652 rund 2840 rund 3035

7,3 7,3 7,2 7,2 7,1 6,9

Budgetjahr 11

:

> ) ^ 4 > 2

978 982 985 986 987

15,3 7,3 3,7 1,1 1,1 - 4,0 3> 1,25 0,61 0,65 0,94 5,64 4) 0,29 0,10 0,41 0,31 0,10 0,10 0,10

Durch nachschüssige Auszahlung werden die Ansprüche für das Vorjahr abgegolten.

Nach dem bis 1974 geltenden Recht; dieses würde bei Annahme der Initiative gegebenenfalls 1991 wieder in Kraft treten.

Einführung der generellen Subventionskürzung von 5 Prozent.

Aufhebung der generellen Subventionskürzung von 5 Prozent.

Bundesbeschluss Entwurf über die Volksinitiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)»

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Prüfung der am 30. April 1985 eingereichten «Volksinitiative für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)» '', nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 24. Februar 19882', beschliesst:

Art. l 1

Die Volksinitiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)» vom 30. April 1985 wird gültig erklärt und Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet.

2

Die Volksinitiative lautet: Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt: Art. 34bis Abs. 3-7 (neu) 3 Bund und Kantone gewährleisten eine bedürfnisgerechte Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Dienstleistungen im Rahmen der Krankenund Unfallversicherung sowie deren wirtschaftliche Durchführung. Zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit erlassen sie insbesondere Tarif- und Abrechnungsnormen.

4 Die Krankenversicherung ist durch die vom Bund anerkannten Krankenkassen durchzuführen. Sie umfasst insbesondere Behandlungskosten und Geldleistungen bei Krankheit. Mutterschaft und. sofern hiefür anderweitig keine Versicherung besteht, bei Unfall und Geburtsgebrechen. Den Krankenkassen steht es frei, auf die Kranken- und Unfallversicherung bezogene Zusatzversicherungen zu betreiben.

5 Der Bund richtet den Krankenkassen Beiträge aus zur Abgeltung der ihnen durch Verfassung und Gesetz auferlegten sozial- und gesellschaftspolitischen Verpflichtungen, wie namentlich zur Sicherung der Solidarität zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen.

6 Die Kantone ermässigen in der Krankenversicherung durch angemessene Beiträge die Prämien und Kostenbeteiligungen für wirtschaftlich schwächere Versicherte. Der Bund erlässt hiefür Rahmenbestimmungen. Auferlegen die Kantone den Krankenkassen weitergehende Verpflichtungen als das Bundesrecht, so haben sie diesen die daraus erwachsenden Mehrkosten zu vergüten.

7 Der Bund regelt das Verhältnis zu den übrigen Zweigen der Sozialversicherung sowie anderen Leistungspflichtigen.

'> BB1 1985 II 519 > BB1 1988 II 247

2

269

Volksinitiative

Übergangsbestimmungen An. 19 (neu) Von dem der Annahme der Verfassungsbestimmungen von Artikel 34bls Absätze 3-7 folgenden Kalenderjahr an bis zum Inkrafttreten der auf sie gestützten Gesetzgebung richten sich die Bundesbeiträge an-die Krankenkassen nach den Bestimmungen, die für 1974 Geltung hatten.

Art. 2 Die Bundesversammlung empfiehlt Volk und Ständen, die Volksinitiative zu verwerfen.

2464

270

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über die Volksinitiative «für eine finanziell tragbare Krankenversicherung (Krankenkasseninitiative)» vom 24. Februar 1988

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1988

Année Anno Band

2

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16

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88.014

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.04.1988

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